Archäologie der Zukunft

Ein Porträt des Erzählers Jack McDevitt

„Die einfache Wahrheit ist, dass der Planet zu klein geworden ist. Nicht für unsere Bevölkerung, sondern für unsere Träume. Wir haben eine Verabredung mit den Sternen.“ (Jack McDevitt, Moonfall, 1998)

Der Autor Jack McDevitt schrieb schon in jungen Jahren, entdeckte jedoch erst im Alter von 45 Jahren, als Sechzigjähriger, sein Talent. Er hatte zwar schon als Neunzehnjähriger im Jahre 1954 an einem „Freshman Short Story Contest“ des LaSalle Colleges teilgenommen und diesen sogar mit der Story „A Pound of Cure“ gewonnen, war jedoch nachdem er „David Copperfield“ gelesen hatte der Meinung, dass sein Talent angesichts der Werke eines großen Schriftstellers wie Charles Dickens nicht bestehen könne. In den nächsten 25 Jahren schrieb er keine Fiction mehr.

McDevitt wurde in 1935 in Philadelphia geboren. Er studierte am La Salle College, schloss im Jahre 1957 mit einem BA ab. Er setzte sein Studium an der Wesleyan University fort, wo er im Jahre 1971 den Master für Literatur erwarb. Jack McDevitt wollte Journalist werden und bewarb sich beim „Philadelphia Inquirer“ und bei der „Washington Post“, wurde aber nicht eingestellt. Deshalb begann er eine wechselhafte Berufslaufbahn als Taxifahrer, Motivationstrainer, Soldat, Zollbeamter und Lehrer. Er unterrichtete von 1963 bis 1973 Englisch, Geschichte und Theater. Von 1973 bis zum Eintritt ins Pensionsalter im Jahre 1995 arbeitete er für das US Customs Department, die amerikanische Zollbehörde.

Erst im Alter von fünfundvierzig Jahren begann Jack McDevitt auf Anregung seiner Frau Maureen zu schreiben und widmete sich nach seiner Pensionierung im Jahre 1995, also im Alter von sechzig Jahren, professionell dem Verfassen von Kurzgeschichten und Romanen. Er erinnert sich noch im 90sten Lebensjahr im August 2025 in einer E-Mail an mich, dass es seine Frau Maureen war, die ihm mehr zutraute als er sich selbst: „Maureen hat mich überzeugt, dass ich schlauer bin, als ich dachte.“ Seine erste veröffentlichte Kurzgeschichte „The Emerson Effect“ erschien 1981 in „Twilight Zone“, für seinen ersten Roman „The Hercules Text“ aus dem Jahr 1986 erhielt er den Locus Award für das beste Romandebut . Im Jahre 2015 erhielt Jack McDevitt den Robert A. Heinlein Award für ein Lebenswerk von damals 21 Romanen und mehr als 80 Kurzgeschichten. Bekannt wurde Jack McDevitt vor allem mit zwei Romanserien, der Academy-Serie um die Pilotin Priscilla Hutchins und der Alex Benedict-Serie, die aus der Sicht der Geschäftspartnerin und Pilotin Chase Kolpath erzählt wird.

„Imaginäre Erfahrungen“

Jack McDevitt hat eine Vorliebe für weibliche Protagonistinnen. Diese kommt aus seinen Erfahrungen mit Teambuilding-Fortbildungen, die er beim amerikanischen Zoll durchführte. Er berichtet in dem Interview mit Thomas Harbach für die Zeitschrift „phantastisch!“ im Jahre 2004 (abgedruckt in: Jack McDevitt, Outbound, 2006), dass bei den fiktiven Überlebenstrainings von Gruppen bei einem Flugzeugabsturz in der Wüste nur die rein weiblichen Besetzungen überlebt hätten. Die gemischten Gruppen starben, weil die Männer das Kommando an sich rissen und das Überleben an ihrer Überheblichkeit scheiterte.

In dem Interview mit Thomas Harbach erzählt Jack McDevitt, der schwierigste Teil beim Schreiben sei für ihn, eine gute Idee zu finden, die die Erzählung trägt. Wenn er dann eine Lösung für das Problem oder das Rätsel gefunden habe, sei das Schreiben einfach. Die Kurzgeschichte sei für ihn die beste Form für Science Fiction, aber die Leserinnen und Leser verlangten nach Romanen, weil sie mehr Zeit mit den Charakteren und der Handlung verbringen wollten.

