Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

die neuen Texte im Demokratischen Salon befassen sich – auch in Fortführung von im vorigen Newsletter angesprochenen Themen – mit dem Antisemitismus, diesmal im Hinblick auf die Frage des „muslimisch“ konnotierten Antisemitismus. Darüber hinaus dokumentiere ich meine Begegnungen mit Markus Meckel und mit Harry Harun Behr. Diese Begegnungen geben Einblicke in internationale Entwicklungen, in Europa, in Polen und im Baltikum, in Indonesien.

Ein kurzes Editorial:

Ich erlaube mir wenige Wochen vor den Wahlen zum Deutschen Bundestag den Tipp, sich bei der Wahlentscheidung an einen Satz des früheren New Yorker Bürgermeisters Edward Irving „Ed“ Koch (1924-2013) zu erinnern: „Ich habe zwölf Programmpunkte. Wenn Sie mit acht davon einverstanden sind, wählen Sie mich. Wenn Sie mit allen zwölf einverstanden sind, brauchen Sie einen Psychiater.“

Aber vielleicht geht es um mehr als um einzelne Punkte aus Wahlprogrammen. Die Wahlen zum Deutschen Bundestag leiden zurzeit noch darunter, dass die eigentlich relevanten Themen vernachlässigt werden. Ein zentrales Thema, das uns alle bewegen sollte, ist der Klimawandel – oder je nach Wording – die Klimakrise. 48,8 Grad Celsius in Sizilien, über 50 Grad Celsius in Kanada, Waldbrände in Algerien, Griechenland, Italien, Kalifornien, in der Türkei, die Flutkatastrophen in den Tälern der Ahr und der Erft – davon erfahren wir in den Medien, von vielen anderen Katastrophen nicht.

Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlichte im Juli 2021 seinen sechsten Bericht und stellte fest, dass das 1,5-Grad-Ziel, voraussichtlich auch das 2-Grad-Ziel nicht mehr erreicht werden könnten. Doch was bedeutet dies? Elisabeth Raether konstatierte in ihrem lesenswerten Editorial in der ZEIT vom 12. August 2021: „Die Zeit der Ausreden ist vorbei“. Sie fragte mit Recht, wo die „Krisensitzungen“ blieben, die „Ministerpräsidentenkonferenzen? Irgendwas? Nein. Auch wenn man die Kandidatinnen und Kandidaten fragt, welche Klimapolitik sie denn konkret anstreben, gelangt man nicht zu dem Eindruck, das Thema werde mit besonderer Dringlichkeit behandelt.“

Hedwig Richter und Bernd Ulrich schreiben in derselben Ausgabe der ZEIT, dass offenbar „Zumutungsfreiheit zum zentralen Kriterium demokratischer Politik“ geworden sei.“ Sie fragen, wie „dieses Gebot der maximalen Zumutungsfreiheit aller Politik“ entstanden sei: „Diese Idee von der konsumierbaren Demokratie, die Reduktion des Staates auf seine Dienstleistung?“ Ihre Analyse: „Und darin liegt der große Frevel der Politik systematischer Beschwichtigungen: Sie nimmt den Wählenden die Chance, gegen den eigenen inneren Schweinehund zu optieren. Und sie bietet nicht an, was in diesen Zeiten der großen Transformation am nötigsten ist: eine redliche Politik der Zumutungen, um den Kampf mit den Krisen aufzunehmen. Und womöglich sogar zu gewinnen.

