Die Welt retten! Warum nicht?

Ein Gespräch mit Katrin Uhlig über Klimaschutz in der Demokratie

„Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine zunehmende Ungleichheit zwischen Völkern und innerhalb von Völkern, eine immer größere Armut, immer mehr Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie eine fortschreitende Schädigung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt. Durch eine Vereinigung von Umwelt und Entwicklungsinteressen und ihre stärkere Beachtung kann es uns jedoch gelingen, die Deckung der Grundbedürfnisse, die Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen, einen größeren Schutz und eine bessere Bewirtschaftung der Ökosysteme und eine gesicherte, gedeihlichere Zukunft zu gewährleisten. Das vermag keine Nation allein zu erreichen, während es uns gemeinsam gelingen kann: in einer globalen Partnerschaft, die auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist.“ (Punkt 1.1 der Präambel der Agenda 21, beschlossen in der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro)

Noch ein Jahr, und die Agenda 21 hat ihr dreißigjähriges Jubiläum. Früher hieß es mal, dass man*frau niemandem über 30 trauen sollte, aber mit diesem Dokument der Staatengemeinschaft ist es anders. Jeder Satz gilt nach wie vor, jeder Satz ist aktuell. Nicht, dass seit 1992 nichts geschehen wäre, so wurde 2016 die Agenda 2030 mit ihren 17 Sustainable Development Goals (SDG) beschlossen, aber dennoch: die Agenda 21 war der Anfang, sie ist aktuell wie nie zuvor und gleichzeitig müssen wir die sozialen Grundlagen unseres Zusammenlebens in unserem demokratischen Staat bewahren und vor mancherlei Bedrohungen schützen. Keine einfache Zeit für Menschen, die sich politisch engagieren.

© Katrin Uhlig

Katrin Uhlig ist eine*r dieser engagierten Menschen. Sie wurde 1982 in Duisburg geboren, hat Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien in Passau studiert, u.a. bei der European Climate Foundation und in der Landtagsfraktion der nordrhein-westfälischen Grünen gearbeitet. Sie arbeitet zurzeit als wissenschaftliche Referentin im Stab des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion, Oliver Krischer. Sie bewirbt sich um ein Mandat im Deutschen Bundestag und ist Direktkandidatin ihrer Partei in Bonn. Sie hat einen guten Listenplatz und wäre bei einem Wahlerfolg im Bundestag die Nachfolgerin der inzwischen zur Bonner Oberbürgermeisterin gewählten Katja Dörner.

Wie es anfing: der Bericht des IPCC

Norbert Reichel: Beginnen wir mit einigen persönlichen Informationen.

Katrin Uhlig: Nach meinem Studium, im Jahr 2009, habe ich den damals aktuellen Bericht des International Panel of Climate Change (IPCC) gelesen. Das war bei einer meiner ersten Arbeitsstellen, bei der European Climate Foundation (ECF) in Den Haag. Ich habe bei der ECF an einem Projekt mitgewirkt, in dem Workshops für die Verhandlungsführung der G 77 in der  UN-Klimakonferenz in Kopenhagen angeboten wurden, die dann vom 7. bis zum 18. Dezember 2009 stattfand. Das war das fünfte Treffen nach den Beschlüssen des sogenannten Kyoto-Protokolls von 1997. Ich habe mich nach der Lektüre des Berichts gefragt, wie es sein kann, dass wir über diese Dokumente in Deutschland nur so selten sprechen.  

Norbert Reichel: Was war für dich der Kern des Berichts?

Katrin Uhlig: Wir haben noch die Möglichkeit, der Klimakrise Einhalt zu gebieten, aber wir müssen jetzt – das heißt zu dem Zeitpunkt vor etwas mehr als zehn Jahren – handeln, um dies erfolgreich zu tun. Die politische Vorgabe lag damals bei einem Temperaturanstieg von maximal 2 Grad Celsius, heute liegt sie mit weiteren Erkenntnissen zur Situation bei 1,5 Grad, wenn wir die schwersten Auswirkungen begrenzen wollen. Vielleicht ist folgende Information wichtig: zu den Staaten der G 77 gehören die Small Island Development States (SIDS), immerhin 39 Staaten, neben den vielen kleinen Inselstaaten auch Staaten an flachen Meeresküsten. Viele werden verschwinden, wenn wir unsere Klimaziele nicht erreichen.   

Norbert Reichel: Zurzeit wird viel über ein Buch von Parag Khanna diskutiert. Parag Khanna wurde 1977 in Indien geboren, ist Politikwissenschaftler und hat in der Vergangenheit unter anderem Barack Obama in außenpolitischen Fragen beraten. Er lebt zurzeit in Singapur. Der Titel seines aktuellen Buches: „Move – Das Zeitalter der Migration“ (Berlin, Rowohlt, 2021, die britische und die amerikanische Ausgabe erschienen ebenfalls im Jahr 2021). Parag Khanna beschreibt ein Szenario, das von einer Erwärmung des Erdklimas um vier Grad Celsius ausgeht, kein unrealistisches Szenario, wenn wir – um es vorsichtig zu formulieren – die Klimakrise nicht ernst genug nehmen.