Science Fiction ist für Jack McDevitt, wie er in dem Essay „Science Fiction: An Eye On Tomorrow in Outbound“ (2006) schreibt, keine Erzählung über Wissenschaft, sondern eine Erzählung über Menschen, die dem Unbekannten begegnen und sich mit den Konsequenzen neuer Erkenntnisse auseinandersetzen müssten. Science Fiction habe mit dem „Vielleicht“ und dem „Was wäre, wenn?“ zu tun. „Literatur soll es uns ermöglichen, imaginäre Erfahrungen zu durchleben.“ Science Fiction handele von „Veränderungen“ – und es sei deshalb kein Zufall, dass der erste Kuss zwischen einer schwarzen Frau und einem weißen Mann im amerikanischen Fernsehen in einer Science-Fiction-Serie stattgefunden habe: In der Star-Trek-Episode „Plato’s Stepchildren“ aus dem Jahre 1968 küssen sich Uhura (Nichelle Nichols) und Captain Kirk (William Shatner).

Die literarischen Möglichkeiten der neuen Raumfahrtvisionen im 21. Jahrhundert finden sich im Vorwort von Jack McDevitt für das Buch und die Kurzgeschichte „Melville auf Iapetus“ (1983, deutsche Übersetzung 2012). Er schreibt über das Ende der Raumfahrt und skizziert völlig neue Möglichkeiten durch das unerwartete Auftauchen eines von Außerirdischen geschaffenen Kunstwerks auf dem Saturnmond Iapetus. Die Erzählung beginnt wie folgt: „Gegen Mitte des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts war die Ära der bemannten Raumfahrt längst vorbei. (…) Dann erlebte die Welt einen Schock, als eine automatische Sonde Bilder vom Saturnmond Iapetus zurückschickte. Die Fotos zeigten ein eindeutig nichtmenschliches Geschöpf, das auf zwei Beinen stand und in Richtung des beringten Planeten blickte, welcher aufgrund der gebundenen Rotation dauerhaft knapp über einer Hügellinie am Himmel stand. / Das Ding war aus Stein geschnitten und mit Eis überzogen. Gleichmütig stand es auf jener öden, schneebedeckten Ebene – eine Albtraumgestalt mit gekrümmten Klauen, surrealen Augen und schlankem, geschmeidigem Körperbau. Die Lippen waren geöffnet, gewölbt, nahezu lasziv. Ich war nicht sicher, warum es so beunruhigend war. Es lag an mehr als nur den Krallen oder den unverhältnismäßig langen unteren Gliedmaßen. Es war sogar mehr als die Andeutung philosophischer Wildheit, die in den kristallinen Gesichtszügen festgehalten war. Es barg etwas Furchterregendes – gefangen in der Spannung zwischen der vielsagenden Geometrie und der weiten Ebene, auf der es stand. / Das Bildnis auf der Ebene ist furchterregend, ja. Doch nicht, weil es Klauen und Schwingen oder mitleidlose Augen hat. Sondern weil es allein ist.“

In dieser Kurzgeschichte ist alles enthalten, was die literarische Qualität des Ausnahme-Science-Fiction Schriftstellers Jack McDevitt auszeichnet. McDevitt zeichnet sich vor allem durch zwei Eigenheiten aus, die ihn von den anderen Autoren des Genres unterscheiden. Er beschreibt kunstvoll die menschlichen Seiten der handelnden Protagonistinnen, vor allem von Priscilla Hutchins, Chase Kolpath und Alex Benedict, die für die Leserinnen und Leser fast schon zu Familienmitgliedern werden und die sie mit auf Reisen in das Unbekannte nehmen. Die Protagonisten seiner Erzählungen ermöglichen es uns, eine Verbindung von der Gegenwart bis in weit entfernte Zukünfte der Menschheit zu ziehen und zu verstehen, was uns dort erwarten könnte – obgleich das Wesen der Menschen gleichbleiben wird, wie Jack McDevitt in einem Essay betont. Die Umstände einer Zukunft in Zeit und Raum ändern sich, der Mensch selbst aber nicht. Verbindungsglieder seiner Erzählungen sind oft Diskussionsforen wie Fernsehshows oder Vereinstreffen, die in der Gegenwart und in der Zukunft ziemlich gleich aussehen. Dies ist ein kleiner literarischer Trick, der uns eine Brücke in die Zukunft baut. Die zweite Eigenheit der Erzählungen von Jack McDevitt ist die Form der historischen oder archäologischen Science Fiction, bei der Rätsel oder Probleme beschrieben werden, die gelöst werden müssen, und zwar in einer Rückschau aus der Handlungsebene der Protagonisten in der Zukunft zurück in ihre Vergangenheit, die für uns die Zukunft ist.

