Das Pferd, das tausend Meilen lief
Bilder der ukrainischen Geschichte im modernen Japan
Wie lernen wir modernen Menschen etwas über die Vergangenheit? Was erzählt uns unser Wissen über bestimmte Themen über das Unwissen über andere? Gibt es irgendwelche Fälle, in denen Wissen auf Kosten eines ernsthaften Unverständnisses oder Vergessens auftaucht? Eine Möglichkeit, diese Fragen zu beantworten – so vermutet dieser Text – liegt in der Erforschung bestimmter Fälle, in denen eine unterrepräsentierte Dimension der Geschichte zum ersten Mal in der Geschichtsschreibung auftaucht.
Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Als ich die frühesten japanischen Publikationen über den Hetman Iwan Masepa (1639 – 1709, regierend 1587–1709) anschaute, stellte ich fest, wie ukrainische Geschichte, eines der verschlossensten Gebiete in der japanischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, nach französischen und britischen Filterungen mit Hilfe chinesischer literarischer Bilder nacherzählt wurde. Neuere Studien über verschiedene Darstellungen zu Bohdan Khmelnytsky (1595–1657) und Iwan Masepa zeigen uns etwas über diejenigen, die sie geschrieben haben, wie über die Helden, über die sie schreiben. Ebenso wird diese Studie hoffentlich dazu beitragen, einige Besonderheiten der literarischen Welt des modernen Japans zu erhellen. Unter Berufung auf Wissenschaftler wie Michel-Rolph Trouillot, Cornel Zwierlein, Robert Proctor, Naomi Oreskes und Erik M. Conway behandele ich Unwissen und Missverständnisse als ein Phänomen, das eine akademische Erklärung verlangt.
Im ersten Teil skizziere ich die Ökologie der Medien im Meiji-Japan (1868–1912), als englische Studien und klassische chinesische Texte sehr beliebt wurden. Es gab allerdings nur wenig Interesse für die Geschichte der osteuropäischen Nationen mit der Ausnahme Russland. Im zweiten Teil untersuche ich, wie Biographien des russischen Zaren Peter der Große (1672–1724, regierend 1682–1725) und des schwedischen Königs Karl XII. (1682–1718, regierend 1697–1718) einen starken Bezug auf den französischen Philosophen Voltaire (1694–1778) und sein historisches Werk „Geschichte von Karl XII.“ („Histoire de Charles XII,“ 1731) erkennen lassen. Im dritten Teil zeige ich, dass Kimura Takatarō’s 木村鷹太郎 (1870–1931) „Mazeppa“ マゼッパ (1897), die erste japanische Übersetzung des „Mazeppa“ von Lord Byron, nicht nur Voltaires und Byrons Personalisierung der ukrainischen Geschichte wiederholten, sondern auch die Schlacht von Poltava (1709) als Äquivalent der loyalistischen Bewegungen der Mitte des 19. Jahrhundert, die die Meiji Revolution auslösten, indem sie die Wirren des Hetmanats im japanischen kollektiven öffentlichen Gedächtnis der jüngsten politischen Transformation verankerten. Mein Argument lautet, dass der vorwiegend anglophile und sinophile intellektuelle Trend der Meiji Periode nicht von irgendeiner ernsthaften Beschäftigung mit der ukrainischen Nation begleitet wurde, sondern die ukrainische Geschichte auf eine literarische Anekdote reduzierte.
Die Ökologie der Medien im Meiji Japan
Im Jahr 1872, vier Jahre nach der Meiji Revolution verwandelte die Regierung das pädagogische System nach euro-amerikanischen Beispiel. Das neue Bildungssystem verlangte, dass Schulen neue Schulbücher für die englische Sprache, die Universalgeschichte und andere Inhalte übernahmen. Wenn die Schüler und Studenten Universalgeschichte lernten, wurde ihr Verständnis von beliebten amerikanischen Schriftstellern wie Samuel Goodrich (1793–1860) und dem deutschen Pädagogen Theodor Bernhard Welter (1796–1872) gefiltert, deren Lehrbücher vor allem die westliche europäische Geschichte hervorhoben.
Noch verließ die neue pädagogische Struktur nicht die alten Lehrpläne, die in den öffentlichen Schulen (hankō), privaten Akademien (shijuku), oder im Hausunterricht verwendet wurden. Seit den ersten Tagen der Meiji Periode enthielten die Stundenpläne der Primarschulen oft Kurse für klassisches Chinesisch. Die dort zugewiesenen Texte waren nach wie vor die Bücher, die Leser als Elementarbücher in der frühen modernen Zeit verwandte. Traditionelle Schulen verschwanden ebenso nicht von einem Tag auf den anderen. Eltern wollten immer noch chinesische Klassiker verwenden, um ihren Kindern das Lesen beizubringen. Intellektuelle, die in den 1860er und 1870er Jahren geboren waren, erinnerten sich gerne, dass 小学, die „Kunst der kindlichen Ehrfurcht“ 孝経, oder das „Große Lernen“ 大学 die ersten Bücher waren, die sie in ihrer Kindheit gelesen hatten. Die Generationen der Meiji Periode vermerkten die anhaltende Beliebtheit chinesischer Klassiker wie die „Anthologie der acht literarischen Meister des Tang und Song“ 唐宋八大家文集.
