Der lange Weg der Öko-Science Fiction

Teil 1: Ein Definitionsversuch und ein Blick ins Kaiserreich

„Science Fiction ist die metaphorisch-mythische Antwort der Literatur (im weiteren Sinn der Kunst) auf die revolutionären, durch Wissenschaft und Technik bedingten Umbrüche in der menschlichen Gesellschaft seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute.“ (Hans Frey, Definition der Science Fiction in einem Satz)

Die Geschichte der deutschen wie auch der internationalen Öko-SF ist eingebettet in die Geschichte der allgemeinen Öko-Debatte. Über eine lange Zeit hinweg war diese alles andere als ein Ruhmesblatt, soweit sie denn überhaupt stattgefunden hat. Deshalb kann schon vor einem Einstieg in die Details festgestellt werden: Für Deutschland, aber auch für die gesamte internationale Szene war es ein sehr weiter und steiniger Weg, bis sich ein fundiertes Bewusstsein über die Bedeutung ökologischer Kreisläufe für die Existenz der Menschheit durchgesetzt hat.

Zukunftsdebatte zwischen Utopie und Dystopie

Jede Öko-Debatte ist immer auch eine Zukunftsdebatte. Die Science Fiction ist das Genre, in dem die Beschäftigung mit der Zukunft bzw. mit diversen Zukünften im Mittelpunkt steht. Daher drängt sich diese Literatur- und Kunstform als originäre Plattform für eine Auseinandersetzung mit dem, was Erde und Menschheit zu erwarten haben, geradezu auf. Die SF als ausgewiesene Optionsliteratur kann nicht nur Folgewirkungen extrapolieren, nicht nur düstere Warnungen an die Wand malen, sondern kann auch aufzeigen, was sein sollte und wie eine menschenwürdige Zukunft möglich wäre. Leider hat die Geschichtsschreibung der SF zum Thema Ökologie über große Strecken hinweg keine besonderen Verdienste vorzuweisen. Dieser Bereich wurde bis zum Beginn der 1970er-Jahre sträflich vernachlässigt. Die folgenden Darstellungen werden hier näheren Aufschluss geben.

Gleichwohl kann die SF einige Meriten für sich in Anspruch nehmen. Sie war das einzige Literaturgenre, das in der fortschreitenden Industrialisierung zumindest partiell, das heißt rudimentär und bruchstückhaft Gegenszenarien aufbaute und im Widerspruch zu den herrschenden Kräften in Politik und Gesellschaft Alternativen anbot. Früher als andere nahm sie Warnungen aus der Wissenschaft ernst und versuchte mit ihren Mitteln und Möglichkeiten, sich dem Desaster entgegenzustellen. Das war in der Tat erfolgreich, denn der rollende Schneeball wuchs sich diesmal zur positiven Lawine aus. Das Subgenre Öko-Science Fiction entstand. Heute können wir auf einen beeindruckenden Fundus von SF-Werken blicken, der wertvolle Anstöße vor allem im Sinne einer Bewusstmachung und Popularisierung des Themas gegeben hat.

Das Genre Science Fiction besteht aus diversen Subgenres, die um Einzelaspekte des SF-Universums kreisen, so zum Beispiel die Space Opera, Aliens, Künstliche Intelligenzen, Roboter, kosmologische SF, Gesellschaftsutopien, Zeitreisen, Mutantenromane und vieles mehr. Im Laufe der Zeit kamen neue Subgenres hinzu (zum Beispiel die New Wave oder der Cyberpunk). Zu ihnen gehört auch die Öko-SF, die sich seit den 1970er-Jahren fest in der SF zu etablieren begann.

Welche Topoi, Motivstrukturen, Themenkomplexe, Botschaften, kurz, welche Erzählbedingungen müssen erfüllt sein, um von Öko-SF sprechen zu können? Ist ein Roman Öko-SF, der die mühsamen Überlebensversuche von Menschen beschreibt, die nach einem verheerenden Atomkrieg übriggeblieben sind? Ich denke nicht, denn diese Art der Apokalypse ist zwar menschengemacht, wurde aber nicht durch ein falsches ökologisches, sondern durch ein falsches politisches Handeln verursacht. Eine derartige Erzählung ist dem traditionellen SF-Subgenre des Post Doomsday zuzuordnen. Anders sieht es aus, wenn der (in der SF nicht religiös gemeinte) „Jüngste Tag“ durch den vom Menschen provozierten Zusammenbruch des natürlichen Öko-Systems bedingt ist. In diesem Fall ginge es um Öko-SF.

Ich biete folgende Definition an: Öko-SF ist der Zweig der SF, der sich mittels Extrapolationen und anderen Denkmodellen mit dem ökologischen Fehlverhalten der Menschen auseinandersetzt. An zentraler Stelle steht hier der falsche Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, der eine massive Gefährdung der menschlichen Zivilisation zur Folge hat. Gegenstand der Öko-SF ist somit nicht die Beschreibung von menschengemachten Zivilisationsbrüchen, Erdkatastrophen und Weltuntergängen an sich, sondern die Beschreibung des sträflichen Verhaltens des Menschen gegenüber der Natur und dessen desaströse Auswirkungen. Enden diese nicht in einem endgültigen Aus, so sind Gedankenspiele zu den vielfältigen Versuchen, bereits eingetretene Schäden aufzuhalten, abzumildern oder wieder ganz zu beseitigen, ebenfalls ein integraler Bestandteil der Öko-SF. Dystopische und utopische Elemente sind in der Öko-SF eng miteinander verbunden.

Mit diesem Definitionsversuch soll keine kleinkarierte Schubladendiskussion eröffnet werden. Er hat einzig und allein den Zweck Zu vermeiden ist allerdings, dass nicht alles und jedes, was irgendwie mit einem kulturellen Zusammenbruch, einem Weltinferno, Post Doomsday oder End-of-Line zu tun hat, in einen Topf geworfen wird. Zuordnungen zu literarischen Kategorien müssen inhaltlich begründet sein. Das fördert die Klarheit des Denkens und sorgt im Meer der Unübersichtlichkeit für Orientierung.