Das Zusammenspiel von Physik und Archäologie

Die Absonderlichkeiten des Universums sind nicht nur in der Wissenschaft beschrieben worden, sondern wurden auch von vielen Autorinnen und Autoren in ihren fiktiven Erzählungen benutzt, so von Jack McDevitt in seiner Kurzgeschichte „Melville auf Iapetus“: „Das Universum sollte eigentlich gar nicht existieren. Um zu funktionieren, zusammenzuhalten, braucht es eine ganze Reihe von Absurditäten: Vierdimensionalen Raum, gekrümmten Raum, relative Zeit, die Gravitationskonfigurationen müssen exakt stimmen – wären sie etwas stärker, würden die Sterne zu schnell kollabieren, etwas schwächer und sie würden sich gar nicht erst bilden. Ich weiß, all das hört sich nach einer Hintertür zur Theologie an und vielleicht ist es das auch, aber ich glaube, jede wirklich fortschrittliche Rasse würde sich dem Thema gegenüber zumindest einen offenen Geist bewahren. (…) Die Sterne waren hart und kalt und die Räume zwischen ihnen lasteten auf mir, wie sie auf ihr gelastet haben mussten. Saturn schwebte über der Ebene, seine Ringe leuchtstark und großartig. Einige andere Monde waren am Himmel verteilt. Es fiel mir ein, dass der Planet sich nicht von der Stelle gerührt hatte, seit sie hier gestanden hatte, vor wie langer Zeit? (…) Das Universum ist ein gefährlicher, kalter Ort für alles, was denkt.“

Diese Zitate aus Kurzgeschichten von Jack McDevitt zeigen ihn als Meister sprachlicher Schönheit über Zustände im Universum, die für uns Menschen eigentlich unfassbar sind und die von Dunkelheit, Leere, Kälte, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit triefen. Darin, im unendlichen All, findet Jack McDevitt Momente menschlicher Souveränität, Solidarität und Freundschaft. In der Unfassbarkeit des Kosmos tauchen winzige Inseln des Menschlichen auf, die der Autor in Form von Sprache für seine Leserinnen und Leser ausbreitet. Jack McDevitt ist ein Meister der Poesie in der Suche des Menschen nach sich selbst im Universum.

Jack McDevitt hat eine eigene Thematik und ein eigenes narratives Konzept entwickelt und zur literarischen Perfektion ausgearbeitet, die „archäologische Science-Fiction“, wie sie Martin L. Shoemaker in seinem Vorwort zum Buch von Jack McDevitt „A Voice in the Night“ (2018) unter der Überschrift „Jack McDevitt, History Builder“ charakterisiert. Shoemaker schreibt im Vorwort zu dieser umfangreichen und farbigen Kurzgeschichtensammlung von Jack McDevitt über ihn als „Weltenbauer“, der nicht einfache Welten baut, sondern „Historien“ konstruiert, also Betrachtungen komplexer Vergangenheitsbeziehungen entwirft, in denen die Protagonisten seiner Erzählungen verworrenen Handlungsmustern unterworfen sind, die sie große und kleine menschliche Probleme erleben, aushalten und bewältigen lassen. Es geht dabei oft um die Untersuchung von alten, untergegangenen Zivilisationen der Vergangenheit aus der Erzählerperspektive, die in unserer Zukunft liegen.

Archäologische Science Fiction spielt mit Gedankenexperimenten der menschlichen Zukunft, die durch einen literarischen Kniff in die Vergangenheit der Erzählerin gelegt werden, beispielsweise von Chase Kolpath, der Pilotin aus der Alex-Benedict-Reihe. Alex Benedict und Chase Kolpath untersuchen oft Fragen nach dem Scheitern dieser historischen Zivilisationen im Licht der Unzulänglichkeiten ihrer gegenwärtigen menschlichen Zukunft zehntausend Jahre nach unserer Zeit.

Im Roman „Firebird“ (2011) spricht Chase Kolpath über die Zusammenarbeit mit Alex Benedict in ihrem Unternehmen Rainbow Enterprises: „Alles ist vergänglich, so sagte er gern. Darum war Rainbow so erfolgreich, weil die Leute immer wieder versuchen, ein Stück Vergangenheit zurückzuholen. Sich daran festzuhalten, so gut sie nur können.“

Zu den Sternen

Jack McDevitt schrieb wunderbar spannende und ironische Kurzgeschichten, die nach der Meinung von Charles Sheffield dazu geeignet seien, „die eigenen Interessen und Obsessionen eines Autors zu verraten.“ Sheffield schreibt in der Einführung zur Kurzgeschichtensammlung „Übersetzung aus dem Kolosianischen“ (2009, deutsche Fassung von „Standard Candles“, 1996), dass Jack McDevitt über die Fähigkeit verfüge, „richtige Menschen zu schaffen“ und lobt die Erzählweise des Autors: „Die emotionale Reise wird an manchen Stellen etwas rau. Allerdings können Sie sich selbst an den holprigsten Stellen des Ritts entspannen. Sie sind in sicherer Hand. Um nichts auf der Welt würde Jack McDevitt Sie im Stich lassen.“

