Odyssee in den Weltraum
Ein Porträt des Schriftstellers, Visionärs und Weltbürgers Arthur C. Clarke
„Ich bin gelegentlich gefragt worden, wie man sich an mich erinnern sollte. Ich hatte eine mannigfache Karriere als Schriftsteller, Unterwasserforscher, Förderer der Weltraumerforschung und als Wissenschafts-Promoter. Von all dem möchte ich am liebsten als Schriftsteller in Erinnerung bleiben – als einer, der seine Leser unterhalten hat und, hoffentlich, ihre Fantasie beflügelte.“ (Auszug aus der Videobotschaft von Arthur C. Clarke zu seinem 90. Geburtstag).
Arthur C. Clarke war einer der interessantesten und sicherlich auch einer der berühmtesten Science-Fiction Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts, vor allem bekannt geworden durch seine Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Stanley Kubrick an dem Kino-Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum aus dem Jahre 1968, der auf seiner Kurzgeschichte The Sentinel von 1951 basiert. Clarke war britischer Staatsbürger, geboren am 16. Dezember 1917 in Minehead, Somerset, England. Er zog im Jahre 1956 nach Colombo auf Sri Lanka, damals noch Ceylon genannt, wo er am 19. März 2008 im Alter von 90 Jahren starb.
Wer war Arthur C. Clarke?
Arthur C. Clarke konnte aus finanziellen Gründen erst spät studieren und arbeitete zunächst als Bilanzprüfer. Seine ersten Geschichten schrieb er bereits Ende der dreißiger Jahre, angeregt durch die zahlreichen „Pulps“ seiner Jugend. Während des zweiten Weltkriegs war Clarke als Radar-Spezialist in der Royal Airforce im Einsatz. Nach Beendigung des Krieges studierte er Mathematik und Physik am King`s College London und beendete sein Studium mit Auszeichnung mit dem Bachelor-Degree.
Arthur C. Clarke war aktives Mitglied der „British Interplanetary Society“, die einen großen Einfluss auf ihre Mitglieder als Promotor für die Raumfahrt hatte. Zwischen den Jahren 1934 und 1954 begann der kontinuierliche Weg Aufstieg von Arthur C. Clarke von den ersten Schreibversuchen als Jugendlicher im Magazin der „Huish‘s Grammar School“ bis hin zum Erscheinen seiner ersten großen Romane. Seit dem Jahre 1951 konnte Clarke als freischaffender Schriftsteller leben. Im Juni 1937, im Alter von neunzehn Jahren, veröffentlichte Arthur C. Clarke seinen Aufsatz Science Fiction – Past, Present and Future im Magazin „Novae Terrae“, der schon damals interessante Bemerkungen zu dem frühen Genre der Science-Fiction enthielt und mit der Bemerkung über die Zukunft der SF endet: „Erst wenn der Kosmos umrundet ist, ist die Geschichte zu Ende, und wie lange das dauern wird, kann sich kein Mensch von heute vorstellen. Dann, und nur dann, wird der Science-Fiction-Autor, sollte er in einem hoffentlich ansonsten perfekten Universum noch existieren, seine Aktivitäten etwas eingeschränkt sehen.“
Arthur C. Clarke war stark beeinflusst von den Pulps, den billigen Heften mit Zukunftsgeschichten seiner Zeit, wie er selbst in seinem Buch Astounding Days (1989) schreibt. Seine größten Einflüsse während seiner Kindheit 1930/31, also im Alter von dreizehn bzw. vierzehn Jahren, waren allerdings die Bücher The Conquest of Space (1931) von David Lasser und das Meisterwerk Last and First Men (1930) von Olaf Stapledon. So kommt es nicht von ungefähr, dass das erste Buch von Arthur C. Clarke den Titel Interplanetary Flight (1950) trägt und dass Clarke persönlich sein großes Vorbild Olaf Stapledon (1886-1950) zu einem Vortrag bei der „Britisch Interplanetary Society“ einlud.
