Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

der Sommer-Newsletter des Demokratischen Salons für die Monate Juli und August 2024 erscheint zum zehnten Jahrestag des 74. Völkermords an den Êzîd:innen, der am 3. August 2014 im Sindschar-Gebirge des Iraks begann. Êzîd:innen wurden von Islamisten terrorisiert, ermordet, versklavt. Sie sind im Irak nach wie vor in Lebensgefahr, dennoch werden Êzîd:innen aus Deutschland in den Irak „abgeschoben“. Der Deutsche Bundestag hatte im Januar 2023 eigentlich etwas anderes beschlossen. Für die Jüdische Allgemeine sprach Ayala Goldmann mit Ronya Othmann, Autorin der Romane „Die Sommer“ und „Vierundsiebzig“. Ronya Otmann sagte: „Die fehlende Empathie mit Opfern von Islamismus setzt sich auch beim 7. Oktober fort.“

Themen der neuen Texte des Demokratischen Salons sind ein Rückblick auf zehn Monate nach dem 7. Oktober, das ukrainische Theater im Krieg und ein Werkstattsgespräch mit einer Berliner Autorin Dilek Güngör, Gespräche über die Demokratie als Gegenstand von Ausstellungen der Bundeskunsthalle und des Kunstfests Weimar, das Demokratieparadox, das Verhältnis von Öffentlichkeit und Geschichtswissenschaften, das DGB-Projekt „Betriebliche Demokratiekompetenz“, Zeitreisen in der Science Fiction und der chinesische Science-Fiction-Autor Cixin Liu. Das Editorial trägt die Überschrift „Und sie bewegt sich doch – Eine Liebeserklärung an die Deutsche Bahn“.

Nach den Kurzvorstellungen dieser Texte finden Sie Hinweise auf Veranstaltungen unter Beteiligung des Demokratischen Salons sowie Vorschläge zum Besuch weiterer Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe.

Am 7. September 2024, 17 Uhr, findet in der Kulturkneipe der Beueler Brotfabrik die Finissage der seit Juli laufenden Ausstellung rund um den Gedichtband „Aus dem Tagebuch eines Autisten“ von Norbert Reichel statt, mit den Bildern von Firouzeh Görgen-Ossouli und Hans Peter Schaefer. Die Ausstellung ist dienstags bis samstags von 17 bis 21 Uhr geöffnet. Individuelle Besuchstermine können über die Telefonnummer 0151.54681813 vereinbart werden. Diese Ausgabe des Newsletters zeigt unter anderem einige ausgewählte Bilder dieser Ausstellung und des „Tagebuchs“.

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen finden Sie zum Michael-Kleff-Archiv, zu einer Preisverleihung für das Puppentheater Bubales, zur Wissenschaftsfreiheit anlässlich der Debatte um anti-israelische Demonstrationen, zum Antisemitismus in der Kultur und auf Tiktok, zum Deutschen Widerstand, zum deutschen Staatsversagen in Afghanistan, zur Umleitung humanitärer Hilfen für Gaza und ihrem Ausbleiben im Sudan, zum Streit um die humanitäre Hilfe in der Entwicklungszusammenarbeit, zur Bedeutung des sogenannten „Wolfsgrußes“, zur Motivation migrantischer Wähler:innen der AfD und zu Rassismus als Pop, zur Befreiung aus Putins Gulag, zu einem aktuellen Memorandum mit der Forderung nach Aufarbeitung der Pandemie, zu umweltschädlicher Ausbeutung von Lithium und Kohle für den deutschen Bedarf und zu einem unerwarteten Plädoyer für die Gesamtschule. Last not least ein Hinweis auf Übersetzungen von Texten des Demokratischen Salons in das Ukrainische.

  • Anastassia Pletoukhina sagt, am 7. Oktober 2023 habe sich „Die Büchse der Pandora“ geöffnet. Der 7. Oktober sei der „längste Tag“. Sie war von der anfänglich großen Solidarität in Deutschland überrascht, stellte jedoch mit der Zeit fest, wie manche zu alten Mustern des Antisemitismus zurückkehrten. Sie berichtet von unterschiedlichen Diskursen in Israel und in Deutschland, von Veränderungen am Arbeitsplatz und Bedrohungen im Alltag. Dazu gehören auch die Debatte um „Wissenschafts- und Meinungsfreiheit“ in Deutschland und die Vorbehalte in jüdisch-muslimischen Dialogprojekten. Die Frage lautet: „Ist Dialog noch möglich?“ (Rubriken: Jüdischsein, Antisemitismus)
  • Viktoriia Kotenok, Iuliia Bentia und Pavlo Shopin dokumentieren die „Kreative Solidarität im ukrainischen Theater“. Thema sind Kultur, Kunst und Theater in Zeiten des Krieges. Die ukrainischen Theaterensembles lassen sich von den ständigen Bombenangriffen nicht entmutigen, einige wechselten den Standort, alle führen weiterhin vor ausverkauften Häusern auf. Die Solidarität ist groß, es gibt Freikarten für Soldat:innen, Veteran:innen, Verwundete und Vertriebene, Tourneen in bedrohte Regionen des Landes und eigene Veranstaltungen zur Einwerbung von finanziellen Mitteln für den ukrainischen Widerstand. Auch Festivals und Zeitschriften sind nach wie vor lebendig. (Rubriken: Kultur, Osteuropa)
  • Dilek Güngör präsentiert in „Vor dem Spiegel“ das Bild der Vielfalt einer Welt, in der alle versuchen, sich gegenseitig zu spiegeln, ohne genau hinzusehen, einfach nur in der Erwartung, man fände sich selbst im anderen, obwohl letztlich die Erkenntnis bleibt, dass die eigene Identität sich als „Insel“ Dies ist Thema ihres neuen Romans „A wie Ada“. Dilek Güngör ist eine Meisterin der Präzision, einer knappen Prosa, die die Vielfalt der Welten, in denen sich Menschen begegnen, auf den Punkt bringt und für ein gleichzeitig labiles und stabiles Gleichgewicht sorgt, ähnlich wie ein Vogel, der auf einem Ast oder einer Schulter sitzt. Jede Insel hat eben auch ihren Kontinent. (Rubriken: Kultur, Migration)
  • Johanna Adam ist die Kuratorin der Bonner Ausstellung (2025 auch in Dresden zu sehen) „Für alle! Demokratie neu gestalten!“ Die Ausstellung führt ins demokratische Fitnessstudio, denn es gilt: „Die demokratischen Muskeln trainieren!“ Künstler:innen zeigen ihre Sicht der Demokratie, vom „Kiosk der einfachen Antworten“ über die „Sturzlage“ der Stühle des Zentralen Runden Tisches der DDR bis zu einer Hommage an die Suffragette Mary Richardson. Zu sehen ist das Original eines Entwurfs der Präambel einer DDR-Verfassung für den Zentralen Runden Tisch. Vorgestellt werden Ansätze der repräsentativen, deliberativen und direkten Demokratie. (Rubriken: Liberale Demokratie, Kultur)
  • Rolf C. Hemke, Künstlerischer Leiter des Kunstfestes Weimar, stellt Geschichte und Aktualität des Kunstfestes Weimar unter der Überschrift „Mit der Kunst für Freiheit und Demokratie“ Dazu passt auch das diesjährige Motto: „Wofür wir kämpfen“. Es ist gelungen, das Kunstfest finanziell zu sichern, seine Stärken sind die Vielfalt und die politische Setzung. Das Kunstfest beteiligt sich an der bundesweiten Kampagne „Die Vielen“, die die Reichweite der Kommunikation deutlich erhöht. Rolf C. Hemke benennt auch die aktuellen politischen Entwicklungen in Thüringen, zu denen das Programm von Schorsch Kamerun passt: „Bevor wir kippen“. (Rubriken: Kultur, Liberale Demokratie)
  • Sandro Witt stellt das von ihm geleitete und vom Bundesarbeitsministerium geförderte DGB-Projekt „Betriebliche Demokratiekompetenz vor: „Yes, we can“ – so könnte das Motto lauten, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung sind der Kern des Projektes, das Belegschaften kleiner und mittlerer Betriebe unterstützt, Abläufe im Betrieb mitzugestalten. Mit der Zeit lösen sich antidemokratische Einstellungen auf, ein harter Brocken ist allerdings der Antifeminismus. Betriebsräte und starke Gewerkschaften sorgen für die Nachhaltigkeit partizipativer Entwicklungen, so auch eine Erfahrung der politischen Sozialisation von Sandro Witt. (Rubrik: Liberale Demokratie)
  • Christina Morina erhielt für ihr Buch „Tausend Aufbrüche“ den Deutschen Sachbuchpreis 2024 und in der Tat: „History Matters“. Eine zentrale Frage: „Wie konnte aus der demokratischen Mobilisierung der Nährboden für eine anti-demokratische Revolte entstehen?“ Sie knüpft unter anderem an Jeffrey Herf, Jürgen Habermas, Martin Sabrow und die französische Schule der „Annales“ an, die immer wieder das Wechselspiel zwischen Politik und Öffentlichkeit thematisierten. Ihre Zeit prägen nicht nur die bekannten Akteure, sondern auch die vielen „Bystander“. Fast alle wollen „Demokratie“, aber gleichzeitig ist „Demokratie“ eine Chiffre deutscher Protestkultur(en). (Rubriken: Liberale Demokratie, DDR).