Gegen den Hintergrund des verdächtigen Blicks auf die russische Annäherung an Japan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts alarmierte die Ili-Krise (1879–1991) zwischen dem Qing China und Russland japanische Intellektuelle und Politiker. Viele nahmen das Zarenreich als eine ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit wahr. Gleichzeitig war Russland einer der wenigen Staaten außerhalb von Westeuropa, dessen Geschichten als bewahrte wertvolle Vorbilder in der Meiji Periode gesehen wurde, die eben auch ein Zeitalter der Reformen war. Vor allem der Versuch der Modernisierung Russlands durch Peter den Großen wurde als ein Beispiel begrüßt, das verdiente, ihm nachzueifern. Nichtsdestoweniger führte ein solches Interesse an der Russischen Geschichte nicht – zumindest nicht in der Meiji Periode – zu einer ernsthaften Beschäftigung mit der Geschichte anderer Nationen in Osteuropa.
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Zur Popularität Masepas in den USA ein Bild aus der Stadt Mazeppa in Minnesota. Foto: Lorie Shaull. Wikimedia Commons.
Ein dominierender Trend der Geschichtsschreibung in der Meiji Periode war das Erzählen von Geschichte durch die enge Linse der Biographie. Wie Yamamuro Shin’ichi betont, würden japanische Intellektuelle ihre Aufmerksamkeit oft auf heroische Individuen des Westens wie George Washington, Napoleon Bonaparte und Peter den Großen richten, weil ein solch enger Bezugspunkt ein wirksames Verständnis des Kerns der euro-amerikanischen Geschichte ermöglichte. Gleichzeitig waren Biographien großer Männer beliebt, ausgelöst von Thomas Carlyle’s „On Heroes, Hero-Worship, & the Heroic in History“ (1841) und Ralph Waldo Emerson’s „Representative Men“ (1850) und andere Selbsthilfebücher, die von Samuel Smiles (1812–1904) eingeführt und von Orison Swett Marden (1848–1924) und Nakamura Masanao 中村正直 (1832–1891) geschürt wurden. Dies führte zu einem Überfluss an Biographien, von denen einige spezifisch für Kinder geschrieben waren und einen einfachen Zugang für große Teile des Publikums boten. Das kollektive Gedächtnis der neuerlichen politischen Transformationen, das von niederen Samurai seit den 1860er Jahren angeführt wurde, sorgte dafür, dass die Leser mehr über die westlichen Äquivalente zu Helden wie Saigō Takamori 西鄕隆盛 (1828–1877) wissen wollten.
Ukrainische Geschichte ohne die Ukraine
In einer solchen Ökologie der Medien konnten die Leser nur einige Spuren der Geschichte der Ukraine und der Ukrainer in den Texten erhaschen, die vorwiegend auf englischsprachigen Quellen beruhten, obwohl es einige Schriftsteller gab, die deutsche oder französische Quellen ebenso zu Rate ziehen konnten. Selbst wenn sie russische oder andere osteuropäische Nationen diskutierten, wurden die meisten Informationen durch die Linse westeuropäischer Schriftsteller gefiltert. Zum Beispiel schrieb der Amateurhistoriker Shibue Tamotsu 渋江保 (1857–1930) eine „Geschichte der polnischen Teilungskriege“ 波蘭衰亡戰史 (1895), er kopierte und fügte Passagen aus englischsprachigen Quellen ein, unter denen nur zwei waren, die sich vorwiegend auf Polen konzentrierten: der Artikel eines anonymen Autors „History of Poland“ und James Fletcher’s (1811–1832) „History of Poland“ (1831). Seine weiteren Quellen bezogen sich weitgehend auf die Geschichte Deutschlands und Russlands. Da nun der Bezug auf englischsprachige Materialien sicherlich japanischen Verlagshäusern erlaubte, die Geschichte verschiedener Regionen zu erforschen und einzuführen, trug die Schieflage (im Original: „bias“, NR) der Quellen zur Ausbildung schiefer Interpretationen, von Missverständnissen und Unwissen. Ohne irgendeine Befassung mit polnischen Stimmen bezog Shibue die polnischen Teilungen (1772, 1793, 1795) vorwiegend auf örtliche Fraktionskonflikte und wiederholte die Erzählung, die in der anglophonen literarischen Sphäre vorherrschte und die Opfer selbst zu Schuldigen machte.
In der Welt der Veröffentlichungen der Meiji Periode war es sehr schwer, verlässliche Informationen über ukrainische Geschichte zu erhalten. Dafür gab es mehrere Gründe. Zunächst wurde Polen weitgehend als Beispiel gesehen, das zeige, wie nationale Souveränität unter den Bedingungen europäischer „Realpolitik“ verloren gehen kann. Der Aufstieg und Fall des Hetmanats seit den Tagen des Aufstands (1648–1657) von Bohdan Khmelnytsky (1595–1657) bis zur Schlacht von Poltava erhielten trotz ihrer Ähnlichkeit zur polnischen Geschichte unter Stanisław II. Augusts Herrschaft (1732–1798, regierend: 1764–1795) eine solche Aufmerksamkeit, vermutlich weil der Status des Hetmanats als eine unabhängige politische Einheit niemals so augenfällig war, wie es die polnisch-litauische Union war.