Die Science Fiction existiert als eigenständiges Genre seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Entscheidende Wegmarken sind hier: Der SF-Roman Ini. Ein Roman aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert des Preußen Julius von Voß (1768-1832) von 1810 und der SF-Roman Frankenstein oder Der moderne Prometheus von Mary W. Shelley (1797-1851) aus dem Jahr 1818. Sowohl Ini als auch Frankenstein werden als die ersten originären SF-Genreromane der Weltliteratur gewertet.

Betrachtet man die SF insgesamt unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Diskussion, so kann von einem SF-Subgenre namens Öko-SF im 19. Jahrhundert bis hin zum letzten Drittel des 20 Jahrhunderts keine Rede sein. Was es gab, waren solitäre Schriften und Romane, die ökologische Inhalte ansprachen oder erwähnten, ohne dass diese Inhalte Teil eines durchdachten Umweltkonzepts, geschweige denn einer mächtigen politisch-sozialen Bewegung gewesen wären. Ökoorientierte SF ist in diesen Epochen als Randerscheinung und Ausnahme zu werten. Das änderte sich international erst ab 1970. In der deutschsprachigen SF dauerte es sogar noch etwa ein Jahrzehnt länger, um den Anschluss an die angloamerikanische SF zu finden.

Naturschwärmerei, Naturtümelei und Sozialromantik

Beginnen wir mit den Verhältnissen im preußisch-deutschen Kaiserreich. Die hemmungslose Industrialisierung Deutschlands verursachte die Verschmutzung, Verschandelung und Vergiftung der Luft, des Wassers, der Landschaft und der Städte in einem Maße, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Es ist also gar nicht überraschend, dass ab der wilhelminischen Ära Fragen auftauchten, die den Raubbau an der Natur thematisierten. Es blieb indes bei Einzelstimmen und Äußerungen singulärer Gruppenmilieus. Tatsächlich muss man sich sogar wundern, dass die Öko-Debatte nicht eine viel größere publizistische und politische Rolle gespielt hat, obwohl die Fakten erdrückend waren. Die Umweltverhältnisse waren insbesondere in den Metropolregionen größtenteils katastrophal. Warum setzten trotz des Problemdrucks die bestimmenden politischen Kräfte das grüne Thema nicht auf die zentrale Agenda?

Die bestimmenden politischen Kräfte waren zu dieser Zeit auf der einen Seite liberale, konservative und rechte Strömungen, während sich auf der anderen Seite die SPD als einzige linke Oppositionspartei positionierte. Verhängnisvollerweise verfolgten beide Großrichtungen, die sich ansonsten hart bekämpften, Prioritäten, die nicht die Öko-Debatte im Auge hatten. Für die feudalen und bürgerlichen Kräfte genossen ökonomische Prosperität, überbordende Wertschöpfung, Höchstprofite und der Machtzuwachs des deutschen Reiches absoluten Vorrang. Für die SPD stand indes die soziale Frage an oberster Stelle. Die deutsche Sozialdemokratie nahm man zwar in Teilen die Verwerfungen zur Kenntnis, war aber der Meinung, dass sich die Umweltprobleme quasi automatisch verflüchtigen würden, wäre erst einmal die soziale Frage gelöst, sie war – marxistisch gesprochen – einer der Nebenwidersprüche, die sich lösten, wenn der Hauptwiderspruch gelöst wäre. Daraus folgte: Grüne Politik (hier nicht parteipolitisch verstanden) war während der gesamten Kaiserreichszeit und weit darüber hinaus nur ein bescheidenes Dasein am Rande der bestimmenden politischen Konfliktlinien gegönnt. Dieser Zustand sollte gerechnet ab der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 etwa einhundert Jahre andauern, 100 Jahre, die uns heute fehlen.

Hinter den apostrophierten Einzelstimmen und Gruppen verbarg sich ein Konglomerat, das sich naturverbunden zeigte, aber letztlich über keine politische und gesellschaftliche Gestaltungskraft verfügte. So tummelten sich im Kaiserdeutschland die Verfechter eines Zurück zur Natur in einer bunt zusammengewürfelten Ansammlung aus Reformpädagogik, Freikörperkultur, Lebensreformbewegung, Romantikern, fröhlichen Wandergesellen bis hin zu Wasserheilern und Naturaposteln. Ebenso gemischt präsentierte sich die Szene in ihren Motiven und Weltanschauungen. Es überwogen stark gefühlsbetonte, das Gemeinschaftserlebnis suchende Naturschwärmereien, die oft mit naturreligiösen und esoterischen Elementen verquickt waren. Dennoch ist richtig, dass diese Weltsichten ursprünglich eine durchaus fortschrittliche Komponente transportierten. Sie begannen sowohl im bürgerlichen wie auch im proletarischen Lager als jugendliche Protestbewegungen. Junge Menschen wollten nicht nur raus aus den verdreckten Städten, sondern vor allem raus aus der puritanischen Enge und der allgegenwärtigen Bevormundung.

So entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts fast zeitgleich der bürgerliche Wandervogel, eine Organisation, die vor allem Gymnasiasten und Studenten ansprach, und die SPD-orientierten Naturfreunde für die Arbeiterjugend. Eine einheitliche Bewegung entwickelte sich daraus nicht, denn außer der Naturtümelei und einem diffusen Freiheitsgefühl gab es zwischen den Kontrahenten keine Gemeinsamkeiten. Während der Wandervogel schnell von deutschnationalen, völkischen und antisemitischen Vorstellungen beherrscht wurde, kapselten sich die Naturfreunde (wie die SPD insgesamt) von der übrigen Gesellschaft ab und führten ein Eigenleben. Das weitere Schicksal beider Organisationen war denn auch typisch. Der Wandervogel wurde 1933 von der Hitlerjugend geschluckt, die Naturfreunde von den Nazis verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten sich die Naturfreunde in der BRD neu und existieren im kleinen Maßstab noch heute.

