Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

der Newsletter des Demokratischen Salons für September 2024 erscheint kurze Zeit nach dem 102. Geburtstag von Georg Stefan Troller, der in einem Gespräch mit der ZEIT sagte: „Ich bin als Pessimist gestartet und habe mich über tausend Hindernisse zum Optimisten entwickelt. Das finde ich als Fazit nicht schlecht.“ Der Demokratische Salon gratuliert von ganzem Herzen.

Themen der neuen Texte im Demokratischen Salon sind Forschung und Beratung zum Antisemitismus etwa ein Jahr nach dem 7. Oktober, der 10. Jahrestag des 74. Völkermords an den Êzîd:innen, die Arbeit des Bundesbeauftragten gegen Antiziganismus, die lange Geschichte anti-migrantischer Narrative in Deutschland, die vom Bremer Theater Aber Andersrum inszenierten biografischen Erzählungen Geflüchteter, Unsterblichkeit und Realistische Fantastik in der Science Fiction, der erste Roman über die Letzte Generation, die Ansichten von Giorgia Meloni sowie eine Aufführung der Oper „Dialogue des Carmélites“ in Lviv.

Das Editorial bietet ein etwas ausführlicheres Plädoyer: „Richtig rechnen! Ein Rezept wider die Dystopisten“. Es geht um Prozentrechnung und Framing in der politischen Debatte, nicht zuletzt in der aus dem Ruder laufenden Migrationsdebatte.

Nach den Kurzvorstellungen der neuen Texte lesen Sie Hinweise auf Veranstaltungen unter Beteiligung des Demokratischen Salons, darunter die Premiere der Szenischen Collage „Wir werden wieder tanzen“ am 8. Oktober 2024 in Köln, sowie zum Besuch weiterer Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe.

Die Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen erreichen Sie schnell mit einem Klick auf das jeweilige Stichwort. Sie finden ein Porträt von Shani Louk sel.A. und ihrer Familie, ein Statement von Gerhart R. Baum zur Migrationsdebatte, Informationen über den Kampf gegen Islamismus, zur palästinensischen Opposition gegen die Hamas, zur Impfkampagne der IDF in Gaza, zur Lage im Iran, Afghanistan, Syrien, Belarus und Burkina Faso, eine Einschätzung der EU-Politik und der ungarischen Präsidentschaft, über Vorschläge von Irene Mihalic und Konstantin von Notz zur Inneren Sicherheit, ein neues Angebot für Journalismus im Exil, die TikTok-Strategie von Extremisten, das Vorgehen der NSDAP im Jahr 1930 nach der Übernahme von Innen- und Bildungsministerium in Thüringen, eine Studie zum Thema „Brandmauern“, zur Aufarbeitung der Pandemie, zur Verbindung von Ökologie und Sozialpolitik, zum Schulbau, zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz sowie zum 100. Geburtstag von Ephraim Kishon und (nicht satirische!) Hinweise auf das Treiben von Elon Musk. Dazu etwas Praktisches zu den Trinkgeldgepflogenheiten in der Welt und zur Frage, ob Reisen wirklich bildet. Last not least ein Verweis auf die neue ukrainische Übersetzung eines Textes aus dem Demokratischen Salon.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Iuliia Bentia, Theaterkritikerin aus Kyiv, stellt in „Terror und Körper“ die Aufführung der Oper von François Poulenc „Dialogue des Carmélites“ in der Oper in Lviv im Sommer 2024 vor. Sie beschreibt die kontroverse Entstehungsgeschichte und bezieht dieses Ereignis der Französischen Revolution auf den andauernden russisch-ukrainischen Krieg. Inszenierung, Kostüme, Bühnenbild, die Farben – „Schwarz und Weiß mit einem Hauch von Rot“ – bieten ein eindrucksvolles Schauspiel von Krieg und Terror, Macht und Ohnmacht, Opferbereitschaft und Opportunismus, der Zerstörung von Körper und Seele. (Rubriken: Kultur, Osteuropa)
  • Alvaro Solar und Cristina Collao haben in Bremen das Theater Aber Andersrum gegründet. In „Die Antwort heißt: Wir machen Kunst“ stellen sie ihre Arbeit vor. Im Mittelpunkt stehen die biographische Theaterproduktion „Grenzenlose Hoffnung“ und der Gedichtband „Metamorphose“. Sie geben Menschen die Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzählen und zu spielen, ihre Gefühle zu ordnen oder neu zu entdecken. Jede Theaterproduktion berührt den Kontext von subjektivem Erleben im gesellschaftlichen Rahmen. Gedichte aus dem Band „Metamorphose“ und Bilder von Cristina Collao bereichern den Text. (Rubriken: Kultur, Migration)
  • Mehmet Daimagüler, Antiziganismusbeauftragter der Bundesregierung und Opferanwalt im NSU-Prozess und in den jüngsten Prozessen gegen Mitwirkende in den NS-Vernichtungslagern, berichtet in „Die Demokratie hat ihren Preis“ über die Vielfalt der Organisationen der Sinti und Roma, die unterschiedlichen Lebensverhältnisse und den Kampf gegen Antiziganismus, auch in Zusammenarbeit mit den Beauftragten für andere Minderheiten und gegen Diskriminierung. Seine Erfahrungen im NSU-Prozess verbindet er mit kritischen Hinweisen zur aktuellen Verfassung unserer Demokratie, in der viel zu oft die falschen Prioritäten gesetzt werden. (Rubriken: Liberale Demokratie, Treibhäuser)
  • Marina Chernivsky und Friederike Lorenz-Sinai berichten unter der Überschrift „Identitätsstiftender Antisemitismus“, über ihre wissenschaftlichen Studien und ihre Beratungsleistungen vor und nach dem 7. Oktober. Jüdisches Leben veränderte sich, weil ohnehin schon vorhandener Antisemitismus wieder öffentlich ausgelebt wurde. Antisemitismus konstituiert bei manchen Gruppierungen Identität, Hochschulen bieten offenbar einen ideologischen Rahmen. Es ist existenziell und führt zu einer grundsätzlichen Ablehnung alles Jüdischen. Die beiden Wissenschaftlerinnen dokumentieren Projektionen und Erlösungsfantasien. (Rubriken: Antisemitismus, Jüdischsein)
  • Norbert Reichel erinnert in seinem Essay „Weil sie Êzîd:innen sind“ an den 74. Völkermord an den Êzîd:innen vom 3. August 2014 durch den sogenannten „Islamischen Staat“ („Daesh“). Die Lage ist für Êzîd:innen im Irak nach wie vor lebensgefährlich, aber dennoch wird aus Deutschland abgeschoben. Der Essay analysiert und kommentiert die prekäre Lage der Êzîd:innen anhand der „dokumentarischen Romane“ von Ronya Othmann, eines Dokumentarfilms von Düzen Tekkal, einer Studie von Rick Letham Lechowick, einer Gesprächsrunde der taz vom 31. Juli 2024 und einiger Internetangebote der êzîdischen und kurdischen Zivilgesellschaft. (Rubrik: Levantinische Aussichten)
  • Patrice Poutrus erörtert in Die (Sehn-)Sucht nach der homogenen Gesellschaft die bis in die Kaiserzeit zurückreichende Geschichte anti-migrantischer Einstellungen, Narrative und Politik. War die DDR eine „Migrationsgesellschaft“? Im Grunde ja und es zeigten sich vergleichbare Vorbehalte wie in der Bundesrepublik Deutschland. Patrice Poutrus erläutert die Geschichte von Begriffen wie „Integration“, „Assimilation“ und „Remigration“. Dahinter steht immer die Annahme, nur eine homogene Gesellschaft sorge für friedliches Miteinander. Nach Gewalttaten gegen Migrant:innen werden erst einmal die Opfer schikaniert und vertrieben. (Rubriken: Migration, DDR)
  • Gerd Pütz fragt in seinem Essay „Der gute Mensch von Rom – Faschismus light all‘italiana“, als wer oder was sich Giorgia Meloni in Szene zu setzen versteht. Nach wie vor wirkt das Vermächtnis Silvio Berlusconis, nach wie vor wirken ausgewiesene Faschisten, die sie in führende Positionen gebracht hat. Andererseits ist sie die loyale Europäerin, die mit G 7, EU und NATO die Ukraine unterstützt. Die Vorgeschichte ihres Erfolgs spiegelt die Kontroversen um die italienische Erinnerungskultur, gerade auch in Medien- und Kulturpolitik. Ihre politischen Vorhaben zeigen, dass sie im Grunde mehr Thatcher und Orbán als Mussolini folgt. (Rubriken: Europa, Treibhäuser)
  • Zara Zerbe stellt in „Realistische Fantastik“ ihren ersten Roman „Phytopia Plus“ Menschen können für 350.000 EURO ihr „Bewusstsein“, ihre Seele, auf Pflanzen speichern lassen und auf diese Art ihren körperlichen Tod überleben, vorausgesetzt es gibt jemanden, der die Pflanzen fachgerecht vorbereitet und pflegt. Zara Zerbe nennt ihre Art zu schreiben „Collage“ und erklärt, welche Filme und Bücher sie beeinflusst haben. Ihre Inhalte benennt sie mit einem Begriff von Julia Ingold „Antikapitalistische Magie“ und verweist auf das Manifest „Post-Cli-Fi“ von Aiki Mira. Der Roman wäre in jeder Hinsicht serientauglich! (Rubriken: Science Fiction, Treibhäuser)