Wenn Veröffentlichungen ukrainische Geschichte diskutierten, taten sie dies auch fast immer im Zusammenhang der Erzählungen anderer Hauptgeschichten, in denen das Kosakenreich eine untergeordnete Rolle spielte. Beispielsweise veröffentlichten Satō Nobuyasu 佐藤信安 (1874–1964) „Peter der Große“ 彼得大帝 (1900) and Nakaōji Shunkō 中大路春江 „Karl der Große“ チャーレス大王(査列斯大王) (1902) in der Reihe „Geschichten der Weltgeschichte“ („Sekai rekishi dan“). Obwohl schwedische Geschichte ebenso in der japanischen Geschichtsschreibung unterrepräsentiert war, führte die Beliebtheit Peters des Großen den Verlag dazu, ein für sich alleinstehendes Werk über seinen Rivalen zu veröffentlichen. Die gleiche Tendenz findet sich in einer anderen Reihe, den „Studien über große Männer“ 偉人研究, die die „Berichte der Worte und Taten Karls XII.“ チヤールス十二世言行録 (1912) enthält. Noch führte das gegebene Interesse an Peter dem Großen nicht zu vielen Forschungen über ukrainische Geschichte. In diesem Zusammenhang, in dem die literarische Sphäre nicht ein einziges historisches Werk über Khmelnytsky, Masepa und irgendwelche auf sie bezogene historische Themen aufwies, konnten die Leser nur einen kurzen Blick auf die Ukraine finden.
In Satō Nobuyasus „Peter der Große“ erscheint der Name Masepa im siebten Kapitel „Peters Diplomatie und Eroberungen“, das sich nach dem sechsten Kapitel „Peters innere Reformen“ findet. Satō schrieb: „Er wechselte eiligst die Richtung und bewegte sich südwärts, bis er die ukrainische Region erreichte. Vermutlich war das Ziel, Verstärkungen von Masepa (Mageepa 馬設巴) zu erhalten. Masepa ist der Führer der Kosaken und er hatte eine konservative Einstellung, durch die er ganz und gar den inneren Reformen Peters widerstand. Um ihn jedoch leiden zu machen, versprach Masepa, Karl XII. zu unterstützen.“ So argumentiert Satō, dass Masepas Hauptabsicht hinter seiner Allianz mit Schweden war, die Modernisierungsbewegung herauszufordern, die im russischen Reich begann. Wie Tatiana Tairova-Yakovleva zeigt, ist es historisch wahr, dass die Verwaltungsreformen von Peter dem Großen im Jahr 1707 die Autonomie des Hetmanats kompromittierten, was Masepa missfiel. Problematisch ist, dass ungeachtet der Wahrhaftigkeit dieses Anspruchs Satō seinen Lesern keinerlei Kontext bietet. Nachdem er ein ganzes Kapitel dem Porträt Peters des Großen als aufgeklärtem Monarchen gewidmet hatte, spricht die simplizistische Darstellung Masepas als konservative Macht, die gegen die Reformbewegung kämpfte, die Autonomiefrage nicht an, die aber ein fundamentales politisches Thema auf der Agenda der Kosaken war. In seinem Gespräch mit Karl XII. wird Masepa mit folgenden ihm zugeschriebenen Worten gezeichnet: „Die Kosaken befürchten die überwältigende Macht Peters, daher weigern sie sich, sich gegen ihn zu erheben. Deshalb möchte ich dir (Karl XII., NR) gerne als Individuum helfen.“ Diese Erklärung enttäuschte den schwedischen Helden, der gehofft hatte, die russische Armee mit kosakischer Hilfe zu besiegen. Nach diesem Gespräch verschwand Masepa aus der Erzählung Satōs und kehrte niemals zurück, nicht einmal in der Darstellung der Schlacht von Poltava. So wie es wahr ist, dass die Ukrainer nicht so weit waren, unverzüglich Masepas unvermuteten Widerstand gegen den Zaren zu akzeptieren, verbanden sie sich später mit ihrem Anführer und Karl XII. Satōs unangemessene Darstellung der Ukrainer führte in die Irre.
Im Unterschied zu Satōs Arbeit wird die Allianz Masepas, des „Königs der Kosaken“, mit Karl XII. im Jahr 1709 in Nakaōji Shunkōs „Karl der Große“, Masepas Allianz mit Karl XII. kurz als Unterstützung erwähnt, die den Hunger in der schwedischen Armee linderte. Der Fokus der Erzählung liegt jedoch stark auf Karls XII. im Allgemeinen übermenschlichem Beharrungsvermögen, von dem Nakaōji glaube, dass es den König befähigt haben muss, in der Lage ungeachtet der ukrainischen Hilfe zu ertragen. Unser Historiker hebt nur die Rivalität zwischen den Souveränen Russlands und Schweden hervor und Masepa verschwindet aus der Geschichte, sodass die ukrainische Rolle oder Stimme von der Bühne des Großen Nordischen Krieges eliminiert wird. Sowohl in Satōs als auch in Nakaōjis Biographien ist die Präsenz der Ukraine sogar schwächer als die von Dänemark und Polen, die auch eine Rolle bei den militärischen Heldentaten Peters des Großen und Karl des XII. spielten.
Sicherlich ist die beschränkte Natur der Quellen ein Grund dafür, dass die japanischen Erzählungen der Schlacht von Poltava in Begriffen der Verschiedenheit der historischen Akteure mit ihrer jeweiligen Wirkung verarmt sind. Nakaōji anerkannte, dass sein Buch nach Voltaires Geschichte strukturiert ist. Doch kann diese Dimension allein nicht erklären, warum Masepa bei ihm eine noch untergeordnetere Rolle spielt als in dem Werk des französischen Philosophen.