  • Norbert Reichel fragt in dem Essay „Das Demokratieparadox“, warum autoritäre Politiker:innen so attraktiv wirken und warum sich Wähler:innen in Demokratien in geradezu atemberaubenden Tempo von denen abwenden, die sie doch gerade gewählt haben. Rollenmodelle sind Putin, Trump und Orbán, die sich als unterschiedliche Entwicklungsstufen auf dem Weg zur autoritären „illiberalen Demokratie“ beschreiben lassen, wie sie Wahlen manipulieren und Justiz und Medien ihrer Kontrolle unterwerfen. Demokratie muss jedoch immer zugleich liberal sein, Mehrheitsentscheid und Minderheitenschutz gehören untrennbar zusammen. (Rubriken: Liberale Demokratie, Treibhäuser, Weltweite Entwicklungen)
  • Fritz Heidorn stellt in seinem Essay „Über Zeit und Veränderung – Ein nicht nur literarischer Reisebericht“ philosophische, physikalische und literarische Reflektionen über das Thema der Zeit vor, die sich nicht zuletzt in dem in der Science Fiction ständig präsenten Motiv der Zeitreise manifestieren. Der bekannteste Roman ist vielleicht „Time Machine“ von G. Wells, aber es gibt eine Reihe weiterer Romane, deren Lektüre lohnt und die zeigen, was Zeitreisen über unsere eigene Zeit aussagen. Zeit ist ein Mysterium, eine Dimension, die nicht nur die individuellen Biografien jedes Menschen, sondern auch die des Universums prägt. (Rubrik: Science Fiction)
  • Fritz Heidorn porträtiert nach Kim Stanley Robinson und Arthur C. Clarke in „Kosmologische Science Fiction“ einen weiteren Großmeister der internationalen Science Fiction: Cixin Liu, Autor der Trisolaris-Trilogie, deren erster Band kürzlich unter dem Titel „3 Body Problem“ als Netflix-Serie verfilmt wurde. Die Trilogie darf durchaus als Werk der Climate Science Fiction und als historisch-kulturelles und politisches Werk gelesen werden. Man könnte auf den Gedanken kommen, Cixin Liu habe eine Allegorie auf reale Bedrohungszenarien und untaugliche Versuche der Gegenwehr geschrieben. Fritz Heidorn ordnet die Trilogie auch in die Tradition weiterer Romane ein. (Rubrik: Science Fiction)

  • Mehr Demokratie wagen! Die Deutsche Einheit und die Migration: Dies ist die zweite Veranstaltung im Begleitprogramm zur Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ Sie findet am 28. August 2024, 18.30 bis 20.30 Uhr im Gustav-Stresemann-Institut Bonn (GSI) statt. Anmeldung und Tickets über die Bundeskunsthalle oder das GSI. Teilnehmende sind Almuth Berger, Adelino Massuvira, Anastassia Pletoukhina und Patrice Poutrus. Worum geht es? Die „Vertragsarbeiter“ aus den „sozialistischen Bruderstaaten“ lebten isoliert. Russisches Militär wurde offiziell gefeiert, in der Bevölkerung jedoch mit gemischten Gefühlen gesehen. Viele verließen nach dem Mauerfall die DDR. Anfang der 1990er Jahre gab es gewalttätige Übergriffe, Pogrome, im Osten wie im Westen. Ab Januar 1990 hatte die Regierung der DDR eine Ausländerbeauftragte. Am 12. April 1990 beschloss die demokratisch gewählte Volkskammer, Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion die Einwanderung nach Deutschland zu ermöglichen. Heute gilt Ostdeutschland im Westen als „fremdenfeindlich“. Doch wo sind die Brüche, wo die Kontinuitäten? (Eine dritte Begleitveranstaltung findet am 1. Oktober, 19.00 Uhr wieder in der Bundeskunsthalle statt, Thema: „Die Deutsche Einheit und die Künste“. Details noch offen.)
  • Die DDR im Westen (im Rahmen der Bonner Tage des Exils): Am 2. September, 19.00 Uhr, im Gustav-Stresemann-Institut (GSI), mit Ines Geipel und Franziska Groszer. In der DDR wurden viele Autorinnen und Autoren schikaniert, bespitzelt, eingesperrt, in den Westen abgeschoben. Ihre Texte blieben unveröffentlicht. Ines Geipel hat Texte und Biographien in dem mit Joachim Walther gemeinsam herausgegebenen Buch „Gesperrte Ablage“ dokumentiert, das 2024 im Düsseldorfer Lilienfeldverlag in erweiterter Neuauflage erschien. Doch wie fanden sich aus der DDR abgeschobene Autor:innen in Westdeutschland zurecht? Die Berliner Autorin Franziska Groszer durfte ein einziges Mal lesen, dann wurde ihr das Schreiben verboten und sie siedelte in den Westen über. Die Veranstaltung wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finanziell unterstützt. Anmeldung über die Seite des GSI.
  • Die Jeckes in Israel (im Rahmen der Bonner Tage des Exils): Am 3. September, 19.00 Uhr, liest Shelly Kupferberg in der Beueler Brotfabrik aus ihrem Roman „Isidor – Ein deutsches Leben“ liest. Gemeinsam mit Esther Gardei vom Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung stellt sie Leben, Tradition und Kreativität der Jeckes vor. Zu den Jeckes gehörte Shelly Kupferbergs Großvater, der Historiker Walter Grab (1919-2000), Experte zu Vormärz und Demokratiegeschichte, Gründer des Instituts für deutsche Geschichte in Tel Aviv, der sich wie viele andere deutsche und österreichische Intellektuelle vor den Nazis nach Palästina rettete. Sein Archiv war die wesentliche Quelle von „Isidor“. Die Veranstaltung wird von der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft finanziell unterstützt. Anmeldung bitte an presse@brotfabrik-bonn.de.
  • Grenzenlose Hoffnung (im Rahmen der Bonner Tage des Exils): Am 6. September, 19.00 Uhr, präsentieren Alvaro Solar und Cristina Collao in der Beueler Brotfabrik die Szenische Lesung „Grenzenlose Hoffnung“. Grundlage sind das im Berliner Hirnkost-Verlag erschienene biographische Theaterprojekt sowie der Lyrikband „Metamorphose“. Im Mittelpunkt stehen Hoffnungen, Erfolge, Misserfolge. Die szenische Lesung wird musikalisch begleitet. Gespräche über die Herkunftsländer, Ankommen und Leben im Exil entfalten den historischen, politischen und gesellschaftlichen Hintergrund. Klaus Farin wird Publikationen seines Verlags zum Thema vorstellen, unter anderem die Dokumentation „Todesursache Flucht“ und der Erzählband „Strandgut“. Die Veranstaltung wird von der Landeszentrale für politische Bildung NRW finanziell unterstützt. Anmeldung bitte an presse@brotfabrik-bonn.de.