Ökologische Fragen spielten in der damaligen deutschen SF nur eine Statistenrolle. Wenn sie vorkamen, waren sie lediglich eine Beigabe zu Werken, die sich mit anderen Inhalten beschäftigten. Auch bei den gehaltvolleren deutschen SF-Autoren/innen dieser Zeit nahmen sich lediglich ganz wenige von ihnen überhaupt des Themas an. Dann aber skizzierten sie durchaus niveauvolle und bedenkenswerte Ideen. Besonders auffällig sind hier Passagen im Werk von Kurd Laßwitz, den viele als Vater der deutschen SF ansehen – der leider fast vergessenen Preuße Julius von Voß könnte in dieser metaphorischen Genealogie als Großvater gelten.

Drei Pioniere: ein Pädagoge, ein Pastor und ein Arzt

Der Gothaer Gymnasialprofessor und Schriftsteller Kurd Laßwitz (1848-1910) war Pädagoge, Wissenschaftler und Philosoph. Als Poet war er einer der ersten Deutschen, der neben märchenhaften und rein phantastischen Erzählungen Science Fiction schrieb, und zwar in ihrer sozialutopischen wie auch wissenschaftlich-technischen Variante.

In seinem wichtigsten und heute noch bekannten belletristischen SF-Werk Auf zwei Planeten (1897) schildert er die Konfrontation zwischen den Erdbewohnern mit ihren allseits bekannten Problemen und Defiziten und den Marsianern (Marsiten), die sich auf einer fast schon idealen politisch-sozialen und wissenschaftlich-technischen Entwicklungsstufe befinden. Letztlich geht es ganz im Sinne von Laßwitz‘ großen Vorbildern Kant und Schiller um den Kampf für eine vor allem ethisch-moralisch bessere Menschheit. Ob und wie die Marsbewohner ihr dabei helfen, ist Teil des dramatischen Geschehens. Im Rahmen dieses Essays muss leider die inhaltliche Fülle des faszinierenden Romans ausgeklammert werden. Nicht auszuklammern sind dagegen die Beiträge von Laßwitz zum Öko-Komplex, die verblüffend genug sind. An vielen Stellen von Auf zwei Planeten wird deutlich, dass die marsianische Zivilisation von einer ökologisch bewussten Nachhaltigkeitswirtschaft bestimmt wird. Mit dem Wasser geht sie ebenso sanft um wie mit allen sonstigen Umständen des Lebens. Laßwitz weiß zudem, im Zentrum jeder technologisch orientierten Gesellschaft steht die Energiewirtschaft. Soll diese aber dem planetaren Leben dienen und nicht dem Raubbau an der Natur, gibt es für ihn keinen Zweifel, dass sie auf regenerativen und sauberen Energien beruhen muss.

In einer wunderbar treffenden Textpassage, in der Außerirdische die Erde besuchen, heißt es: „’Woher kommen diese Nebel über Ihren großen Städten?‘, fragte einer der Martier. ‚Hauptsächlich von der Verbrennung der Kohle‘, erwiderte Grunthe. ‚Aber warum nehmen Sie die Energie nicht direkt von der Sonnenstrahlung? Sie leben ja vom Kapital statt von den Zinsen.'“  In einer fast nebensächlich wirkenden Szene, die nur wenige Worte braucht, werden schlagartig Zusammenhänge klar, für die weniger Begabte oft zu den umständlichsten Erklärungen ausholen müssen. So ist Laßwitz auch an anderen Stellen des Romans in der Lage, fundamentale Prinzipien einer Umwelt-Ökonomie nachvollziehbar und wie selbstverständlich einzuspeisen.

Der protestantische Pastor Friedrich Wilhelm Mader (1866-1947) schrieb in seiner Freizeit Abenteuerromane. 1911 wagte er sich an seinen ersten SF-Roman. Dabei gelang ihm mit Wunderwelten ein origineller Wurf, da er die erste Space Opera deutscher Provenienz erschuf, eine für die deutsche SF bemerkenswerte Leistung. Störend sind zwar Maders Missionseifer, wenn er auf seinen geliebten christlichen Glauben zu sprechen kommt, und sein Hang zum langatmigen Dozieren, ansonsten aber kann er farbig und spannend erzählen. Überzeugend sind das Fehlen jeglicher Deutschtümelei, seine Weltoffenheit und seine Humanität, die sich wohltuend von der zumeist rechtsgewirkten SF-Unterhaltungsware im Kaiserreich abhob.

In Wunderwelten reist ein abenteuerlustiger englischer Lord, begleitet von einer illustren Mann- und Frauschaft und zwei Schimpansen, mit seinem Raumschiff durch das Sol-System, besucht diverse Himmelskörper und erreicht schließlich das nächstgelegene Doppelsternsystem Proxima und Alpha Centauri. Hier trifft er auf den nicht zufällig so genannten Planeten Eden. Eden gleicht nicht nur in allen möglichen Eigenschaften einem diesseitigen Paradies, sondern die intelligenten Planetenbewohner, die Edeniten, sind darüber hinaus Edelmenschen, die vor allem ethisch-moralisch haushoch über den Menschen stehen.