Clarkes erste schriftstellerischen Arbeiten beschäftigten sich mit der Erkundung des Weltalls, dies blieb auch sein Hauptthema bis in die sechziger Jahre und seine regelmäßigen Treffen mit der NASA, den Apollo-Astronauten, Wernher von Braun und den Fernseh- und Medienvertretern. Nun war der Aufstieg von Clarke von seiner Teilnahme an der ersten Science-Fiction Convention, die es überhaupt gab, in Leeds am dritten Januar 1937, bis zu seinem Status als anerkannter Weltraum-Experte abgeschlossen. Am 16. Mai 1948 hatte Clarke bereits auf einer Versammlung der britischen Science-Fiction Schriftsteller in seinem Vortrag Science Fiction and Astronautics das Fazit gezogen, dass sich die Raumfahrt ohne die Science-Fiction nicht so schnell entwickelt hätte. Clarke verbrachte viel Zeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, vor allem während der Zeit der Apollo-Programme Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und war ein anerkannter Berater der NASA.
Der Wissenschaftler und Schriftsteller
Der erste Teil der Karriere des Arthur C. Clarke begann nicht in der Science-Fiction, sondern in der Wissenschaft. Nachdem Clarke sein Studium der Mathematik und Physik mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, publizierte er einige bemerkenswerte naturwissenschaftlich-technische Beiträge der beginnenden Weltraumerforschung. Dazu werden besonders zwei Beiträge gezählt: Der Aufsatz über die Funktion geostationärer Satelliten bei der Radiokommunikation Extra-Terrestrial Relays. Can rocket Stations give world-wide Radio coverage?, erschienen im Oktober 1945 in „Wireless World“ und seine Ideen über einen Fahrstuhl in den Erd-Orbit: The Space Elevator: ´Thought Experiment, or Key to the Universe?, erschienen im Jahr 1981 in „Advances in Earth Oriented Applications of Space Technology“. Diese und weitere wissenschaftlich-technische Artikel über Grundsatzfragen der Astronautik sind gesammelt in dem Buch: Arthur C. Clarke: Ascent to Orbit. A Scientific Autobiography. The Technical Writings of Arthur C. Clarke (1984).
Für seinen Beitrag über die geostationären Satelliten erhielt Arthur C. Clarke den „Marconi International Fellowship Award“ („A program to recognize creative work in communication science or technology and its benefit to humanity“) des Jahres 1982: „Er wurde für die erste detaillierte Beschreibung der Möglichkeiten und technischen Anforderungen für den Einsatz geostationärer Satelliten für die globale Kommunikation sowie für weitere Innovationen im Bereich der Kommunikation und Fernerkundung aus dem Weltraum im Laufe seines Lebens zur Förderung der wohltätigen Nutzung fortschrittlicher Weltraumtechnologie ausgezeichnet. “
Der große Karrieresprung als Schriftsteller kam durch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Stanley Kubrick am Film 2001 – Odyssee im Weltraum (1968). Beide gewannen für das gemeinsam geschriebene Drehbuch eine Oskar-Nominierung, den anschließend herausgebrachten Roman schrieb Clarke allein. Stanley Kubrick würdigte Arthur C. Clarke in einem seiner seltenen Interviews und begründete seine Drehbuch-Kooperation folgendermaßen: „Er ist für mich der poetischste Science-Fiction-Schriftsteller, der wissenschaftlich informierteste, seine narrativen Ideen sind unglaublich. Er hält das hoffnungslose, aber bewundernswerte Streben der Menschen fest, nach etwas zu suchen, was sie nie erreichen können. Es gibt da ein Gefühl der Traurigkeit, des Verstreichens der Zeit, der Einsamkeit der Welten.“
Der heitere Mensch
In einer seiner Begegnungen mit Isaac Asimov, mit dem ihn eine ironische und sich gegenseitig anfeuernde Freundschaft verband, während einer Taxifahrt in New York, kam er zu dem Schluss, dass Asimov der bessere Wissenschaftler und er der bessere Schriftsteller sei.