Katrin Uhlig: In dem IPCC-Bericht von 2007 war sehr gut sichtbar, welche Folgen eine Erwärmung um die verschiedenen Gradzahlen auf dem Stand der damaligen Wissenschaft hat. Der Bericht wird regelmäßig überarbeitet und konkretisiert. Der jeweils aktuelle Stand der wissenschaftlichen Forschung fließt darin ein. Die Lektüre dieses Berichts führte dazu, dass ich entschied, mich in diesem Bereich beruflich und dann auch politisch zu engagieren. Die Wissenschaft ist die eine Seite der Medaille, die politischen Entscheidungen sind die andere. Als ich nach Deutschland zurückkam, nahm ich das Angebot an, in der grünen Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Energie- und Klimabereich zu arbeiten. Das habe ich etwa sieben Jahre lang getan und gelernt, wie eine Energiewende vor Ort funktioniert, wie in einem Industrieland, welche Herausforderungen der Ausstieg aus der Kohle mit sich bringt, was die Kohle für unser Leben bedeutet, im Hinblick auf das Klima wie im Hinblick auf die Wirtschaft, die Umwelt, die Menschen in der Region.

Ich fand es sehr spannend, nach den Gesprächen auf der internationalen Ebene dann in Nordrhein-Westfalen zu erleben, wie die internationalen Vereinbarungen auf der Ebene eines Bundeslandes umgesetzt werden können. Was bedeutet Flächenausweisung auf Landesebene, auf der kommunalen Ebene, für den Ausbau von Windenergie? Was geschieht, was muss geschehen, wenn ich eine Solaranlage auf dem Dach montieren möchte? NRW ist ein wichtiges Energieland, gerade wegen seiner Industrie. Ich habe mich dabei immer mehr mit der Bundespolitik auseinandergesetzt, denn ich habe gelernt, dass viele Entscheidungen auf der Bundesebene getroffen werden, dass die Möglichkeiten eines Bundeslandes – selbst wenn es so groß ist wie Nordrhein-Westfalen – doch beschränkt sind. Die Rahmenbedingungen müssen auf der Bundesebene gesichert werden. Ein ambitionierter Klimaschutz ist nur im Dreiklang von Bund, Ländern und Kommunen möglich.

Bund, Land, Kommune, Europa und die Welt

Norbert Reichel: Im Jahr 2019 bist du in die Bundestagsfraktion der Grünen gewechselt.

Katrin Uhlig: Ich arbeite im Bundestagsbüro von Oliver Krischer als wissenschaftliche Referentin und bin in seinem Büro hauptsächlich für die Bereiche Energie und Klima verantwortlich. Das sind die Themen, die mich motiviert haben, diese Stelle anzunehmen. Ich habe diese Themen auf der Bundesebene intensiv begleitet, auch den Kohleausstieg. In Zukunft möchte ich mich auf der Bundesebene noch mehr engagieren und kandidiere deshalb in Bonn als Direktkandidatin und auf der Landesliste der nordrhein-westfälischen Grünen für den Bundestag.

Norbert Reichel: Du kandidierst auf dem recht aussichtsreichen Listenplatz 15. Du sprachst eben von dem Dreiklang Bund, Land, Kommune. Aber das wird nicht reichen. Wir brauchen gemeinsames europäisches Handeln, wir brauchen weltweite Abstimmungen, mit den USA, mit Russland, mit China, mit Indien, mit Australien, mit vielen anderen, möglichst allen anderen Ländern.

Katrin Uhlig: Die Europäische Kommission hat mit dem Programm „Fit for 55“ schon erste Voraussetzungen geschaffen, auch wenn ich mir ein noch ambitionierteres Programm hätte vorstellen können. Jetzt geht es darum, dass das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten sich gemeinsam mit der Europäischen Kommission auf eine ambitionierte EU-Klimapolitik verständigen und das Programm konkretisieren. Ziel muss es sein, dass Europa sich als Vorreiter im Klimaschutz profiliert. Für Deutschland heißt das: mit der Bundestagswahl am 26. September 2021 brauchen wir starke Grüne im Deutschen Bundestag. Ich sehe nur mit grünen Stimmen die Chance, dass Deutschland ambitionierte Klimaziele formuliert und verfolgt, in Deutschland und in Europa. Auf europäischer Ebene ist Deutschland ein wichtiges Land, ….

Norbert Reichel: …. agiert beim Klimaschutz aber doch zurzeit eher zurückhaltend.

Katrin Uhlig: Ja, und deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir im nächsten Deutschen Bundestag eine starke grüne Fraktion brauchen und natürlich auch eine starke Grüne Stimme in der Regierung, am besten mit der ersten Grünen Bundeskanzlerin. Wir müssen deutliche Signale nach Brüssel senden, dass wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen.