Ein gutes Beispiel für die Erzählkunst von Jack McDevitt in der kurzen Form und von Charles Sheffield als „ultimative Rechtfertigung für Science-Fiction-Leser“ bezeichnet bietet die Story „Zur Hölle mit den Sternen“ eine amüsante, philosophisch hintergründige und ironische Erzählung, in der ein Junge am Heiligabend in einer weiten Zukunft mit seinem Vater über den Sinn der Raumfahrt zu den Sternen streitet und die alten Geschichten der Science-Fiction-Schriftsteller erwähnt. Von diesen hält sein Vater überhaupt nichts, weil die Menschen genug Platz im Sonnensystem hätten und sie die Sterne niemals erreichen würden. Der Junge aber beharrt darauf, dass es irgendwann einmal einen Weg zu den Sternen geben kann: „Der uralte Ruf hallte über den Welten wider – substanzlos, verlockend, unwiderstehlich. Die alten Träumer waren, wieder einmal, unterwegs zu den Sternen.“

Jack McDevitt hat mit dem NASA-Wissenschaftler Les Johnson, Chef-Technologe am NASA George C. Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, ein Sachbuch über Fiktionen und technische Möglichkeiten geschrieben, die Sterne zu erreichen – und zwar ausschließlich basierend auf den gegenwärtigen Erkenntnissen darüber, wie das Universum funktioniert. Also ohne Schneller-als-Licht-Technologien, Hyperraumsprünge oder Wurmlochverbindungen in ein anderes Universum: Les Johnson and Jack McDevitt, „Going Interstellar“ (2012).

Der Grund für solche Reisen zu den Sternen liegt nach der Meinung der Herausgeber in der Tatsache begründet, dass die Menschheit der Gegenwart der Erde auf einem Pulverfass sitzt: „Wir haben daher ein starkes Argument dafür, einen Teil von uns in den Weltraum und aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu bringen. Wenn wir uns die Geschichte und die aktuellen Ereignisse in der Welt ansehen, wissen wir, dass der Verlauf der Ereignisse völlig unvorhersehbar und potenziell tödlich ist. Wohin gehen wir also? Und wie kommen wir dorthin?“

Ad Astra! Zu den Sternen!

Übrigens: Les Johnson hat das letzte Romanfragment von Ben Bova zu dem gemeinsamen Roman „Pluto“ verarbeitet: Wissenschaft und Fiktion Hand in Hand!

Alex Benedict und Chase Kolpath

Die Serie um die Archäologin Alex Benedict und die Pilotin Chase Kolpath zehntausend Jahre in der Zukunft spielend, besteht aus diesen Romanen, die jeweils abgeschlossene Werke sind (die jeweils zweite Jahreszahl nennt das Erscheinungsjahr der deutschen Übersetzung).

  • A Talent for War (1989, Die Legende von Christopher Sims, 1990)
  • Polaris (2004, Polaris, 2006)
  • Seeker (2005, Die Suche, 2008)
  • The Devil´s Eye (2008, Das Auge des Teufels, 2009)
  • Echo (2010, Echo 2011)
  • Firebird (2011, Firebird, 2012)
  • Coming Home (2014, Apollo, 2016)
  • Village in the Sky (2023, keine deutsche Übersetzung)

Die Erzählungen gehen von einem Rätsel aus, das im Laufe verschlungener Pfade ausgebreitet und gelöst wird. Man findet archäologische oder kriminaltechnische Techniken, die der Autor in seine Erzählungen einarbeitet, ebenso wie philosophische und wissenschaftliche Erkenntnisprozesse, die in die Erzählungen handlungsleitend eingearbeitet sind. Dazu bietet der Autor spannende Abläufe, interessante Persönlichkeitsmerkmale seiner Probanden und überraschende Wendungen im Erzählfluss. Dies ist Science Fiction von besonderer Güte und literarischer Qualität.

Ein beispielhaftes Meisterwerk ist nach meiner Meinung der Roman „Firebird“ (2011) aus der Alex-Benedict-Serie. Dieser Roman darf als exemplarisch für Plots und Erzählweisen von Jack McDevitt gelesen werden, wird daher im Folgenden auch etwas ausführlicher beschrieben. „Firebird“ geht von dem Rätsel aus, dass der Wissenschaftler Christopher Robin (das ist der Name des Jungen im Kinderbuchklassiker „Winnie the Pooh“ beziehungsweise „Pu, der Bär“), der das Buch „Multiversum“ verfasst hat, spurlos verschwunden ist. Er hatte an den Grenzen der Wissenschaft gearbeitet und wurde deshalb von der Fachwelt verachtet und von den Lesern geliebt. Es gibt sogar einen Christopher Robin-Verein, der seiner Arbeiten gedenkt und sich regelmäßig zu Vereinstreffen zusammenfindet, um die Arbeiten von Robin zu diskutieren. Christopher Robin ist vor einigen Jahrzehnten verschwunden und die Archäologiejäger Alex Benedict und Chase Kolpath versuchen, sein Verschwinden zu enträtseln.