Arthur C. Clarke war ein offensichtlich heiterer und witziger Mensch, der seinen Zeitgenossen und seinen Lesern große Sympathien und Unterstützung entgegenbrachte, wie von vielen Kollegen berichtet wird. So erinnert sich Ben Bova daran, wie er als Zwanzigjähriger im Jahre 1956 auf Clarke traf, der die Martin Aircraft Company besuchte, wo Bova als technischer Herausgeber arbeitete. Ben Bova begleitet Clarke über mehrere Tage und brachte ihn schließlich zum Flughafen, weil Clarke zurück nach Sri Lanka fliegen wollte. Bova gab am Flughafen einen Schuhkarton voll mit Manuskriptseiten an Clarke, bat ihn, diese zu lesen und ihm mitzuteilen „was daran falsch sei“. Clarke nahm die Bitte seines jungen Kollegen Ernst und förderte die Karriere von Ben Bova: „Dieser liebe Mann nahm den Schuhkarton mit in seine Heimat Ceylon (wie Sri Lanka damals hieß), las das Manuskript und schickte mir einen ausführlichen Brief, in dem er den Roman analysierte und mich so ermutigte, dass ich mit dem Schreiben weitermachte. Ich verdanke Arthur meine Karriere. Er war der gütigste aller Menschen.“
Vergleichbare Erinnerungen schildert Kim Stanley Robinson, den ich hier etwas ausführlicher zitieren darf: „Er war ein wirklich bemerkenswerter Mensch. Ich habe ihn nie persönlich getroffen, aber ich habe in den späten 1990er Jahren mehrmals mit ihm telefoniert. Er schrieb einen Klappentext für meinen ROTEN MARS, was sicher zu dessen Erfolg beitrug, und danach tauschten wir einige Briefe aus. Zweimal schrieb er für mich ein Empfehlungsschreiben für die National Science Foundation, als ich mich für das US Antarctic Artists and Writers‘ Program bewarb – meine Empfehlungsschreiben waren von ihm und von Asimov! Da er in Sri Lanka lebte, aber gerne mit anderen Schriftstellern sprach, begann er, mich anzurufen. Meistens sprachen wir über den Mars. Er schrieb ein Buch über den Mars mit dem Titel ‚Gardening On Olympus‘, ich glaube, es war ein Sachbuch, in dem es um Terraforming auf dem Mars ging, und so hatte er ein großes Interesse daran, und wir sprachen hauptsächlich darüber. Es war sehr angenehm. Eines Tages rief er mich an meinem Geburtstag an – ich glaube nicht, dass er wusste, dass ich Geburtstag hatte, aber es war ein sehr schöner Zufall. In einem Gespräch ging es um neue Informationen, die vom Mars-Orbiter mit guten Kameras geliefert worden waren, das war also um 1999. Er rief mich an und sagte nach der Begrüßung: Stan, hast du die neuen Fotos von der Klippe auf dem Olympus Mons gesehen, die du in deiner Geschichte ‚Grüner Mars‘ von deinen Bergsteigern erklimmen lässt? Ich gestand, dass ich sie gesehen hatte, und er lachte über meinen entsetzten Tonfall und neckte mich: Stan, du könntest mit deinem Fahrrad den Hang hinauffahren!!! Das waren genau seine Worte für diesen Satz. / Ich habe diese Geschichte im Dezember erzählt, als ich nach Washington DC geflogen bin, um den Arthur C. Clarke Award for Contributions to Society zu erhalten, der dort von der Clarke Foundation verliehen wird. Buzz Aldrin saß im Publikum, und ich konnte mich mit Buzz unterhalten, was ich schon einmal getan hatte, als wir beide im Vorstand der Mars Society saßen. Das war ein lustiger Abend, und ich wünschte, jemand würde meine Wikipedia-Seite bearbeiten und den Clarke-Preis hinzufügen – aber ich bin sicher, das wird eines Tages geschehen.“
Man kann viele von Clarkes witzigen Kurzgeschichten, die in einer sehr britischen Tradition stehen, in seinem Buch Geschichten aus dem Weißen Hirschen (1984) nachlesen. Seine Leser hatten offenbar manchmal selbst Humor, wenn sie ihm persönlich begegneten, wie Gregory Benford sich erinnert: „Später erzählte Clarke gern, wie er in die Vereinigten Staaten einreiste, als ein Beamter der Einwanderungsbehörde seinen Pass kontrollierte und sagte: „Ich lasse Sie erst einreisen, wenn Sie mir das Ende von 2001 erklären.“
Der Weltbürger
Die World Science Fiction Convention des Jahres 1956 fand im September im Biltmore Hotel in New York City, USA, statt. Clarke war als erster Nicht-Amerikaner als Ehrengast eingeladen worden, ausgewählt durch den Chairman und Organisator, David Kyle. Dieser sorgte auch dafür, dass die folgende World Science Fiction Convention im Jahre 1957 in London, UK, stattfand. Nach der Convention in New York begab sich Arthur C. Clarke auf eine Lesereise durch die USA, die ihn für den Rest des Jahres 1956 und bis Februar 1957 zu zwei Dutzend Vorträgen in dreizehn Staaten der USA führte, bevor er nach New York in sein geliebtes Hotel Chelsea in Manhattan zurückkehrte, dem Rückzugsort vieler berühmter Schriftsteller wie Dylan Thomas, Mark Twain, Arthur Miller und vielen anderen.