Nakaōjis faszinierende Analogie gibt einen Hinweis auf den Grund, warum japanische Schriftsteller sich so sehr zurückhielten, Ukrainern wie Masepa eine Stimme zu geben: „Wenn man in dieser Welt Kaiser Gaozu 高祖 aus der Han-Dynastie 漢 (265 vuZ – 195 vuZ, regierend: 206 vuZ – 1995 vuZ) erwähnt, erinnert dies andere unmittelbar an Xiang Yu項羽 der Chu-Zeit 楚 (232vuZ – 202vuZ). Warum wird nichtsdestoweniger, während doch der Name des russischen Zaren Peter sogar unter Kindern und Dienstboten bekannt ist, nur der Name von Karl XII., dem schwedischen König, so wenig wertgeschätzt? So wie Xiang Yu ein großer Gegner für Gaozu war, so Karl für Peter. Wenn über Xiang Yu berichtet wird, warum sollte Karl verschwinden?
Die historischen Berichte und literarischen Darstellungen der Rivalität zwischen Gaozu und Xiang Yu waren chinesischen und japanischen Lesern weit bekannt. Sogar in der frühen Meiji Periode war der volkstümliche Roman „Roman der Chu und der Han“ 楚漢志 bei den Lesern beliebt. Mit seinem Hinweis auf den Wettstreit zwischen den beiden alten Helden wird klar, dass Nakaōji der Geschichte des Zweiten Nordischen Krieges (1700–1721) eher als Streit in einer bipolaren Weltordnung verstand, in dem andere politische Anführer nur kleinere, geradezu ignorierbare Rollen spielten. Jede Hervorhebung von Figuren wie Masepa würde möglicherweise diese große Erzählung herausfordern, die Nakaōji aus der bekannten Erzähllinie der fiktionalen chinesischen Vorlage schuf. So zwingt das vorgegebene Schema des Romans den Autor, weniger auf die historischen Details zu achten und die Vergangenheit an ein vorgefertigtes Muster anzupassen. Die in der Welt der Meiji Publikationen zwingende und vorwiegende biographische Zugang lud die Autoren auch ein, die europäische Geschichte auf eine Reihe von Anekdoten zu reduzieren.
Grundsätzlich ist es wert festzuhalten, dass die japanischen Intellektuellen keinen guten Grund finden konnten, ukrainische Geschichte als etwas für ihre Leser Relevantes wahrzunehmen. In seiner Studie über die britischen literarischen Schriften über Polen und das Russische Reich verlangte Thomas McLean eine Veränderung unserer Aufmerksamkeit im Hinblick auf Masepas Persönlichkeit als „polnischer Exilierter, der in einem fremden Land berühmt wurde“ (so wie es auch Voltaire betonte), was an eine Einschätzung von Tadeusz Kościuszko erinnert. Während McLean die Unzufriedenheit einiger britischer literarischer Figuren mit der fehlenden Aufmerksamkeit des Publikums auf die osteuropäische Situation erwähnt, hebt er auch hervor, dass zumindest in den Augen einiger Autoren wie Leigh Hunt (1784–1859) und Byron die Geschichte der Schlacht von Poltava einen Rahmen bieten könnte, durch den die aktuellen Machtpolitiken verfolgt werden könnten: „Mazeppas mächtige Position zwischen Peter dem Großen und Karl dem XII. erinnert an Kościuszkos Platz zwischen Zar Alexander und Napoleon.“ Möglicherweise muss jedes Stück des globalen Wissens in den lokalen Zusammenhang gestellt werden. Wissen über die Ukraine konnte in der literarischen Welt der Meiji Periode kaum Verbündete finden.
Kimura Takatarō und „Mazeppa“
Kimura Takatarōs 木村鷹太郎 (1870–1931) „Mazeppa“ マゼッパ war die erste japanische Übersetzung des „Mazeppa“ von Lord Byron und ist ein äußerst seltenes Beispiel dafür, dass ukrainische Geschichte in derselben Zeit diskutiert wurde.
In welchem Zusammenhang übersetzte Kimura Takatarō, ein Literaturkritiker, Journalist und Amateurhistoriker, „Mazeppa“? Geboren in Uwajima 宇和島, Ehime Präfektur 愛媛, verfügte Kimura über die Bildung einer gut gebildeten Elite im postrevolutionären Japan. Er machte 1893 an der kaiserlichen Universität Tokyo seinen Abschluss und diente später als Lehrer an der Kaiserlichen Japanischen Militärakademie. Politisch war er ein Kulturnationalist, der versuchte, die kulturelle Essenz zu bewahren, die die japanische Identität selbst unter dem Druck der Europäisierung intakt halten sollte. 1897 gesellte er sich zu anderen bedeutenden Intellektuellen wie Miyake Setsurei 三宅雪嶺 (1860–1945), Takayama Chōgyū 高山樗牛 (1871–1902), Inoue Tetsujirō 井上哲次郎 (1855–1944), und Inoue Enryō 井上円了 (1858–1919) und gründete die nationalistische Vereinigung Dai Nihon kyōkai 大日本協会 („Vereinigung des Großen Japans“) und veröffentlichte sein Magazin „Nihonshugi“ (Japanismus).