Während Mader seine Sozialutopie ausführlich beschreibt, tippt er den ökologischen Bereich nur an. Trotzdem lässt er aufmerken, da sich seine Position signifikant vom Zeitgeist eines ungebremsten Industriefeudalismus abgrenzt. Der Autor Dieter Hasselblatt (1926-1997), der sich unter anderem auf dem Gebiet des Hörspiels große Verdienste erworben hat, schreibt in seinem Nachwort zur Heyne-Neuausgabe von Wunderwelten (1987): „Unüberhörbar ist der Aufruf zur Friedfertigkeit und Verständigung, der von Friedrich Wilhelm Maders Romanen, insbesondere von Wunderwelten, ausgeht. Darüber hinaus ist gerade die Passage, die auf dem Planeten Eden im System Alpha Centauri spielt, getragen von einem Naturschonungsverhalten im Sinne Robert Jungks (…).“ Von Robert Jungk wird noch die Rede sein.

Deutlicher als Mader wird ein anderer zeitgenössischer deutscher SF-Autor, nämlich der Mediziner Dr. Albert Daiber (1857-1923). In seinen beiden Mars-Bänden Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars (1910) und Vom Mars zur Erde (1914) legt der Schwabe eine groß angelegte Gesellschaftsutopie vor. Doch Daiber geht noch einen Schritt weiter, indem er sich vor allem im zweiten Band über Fragen des Umweltschutzes und einer Verschwendungswirtschaft äußert. Die anhand der Mars-Gesellschaft beschriebenen Verfahrensweisen sind für seine Zeit verblüffend hellsichtig und lassen die heutige Leserschaft staunen. Daiber lehnt sich anfangs locker an das bekannte Märchen von den sieben Schwaben an, da es bei ihm sieben Gelehrte der Universität Tübingen sind, die mittels eines Gefährts, Weltensegler genannt, eine Expedition zum Mars unternehmen. Was scheinbar provinziell beginnt, entpuppt sich als großer Wurf. Auf dem Mars wird die Gruppe mit einer hochentwickelten, demokratischen Gesellschaft konfrontiert, die vom Solidaritätsprinzip durchdrungen ist. Alles, was sich die Menschen an Schönem, Wahrem und Gutem erträumen, ist auf dem Mars Realität geworden. Die humanoiden Marsianer (oder Marsiten, wie sie Daiber nennt) haben einen ethisch-moralischen und technischen Standard erreicht, der die Menschen erblassen lässt. Nachdem die Gefährten ausgiebig die Errungenschaften des Mars studiert und erlebt haben, fühlen sie sich verpflichtet, zur Erde zurückzukehren, um ihren Artgenossen davon zu berichten und sie zu bewegen, einen besseren Weg einzuschlagen. Doch einer von ihnen, ausgerechnet der Ethikprofessor Fridolin Frommholz, weigert sich, da er auf der schrecklichen Erde nicht mehr leben könne. So treten nur sechs der Gruppe den Heimweg an.

Das zweite Buch Vom Mars zur Erde beschäftigt sich mit dem weiteren Schicksal des besagten Frommholz. Genauer auf das Verhältnis der Marsiten zu ihrer Umwelt eingehend, schildert Daiber, dass sich die Marsbewohner sehr wohl über die ökologischen Kreisläufe ihrer Welt bewusst sind. Eine nachhaltige Wasserwirtschaft soll dazu beitragen, das auf dem Mars knappe Wasser so lang wie möglich nutzen zu können. Es ist deshalb kein Wunder, dass ihre Landschaften und Wohnorte gesund und harmonisch sind. Gerade weil die Marsianer wissen, dass ihre Welt nicht ewig bestehen wird, gehen sie äußerst rücksichtsvoll mit der Natur um. Der Roman endet damit, dass Frommholz, der sich als ein von Gewissensbissen geplagter Drückeberger sieht, dann doch die Courage findet, den fast himmlischen Mars zu verlassen, um sich den Problemen der Erde zu stellen.

In ihren SF-Romanen liegt das Hauptinteresse von Laßwitz, Mader und Daiber in der Beschreibung einer Gesellschaftsutopie, die damit direkt und indirekt die Zustände der konkreten Gesellschaft geißelt, in der die Autoren leben. Sie folgen dem klassischen utopischen Schema, wie es erstmals Thomas Morus in Utopia (1516) entwickelt hat. Das Besondere bei Mader, noch mehr bei Daiber und in erster Linie bei Laßwitz ist, dass sie ihre Sozialutopien mit Gedanken über den Umgang mit der Natur anreichern. Alle drei stellen das herrschende Ausbeutungsverdikt gegenüber der Natur infrage, wenn auch nicht als zentrales Anliegen. Nicht nur damit wurden diese Autoren zu Ausnahmenerscheinungen der deutschen SF-Literaturgeschichte. Ihre schwergewichtigen Botschaften zeigten indes kaum Wirkung.

Politische Fantastereien und einige Abgründe

Daneben gab es sehr wenige Werke, die dem Thema vermeintlich einen zentralen Stellenwert einräumten. Hier reiht sich vor allem das 886 Seiten starke Konvolut Der Zukunftsstaat. Staatseinrichtungen im Jahr 2000. Neue Weltanschauung. Jedermann wird ein glückliches und sorgenfreies Dasein gesichert (1904) von Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) ein. Der Zukunftsstaat ist kein SF-Roman, sondern – wie schon der Bandwurmtitel erahnen lässt – ein Traktat über alle möglichen Themen, die Zukunftsvisionen beinhalten. Das nachfolgende Bilz-Buch In hundert Jahren (1907) war tatsächlich ein SF-Roman, blieb aber ohne Resonanz.

Bilz, ein Freund von Karl May (Bilz lebte später in Radebeul), war ein aus einfachsten Verhältnissen stammender Weber, der sich autodidaktisch Kenntnisse über Naturheilverfahren angeeignet hatte und im Laufe seines Lebens ein kleines Imperium aus Publikationen (es gab einen eigenen Bilz-Verlag), Sanatorien und sonstigen Produkten schuf. Anekdotisch sei erwähnt, dass er zusammen mit einem Getränkehersteller die „Bilz-Brause“ erfand, die noch heute unter dem Namen Sinalco (= sine alcohol = ohne Alkohol) beliebt ist.