  • Fritz Heidorn stellt in seinem Essay Unsterblich – Oder der Traum vom ‚sinnhaften‘ Leben Literatur und Filme vor, die sich den Menschheitstraum von ewigem Leben, Wiedergeburt und Wiedererweckung, gegebenenfalls in einem neuen, mehr oder weniger fernen Ambiente widmen. Mit diesem Text schließt der Autor unmittelbar an seinen Essay „Über Zeit und Veränderung“ Die Themen Zeitreise und Unsterblichkeit bedingen einander. Sie berühren technologische Fantasien sowie religiöse und philosophische Dimensionen, zeigen aber auch, wie sehr Technologie und Spiritualität die Gefühle der Menschen berühren. „Die narrativen Möglichkeiten sind unendlich.“ (Rubrik: Science Fiction)
  • Theresa Hannig stellt „Die Climate Fiction und die Politik“ ihren fünften Roman „Parts Per Million“ vor, der sich als Spiegelbild ihres vierten Romans „Pantopia“ lesen lässt. Es ist ein Roman über die Anliegen der Klimabewegung und über mögliche Eskalationen eines legitimen Protests, der die Hauptperson des Romans, eine Schriftstellerin, in Terrorismus abdriften lässt. In dem Gespräch erläutert Theresa Hannig ihre politischen Einschätzungen zur Zukunft der Demokratie, zur Rolle Künstlicher Intelligenzen und zur Einsamkeit junger Menschen. Sie fordert, dass sich Politiker:innen auf TikTok engagieren und ein Gegengewicht zur AfD entwickeln. (Rubriken: Science Fiction, Treibhäuser)

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Mehr Demokratie wagen! Die Deutsche Einheit und die Künste: Dies ist die dritte Veranstaltung im Begleitprogramm zur Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ Sie findet am 1. Oktober 2024, 19.00 bis 21.00 Uhr in der Bonner Bundeskunsthalle statt. Kunst aus der DDR galt im Westen nicht viel. Das Klischee lautet: „Ost-Kunst“ war sozialistischer Realismus. Dies traf auch jene Künstler:innen, die sich der Linie der DDR nicht untergeordnet hatten. So zum Beispiel die Auto-Perforations-Artisten, die subversive Aktionskunst machten. Kunst aus der DDR hatte weder auf dem Kunstmarkt noch in den Museen einen Platz. Aber warum? Und hat sich die Situation 35 Jahre nach der Wende verändert? Darüber diskutieren Else Gabriel, Alexia Pooth, Andreas Rost und Rolf Sachsse. Johanna Adam moderiert. Anmeldung und Tickets über die Seite der Bundeskunsthalle.
  • „We will dance again“
    – das ließ sich Mia Schem (21) nach ihrer Befreiung aus der Hamas-Gefangenschaft auf den Arm tätowieren. Am 8. Oktober 2024, 19 Uhr findet in der Synagogengemeinde Köln in der Roonstraße 50 die Premiere der Szenischen Collage „Wir werden wieder tanzen“ statt. Sophie Brüss, Jürgen Reinecke und Norbert Reichel haben ein etwa 90minütiges Programm entworfen, mit Songs von Leonard Cohen und Georg Kreisler, Gedichten von Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler, Selma Meerbaum-Eisinger und anderen, eigens für die Veranstaltung geschriebenen Szenen sowie Testimonials von (nicht nur) jüdischen Autor:innen. Träger ist der Theater- und Musikverein NRW e.V. Anmeldung bitte unter anmeldung@sgk.de. Bitte bringen Sie Ihren Personalausweis und genügend Zeit für die Sicherheitskontrolle mit. Die folgenden Termine am 14. November 2024, 19 Uhr, im Städtischen Gymnasium Hennef, Fritz-Jacobi-Str. 18, 53773 Hennef, am 21. November 2024, 10.30 Uhr, im Elisabeth-von-der-Pfalz-Berufskolleg Herford, Löhrstraße 2, 53773 Herford, am 13. Dezember 2024, 20 Uhr, im Ratshaus Bensberg, Ratssaal, Wilhelm-Wagener-Platz, 54129 Bergisch Gladbach, am 12. Januar 2025, 11 Uhr, in der Stadtbibliothek Düsseldorf, Konrad-Adenauer-Platz 1, 40210 Düsseldorf. Weitere Termine werden demnächst veröffentlicht. Die Veranstaltungsreihe wird von der nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftragten gefördert.
  • Unter Verschluss – Die Dritte Literatur des Ostens: Nach dem Erfolg der szenischen Lesung „Unter Verschluss“ im Oktober 2022 in Bonn gibt es anlässlich des 35. Jahrestags des Mauerfalls eine weitere Veranstaltung am 5. November 2024, 18.30 Uhr in Düsseldorf in der Zentralbibliothek am KAP 1 (Konrad-Adenauer-Platz 1) mit Ines Geipel und Franziska Groszer. Ines Geipel stellt die im März 2024 im Lilienfeld Verlag erschienene erweiterte Neuauflage von „Gesperrte Ablage“ vor. Franziska Groszer liest ihren Text „Warum nicht Klagenfurt“. Axel von Ernst wird den Lilienfeld-Verlag vorstellen. Partner sind die Düsseldorfer Stadtbibliotheken, Respekt und Mut sowie die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus. Die Veranstaltung wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Hier das Programm und weitere Informationen. (Die ursprünglich für den 7. November in Solingen angekündigte Veranstaltung zum gleichen Thema wird auf das Jahr 2025 verschoben.)
  • KlimaFiktionen 2024: Das Festival findet am 16.  November 2024, von 13.00 bis 19.00 Uhr im Theater Rottstraße 5 in Bochum unter dem Titel „Erzählte Zukünfte“ statt. Der Demokratische Salon veröffentlicht seit Februar 2024 Texte rund um das Festival und stellt die Akteur:innen vor, im Februar 2024 Aiki Mira mit dem Manifest „Post-Cli-Fi“, in den Monaten März, April und Mai mit dem dreiteiligen Essay „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ von Hans Frey. Teilnehmen werden Theresa Hannig, Dominik Irtenkauf, Don Kringel, Aiki Mira, Wolfgang Neuhaus, Uwe Post, Alexandra Reß, Michael Wehren und Zara Zerbe. Norbert Reichel wird die Lesungen von Theresa Hannig, Aiki Mira und Zara Zerbe moderieren (Interviews mit allen dreien wurden bereits in der Rubrik „Science Fiction“ des Demokratischen Salons veröffentlicht. Weitere Informationen und das Programm finden Sie auf der Internetseite des Kongresses. Der Eintritt ist frei.

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe
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  • Friedliche Revolution: Am 9. Oktober 2024, 10 bis 16 Uhr, findet in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur (Kronenstraße 5, 10117 Berlin) die Tagung „1989 – Mit der Revolution in die Zukunft“. Sie wird live auf dem YouTube-Kanal der Stiftung übertragen. Veranstalter sind die Stiftung Aufarbeitung und die Deutsche Gesellschaft e.V. Im Mittelpunkt stehen (trans)nationale und interkulturelle Perspektiven, der (un)friedliche Charakter der Revolution sowie Impulse für unsere demokratische Gegenwart. Mitwirkende sind: Jan C. Behrends, Professor für „Diktatur und Demokratie. Deutschland und Osteuropa von 1914 bis zur Gegenwart“ an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Libuše Černá, Leiterin von „globale – Festival für grenzüberschreitende Literatur“, Mahmoud Dabdoub, Fotograf und Zeitzeuge, Robert Grünbaum, stellvertretender Direktor der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Katarina Peranić, Gründungsvorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, Svetlana Müller, Vereinsvorsitzende von PANDA platforma e. V., Ayman Qasarwa, Geschäftsführer des Dachverbandes der Migrant:innenorganisationen in Ostdeutschland DaMOst e. V., Frank Richter, DDR-Bürgerrechtler und ehem. Mitglied des Sächsischen Landtags, Martin Sabrow, Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und Sprecher des Leibniz-Forschungsverbundes „Wert der Vergangenheit“, Tanja Samrotzki, Journalistin und Moderatorin, Jan Schönfelder, Autor, Historiker und Journalist, Valerie Schönian, Autorin und Journalistin, Stefan Zeppenfeld, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichtsdidaktik und Public History an der Ruhr-Universität Bochum. Anmeldung bis zum 7. Oktober 2024 bitte an heike.tuchscheerer@deutsche-gesellschaft-ev.de).