  • Unter Verschluss – Die Dritte Literatur des Ostens: Nach dem Erfolg der szenischen Lesung „Unter Verschluss“ im Oktober 2022 in Bonn gibt es anlässlich des 35. Jahrestags des Mauerfalls eine weitere Veranstaltung am 5. November 2024, 18.30 Uhr in Düsseldorf in der Zentralbibliothek am KAP 1 (Konrad-Adenauer-Platz 1) mit Ines Geipel und Franziska Groszer. Ines Geipel stellt die im März 2024 im Lilienfeld Verlag erschienene erweiterte Neuauflage von „Gesperrte Ablage“ vor. Franziska Groszer liest ihren Text „Warum nicht Klagenfurt“. Axel von Ernst wird das Angebot des Lilienfeld-Verlages vorstellen. Hier das Programm und weitere Informationen. Partner sind die Düsseldorfer Stadtbibliotheken, Respekt und Mut sowie die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus. Die Veranstaltung wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. (Die ursprünglich für den 7. November in Solingen angekündigte Veranstaltung zum gleichen Thema wird auf das Jahr 2025 verschoben.)
  • KlimaFiktionen 2024: Das Festival findet am 16. November 2024 in Bochum statt. Der Demokratische Salon veröffentlicht seit Februar 2024 ausgewählte Texte rund um das Festival und stellt die Akteur:innen vor, im Februar 2024 Aiki Mira mit dem Manifest „Post-Cli-Fi“, in den Monaten März, April und Mai den eigens für die Vorbereitung geschriebenen dreiteiligen Essay „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ von Hans Frey, der leider im Januar 2024 starb. Teilnehmen werden unter anderen Theresa Hannig, Aiki Mira und Zara Zerbe. Norbert Reichel moderiert. Weitere Informationen demnächst hier.

  • Tagung „Demokratie in Gefahr – Ausblicke und Gegenstrategien“: Die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit lädt am 27.  August 2024, 11.00 Uhr bis 15.45 Uhr in das FORUM Volkshochschule im Museum am Neumarkt (Cäcilienstr. 29-33, 50667 Köln) zu einem Austausch mit Gerhart R. Baum ein, der auch den einführenden Vortrag halten wird, Vivianne Dörne (Quartiersdemokraten Dortmund), Nina Käsehage (Sprecherin der Forschungsgruppe Extremismus / Terrorismus des Kölner Forums für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik) und Jürgen Wilhelm, Vorstandsvorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. Die Moderation übernimmt Philine Felicitas Elster. Kooperationspartner sind die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. und die Volkshochschule Köln. Weitere Informationen und Anmeldung über die Seite der FNS (begrenzte Platzzahl).
  • Deutscher Überfall auf Polen – 85. Jahrestag: Am 1. September 1939 überfiel das nationalsozialistische Deutschland die Republik Polen und begann den Zweiten Weltkrieg. Sechs Jahre Besatzungs- und Gewaltherrschaft sowie Millionen Todesopfer waren die Folge. Am 1. September 2024, zum 85. Jahrestag des Überfalls, 15.30 Uhr, findet am Standort der ehemaligen Kroll-Oper (Heinrich-von-Gagern-Straße, 10557 Berlin) eine öffentliche Gedenkveranstaltung unter Beteiligung von Regierungsvertretern statt, bei der eine Informationstafel zur Kroll-Oper enthüllt wird, in der Reichskanzler Adolf Hitler in den Morgenstunden des 1. September 1939 eine propagandistische Rede hielt. Um 16.30 Uhr beginnt eine zivilgesellschaftlich-künstlerische Intervention zum Thema „Vergangenes Erinnern – Zukunft demokratisch gestalten“. Die Veranstaltung endet mit einem Konzert der polnischen Band „Hańba“. Das vollständige Programm und weitere Informationen finden Sie auf der Website des Deutsch-Polnischen Hauses.
  • Kunstfest Weimar 2024: Das diesjährige Kunstfest Weimar findet vom 21. August bis zum 8. September 2024 unter dem Motto „Wofür wir kämpfen“ Viele Veranstaltungen beziehen die Stadtgesellschaft unmittelbar ein und sind daher kostenlos, es gibt in der Stadt und in verschiedenen Lokalitäten Vorstellungen in fast allen künstlerischen Sparten. Schirmherrin ist Irina Scherbakowa. Weitere Informationen und Programm auf der Internetseite des Kunstfestes. Zu Geschichte, Konzeption und Aktualität des Kunstfestes siehe das Interview mit dem Künstlerischen Leiter Rolf C. Hemke: „Mit der Kunst für Freiheit und Demokratie“.
  • Ausstellung zur Demokratie in Bonn und Dresden: Die von Johanna Adam, Amelie Klein und Vera Sacchetti kuratierte Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ ist bis zum 13. Oktober 2024 in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen. Die grundlegende Frage und die ebenso grundlegende Antwort: „Braucht die Demokratie ein Update? Haben wir uns zu lange darauf verlassen, dass unsere Demokratie durch nichts zu erschüttern ist? Mit Demokratie ist es nämlich so: Es gibt sie nur, wenn wir fortwährend an ihr arbeiten.“ Siehe hierzu auch das Interview mit  Johanna Adam: „Die demokratischen Muskeln trainieren!“.
  • Ostdeutsche Demokraten in der Nachkriegszeit: Unter dem Titel „…denen mitzuwirken versagt war“ bietet die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine zum Preis von 40 EUR erwerbbare Plakatausstellung, die all den Demokratinnen und Demokraten gewidmet ist, die an der Erarbeitung des Grundgesetzes nicht beteiligt werden konnten, weil sie auf dem Gebiet der SBZ beziehungsweise DDR lebten. Kuratiert wurde die Ausstellung von Anna Kaminsky und Alexander Frese unter Mitarbeit von Sara Brand und Carlotta Strauch. Die Ausstellung umfasst 20 Tafeln im Format DIN A 1, darunter 15 biografische Tafeln, die jeweils zwei Personen porträtieren. Jede Tafel enthält einen QR-Code, der auf Begleitmaterialien im Internet verweist. Wer im Köln-Bonner-Raum interessiert ist, kann sich an den Demokratischen Salon oder auch direkt an die Stiftung wenden.
  • Science Fiction Club Andymon: In den Räumen des Kulturrings Berlin-Treptow (Ernststraße 14-16, S-Bahnstation Baumschulenweg) trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat der SF-Club Andymon. Das nächste Treffen findet am 15. August 2024, 18.30 Uhr statt. Clubmitglieder berichten über ihre Erlebnisse bei der weltgrößten SF-Convention, der World Science Fiction Convention 2024 in Glasgow. Am 12. September 2024, 18.30 Uhr, stellt Hardy Kettlitz Science-Fiction-Anthologien mit Texten aus Südkorea und aus der Türkei vor.