Alex Benedict und Chase Kolpath nehmen an einem Vereinstreffen teil, das Jack McDevitt wie eine Science Fiction Convention mit absurder Note gestaltet und zu einem Diskussionsforum wilder Theorien über das Multiversum ausarbeitet. Robin war „auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Grenzen zwischen den Universen zu überwinden“ und er hat „gedacht, wir bekämen vielleicht gelegentlich Besuch aus einem anderen Universum“. Die Erzählung changiert zwischen Wissenschaft, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Realität und Ausflügen in das Absurde.

Alex Benedict und Chase Kolpath begeben sich auf eine Suche nach ihm und dem Grund seines Verschwindens. Sie stoßen dabei auf ein Rätsel verschwundener Raumschiffe, die nach vielen Jahren in bestimmten Raum-Zeit-Zonen für kurze Zeit wieder aus dem Hyperraum auftauchen und in denen Menschen gesehen worden sind. Zur Erklärung dieses Phänomens werden Störungen im Raum-Zeit-Kontinuum durch Schwarze Löcher erwähnt, die dafür verantwortlich sind, dass Raumschiffe, die vor Jahrtausenden gestartet sind, jetzt alle paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte wieder für einige Zeit aus dem Hyperraum auftauchen und dann wieder verschwinden. Die Menschen an Bord dieser Raumschiffe leben in einem anderen Zeitstrahl, für sie vergehen lediglich Stunden, Tage oder Wochen, aber aus der Außensicht sind Jahrhunderte oder Jahrtausende vergangen und ihr Schicksal wird sein, dass sie bis zum Verdursten und Verhungern oder bis zum Ende ihrer Energievorräte an Bord ihrer Raumschiffe im Zwischenraum zwischen den Welten verloren sind.

Alex Benedict und Chase Kolpath starten eine Rettungsmission auf der Grundlage einer Theorie, die kaum jemand teilt. Die Rettungsmission bestätigt zwar die Theorie über die verschwundenen Raumschiffe, ist aber durch die kurze Zeit, die für die Rettung aus den Raumschiffen bleibt, zum Scheitern verurteilt. Eine Retterin wird in den Hyperraum mitgerissen, während zwei Mädchen von ihrem Vater getrennt und an Bord des Raumschiffs von Alex Benedict und Chase Kolpath geholt werden können.

Neue Wirklichkeiten

Der Schluss von „Firebird“ ist ein besonders kunstvoll arrangiertes Stück literarischer Qualitätsarbeit über die Relativität von Zeit. Die Rettungsaktion ist gescheitert und die Pilotin Dot Garber ist an Bord des im Hyperraum verschwundenen Raumschiffs gefangen. In der Gegenwart der Erzählebene findet ihre Beerdigung statt und die Dot-Garber-Stiftung zur Rettung schiffbrüchiger Raumfahrer wird gegründet. Damit ist die Erzählung eigentlich beendet, aber Jack McDevitt schließt noch ein weiteres Kapitel an, einen Epilog, und schildert die Erlebnisse von Dot Garber an Bord des im Hyperraum gestrandeten Raumschiffs. Für sie vergehen nur wenige Augenblicke an Bord, bevor ein erneuter Rettungsversuch von außen im normalen Raum-Zeit-Gefüge stattfindet, in den das Raumschiff wieder eingetreten ist. Die Retter erklären ihr, dass sie jetzt siebenundsechzig Jahre später in einer neuen Realität angekommen ist und dass diese Rettungsaktion von der Dot-Garber-Stiftung durchgeführt werde. Zurück auf der Raumstation kündigt sich der Besuch alter Freunde an.

Ein Wermutstropfen betrifft die anderen geretteten Insassen: Sie haben ihre Zeit weit hinter sich gelassen und sind erneut gestrandet: „Sie waren in der fernen Zukunft angelangt.“

