Die Magie von Licht und Schatten

Ein Manifest zur Materialität der Schwarz-Weiß-Fotografie

„Ich suche eine minimalistische Form der Schönheit, ein Innehalten, das nicht flieht, sondern tröstet.“ (Nicole Günther)

Meine Schwarz-Weiß-Fotografie bewegt sich zwischen dokumentarischer Präzision und poetischer Transformation. Fotografie ist für mich kein deskriptives Abbilden, sondern ein Mittel, um mich auf einer tieferen Ebene ganz bewusst mit der Welt zu verbinden. Mein Blick wird nicht reproduziert, sondern geformt. Das Spannungsfeld von Licht und Schatten steht im Zentrum meiner Arbeit, nicht nur als ästhetischer Effekt, sondern als Ausdruck existenzieller Spannung. Licht macht sichtbar, Schatten verbirgt. Im Dazwischen entfaltet sich Präsenz, Intensität und Atmosphäre. Meine Motive bewegen sich zwischen Traum und Realität. Das Bild wird zur Vergewisserung des Wirklichen und zugleich zu einem subjektiven Raum der Deutungsmöglichkeiten.

Analoge Wurzeln und digitale Präzision

TOPOGRAFIE DES DAZWISCHEN, 2025, UV-Direktdruck auf Alu-Dibond, 140 x 100 cm, © Nicole Günther. Alle Rechte vorbehalten.

Das Bild „Topografie des Dazwischen“ ist am Rhein in Bonn entstanden und zeigt dunkles Wasser und schwere Wolken. Es geht hier um die visuelle Darstellung der Landschaft, der Strukturen, des Ungreifbaren, der Übergänge. Die Arbeit spiegelt meine Ästhetik wider: Minimalismus, Ruhe, Schwebezustand. Das Licht ist kein bloßer Effekt, sondern eine Frage. Der Rhein wird zum Spiegel innerer Bewegung.

Meine Fotografien entstehen als großformatige UV-Direktdrucke auf Alu-Dibond sowie als Pigmentdrucke auf Hahnemühle-Papier. Ich arbeite sowohl in Serien, zu Theaterinszenierungen und freien Zyklen, als auch in Unikaten. Jede Arbeit existiert nur als Einzelstück oder in einer streng limitierten Edition.

Meine künstlerische Praxis wurzelt in der analogen Fotografie. Seit meiner Kindheit begleitet mich die Kamera als Mittel, um Umwelt zu erfassen, zu ordnen, um sie zu erkennen und zu verstehen. Aus technischen Gründen arbeite ich mittlerweile digital, um präzise Ergebnisse zu erzielen. Immer im Bewusstsein, dass Exaktheit in der Erfassung die Magie des Moments ermöglichen kann. Der Wechsel ins Digitale war für mich kein Bruch, sondern eine Erweiterung und Bereicherung der Möglichkeiten. Meine Methodik bleibt genau, langsam, sorgfältig. Ich fotografiere digital, denke jedoch analog.

Das Arrangement beginnt mit der Kamera. Ich fotografiere im RAW-Format und entwickle die Bilder mit dem Computer, ebenso akribisch, wie früher in der Dunkelkammer. Dabei lasse ich die Grundstruktur unverändert. Es geht mir darum, die Essenz des Gesehenen zu bewahren, als ein Fragment von Wirklichkeit, transformiert durch Wahrnehmung.

Musik als gestalterische Kraft

Klassik, Minimal Techno, Jazz, Punk, Rock formen Dramaturgie und Rhythmus im Schaffensprozess. Musik leitet mich als emotionaler Kompass bei der Bildbearbeitung und fließt in die Werke ein. Die akustische Ebene ist in der visuellen Gestaltung spürbar. Jedes Bild hat Takt, Pause, Resonanz und einen eigenen Sound.

Theater ist für mich ein Ort verdichteter Wirklichkeit. Als Fotografin habe ich über Jahre Inszenierungen begleitet. Diese Erfahrung wirkt bis heute nach und bestimmt meine Dramaturgie. Eindrücke unter anderem aus Theater, Film, Musik, Mode, Literatur und Architektur prägen meine Arbeit.

Auf dem Theaterbild sind zwei Figuren in der Bühnenmitte zu sehen. Das Licht schneidet den Raum. Die Szene, entstanden in der Oper Bonn, scheint eingefroren, zwischen Geste und Bedeutung. Schatten wird Träger von Tiefe. Komposition, Rhythmus und emotionaler Takt verbinden sich hier erkennbar.

Carmen, SPOTLIGHT, 2017, Pigmentdruck auf Hahnemühle-Papier, 40 x 60 cm, © Nicole Günther. Alle Rechte vorbehalten.

Resonanzräume

Schwarz-Weiß-Fotografie ist für mich Konzentration. Sie reduziert auf das Wesentliche, intensiviert Kontraste und hebt Strukturen hervor. Reduktion ist keine Vermeidung von Komplexität, sondern eine Haltung, ein bewusster Akt der Klarheit. Diese Form der Schönheit ist nicht Dekor, keine Suche nach Perfektion, sondern ein Widerstand gegen visuelle Überladung. Sie ermöglicht essenzielle Wahrnehmung und wird politisch, ohne Parole.

Als Politologin bringe ich eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf gesellschaftliche Ordnungen, Machtverhältnisse und Dynamiken mit in die Kunst. Theoretische Durchdringung trifft auf intuitive Bildfindung. Was entsteht, ist kein Kommentar, sondern ein visueller Vorschlag, der zum Nachdenken einlädt.

Gedankentiefe, Emotionalität, Klang: All das durchströmt die Bilder. Kunst kann, gerade in Zeiten von Spaltung und Polarisierung, ein geschützter Raum sein, ein behutsames Angebot zur Reflexion, das den Betrachter:innen neue Blickwinkel eröffnet.

Innehalten als Widerstand

Meine Ästhetik ist keine Flucht. Sie sucht keine heile Welt. Sie will nicht betäuben, sondern öffnen. Ich verstehe meine Arbeit als Alchemie des Realen: Das Gesehene wird nicht verändert, sondern rhythmisiert, aufgeladen, durchdrungen. Eine visuelle Praxis, die den Zustand der Welt nicht illustriert, sondern auf eine eigene Weise übersetzt. Die nicht belehrt, sondern berührt. Fragen stellt, ohne Antworten vorzugeben.

In einer Zeit, die immer schneller, greller und lauter wird, will meine Kunst innehalten. Sie verweist auf das Wesentliche und ist in letzter Konsequenz ein Akt unerschütterlicher Hoffnung. Gegen Beliebigkeit, gegen das Zerfließen. Und im besten Fall: Trost. Für die Betrachtenden. Und für mich.

Nicole Günther, Bonn

Werke der Fotografin und Politologin wurden unter anderem im Frauenmuseum Bonn, im Areal Böhler Düsseldorf und im Museo delle Donne Meran ausgestellt.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im August 2025, Internetzugriffe zuletzt am 29. Juli 2025. Titelbild: Nicole Günther, Mutige Schatten © Nicole Günther. Alle Rechte bei der Künstlerin. Das Bild ist auch in der bis zum 31. Dezember 2025 andauernden Ausstellung „Heldinnen / Sheroes“ im Bonner Frauenmuseum zu sehen.)