  • Pressefreiheit: Die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen (RSF)“ feiert 2024 ihr 30-jähriges Bestehen. Initiiert vom Förderkreis des Zentrums für verfolgte Künste und kuratiert von der Fotoredakteurin Barbara Stauss zeigt „Reporter ohne Grenzen“ bis 8. September 2024 im Museum Zentrum für verfolgte Künste die Fotoausstellung „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“. Zu sehen sind Arbeiten von sechs internationalen Fotojournalist:innen aus Myanmar (anonym), Violetta Savchits aus Belarus, Andrès Cardona aus Kolumbien, Gilles Sabré aus China, Anoek Steketee aus Ruanda sowie Miguel Angel Sánchez und Nuria Tesón aus Ägypten. Im Rahmen der Ausstellung wird am 22. August um 19 Uhr der Kurzfilm „ISTINA (Wahrheit)“ von Tamara Denić Im Anschluss findet ein Publikumsgespräch mit der Regisseurin statt. Tamara Denić gehört zu den Gewinnern der Student Academy Awards 2023 vom 24. Oktober 2023 in Los Angeles. Der Inhalt: Eine Fotojournalistin wird in Belgrad von rechtsextremen Gruppierungen bedroht. Sie flieht mit ihrer Tochter nach Deutschland und erlebt auch dort immer stärker werdende Anfeindungen und Bedrohungen. Gedreht wurde in Belgrad und in Hamburg. Der aufwendigen Produktion mit rund 200 Beteiligten ging eine umfangreiche Recherche voraus, unter anderem durch den Besuch von Demonstrationen. Am 29. August, 18 Uhr, findet eine Feierabendführung in Kooperation mit Bergischen Volkshochschule statt.
  • Sandra del Pilar in Halle an der Saale: Sandra del Pilar lebt in Cuernavaca (Mexiko) und in Soest. Ihre Arbeit ist im Demokratischen Salon präsent, im Titelbild der Rubrik „Opfer und Täter*innen“, in Gesprächen und Texten über ihre Arbeit, zuletzt über die Geschichte der Malintzin, die die mexikanische Geschichte und vielleicht auch manche Kolonialgeschichte in einem neuen Licht erscheinen lässt. Noch bis zum 13. Oktober 2024 ist in Halle an der Saale, im Kunstmuseum Moritzburg, die Ausstellung „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“ (Bertolt Brecht) zu sehen. Kuratorin ist Manja Wilkens. In der Ankündigung der Ausstellung heißt es: „Die Ausstellung möchte den Blick auf eine interessante Position einer ‚postautonomen‘ Malerei lenken, die selbstsicher und ästhetisch präzise die Themen unserer Zeit ins Bild setzt und reflektiert. Die für die Ausstellung vorgesehene Werkauswahl aus den letzten 20 Jahren soll einen Beitrag dazu leisten, den Begriff der Malerei erneut zu hinterfragen und zu präzisieren, und die Frage aufwerfen, ob das, was uns Gemälde heute zu sagen haben, tatsächlich so ungehört verhallen muss, wie einst der Ruf der antiken Seherin Cassandras. Online verfügbar ist ein Audioguide durch die Ausstellung.
  • Gewalt gegen die Demokratie: Die Topographie des Terrors zeigt bis zum 1. September 2024 die Ausstellung „Gewalt gegen Weimar“. Anschließend ist die Ausstellung auch in Hamburg und in Weimar zu sehen. Es geht um die Zeit zwischen 1918 und 1923: „Sie macht sichtbar, wie Extremisten und Separatisten die Weimarer Republik an den Rand eines Bürgerkriegs brachten, mit welch drastischen Mitteln der Staat vorging und wie Sprache und Literatur der Zeit auf die Brutalität der Ereignisse reagierten. Zugleich stellt die Ausstellung die Frage nach den Kontinuitätslinien einer langen Geschichte politischer Gewalt in Deutschland – von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis heute.“ Das von Martin Sabrow herausgegebene Buch „Gewalt gegen Weimar – Zerreißproben der frühen Republik 1918 bis 1923“ erschien 2023 im Wallstein-Verlag. Es gibt ein attraktives Begleitprogramm, live und im Livestream.
  • Safe Art Space: Das Projekt „Wir machen das“ unterstützt mit Safe Art Space neu zugewanderte Frauen aus Kriegs- und Krisengebieten, vor allem aus arabisch- und persischsprachigen Ländern, die in Brandenburg leben. Ziel ist, die Frauen durch partizipative, diversitäts- und traumasensible Methoden der kulturellen Bildung und durch gemeinschaftsbildende Aktivitäten in ihrem selbstbestimmten Leben in Deutschland bestärken. Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Verein „United Action Women and Girls“ entwickelt, der von der Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Fatuma Musa Afrah gegründet wurde. Den Auftakt machen zwei Schreibwerkstätten im September in Rathenow. Außerdem findet im September ein „Cook & Talk“ – Workshop in Rathenow mit der „MIDNIMO Mobile Kitchen“ statt, zu der alle neu zugewanderten und interessierten Frauen aus dem Netzwerk von United Action Women and Girls e.V. eingeladen werden. Geleitet wird das Projekt Safe Art Space von Thao Ngyuen.
  • Die Autorinnen der Gruppe 47: Die Gruppe 47, die von vielen als die Wiege der westdeutschen Literatur nach Krieg und Gewaltherrschaft gilt, war ein Männerclub. Es ist das Verdienst von Nicole Seifert, 15 Autorinnen der Gruppe 47 in ihrem Buch „einige Herren sagten etwas dazu“ (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2024) eine Stimme zu geben, darunter beispielsweise Ilse Schneider-Lengyel, Ilse Aichinger, Ingeborg Drewitz, Gisela Elsner, Ruth Rehmann, Christa Reinig und Renate Rasp. Der Titel ist ein Kommentar von Ingeborg Bachmann nach einem der Gruppentreffen. Eine exzellente (frei verfügbare) Besprechung schrieb Hanna Engelmaier für die Literaturkolumne der Juniausgabe 2024 des Merkur. Das Literaturhaus München widmet Ingeborg Bachmann die Ausstellung „Ich bin es nicht. Ich bin’s.“, die Antje Weber in der Süddeutschen Zeitung Im Zentrum der Ausstellung steht Bachmanns Satz: ‚Ich existiere nur, wenn ich schreibe.‘“ Die Ausstellung ist bis zum 3. November 2024 zu sehen. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm mit mehreren Feierabendführungen. Lesenswert – geradezu komplementär – das Buch von Ines Geipel „Zensiert, verschwiegen, vergessen“ über 12 ostdeutsche Autorinnen der Zeit von 1945 bis 1989 (Düsseldorf, Artemis & Winkler, 2009).
  • Die Kirchen und die neue Rechte: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) lädt am 15. und 16. November 2024 zu einer Veranstaltung im Berliner Dietrich-Bonhoeffer-Haus zum Thema „Apokalypse nein! Wie weiter in der kirchlichen Auseinandersetzung mit der extremen Rechten?“ ein. Unter anderem gibt es einen Vortrag von Gideon Bötsch zu Konsequenzen aus den Wahlergebnissen 2024 sowie diverse Arbeitsgruppen zu Themen wie zur Lage der griechisch-orthodoxen Gemeinschaften, zum israelbezogenen Antisemitismus, Antiziganismus, zu sozialen Medien. Antisemitismus ist ein Schwerpunkt einer zweiten Arbeitsgruppenphase, in der auch über die Lage in Thüringen nach der Landtagswahl diskutiert werden kann. Anmeldung wird bis zum 4. Oktober erbeten.

  • Archiv sucht neue Heimat: Der Musikjournalist Michael Kleff hat im Demokratischen Salon sein Michael-Kleff-Archiv bereits vorgestellt: „This Land is (y)our Land“. Das Archiv ist eine beispiellose Sammlung von Interviews, Begegnungen, Texten mit und über eigentlich alle, die in der US-amerikanischen und in der deutschen Musikszene Rang und Namen haben. Jetzt sucht Michael Kleff für dieses Archiv eine neue Heimat, damit alles für Forschung, Wissenschaft, Journalismus und andere Interessierte zur Verfügung steht. Ebenfalls im Demokratischen Salon: die Rezension eines Sammelbandes von Michael Kleff mit Interviews mit Kabarettist:innen und Liedermacher:innen der DDR kurz nach dem Mauerfall: „Wo man singt“.