Ein Nebenstrang der Handlung ist der Besuch von Alex Benedict und Chase Kolpath bei der Suche nach Christopher Robin  auf dem Planeten Villanueva. Dieser Planet ist eine historische Gründung der drei großen monotheistischen Weltreligionen der Menschen, die hier mit tausenden Gotteshäusern ihr eigenes Glaubensreich eingerichtet haben. In der Gegenwart der Erzählung sind die Menschen vor tausenden von Jahren einer kosmischen Katastrophe zum Opfer gefallen und jetzt gibt es nur noch die dienstbaren Geister der künstlichen Intelligenzen, die aus ihrer sinnlosen Tätigkeit auf dem verlassenen Planeten befreit werden wollen. Alex Benedict und Chase Kolpath nehmen eine KI – Charlie – mit, denn diese KI hat ihnen glaubhaft versichert, dass sie über Bewusstsein verfügt und hat ihnen ihr Leid geklagt: „Ich und viele andere, die sind wie ich, sind auf dieser Welt gestrandet. Wir sitzen seit dem großen Sterben hier fest. Ohne eine Zukunft, aber ausgestattet mit der Erinnerung an eine Vergangenheit, in der wir danebenstehen und zusehen mussten, wie eine Katastrophe ihren Lauf genommen hat.“

Zurück auf ihrer Heimatwelt versuchen Alex Benedict und Chase Kolpath, Solidarität mit den künstlichen Intelligenzen unter den Menschen zu wecken und eine Rettungsmission zu organisieren. Jack McDevitt greift zu einem seiner bevorzugten Stilmittel und lässt Alex Benedict in verschiedenen Talkshows auftreten, in denen kontrovers diskutiert wird, ob KIs über ein Bewusstsein verfügen oder nicht. KIs werden nämlich überall als dienstbare Werkzeuge eingesetzt, die alle möglichen Aufgaben im Haushalt oder in der Steuerung von Raumschiffen übernehmen, aber sind sie eigenständige, bewusste Lebewesen? Diese Frage wird in dem Roman „Firebird“ (2011) quasi nebenbei ausführlich diskutiert, ein Thema, das eigentlich eine eigene Erzählung in dem Roman ist.

Die Stimmung unter den Menschen schlägt schließlich um, als Alex Benedict die KI Charlie in einer Talkshow präsentiert und diese die Menschen umstimmt mit den Worten: „Ich möchte, dass Sie die Verzweiflung begreifen, die wir empfinden. Die ich empfinde. Wir können uns nicht selbst helfen. Wir sind programmiert, dieses Leben bis in alle Ewigkeit zu ertragen. Zu reparieren, was reparaturbedürftig ist, zu ersetzen, was nicht mehr repariert werden kann. Nach Ihren Maßstäben sind wir unsterblich. Aber für uns geht nie der Mond auf. Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes keine Musik. Sie fragen, was ich will. Ich sage es noch einmal: Ich will, dass Sie begreifen, wer wir sind. Dass Sie begreifen, dass wir ihre Kinder sind. Menschen haben uns geschaffen. Sie haben eine Verantwortung uns gegenüber.“

Die Academy-Serie und Priscilla Hutchins

Die Academy-Serie über die Pilotin Priscilla Hutchins spielt um das Jahr 2200. Die Welt wird von einem World Council regiert, die USA und Kanada haben sich zur Nordamerikanischen Union zusammengeschlossen und die Welt wird von Überbevölkerung, Klimakatastrophen und religiösen Konflikten geplagt. Medien spielen eine wichtige Rolle bei der Diskussion gesellschaftlicher Konflikte und die Akademie schickt Erkundungsmissionen ins Weltall. Die junge Priscilla Hutchins lässt sich zur Pilotin ausbilden und erlebt spannende Abenteuer in Raum und Zeit.

Die Erzählweise des Autors bei den Alex Benedict und Chase Kolpath Romanen findet sich auch bei den Stories über Priscilla Hutchins wieder, hier nur manchmal noch mehr durch die scheinbar endlose Einsamkeit auf ihren Flügen zugespitzt. Obschon technologische Wunderwerke das Leben der Menschen bestimmen, wird der Sinn der Raumfahrt in Frage gestellt und diskutiert, wie weit der Entdeckerdrang der Menschen ihn führen soll.

Jack McDevitt schreibt gekonnt über naturwissenschaftliche Prinzipien und über technologische Erfindungen, obwohl diese nicht im Zentrum seiner Narrative stehen. Zu diesen gehören: Der Überlicht-Antrieb von Raumschiffen, Anti-Schwerkraft-Technik, künstliche Schwerkraft, das Flickinger-Feld als personengebundener Schutzschild, künstliche Intelligenz, dreidimensionales Fernsehen. Diese Technologien werden als Hilfsmittel in Problemlösungswege eingebunden, sie stehen nicht im Zentrum der Erzählung. Der Autor Jack McDvitt ist ein zutiefst humaner Denker und Erzähler, der menschliche Probleme der Gegenwart nur ein wenig in die Zukunft verlegt hat, um uns einen Spiegel vorzuhalten, was auf uns zukommen könnte.