Norbert Reichel: Wo sind in Europa unsere Bündnispartner? Grüne sind an einigen Regierungen beteiligt, in Österreich, in Finnland, in Litauen, in Luxemburg, in Schweden. Es gibt auch in einigen anderen Ländern grüne Fraktionen. Der Einfluss auf die jeweiligen Regierungen und in den Parlamenten ist jedoch begrenzt.

Katrin Uhlig: Es gab mit mehreren Mitgliedstaaten Überlegungen zur Einführung eines CO2-Preises, bevor die EU-Kommission dies vorschlug. Es gibt durchaus so etwas wie eine „Koalition der Willigen“, wenn ich diese Metapher einmal für eine gute Sache verwenden darf. Jetzt gibt es einen weiteren Vorschlag der EU-Kommission, über den wir verhandeln müssen. Ich halte den vorliegenden Vorschlag allerdings für nachbesserungswürdig.

Der aktuelle ETS-Wert bezieht sich auf die Energiewirtschaft, auf energieintensive Industrie, vorwiegend auf fossile Energieanlagen, Kohle, Gas. Die Europäische Union möchte einen zweiten europäischen Emissionshandel für Verkehr und Wärme einführen. Das sehe ich skeptisch, gerade weil die Frage ist, wie dieser in seinen Wirkungen sozial ausgestaltet werden kann.

Klimaschutz und sozialer Ausgleich – wir müssen beides sichern

Norbert Reichel: Du sprichst mit dem Thema des sozialen Ausgleichs einen zentralen Punkt an. Zurzeit erleben wir in Deutschland einen Wahlkampf, in dem darüber gestritten wird, was Klimaschutz kosten darf. Am liebsten gar nichts – das ist die allgemeine Botschaft. Keine Einschränkungen beim Autofahren, beim Fleischkonsum, bei den Urlaubsflügen, keine Preiserhöhungen, aber kaum jemand sagt, wie das gehen soll, denn Klimaschutz wird sich im Portemonnaie jeder*jedes Einzelnen auswirken.

Katrin Uhlig: Genau das ist der Punkt. Es unterscheidet sich natürlich von Bereich zu Bereich. Es ist klar, dass Klimaschutz etwas kosten wird, es ist aber auch klar, dass es einen sozialen Ausgleich geben muss. Es gibt inzwischen einen CO2-Preis für Wärme und Verkehr in Deutschland. Wir wollen diesen durch ein Energiegeld begleiten, bei dem die Einnahmen pro Kopf an die Bürger*innen ausgezahlt werden. Wer viel Energie verbraucht, wer sich klimaschädlich verhält, soll mehr zahlen, wer wenig Energie braucht, sich klimafreundlich verhält, hat durch das Energiegeld letztlich mehr Geld zur Verfügung.

Norbert Reichel: Muss ich mir das so ähnlich vorstellen wie beim Wohngeld? Als zusätzliche Leistung nach Bedürftigkeit?

Katrin Uhlig: Energiegeld gibt es an alle, für Jede und Jeden. Wir werden niemandem verbieten, Auto zu fahren, aber es wird einen Preis für den Ausstoß von CO2– geben. Wer einen SUV fährt, zahlt dann gegebenenfalls mehr als jemand, der ein kleines Auto fährt oder gar keins.

Norbert Reichel: Das ist ein Anreizsystem. Geht das über Steuersätze, Steuererleichterungen?

Katrin Uhlig: Nein, die Auszahlung des Energiegeldes ist pauschal, pro Kopf. In der Schweiz wird das bereits so gemacht.

Norbert Reichel: Das bedeutet, dass jede*r Bürger*in das Energiegeld bekommt, unabhängig davon, ob er*sie 200.000 EUR im Jahr verdient oder 20.000 EUR.

Katrin Uhlig: Und bei Menschen in der Grundsicherung wird der Beitrag nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Er kommt hinzu.

Wir haben aber auch Programme zur Umstellung des eigenen Verbrauchs. Wer ein Auto mit fossilem Antrieb durch ein Auto mit E-Antrieb, soll staatliche Unterstützungsleistungen erhalten können. Dabei soll es gerade für Menschen mit niedrigerem Einkommen noch einmal zusätzliche Fördermöglichkeiten für eine solche Umstellung geben.

Im Wohnbereich soll der CO2-Preis von den Vermieter*innen getragen werden, denn nur diese haben die Möglichkeit, Heizungen umzubauen. Mieter*innen können ihre eigene Heizung nicht umbauen. Sie dürfen daher auch nicht belastet werden, wenn ihre Heizung nicht klimafreundlich ist. Wir wollen daher ein Anreizsystem für Vermieter*innen, diesen Umbau durchzuführen. Hinzu kommen dann Förderprogramme für den Umbau einer Heizung. Eventuell rechnet sich eine Heizung jetzt nicht, die aber in ein paar Jahren aus Klimaschutzsicht sinnvoll wäre. Da unterstützen wir dann natürlich jetzt. Denn bei Heizungen müssen wir ja auch bedenken, dass niemand eine Heizung jedes Jahr auswechseln wird. Heizungen werden für 20 Jahre und länger angelegt.