Nun enthüllen seine intellektuellen Aktivitäten durchaus, dass er fremde Kulturen nicht zurückwies. Er benutzte seine Kenntnisse der englischen Sprache, um das lesende Publikum mit englischer Literatur bekannt zu machen. Er ist vor allem als der fruchtbare Übersetzer des britischen Dichters Lord Byron (George Gordon Byron, sechster Baron Byron, 1788–1824) bekannt. Seine Byron-Übersetzungen umfassen „Corsair“ (海賊, Original von 1814), „Parisina“ (Parishina 艶美の思劇詩パリシナ, Original von 1816), „Manfred“ マンフレッド (Original von 1817), und „Cain“ カイン (Original von 1821). Seine Übersetzungen wurden später im Jahr 1918 in seine „Ausgewählte(n) Meisterwerke Byrons“バイロン傑作集 aufgenommen. Kimura verfasste 1902 auch „Byron – Der dunkle Lord der literarischen Welt“ バイロン文界之大魔王.
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Mazeppa, Sweating as if He Bled, Running One Thousand Li (1897), translated by Kimura Takatarō. Red box is added by the author. National Diet Library, https://dl.ndl.go.jp/pid/876541/1/33 .
Alois Woldan legt nahe, dass die deutsche Nachdichtung des „Mazeppa“ durch Ferdinand Freiligrath (1810–1876) im Grunde seine Ehrerbietung gegenüber dem kosakischen Anführer spiegele, weil es das einzige übersetzte Gedicht Byrons sei. Im Gegensatz war Kimuras japanische Übersetzung des „Mazeppa“ (1897) Teil seines tiefen Interesses an dem britischen Barden selbst, weniger an der Geschichte der Ukraine. Es ist schwer zu ergründen, wie weit Kimura an Masepas Geschichte selbst interessiert war. Die Tatsache, dass es wahrscheinlich die einzige japanischsprachige Veröffentlichung während der Meiji Periode war, die sich ausdrücklich mit einem Ukrainer befasste, legt wieder einmal das allgemeine Desinteresse am Gegenstand nahe. Wenn selbst die historischen Biographien über Peter den Großen und Karl XII. über die politische Agenda der Ukrainer im 17. und im 18. Jahrhundert schweigen, ist es nicht wahrscheinlich, dass Kimura oder seine Leser die Bedeutung der Schlacht von Poltava für die Kosaken verstanden, ihre Bedeutung als Wasserscheide, die dazu führte, dass Masepas Streben, eine eigene Nation zu etablieren, heruntergespielt und stattdessen die kleinrussische Interpretation der Ukraine gestärkt wurden. Ksenya Kiebuzinski macht geltend, dass „die Popularisierung der Masepa-Legende während des 19. Jahrhunderts wenig dazu beitrug, französische Bürger über die Ukraine und die Kosaken zu informieren.“ In Japan, wo Masepa-Darstellungen nie eine solche Beliebtheit erhielten, half Kimuras entkontextualisierende Erzählung nicht dabei, die Leser über ukrainische Geschichte zu lehren. In diesem Sinne wird Kimuras Masepa zeitweise sogar apolitisch – er ist der Anführer, der bereit ist, politischen Ehrgeiz aufzugeben, wenn er die Frau wieder lieben kann, die er liebt. Im Originaltext Byrons: „I’d give / The Ukraine back again to live / It o’er once more – and be a page, / The happy page, who was the lord / Of one soft heart, and his own sword, / And had no other gem nor wealth /Save nature’s gift of youth and health.” (Verse 304–310).
Durch den ganzen Text hindurch versuchte Kimura, Byrons englisches Gedicht texttreu zu übersetzen. In seiner Textausgabe sticht die Emphase hervor, die er einigen der Verse, die er hervorzuheben versuchte, hinzufügt. Der zitierte Absatz, in dem Masepa seinen tiefsten persönlichen Wunsch enthüllt, wurde mit gutem Grund zitiert.
Masepa auf dem schwitzenden Pferd oder Masepa als Pferd
Ein anderer schlagender Beitrag Kimuras zu Byrons Gedicht ist nichts anderes als der Titel, den man leicht übersehen mag: „Mazeppa, schwitzend als wenn er blutete, eintausend Li laufend“ (Li: chinesische Maßeinheit = 500 Meter, eintausend Li = 500 Kilometer, NR), („Kanketsu senri Mazeppa“ 汗血千里マゼッパ). Was impliziert das Epitheton „kanketsu senri“? Um die verschiedenen Referenzen dieser Zuschreibung zu erklären, möchte ich nahelegen, dass Kimuras Wortspiel ausgezeichnet verschiedene Charakteristika einfängt, die mit Iwan Masepa verbunden sind, von denen einige für ukrainische oder britische Leser undenkbar sein mögen. Ich möchte die Verwendung von Allgemeinplätzen bei Kimura hervorheben und argumentiere daher auch, dass Kimuras Übersetzung die Entkoppelung der Darstellung von der Wirklichkeit verstärkt, die schon von Byron vorgegeben war.
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The illustration in Mazeppa, Sweating as if He Bled, Running One Thousand Li (1897). It captures the moment Ivan Mazepa was banished after his love affair. At the upper right is a portrait of the Swedish king Charles XII. National Diet Library, https://dl.ndl.go.jp/pid/876541/1/3.