Zur Academy-Serie über die Pilotin Priscilla Hutchins gehören diese Romane (in Klammern auch hier das Erscheinungsjahr der deutschen Übersetzung:

  • The Engines of God (1994, Gottes Maschinen, 1996)
  • Deepsix (2001, Die Sanduhr Gottes, 2004)
  • Chindi (2002, Chindi, 2004)
  • Omega (2003, Omega, 2005)
  • Odyssey (2006, Odyssee, 2008)
  • Cauldron (2007, Hexenkessel, 2008)
  • Starhawk (2013, keine deutsche Übersetzung)
  • The Long Sunset (keine deutsche Übersetzung)

Drei philosophische Grundprobleme in der Science Fiction

Zu dem Thema „Rechte von künstlichen Intelligenzen“ hat Jack McDevitt mehrere Romane, zum Beispiel „Firebird“ (2012) und „Polaris“ (2006) und eine brillante Kurzgeschichte geschrieben. In der nur knapp vier Druckseiten starken Story „The Wrong Way“ (2021. Nachgedruckt in: Return to Glory, Subterranean Press, Burton MI, 2022) erzählt er auf sehr ironische Weise, wie die dienstbaren künstlichen Intelligenzen in den USA etwa dreihundert Jahre in unserer Zukunft versuchen, die US-amerikanische Staatsangehörigkeit zu bekommen und als Individuen angesehen zu werden. Der von ihnen angesprochene Senator Whitcomb verweigert diese Idee als absurd, weil sie ja nur eine „Ansammlung von Kabeln und Verbindungen in einem Generator auf meinem Schreibtisch“ wären und bekommt als Erwiderung, dass er, der Senator, ja nur eine „Sammlung von Zellen, Organen, Geweben und verschiedenen Nährstoffen“ wäre. Die Diskussion zwischen KI und Mensch führt zu keiner Einigung und der Mensch bekommt die Folgen zu spüren, als seine einlaufenden Anrufe ihm klarmachen, dass die KIs beginnen, alle Alltagsgeräte abzuschalten. Das Auto lässt sich nicht mehr starten, die Wäscherei schließt – und er sei an all dem schuld. Schließlich ruft das Weiße Haus an….

Diese wunderbar kurze Erzählung verweist auf die philosophischen Grundprobleme aller KI-Erzählungen: Was ist Intelligenz? Was ist Bewusstsein? Was macht den Menschen aus? Gibt es eine Seele? Was sind die Stärken von biologischen Lebewesen, was sind die Stärken von Maschinen? Was ist Natürlichkeit, was ist Künstlichkeit?

Das Kapitel „Zeitreise“ gehört zum Standardthema des Genres der Science Fiction und ist in der Kraft der Vorstellung angesiedelt sein als in der technischen Realisation. Vielleicht würde eine tatsächliche Zeitreise hin zu all den interessanten Ereignissen der Geschichte der Menschheit oder in eine unbekannte Zukunft uns Zeitreisende nur überfordern oder uns unsere Illusionen rauben. Vielleicht hat Jack McDevitt, der selbst sehr schöne Zeitreise-Romane geschrieben hat, mit seinem Statement recht: „Ich vermute, dass wir dankbar sein sollten für die menschliche Vorstellungskraft. Sie ist das einzige Fahrzeug, mit dem wir die Grenzen überschreiten können, die uns von der physikalischen Realität gesetzt wurden. Jedenfalls für den Augenblick.“ (Jack McDevitt: Journal 205, 16. März 2016). Der Autor hat dies unter anderem in seinem Roman „Zeitreisende sterben nie“ (2011, „Time Travellers Never Die“, 1996) und in vielen Alex Benedict und Chase Kolpath Geschichten wunderbar ausgeführt.

Jack McDevitt hat immer wieder witzige, nachdenkenswerte und philosophisch tiefgründige Erzählungen über das Zusammentreffen von Menschen und Außerirdischen geschrieben. In der Kurzgeschichte „Cosmic Harmony“ (2022) in dem Sammelband „Return to Glory“ (2022) schreibt er über einen Asteroiden, der unerwarteterweise auf die Erde zurast und durch eine Intervention von freundlichen Aliens abgewehrt wird. Diese funken an die Erde das Lied „Moon River“ zurück und die Protagonisten auf der Erde interpretieren dies als Lied, „aufgeladen mit Leidenschaft“, dass die Außerirdischen zur Erde gebracht hätte und dass diese dann bemerkt hätten, dass die Menschen in Schwierigkeiten waren. Was in dieser kurzen Zusammenfassung so simpel klingt, fügt sich im Text von Jack McDevitt als lyrische Kadenz eines Schriftstellers, der sein Handwerk versteht und die emotionale Kraft von Musik als intergalaktisches Kommunikationsmittel benutzt (nicht so ganz ungewöhnlich, wenn wir daran denken, was sich beispielsweise auf den CD’s der Voyager-Missionen findet).