Bei der energetischen Gebäudesanierung, bei der Wärmedämmung möchten wir ein Drittelmodell einführen. Einen Teil zahlt der Staat, einen Teil der*die Vermieterin, ein Teil darf auf die Miete umgelegt werden. Durch die Einsparungen bei den Heizkosten durch die Sanierung soll gewährleistet werden, dass Mieter*innen nicht zusätzlich belastet werden.

Der Härtefallfonds, den ich eben erwähnte, soll darüber hinaus Menschen unterstützen, die aus welchen Gründen auch immer von den anderen Maßnahmen nicht erfasst werden und besonders durch die Umstellungen betroffen sind.

Die Mobilitätswende – für eine bessere Nutzung des gemeinsamen Raums

© Katrin Uhlig

Norbert Reichel: Ein zentraler Punkt beim Klimaschutz ist das, was im Allgemeinen als „Verkehrswende“ bezeichnet wird. Es wäre gut, wenn niemand mehr so sehr auf das eigene Auto angewiesen ist, alle vielleicht mehr mit dem Öffentlichen Nahverkehr fahren können. Der Nahverkehr muss dann natürlich ausgebaut werden, auch in den Randzeiten am späteren Abend, an den Wochenenden, auch etwas weiter hinaus in die eher ländlichen Regionen, aus denen viele Menschen in die Städte hineinfahren, um dort zu arbeiten oder einzukaufen.

Katrin Uhlig: Viele Menschen sprechen von „Verkehrswende“. Ich spreche lieber von einer „Mobilitätswende“. Es geht eben nicht nur um die Frage, ob ich ein Verbrennerauto durch ein elektrisches Auto ersetze. Es geht darum, dass wir die Prioritäten verändern müssen. Bisher war die Priorität, eine Stadt so autofreundlich wie möglich zu gestalten. Wir müssen aber auch viel mehr Platz für Fußgänger*innen und für Radfahrer*innen schaffen, der ÖPNV muss ausgebaut werden, Bus, Bahn, Nahverkehr bei der Deutschen Bahn, natürlich auch der Fernverkehr, der Güterverkehr.

Unsere Städte müssen und können attraktiver werden, wenn wir die Bedingungen für Fuß- und Radverkehr verbessern. Für mich gehört auch dazu, dass Tempo 30 für Autos in den Städten zur Regelgeschwindigkeit wird. Bisher ist Tempo 30 die Ausnahme. Wir wollen das umdrehen: Tempo 30 als Regel, Tempo 50 als die Ausnahme. Viele Menschen fühlen sich unsicher, und deshalb müssen wir ihnen mehr Sicherheit geben, wenn sie zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren wollen.

Norbert Reichel: Das Gefühl der Unsicherheit kann ich bestätigen. Fußgänger*innen sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer*innen. Ich gehe viel zu Fuß und fühle mich an einigen Stellen auch durch zu schnelle Fahrräder bedroht, an engen Stellen beispielsweise, auch durch E-Bikes, deren Geschwindigkeiten viele Menschen unterschätzen.

Katrin Uhlig: Wir müssen den Raum anders aufteilen, den wir zur Verfügung haben, wir müssen die Prioritäten verändern. Wir wollen natürlich nicht das Autofahren verbieten, es geht einfach um eine andere Prioritätensetzung und Raumaufteilung. Dafür brauchen wir natürlich auch entsprechende Investitionsprogramme, beispielsweise für die Erhöhung der Taktung des Bus- und Bahnverkehrs. In Bonn haben wir damit bereits begonnen.

Wir müssen aber auch über Ticketpreise reden. Die Tickets sind oft zu teuer. Wir brauchen einen kostengünstigeren ÖPNV. Da müssen wir über geeignete Instrumente sprechen.

Dazu kommt das Ticketwirrwarr in Deutschland. Wir Grünen schlagen daher einen Mobilpass vor, das ist eine App, in die man*frau einträgt, von wo man*frau wohin fahren möchte. Dann bekommt man*frau alle erforderlichen Tickets. Die App bucht den Weg, vielleicht sogar noch am Ende ein E-Auto über ein Car-Sharing. Im ländlichen Raum wären auch Rufbusse eine gute Lösung. Ich denke aber, dass gerade im ländlichen Raum für bestimmte Gebiete das Auto nach wie vor eine Rolle spielen wird, sodass wir die angesprochenen Anreize zum Umstieg auf ein Elektroauto brauchen einschließlich eines engmaschigen Netzes von Ladestationen.

Es geht um ein Zusammenspiel der verschiedenen Verkehrsträger. Aber auch das geht natürlich nur unter der Bedingung eines konsequenten Klimaschutzes, denn ein Elektroauto kann natürlich nur klimaneutral fahren, wenn es mit grünem Strom versorgt wird. Das gilt auch für die Deutsche Bahn.

Vorfahrt für erneuerbare Energien

Norbert Reichel: Der Ausbau der erneuerbaren Energien scheint mir zurzeit zu stocken. Ist das eine Schwachstelle in der von dir beschriebenen Mobilitätswende?