  • Silvio-Meier-Preis für Puppentheater Bubales: Das wunderbare jüdische und interkulturelle Puppentheater „bubales“, das Shlomit Tripp 2011 gegründet und im Demokratischen Salon vorgestellt hat (viele „Produktionen“ sind auch auf youtube zu sehen), erhielt am 2. Juli 2024 den vom Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg verliehenen Silvio-Meier-Preis 2014 für Engagement gegen Rassismus, Ausgrenzung, Diskriminierung und Rechtsextremismus. Wir gratulieren von ganzem Herzen. Silvio Meier wurde 1992 im Alter von 27 Jahren von Neonazis erstochen. Mit dem Silvio-Meier-Preis erinnert der Bezirk an sein Engagement gegen Rechtsextremismus und ehrt Menschen oder Organisationen, die dies ebenfalls tun. Im Bezirk ist eine Straße nach Silvio Meier genannt, direkt am U-Bahnhof Samariterstraße hängt eine Gedenktafel.
  • Gefährliches Framing: Bettina Stark-Watzinger hat Staatssekretärin Sabine Döring entlassen. Der Grund: Sabine Döring soll eine interne Prüfung veranlasst haben, ob Hochschuldozent:innen, die in einem Offenen Brief die Besetzung von Universitäten durch „pro-palästinensische“ Studierende unterstützt hatten, Fördermittel entzogen werden könnten. Zur Erinnerung: Es kam an der Berliner Humboldt-Universität zu Besetzungen und Blockaden, auch zu tätlichen Angriffen auf jüdische Studierende. Die Polizei hatte anschließend geräumt. Stellen wir uns aber einmal folgendes Szenario vor: Stimmen aus CDU und CSU, gegebenenfalls auch aus FDP, sicherlich aus der AfD oder auch das Zentralorgan mit den vier großen Buchstaben hätten gefordert, dass eben dies geschehen müsse. Irreal? Keineswegs. Joe Chialo scheiterte mit seinem Versuch, über eine Antisemitismusklausel sicherzustellen, dass geförderte Wissenschaftler:innen sich nicht antisemitisch äußern. Es gab in der Vergangenheit auch den Versuch der ehemaligen Bundesministerin Kristina Schröder, in der Politischen Bildung nur diejenigen zu fördern, die erklärten, dass es unter ihren Kooperationspartnern keine Extremist:innen gebe (NR: gemeint waren Linksextremist:innen). Auch dieser Versuch scheiterte, entsprechende Anträge werden immer wieder mal von der AfD in den Landtagen eingebracht. Wollte sich Sabine Döring vielleicht auf eine solche Debatte vorbereiten? Durchaus denkbar. Aber da muss wohl jemand etwas durchgestochen haben, denn intern blieb die Prüfung nun nicht. Und jetzt steht Bettina Stark-Watzinger im Feuer und ihre Kritiker:innen argumentieren im Namen der „Wissenschaftsfreiheit“, sicherlich nicht alle mit ehrbaren Motiven.
  • Wissenschaftsfreiheit: Sabine Döring sagte in einem Interview mit Lars Weisbrod für die ZEIT: „Wenn Meinungen dazu angetan sind, praktische Konsequenzen nach sich zu ziehen, und Menschen dadurch geschädigt werden, dann endet die Meinungsfreiheit. Aus meiner Sicht spielt dieser Unterschied auch bei der Wissenschaftsfreiheit eine Rolle. (…) Teilnehmer eines wissenschaftlichen Diskurses werden nicht erst dann geschädigt, wenn sie buchstäblich verprügelt werden.“ So weit – so komplex. Doch was bedeutet dies für die Zukunft unserer freiheitlichen Demokratie, unseres Rechtsstaats? Sabine Döring vermerkt mit Recht, mit der Forderung derjenigen, die den offenen Brief unterschrieben haben, in der Universität dürfe die Polizei nicht eingreifen „scheint das Gewaltmonopol des Staates infrage gestellt zu werden.“ Man müsse „Wissenschaftsfreiheit“ und „Meinungsfreiheit“ voneinander unterscheiden: „Die Wissenschaftsfreiheit schützt nicht jede Meinung.“ Hans Michael Heinig äußerte sich zu diesem Thema in einem Gastbeitrag für die ZEIT: „Universitäten dienen zuvorderst der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, nicht der politischen Auseinandersetzung. Hochschulen müssen keine Protestinfrastruktur zur Verfügung stellen. Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung sind strafbar. Wenn ein Universitätsinstitut demoliert wird, muss die Hochschulleitung das nicht hinnehmen. Ein auf Dauer gestelltes Protestcamp auf dem Universitätsgelände verliert mit Zeitablauf den Charakter einer grundrechtlich geschützten Versammlung.“ Hans Michel Heinig warnte die demokratischen Parteien davor, bei den Beratungen zu einer Resolution gegen Antisemitismus die verschiedenen Grundrechte der Wissenschafts-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit – hinzuzufügen wäre die Kunstfreiheit – miteinander unzulässig zu vermengen. Auch die Billigung einer Straftat ist eine Straftat. Peter Neumann porträtierte Sabine Döring in der ZEIT unter der Überschrift „Sokrates gegen SUV-Fahrer“.
  • Antisemitismus in der Kultur: Auf ZEIT Online kommentiert Raoul Löbbert die Einigung von CDU/CSU und Ampelparteien über eine Resolution zum Antisemitismus: „Eine etwas andere Gewissensprüfung“. Gegenüber der Frankfurter Rundschau äußerte sich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann: „Unter Generalverdacht“: „Ja, natürlich geht dies zu weit. Die Freiheit der Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 GG ohne Gesetzesvorbehalt garantiert. Was Kunst ist, bestimmt der Diskurs der Kunst selbst. Dass hieraus Spannungsverhältnisse entstehen, versteht sich von selbst. An der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit ändert das nichts“. Am 1. Juli 2024 hat der Deutsche Kulturrat die Stellungnahme „Freiheit der Kunst sichern. Antisemitismus und Rassismus im Kulturbereich bekämpfen!“ In dieser positioniert sich der Deutsche Kulturrat zur Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden „Freiheit und Respekt in Kunst und Kultur. Strategien gegen antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Inhalte im öffentlich geförderten Kulturbetrieb“ und macht eigene Vorschläge, wie Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bekämpft werden können. Weiter positioniert sich der Deutsche Kulturrat gegen Boykottaufrufe gegenüber Künstler:innen und Kulturinstitutionen.
  • TikTok und der Antisemitismus: Gemeinsam mit Eva Berendsen veröffentlichte Deborah Schnabel den Report „Die TikTok-Intifada – Der 7. Oktober & die Folgen im Netz“. In der Zeitschrift „Politik & Kultur“ von Juli / August 2024 fasste sie die Ergebnisse unter dem Titel „Von Make-up zu Propaganda“ Der Report bezieht sich unter anderem auf eine Studie der Universität Haifa, die belegt, „dass Antisemitismus und Holocaust-Leugnung den Großteil extremistischer Postings überhaupt ausmachen“. Es melden sich Influencer:innen zu Wort, die „zuvor keine relevanten politischen Inhalte geteilt hatten“, aber nunmehr Verschwörungserzählungen verbreiten und Israel als „das absolute Böse“ darstellen. Gefährlich sind verschiedene „rolemodes – Gaming-, Food- oder Makeup-Influcencer – mit extrem verkürzten, unreflektierten oder antisemitischen Positionen über das Judentum, Israel oder Zionismus.“
  • Deutscher Widerstand 1933 bis 1945: Die Zahl der Deutschen, die behaupten, ihre Eltern oder Großeltern seien im Widerstand gegen das NS-Regime gewesen, ist inzwischen auf mehr als ein Drittel gestiegen. In der DDR gab es ohnehin (fast) nur Widerstandskämpfer, anerkannt wurde allerdings nur der kommunistische Widerstand. Buchenwald wurde zum Mythos der reinen Weste. Im Westen war das angesichts der offensichtlichen fortgesetzten Karrieren ehemaliger NSDAP-Parteimitglieder und -Funktionäre schwieriger. Und nicht immer galten die Widerständler des 20. Juli 1944 als Ausweis einer grundlegenden Widerstandskultur im Nazi-Deutschland. Ruth Hoffmann befasst sich in der Juliausgabe 2024 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ mit der „Instrumentalisierung des 20. Juli ‘44“: „Zurechtgebogen und geplündert“. Sie belegt, wie es mit der Zeit maßgeblich Marion Gräfin Dönhoff gelang, den deutschen Adel und Preußen von der Verantwortung für das NS-Regime freizusprechen. Die Gräfin hatte eine „ungleich größere Wirkung als etwa Annedore Leber, die Witwe Julius Lebers“, die mit Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher zwei Bände veröffentlichte, die die Widerstandsgeschichten von Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen belegten. Ruth Hoffmann dokumentiert die „Versäumnisse der SPD“: „So überließen die Linken der CDU die Deutungshoheit“. Auf der Strecke blieb auch der Widerstand der Frauen und der sogenannten „kleinen Leute“. Robert Habeck erinnerte am 20. Juli 2022 „an eine solche Heldin: Hedwig Porschütz, deren Verurteilung durch ein NS-Sondergericht“ erst 2011 – 34 Jahre nach ihrem Tod – aufgehoben wurde. Inzwischen lässt sich belegen, dass „der 20. Juli 1944 (…) im Laufe der Zeit zurechtgebogen, beschnitten und geplündert“, inzwischen sogar von Rechten und Ultrarechten „gekapert“ wurde, die beispielsweise ihren „Widerstand“ gegen Angela Merkel, Corona-Maßnahmen etc. in der Tradition des 20. Juli verorten.