Was bedeutet „kanketsu“ 汗血 (chinesisch: „hanxue“)? Zunächst fungiert „kanketsu“ auf der Grundlage der wörtlichen Bedeutung „schwitzend als wenn man blutete“ als eine Redewendung, die jemandes Anstrengung bezeichnet, die Masepas Bestreben als kosakischer Anführer einfängt. Zum zweiten fungierte „kanketsu“ unter Bezug auf den frühen Gebrauch in „Berichte eines großen Historikers“ („Shiji“ 史記) des alten Historikers Sima Qian 司馬遷 (145 vuZ – 87 vuZ) als ein Faktor in der Pferdezucht: „Es gab viele ausgezeichnete Pferde und die Pferde schwitzten, als wenn sie bluteten. Sie wurden die ‚Nachfahren der himmlischen Pferde‘ genannt.“ Die „Gesammelten Kommentare“ zu den „Berichten“ vermerkten: „In der Vergangenheit hatte Dayuan 大宛eine ausgezeichnete Pferdezucht. Wenn es auf einem Felsen klettert, schwitzt es, als wenn es blutet – das heißt, es schwitzt von der oberen Schulter, als wenn es blutet. Man sagte, dass ‚es eintausend Li am Tag läuft.‘“ 踏石汗血,汗従前肩膊出如血,号一日千里 (die vier Buchstaben umfassende Wendung 汗血千里 leitet sich von dieser Bemerkung ab). So kam „kanketsuba“ 汗血馬 dazu und bezog sich auf das ausgezeichnete energiereiche Pferd. In Sima Quians Berichten bezeichnete „kanketsuba“ spezifisch die Pferde eines Landes mit dem Namen Dayuan, von dem man glaubt, dass es im Fergana-Tal läge, dem heutigen Usbekistan. Daher ergab sich aus der Redewendung selbst in ihrem frühesten Gebrauch die Assoziation mit der Pferdezucht und einem zentralasiatischen Ursprung. Sie erinnert die Leser auch an nomadische Stämme, was natürlich hilft, sie durch die altehrwürdige Formel mit dem kosakischen Anführer zu verbinden. Es wird nicht notwendig sein zu erwähnen, dass die Bedeutung von „kanketsu“ als ein prächtiges Pferd eine weitere Bedeutung erhielt: Person mit großen Talenten.
So wie alle drei oben genannten Bedeutungen Masepas Bestreben einfangen, seine Positionierung als nomadischer Anführer sowie seine Talente, legt die Beachtung einer besonderen Szene, die Byron im Gedicht illustrierte, eine andere Art der Lektüre nahe: die Anspielung an die Wendung „kanketsu senri“ mag das Pferd kennzeichnen, das Masepa trug, als er nach seiner Liebesaffäre mit Frau Tereza verbannt wurde. Die meisten Leser müssen die Verbindung zwischen „kanketsu senri“ und diesem berühmten Augenblick der Verbannung bemerkt haben, weil Kimuras Ausgabe mit der schlagenden Illustration beginnt, in der Masepa auf ein laufendes Pferd gebunden ist. In seiner ersten Einführung stellte Kimura klar, dass das Epitheton spezifisch den Augenblick bezeichnet, in dem er vertrieben wurde: „Masepa war ausdauernd und konnte nicht erschüttert werden. Er war mit seinem Mut ein Held. Seine Liebe faszinierte. Sein Mut und seine Liebe waren außerordentlich. Er wurde noch schöner und wurde noch mutiger. Durch seine Liebe lief er eintausend Li in der Wildnis, schwitzend als wenn er blutete. Möglicherweise verwandelte er die Wildnis in seinen Thron 王坐. Jemand wie Masepa verdient den Namen eines wahren Mannes.“
Hier ist es angebracht anzumerken, dass Kimura in der Wendung „kanketsu senri“ zwei verschiedene Komponenten verband, namentlich Masepas Charaktereigenschaften Mut und romantische Leidenschaft sowie das durch diese verursachte Leiden. Ebenso anzumerken ist, wie die Wendung „kanketsu senri“ diese passiv erscheinende Episode in Masepas triumphierenden Kampf wandelt. In der Illustration wird Masepa gezeigt, wie er auf das Pferd gebunden ist, unfähig abzusitzen. Schließlich wird die Originalgeschichte in Kimuras späteren Zitaten in der zweiten Einführung aus Voltaires „Geschichte Karls XII.“ klar. Kimuras erste Einleitung erwähnte das Pferd nie. In der Tat werden Schönheit und Mut in der Passage niemand anderem als dem Helden zugeschrieben. Kimura ließ auch im Unklaren, ob Masepa freiwillig lief oder ob er gezwungen war, dies zu tun. Am wichtigsten ist, dass Kimura die Deportation hervorhob als wenn sie eine siegreiche Großtat wäre. Mitgemeint war, dass Masepa möglicherweise dank der Vertreibung den Status eines de-facto-Souveräns erreichte. Während diese Interpretation bestätigt, was Byron als die Hauptbedeutung von Masepas Exils sah, muss Kimuras Zitat des „kanketsu senri“ das Verständnis seiner Leser erleichtert haben, denen diese Referenzen bekannt waren.