Meine Empfehlung: muten Sie sich etwas zu und beginnen Sie mit der Lektüre des 2021 bei Rowohlt erschienenen Buches von Parag Khanna mit dem Titel „Move – Das Zeitalter der Migration“. Dieses Buch bietet ein Szenario für den Fall der – nicht unwahrscheinlichen – durchschnittlichen Erderwärmung um 4 (in Worten: vier) Grad. Zurzeit unwirtliche Regionen im Norden, eventuell auch in der Antarktis, die nur von niemandem oder nur von wenigen Menschen bewohnt werden, werden in Zukunft ihre Bevölkerungszahl verhundertfachen. Sie werden Menschen aus subtropischen und tropischen Regionen, die wegen der Hitze unbewohnbar geworden sind, aufnehmen. Städte in Küstennähe verschwinden, die Bewohner*innen ziehen ins Landesinnere. Auf schrumpfenden Flächen entstehen Hochhausstädte. Hochtechnisierte Regionen begegnen der Hitze, indem sie Städte überkuppeln und mit gigantischen Klimaanlagen kühlen. Aber auch im Norden wird der Bedarf an Klimaanlagen steigen, nicht nur durch E-Mobilität und Klimaanlagen. Der exorbitant steigende Strombedarf wird wieder durch den Ausbau von Atomkraftwerken gedeckt werden müssen. Und nicht zuletzt: die bisher als „westliche Industriestaaten“ firmierenden Länder werden ihre Infrastruktur nur aufrechterhalten können, wenn sie Ein- und Zuwanderung fördern. Migration ist überlebenswichtig, für die Migrierenden aus dem Süden und für die Aufnehmenden im Norden.

Science-Fiction? Parag Khanna bietet ein Szenario, keine Prognose. Er dokumentiert präzise bereits gegebene Tendenzen solcher Entwicklungen aus vielen Regionen unseres Planeten. Meine Empfehlung: lesen Sie das Buch, sprechen Sie Politiker*innen darauf an und machen Sie sich ein Bild über das vorhandene Problembewusstsein und die Bereitschaft zu handeln. Wir haben es alle in der Hand und werden akzeptieren müssen, dass Wohlstand, soziale und technische Infrastrukturen, Ein- und Zuwanderung eng mit der Zukunft unseres Klimas zusammenhängen. Und nicht vergessen: ohne „Zumutungen“ wird es nicht gehen.

Neue Texte im Demokratischen Salon: drei Essays und zwei Begegnungen:

  • Rubriken Liberale Demokratie und DDR: Mit Markus Meckel, einem der Gründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP), Außenminister der einzigen demokratisch gewählten Regierung der DDR, lange Zeit Abgeordneter im Deutschen Bundestag, habe ich über die Opposition in der DDR, die Debatten um die Deutsche Einheit im Jahr 1990 und über die europäischen Perspektiven der damaligen Geschehnisse gesprochen. Markus Meckel betont, dass die Einheit eine „verhandelte Einheit“ hätte sein müssen, dieser Anspruch jedoch nicht immer erfüllt wurde. Deutsche Geschichte muss als gesamtdeutsche und als europäische Geschichte verstanden, erforscht und gelehrt werden, nicht nur als eine Geschichte des Westens. Der Westen müsse lernen, auch die spezifischen Bedürfnisse und Ängste in Polen und im Baltikum sowie die dortige Bedeutung der NATO anzuerkennen. Die Zeiten haben sich geändert, und so änderten sich auch bei Markus Meckel (wie auch bei mir) die Bewertung der NATO. Gesprochen haben wir auch über eine zeitgemäße Erinnerungskultur und Debatten im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Titel der Dokumentation unserer Gespräche entspricht dem Titel der 2020 erschienenen Autobiographie von Markus Meckel: „Im Wandel der Zeiten“. Den kompletten Text finden Sie hier.
  • Rubriken Liberale Demokratie und Weltweite Entwicklungen: Wie kommt ein 18jähriger junger Mann nach Indonesien, geht dort zur Schule, konvertiert zum Islam und wird schließlich Umwegen Professor in Frankfurt am Main? Dies war und ist das Leben von Harry Harun Behr. Titel unseres Gesprächs: „Dynamische Religiosität“. Wir erfahren viel über ein Land, über das wir in Deutschland – abgesehen davon, dass es im Jahr 2015 Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse war – wenig wissen, das aber weltweit die größte muslimische Bevölkerung hat. Harry Harun Behr spricht über demokratische und weniger demokratische Entwicklungen in diesem Land, aber auch in anderen Ländern, so auch in Deutschland. Wir erfahren, wie vielfältig der Islam ist, wie Menschen in einem Land leben, in dem in allen Regionen jeweils mehrere Sprachen gesprochen werden. Gesprochen haben wir auch über zukünftige Perspektiven und erörtert, was es bedeutet, dass Jugendliche der sogenannten „Generation Z“ offenbar mehr als vorangehende Generationen bereit zu sein scheinen, für die Bewältigung von Klimawandel und anderen weltweiten Bedrohungen die Einschränkung demokratischer Freiheiten in Kauf zu nehmen. Ein Ergebnis unseres Gesprächs: die Bedeutung der Religion für die zukünftigen Entwicklungen in Indonesien, in Deutschland und anderswo wird durchweg unterschätzt. Den kompletten Text finden Sie hier.
  • Rubriken Antisemitismus und Weltweite Entwicklungen: Dieser Essay schließt an im letzten Monat veröffentlichte Texte an, der Titel: „Der Islam, das Christentum, die Nazis und der Antisemitismus – Zusammenhänge und Zuschreibungen, in Deutschland und in der Levante“. Thema ist die Frage, was es mit dem Muslim*innen zugeschriebenen Antisemitismus auf sich hat. Manche sprechen von einem „importierten Antisemitismus“. Die Wahrheit: es handelt sich um einen Re-Import, denn der in arabischen Ländern, im Iran oder in der Türkei festzustellende Antisemitismus verwendet die Stereotype, die wir aus dem christlichen und europäischem Antisemitismus kennen. Hyam Maccoby verwies in seinen Büchern immer wieder auf die christlichen Ursprünge des Antisemitismus, namentlich aus den Paulus zugeschriebenen Texten sowie bei verschiedenen Kirchenvätern. Matthias Küntzel hat in seinem Buch „Nazis und der Nahe Osten“ dokumentiert, wie die Nazis dafür sorgten, dass „Die Protokolle der Weisen von Zion“ und weitere antisemitische Schriften, die sie zum Teil auch selbst verfassten und ins Arabische übersetzen ließen, ihren Weg in die Levante fanden. Das Fazit: Der Antisemitismus in der Levante und der muslimisch konnotierte Antisemitismus sind – in den Worten von Monika Schwarz-Friesel – „die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung“. Den kompletten Essay finden Sie hier.