Der Grund des Erfolgs lag in seiner zielstrebigen Geschäftstüchtigkeit und seinem Talent, volkstümlich zu schreiben und so einem eher schlichten Publikum seine Weisheiten glaubhaft vermitteln zu können. Auch waren Teile seiner vorgeschlagenen Diäten und Heilmethoden wohl nicht ganz wirkungslos. Bilz war trotz seiner kommerziellen Aktivitäten kein rein auf Profit ausgerichteter Reaktionär und kein Pickelhauben-Esoteriker, wenngleich auch esoterische Elemente bei ihm zum Zuge kommen. Er erkannte, dass die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse eine wesentliche Bedeutung für die menschliche Entwicklung hat. Auch der SPD stand er keineswegs feindlich gegenüber, lehnte allerdings die Politik der SPD ab, weil diese seinem einzig wahren und richtigen Naturgesetz im Weg stand.

Das „göttliche Naturgesetz“, von dem nur Bilz weiß (oder auch nicht), was damit gemeint ist, ist der rote Faden, der den Wälzer Der Zukunftsstaat durchzieht. Es ist dieses ominöse Naturgesetz, das eine ganze Reihe von politisch links klingenden Forderungen begründet. Dazu gehören eine grundlegende Fürsorge des Staates für alle, eine kürzere Arbeitszeit, mehr Vergnügungen und mehr Tierliebe, eine Bodenreform sowie Solidarität und Gleichheit. Wohnungen sollen hell und luftig sein, Mütter sollen ihre Babys selber stillen, und man soll nur noch eine Sprache sprechen. Frauen sollen keine Schleppen, sondern kurze Kleider tragen, Jungen und Männer entsprechend bequem angezogen sein. Eigentlich aber wird die Nacktheit als das beste Gewand gehandelt. Der Schritt zur freien Liebe und zur Abschaffung der Zwangsheirat ist also nur noch ein kleiner. Zu den Verboten des Naturgesetzes gehören Kriege, Spekulationsgeschäfte, Religionszwang, starker Kaffee, Tee, Alkohol, Tabak, scharfe Gewürze, Drogen und der Genuss von Fleisch.

Farbtafel aus Bilz: Zukunftsstaat

Das klingt streckenweise durchaus sympathisch, aber man bemerkt schnell den Pferdefuß. Bilz überschüttet die Lesenden mit einem schier unüberschaubaren Wust von Verhaltensregeln, die von der banalsten Sache (zum Beispiel sind Hüte abzuschaffen) bis zu grundlegenden gesellschaftlichen Erschütterungen gehen (zum Beispiel der freien Liebe). Gleichzeitig wagt er sich auf andere Gebiete vor. Er sinniert zum Beispiel über die Gravitation, verdammt die Pockenschutzimpfung, zeigt Erdbebenursachen auf und versucht sich als Theologe, der Jesus nicht als Sohn Gottes anerkennt.

In Bilz begegnet uns der halbgebildete Autodidakt, der vieles nicht richtig oder sogar komplett falsch verarbeitet, aber dennoch fest davon überzeugt ist, die wahre Heilslehre entdeckt zu haben. Zuweilen gelingen ihm sogar einige Treffer, die sein Gesamtwerk allerdings nicht plausibler machen. Seine Ge- und Verbote sind politisch nicht stimmig und sachlich oft unlogisch – bei Männern sind lange Kopfhaare aus Hygienegründen verboten, die weit unhygienischeren langen Bärte aber erlaubt. Er verkündet über weite Strecken ein beinahe linkes Programm, widersetzt sich aber den Bedingungen eines politischen Kampfes. Bilz, der in seiner Art durchaus als Reformer gelten kann, wurde wegen seiner illusionären Methode und seiner zum Teil abwegigen Inhalte objektiv doch zum Unterstützer rückwärtsgewandter Kräfte. Wassergüsse, Kräuterextrakte, Sinalco und noch so gut gemeinte Verhaltensvorschriften können nun einmal keine neue Gesellschaft hervorbringen.

Eingegangen werden soll noch auf Paul Albrecht (1863-?), ein ansonsten unbekannter Autor, der 1905 unter dem Pseudonym Hans Hardt den SF-Roman Im Zukunftsstaat veröffentlichte – der fast gleichlautende Titel mit dem Bilz-Traktat soll uns nicht weiter irritieren. Albrecht versuchte sich hier an einer ökologisch geprägten Utopie, produzierte in Wahrheit aber ein Kuriosum der besonderen Art.

Wir schreiben im Roman das Jahr 2411. Obwohl Albrechts Staat über 500 Jahre in der Zukunft liegt, scheint die Zeit an der Menschheitsentwicklung fast spurlos vorbeigegangen zu sein – im Prinzip könnte der Plot auch im Jahr 1910 spielen. Der deutsche Student Armin Hardt macht sich auf zu einer Italienreise. Nach Nutzung der elektrischen Schwebebahn, die über die Alpen führt (eine der ganz wenigen technischen Neuerungen, die Albrecht erwähnt), geht es auf Schusters Rappen ganz im Sinne des Wandervogels nach Genua. Dort begegnet ihm ein wunderhübsches Mädchen, in das er sich verliebt.