  • Deutsches Staatsversagen in Afghanistan: In der Augustausgabe 2024 der Blätter für deutsche und internationale Politik analysiert Winfried Nachtwei die vorläufigen Ergebnisse der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Lehren aus Afghanistan für das zukünftige vernetzte Engagement Deutschlands“, an der er als Sachverständiger teilnahm. Der Abschlussbericht soll im März 2025 vorliegen. Eine wichtige Quelle sind die „Afghanistan-Papers“ von Craig Whitlock. Fazit: „Kollektives Führungsversagen“. Weitere Begriffe im Text Winfried Nachtweis: „Kulturelle Überheblichkeit“, „Wunschdenken“, Strategiemangel und strategischer Dissens“, „mangelhaftes Kontext- und Konfliktverständnis“. Zu kritisieren sei auch, dass der Zwischenbericht keine Opferzahlen enthält. Letztlich war „das deutsche Parlament in seiner jetzigen Aufstellung mit seiner Kontrollfunktion beim Afghanistaneinsatz strukturell überfordert.“ Kontraproduktiv ist in diesem Kontext, dass eine „sinnvolle Weiterführung“ des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan für Menschen, die „sich durch ihren Einsatz für Frauen- und Menschenrechte oder durch ihre Tätigkeit in den Bereichen Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft besonders exponiert haben und deshalb individuell gefährdet sind“ bei den vorgesehenen Kürzungen im Haushalt 2024 – so der Deutsche Kulturrat – „kaum möglich ist.“ Zwei Jahre nach Start des Programms konnten gerade einmal 533 Menschen aus Afghanistan nach Deutschland ausreisen.
  • Entwicklungszusammenarbeit im deutschen Interesse: Der Vorwurf, das BMZ finanziere Fahrradwege in Peru, wurde inzwischen so weit verbreitet, dass es kaum noch Widerstand gegen die für 2025 vorgesehenen erheblichen Kürzungen im Bundeshaushalt für das Ministerium gibt. Marc Schieritz hat für die ZEIT mit Ministerin Svenja Schulze gesprochen. Die in den Medien genannte Zahl von 315 Millionen ist um ein Vielfaches überhöht, außerdem geht es vor allem um Kredite und letztlich um Klimaschutzprojekte. Ebenso in Verruf gerieten ökofeministische Projekte in Südafrika und ein Projekt zum Thema Maskulinität in Ruanda. Svenja Schulze gelingt es aus meiner Sicht überzeugend, einiges richtigzustellen, insbesondere, warum „Frauenförderung“ in sogenannten Entwicklungsländern eine so hohe Bedeutung hat. Die Bedeutung der Projekte liege auch im Interesse Deutschlands als Exportnation. Im Übrigen seien die kritisierten Projekte alle bereits von ihrem Vorgänger Gerd Müller (CSU) gebilligt worden. Svenja Schulze widerspricht entschieden dem Ansinnen, nur dann Entwicklungshilfe zu gewähren, wenn die jeweiligen Länder Geflüchtete zurücknähmen. Entwicklungsarbeit liege „auch im deutschen Interesse“: „Ich habe gerade mit Marokko besprochen, wie ein solcher Interessenausgleich funktioniert: Wenn gut ausgebildete Fachkräfte aus Marokko nach Deutschland kommen, profitieren wir, weil wir als alternde Gesellschaft auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sind. Davon profitiert aber auch Marokko, denn die Arbeitslosigkeit unter marokkanischen Akademikern liegt bei 20 Prozent, und das Geld, das die marokkanische Diaspora nach Hause schickt, macht acht Prozent des marokkanischen Bruttoinlandsprodukts aus.“ Fatal sind im Übrigen auch die vorgesehen Streichungen für humanitäre Hilfe im Haushalt des Auswärtigen Amtes.
  • Humanitäre Hilfen: Einer völlig anderen Frage als der nach Radwegen in Peru sollten sich BMZ und Auswärtiges Amt allerdings stellen. Es kann – vorsichtig gesprochen – nicht ausgeschlossen werden, dass Mittel für humanitäre Hilfe auf dem Umweg über UN-Organisationen wie nicht zuletzt der UNWRA bei der Hamas oder den Taliban landen. Rebecca Schönenbach hat auf der Seite von mena-watch darüber unter dem Titel „Entwicklungshilfe oder Terrorunterstützung?“ Sie zitiert unter anderem eine Studie von USAID: „‚Die Taliban scheinen das UN-System als eine weitere Einnahmequelle zu betrachten.‘ Die Taliban hätten die UN-Verwaltung infiltriert und nutzten neben Verträgen auch Einschüchterung und Drohungen, um einen Teil der Hilfe abzuzweigen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Islamisten ausschließlich Gelder der US-Regierung unterschlagen und jene aus Deutschland und der EU unangetastet lassen.“ Ein ähnlich schwieriges Kapitel sind – so Rebecca Schönenbach – die Entwicklungen im Sudan und das dortige naive Wirken der GIZ. Über die „Apokalypse Sudan“ schreibt Fatin Abbas, Autorin des Romans „Zeit der Geister“ (Rowohlt, 2024, aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben) ein der Süddeutschen Zeitung: Von 50 Millionen Menschen ist die Hälfte vom Hungertod bedroht, 10 Millionen wurden vertrieben, humanitäre Hilfen werden von den beiden Parteien des Konflikts unterbunden.
