Nebeneinander der Identitäten – Gemeinschaft der Ungewählten

Ein Versuch der Orientierung in identitätspolitischen Debatten unserer Zeit

„Auf dem Spiel stand und steht daher noch immer das Ethos unserer Demokratie: Welche Art von Gesellschaft, welche Art von Demokratie wollen wir sein? Wie gestalten wir das ‚Wir‘ und wem billigen ‚Wir‘ – wer ist das? – das Recht zu, Teil dieses ‚Wir‘ zu sein? Wen also sind wir bereit, als Gleiche anzuerkennen?“ (Sabine Hark, Gemeinschaft der Ungewählten – Umrisse eines politischen Ethos der Kohabitation, Berlin, edition suhrkamp, 2021).

Eigentlich wollte ich nur eine Rezension zu den Themen Feminismen, Identität(en) und feministische Entwürfe einer zukunftsfähigen Gesellschaft vor dem Hintergrund einer sehr unruhigen Welt schreiben. Das war naiv. Binnen kürzester Lesezeit stand ich mitten im unübersichtlichen Feld unterschiedlichster Denkrichtungen, einhegender und eingehegter Überzeugungen und erbitterter Kämpfe um Deutungshoheiten. Gab oder gibt es schon einen interdisziplinären Diskurs, der über das laterale suchende Driften hinaus geht und zumindest versucht, zu beschreiben, was in den vergangenen drei Jahren geschehen ist und wie es unser Denken notwendigerweise verändert?

Performance statt Milieu?

2017 erschien Andreas Reckwitz „Die Gesellschaft der Singularitäten“, 2019 Lutz Raphael „Jenseits von Kohle und Stahl – Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom“ (beide bei Suhrkamp), 2021 veröffentlichte der Dramaturg, Germanist und Philosoph Bernd Stegemann „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ (Klett-Cotta).

Alle drei Bücher beschreiben den Wandel aus der „gedächtnislosen“ Nachkriegszeit zum Wirtschaftswunder und einer Hochphase der Industrialisierung, Herausbildung „sozialmoralischer Milieus“ (so Lutz Raphael, vgl. auch Sebastian Payne, Heartlands. A Journey through Labour’s Lost England Pan Macmillan, London 2021 und Didier Eribon, Retour à Reims, die deutsche Ausgabe erschien 2016 bei Suhrkamp) und deren Auflösung seit dem Ende der 1970er Jahre mit Einsetzen des Neoliberalismus. Die Auflösung sowohl der Arbeiter*innenkulturen durch den massiven Abbau und die Zerstörung ganzer Industriezweige als auch in Folge der Globalisierung, die gleichzeitig damit einhergehende Prekarisierung und Auflösung der sogenannten Mittelschichtmilieus und ihrer Wertevorstellungen zeitigte einen beispiellosen Konkurrenzkampf um die immer knapperen Ressourcen der Ökonomie und – das kam hinzu – der Aufmerksamkeit.

Es ist eine inzwischen vielzitierte Binse: wer es schafft, größtmögliche mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, sich am besten zu positionieren und möglichst originell und effektvoll zu präsentieren, dem gehört die neoliberale kapitalistische Welt. Es kommt auf die Performance an und wie man sich vom Feld der Bewerber*innen um Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Forschungsgelder und andere monetäre Zuwendungen schlägt.

Das hat im wahrsten Sinne des Wortes kapitale Auswirkungen auf unabhängiges Denken und Forschen und auf den im Sinne einer zukunftsfähigen inklusiven und diversen Gesellschaft so notwendigen Auf- und Ausbau regenerativer Energien, eines tragfähigen Gesundheitswesens und eines weitsichtigen Bildungssystems.

Und für die meist auf der Nordhalbkugel lebenden Individuen der am Performativen ausgerichteten Gesellschaften bedeutet das Leben Dauerstress im Sinne der permanenten Selbstoptimierung. Soweit, so die Analyse des Status Quo ante Pandemiam und Krieg in Europa.

Welche Gesellschaft wollen wir?

Was hat all das mit der geplanten Rezension zu Feminismen (sic!) und Identitäten zu tun?