In der japanischen literarischen Sphäre spielte „kanketsu senri“ auch auf etwas an, das in der Ukraine oder in Britannien im 19. Jahrhundert sich niemand vorstellen konnte. Sicherlich waren die meisten japanischen Leser nicht gewohnt, wie ähnlich die Geschichte Masepas – so wie sie Byron erzählte – mit Kościuszkos behaupteter gescheiterter Entführung einer Frau von hoher Geburt war. Stattdessen hatten japanische Leser ihre eigenen Referenzen, die Europäer nie verstehen würden. Eine bezeichnende Referenz, die hilft sich die Reaktion der Leser von Kimuras Übersetzung vorzustellen, ist Sakazaki Schirans 坂崎紫瀾 (1853–1913) berühmter Roman „Das Pony, das tausend Li läuft, schwitzend als wenn es blutete“ („Kanketsu senrikoma“ 汗血千里駒, 1883). Es war ein politischer Roman, der sich auf Sakamoto Ryōma 坂本龍馬 (1836–1867) bezog, den loyalen Ehrenmann mit hochfliegendem Ehrgeiz („shishi“ 志士), der zur Bildung der Satsuma-Chōshū-Allianz (1866) führte, die der Herrschaft des Tokugawa-Shogunats widerstand und möglicherweise den Weg für die Meiji Revolution ebnete (1868), die Ryōma selbst wegen seiner Ermordung ein Jahr zuvor (1867), nicht mehr erlebte und daher auch nicht bezeugen konnte. Der von Sakazaki Ryōma gegebene Titel ist ein Wortspiel, das respektvoll die Anstrengungen und Erfolge bekundet. Der Name Ryōma 龍馬 kann, wenn er als einfaches Substantiv genutzt wird als „ryūme“ oder „ryūma“ gelesen werden, was wörtlich bedeutet: „ein ausgezeichnetes Pferd“. In der Tat verkörperte Ryōma mehrere Tugenden, die die von Masepa (oder eben auch von Kościuszko) anklingen lassen. Als nationaler Held des Meiji-Japans wurde Sakamoto Ryōma weitgehend als Symbol der Loyalität zum König gesehen, für Führerschaft, prophetische Einsicht und für das ultimative Scheitern, den Erfolg zu bezeugen, der er selbst vorwegnahm. Im Hinblick auf den weitverbreiteten Ruhm, den Ryōma während der Meiji Periode genoss sowie auf die Beliebtheit des Romans von Sakazaki ist es wahrscheinlich, dass Kimuras Leser Masepa mit ihrem eigenen nationalen Helden assoziierten, wenn sie den Titel „Das Pferd, das eintausend Li lief“ lesen.
Obwohl Kimura „Mazeppa“ nicht aktiv adaptierte, ist seine Verwendung der Redewendung aus den klassischen chinesischen Texten, durch die es gelingt, verschiedene Dimensionen rund um das Leben Masepas zusammenzupacken, zweifellos eigenartig. Doch ist es wert daran zu erinnern, dass es Vorläufer gibt. In der Tat war Byrons „Mazeppa“ von sich aus ein Werk, das auf verschiedenen Interpretationen des Lebens von Tadeusz Kościuszko beruht. Und die Art und Weise, die in den Anspielungen enthalten ist, die sich auf die lokale literarische Landschaft beziehen, die die Vergangenheit nicht kreativ reinterpretierten, bedrohen die Verbindung von Geschichte und Darstellung. Wie McLean zeigt, hat Byrons Gedicht seine eigenen „intertextuellen Assoziationen von Mazeppa“, was beweist, dass seine Darstellung „eine sehr verschiedene Sammlung von Bildern bietet, die mit polnischem Nationalismus assoziiert werden“.
Wir können mit Sicherheit sagen, dass diese Erkenntnis auf die erste Darstellung Masepas in Japan angewandt werden kann. So wie es offensichtlich ist, dass Kimuras Wiederverwendung des „kanketsu senri“ das Verständnis der Leser für das Leben Masepas erleichterte, bietet die Anspielung auf das allseits bekannte Bild aus der klassischen Literatur auch die Gefahr, historische Komplexitäten mit einer Sammlung von Klischees zu verschmelzen, so wie junge britische Autoren den „Körper“ und das „menschliche Leiden“ des polnischen Nationalisten Kościuszko durch einen „mächtigen, geisterhaften und Schuld schaffenden Namen“ ersetzten. Kimuras außerordentliches Beispiel der Darstellung der Ukraine löste auch die historische Wirklichkeit rund um die Kosaken auf, die Politik der Autonomie und den Nordischen Krieg. Faszinierend ist die Art, wie Kimura Masepa zu einem Mann des „kanketsu senri“ machte und dabei die politische Natur der Geschichte des Hetmans bewahrte. In ihrer Diskussion französischer Gemälde und Dichtungen, die im 19. Jahrhundert von Masepa inspiriert wurden, argumentiert Ksenya Kiebuzinski, dass „Masepa, nicht mehr direkt mit seinen Landsleuten, den Saporoger Kosaken, und ihrem Heimatland assoziiert und in diesen Porträts weniger ein nationaler Held wird als ein positives Symbol für ein künstlerisches Genie…“ So wie Kimura (möglicherweise ohne sich dessen bewusst zu sein) sich zu seinen europäischen Kollegen gesellte, indem er historische Besonderheiten von Masepa trennte, vermittelte er immer noch das hohe politische Potenzial der Geschichte. Nach allem war Masepa ein neuer Sakamoto Ryōma, Symbol eines kaiserlichen Loyalisten, der die jungen widerständigen Seelen elektrisierte.