  • Türkischer Rechtsextremismus: Die ZEIT beschäftigte sich mehrfach mit dem sogenannten „Wolfsgruß“ (nicht zu verwechseln mit dem von Lehrer:innen oder KiTA-Erzieher:innen verwendeten sogenannten „Leisefuchs“, der genau so ausschaut), den der türkische Fußballspieler Merih Demiral nach seinem Tor gegen Österreich gezeigt hat und den anschließend zahlreiche Fans zeigten, sodass deren Aufmarsch – anders konnte man das kaum nennen – zum Spiel gegen die Niederlande mehrfach von der Polizei unterbrochen werden musste. In der ZEIT stritten sich Nurhan Soykan und Ali Ertan Toprak: „Muss man den Wolfsgruß verbieten?“ Nurhan Soykan versuchte, den Wolfsgruß als Zeichen türkischer Verbundenheit mit dem Wolf als nationalem Tier zu verbinden. Der Wolf wäre so etwas wie der russische Bär oder der gallische Hahn. Der Wolfsgruß drücke bei Türk:innen nur den „Stolz auf ihr Türkischsein“ aus. Das Vorgehen der UEFA gegen den Spieler, der ihn gezeigt habe, führe „zu noch mehr Spaltung in der Gesellschaft“. Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, verwies jedoch darauf, dass der Gruß Erkennungszeichen einer mit 12.000 Anhängern in Deutschland recht großen rechtsextremistischen Organisation sei. Er fühle sich „verhöhnt! So, wie türkischstämmige Deutsche sich fühlen würden, wenn am Gedenktag des Solinger Neonazi-Brandanschlags auf ein von Türken bewohntes Haus plötzlich ein deutscher Nationalspieler den Hitlergruß zeigen würde. Nie wurden die Pogrome der Grauen Wölfe in der Türkei aufgearbeitet. Das betrifft auch das Massaker von 1978 in Maras, als Rechtsextreme drei Tage lang unter der kurdisch-alevitischen Bevölkerung wüteten, so grausam wie heute die Hamas.“ In Frankreich sind die Grauen Wölfe verboten, in Österreich der Wolfsgruß. Burak Yilmaz formulierte in seinem Gastbeitrag für die ZEIT „Ein deutsches Versagen“ die These, es sei nur eine Frage der Zeit, „bis aus Grüßen Wölfe werden“. Es sei eben kein „Türkengruß“, sondern ein „Faschistengruß“, der auch beim Mobbing gegenüber Alevit:innen oder anderen Minderheiten gezeigt werde. „Demirals Verharmlosung des Wolfsgrußes und die Verbreitung dieses Narrativs haben ein Ziel – den Wolfsgruß zu entpolitisieren. Damit machen sie ihn massentauglich. Je normaler der Wolfsgruß wird, desto mehr demonstriert man türkische Hegemonialvorstellungen.“ Can Dündar überschrieb seinen Gastbeitrag für die ZEIT mit dem Satz „Die Partei macht sich den Staat untertan“ und nennt weitere Unterwerfungsgesten, darunter Verbeugungen vor dem Chef der Grauen Wölfe bei dessen Besuch einer Polizeieinheit.
  • Reichsbürger und Nazis in der AfD: Ein Redaktionsteam der taz hat etwa 150 Kandidat:innen der AfD zu den Landtagswahlen porträtiert, mit erschreckenden Ergebnissen. Mehrere Kandidat:innen sympathisieren offen mit menschenfeindlichen Positionen, ein Kandidat denkt darüber nach, wie man minderjährige Ausländer:innen sterilisieren könnte, eine Kandidatin gibt sich als offene Verehrerin von Putin zu erkennen. In Brandenburg plakatiert die AfD im Übrigen die Parole „Remigration. Jetzt!“ Wen sie da konkret „remigrieren“, sprich: deportieren will, sagt sie allerdings nicht.
  • Auch Migrant:innen wählen AfD? In der ZEIT berichtete Anastasia Tikhomirova, bereits mehrfach Gast des Demokratischen Salons, über Migrant:innen, die AfD wählen: „Mich wird niemand abschieben“. Eine Rolle spiele dabei unter anderem die eigene Aufstiegsgeschichte, die gegen neu Zuwandernde verteidigt werden solle, sowie die prekäre Schulsituation im Wohnumfeld. Ein weiterer Aspekt ist der Vorwurf, die Bundesregierung und die CDU/CSU gingen nicht konsequent gegen Islamismus vor. Die Haltung ist durchaus ambivalent: „In der AfD mehren sich derweil vereinzelt Stimmen, die für Allianzen mit islamisch-konservativen, teilweise gar islamistischen Kräften werben. Gemeinsamkeiten findet man im Hass auf den Westen, die LGBT-Bewegung oder den Feminismus. Gleichzeitig präsentiert sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm als islamismus- und islamkritische Partei. Etwa 50-mal werden darin Muslime und der Islam erwähnt, zumeist in negativem Zusammenhang. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach aus dem Jahr 2021 sehen 43 Prozent der Befragten die AfD als Vorreiterin im Kampf gegen Islamismus – weit vor anderen Parteien. ‚Dieses Angebot werden insbesondere konservative Parteien denjenigen Angehörigen von Minderheiten glaubhaft machen können, die häufig selbst am stärksten unter Islamismus leiden: Juden, Kurden, Jesiden‘, sagt Jannes Jacobsen vom Dezim-Institut.“ Beim BSW zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab. Es wäre aus meiner Sicht dringend an der Zeit, dass die demokratischen Parteien entschieden gegen Islamisten und andere Extremisten vorgehen, gerade auch im Sinne der vielen in Deutschland integrierten Menschen mit der sogenannten Zuwanderungsgeschichte. Muslimfeindlichkeit lässt sich ebenso nur wirksam bekämpfen, wenn man gleichzeitig Islamismus bekämpft.
  • Rassismus als Pop: In der Augustausgabe 2024 des Merkur analysiert Robert Hugo Ziegler die Gesänge auf der Nordseeinsel Sylt zur Melodie eines reichlich alten Partyhits von Gigi D’Agostino. Titel seines Essays: „Die Sylter Pfingstgemeinde und der grenzenlose Spaß“ (frei verfügbar): „Die Grundannahme ist dabei, dass sich das, was zum Beispiel in Kampen geschehen ist, nur wirklich verstehen lässt, wenn man ganz ernst nimmt, dass da junge Leute Spaß hatten. Das klingt wie die empörendste Verharmlosung. Ich meine aber das genaue Gegenteil davon: (…) Was Trump als System betreibt – die Leugnung aller Verbindlichkeiten unter Menschen – ist hier zu einer selbstverständlichen Voraussetzung des Feierns geworden.“ Die Rechten „kultivieren, was die Linken für ihre Domäne gehalten haben“ und so „entsteht der Rassismus als Pop.“
  • Zuwanderung: Einbürgerung wird leichter, aber das Grundproblem bleibt ungelöst. Dies kommentierte Jacqueline Vogt in der FAZ: Für Fluchtmigration und Erwerbsmigration müssen von der Bundespolitik alle Verwaltungsebenen übergreifende, unterschiedliche Infrastrukturen geschaffen werden. Denn solange ein Betriebswirt aus Indien, der für eine Bank in Frankfurt arbeiten soll, in Deutschland an dieselben Türen klopfen muss wie ein Asylsuchender, so lange werden die dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland kaum in großer Zahl zu gewinnen sein.“ Eine der Lebenslügen der Migrationspolitik, die ich in meinem Essay „Das Lampedusa-Syndrom“ analysiert habe. Es lohnt sich der Blick auch auf andere Länder. Andrea Dernbach dokumentierte im Tagesspiegel die Arbeitsbedingungen von Landarbeiter:innen in Italien. Mitunter lässt sich durchaus an Leibeigenschaft und Sklaverei denken.
  • Befreiung aus Putins Gulag: Die Befreiung von 16 Menschen – mehrere Medien veröffentlichten, wer dazu zählte – aus russischer Haft im Tausch unter anderem gegen Wadim Krassikow, der im Berliner Tiergarten einen oppositionellen Tschtschenen ermordet hatte, ist umstritten. Alice Bota hat für die ZEIT mit einem der Befreiten gesprochen, mit Wladimir Kara-Mursa, der zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war. Er berichtet von den Haftbedingungen, unter anderem elf Monate in Isolation (nach internationalem Recht gelten mehr als 15 Tage Isolation als Folter), und der Unklarheit vor dem Austausch, denn er dachte, er werde zu seiner Hinrichtung gefahren: „ich entkam dem ersten Kreis der Hölle“. Er sagte auch, es sei kein „Gefangenenaustausch“ gewesen, sondern „eine lebensrettende Mission“. Zu dieser Aussage reicht es meines Erachtens, die Haftbedingungen von Oppositionellen in Russland mit denen des „Tiergartenmörders“ zu vergleichen. „Ich war mir absolut sicher, dass ich im Gefängnis sterben werde. Ich bin Optimist. Ich bin Historiker. Ich habe absolut keinen Zweifel, dass Putins Regime eines Tages untergehen wird. Russland wird ein normales, zivilisiertes Land sein.“ Nach wie vor gibt es eine mindestens hohe dreistellige Zahl von politischen Gefangenen in russischen Gefängnissen und Lagern. „Es würde Stunden dauern, all diese Namen zu nennen. Es ist wichtig, dass die demokratischen Länder diese Menschen nicht vergessen. Wir dürfen nicht die Einzigen sein, die aus Putins höllischem Gulagsystem gerettet wurden.“ Wladimir Kara-Mursa sagte, alle Befreiten werden „weitermachen“: „Putin ist ein Aggressor. Er ist ein gesuchter Kriegsverbrecher. Er muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Es muss ein Tribunal geben für die Kriegsverbrecher. Es müssen Reparationen an die Ukraine gezahlt werden. Der russische Staat muss von Grund auf neu gedacht und erneuert werden.“ Vielleicht sollte auch eine Äußerung von Marianne Birthler im Tagesspiegel in Bezug auf das BSW zu denken geben: „Im Umgang mit Russland erlebe ich eine Art von Trotzhaltung im Osten, nach dem Motto: Wenn der Westen gegen Russland kämpft, stehen wir an der Seite Russlands.“ Nicht nur im „Osten“.