  • KOLOT – קולות – Stimmen: Das Projekt Kolot hat Stimmen aus der jüdischen Community zum 7. Oktober in Form narrativer Videointerviews dokumentiert. Am 9. Oktober 2024, 18.30 Uhr, werden die Interviews in der W. M. Blumenthal-Akademie (Klaus-Mangold-Auditorium), direkt gegenüber dem Jüdischen Museum Berlin, vorgestellt. Die Veranstaltung ist der Auftakt des Fachtags „7. Oktober – Psychologische Folgen für jüdische und israelische Communities“, der am 10. Oktober 2024, 9 – 18 Uhr, im Jüdischen Museum stattfindet. Der Fachtag findet im Rahmen des vom Bundesinnenministerium aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages geförderten Projekts „SUPPORT“ statt. Ziele des Projekts sind die Qualitätssicherung der Betroffenenberatung, der Ausbau der psychologischen Beratung, die Vernetzung jüdischer Psycholog:innen und Berater:innen sowie die Förderung der Antisemitismuskritik in der therapeutischen Versorgung.
  • Ausstellung zur Demokratie in Bonn: Die von Johanna Adam, Amelie Klein und Vera Sacchetti kuratierte Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ ist noch bis zum 13. Oktober 2024 in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen. Die grundlegende Frage und die ebenso grundlegende Antwort: „Braucht die Demokratie ein Update? Haben wir uns zu lange darauf verlassen, dass unsere Demokratie durch nichts zu erschüttern ist? Mit Demokratie ist es nämlich so: Es gibt sie nur, wenn wir fortwährend an ihr arbeiten.“ Siehe hierzu auch das Interview mit Johanna Adam: „Die demokratischen Muskeln trainieren!“. Im Jahr 2025 ist die Ausstellung auch in Dresden zu sehen.
  • SDG-Tage in Bonn: Vom 20. September bis 6. Oktober 2024 informieren die Bonner SDG-Tage 2024 erneut über die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die Sustainable Development Goals (SDGs) und stellen Bonner Aktivitäten zu ihrer Umsetzung vor. Unter dem Motto: „17 Tage für die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele“ laden sie mit zahlreichen kleinen und großen Events, wie dem #ZeroHungerRun Bonn, der 17-Ziele-Zone oder der 17-Ziele-Nachhaltigkeitsbühne beim Bonn-Fest auf dem Marktplatz dazu ein. Eröffnet werden die Bonner SDG-Tage am 20. September mit einem Aktionstag des Bonner Netzwerks für Entwicklung in dem sich über 80 Vereine und Initiativen für eine gerechte , friedliche, und nachhaltige Welt engagieren.
  • Sandra del Pilar in Halle an der Saale: Sandra del Pilar lebt in Cuernavaca (Mexiko) und in Soest. Ihre Arbeit ist im Demokratischen Salon präsent, im Titelbild der Rubrik „Opfer und Täter*innen“, in Gesprächen und Texten über ihre Arbeit, zuletzt über die Geschichte der Malintzin, die die mexikanische Geschichte und vielleicht auch manche Kolonialgeschichte in einem neuen Licht erscheinen lässt. Noch bis zum 13. Oktober 2024 ist in Halle an der Saale, im Kunstmuseum Moritzburg, die Ausstellung „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“ (Bertolt Brecht) zu sehen. Kuratorin ist Manja Wilkens. In der Ankündigung der Ausstellung heißt es: „Die Ausstellung möchte den Blick auf eine interessante Position einer ‚postautonomen‘ Malerei lenken, die selbstsicher und ästhetisch präzise die Themen unserer Zeit ins Bild setzt und reflektiert. Die für die Ausstellung vorgesehene Werkauswahl aus den letzten 20 Jahren soll einen Beitrag dazu leisten, den Begriff der Malerei erneut zu hinterfragen und zu präzisieren, und die Frage aufwerfen, ob das, was uns Gemälde heute zu sagen haben, tatsächlich so ungehört verhallen muss, wie einst der Ruf der antiken Seherin Cassandras. Online verfügbar ist ein Audioguide durch die Ausstellung.
  • Die Autorinnen der Gruppe 47: Die Gruppe 47, die von vielen als die Wiege der westdeutschen Literatur nach Krieg und Gewaltherrschaft gilt, war ein Männerclub. Es ist das Verdienst von Nicole Seifert, 15 Autorinnen der Gruppe 47 in ihrem Buch „einige Herren sagten etwas dazu“ (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2024) eine Stimme zu geben, darunter beispielsweise Ilse Schneider-Lengyel, Ilse Aichinger, Ingeborg Drewitz, Gisela Elsner, Ruth Rehmann, Christa Reinig und Renate Rasp. Der Titel ist ein Kommentar von Ingeborg Bachmann nach einem der Gruppentreffen. Eine exzellente (frei verfügbare) Besprechung schrieb Hanna Engelmaier für die Literaturkolumne der Juniausgabe 2024 des Merkur. Das Literaturhaus München widmet Ingeborg Bachmann die Ausstellung „Ich bin es nicht. Ich bin’s.“, die Antje Weber in der Süddeutschen Zeitung Im Zentrum der Ausstellung steht Bachmanns Satz: ‚Ich existiere nur, wenn ich schreibe.‘“ Die Ausstellung ist bis zum 3. November 2024 zu sehen. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm mit mehreren Feierabendführungen.
  • Die Kirchen und die neue Rechte: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) lädt am und 16. November 2024 zu einer Veranstaltung im Berliner Dietrich-Bonhoeffer-Haus zum Thema „Apokalypse nein! Wie weiter in der kirchlichen Auseinandersetzung mit der extremen Rechten?“ ein. Unter anderem gibt es einen Vortrag von Gideon Bötsch zu Konsequenzen aus den Wahlergebnissen 2024 sowie diverse Arbeitsgruppen zu Themen wie zur Lage der griechisch-orthodoxen Gemeinschaften, zum israelbezogenen Antisemitismus, Antiziganismus, zu sozialen Medien. Antisemitismus ist ein Schwerpunkt einer zweiten Arbeitsgruppenphase, in der auch über die Lage nach den drei Landtagswahlen diskutiert werden kann. Anmeldung wird bis zum 4. Oktober erbeten.
  • Ostdeutsche Demokraten in der Nachkriegszeit: Unter dem Titel „…denen mitzuwirken versagt war“ bietet die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine zum Preis von 40 EUR erwerbbare Plakatausstellung, die all den Demokratinnen und Demokraten gewidmet ist, die an der Erarbeitung des Grundgesetzes nicht beteiligt werden konnten, weil sie auf dem Gebiet der SBZ beziehungsweise DDR lebten. Kuratiert wurde die Ausstellung von Anna Kaminsky und Alexander Frese unter Mitarbeit von Sara Brand und Carlotta Strauch. Die Ausstellung umfasst 20 Tafeln im Format DIN A 1, darunter 15 biografische Tafeln, die jeweils zwei Personen porträtieren. Jede Tafel enthält einen QR-Code, der auf Begleitmaterialien im Internet verweist. Wer im Köln-Bonner-Raum interessiert ist, kann sich an den Demokratischen Salon wenden.