Katrin Uhlig: Die GroKo hat hier in der Tat allenfalls das ein oder andere repariert, vielleicht könnten wir sagen, auf fragile Stellen ein Pflaster geklebt. Ein systematischer Ausbau fand nicht statt. Es gibt vor allem zwei Probleme: die Bürokratie und die Flächenausweisung. In Nordrhein-Westfalen hat der Kanzlerkandidat der Union gemeinsam mit seinem Koalitionspartner, die Flächen für die Windenergie gerade massiv reduziert.

Wir brauchen auch mehr Ausbau von Solaranlagen. Wenn ich durch unsere Städte gehe, nicht nur durch Bonn, sehe ich viele Dächer, die sich sehr gut für eine Solaranlage auf dem Dach eignen würden. Wir brauchen Aufklärung und Hinweise. Es gibt zwar bereits Förderung von Solaranlagen, aber in vielen Fällen fehlt es einfach an Information, sodass Hausbesitzer*innen einfach den Aufwand scheuen. Durch gute Information und Beratung ließe sich diese Sorge nehmen. Wir wollen Solaranlagen zum Standard machen, bei Sanierungen, bei Neubauten.

Norbert Reichel: Ich erinnere mich an frühere 1.000-Dächer-Programme. Das ließe sich doch wieder aufnehmen, als Millionen-Dächer-Programme. Müsste das nicht auf Bundesebene angeschoben werden?

Katrin Uhlig: Es gibt einige Bundesländer, die sogar schon einen Schritt weiter sind: Berlin, Hamburg, Baden-Württemberg. Dort wurden Solaranlagen zum (neuen) Standard für Dächer gemacht. Ich denke aber auch, dass wir bei einer Bundesregierung mit grüner Beteiligung in diesem Bereich etwas voranbringen werden.

Norbert Reichel: Padrag Khanna schreibt in seinem Vier-Grad-Szenario darüber, dass in Gegenden, die durch die steigenden Temperaturen unbewohnbar werden, Städte überkuppelt werden, in den arabischen Staaten, im Mittelmeerraum, in den Tropen. Die Kuppeln enthalten gigantische Klimaanlagen, die natürlich Unmengen an Energie brauchen. Erste Anlagen dieser Art gibt es schon. Ich habe das in Hongkong erlebt. Dort kannst du dich einen ganzen Tag in den klimatisierten Malls aufhalten, die fast die ganze Stadt erfassen. Padra Khanna spricht davon, dass wegen dieses hohen Energiebedarfs die Atomenergie eine Renaissance erleben wird. Ähnliches habe ich auch schon von Aktivist*innen bei Fridays for Future gehört. Ich glaube jetzt nicht, dass wir in Deutschland in den nächsten 20 Jahren irgendwo ein neues Atomkraftwerk bauen werden, aber in anderen Ländern sieht dies anders aus. Und so entsteht dann mittelfristig auch Druck in Deutschland.

Katrin Uhlig: Zunächst: ich kämpfe dafür, dass wir auf einen 1,5 Grad Pfad kommen und dass es keine Erwärmung um 4 Grad geben wird. Atomenergie ist aber keine Alternative. Diese Technologie ist nicht kontrollierbar und zu gefährlich. Siehe Fukushima! Die Investitionen, die manche in die Atomenergie stecken wollen, sind bei den erneuerbaren Energien viel besser aufgehoben. Das gilt übrigens auch für Forschungen an einem kalten Fusionsreaktor. Alle zehn Jahre verspricht jemand, dass wir in weiteren zehn Jahren so weit sind.

Wir können nicht mehr warten. Von den erneuerbaren Energien wissen wir, dass sie funktionieren, daher sollten wir auch in sie investieren. Gut vernetzt, auch mit Speichern. Das Schöne an den erneuerbaren Energien ist, dass Energie auch vor Ort, das heißt verbrauchsnah, dort, wo die Energie verbraucht wird, in den Wohnungen, im Haus, in der Industrie, erzeugt und genutzt werden kann; die Solaranlage auf dem Dach, ein Windpark in der Nähe.

Wir brauchen aber natürlich auch eine Vernetzung, damit die Wirtschaft energiesicher produzieren kann. Ich nenne ein Beispiel: wenn Solaranlagen temporär an einem Ort nicht genügend Strom produzieren, ist es möglich, durch Vernetzung Strom auch von anderen Orten zu nutzen. Es gibt einen regionalen Austausch. Beim Speichern geht es eher um einen zeitlichen Ausgleich, beispielsweise zwischen Tag und Nacht. Wir werden beides brauchen, Ausbau der Netze und Speichermöglichkeiten.

Die Beteiligung der Bürger*innen

Norbert Reichel: Ein wichtiger Punkt ist die Akzeptanz der Bürger*innen. Wir deuteten dies schon beim Thema Mobilitätswende an. Die Debatten um die Akzeptanz von Windenergie gehören dazu. Die brauche ich aber, um das, was ich will, durchzusetzen. Irgendwie und irgendwo muss Politik klare Regeln setzen. Ich halte wenig von endlosen Partizipationsprozessen.

