Die Bedeutung der Worte

Einige Anmerkungen zur Debatte ums „Framing“

Eine der zentralen Disziplinen von Sprach- und Literaturwissenschaft ist die Semantik. Worte bedeuten nicht nur das, was wir im Lexikon zu finden glauben. Sie lösen Assoziationen, Interpretationen und Konnotationen aus, die viel damit zu tun haben, was wir als Hörende oder Lesende in unserer eigenen Welt und mit unserer jeweilig persönlichen Vergangenheit und Gegenwart mit ihnen verbinden. Ludwig Wittgenstein formulierte dies sinngemäß so: „Die Bedeutung eines Wortes liegt im Gebrauch in der Sprache.“ (in: „Philosophische Untersuchungen“).

In der Politik gibt es eine vergleichbare Debatte. Die Begrifflichkeiten hat maßgeblich der amerikanische Linguist George Lakoff entwickelt. Seine Schülerin Elisabeth Wehling hat den Begriff in Deutschland bekannt gemacht (George Lakoff / Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht, Heidelberg 4 / 2016 sowie Elisabeth Wehling: Politisches Framing – Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht, Köln 2016). Die Art und Weise, wie zurzeit jedoch in der Presse die Arbeit von Frau Wehling dargestellt wird, möchte ich schlechthin als unfair bezeichnen und zum Anlass nehmen, „Framing“ als Analyse-Instrument zum besseren Verständnis politischer Debatten zu beschreiben.

Lakoff / Wehling analysieren letztlich, was Sprache in uns auslöst, beispielsweise in Begrifflichkeiten wie „Achse des Bösen“, „Coalition of the Willing“, „Steuerlast“, „Homophobie“, „Islamophobie“, „Leistungsträger“, um nur einige zu nennen:

  • Wer von „Steuerlast“ spricht – und das tun im Grunde fast alle – unterschlägt, dass „Steuern“ dazu beitragen, dass wir Infrastruktur und soziale Leistungen überhaupt finanzieren können. So entsteht das Bild der „Sozialen Hängematte“, in die sich hineinlegt, wer von den von den „Leistungsträgern“ der Gesellschaft gezahlten „Steuerlasten“ profitiert. Dass diese „Leistungsträger“ ihre Waren über die mit „Steuern“ finanzierte „Infrastruktur“ vertreiben, verschweigen sie. Und in der weiteren Analyse stellt Lakoff fest, dass es diesen „Leistungsträgern“ ganz gut gelingt, „Steuern“ als „unmoralischen Akt der Regierung“ zu brandmarken.
  • Beliebt sind in der politischen Debatte Familienmetaphern. Lakoff / Wehling analysieren die Inszenierung von Politiker*innen als „Strenger Vater“ oder als „Fürsorgliche Mutter“, beides nicht auf ein Geschlecht hin bezogen, sondern auf eine eher konservative oder eine eher progressive Grundeinstellung. Stichwort in den diversen Debatten: „Fordern und Fördern“, mit Präferenz beim“ Fordern“. Funktioniert natürlich auch in der Finanzwelt: Die „schwäbische Hausfrau“ ist durchaus eine Inkarnation des „strengen Vaters“. „Father knows best“.
  • Wer von „Homophobie“ oder auch „Islamophobie“ spricht, zitiert das Bild der Spinnenangst, der „Arachnophobie“, und löst damit unmittelbar ein Bedrohungsgefühl aus, in dem Menschen mit im Allgemeinen als unangenehm empfundenen Tierchen verglichen werden. Solche Vergleiche erinnern mich an …., doch das lasse ich hier unkommentiert.
  • Abtreibungsgegner*innen nennen sich „Lebensschützer“ (und verwenden dabei ausschließlich die männliche Form!). Sie unterstellen damit allen, die anderer Meinung sind, sie seien gegen das Leben. Auf amerikanisch: Wer nicht „Pro Life“ ist, ist „Pro Death“. Oder vergleichbar: Wer sich der „Coalition of the Willing“ nicht anschließen will, ist eben „willensschwach“.
  • Mit Worten kann es gelingen, Menschen zu veranlassen, gegen ihre Interessen zu wählen. Eine Analyse des Erfolgs von Ronald Reagan ergab, dass er gewann, „weil er hauptsächlich über Werte sprach und nicht über politische Programme. Lakoff / Wehling: „Einfach ausgedrückt: Es genügt nicht, den Menschen zu sagen, welche Politik man betreiben möchte – man muss ihnen sagen, weshalb diese Politik eine moralische Notwendigkeit ist.“ (Anmerkung: vielleicht ist das die Tragik der Sozialdemokratie?)

Die Analysekompetenz von Elisabeth Wehling wurde und wird in den Medien gerne genutzt. Während der letzten Bundestagswahl kommentierte sie an verschiedenen Orten das, was politisch debattiert wurde und vor allem wie es debattiert worden ist.

Doch im Frühjahr 2019 kehrte sich die Analysekompetenz gegen die Wissenschaftlerin. Sie hatte für die ARD einen Text geschrieben, der selbst in Zeitungen wie ZEIT oder WELT mit „Gehirnwäsche“ assoziiert wurde. Die ihr unterstellte Absicht: Begriffe sollten sorgsam gewählt werden, um Meinungen zu manipulieren. Mich erinnert dies an eine andere Debatte, nämlich die um die sogenannte „PC“, die „political correctness“, deren Gegenpart sich als „political incorrectness“ inszeniert und damit sich selbst einen mehr oder weniger automatischen Wahrheitsanspruch zubilligt.

Die Art und Weise, wie in den Medien, die doch Frau Wehling so sehr schätzten, nach Bekanntwerden des ARD-Gutachtens mit ihr verfahren wurde, war ein Unding. Es war etwa so, als wollte jemand beweisen, dass an einer Krankheit nicht die diese verursachenden Bakterien, Viren oder ungesunden Lebensgewohnheiten der Patient*innen, sondern die diagnostizierenden Ärzt*innen schuld sind.

Letztlich ist Sprache nie eindeutig. Wenn ich jemandem Pralinen schenke, packt er Pralinen aus. „Die Vorstellung, Kommunikation würde auf diese Weise funktionieren, ist aber schlichtweg falsch! (…) Um im Bild zu bleiben. Der Empfänger packt eben nicht zwingend das aus, was der Sender eingepackt hat.“

Norbert Reichel, Bonn

(Anmerkung: Erstveröffentlichung im Mai 2019.)