Die feministischen Debatten – und die in den Feuilletons teils hämisch geführte Debatte um Gender und (Geschlechts-)Identitäten – verweisen auf die zukünftige Ausrichtung des sozialpolitischen Systems, in dem wir leben wollen und können. Es geht darum, wie stark Identitätspolitiken von Nöten ist, um gesellschaftlichen Gruppen, die nicht zur Mehrheitskultur, die in der Regel im Sinne von Birgit Rommelspacher als Dominanzkultur wirkt, gehören, Raum zu verschaffen und damit aus der Dominanzkultur zu einer solidarischen und demokratischen, chancengerechten Gesellschaft zu kommen. Und es geht darum, wie es gelingt von einer Gesellschaft der performativen Singularitäten zu einer für alle verträglichen und eben nicht gleichmachenden Solidargemeinschaft zu kommen.

Sabine Hark bringt es in ihrem Buch „Gemeinschaft der Ungewählten“ und in anderen Publikationen aus ihrer Feder auf den Punkt: „Gesellschaft ist (…) zur Beute geworden. Nicht länger vorstellbar als Raum der Solidarität, vielmehr degradiert zum Ermöglichungsrahmen unserer unternehmerischen Aktivität, deren privilegierter Modus Konkurrenz, nicht Kooperation ist. Das mit dieser Wendung entstandene gesellschaftliche und politische Vakuum füllt heute mehr denn je das Placebo Identität und seine Surrogate: Heimat, Kultur, Nation, Religion, Volk. Identität – der aus der Flasche gelassene Geist, das Kollektivität und Solidarität zersetzende Element. In deren Namen soziale und kulturelle, ökonomische und nationale Grenzen gezogen, Rechte und Zugehörigkeit erteilt oder verweigert und Inklusion regulierende Normen formuliert werden. Politiken der Feindschaft (…). Verweigerung von Gleichheit ist die paradigmatische Geste der Macht“.

Caring Democracy

Sabine Hark, Soziologin und Professorin an der TU Berlin, Leiterin des dortigen Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, gilt als eine der wichtigsten feministischen und queertheoretischen Stimmen – und das sind in ihrem Fall keine Gegensätze – in Deutschland.

Zu ihrem 60. Geburtstag erschien jüngst eine Sammlung „feministischer und queertheoretischer Interventionen“, (Hannah Fitsch, Inka Greusing, Ina Kerner, Hanna Meißner und Aline Oloff: Der Welt eine neue Wirklichkeit geben – Feministische und queertheoretische Interventionen. Transkript. Bielefeld 2022). Die Sammlung repräsentiert mit Beiträgen u.a. von Judith Butler, Christina Thürmer-Rohr und Paula-Irene Villa fast die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Generationen und Traditionen der internationalen feministischen und queer-theoretischen Diskussionen der letzten 40 Jahre.

Und das tut gut – und es ist ein Kontrapunkt zum Streit um die gesellschaftspolitische Legitimation und Relevanz von „queer“, non-binären Ansätzen einerseits und den eher patriarchats- und kapitalismuskritischen Traditionen des Feminismus andererseits. Der Streit um die Deutungshoheit dessen, was Geschlecht und Gender bedeuten, um die Definition von Diversität, von Pronomen und Identitäten, entzweit die unterschiedlichen Szenen der LGBT*IQA Community, die sich, scheint’s, um sich selbst dreht. Die politische Aktion, Einmischung und Einflussnahme im Interesse einer diversen, solidarischen, sorgenden und gerechten Gesellschaft geraten ins Hintertreffen, so der kritische Eindruck von außen.

Nein, es kann nicht darum gehen, welcher Ansatz „der richtige“ ist, welche Identitätszuschreibung legitim ist. Jede Form der Hierarchisierung von Befindlichkeiten endet in der Sackgasse vor der Unisextoilette. Aber woher kommt diese Unbeweglichkeit und ohrenbetäubende Sprachlosigkeit der doch eigentlich verbündeten Lager?