Katrin Uhlig: Ich denke, es gibt schon viele Möglichkeiten, die aber noch ausgebaut werden können. Bürger*innen haben grundsätzlich im Rahmen der Energiewende mehr Möglichkeiten sich zu beteiligen als bisher. Bei der bisherigen Energieversorgung diktierten vier Konzerne das Verfahren. In der neuen Energiewelt gibt es viel mehr Möglichkeiten einer dezentralen Energieversorgung, durch die eigene Anlage auf dem Dach, durch Bürger*innenenergieprojekte, für die wir die Beteiligungsmöglichkeiten stärken müssen. Kommunen sollen davon profitieren, wenn sie Windenergieanlagen auf ihren Flächen ermöglichen. Durch diese Einnahmen können Kommunen dann ihre Bildungsinfrastruktur, oder was auch immer bei ihnen dringlich ist, ausbauen. Landwirt*innen bekommen bereits jetzt Pachteinnahmen, wenn sie auf ihren Feldern solche Anlagen betreiben lassen.

Norbert Reichel: Ich weiß nicht, ob die vielen guten Programme und all die Anreize so einfach umsetzbar sind. Technisch sicherlich, aber viele Menschen empfinden so eine Art grundsätzliches Unwohlsein. Ihre Gefühle sagen ihnen, dass sie sich einschränken müssten, belastet würden, und sie sind schwer davon zu überzeugen, dass es lediglich um Veränderungen in den Prioritäten geht, von denen letztlich alle profitieren. Bei Umfragen sagen sehr viele Bürger*innen, dass der Klimaschutz wichtig ist, aber ob sie das dann auch konkret unterstützen, ist eine andere Frage.

Katrin Uhlig: Ich glaube, es hat sich schon viel verändert, weil immer mehr Menschen verstehen, wie dramatisch die Klimakrise ist. Wir müssen noch mehr als bisher darüber informieren, wir müssen ins Gespräch kommen und wir müssen zuhören.

Norbert Reichel: Ich glaube sogar, dass viele Menschen weiter sind als manche Politiker*innen. Manche Politiker*innen wirken mir viel zu zaghaft und haben Ängste, Stimmen zu verlieren, wenn sie mal konkret werden. Aber genau das wollen die Wähler*innen eigentlich nicht.

Katrin Uhlig: Das mag sicherlich so sein, dass viele Menschen weiter sind als manche Vertreter*innen der aktuellen Bundesregierung. Es gibt aber auch viele Missverständnisse. Es geht nicht darum, dass jemand nicht mehr nach Mallorca fliegt, sondern es geht darum, klimaschädliche Dinge einzupreisen. Beispiel: Kerosin wird nicht besteuert, sodass wir den Fluggesellschaften Geld schenken. Ganz anders als beim privaten PKW. Der wird besteuert. Wenn es billiger ist, von München nach Nürnberg zu fliegen statt mit dem Zug zu fahren, läuft etwas falsch.

Nachhaltige Wirtschaftspolitik – ein Bündel von Investitionsprogrammen

Norbert Reichel: Ein anderes Beispiel für Fehlwahrnehmungen: Die Leute stehen mit dem Auto im Stau und ärgern sich, am nächsten Tag stehen sie wieder im Stau. Sie fliegen in den Urlaub, das Flugzeug verspätet sich, sie erholen sich am Strand und alles ist vergessen. Fahren sie einmal Zug und der Zug hat Verspätung, wegen Personen im Gleis, einer gerissenen Oberleitung oder was auch immer – und schon beginnt der deutsche Volkssport: das Schimpfen auf die Deutsche Bahn. Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich bin Vielfahrer, habe seit Jahren eine Bahncard 100, und kann nur sagen, es läuft fast immer ausgezeichnet, und was sind zehn Minuten Verspätung? Ich sitze bequem im Warmen oder im Sommer im nicht allzu Warmen, kann lesen und komme sicher an. Große Verspätungen sind wirklich die Ausnahme. Aber kein Verkehrsmittel wird so beschimpft wie die Deutsche Bahn.

Katrin Uhlig: Probleme bei der Deutschen Bahn haben auch damit zu tun, dass zu wenig in die Infrastruktur investiert wurde. Das macht sich jetzt bemerkbar. Es ist viel Geld in den Neubau von Straßen investiert worden. Es gab viel zu wenig Geld für die Bahn. Wir müssen dafür sorgen, dass es eine gut funktionierende Infrastruktur gibt, bestimmte Strecken entlastet werden, auch andere Taktungen eingeführt werden.

Norbert Reichel: Manche sagen, das Bundesverkehrsministerium wäre nichts anderes als ein Ministerium zur Förderung des bayerischen Straßenbaus. Helmut Kohl wird der Satz zugeschrieben, die wichtigste Kompetenz eines Verkehrsministers wäre die Nutzung einer Schere zum Eröffnen neuer Straßen.