Im Januar und Februar 1957 reiste Clarke mit dem Zug nach Vancouver, Canada, und Washington, USA, genoss das Reisen in den amerikanischen Zügen und die freie Zeit zum Lesen. Nun begannen seine intensiven Reisen, die ihn Ende der 1950er Jahre und insbesondere in den 1960er Jahren regelmäßig zwischen New York, London und Colombo pendeln ließen. Am 4. Oktober 1957, als der sowjetische Sputnik das Raumfahrtzeitalter einläutete, nahm Clarke an der International Astronautical Federation Konferenz in Barcelona, Spanien, teil. Von nun an war er gern gesehener Gast bei der NASA und den großen Fernsehstudios in Amerika, bis zum August 1971, als er im CBS-Studio mit Walter Croncite und Wally Schirra die Mondlandung von Apollo-15 kommentierte. Die Beziehungen von Clarke gingen weitläufig sogar bis zu Wissenschaftlern in der UdSSR, wo er im Juni 1982 in Star City, UdSSR, den namensgebenden Wissenschaftler für das Raumschiff in „2001“ traf, Alexei Leonov (1934-2019).
Arthur C. Clarke ist bereits in den 1950er Jahren zu einem Weltbürger geworden, nicht nur durch seine regelmäßigen Reisen zwischen Europa, Amerika und Süd-Ost-Asien, sondern vor allem durch die Verlegung seines Lebensmittelpunkts von England nach Colombo, Sri Lanka. Damit wird Clarke zu einem wahrhaftigen Weltbürger und ist in der Lage, Erzählperspektiven aus verschiedenen kulturellen Kontexten einzunehmen und literarisch zu verdichten. Er ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Schriftstellern seiner Zeit, von denen die meisten in ihrer heimatlichen Kultur eingeordnet bleiben, abgesehen von einigen Großen der Literatur wie beispielsweise Ernest Hemingway, George Orwell oder James Graham Ballard, die in verschiedenen Kulturen zuhause sind.
Im Jahre 1956 zog Arthur C. Clarke nach Ceylon, dem heutigen Sri Lanka. Er hatte ein großes Interesse an der Unterwasserforschung entwickelt und tauchte an den Küsten des Landes und am Great Barrier Reef in Australien. Zuerst lebte Clarke in dem Küstendorf Unawatuna und später in der Hauptstadt Colombo. Nach den Gründen für die Umsiedlung nach Südost-Asien gefragt, antwortete er mehrmals: „Because of thirty British winters“, was wohl nur ein Teil der Wahrheit ist, denn Clarkes Homosexualität drängte ihn zum Umzug in ein freizügigeres Land als England. Aus heutiger Sicht sind beide Beweggründe von Arthur C. Clarke zum Umzug nach Sri Lanka gut nachzuvollziehen und haben ihm obendrein eine interkulturelle Weitsicht beschert, die seinen Erzählungen zugutegekommen ist.