  • Rubriken Antisemitismus und Migration: Gibt es Belege für den Antisemitismus von (jungen) Muslim*innen in Deutschland? Der Essay „Die Ausgeschlossenen – Antisemitismus bei muslimischen Jugendlichen“ bietet einen sicher nicht vollständigen, aber doch repräsentativen Überblick über die Forschungslage, auch im Anschluss an Arbeiten von Michael Kiefer. Im Mittelpunkt des Essays stehen Untersuchungen von David Ranan und Stefan E. Hößl. David Ranan dekonstruiert die methodischen Ansätze wichtiger Studien, u.a. der sogenannten Mitte- beziehungsweise Autoritarismusstudien aus Bielefeld und Leipzig. Das Ergebnis: wir wissen kaum Konkretes über den Antisemitismus bei jungen Muslim*innen. In seiner eigenen Untersuchung stellt David Ranan fest, dass das Thema Palästina kaum mit Religion verknüpft wird, wohl aber mit dem Erlebnis von Diskriminierung. Historisches Wissen junger, selbst gebildeter Muslim*innen, ist kaum vorhanden (es dürfte bei vielen Deutsch-Deutschen kaum besser sein). Stefan E. Hößl hat die Frage der Religion als Movens antisemitischer Einstellungen bei jungen Muslim*innen untersucht und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Religion spielt bei der Identitätsbildung eine wichtige Rolle, auch durch die Identifikation mit Menschen in Palästina, ist jedoch nicht die Ursache des muslimisch konnotierten Antisemitismus, wirkt aber verstärkend. Entscheidend sind Erfahrungen der Exklusion und der Diskriminierung. Den kompletten Essay finden Sie hier.
  • Rubrik Weltweite Entwicklungen und Shoah: Zurzeit debattieren wir (nicht nur) in Deutschland über die Bedeutung des Kolonialismus in der Erinnerungskultur. Damit verbunden ist die Frage, welche Rolle die Shoah in arabischen Ländern spielt. Wer sich mit dieser Frage auseinandersetzen möchte, sollte die Bücher von Amin Maalouf In seinem autobiographisch geprägten Buch „Le naufrage des civilisations“ benennt er mehrere Schlüsseldaten der Geschichte seit 1945: die Machtübernahme Gamal Abdel Nassers im Jahr 1952 und die mit ihm verbundenen Hoffnungen auf eine pan-arabische (nicht pan-muslimische!) Identität, seine Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 sowie die sich überstürzenden „konservativ-identitären Revolutionen“ des Jahres 1979. Stets spielten die Briten, von Winston Churchill bis Margaret Thatcher, in ihrem Gefolge die USA, eine unliebsame Rolle. Sie verhinderten demokratische und liberale Entwicklungen, verfestigten aber in den arabischen Ländern den Eindruck, dass es dem sogenannten „Westen“ nur darum ging, andere Völker zu kolonialisieren. Im Islam fanden viele Menschen in den arabischen Ländern eine verbindende Kraft zum Widerstand. Omar Kamil belegt in seiner Studie „Der Holocaust im arabischen Gedächtnis“ für die Jahre 1948 bis 1967 am Beispiel der arabischen Rezeption von drei europäischen Intellektuellen, Arnold Toynbee, Jean-Paul Sartre und Maxime Rodinson, wie der anti-kolonialistische Diskurs die Shoah nur noch als Vergleichsfolie nutzte, um die Leiden in der arabischen Welt hervorzuheben. Das Ergebnis: Opferkonkurrenzen und Opferhierarchien. Diese Fragen haben auch etwas mit dem Thema der Struktur und Wirkung von Verschwörungserzählungen zu tun, mit dem sich Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem Buch „Fake Facts“ auseinandergesetzt haben. Den kompletten Essay finden Sie hier.