Katrin Uhlig: Wir müssen grundlegend anders investieren, aber nicht nur im Verkehrsbereich. Wenn wir Wirtschafts- und Industriepolitik, Infrastruktur unter dem Transformationsgedanken betreiben, brauchen wir eine systematische und nachhaltige Förderung von Klimaschutz und Energiewende, Wärmeversorgung, energetische Gebäudesanierung. Das gehört in den nächsten Koalitionsvertrag, unabhängig davon, wer welches Ministerium führt. Alles in allem ergibt das ein Bündel von wichtigen Investitionsprogrammen für den Klimaschutz.

Norbert Reichel: Mir fehlt an der aktuellen Politik die Nachhaltigkeit. Vieles erschöpft sich im Krisenmanagement. Das hat, wie jetzt die Hochwasserkatastrophe zeigt, Olaf Scholz, auch im Unterschied zum Kandidaten der anderen die GroKo tragenden Partei, sehr gut vertreten. Aber für eine langfristige Politik wird Krisenmanagement nicht ausreichen. Die Hochwasserkatastrophe hat ja nicht nur etwas mit versäumtem Klimaschutz zu tun, sondern auch mit ständiger Flächenversiegelung, intensiver Landwirtschaft, sodass bei Hochwasser die nötigen Rückhaltebecken und Überlaufstellen fehlen. Es wurde in der Vergangenheit einfach falsch investiert.

© Grüne Bonn

Katrin Uhlig: So wie ich die Wahlprogramme der Parteien wahrnehme, finden wir überall ein Bekenntnis zum Klimaschutz, aber wenn es hart auf hart kommt, fehlt fast überall die Konkretisierung. Die Grünen sind die einzigen, die konkrete Vorschläge haben. Nehmen wir das Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimaschutz. Die Bundesregierung hat reagiert und die Klimaziele angehoben, aber nicht gesagt, wie sie die Ziele erreichen will. Das fehlt mir massiv, denn alle relevanten Maßnahmen wurden auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Ich hätte sicher die Ziele noch höher gesetzt, aber das ist nicht der Punkt. Der entscheidende Punkt sind die Lippenbekenntnisse zu hohen Zielen, die aber nicht mit konkreten Maßnahmen unterlegt sind und mit den bisher beschlossenen Maßnahmen auch nicht erreicht werden können. Das galt schon beim vorangegangenen Klimapaket, es gilt jetzt nach der Reaktion der Bundesregierung auf das Urteil des Verfassungsgerichts nach wie vor. Da hat sich nichts geändert. Es gibt immer noch keine ausreichend ambitionierten Maßnahmen. Wir Grünen haben ein Klimaschutzsofortprogramm formuliert.

Norbert Reichel: Als Teil eines 100-Tage-Programms.

Katrin Uhlig: Das wäre ein zentraler Teil davon. Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen erreichen wir die Ziele nicht.

Nachhaltige Landwirtschaft

Norbert Reichel: Ein wichtiger Punkt wäre auch eine nachhaltige Landwirtschaft. Renate Künast hat in ihrer Amtszeit schon einiges dazu beigetragen, aber vieles verlief dann auch wieder im Sande.

Katrin Uhlig: Oft sind landwirtschaftliche Betriebe Großbetriebe. Wenn jemand Schweine hält, lohnt sich das in der konventionellen Landwirtschaft aktuell erst ab einer bestimmten Menge. In dem Zusammenhang müssen wir nicht nur über Klimaschutz, sondern auch über die Frage des Tierwohls sprechen. Es ergibt sich z.B. auch eine große Menge an Gülle, die irgendwie entsorgt werden muss. Sie wurde lange Zeit einfach nur auf die Äcker verteilt. Die damit entstehende Nitratentwicklung verunreinigte das Grundwasser und damit unser Trinkwasser. Es wurde nachgewiesen, dass Nitrate die Gehirnentwicklung von Kindern gefährden. Die Europäische Union hat jetzt Regeln für die Reduzierung der Nitratbelastung erstellt, aber wir haben sie in Deutschland noch nicht so umgesetzt, wie wir müssten. Wenn wir so weiter machen, müssen wir das Wasser entsprechend reinigen. Das kostet eine Menge Geld, für die Wasserversorger, letztlich dann auch für die Bürger*innen. Es wäre daher besser, den Eintrag von Nitraten zu vermeiden.

Norbert Reichel: Ich habe bei der aktuellen Landwirtschaftsministerin den Eindruck, dass sie weder das Schreddern männlicher Küken noch die derzeitige Haltung von Schweinen gut findet, aber sie tut nichts dagegen. Wohl gesetzte Worte, keine Taten. Das sollte sich bei einer grünen Regierungsbeteiligung doch ändern? Interessant finde ich, dass Aldi jetzt ab 2030 kein Billigfleisch mehr anbieten möchte.