  • Pandemie: Die Forderung der Aufarbeitung der Pandemie, beispielsweise in einer Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages, wird immer wieder erhoben, aber leider auch immer wieder schnell abmoderiert. Ich wage zu behaupten, dass eine öffentliche demokratische Debatte, die Widersprüche zuließ und ernst nahm, verhindert hätte, dass eine in weiten Teilen rechtsextremistische Partei in der Gunst der Wähler:innen einen solchen für Deutschland beispiellosen Aufstieg schaffte. Mit dem Migrationsthema alleine wäre das nicht gelungen. Die geleakten Protokolle des RKI gäben Anlass zu einem neuen Anlauf für eine Aufarbeitung in den demokratischen Gremien, auf die wir mit Recht stolz sein dürfen. Es darf nicht wieder einfach zur Tagesordnung übergegangen werden, wenn wir erfahren, dass der damalige Bundesgesundheitsminister gegen den Rat seiner Mitarbeiter:innen einem um ein Vielfaches erhöhten Preis für die Maskenbeschaffungen zustimmte. Die Frage liegt nahe: Zu wessen Gunsten? Die FAZ veröffentlichte am 7. August 2024 ein Memorandum – so möchte ich es nennen – der Philosophin Svenja Flaßpöhler und der Juristinnen Elisa Hoven, Frauke Rostalski und Juli Zeh: „Wir müssen die Corona-Jahre endlich aufarbeiten“. Sie wenden sich gegen die damalige anti-demokratische TINA-Politik (There is no alternative) und notieren, dass das RKI offenbar machtlos zusehen musste, wie die Politik versuchte, die einzelnen Anti-Corona-Maßnahmen mit Panikmache durchzusetzen: „Das Ziel hinter dieser Kommunikationsstrategie ist aus Sicht der Politik nachvollziehbar: Möglichst viele Menschen sollten zur Befolgung der Maßnahmen und zu Impfungen bewogen werden. Aber wer dazu auf Einschüchterung, Manipulation oder falsches Framing zurückgreift, der behandelt den Bürger nicht als Souverän, in dessen Auftrag die Politik um die bestmögliche Lösung ringt. Er behandelt ihn als Teil einer zu dirigierenden und zu schützenden Masse, die es mit (fast) allen Mitteln auf Linie zu bringen gilt, um einen vermeintlich alternativlosen Weg durchzusetzen.“
  • Lithium aus Portugal, Kohle aus Südafrika? E-Mobilität für Autos, Fahrräde und Roller, Mobiltelefone, Computer brauchen als Rohstoff sogenannte „Seltene Erden“. Diese müssen in hohem Maße importiert werden. Ökologische Aspekte werden bei Erfolgsmeldungen über den ein oder anderen Vertrag der Bundesregierung mit dem ein oder anderen Land in der Regel nur am Rande angesprochen. Umso verdienstvoller sind zwei Reportagen des Tagesspiegels zum Lithum-Abbau in Portugal und der taz zur Kohleindustrie in Südafrika.
  • Familiengrundschulzentren: Es gibt eine neue Internetseite, die das Institut für soziale Arbeit in Münster pflegt. Dort gibt es eine Fülle von Informationen, was ein Familiengrundschulzentrum leisten kann und wie man es schafft eines zu werden. Das Land unterstützt leider nur halbherzig. Die amtierende nordrhein-westfälische Schulministerin wurde darauf angesprochen, dass doch das Startchancenprogramm des Bundesbildungsministeriums eine gute Gelegenheit wäre, die Familiengrundschulzentren im Rahmen der Offenen Ganztagsschule auszubauen. Ihre Antwort war, das Bundesprogramm diene dem Unterricht, damit habe der Ganztag nichts zu tun. Es gibt auch nach wie vor zwei nebeneinander herlaufende Förderprogramme, eines von Seiten des Schul-, eines von Seiten des Kinder- und Jugendministeriums. Umso wichtiger ist ein Beratungsangebot, das Schulen, Träger und Kommunen unterstützt. Manche Kommunen und Träger sind auch schon deutlich weiter als die obersten Landesbehörden ahnen.
  • Plädoyer für die Gesamtschule: Die FAZ war immer an der Seite derjenigen, die sich vehement gegen die Gesamtschule aussprachen. Offenbar ändert sich hier etwas. Gerald Wagner fragt anlässlich einer neuen Studie (im Mai 2024 in der Zeitschrift für Soziologie, Band 53, veröffentlicht): „Also doch Gesamtschule?“ untersucht wurde in 63 Ländern in einem Zeitraum von 24 Jahren, wie sich Heterogenität in den Klassen auswirke. Eine frühe Aufteilung der Schüler nach ihren Leistungen führt anscheinend auch zu einer Aufteilung nach ihrem sozialen Status. Eine frühe Aufteilung verstärke zudem die soziale Homogenisierung in den unteren Schultypen, während die höheren Schulen noch eine größere soziale Heterogenität der Schüler aufwiesen.“ Das Ergebnis: „Was oben in den höheren Schulen gewonnen wird, wird unten verloren.“ Der finanzielle Aufwand, der erforderlich sei, um diese Ungleichheiten aufzufangen, steige. Für die Gesamtschule sprechen somit volkswirtschaftliche Argumente, aus denen sich pädagogische Argumente ableiten ließen, denn gute Pädagogik ist nicht zum Nulltarif zu haben und sollte auch nicht nur einer ausgewählten Schüler:innenschaft zugute kommen.
  • Weitere Beiträge des Demokratischen Salons in ukrainischer Sprache verfügbar: Die Auswahl der Themen zeigt sehr deutlich, wie wichtig es ist, dass die Ukraine ihren Kampf für Freiheit und Demokratie gewinnt. In der Zeitschrift Eskperiment wurde das Gespräch „Diversität im pädagogischen Alltag“ mit Meltem Kulaçatan in ukrainischer Sprache veröffentlicht, eine Gemeinschaftsarbeit von 17 Studentinnen unter Leitung von Pavlo Shopin: Anait Arshakian, Karina Babenko, Maryna Babenko, Tamila Besarab, Ielyzaveta Verishchynska, Diana Holovko, Daryna Demydenko, Anna Zhebrovska, Veronika Keliukh, Anastasia Kovalenko, Anna-Maria Liakhovetska, Kateryna Makarova, Nadia Polishchuk, Sofia Prys, Kateryna Rybka, Sofia Khomenko, Daria Shudrenko. Ebenso übersetzt wurde das Gespräch „Poetik der Queerness“ mit Aiki Mira, Übersetzerinnen waren Anastasiia Kovalenko, Daryna Demydenko, Daria Derbeniova, Maria Pikozh und Daria Simutina. Weitere Übersetzungen sind in Arbeit.

Die Rechte aller hier gezeigten Bilder liegen bei den Künstler:innen.

Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons lesen sie in der zweiten Septemberhälfte.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 1. und 10. August 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.