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen
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  • Gegen das Ohnmachtssyndrom
    : Im Gespräch mit Georg Löwisch sagte Gerhart R. Baum in der ZEIT: „Die Migration ist nicht das entscheidende Problem“. Ein wesentlicher Unterschied der Anschläge der RAF und der heutigen Anschläge liegt darin, dass nicht Repräsentanten der Wirtschaft oder der Politik ins Visier genommen werden, sondern potenziell alle Bürger:innen Opfer eines Anschlags werden können: „Die Bevölkerung heute empfindet eine ganz andere Unsicherheit. Angst ist unterwegs, und die ist ein hinterhältiger Dämon in einer freien Gesellschaft. Die Vernunft bleibt auf der Strecke. Heute ist das Gefühl verbreitet, dass diejenigen, die uns regieren, versagen. Das ist nur zum Teil richtig. Zu viel wird von ihnen erwartet in einer Zeit, in der sich die Krisen häufen. Vieles gelingt. Aber das dringt nicht durch. Die Sicherheitsbehörden arbeiten gut. Und jetzt tritt wieder massiv das Gefühl hinzu: Der Staat schützt uns nicht. Die Tat ist hier in Nordrhein-Westfalen passiert, mit einer starken Polizei und einem fähigen Innenminister, übrigens von der CDU.“ Prävention ist erheblich schwieriger geworden, weil sich letztlich keine absolute Sicherheit herstellen lässt. Auch ein Messerverbot ist eine Scheinlösung, vor allem, weil dies kaum kontrollierbar ist. „Deshalb ist es auch falsch, die Sicherheitsfrage in Zusammenhang mit der Migrationsfrage zu bringen. Auch ohne hiesige Migranten hätten islamistische Terroristen die Möglichkeit, durch einen einzigen eingeschleusten Täter unser Land zu verunsichern. Das werden sie erst recht tun, wenn sie merken, welche Wirkung das Attentat in Solingen erzielt hat – genau wie nach den anderen Attentaten.“ Der entscheidende Punkt sei sich „um eine Befriedung unserer Gesellschaft zu bemühen. Wir müssen die großen Transformationen schultern. An erster Stelle die Klimakatastrophe. Bemühen wir uns um Besonnenheit und um ein konstruktives Miteinander. Das ist doch in der Geschichte unserer Republik immer wieder gelungen.“
  • Gemeinschaftsaufgabe Innere Sicherheit
    : In einem Autor:innenpapier schlagen Irene Mihalic und Konstantin von Notz vor, „Innere Sicherheit im Grundgesetz als Gemeinschaftsaufgabe“ zu verankern. Das Papier wurde am 28. August 2024 veröffentlicht. Gefordert wird eine neue „Sicherheitsarchitektur“, in der sich Bund und Länder koordinieren und abstimmen. Dies wird zurzeit durch die Vereinzelung der Ämter, Polizei, Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutz, erheblich erschwert. Im Einzelnen fordern die beiden ausgewiesenen innenpolitischen Expert:innen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter anderem eine Verständigung über die erforderlichen „Basisinvestionen“, auch bei den Ausländerbehörden, ein „bundeseinheitliches Gefahrenabwehrrecht“, die Ausstattung des Bundesamts für Verfassungsschutz als „Frühwarnsystem“, Personalaufstockung für die Begleitung von Gefährdern an 24 Stunden an sieben Tagen, die Verbesserung der Ermittlungsarbeit der Polizei im Internet (und in den sozialen Medien) sowie die Umsetzung des europäischen Digit Service Act, ein schärferes Waffengesetz, das Verbot weiterer verfassungsfeindlicher Organisationen und Einrichtungen, den Vollzug der 170.000 offenen Haftbefehle (davon 14.000 wegen Gewaltdelikten) sowie die Verabschiedung des Demokratiefördergesetzes. Irene Mihalic hat im Dezember 2020 bereits ein umfassendes Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur im Demokratischen Salon veröffentlicht. Es ist bedauerlich, dass diese Vorschläge in den Medien kaum beachtet wurden, sondern stattdessen lieber darüber diskutiert wird, ob die angeordneten Grenzkontrollen möglicherweise lange LKW-Staus verursachten (nach derzeitigem Stand wohl nicht). Das Papier von Irene Mihalic und Konstantin von Notz schlägt im Übrigen zwischen den EU-Staaten abgestimmte Binnengrenzkontrollen vor.
  • 7. Oktober 2023
    : „Deutsche unter den Opfern?“ Das hören wir in diversen Meldungen über Flugzeugabstürze, terroristische Angriffe und andere Ereignisse dieser Art, nicht jedoch bei den von der Hamas ermordeten und entführten Menschen. In Frankreich hat die Regierung die Namen aller französischen Geiseln veröffentlicht. In den USA sind die „Gaza Six“, wie die US-amerikanischen Staatsbürger:innen in der Gewalt der Hamas genannt werden, ständig präsent. In Deutschland schweigt das Auswärtige Amt. Die Namen veröffentlichten das Redaktionsnetzwerk am 15. August 2024 und die Jüdische Allgemeine vom 7. April 2024. In der ZEIT vom 12. September 2024 porträtierte Jana Simon in einer eindrucksvollen Reportage Shani Louk sel.A. und ihre Familie, ihre Mutter Ricarda, ihren Vater Nissim und ihre drei Brüder. „Shani Louk, die nur 22 Jahre alt wurde, Tochter einer deutschen Mutter und eines israelischen Vaters. Shani Louk, die lange Dreadlocks trug und Hippiekleider. Shani Louk, die den Frieden liebte und den Armeedienst verweigerte. Shani Louk, die mit ihrem mexikanischen Freund Orion auf dem Nova-Festival tanzte. Shani Louk, die am frühen Morgen jenes Samstags auf der Ladefläche eines Pick-up lag, das Gesicht nach unten, die Schenkel verdreht, um sie herum bewaffnete Männer, die ihre Beine über sie gelegt hatten und ‚Allahu Akbar‘ riefen. Shani Louk, die bespuckt und durch den Gazastreifen gefahren wurde wie eine Kriegstrophäe.“ Sechs Geiseln wurden von kürzlich von der Hamas kurz vor ihrer Befreiung ermordet, darunter auch Hersh Goldberg-Polin und Carmel Gat, die beide enge Beziehungen nach Deutschland hatten.
  • Opposition gegen die Hamas
    : In der Süddeutschen Zeitung porträtieren Majd Al-Safadi und Léonardo Kahn den 26jährigen Hamza Howidy, der Gaza verlassen hat und jetzt in Deutschland lebt: „Ich habe mich für die abscheulichen Taten der Hamas geschämt.“ Er sagt, es sei in Gaza leichter, „Drogen zu verkaufen als gegen die Hamas zu demonstrieren.“ Er beschreibt die Unterstützung der Hamas für ihr treue Gazaïs und die brutale Behandlung derjenigen, die mit der Hamas nicht einverstanden sind. Er selbst war zwei Mal im Gefängnis und kam beide Male nur durch Bestechung wieder frei. Ursprünglich sei die Hamas ein Hoffnungsträger gegenüber der von der Fatah geführten korrupten Palästinensischen Autonomiebehörde gewesen, doch dies habe sich schnell geändert. „Ein Jahr nach dem Wahlsieg vertrieb die Regierung die Opposition aus dem Gazastreifen. Howidy war zehn Jahre alt, als Hamas-Terroristen Mitglieder und Anhänger der Fatah gefesselt durch die Straßen schleiften. ‚Das sind Bilder, die ich nie vergessen werde.‘ Infolgedessen tötete die Hamas mehr als 600 Palästinenser.“ Dennoch gibt es immer noch gemäßigte Stimmen: „Er hofft, dass weitere Palästinenser den Mut fassen und ihre Stimmen gegen die Hamas erheben. Die Hamas müsse aus Gaza verschwinden, eine neue politische Führung solle sich etablieren.“
  • Medizinische Unterstützung in Gaza durch die IDF
    : Israel und dem israelischen Militär wird vorgeworfen, nichts für die Zivilbevölkerung in Gaza zu tun. Das ist falsch. Florian Markl berichtet auf der Plattform Mena-Watch über die Polio-Impfkampagne und andere medizinische Unterstützung, die von der IDF organisiert wurden. Ein Armeesprecher berichtete, die Armee „führt Lagebeurteilungen durch, um die medizinische Situation im Gazastreifen kontinuierlich zu überwachen. Im Rahmen dieser Bemühungen hat der Staat Israel seit Beginn des Kriegs die Einrichtung von vierzehn Feldkrankenhäusern im Gazastreifen sowie die Einfuhr von 2.566 Lastwagen mit 25.955 Tonnen Medikamenten und medizinischer Ausrüstung in den Gazastreifen ermöglicht, die an die Bevölkerung verteilt wurden.“ In den Medien wird dies allenfalls als „Ausnahme“ Man verlässt man sich offenbar lieber auf Informationen des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums oder von UN-Hilfsorganisationen.