Die großen Erzählungen
Ich halte Arthur C. Clarke für einen sehr visionären Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts, dessen besonderes Verdienst es ist, Schilderungen der naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse und Entdeckungen zur Entwicklung der Raumfahrt des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer sehr britischen literarischen Tradition des fantasievollen Erzählens zusammenzubringen und dadurch das literarische Genre der Science-Fiction enorm bereichert und stark geprägt hat. Arthur C. Clarke ist sicherlich der Science-Fiction Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts, der viele Akteure des Raumfahrtprogramms der NASA in den sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts beeinflusst hat wie kein anderer und dessen Erzählungen viele junge Menschen für das Thema Raumfahrt begeistert haben. Die Wirkungen der Werke von Arthur C. Clarke liegen zwischen Realität und Vision des menschlichen Daseins auf der Suche nach einer Existenz außerhalb des Planeten Erde und sind ausgezeichnete Science-Fiction im besten Sinne: Als Verbindung eines realitätsnahen naturwissenschaftlichen Weltbildes mit sehr fantasievollen Ausflügen in andere Welten, die noch kein Mensch zuvor gesehen hat und vielleicht auch niemals sehen wird.
Arthur C. Clarke als Schriftsteller ist noch immer bekannt und seine Romane verkaufen sich gut. Seine Arbeiten als Naturwissenschaftler und Ingenieur, vor allem seine Beiträge zur Förderung der Erforschung des Weltraums und zur bemannten Raumfahrt, sind dagegen fast vergessen und mit dem Verschwinden der Bedeutung des NASA in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu untergegangen. Sie sind allerdings für die öffentliche Anerkennung der Raumfahrt in den fünfziger und sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, vor allem für die Landung der Apollo-Astronauten auf dem Mond, von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen. Die wissenschaftlich geprägten Arbeiten wirken sich auf die Arbeit des Schriftstellers Arthur C. Clarke maßgeblich aus und befruchten sich gegenseitig, insbesondere die Bedeutung des Fahrstuhls zu den Sternen in „The Fountains of Paradise“ (1979), die Zyklen „2001“ bis „3001“ sowie der „Rama-Zyklus“ und die Rolle der Außerirdischen in „Childhood´s End“ (1953). Während der frühe Clarke als Promotor der Raumfahrt fast vergessen ist, regt der Schriftsteller heute noch seine Schüler zu eigenen Werken an, wie beispielsweise den chinesischen Bestseller-Autor Cixin Liu, der sich explizit auf Clarke beruft.
Das naturwissenschaftlich-technische Narrativ
Arthur C. Clarke hat die Einflüsse der neuesten Erkenntnisse der Weltraumforschung auf seine schriftstellerischen Arbeiten am intensivsten im Nachwort zu dem Roman „3001-The Final Odyssey“ (1997) beschrieben. Dort erwähnt er alle Raumfahrt-Missionen der NASA und alle neuen Erkenntnisse von Forschung und Technologie, die sich in verschiedenen Erzählstrukturen seiner Romane wiederfinden. Eine erste Erprobung einer Art von Fahrstuhl in den Weltraum habe im August 1992 die Besatzung des Space-Shuttles „Atlantis“ unternommen, als sie den Versuch unternahmen, ein Stück Frachtgut an einem 21 Kilometer langen Seil von dem Shuttle aus zu bringen und wieder einzuholen. Problem war seinerzeit, das Seil wieder einzuholen, denn der Mechanismus blockierte nach wenigen hundert Metern. Selbst dieses technische Problem ist ähnlich bei Clarke in vielen seiner frühen Werke als Havarie beschrieben worden. Danach sei mit der Entdeckung der besonders harten und flexiblen dritten Form des Kohlenstoffs (nach amorphem Kohlenstoff und Diamant), der Buckminster-Fullerene (C60), das Baumaterial für den Fahrstuhl in greifbare Nähe gerückt.
Hier einige weitere technische Innovationen, die von Clarke in seinen Romanen vorgeschlagen worden sind: Im Jahre 1951 entwarf Clarke eine freischwebende Ringbrücke um den Erdäquator herum, in dem Roman 3001 „Star City“ genannt. Diese Konstruktion sollte die Reise zu den Planeten vereinfachen, weil Raumschiffe aus Gründen der Einsparung von Material und Energie nicht mehr von der Erdoberfläche starten und landen müssten. Arthur C. Clarke hatte bereits in seinem Buch The City and the Stars (1956) sowie ausführlicher in 3001-The Final Odyssey (1997) ein Informations- und Speichersystem für das menschliche Bewusstsein mit der Kapazität von einem Petabyte beschrieben, mit dem der Mensch in einen körperlosen Bewusstseinszustand als ewig Lebender versetzt werden könne. Das von Clarke in den Büchern Rendezvous with Rama (1973 und The Hammer of God (1993) vorgestellte Projekt Spaceguard zur Abwehr von Asteroiden, die auf die Erde abzustürzen drohen, ist bei der NASA und bei der ESA zu einem seriösen Umsetzungsprojekt gediehen.