„Feminismus ist immer auch Identitätspolitik“, schreibt Koschka Linkerhand in ihrem Essay „Nestbeschmutzerinnen“ (in: Koschka Linkerhand, Hg., Feministisch streiten, Berlin, Querverlag, 2018) und weiter: „Materialistisch bestimmt, bezeichnet die Identität einer Feministin ihren Erfahrungshintergrund als Frau in dieser Gesellschaft, ihre Lebens- und Erkenntnisbedingungen, die ihrem politischen Denken zugrunde liegen – aber keinesfalls mit ihm gleichzusetzen sind. Eine Reihe feministischer Strömungen, von denen der Queerfeminismus nur die aktuell wirkmächtigste ist, hat die Identität als einzige mögliche Perspektive vergötzt. Das Identitätsangebot „queer“ wirft sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität mit einer bestimmten politischen Ausrichtung in einen bunten Topf, als ginge das eine mit dem anderen automatisch einher. Der materialistische Feminismus hingegen lebt von der Spannung, vom subjektiven weiblichen Leiden am Patriarchat auszugehen, aber gerade aus diesem Leidensdruck heraus auf eine objektive, revolutionäre Theorie der Gesellschaft abzuzielen. Feminismus darf nicht darauf verzichten, Interessenpolitik von Frauen zu sein: wobei Frau sein nicht essentialistisch oder rein identitär zu bestimmen ist, sondern als Zwangskategorie des kapitalistischen Patriarchats, die das individuelle Leben entscheidend formt“.

Mit dem Sammelband „Feministisch streiten“ hat Koschka Linkerhand versucht, die sehr unterschiedlichen „Feminismen“ von radikalem Aktivismus bis zur Analyse der aktuellen Selbstbezüglichkeit darzustellen. Die unterschiedlichen „Strömungen“ sind kaum zu vereinbaren, aber es lohnt sich eben immer, miteinander zu streiten – und zwar offen, ohne die Hermeneutik des Verdachts, die als anders wahrgenommene Position wäre per se schon Verrat an der Sache. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Auseinandersetzung mit den verordneten Rollen von Frauen als Form von Gewalterfahrung, der physischen wie der strukturellen Gewalt, die sich immer noch z. B. im Gender Pay Gap, in der Unterrepräsentanz von Frauen in Lehre, Forschung und Führungsämtern, der Missachtung von Frauen durch Polizei und Justiz in von ihnen angestrengten Strafverfahren gegen Gewalt darstellt. Und leider immer noch so: die Zunahme häuslicher Gewalt, von der immer wieder vorwiegend Frauen betroffen sind. Eine gerechte und demokratische Gesellschaft sieht anders aus. Ich unterstelle allen unterschiedlichen Formen des Feminismus, dass das das Ziel ist: eine gewaltfreie, gerechte und diverse Gesellschaft, die Wege dahin sind allerdings sehr unterschiedlich.

Auch der Band zum 60. Geburtstag von Sabine Hark versucht, Brücken zu schlagen, indem die dort versammelten Stimmen sowohl den Feminismus der 1990er Jahre als auch den „klassischen Feminismus“ der 1970er und frühen 1980er Jahre repräsentieren. Der Band ist zweisprachig, Englisch und Deutsch, das sollte aber bitte niemanden davon abhalten, das Buch zur Hand zu nehmen. Man muss nicht mit allem übereinstimmen, aber lesen sollte man sie.

Und am besten sollte Leser*in auch den Essay der geehrten Wissenschaftlerin, die bereits zwei Mal von mir zitierte „Gemeinschaft der Ungewählten“ lesen. Sabine Hark, von Judith Butler ebenso beeinflusst wie von Hannah Arendt, Audre Lorde, James Baldwin, um nur einige Referenzen zu nennen, zieht den Rahmen weit auf. Sie möchte „zu einem Aufstand anstiften, der Lernen ist. Zu einem Lernprozess anstiften, der ein Aufstand ist.“