  • Neues Angebot für Journalismus im Exil
    : CORRECTIV erweitert mit Exile sein Angebot. Es richtet sich an Medienfachleute und Journalist:innen im Exil und soll ihnen die Arbeit im Exil erleichtern und „einen gemeinschaftsorientierten Raum schaffen, der die wesentliche Rolle der Exilgemeinschaften bei der Gestaltung demokratischer Ideale und der Förderung des sozialen Zusammenhalts anerkennt.“ Grundlage sind die bereits gestarteten Angebote #ÖZGÜRÜZ und Radio Sakharov. Das Projekt wird von Viera Zuborova geleitet. Anfragen an exil@correctiv.org.
  • Die Nazis und die AfD
    . Im Januar 1930 wurde Wilhelm Frick, im NS-Jargon ein „alter Kämpfer“, der schon 1923 gegen die Demokratie putschte, in Thüringen „Innen- und Volksbildungsminister“. Volker Ullrich hat in seinem Essay „Generalprobe in Thüringen – Wie die NSDAP die Zerstörung der Demokratie übte“ das Unheil beschrieben, das Frick und seine Partei in kürzester Zeit anrichteten. Der Artikel erschien in der Septemberausgabe 2024 der „Blätter für Internationale Politik“. Es ging der NSDAP darum, „die Exekutive von innen her zu erobern“. Beamte wurden entlassen und durch Parteigenossen ersetzt, darunter die Leitungen der Polizeidirektionen von Weimar und Gera. Schulgebete wurden Pflicht, die zu betenden Texte wurden vorgegeben, sie enthielten unter anderem den NS-Schlachtruf „Deutschland erwache“. Das Kulturleben wurde mit einem Erlass vom April 1930 „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ gemaßregelt. Die Fresken von Oskar Schlemmer wurden übermalt, der Rassentheoretiker Hans F. K. Günther wurde Professor an der Universität Jena. Lange hielt die Regierung, an der sich die NSDAP dank der DVP beteiligte, nicht. Hitler dankte Frick dafür, „Thüringen in den Mittelpunkt der nationalen, politischen und wirtschaftlichen Sanierung Deutschlands zu rücken“. Bei den folgenden Landtagswahlen erhielt die NSDAP in Thüringen 42,5 Prozent der Stimmen. All dies in etwa 18 Monaten. Weitere 18 Monate später wurde Wilhelm Frick deutscher Innenminister in dem ersten Kabinett Hitler. Nach dem Krieg wurde er im ersten Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt. Die Septemberausgabe 2024 der „Blätter“ enthält weitere Texte zum Thema: „Klassenkämpfer JD Vance – Die national-soziale Wende der Republikaner“ von Annika Brockschmidt, „Von der Opposition zur Obstruktion – Die drohende AfD-Blockade in Thüringen“ von Maximilian Steinbeis und „Unsichere Zukunft, autoritäre Antwort – Wie die AfD bei der Jugend punktet“ von Sebastian Friedrich und Nils Schniederjahn.
  • TikTok
    : Die AfD scheint die einzige Partei zu sein, die sich dieses Medium zunutze macht. In der FAZ veröffentlichte Livia Gerster ihr Plädoyer „Bändigt den Algorithmus“. Ich zitiere: „Zwischen Tanz- und Schminkvideos taucht plötzlich Alice Weidel auf und erzählt von vergewaltigenden Flüchtlingshorden. Zwischen Fitness- und Finanztipps erscheint ungefragt Maximilian Krah und erklärt, warum echte Männer rechts sind. Die AfD ist besonders präsent auf Tiktok. Und sie ist besonders beliebt bei jungen Menschen, wie die Landtags- und Europawahlen zeigten. / Viel wurde gerätselt, was die AfD auf Tiktok besser macht als die übrigen Parteien. Dabei ist ihr Erfolg leicht erklärbar. Der Algorithmus sozialer Medien funktioniert nach dem gleichen Muster wie Populismus: Alles, was Wut und Angst erzeugt, verfängt. Süß und lustig ist auch gut, aber lange nicht so erfolgversprechend wie die Apokalypse. Babykatzen? Niedlich, weiter. Blackout-Challenge? Krass, weiter. Dritter Weltkrieg? Hilfe! Da bleibt man hängen, vielleicht nur ein paar Sekunden länger. Der Algorithmus merkt sich das. Er spielt einem immer mehr Untergangsszenarien in die Timeline. Und schließlich auch die angebliche Lösung: die AfD.“ Alles ganz beiläufig, man muss gar nicht gezielt nach der AfD suchen. Die kommt ganz von allein. Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es ebenfalls ausführliche Informationen über die Funktionsweise und die Nutzung von TikTok (nicht nur) durch Extremist:innen. Der Bundeskanzler nutzt im Übrigen inzwischen auch TikTok und schickt dort seine Aktentasche auf Reisen (Achtung: keine Satire!).
  • Brandmauern?
    Hält die so viel beschworene „Brandmauer“ gegen die AfD? Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 14. September 2024 über eine Dokumentation des Wissenschaftszentrums Berlin. Die Dokumentation bietet empirische Ergebnisse zur Unterstützung der AfD in kommunalen Parlamenten. Autoren sind Florian Bochert, Wolfgang Schroeder, Daniel Ziblatt. Ihr Fazit: „Insgesamt zeigt unsere Studie, dass die umstrittene Brandmauer, der vielfach nachgesagt wird, dass sie auf kommunaler Ebene längst nicht mehr bestehe, in den letzten fünf Jahren zwar durchaus Risse bekommen hat, aber insgesamt weitaus stabiler ist, als vielfach vermutet wird.“ Die Studie enthält eine Liste der Kooperationen, es gab allerdings nirgendwo eine Einigung auf einen gemeinsamen Kandidaten. Nur in 42 von 521 Fällen war feststellbar, wer mit der AfD kooperiert hatte. Die Bereiche mit den meisten Kooperationen liegen im Kultur-, Sport- und Verkehrsbereich, in Kultur und Sport vor allem bei der Frage des Genderns. Die Studie endet mit vier Szenarien, dem „Muddling Through“, der „Praxisanpassung“, der „Zielanpassung“ und der „Neujustierung“. Vor allem eine Anpassung der Ziele gefährdet die freiheitliche Demokratie. „Um effektiv zu sein, muss die Brandmauer auch begleitet werden durch eine überzeugende, strategiepolitische Positionierung, die in manchen Politikfeldern (vor allem in der Migrations-, Finanz- und Sicherheitspolitik) auch deutliche inhaltliche Kurskorrekturen bedeuten. Ohne eine solche strategische Herangehensweise, die sich nicht in übermoralisierenden Positionen erschöpfen kann, lässt sich dieser Kurs, der bisher – wie diese Untersuchung für die Ebene der Kreisparlamente zeigt, meist erfolgreich praktiziert wurde, schwerlich erfolgreich fortführen.“ Die Gefahr liegt letztlich weniger in Abstimmungen über Zebrastreifen und Gendern, sondern in der panischen Übernahme der Rhetorik in grundlegenden Fragen wie beispielsweise in der Migrationsdebatte.
  • Ökologie und Sozialpolitik
    : In der Septemberausgabe 2024 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ analysiert Petra Pinzler mit ihrem Essay „Mehr Ökologie wagen! Wie sich die Grünen bis zur Unkenntlichkeit angepasst haben“ die aktuellen politischen Debatten um die Rolle der Grünen. Die Art und Weise, wie zurzeit über die Grünen gesprochen wäre, sei „politisch kalkulierte Wut, aber sie wirkt“. Den Grünen wird „Ideologie“ vorgeworfen, nicht jedoch CDU und FDP, was auch immer diese fordern mögen (keine Vermögenssteuer, kein Tempolimit etc.). „Weil es den Kritikern ja in der Regel nicht um einen konstruktiven Streit um die fortschrittlichsten Ideen geht, sondern darum, die Grünen generell zu diskreditieren.“ Die Grünen sind inzwischen weit davon entfernt, sich als „Volkspartei“ zu etablieren. Ein Problem sind aber unterschiedliche Auffassungen in der Partei zur „Verteilungsfrage“, ein weiterer kritischer Punkt ist die Fixierung auf Wachstum: „Mit dem Hinweis, dass wir wachsen und wettbewerbsfähiger werden müssen, verteidigt die Ampel alle möglichen Maßnahmen, die die Natur weiter zerstören.“ Den Grünen fehlt „die überzeugende Verbindung des umweltgerechten Fortschritts mit der gesellschaftlichen Wohlfahrt.“ Es gehe eben nicht darum, Ölheizungen oder Werbung für Süßigkeiten zu verbieten, sondern um die folgende Frage: „Ist diese Politik das effizienteste und gerechteste Mittel, um uns und unsere Freiheit zu schützen und das Leben auch künftig sicher zu machen?“ Manches sei in einem Bericht aus der Zeit Robert Habecks als Minister in Schleswig-Holstein enthalten: „Für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft – Transformation innovativ gestalten“.