Als die Drehbucharbeiten zu 2001 am Anfang des Jahres 1964 begannen, war die Mondlandung psychologisch gesehen immer noch ein Traum der fernen Zukunft, wie Clarke in seinem Buch The Lost Worlds of 2001 (1972, deutsch: 2001 – Aufbruch zu verlorenen Welten, 1983) schreibt. Es war erst elf Monate her, dass mit Gordon Cooper in Mercury 9 am 15. Mai 1963 der erste amerikanische Astronaut im Weltraum gewesen war. Der erste Gemini-Flug mit zwei Mann Besatzung, mit Virgil „Gus“ Grissom und John Young, sollte erst ein Jahr später stattfinden. Am 23. März 1965 hob eine Titan-II Rakete mit Gemini 3 ab für Experimente zu Andock-, Rendezvous- und Wendemanövern im Weltall. Die Wissenschaftler wussten noch nichts über die Beschaffenheit der Mondoberfläche und stritten darüber, ob man im Mondstaub versinken könne, wie es Clarke in seinem Roman A Fall of Moondust (1961) beschrieben hatte. Kubricks Film 2001 – A Space Odyssey musste also alles imaginieren, was Wissenschaftler noch nicht wussten. Dafür stand ein Gesamt-Budget von zehn Millionen US-Dollar zur Verfügung, eine Summe, die, wie Clarke süffisant bemerkt, von der NASA an einem Tag ausgegeben würde.
Während der Produktion des Films 2001 fand das erste Rendezvous-Manöver im Weltraum statt, mit Gemini VI und Gemini VII, die Sonde „Luna“ landete auf dem Mond im Meer der Stürme und die Wissenschaftler sahen die ersten Nahaufnahmen des Mondbodens. Apollo 8 umrundete den Mond am 27. Dezember 1968, die Astronauten brachten das ikonische Bild der aufgehenden Erde mit, das unser Bild von der Verletzlichkeit und Schönheit des Planeten Erde prägte. Die erste Landung von Menschen auf dem Mond fand mit der Besatzung von Apollo 11 am 16. Juli 1969 statt. Die Premiere des Films 2001 hatte drei Monate davor stattgefunden, am 2. April 1968 im Uptown Theater in Washington D.C, USA. Die fiktionalen Ideen des besten Science-Fiction Films aller Zeiten, wie viele Kritiker meinen, waren der Wirklichkeit des Weltraumflugs der Menschheit im aufregenden Jahr 1968 weit voraus gewesen. Seine visionäre Kraft hat der Film bis heute ohne realitätsbedingte Kratzer erhalten.
Die in 3001-The Final Odyssey (1997) beschriebene Stadt „Ganymed City“ musste Clarke völlig imaginieren, denn es gab keine Bilder, als er den Roman schrieb. Clarke schreibt, dass er erst am 11. Juli 1996, zwei Tage vor der Vollendung seines Buches, Fotos vom JPL von der Sonde Galileo erhalten habe. Diese würden seiner Fiktion nicht widersprechen und er hoffe, dass später nicht noch andere Fotos von dort mit der Aufschrift „Yankees Go Home“ auftauchen würden.
Im Roman Odyssey 2010 (1982) hat Clarke ein chinesisches Raumschiff auf dem Jupitermond Europa landen lassen. Damals gab es noch kein Weltraumprogramm Chinas, aber im Jahre 2019 waren die Chinesen die ersten, die ein automatisiertes Raumschiff auf der dunklen Seite des Mondes landen ließen.