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons nach der Sommerpause:

  • Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur lädt für den Abend des September 2021 ab 18 Uhr in die Kronenstraße 5, 10117 Berlin-Mitte ein. Der 15. September wurde 2007 durch die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag der Demokratie erklärt, Titel der Veranstaltung: „Wir müssen reden“. In der ersten Diskussionsrunde darf ich mit Judith C. Enders über das Thema „Demokratie – ein Generationenprojekt? Oder wofür es sich zu kämpfen lohnt.“ sprechen. In einer zweiten Diskussionsrunde diskutieren Vera Lengsfeld und Werner Schulz über die Frage „Leben wir wirklich in einer ‚DDR 2.0?‘“. Ich darf versprechen, es wird spannend. Weitere Informationen auf der Seite der Stiftung. Die Veranstaltung ist live, aber auch auf dem you-tube-Kanal der Stiftung nachverfolgbar.
  • Thema Widerstand in Deutschland und in Italien: Am Oktober 2021 (18-20 Uhr) moderiere ich die hybride gemeinsame Veranstaltung von Gustav-Stresemann-Institut in Bonn (GSI), Verein Wissenskulturen e.V. und Demokratischem Salon: „Der lautstarke und der lautlose Aufstand“. Thema ist eine vergleichende Betrachtung der Rezeption der Geschichte und des Interpretationswandels in Bezug auf den italienischen und den deutschen antifaschistischen Widerstand. Gerd Pütz vom Verein Wissenskulturen wird in die Thematik einführen, für die Fondazione Gramsci onlus, Rom, spricht Tommaso Baris, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Palermo, über den italienischen Widerstand, die „Resistenza“. Die Veranstaltung wird simultan deutsch-italienisch gedolmetscht. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.
  • Save the Date: Der Verein für transkulturelle Bildung in Bonn bietet am Oktober 2021, 18-20 Uhr live im Trinkpavillon Bonn-Bad Godesberg eine Veranstaltung zum „Alltag als Religionslehrer*in“, die ich moderieren darf. Meine Gesprächspartner*innen sind Lehrer*innen des katholischen, islamischen und jüdischen Religionsunterrichts. Es geht um Religion in den Zusammenhängen gesellschaftlicher und politischer Debatten, die Frage des interreligiösen Dialogs und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht. Meine Gesprächspartner*innen sind Bernd Ridwan Bauknecht, Beni Pollak und Agnes Steinmetz.
  • Save the Date: Gemeinsam mit der Serviceagentur Ganztägig lernen (SAG) im Institut für Soziale Arbeit (ISA) bietet der Demokratische Salon am November 2021, 19 – 21 Uhr (nach wie vor digital) eine Veranstaltung zur Ganztagsbildung in Deutschland an. Es geht um die Geschichte der Ganztagsbildung, eine Erfolgsgeschichte der vergangenen zwanzig Jahre, aber auch um die Konsequenzen des zurzeit noch – und wahrscheinlich mit Erfolg – im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat verhandelten Ganztagsfördergesetzes.