  • Wissenschaftszeitvertragsgesetz
    : In der Septemberausgabe des Merkur analysiert Florian Meinel die unglückliche Lage von Zeitbeschäftigten an Hochschulen (ohne Paywall lesbar). Die möglichen Befristungen sollen verkürzt werden, sodass sich für viele die Frage stellt, ob sie überhaupt noch eine Chance haben, sich für eine wissenschaftliche Laufbahn zu qualifizieren. Allerdings sollen Phasen auf Drittmittelstellen nicht angerechnet werden. Dies benachteiligt in ganz besonderer Weise Geisteswissenschaften, denn es entstehen „Ungleichgewichte zwischen drittmittelstarken und drittmittelschwachen Fächern“. Florian Meinel schlägt vor, „alle Hochschulen vollständig vom arbeitsrechtlichen Befristungsrecht frei(zu)stellen“, nur „eine Mindestbefristung“ sollte vorgesehen werden. Seine Kritik verbindet er mit einer grundsätzlichen Kritik am Föderalismus im Bildungsbereich: „Das typische Instrument der ministeriellen Wissenschaftspolitik des Bundes sind deswegen teure Finanzierungskampagnen, die in quasiwettbewerblichen Verfahren über externe Vorhabenträger abgewickelt werden und in denen die Politik versucht, über das Kleingedruckte der Bewilligungsbedingungen politischen Einfluss auf die Länder auszuüben. Deren Wissenschaftsressorts wiederum bilden dann gegenüber dem Bund eine lautlose Beutegemeinschaft.“
  • Islamismus in Deutschland
    : Im Gespräch mit Christian Parth für die ZEIT hat Lamya Kaddor, bereits mehrfach Gast im Demokratischen Salon, die derzeit diskutierten Maßnahmen gegen Islamismus kommentiert. Es gehe weniger um eingewanderte Islamisten als um Islamisten, die sich hier in Deutschland radikalisiert haben. Islamistische Organisationen versuchen – offenbar erfolgreich – junge Menschen in Deutschland für ihre Sache zu gewinnen: „Der IS setzt darauf, junge Menschen in westlichen Ländern zu radikalisieren. Seit Längerem können wir sehen, dass diese Strategie aufgeht. Die meisten, die zuletzt Anschläge verübt oder geplant haben, wurden nicht eingeschleust. Auch im Solinger Fall gibt es eher Anzeichen dafür, dass er kein Schläfer war, sondern sich erst nach der Einreise radikalisiert hat. (…) Das größte Problem derzeit ist die Online-Radikalisierung und die Auswüchse im Internet. Organisationen wie Generation Islam und andere verbreiten wirklich schlimme Sachen im Internet. Da müssen wir auch an die Plattformbetreiber ran und sie stärker dazu verpflichten, die Inhalte zu kontrollieren.“ Ein zweites Argument: „Steigt der Islamismus, steigt die Islamfeindlichkeit. Und umgekehrt. Diese Extreme bedingen einander. Deshalb muss man bei der Bekämpfung des Islamismus die Islamfeindlichkeit mitdenken. Beides muss man gleichzeitig bekämpfen. Aber genau diese Gleichzeitigkeit überfordert leider so manchen Politiker.“ Der in Österreich lebende iranische Schriftsteller Amir Gudarzi schrieb in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung: „Wir sind mehr als nur Muslime“: „Für die Rechte ist dann klar: Ist man Muslim, ist man vielleicht auch Terrorist. Auf der anderen Seite, bei Gesprächspartnern, die sich eher der Linken zuordnen, ist man hingegen manchmal schon antimuslimischer Rassist, wenn man Kritik am islamistischen Extremismus übt.“
  • Syrien
    : Zu den besten Kenner:innen Syriens gehört die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Kristin Helberg. Sie beschrieb 2018 in ihrem bei Herder erschienenen Buch „Der Syrien-Krieg – Lösung eines Weltkonflikts“ im Detail die unterschiedlichen Gruppierungen des Landes sowie die Einflüsse externer Akteure, nicht zuletzt Russland, Iran und Türkei. In Le Monde Diplomatique erörterte sie auf der Grundlage von Gesprächen in der Region am 8. August 2024 die Frage: „Wie sicher ist Syrien?“ Assad profitiere von Abschiebungen von Straftätern aus Deutschland nach Syrien, Deutschland werde erpressbarer. Der „Islamische Staat“ gilt zwar als besiegt, ist aber nach wie vor präsent. „Gerade Dschihadisten instrumentalisiert der syrische Geheimdienstapparat seit Jahrzehnten, um interne und externe Gegner zu destabilisieren und die eigene Herrschaft zu zementieren.“ Unter den vier Einflusszonen in Syrien wirkt im Nordosten die „Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyrien (DAANES)“. Sie beherrscht etwa ein Drittel des Landes, in ihren Lagern wachsen zukünftige dschihadistische Kämpfer heran. „Etwa ein Fünftel der Bewohner Rakkas sind laut NGO-Schätzungen nach wie vor extremistisch eingestellt. Sie bleiben unter sich und betrachten DAANES-Mitarbeiter als Ungläubige.“ Kristin Helberg zieht folgendes Fazit: „Indem die deutsche Bundesregierung die Abschiebung syrischer Extremisten und Schwerverbrecher vorantreibt, erhöht sie die Gefahr für die Menschen in Syrien und – angesichts einer möglichen Wiedereinreise – auch für Deutschland. Stattdessen könnte sie versuchen, dazu beizutragen, wenigstens den Nordosten sicherer zu machen. Dafür müssten die Angriffe der Türkei gestoppt und der IS effektiver bekämpft werden – nicht nur militärisch und durch die Rücknahme der Dschihadisten mit deutscher Staatsangehörigkeit, sondern auch ideologisch, indem man ihm den gesellschaftlichen Nährboden entzieht.“ Über die Rolle Europas und der USA schrieb sie bereits 2018: „Wer kein Ziel hat oder zögert, gestaltet nicht, sondern reagiert.“ Davon profitieren nicht nur Assad, sondern auch Russland und der Iran und nicht zuletzt dschihadistische Kräfte.
  • Die Lage im Iran
    : „Zwei Jahre nach dem Tod von Mahsa Amini – so der Titel einer Reportage von Thomas Seibert im Tagespiegel. Noch weiß niemand, was die Nachricht bedeutet, dass im Iran der neue Präsident und der Generalstaatsanwalt der sogenannten „Sittenpolizei“ das Recht abzusprechen scheinen, gegen Frauen vorzugehen, die sich nicht vorschriftsmäßig kleiden. Die 29jährige Zara Ismaeli, die im Netz Videos veröffentlicht, in denen sie öffentlich und mit offenem Haar singt und tanzt, wurde jedoch noch vor wenigen Wochen aus ihrer Wohnung gezerrt. Sie ist seitdem verschwunden. Die großen Demonstrationen, die wir vor zwei Jahren erlebten, gibt es nicht mehr. Thomas Seibert hat mit mehreren Expert:innen gesprochen, die beobachten, wie der Unmut in der Bevölkerung wieder steigt, vor allem bei den Millennials und der Generation Z – das Durchschnittsalter im Iran liegt unter 30 Jahren. Es gibt einen landesweiten Streik in den Pflegeberufen, andere Berufsgruppen zeigen sich solidarisch. Gestiegen ist aber auch die Zahl der Hinrichtungen, im Jahr 2023 ermordete das Regime 834 Menschen, 40 Prozent mehr als im Vorjahr.