Doch die Angebetete entschwindet. Armin befasst sich stattdessen mit seiner Umgebung, die ihm wie ein Zauberreich vorkommt. Zwang, Elend und die Knute der katholischen Kirche gibt es nicht mehr. Alles ist hell und licht. Die Universität, ein strahlender Marmortempel, wird von leichtbekleideten Mädchen und Jünglingen bevölkert, die zur streng ausgesiebten Elite der sogenannten Gartenhochschule gehören. Armin erfährt, wie es zu dieser Veränderung kam. Irgendwann hatte sich ein sogenannter Weltbund gegründet, der von da ab alles bestens regelt. Der Bund geht rigoros gegen Trunksucht, Prostitution, Ehebruch, Tabakrauchen, scharfe Gewürze und vor allem gegen die Homosexualität vor. Das Motto: „Zurück zur Natur! (…) Den Weg hierzu versperrten zwei uralte Reisige: Die Religion und die Fleischnahrung. Kirche und Küche.“

Vollgestopft mit Küchenphilosophie erreicht Armin sein eigentliches Ziel Portofino. Hier trifft er Liane, die – wen wundert es – genau das filigrane Geschöpf ist, in das sich Armin unsterblich verliebt hatte. Unterbrochen wird die sich anbahnende Affäre durch den Besuch einer abschreckenden Ausstellung über das 20. Jahrhundert. Zum Abschluss des Romans entspinnt sich ein ausgesprochen albernes Melodram zwischen Mutter, Tochter und Armin. Armin und Liane baden nackt im Meer, es passiert aber außer einigen Küsschen gar nichts. Für die Mutter ist das dennoch Anlass genug, sich umbringen zu wollen, da Liane zur „Buhle“ geworden sei. Im Gegenzug will sich Liane umbringen, wird aber von ihrem Armin gerettet. Irgendwie: Ende gut, alles gut.

Es fällt schwer, diesen SF-Roman ernst zu nehmen. Fakt ist, dass der Autor sein Öko-Thema, das er sich selbst gestellt hat, nicht bewältigt. Sein grünes Weltbild erschöpft sich in einem vegetarischen Lebensstil ohne Tabak und Alkohol, einer luftigen Kleidung für Männlein und Weiblein und einem verordneten allgemeinen Wohlbefinden. Genauso klischeehaft und simpel ist der Plot und seine literarische Umsetzung. Der Schlussteil mit den diversen Suizidabsichten aus nichtigen Anlässen gerät vollends zur Seifenoper.

Tatsächlich entpuppt sich die Schrift als eine nur notdürftig grün angestrichene Zukunftsgeschichte, die eine andere Absicht verfolgt. Albrecht geht es eigentlich um Sexualität. Fast mit Händen zu greifen ist seine Sehnsucht nach einem freien Geschlechtsleben, das sich ohne Zwänge und Konventionen entfalten darf. Aber: Was offensichtlich als Beitrag zur sexuellen Befreiung gemeint ist, verkommt stets zu einer Apologie repressiver Konventionen. Die zur Schau gestellte Inkonsequenz betrifft vor allem sein Verhältnis zur Homosexualität. Man erkennt schnell, dass der Autor auch für schöne Jünglinge viel übrighat. Das hindert ihn wiederum nicht, die gleichgeschlechtliche Liebe als ausrottungswürdiges Übel zu verdammen. Nun mögen derartige Verrenkungen angesichts des gesellschaftlichen Umfelds, in dem der Autor lebte, als Schutz gedient haben. Damit kann die Schnulze allerdings nicht gerettet werden. Versagte Albrecht schon bei seinem nur vorgeschobenen Sujet, so blieb er auch bei seinem wahren Thema, der Sexualität, unaufrichtig und verlogen. Ein durch und durch misslungener Roman.

Erste Ansätze einer Climate Fiction

In den Schriften von Bilz und noch mehr bei Albrecht wurde letztlich nur ein ökologisches Denken suggeriert. In Wahrheit gingen Ansprüche und Absichten andere Wege. Auch die Texte, von denen jetzt gesprochen werden soll, erwecken auf den ersten Blick einen ökoorientierten Anschein. Tatsächlich verschärften sie den Gesamtzusammenhang, weil sie schon im Grundsatz von abweichenden Inhalten getragen wurden.

Dabei fällt die Story Als der Welt Kohle und Eisen ausging (1913) ins Auge, die sich mit der Rohstoffgewinnung und der Energiewirtschaft beschäftigt. Nebenbei: Der Titel enthält im Original den Grammatikfehler und wurde auch so im Jahresperiodikum DAS NEUE UNIVERSUM abgedruckt. Autor ist der Wiener Reise- und Abenteuerschriftsteller Colin Ross (1885-1945; Tod durch Suizid). Ihn interessierten nicht andere Ethnien und Kulturen, sondern nur die weltweiten Rohstoffschätze, die nach seiner Auffassung ausschließlich den Europäern und hier vornehmlich den Deutschen zustanden. Seine rassistische Grundeinstellung führte nach dem Ersten Weltkrieg zu einer aktiven NS-Parteinahme.

Die Story beschreibt ein imaginäres Jahr 1995. Europa, das keine eigenen Rohstoffe mehr hat, gerät in eine bedrohliche Energiekrise, weil China, das einzige Land der Erde mit nennenswerten Kohle- und Erzvorkommen, seine Exporte einstellt. Schon rüsten das Deutsche Reich und die anderen Industrienationen zum Krieg, um sich mit Gewalt zu holen, was man sonst nicht mehr bekommen kann: „Doch deutsches Genie weiß andere Abhilfe. Anstatt mit Kohle werden die Hochöfen mit Elektrizität geheizt. Und um den Erzmangel zu beheben, bohrt man das glutflüssige Erdinnere an, das zum größten Teil aus Eisen besteht. Mit Erfolg!“ (Ross-Zitat aus dem Klappentext der Heyne-Neuausgabe Als der Welt Kohle und Eisen ausging von 1980). So wird der Krieg abgeblasen, und die Chinesen gucken in die Röhre.