Detaillierte Informationen zu den Veranstaltungen im Oktober und im November folgen nach der Sommerpause.

Weitere Veranstaltungen und Ausstellungen:

  • Thema Belarus: Am 9. August jährte sich die Wahlfälschung und der Beginn des Widerstands in Belarus gegen den dortigen Präsidenten. Das Zentrum für verfolgte Künste eine Social-Media-Kampagne gestartet, die das Anliegen der Freiheit und Demokratie in Belarus verbreiten und stärken soll. Der kulturelle Gedächtnis veröffentlichte mit „Stimmen der Hoffnung“ einen von Alina Lisitzkaja herausgegebener Band, an dem 27 Autor*innen und 16 Übersetzer*innen mitgewirkt haben. Einige Autor*innen leben noch in Belarus und schrieben daher unter Pseudonym. Die Texte wurde teilweise auf klandestinen Wegen aus Belarus herausgeschmuggelt. Ebenso zu empfehlen ist das Buch „Die Frauen von Belarus“ von Alice Bota, Untertitel: „Von Revolution, Mut und dem Drang nach Freiheit“, erschienen im Berlin Verlag. Dieses Buch enthält Gespräche mit Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Veronika Zepkalo.
  • Thema Vietnam 2.0 a.k.a. Afghanistan: Als die sowjetische Truppen 1978 in Afghanistan einmarschierten, sagte der damalige Sicherheitsberater des US-amerikanischen Präsidenten, dies werde das sowjetische Vietnam. Er tat einiges dazu, die Gruppen zu bewaffnen, aus denen diejenigen hervorgegangen sind, die den USA und der NATO, somit auch Deutschland ein Vietnam 2.0 bescherten. Die Reaktion ist organisierte Hilflosigkeit: mich erinnern die Nachrichten von den Versuchen, Europäer*innen, Amerikaner*innen und ihre afghanischen Unterstützer*innen aus Afghanistan herauszubringen an die Szenen zum Ende des Vietnamkriegs auf dem Dach der US-amerikanischen Botschaft in Saigon. In meinem Juli-Newsletter hatte ich auf einen Text von Theo Sommer Ich verweise jetzt auf den Nachruf von Wolfgang Bauer auf seinen Freund Amdadullah Hamdard, der jetzt von den Taliban ermordet wurde. Lesenswert auch am 13. August in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Berichte von acht Menschen, die die Lage in Afghanistan aus der Erfahrung ihrer Arbeit gut einschätzen können, ein Fazit: „Der Einsatz ist sinnlos gewesen“.
  • Thema Mauerbau: Am 13. August 2021 jährte sich zum 60ten Mal der Bau der „Berliner Mauer“, die – wie man*frau weniger Tage vorher so hörte – wohl niemand die Absicht zu bauen hatte, aber manchmal werden auch Dinge gebaut und veranlasst, die eigentlich niemand wollte, zumindest zu denen sich niemand bekennen möchte. Zur Erinnerung an den Mauerbau und seine Folgen bieten die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Bundeszentrale für Politische Bildung zahlreiche Informationen und Veranstaltungen, die auch digital nachverfolgt werden können. Ein Beispiel ist die vom 13. August bis zum 6. Oktober 2021 in Berlin am Potsdamer Platz (Nord) zu sehende Open-Air-Ausstellung „Die Mauer 1961 bis 2021“.
  • Thema Kinderrechte: Das Institut für soziale Arbeit lädt ein zum Fachkongress Kinderrechte 2021 am 16. und 17. September 2021. Der online-Kongress will Raum und Rahmen bieten, über Bedeutung und Praxis der Kinderrechte zu debattieren, und er will kritisch fragen, was und wie Kinderrechte konkret dazu beitragen, allen Kindern ein gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen. Expert*innen aus Praxis, Wissenschaft, Politik und Forschung unterstützen den Kongress mit Vorträgen und Diskussionsbeiträgen. Partner ist die Outlaw-Stiftung. Weitere Informationen hier, alle Interessierten können sich online verbindlich registrieren.
  • Thema Vergangenheit in der Gegenwart: In der Ausstellung „Das Gestern im Heute entdecken im Nümbrechter Haus der Kunst zeigen der Fotograf und Filmemacher Martin Rosswog und der Fotograf Hans Peter Schaefer Bilder mit Detailaufnahmen von Inneneinrichtungen im Oberbergischen, Innenansichten oberbergischer Häuser und Portraits ihrer Bewohner*innen sowie der vielfältigen Hausformen der Gebäude in der Landschaft des Siegtals, teilweise noch mit Spuren der kleinbäuerlichen Tätigkeiten. Die Ästhetik eröffnet einen Blick hinter die Kulissen der Gegenwart und erweckt Vergangenheit zu neuem Leben. Mein Gespräch mit Hans Peter Schaefer finden Sie hier.
  • Thema Zukunft in der Vergangenheit: Die Galerie Zilberman in Berlin und Istanbul präsentiert neue Arbeiten von Sandra del Pilar, Thema: Our Future Was Yesterday. Sandra del Pilar verwendet alte Holzschnitte aus dem 18. bis zum 20. Jahrhundert, die aktuelle Eindrücke wiederzugeben scheinen. Sie zeichnet zeitgenössische Elemente in die historischen Bilder und lässt eine Zukunft erscheinen, die zur Zeit der Entstehung nicht vorhersehbar war. Auf diese Weise entwickelt Sandra del Pilar ein Verständnis für die konstruierte Qualität von Geschichtsschreibung und die Konditionierung unserer Sehgewohnheiten.
  • Thema Bildung digital und demokratisch: Am und 7. Oktober findet online der 9. Bildungspartnerkongress unter dem Titel „Gut vernetzt! – Kooperation geht digital“ statt. Veranstalter ist Bildungspartner NRW. Ziel ist es, neue Impulse für das Lernen im digitalen Wandel setzen und Möglichkeiten der Digitalität im Bereich des außerschulischen Lernens vorzustellen und zu diskutieren. Es gibt eine Fülle von Praxisbeispielen zu allen Themen, die – so möchte ich es nennen – die Seele der Schule ausmachen und in vorbildlicher Form dem Bildungsauftrag des Grundgesetzes entsprechen: Bildung für nachhaltige Entwicklung, kulturelle Bildung, Erinnerungskultur, Sport, bürgerschaftliches Engagement und vieles mehr. Das Programm finden Sie hier, Anmeldung über diesen Link.