Der Protagonist aus 3001-The Final Odyssey“ (1997), Frank Poole, bekämpft den Monolithen, der die Menschheit vernichten soll, mit einem Computervirus, einem sogenannten Trojanischen Pferd. Clarke erwähnt in dem zitierten Nachwort, dass die Außerirdischen in Roland Emmerichs Film Independence Day (1996) ebenfalls mit einem Computervirus erfolgreich bekämpft würden. Außerdem erwähnt er, etwas verstimmt, dass Roland Emmerich die Eingangsszene von seinem Roman Childhood´s End (1953) kopiert habe.
Clarke erwähnt, dass er es noch beim Erscheinen von 3001-The Final Odyssey (1997) es kaum fassen könne, dass der Regisseur Peter Hyams bei der Verfilmung von Odyssey 2010 tatsächlich reale Nahaufnahmen der Jupitermonde zur Verfügung gehabt habe.
Der dritte Band der Space-Odyssee Odyssee III, spielt im Jahre 2016 zur Rückkehr des Halley´schen Kometen. Clarke entwickelt eine Forschungsmission zum Halley´schen Kometen als Narrativ des Romans, also eine Art wissenschaftliche Mission zu einem regelmäßig wiederkehrenden Naturschauspiel in unserem Sonnensystem.
Zeitlose Ideen
Die Erzählungen von Arthur C. Clarke beginnen auf recht nüchterne Weise in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mit naturwissenschaftlich-mathematischen Auseinandersetzungen der Probleme der beginnenden Raumfahrt. Man merkt seinen ersten Schriften an, wie sich der junge Clarke in den 1940er Jahren zunächst als Fachbuch-Autor für Raumfahrt-Wissenschaften in die Wissenschaftsgemeinschaft einführt, dann als Sachbuch-Autor die beginnende Raumfahrt popularisieren hilft und damit seinen Ruhm begründet und wie er in den 1950er Jahren die ersten visionären Romane schreibt, die seinen Weltruhm als Schriftsteller begründen. In den 1960er Jahren kommt der große Durchbruch als Ideen-Lieferant und Drehbuch-Schreiber für 2001 gemeinsam mit Stanley Kubrick. Dadurch erhält Clarke die Chance, die Raketenkonstrukteure um Wernher von Braun bei der NASA zu treffen und in seiner Bekanntheit als Visionär im CBS-Fernsehstudio mit Walter Cronkite die Apollo-Missionen kommentieren zu dürfen. 2001 (1968) ist sein weltweit anerkannter und größter Science-Fiction Megaseller, gefolgt von Rendezvous with Rama (1973), das Buch, das alle wichtigen Science-Fiction Preise abräumt. Damit ist Clarke als Grandmaster des Science-Fiction Genres etabliert.
Seine Erzählungen seit den 1950er Jahren beginnen zunächst in unserem eigenen Sonnensystem und schildern auf wissenschaftlich genaue Weise das Abenteuer der Erforschung des Weltalls. Bald kommen quasi-religiöse Offenbarungen und philosophisch tiefgründige Aussagen über die Rolle der Menschheit in der Zukunft und ihre Suche nach dem Sinn des Lebens und ihre Suche nach Außerirdischen oder nach Gott hinzu. Clarke hat seine Erzählungen immer mit Essays und Texten zur wissenschaftlichen Fundierung seiner Visionen untermauert, also selbst eine breite Diskussion angeregt, ermöglicht und sich ihr gestellt, in sehr kommunikativen Auseinandersetzungen mit Kollegen, Freunden und Gegnern. Seine großen Werke ab den 1980er Jahren gehen in Raum und Zeit weit über das Naheliegende des frühen Weltraumzeitalters hinaus und eröffnen neue Horizonte jenseits des Möglichen und Vorstellbaren.
Die größte Schwäche von Arthur C. Clarke ist wahrscheinlich gleichzeitig seine größte Stärke, nämlich seine Zusammenarbeit mit anderen Schriftstellern. Was manchmal als PR-Maßnahme seiner Verlage aussieht, ihn auf Buchtiteln als Autor mit zu nennen, wo er „nur“ Ideen liefert, könnte im Nachhinein betrachtet, sein wichtigster Nachlass sein, nämlich die Tatsache, dass er viele andere Wissenschaftler, Denker und Schriftsteller angeregt und ermutigt hat, ihre eigenen Ideen und Visionen zu formulieren und zu veröffentlichen und ihnen durch seine Popularität bei der Verbreitung geholfen hat.