Zusammenfassung
Das 19. Jahrhundert wird oft als ein Zeitalter der Globalisierung charakterisiert. Und Wissenschaftler haben die intellektuelle Geschichte des Meiji-Japans als ein besonderes Beispiel wahrgenommen, das diesen Trend belegt. Gegen den Rückfall der britischen Hegemonie und den Aufstieg des Deutschen Kaiserreiches, der Vereinigten Staaten und des russischen Reiches als neue herausfordernde Industriemächte gesellte sich das Meiji-Japan hinzu, indem es sich selbst weitgehend auf der Grundlage des euroamerikanischen Modells eines modernen Staates reformierte. Insbesondere in den Bereichen der Bildung und der Veröffentlichungen ragte die globalisierende Dimension hervor, weitgehend aufgrund der obligatorischen Bildung, der wachsenden Bedeutung europäischer Sprachen einschließlich Englisch und Deutsch in den Hochschulen, die Einrichtung von Hochschulen nach dem westlichen Modell und die Flut übersetzter Werke in der Welt der Verlage.
In diesem Sinne legt unsere Untersuchung der Kargheit an Materialien, die sich direkt auf die ukrainische Geschichte beziehen, in der gesamten Meiji Periode nahe, dass das Label Globalisierung nur eine begrenzt erklärende Kraft hat oder sogar in die Irre führt. So wie die meisten Schüler in den Primarschulen gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehalten waren, „Universalgeschichte“ zu lernen, umfasste das Curriculum hauptsächlich die Geschichte der westeuropäischen Nationen und der Vereinigten Staaten. Im Verlagswesen konnten Leser leicht Texte erhalten, die das Leben von George Washington, Peter dem Großen oder Napoleon I. diskutierten, aber keine über Tadeusz Kościuszko, Bohdan Khmelnytsky oder Iwan Masepa. Unsere Untersuchung verschiedener Veröffentlichungen über die Schlacht von Poltava zeigt, dass einige Ereignisse, die nicht nur für Ukrainer, sondern auch für Russen von Bedeutung waren, unverhältnismäßig in den Meiji Veröffentlichungen dargestellt wurden, zumeist in dem sie historische Komplexitäten ausließen, auf Kosten der politischen Agenden des Hetmanats, die sie verschwiegen.
Eine andere schlagende Dimension unserer Studie über Kimura Takatarōs erste japanische Übersetzung des „Mazeppa“ von Lord Baron ist die Tendenz der literarischen Darstellung, die historischen Ereignisse, die die Autoren inspirierten, in ihrer Bedeutung zu verkleinern und zu entpolitisieren. Zur gleichen Zeit legt Kimuras Bezug auf die zeitgenössische Redewendung „kanketsu senri“ nahe, dass die besondere Art und Weise, den kosakischen Mythos aufzunehmen, auch zu der literarischen Tradition passte, mit der der Übersetzer vertraut war. In diesem Sinne können wir sogar sagen, dass die Globalisierung in 19. Jahrhundert ihren Platz hatte, aber dass ihre Ausprägung noch unter der Verkleidung der Lokalisierung geschah. Zugegeben wurde eine solche kreative Reinterpretation des Bildes von Masepa universell in anderen westlichen Ländern wie Britannien, Frankreich und Deutschland gefunden, in denen Masepa in gewissem Maße von seinem historischen Zusammenhang entkoppelt wurde. Wenn wir dabei bleiben, Globalisierung als einen Prozess der Homogenisierung oder Universalisierung zu verstehen, bietet unsere Geschichte einen roten Faden im Meiji Japan, der auch auf andere Fälle angewandt werden kann: Die Bildung der Unwissenheit über ukrainische Geschichte im Gewand der Beliebtheit des Bildes Masepas.
Primärquellen:
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- Bairon, Kanketsu senri Mazeppa, translated by Kimura Takatarō, Tokyo, Shinzenbi kyōkai, 1897.
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Sekundärquellen:
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- Yamamuro, Shin’ichi, Hōsei kanryō no jidai, Tokyo, Bokutakusha, 1984.
Jeonghun Choi, Harvard Universität
Jeonghun Choi ist PhD-Student am Department of East Asian Languages and Civilizations der Harvard University. Er untersucht, wie populäre Schriftsteller und kommerzielle Verlage in Japan historisches Wissen lokalisierten, das aus chinesischen sowie euro-amerikanischen literarischen Sphären stammt. Seit Januar 2025 ist er Gastforscher an der Saga Universität. In seiner Dissertation erforscht er, wie die Faszination der Japaner für das Russische Reich gleichzeitig zu Wissen und Unwissen über osteuropäische Geschichte führte, insbesondere über die Geschichte der Ukraine und Polens. Für die Übersetzung aus dem Englischen sorgte Norbert Reichel in Zusammenarbeit mit Pavlo Shopin, der diesen Essay dem Demokratischen Salon vorschlug. Eine von Volodymyr Klapa besorgte ukrainische Übersetzung erschien in der Zeitschrift Krytyka.
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Februar 2025, Internetzugriffe zuletzt am 15. Februar 2025. Titelbild: Horace Vernet, Mazeppa aux loups (Ausschnitt), 1826. Wikimedia Commons.)