Augenfällig ist gerade für die Zeit (wir befinden uns im Jahr 1913!), dass sich Ross mit einer möglichen Energiekrise beschäftigt und sie zum Thema einer SF-Geschichte macht. Bedenkt man, dass wahrscheinlich erst 1974 beim ersten erzwungenen autofreien Sonntag, bedingt durch die Öl-Krise, auch breitere Schichten der bundesdeutschen Bevölkerung etwas von der Energieproblematik mitbekommen haben, ist Als der Welt Kohle und Eisen ausging eine originelle, ja fast schon weitsichtige SF-Geschichte. Leider bleibt Ross ganz schnell im Morast seiner Vorurteile stecken. Bei ihm gibt es keine Kritik an der rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, die ja erst zum beschriebenen Zustand geführt hat. Offensichtlich wird die bedenkenlose Verschwendungswirtschaft noch nicht einmal als Problem begriffen. Immerhin verweist Ross schon indirekt auf die Nutzung der Geothermie. Insgesamt verbindet Ross das Energiethema mit einer perfiden Häme, die die „minderbemittelten Rassen“ bloßstellen soll. Motivisch setzt er allein auf die Macht der Technik und auf einen nationalistisch aufgedonnerten Erfindergeist.

Mit Ross sind wir in publizistische Abgründe hinabgestiegen, die Umweltprobleme (die als solche gar nicht begriffen werden) mit rechtsextremen Haltungen und Ideologemen vermengen. Dennoch: So verquer die Story von Ross in ihrer politischen Schlagseite war, so gab es doch in diesem Bereich ungleich radikalere und dümmere Elaborate als das, was Ross zu bieten hatte. Deshalb soll als abschreckendes Beispiel der SF-Roman Der Golfstrom (1913) von Hans Ludwig Rosegger (1880-1929), Sohn des weit bekannteren österreichischen Heimatdichters Peter Rosegger (1843-1918), kurz angesprochen werden.

Das Buch beginnt mit einer scheinbar an ökologischen Überlegungen orientierten Idee, die für die Zeit ungewöhnlich ist. In Der Golfstrom wird nämlich von einem Eingriff in das Weltklima ausgegangen, der zur Kriegsführung (!) benutzt wird. Deutschland stürzt nach Rosegger ins Unglück, weil einerseits die Amerikaner den Golfstrom umlenken, wodurch sich das Klima in Europa verändert. Andererseits bricht durch „Rassenvermischung“ und einen „sozialdemokratischen Umsturz“ die „naturgegebene“ Ordnung in Deutschland zusammen. In dieser Situation erweist sich die preußische Armee als segensreiche Einrichtung, weil sie das Proletarierheer zusammenschießt. Ebenso wird aus einem Unglück ein Glück. Die neue Eiszeit, die wegen der Umlenkung des Golfstroms in Mitteleuropa entsteht, reinigt auf biologistisch-sozialdarwinistische Weise das deutsche Volk von allen „Schädlingen“. Schließlich lehnt man sogar die Wiederherstellung des alten Golfstromverlaufs ab, da man jetzt gesund und stark sei. Derweil versinkt das verweichlichte Amerika zur Strafe in das Chaos des Mobs und der sogenannten „Rassenvermischung“.

Wie man sieht, sind alle faschistischen Versatzstücke bei Rosegger vorhanden: Schmähung der Demokratie, Verteufelung der Aufklärung, Sozialdarwinismus, blanker Rassismus, ein vermeintlich dekadenter Westen und biologische „Reinigung“.

Unabhängig davon mutet die Ausgangsidee, den Golfstrom künstlich umzulenken, fast schon wie ein Konstrukt an, das einem modernen Climate Fiction-Roman entsprungen sein könnte. Indes verliert sich der Faden, den man daraus hätte spinnen können, schon nach wenigen Sätzen. Es geht nicht um den Auftakt einer Diskussion über verheerende Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur. Dem Österreicher dient die Golfstromidee nur als nicht hinterfragter Ausgangspunkt, um ausgewiesenen Mythenschutt breitzuwalzen (zum Beispiel die sogenannte „Welteislehre“, die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik ein beliebter rechtsradikaler Neomythos war).

Das Ziel Roseggers ist die Untermauerung proto-faschistischer Glaubenssätze. Der Autor verrennt sich in die Vorstellung, dass die neue Eiszeit ein Segen für Deutschland sei. Klirrender Permafrost und permanente Minusgrade als Garanten einer beglückenden „Reinigung“ mit einer blühenden Gesellschaft? Das ist fraglos verrückt, entlarvt aber verquere Denkschleifen, in denen vernünftige Überlegungen nicht mehr möglich sind.

Ein Fazit

  • Auf zwei Planeten von Laßwitz ist von allen zitierten Texten derjenige, der wohl am klarsten und durchdachtesten entscheidende Elemente einer frühen Öko-Debatte ausdrückt. Doch selbst bei ihm ist sie nicht die tragende Säule des Romans, obwohl sie zum Gesamtverständnis seines Werks unabdingbar dazu gehört. Seine Überlegungen wurden dem Zeitgeist entsprechend ignoriert.
  • Die Romane von Mader und Daiber, die ebenfalls Substanz und Qualität aufweisen, haben den gemeinsamen Mangel, dass es die Autoren selber sind, die dem Thema nicht das Gewicht zugestehen, welches es verdient gehabt hätte. Auch ihre Ansätze gingen mit der Zeit verloren.
  • Bilz mit seinem Regelkonvolut kann man zumindest in Teilen eine subjektive Redlichkeit nicht absprechen. Bilz verstand sich als Menschheitsbeglücker, war aber himmelweit entfernt von einer intellektuellen Durchdringung der schwierigen und anspruchsvollen Materie.
  • Bei Albrechts sogenanntem Öko-Roman bleibt letztlich nichts anderes übrig als dümmlicher Kitsch, der kaum etwas mit SF (selbst nicht mit schlechter) und schon gar nichts mit Umweltbewusstsein zu tun hat.
  • Ross und Rosegger stehen schließlich außerhalb jeder akzeptablen Diskussion, wobei Der Golfstrom die Zumutungen eines Ross noch weit übertrifft. Ross, Rosegger und ihren Gesinnungsfreunden kam es überhaupt nicht in den Sinn, Öko-Fragen debattieren zu wollen. In rechtsextremistischen Weltsichten bleiben diese grundsätzlich vor der Tür.