Kurznachrichten und weitere Empfehlungen:

  • Thema Jüdisches Leben: Sehr empfehlenswert ist die Teilnahme von Schüler*innen an der Ausschreibung des Leo-Trepp-SchülerPreises, Thema: „Lebendiges Judentum in Deutschland“, Motto: „Masel What?“ Details zu Aufgabenstellung, Ausschreibungsbedingungen und Jury finden Sie hier.
  • Thema Kolonialismus-Debatte: Olaf Zimmermann und Theo Geißler, Herausgeber der Zeitung „Politik & Kultur“, haben den Sammelband „Kolonialismus-Debatte: Bestandaufnahme und Konsequenzen“ herausgegeben. In dem Band äußern sich 59 Autor*innen. Er kann kostenfrei heruntergeladen
  • Thema Diversity Management: Die Stiftung Mercator hat ein Gutachten vorgelegt, dass den Umgang mit Diversität in Kindertageseinrichtungen, Hochschulen, am Arbeitsmarkt, in Polizei, Bundeswehr, Justiz und Verwaltung untersucht hat. Autor*innen waren Kolleg*innen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes), der University of Sussex sowie von pro diversity. Ein Fazit: „Diskriminierung aus sozioökonomischen, kulturellen oder religiösen Gründen bleibt in vielen Lebensbereichen an der Tagesordnung. Zugleich entfalten bestimmte Institutionen eine starke positive Dynamik im Umgang mit Diversität und sind von Veränderungswillen geprägt.“ Im Einzelnen geht es u.a. um Personalführung, Aus-, Fort- und Weiterbildung, Beschwerdemanagement, Empowerment und Community Building. Das Gutachten finden Sie hier.
  • Thema Antisemitismus: Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) hat die Ergebnisse der Studie „Antisemitische Verschwörungsmythen in Zeiten der Coronapandemie. Das Beispiel QAnon“ vorgestellt, die RIAS für das American Jewish Committee (AJC) Berlin Ramer Institute erstellt hat. Antisemitische Vorfälle können jederzeit bei RIAS gemeldet werden. Eine Zusammenfassung und Stellungnahmen veröffentlichte die Jüdische Allgemeine am 9. August 2021.
  • Thema Rechte Gewalt 1: Die Süddeutsche Zeitung dokumentierte am 16. Juli 2021 zwölf Vorfälle rechter Gewalt. Die Dokumentation belegt eine denkwürdige „Nachsicht“ der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz. Die Beispiele reichen von Volksverhetzung über Morddrohungen zu Brandanschlägen wie beispielsweise dem Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge. „Politische Motive“ oder „Antisemitismus“ vermochten die Richter nicht zu erkennen. Den vollständigen Text finden Sie hier.
  • Thema Rechte Gewalt 2: Als der „Front National“ (heute: „Rassemblement National“) vor langer langer Zeit die ersten Bürgermeistereien in Frankreich, beispielsweise in Toulon, übernahm, wurden Bücher, die der Partei nicht gefielen, aus den Bibliotheken entfernt, ganz legal. Der Berliner Tagesspiegel berichtete am 12. August 2021 in seinem täglich erscheinenden Checkpoint (Abonnement sehr zu empfehlen), dass die Bezirksbibliothek Tempelhof zum wiederholten Male das Ziel rechtsextremistischer Angriffe geworden ist. Weitere Informationen und damit auch Leseempfehlungen finden Sie hier.
  • Thema Trikotwerbung: Es ist nicht lange her, dass die UEFA das Leuchten der Stadien in Regenbogenfarben untersagte. Der Nordostdeutsche Fußballverband nahm sich die UEFA zum Vorbild. Dem Berliner Viertligisten Tennis Borussia Berlin (vielleicht erinnern sich manche, dass Hans Rosenthal diesen Verein liebte) verbot der Verband Trikotwerbung für den gemeinnützigen Opferfonds CURA, der Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt unterstützt. Der Berliner Tagesspiegel veröffentlicht in seinem Checkpoint vom 2. August 2021 die Begründung: die Werbung stehe „im Gegensatz zur satzgemäßen politischen und konfessionellen Neutralität des Sportverbandes“. Außerdem habe man „die Sorge, dass sich eine bestimmte Gruppe von Personen durch die Werbung provoziert fühlen könnte“.
  • Thema Ödön von Horvath: Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 4. August 2021 aufgrund einer dpa-Meldung, dass der Präsident des Ungarischen Rats von Subotica in der nordserbischen Region Voyvodina dem Wandertheater „Tanyashinház“ die Subvention für eine Tournee mit Ödön von Horvaths Drama „Kasimir und Karoline“ verweigert habe. Der Präsident beklagte „Vulgarität als Selbstzweck“ und „Provokationen“ und forderte, Theater möge doch lieber „kluge Besinnlichkeit“ und „die Weisheit der Volksmärchen“

(Alle Zugriffe im Internet erfolgten zwischen dem 11 und 14. August 2021.)

Zum Abschluss ein kleiner Nachtrag zum Editorial: es formulierte der kluge Rabbiner der wunderbaren Serie Jewy Louis, jede Woche in der Jüdischen Allgemeinen, auf die Frage: „Sagen Sie, Rabbi, denken Sie, dass der Klimawandel von Menschen verursacht wird?“ Der Rabbiner antwortet: „Ich denke, dass es dazu zwei Überlegungen gibt: Menschen, die für die globale Erwärmung verantwortlich sind und Menschen, die nichts dagegen unternehmen!“ Und manche gehören beiden Kategorien an.

Ich wünsche allen meinen Leser*innen viel Gewinn beim Lesen und Nachdenken! Mein herzlicher Dank gilt all denen, die mich auf die ein oder andere der oben genannten Empfehlungen hingewiesen haben oder mich bei meinen Texten durch Anregungen, Gespräche, Korrekturen so diskussionsfreudig unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf den Demokratischen Salon hinweisen.

In etwa vier Wochen melde ich mich wieder.

Ich grüße Sie / euch alle herzlich.

Ihr / Euer Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte ich um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.