Sabine Hark schreibt damit schon auf den ersten Seiten einen zur Lesenden hin geöffneten Text, da wird keine These präsentiert, sondern eine Denkwerkstatt geöffnet: „Im Angebot sind Übungen im politischen Denken, herumstromernden Reflexionen zu jener dringlichen Frage der Gegenwart, wie wir das – globale – „Wir“ leben wollen. Übungen mit Denkgefährtinnen_ innen, versammelt in der Absicht, in demokratischen Konstellationen mit ihnen zu denken und zu schreiben. Nicht, um die Lücke in ihrem Denken nachzuweisen, sondern um sich in Beziehung zu setzen und Gemeinschaft mit ihnen zu schaffen. Und das heißt: Möglichkeiten zu kreieren, Dissens und Konsens eingeschlossen.“

Auseinandersetzung und Ver-Antwortung statt Ver-Anderung

Sabine Hark plädiert für eine Politik der Interdependenz, einer „caring democracy“, so definiert sie politisches Ethos. Die Alternative heißt Ver-Antwortung an Stelle von Ver-Anderung (Julia Reuter implementierte mit diesem Begriff eine deutsche Übersetzung des „Othering“). Ausgangspunkt: wir haben es uns nicht ausgesucht, in diese Welt geboren zu sein. Und schon gar nicht, mit wem wir sie teilen. Wir sind alle gemeinsam „ungewählt“, das ist der Kern dessen, was sie als demokratisches „Ethos der Kohabitation“ definiert. Soweit ließe sich das auch existenzialistisch begründen, aber Sabine Hark bezieht sich nicht nur auf die existenzialistische Analyse, sondern führt auch den ebenso existenzialistisch belegten Gedanken des „Engagement“ fort. Denn es gibt ein Recht auf Gemeinschaft, mehr noch: wir sind alle ausnahmslos auf menschliche und nichtmenschliche Beziehungsgeflechte und die Fürsorge und Zugewandtheit für einander und die Welt, in der wir leben, angewiesen. Neoliberalismus jedoch ist die klassische Verneinung demokratischer Empathie. (Dieser Essay wurde in den Tagen der COP 27 geschrieben. Auch dies ist ein feministisches Thema, gerade auch in der Zeit, in der im Iran eine feministische Revolution entsteht. Im Iran demonstrieren die „Ungewählten“, und dies sollten wir auch für andere Länder und die Gemeinschaft der Länder wünschen, nicht zuletzt für das Gastgeberland der COP 27.)

Und noch eine Erkenntnis sollte leitend für die Gestaltung eines, zugegeben noch utopischen, Gesellschaftsentwurfes sein: Die Wahrnehmung von Differenz zwischen sollte immer auf den ihr zugrunde liegenden Bias hin untersucht werden, auf Grund dessen ein „Wir“ nur definiert wird, indem es „Andere“ ausschließt. Denn: „Was uns als Natur und daher unabänderliche Tatsache erscheint, (…) ist als Ergebnis von geschichtlichen Prozessen und Ereignissen, Auseinandersetzungen und Kämpfen zu betrachten. Es ist nicht die Differenz, die den Rassismus hervorbringt; es ist der Rassismus, der sich die Differenz zu Nutze macht.“ Dahinter steckt auch eine gehörige Portion kritischer Distanz zur Vermittlung des Wissens durch Familie, gesellschaftliche Parameter, Medien, sogenannter Erfahrung und nicht zuletzt die Tätigkeit von Schulen, Hochschulen und anderen Einrichtungen formaler und non-formaler Bildung: „Die Ordnung des Wissens (der Gegenstand der Epistemologie) und die Ordnung des Seins (der Gegenstand der Ontologie sind…nicht als getrennt, sondern als immer schon ineinander verschränkte Ordnung zu sehen (…).Wir gestalten und verändern die Welt auf der Basis eines bestimmten Wissens, genauso wie die Praktiken, mit denen wir uns selbst und zu anderen verhalten, in einer spezifischen Ordnung des Wissens verortet sind.“

Wissen wird willkürlich und reguliert vermittelt, das hat seine Vorteile, aber auch seine Nachteile: Man denke nur daran, welchen Einfluss z.B. die plurale Zusammensetzung unserer bundesdeutschen Gesellschaft auf die Präsenz dieser Pluralität in Curricula und den Medien hat, oder welche Auswirkungen die Verhinderung von Beratung und Information zu LGBT*QIA auf nicht nur junge Menschen hat.