  • Afghanistan
    : Auf der Plattform Mena-Watch berichtet Thomas von der Osten-Sacken über die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan und die fatale Ignoranz der Bundesregierung: „Die Hölle wird noch höllischer“. Feministische Außenpolitik in Berlin? Davon kann keine Rede mehr sein. Die humanitäre Hilfe für Menschen aus Afghanistan soll von etwa 70 auf rund 9 Millionen EUR gekürzt werden. Das Bundesaufnahmeprogramm ist somit im Grunde am Ende. Christian Stock berichtete in Jungle.World über die erfolglosen Proteste der Hilfsorganisationen. Zum dritten Jahrestag ihrer Rückkehr an die Macht verschärfen die Taliban die ohnehin schon unmenschlichen Gesetze gegen Frauen und Mädchen. Sie sind verpflichtet, „ihr Gesicht und ihren Körper zu bedecken, wenn sie sich in Gegenwart von Männern befinden, die nicht direkt mit ihnen verwandt sind. Frauen dürfen laut dem Gesetz (…) in der Öffentlichkeit zudem nicht singen, Gedichte rezitieren oder laut lesen, da ihre Stimmen als zu intim gelten. (…) Männer und Frauen dürfen sich zudem nicht ansehen, wenn sie nicht verwandt sind. Die Gesetzgebung verbietet homosexuelle Beziehungen, Ehebruch und Glücksspiel. Männer müssen zudem mindestens knielange Hosen und einen Bart tragen, der nicht zu kurz sein darf. Versäumte Gebete und Ungehorsam gegenüber den eigenen Eltern können ebenfalls bestraft werden.“ Thomas von der Osten-Sacken verweist auf einen Bericht von Mahjooba Newroozi für die BBC. Proteste werden brutal niedergeschlagen, Teilnehmer:innen verhaftet und gefoltert.
  • Dschijadismus in Burkina Faso
    : Auf der Plattform mena-watch informieren Uzay Bulut und Charles Jacobs über ein Massaker vom 27. August 2024 in Burkina Faso. Dschihadisten töteten über 500 Menschen. Mehrere 100 Menschen wurden verletzt. Es ist nicht das erste Massaker. Burkina Faso ist ein mehrheitlich muslimisches Land, allerdings sind etwa fünf Millionen Menschen unter den 21 Millionen Einwohner:innen Christ:innen. Seit 2015 greifen dschihadistische Gruppen an, versuchen die Regierung zu destabilisieren, vergewaltigen christliche Mädchen und Frauen und zwingen sie zu heiraten. „Nach Angaben des Norwegischen Flüchtlingsrats (NRC) ist die Massenflucht in Burkina Faso die am meisten vernachlässigte Krise der Welt. Hinzu kamen im Jahr 2022 innerhalb von nur acht Monaten zwei Putsche mit dem Ziel, die dschihadistische Bedrohung zu bekämpfen, doch deren Massaker gehen weiter.“ Zur Bedrohung der Religionsfreiheit gibt es einen im Jahr 2022 vom US-State-Department veröffentlichten Bericht.
  • Belarus
    : Wer spricht noch von Belarus? Hannah Wagner beginnt ihren Bericht „Die vergessenen Gefangenen von Belarus“, der im Tagesspiegel am 31. August 2024 erschien, mit dem lapidaren Satz: Maria Kolesnikowa ist seit 550 Tagen verschwunden.“ Politische Gefangene vollständig von der Außenwelt abzuschotten, ist eine perfide Taktik des belarussischen Machtapparats, um Regimegegner und ihre Angehörigen zu quälen. Und Kolesnikowa ist nicht die einzige, die das trifft. Ebenfalls im Straflager schon seit Monaten komplett isoliert sind Tichanowskajas Ehemann, Sergej Tichanowski, und Kolesnikowas politischer Mitstreiter Viktor Babariko.“ Für eine Verurteilung reicht heutzutage eine Spende an eine:n Bürgerrechtler:in, so wie es auch in Putins Reich geschieht. Allein im Juli 2024 verzeichnen Menschenrechtsorganisationen 170 weitere politische Urteile in Belarus. Von vielen Gefangenen erfahren wir in Deutschland nichts.
  • Der politische Ephraim Kishon
    : Er wäre im Jahr 2024 100 Jahre alt geworden und gehörte lange Jahrzehnte zu den in Deutschland beliebtesten Autoren aus Israel. Er war jedoch auch politisch höchst engagiert. Nur haben viele das nicht gemerkt. Florian Markl hat auf mena-watch den politischen Satiriker Ephraim Kishon gewürdigt, nicht zuletzt seinen Band „Pardon, wir haben gewonnen“ (1969 in der wunderbaren Übersetzung von Friedrich Torberg erschienen). Er zitiert folgende Kostprobe: „Der Antrag Pakistans, Israel für die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Sowjets zu verurteilen, wurde dem Vorsitzenden des Sicherheitsrats in den frühen Morgenstunden zugestellt. (…) Wie man hörte, machten die USA gewisse Vorbehalte gegen ein Alleinverschulden Israels geltend, während Belgien und Kanada für eine Verschiebung der Beratungen eintraten und einen für alle Beteiligten annehmbaren Kompromiss ausarbeiten wollten.“ Kishon lässt den israelischen Botschafter darauf hinweisen, dass die Sowjetunion und nicht Israel die Tschechoslowakei besetzt habe. „Daraufhin verließ der sowjetische Delegierte Jakob Malik demonstrativ den Sitzungssaal und rief dem Vertreter Israels von der Türe her zornbebend zu: ‚Diesmal werden Ihnen diese Goebbels-Methoden nichts nützen. Sie spielen mit dem Feuer!‘ (…). Die Atmosphäre wurde immer angespannter. Ein von der algerischen Delegation verteiltes Pamphlet nannte Israel eine ‚Erpressernation‘. In der Prawda erschien ein scharfer Angriff auf die ‚Nazikohorten von Tel Aviv und ihre schamlosen imperialistischen Annexionen‘“.
  • Schulbau
    : Von Hans-Magnus Enzensberger gibt es die despektierliche Bemerkung, dass deutsche Schulen aussähen wie „wilhelminische Kadettenanstalten“ oder wie „Stuttgart-Stammheim“. In der Tat wirken viele Schulen mit ihren endlos langen Fluren, Treppen und aneinandergereihten Türen, die in voneinander getrennte Klassenzimmer führen, bedrückend. Dies ist der Ausgangspunkt des Essays „Neue Schulen braucht das Land“ von Laura Weißmüller in der Süddeutschen Zeitung: Die Architektur ist oft von einer derart erschreckenden Einfallslosigkeit, ja Mutlosigkeit, dass man sich zum Start ins neue Schuljahr fragen muss: Wen um Gottes willen will eine Gesellschaft darin heranziehen? Fantasievolle Geister, die Spaß am Entdecken der Welt und an einem gleichberechtigten Miteinander haben, eher nicht.“ Sie stellt mehrere gelungene Alternativbeispiele vor, auch mit inspirierenden Fotografien. Sie beschreibt, wie sich die sozialen Beziehungen verändern. Bei großzügigerer Anlage der Räume und Flure vermindert sich zum Beispiel Gewalt. Vorschläge für eine pädagogisch gelungene Raumgestaltung hat die nordrhein-westfälische Serviceagentur Ganztägig lernen veröffentlicht. Sie knüpft an eine frühere Broschüre an, die während des Ganztagsausbaus zur Zeit des Bundesinvestitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ (2003 bis 2009) entstanden ist. Ganztag, Inklusion, gesunde Ernährung gehören ebenso zum Standard wie Bibliothek, Experimentier-, Begegnungs- und Rückzugsräume. Wilfried Buddensiek konzipierte in Herford in diesem Rahmen eine „Fraktale Schule“. Die Bonner Montag-Stiftung für Jugend und Gesellschaft hat ebenfalls inspirierende Vorschläge für eine „Pädagogische Architektur“ An Ideen mangelt es nicht, wohl aber leider an der Umsetzung. Die Kommunalen Spitzenverbände fordern Standards, die die Länder jedoch nicht formulieren wollen, weil sie wegen der Konnexitätsregelungen dann die Neu- und Umbauten aus ihren Haushalten finanzieren müssten, Kinder und Jugendliche, Lehr- und Fachkräfte werden in den Kommunen in der Regeln in Planungsprozessen nicht beteiligt, sodass es bei der Fantasielosigkeit traditioneller Bauten bleibt. Laura Weißmüller stellt fest, dass die bei Schulen spürbare Fantasielosigkeit den gesamten öffentlichen Raum betrifft: „Der Schulbau macht sichtbar, wie das Bauen in diesem Land an ein Ende gekommen ist. Gefangen im Normen-Dschungel und Vorgaben-Wirrwarr wird möglichst regelkonform gebaut, statt zu überlegen, was im Einzelfall sinnvoll wäre. Ans strategische Ausmisten der Normen und Vorgaben hat sich noch keiner gemacht.“