In der Kurzgeschichte „Tidal Effects“ (2022) in „Return to Glory“ (2022) geht Jack McDevitt den entgegengesetzten Weg und schreibt über das Alleinsein der Menschheit. Radioastronomen haben mit den besten Instrumenten der Menschheit keine Sauerstoffsignaturen auf anderen Planeten im All entdecken können und kommen deshalb zu dem Schluss, dass die Erde eine kosmische Anomalie sei. Es sähe so aus, dass wir tatsächlich allein seien. Diese Kurzgeschichte verbindet einen verzweifelten und gescheiterten Rettungsversuch beim Schwimmen im Meer mit der furchtbaren Wahrheit, dass die Menschheit keine Brüder im All findet. Diese kurze Geschichte erzählt eine große Angst, von der Arthur C. Clarke in einem Bonmot sagte, dass es zwei Möglichkeiten gäbe, die gleichermaßen erschreckend seien: Entweder sind wir allein im Universum – oder wir sind es nicht.

Jack McDevitt hat sich allerdings seine Hoffnung nach einem galaktischen Treffen mit Freunden aus dem All erhalten. Er schreibt in „The Long Sunset“ (2018): „Was ich immer machen wollte, war, mit jemandem aus einer Millionen Jahre alten Zivilisation zusammenzusitzen und Ideen auszutauschen.“

Ein Optimist – trotz allem

Der alte Traum der Science Fiction muss weitergeträumt werden, bis, ja vielleicht bis wir endlich auf außerirdische Intelligenzen stoßen. Ob die uns freundlich gesonnen sind, ist natürlich eine andere Frage.

Jack McDevitts Einstellungen zum Leben und zur literarischen Erzählkunst werden am deutlichsten in seinem Interview in der Zeitschrift LOCUS vom Oktober 2005. Hier spricht er darüber, wie das 23. Jahrhundert, über das er in seinen Romanen schreibt, aussehen könnte, nämlich katastrophal: die gesamte Antarktis sei in den Ozean kollabiert, es herrsche Überbevölkerung auf der Erde, zu viele Diktatoren würden herrschen, es gebe viel mehr Technik im Alltagsleben, was die Welt viel gefährlicher machen würde. „Ich vermute, wir würden einen Kipppunkt erreichen, an dem die Technologie komplett außer Kontrolle geraten würde.“ Er spricht an mehreren Stellen über den Einfluss von Religionen und sagt, „eine Welt voller Agnostiker wäre viel einfacher zu managen als mit diesen sogenannten wahren Gläubigen.“

Weiterhin spricht Jack McDevitt darüber, dass er glaubt, dass sich die menschliche Natur auch in tausend Jahren nicht wirklich ändern wird. Alles andere würde sich ändern, die Wissenschaft zum Beispiel, aber die Menschen eben nicht. Hier liegt vermutlich die Grundlage für die Beschreibung seiner Protagonistinnen Alex Benedict, Chase Kolpath und Priscilla Hutchins, die uns so bekannt vorkommen, obwohl sie in fremden Welten der Zukunft agieren, mal etwas näher, mal etwas weiter entfernt von unserer Zeit.

McDevitt schreibt, dass er regelmäßig Workshops mit Menschen veranstaltet, die Schriftsteller werden wollen. Wenn er sie fragen würde, was eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller machen, antworteten sie: Geschichten erzählen. Dies sei aber falsch. „Was ein Schriftsteller macht, ist Erfahrungsmöglichkeiten zu inszenieren.“ Er äußert sich auch über radikale politische Entwicklungen in der Welt und Rechtstendenzen in den USA und schließt mit der Bemerkung, dass er ein Optimist sei. Das LOCUS-Interview endet mit einer Aussage, die wie eine Botschaft an die heutige Gesellschaft in den USA, zwanzig Jahre später, klingt: „Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass gesunder Menschenverstand und menschliche Anständigkeit letztendlich die Oberhand gewinnen werden. Es gibt gute Gründe, darauf zu hoffen. Wir sind klüger und zäher, als die Pessimisten oder Fanatiker uns zugestehen wollen.“

Und so endete auch meine kurze E-Mail Konversation mit dem 90jährigen Schriftsteller vom August 2025 mit seinem Rat an junge Autorinnen und Autoren: „Angehende Schriftsteller sind oft talentierter, als ihnen bewusst ist. Mein Rat? Geben Sie nicht auf. Und lassen Sie mich wissen, wenn Sie Erfolg haben.“

Fritz Heidorn, Oldenburg

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im November 2025, Internetzugriffe zuletzt am 28. Oktober 2025, Titelbild: Aiki Mira, erstellt mit openart.)