Das einfache, aber eben nicht simple Fazit von Sabine Hark: „Wir lernen, die Welt zu teilen und in Gesellschaft aller Menschen zu leben, oder wir leben nicht.“ Kleiner haben wir es nicht mehr.

Kohabitation – praktische Umsetzung

Zwei weitere Bände liegen auf dem Schreibtisch. Sie führen, jeder auf ein Segment bezogen und mit interdisziplinärem Weitblick das Thema fort: „Was braucht es für eine gerechte Gesellschaft, wie gelingt echte und sorgende Kohabitation?“: Es handelt sich um den von Ulrike Knobloch, Hildegard Theobals, Corinna Dengler, Ann-Christin Kleinert, Christopher Gnadt und Heidi Lehner herausgegebenen Band „Caring Societies – Sorgende Gesellschaften“ sowie den von Anna Kasten, Käthe von Bose, Ute Kalender herausgegebenen Band „Feminismen in der Sozialen Arbeit. Debatten, Dis/Kontinuitäten, Interventionen“ (beide im Jahr 2022 bei Beltz Juventa erschienen). Beide Bände kommen auf den ersten Blick als Fachliteratur für die Soziale Arbeit daher. Das stimmt aber nur zum Teil.

Im Prinzip sind die dort versammelten Beiträge sehr konkrete Beiträge der sehr konkreten praktischen Umsetzung dessen, was die feministische Theorie und die Suche nach Wegen, wie wir den Umbau dieser Gesellschaft weg von der performativen, neokapitalistischen und patriarchalischen Ausrichtung hin zu einer „Gemeinschaft der Ungewählten“ und der Solidargemeinschaft auf der Basis von „Kohabitation“ bewältigen können. Die Bände enthalten – so ließe sich sagen – Vorschläge zur Anwendung und zur Umsetzung der von Sabine Hark, Judith Butler und anderen Autor*innen vertretenen Thesen.

„Feminismen in der Sozialen Arbeit“ vertritt offensiv einen intersektionalen Ansatz, was in der Sozialen Arbeit vor Ort noch längst nicht überall angekommen und deshalb sehr begrüßenswert ist. Der Sammelband führt ein in die Grundlagen der aktuellen wissenschaftlichen und theoretischen Forschung über Heteronormativkritik und Postkolonialismusdiskussion bis zu den durch die trans*aktivistischen Bewegungen entstehenden Potentiale zur notwendigen Veränderungen der Perspektiven Sozialer Arbeit . Die Autor*innen blicken dabei auch über den bundesrepublikanischen Tellerrand. Auch hier gilt: nicht jeder Beitrag nutzt jede*r Sozialarbeiter*in oder jede*r Sozialpädagog*in für die spezifische Situation in der eigenen Einrichtung. Aber alle Beiträge sind lesens- und bedenkenswert über den direkten praktischen Nutzen hinaus.

Gleiches gilt auch für die „Caring Societies“. Auch hier eine große und repräsentative Bandbreite von aktuellen und anregenden Aspekten, die durchaus als die Umsetzung dessen, was zur Zeit theoretisch verhandelt wird, gelten können. Es geht um Caring Policies, um Caring Economy und die Aufgaben und Ziele kollektiven Sorge Tragens, also de facto um die Grundpfeiler einer caring democracy. Sehr leidenschaftliche und trotzdem unaufgeregte Texte, denen ein breites Fachpublikum und die interessierte Lai*in zu wünschen ist.

An dieser Stelle sei Peter Brook (1925-2022) zitiert, der große Menschenfreund und Theatermann mit seinem unbedingten Plädoyer für die hörende Stille, die ein Gespräch manchmal erst möglich macht: „(...) there are two ends to the pole of silence. There is a dead silence, the silence of the dead, which doesn’t help any of us, and there is the other silence, which is the supreme moment of communication – the moment when people normally divided from one another by every sort of natural human barrier suddenly find themselves truly together (…). In between the two silences (…) are the areas where all the questions arise. (Peter Brook, Between Two Silences – Talking with Peter Brook, edited by Dale Moffat, London, Menthuen, 2000).

Beate Blatz, Köln

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im November 2022, Internetzugriffe zuletzt am 6. November 2022)