  • Pandemie
    : Im letzten Newsletter verwies ich auf das von der FAZ am 7. August 2024 veröffentlichte Memorandum der Philosophin Svenja Flaßpöhler und der Juristinnen Elisa Hoven, Frauke Rostalski und Juli Zeh: „Wir müssen die Corona-Jahre endlich aufarbeiten“. Frauke Rostalski hat sich jetzt – ebenfalls in der FAZ – ausführlich geäußert. Sie stellt fest, dass die öffentlich einsehbaren Protokolle des RKI zeigen, dass die damals beschlossenen Zwangsmaßnahmen zumindest fragwürdig waren. Es gab Zweifel an Schulschließungen und Maskenpflicht. Es gibt allerdings auch politische Aspekte, über die sich darüber hinaus nachzudenken lohnte. Möglicherweise wäre es zu dem Aufstieg der AfD in Umfragen und Wahlen nicht in dem Maße gekommen, wäre die Bundesregierung damals behutsamer vorgegangen und hätte vor allem die Vorbehalte im RKI ernst(er) genommen. Von den wirtschaftlichen Interessen, die zu erhöhten Preisen beispielsweise bei den Masken führten, ganz zu schweigen. Letztlich – so Frauke Rostalski – geht es auch um das Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Politik: „Nur wenn die Bürger Politik, Wissenschaft und Medien vertrauen, ist es überhaupt möglich, gemeinsam Entscheidungen zu treffen und sich nicht im breiten Angebot alternativer Wahrheiten zu verlieren.“
  • Elon Musk
    : Er hatte einmal einen Cameo-Auftritt in „Big Bang Theory“ in der Spülküche einer Wohlfahrtsorganisation und Howard Wolowitz bekam sich vor Bewunderung kaum mehr ein. Musk wählte lange Zeit wohl die Demokraten, aber heute gehört er zu den radikalsten Vertretern von Donald Trump. Adrian Daub Autor unter anderem von „Was das Valley denken nennt“ (edition suhrkamp 2020), beschreibt ihn in einem Gastbeitrag für die ZEIT. Menschen vom Schlage eines Elon Musk, das Valley, inszenieren sich als unkonventionell, aber sie waren „schon immer anschlussfähig für reaktionäre Politik“. Musk ist typisch für einen bestimmten Menschenschlag: „Man könnte meinen, Musk ist in die Muskulatur und Sehnen des von ihm erworbenen Dienstes eingegangen. Er wollte die Königin des Borg-Kollektivs aus der Sci-Fi-Serie Star Trek sein und ist doch nur eine ihrer uniformen Drohnen. Er ist im tosenden X-Kollektiv aufgegangen.“ Von Innovation keine Spur mehr. In seinem Buch beschreibt Adrian Daub den mehr oder weniger intellektuellen Hintergrund (eher weniger) von Studienabbrecher:innen, die mit einem Start-Up Erfolg haben, dabei aber ständig Sprüche aus Motivationsbroschüren für Studienanfänger:innen repetieren. Die Silicon-Valley-Community hat auch viel von der kalifornischen Hippy-Kultur der 1960er Jahre übernommen und setzt diesen Habitus zielgerichtet ein. Manche mit halbwegs seriös erscheinenden Projekten, andere kriminell wie Elisabeth Holmes.
  • Brüssel ist an allem schuld?
    Mitnichten: Für die FAZ sprach Chiara Stäbler mit dem Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer: „Was den Bürger ärgert, wird Brüssel zugeschrieben.“ Hans Vorländer weist darauf hin, dass Brüssel immer wieder auch mit Regulierungen verbunden wird, die inzwischen schon längst wieder abgeschafft wurden, wie beispielsweise die Normierung von Traktorsitzen (im Übrigen eine Initiative des späteren Anti-Bürokratie-Beauftragten Edmund Stoiber, der damit einen Traktorhersteller aus Bayern unterstützte). Die Standardisierung des Krümmungsgrads von Gurken sei eine „Vereinfachung für Produzenten und Handel“, krumme Gurken können gleichwohl auf Biomärkten angeboten werden. „Das ist eine Frage des ‚Framings‘, wie man mit solchen Sachen umgeht. Was wir in Europa haben, ist ‚blame shifting‘ und ‚credit claiming‘. Das bedeutet: Alles, was der nationalen Regierung oder den Politikern im nationalen Raum nicht gefällt, schieben sie auf Brüssel. Was in Brüssel entschieden wird, ihnen aber gefällt, dafür geben sie sich selbst den ‚Credit‘.“ Beteiligt sind immer die nationalen Regierungen, die nationale Parlamente ebenso wie die europäischen Institutionen einschließlich des EU-Parlaments. Hans Vorländer betont, dass die Neigung, dem „Brexit“ weitere Ausstiege folgen zu lassen, in den EU-Mitgliedstaaten deutlich abgenommen habe. Vieles, was über Europa gesagt wird, „grenzt an Polemik“.
  • Ungarische Ratspräsidentschaft
    : Eine Bewertung der umstrittenen ungarischen Ratspräsidentschaft in der EU bietet Zoltán Ranschburg: „A most harmful presidency“. Spektakulär waren Viktor Orbáns Besuche bei Putin und Xi. Er besuchte auch Selensky, ließ aber an seiner pro-russischen Einstellung keinen Zweifel. EU-Kommission und Ministerrat konnten nur den Schaden begrenzen, indem sie betonten, dass Orbán kein Mandat für solche Gespräche habe. Es geht aber nicht nur um Haltungen zur russländischen Invasion in der Ukraine, sondern auch um grundlegende Fragen der Demokratie. Orbán – so Zoltán Ranschburg – gilt in vielen Ländern inzwischen als Vorbild, zumindest bei rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien und Politiker:innen, „the question arises what Orbán’s actual priority might be: to have a successful Council presidency, or to have the opportunity to abuse his position of being the prime minister of the country of presidency.” Ranschburg weist darauf hin, dass Orbán auch von Uneinigkeiten und Unklarheiten in der europäischen Außenpolitik profitiere. Die Debatte um eine vorzeitige Beendigung der Präsidentschaft Ungarns hat sich inzwischen weitgehend erledigt, aber an den Ratssitzungen in Ungarn nehmen Kommission und viele Länder nur auf Beamt:innenebene teil. Allerdings blockiert Orbán zum wiederholten Male Ukrainehilfen.
  • Reisen
    : Mal etwas ganz Praktisches: Die Süddeutsche Zeitung hat Anfang September 2024 eine ausführliche Gebrauchsanweisung für das angemessene Trinkgeld auf Reisen in (fast) alle Welt veröffentlicht. In derselben Ausgabe denkt Dominik Prantl in seinem Essay „Reisen macht uns nicht zu besseren Menschen“ über die Frage nach, ob Reisende glücklicher und gebildeter sind als Menschen, die zu Hause bleiben. Zumindest möchte die Tourismus-Industrie uns dies weismachen. Ergebnis: die vielleicht größte Migrationsbewegung, die die Welt je sah. Aber was erleben Reisende, sprich Tourist:innen, nun wirklich? Wird die besuchte oder vielleicht besser gesagt heimgesuchte fremde Welt zur „Völkerschau“?
  • Demokratischer
    Salon in der Ukraine: Der erste Teil des Essays „Friedenspolitik nach der Zeitenwende von Paul Schäfer wurde von Anastasia Kovalenko und Tamila Besarab ins Ukrainische übersetzt und in dem Kulturportal „Eksperiment“ veröffentlicht. Der zweite Teil wird zurzeit ebenfalls übersetzt. Ebenso wurde inzwischen das Gespräch „History Matters“ mit Christina Morina ins Ukrainische übersetzt, auch dieser Text erschien in „Esperiment“. 13 Studentinnen und 2 Studenten im zweiten Jahrgang im Fach „Englisch und Deutsch, Übersetzung“ haben unter Leitung von Pavlo Shopin an der Übersetzung zusammengearbeitet: Oleksandra Shadrina, Iuliia Volodymyrivna Kovalchuk, Iuliia Mykhailivna Kovalchuk, Sofia Fedotova, Evgeniia Solohubova, Oleksandra Bala, Valeriia Kobyzhcha, Oleksii Lehosha, Tetiana Kurchyna, Marharyta Serhiichuk, Dariia Voitsehovska, Anton Bovbalan, Sofia Borovyk, Iuliia Pazychenko, und Anna Mykhalchenko.

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Meinen jüdischen Leser:innen darf ich für das kommende Jahr und die Hohen Feiertage alles Gute wünschen: Shana Tova Umetuka! Möge das Buch des Lebens ein Ende des Krieges, die Rückkehr der Geiseln und nicht zuletzt ein Ende des Antisemitismus verzeichnen.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 14. und 20. September 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.