Arthur C. Clarke hat die Ideengeschichte der Menschheit des zwanzigsten Jahrhunderts bereichert und zu einem humanen und gerechten Verständnis von uns selbst und unseren Sichtweisen auf den Sinn des Lebens im 21. Jahrhundert beigetragen, hier auf dem Heimatplaneten und insbesondere darauf bezogen, was unsere Möglichkeiten zur Erforschung und Besiedlung unseres Sonnensystems angeht. In dem Gespräch mit Gentry Lee (abgedruckt in: Rick Barba, Rama – The Official Strategy Guide, 1996) fragt Lee sein Vorbild Clarke: „Einige Menschen haben mich gefragt: Warum sollten Menschen zum Mars fliegen? Wir haben diesen Planeten versaut, alles was wir tun werden, ist, einen anderen Planeten zu versauen!“ Clarke antwortete: „Natürlich, warum solltest du nicht antworten: Nun, gerade weil wir diesen Planeten versaut haben, müssen wir zum Mars fliegen.“
Clarke weist außerdem auf das Ereignis hin, als der Komet Shoemaker-Levy mit großer Energie auf dem Jupiter einschlug und zitiert seinen Freund Larry Niven, der gesagt habe: „Der Grund, warum die Dinosaurier ausgestorben sind, liegt darin, dass sie kein Raumfahrtprogramm hatten.“
Drei Wünsche für die Menschheit
An seinem 90. Geburtstag im Dezember 2007 formulierte Arthur C. Clarke in seiner Videobotschaft drei Wünsche: „Zuerst würde ich gern einen Nachweis für außerirdisches Leben sehen. Ich habe immer geglaubt, dass wir nicht allein im Universum sind. Aber wir warten immer noch darauf, dass ET uns anruft – oder uns irgendein Zeichen gibt. Wir haben keine Möglichkeit zu raten, wann dies passieren wird – Ich hoffe, eher früher als später. / Zum zweiten würde ich gern sehen, dass wir unsere gegenwärtige Abhängigkeit vom Erdöl aufgeben und saubere Energiequellen erschließen. Der Klimawandel hat dazu eine neue Form von Dringlichkeit hinzugefügt. Unsere Zivilisation ist von Energie abhängig, aber wir können Erdöl und Kohle nicht erlauben, unseren Planeten langsam zu verbrennen. Der dritte Wunsch betrifft die nähere Heimat. Ich lebe seit fünfzig Jahren auf Sri Lanka und die Hälfte dieser Zeit bin ich ein trauriger Zeuge des bitteren Konflikts, der mein adoptiertes Heimatland zerreißt. Mein inniger Wunsch ist es, so bald wie möglich einen andauernden Frieden auf Sri Lanka zu sehen.“
Arthur C. Clarke war der große Förderer der frühen Weltraumwissenschaften und der Weltraumerkundung durch seine Erzählungen und Visionen und hat uns auf das Unbekannte einer Begegnung mit Außerirdischen vorbereitet. Obwohl er sein Leben lang ein ausgeprägter Optimist war, bleibt auch sein Witz erhalten, seine Ironie und seine scharfe Zunge mit mehrdeutigen Bonmots. Ich möchte deshalb schließen mit der Lieblingsfrage von Arthur C. Clarke: „Gibt es intelligentes Leben auf der Erde?“
Das bliebe abzuwarten!
Fritz Heidorn, Oldenburg
(Anmerkungen: Die in diesem Porträt vorgestellten Texte, wissenschaftlichen Arbeiten und Erzählungen von Arthur C. Clarke werden ausführlicher dargestellt in dem Buch: Fritz Heidorn: Arthur C. Clarke – Jenseits des Möglichen (2019). Verlag Dieter von Reeken, Lüneburg. Erstveröffentlichung des Porträts im Juni 2024, Internetzugriffe zuletzt am 5. Juni 2024. Alle Bilder einschließlich des Titelbilds wurden von Fritz Heidorn zur Verfügung gestellt. Das Titelbild ist ein Ausschnitt aus dem Cover von Clarkes Roman The Snows of Olympus.)