Für die überwältigende Mehrheit der Kaiserreichs-SF war eine Öko-Debatte obsolet. Bei der kleinen Minderheit der Wohlwollenden krankte die Auseinandersetzung mit einer ökologischen Weltsicht entweder daran, dass sie nur halbherzig betrieben wurde, oder sie war gar nicht ökologisch, sondern eine von Emotionen getragene Mischung aus Naturtümelei und Sozialromantik. Ein Problembewusstsein, das dann auch noch wissenschaftlich unterfüttert war und sich mit der Formulierung politischer Positionen verband, gab es so gut wie nicht. Aus all diesen Gründen sind entsprechende SF-Versuche im Kaiserreich, wenn sie denn vorkamen, nur als mehr oder weniger gelungene Vorformen der Öko-Debatte zu werten. Die faschistische Variante fällt völlig aus dem Rahmen, weil sie nichts anderes als Radikalpropaganda mit anderen Mitteln war. Hier wollte man barbarische Gesellschaftsmodelle durchpauken, aber keine menschliche Welt, die in Frieden mit der Natur und sich selber lebt.

Hans Frey, Gelsenkirchen

Teil 2 des Essays „Der lange Weg der deutschen Öko-Science Fiction“ erscheint im April 2024 (Weimarer Republik und Nationalsozialismus), Teil 3 im Mai 2024 (die Zeit nach 1945 in BRD, DDR und im angloamerikanischen Raum).

Zum Autor Hans Frey

Der Lehrer Hans Frey war 25 Jahre lang für die SPD Abgeordneter im Landtag Nordrhein-Westfalen. Er errang regelmäßig ein Direktmandat in Gelsenkirchen. 2005 kandidierte er nicht mehr und widmete sich seiner Leidenschaft, der Science Fiction und wurde zu einem der bedeutenden Chronisten und Experten der Science Fiction mit Verbindung zu verschiedenen Verlagen und vielen anderen Experten und Expertinnen der SF-Community. Hans Frey starb am 25. Januar 2024. Dieser dreiteilige Essay ist sein Vermächtnis. Er war eine wichtige Grundlage für das von Markus Till-mann und anderen Expert:innen der Science Fiction vorbereiteten Festivals zur Climate Science Fiction. Der Demokratische Salon veröffentlicht diesen und andere Texte dieses Festivals zum Teil vorab. Die Texte werden auch in einer kleinen Liebhaberausgabe gesammelt.

Im Demokratischen Salon veröffentlichte er im Herbst 2023 bereits den dreiteiligen Essay „Science Fiction als Wirklichkeitsmaschine“. Teil 1: Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“, Teil 2: Die SF im Kampf zwischen Humanität und Barbarei“, Teil 3: „Wir leben in einer SF-Gesellschaft“.

(Anmerkung: Erstveröffentlichung im März 2024, Markus Tillmann danke ich dafür, dass er mir den Text zur Verfügung gestellt hat, Internetlinks zuletzt am 4. März 2023. Das Titelbild wurde von Thomas Franke zur Verfügung gestellt, der eine große Zahl von Science-Fiction-Literatur illustriert hat. Es zeigt einen Ausschnitt aus der von Thomas Franke illustrierten Neuausgabe von Arno Schmidts „Die Gelehrtenrepublik“. Die Rechte für dieses Bild liegen beim Illustrator. Siehe hierzu auch das im Demokratischen Salon erschienene Interview mit dem Titel „Parallele Welten – Synergetisch gebrochen“.)

Zum Weiterlesen: Bücher von Hans Frey

In Berlin sind bei Memoranda folgende Bücher von Hans Frey erschienen, sie sind lieferbar, auch als EBook über den Buchhandel oder direkt über die Verlagsadresse erhältlich. Die Bände im Einzelnen:

  • G. Ballard – Science Fiction als Paradoxon: SF-Personality 24, 2016.
  • James Tiptree Jr. – Zwischen Entfremdung, Liebe und Tod: SF-Personality 27, 2018
  • Fortschritt und Fiasko – Vom Vormärz bis zum Ende des Kaiserreichs 1810-1918,
  • Aufbruch in den Abgrund – Von Weimar bis zum Ende der Nazidiktatur 1918-1945,
  • Optimismus und Overkill – Von den Anfängen der BRD bis zu den Studentenprotesten 1945-1968,
  • Vision und Verfall – Von der sowjetischen Besatzungszone bis zum Ende der DDR 1945-1990,

Hans Frey im Podcast des Memoranda-Verlags

Hans Frey in der Zeitschrift !Time Machine:

  • Religion und Science Fiction, in: !Time Machine 2019.
  • Die Menschheit soll aussterben! Eine wiederentdeckte SF-Perle aus der Weimarer Republik, in: !Time Machine 3 (Rezension zu Karl Ettlinger, Der erschossene Storch, auch in „Aufbruch in den Abgrund“),
  • Abteilung 9 – Spiegel-Ethnologen: Kleine Geschichte der Marsianer, in: !Time Machine 4 – Mars-Themenband, 2021.
  • Sprache und Science Fiction. Wenn die Sprache zum Thema der SF wird, in: !Time Machine 7, 2023.
  • Mythos und Science Fiction. Die Welt im 3. Jahrtausend – Hilft eine Neue Große Erzählung bei der seelischen Weiterentwicklung des Menschen? in: !Time Machine 8, 2024.
  • (mit Klaus Farin) Projekt Zeitenwende – Kongress der Utopien, in: !Time Machine 8, 2024.