Katrin Uhlig: Damit hat Aldi die Landwirtschaftsministerin überholt. An vielen Stellen merke ich, dass die Wirtschaft, auch die landwirtschaftlichen Betriebe, weiter sind als die aktuellen Rahmenbedingungen. Sie bräuchten andere Rahmenbedingungen, um sich zu verändern und gleichzeitig auch wirtschaftlich ihr Auskommen zu haben. Das gilt auch für die Industrie. Auch Thyssen-Krupp, Salzgitter-AG und andere sind daran interessiert, grünen Stahl zu produzieren. Aber auch sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen für die dafür erforderlichen Investitionen. Wir reden hier über langfristige Planungen. Das, was wir heute investieren, wirkt sich in zehn Jahren aus.

Ein Bündnis mit der Wirtschaft, ein Bündnis mit den Bürger*innen

Norbert Reichel: Haben wir ein Bündnis der Grünen mit der Wirtschaft zu erwarten?

Katrin Uhlig: Ein Bündnis? Das weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass es in diesem Land viele Menschen, auch in der Wirtschaft gibt, die darauf warten, dass es eine Regierung gibt, die die richtigen Rahmenbedingungen setzt. Viele Unternehmen sind startklar und wollen handeln. Das merke ich in vielen Gesprächen, bei Ankündigungen der Unternehmen, die ich beispielhaft nannte, aber auch bei Forschungsvorhaben von Unternehmen. Wenn wir es in den nächsten Jahren nicht schaffen, die Rahmenbedingungen und Anreize für eine klimagerechte Wirtschaftspolitik zu setzen, werden andere Investitionen stattfinden, die aus Klimaschutzgründen in einigen Jahren überholt sein werden.

Norbert Reichel: Ist die Politik zu hasenfüßig, wenn sie sich hinter der Wirtschaft versteckt, die angeblich durch Klimaschutz belastet wird? Obwohl die Wirtschaft weiter zu sein scheint als die Politik?

Katrin Uhlig: Das würde ich nicht hasenfüßig nennen, sondern einfach falsch. Wir haben große Veränderungen vor uns. Die Frage ist wie wir diese – auch sozial – gestalten.

Norbert Reichel: Ich möchte die Demokratie als weiteres großes Thema nennen. Das hat nicht nur etwas mit der Digitalisierung zu tun – aktuelles Stichwort: Pegasus und Co, ein anderes: das digitale Desaster in den Schulen –, auch mit der Klimakrise. Die Themen hängen zusammen. Wir sprechen heute über diese Themen aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes.

Katrin Uhlig: Wir wollen die Klimakrise gestalten, wir wollen nicht abwarten, bis es zu spät ist. Wir müssen jetzt entscheiden, das wollen wir gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Verbänden, mit den Bürger*innen tun. Wir wollen über die Bedingungen sprechen, mit denen wir gemeinsam die notwendigen Maßnahmen ergreifen können. Wie gesagt: 1,5 Grad ist unser Ziel.

Norbert Reichel: Vor die Lage kommen statt immer erst reagieren, wenn eine Katastrophe passiert, siehe das aktuelle Hochwasser.

Nahe Ferne – China und Puerto Rico

Norbert Reichel: Vielleicht sprechen wir auch über den internationalen Teil deiner Biografie. Du hast im Ausland studiert, in Ländern, in denen nicht unbedingt viele junge Menschen aus Deutschland studieren, in China und in Puerto Rico.

Katrin Uhlig: Ich habe in Puerto Rico studiert und die Menschen dort als sehr offen erlebt. Es war eine schöne Zeit! Was ich aber inzwischen auch mit Puerto Rico verbinde, sind die beiden Hurrikans, die in kürzester Zeit über Puerto Rico hinweggefegt sind. Alles ist zusammengebrochen, die Infrastruktur, die Energieversorgung, das Gesundheitssystem, es gab auch Tote, Häuser sind verschwunden. Das Energiesystem in Puerto Rico war zentral organisiert. Das heißt, dass mit einem Hurrikan die gesamte Energieversorgung mit einem Schlag zerstört war. Einige Unternehmen kamen dann auf die Idee, vielleicht mit Solaranlagen und Batteriespeichern eine Notversorgung auch für abgelegene Bereiche zu sichern. Das, was wir an Maßnahmen für den Klimaschutz bräuchten, wird hier in Folge einer Katastrophe eingesetzt. Durch diese dezentrale Maßnahme können Auswirkungen der Klimakrise aber auch abgemildert werden.

In China habe ich ein Jahr lang Mandarin an der Uni gelernt. Ich habe ja Sprachen, Wirtschaft- und Kulturraumstudien in Passau studiert. Das wurde damals in dieser Form nur dort angeboten. Dazu gehörten Wirtschaftswissenschaften, Sprachstudium und ein gesellschaftswissenschaftlicher Teil. Dabei gab es einen Schwerpunkt auf einen Kulturraum, in meinem Fall auf den ibero-romanischen Raum.

Norbert Reichel: Wie hast du China erlebt?

Katrin Uhlig: China ist von schneller und von viel Veränderung geprägt. Das Land – ich war zwischenzeitlich noch einmal da – wandelt sich sehr schnell und ist inzwischen global auch ein bedeutendes Land.

Norbert Reichel: Hast du auch im Studienbetrieb gemerkt, dass China keine Demokratie ist?

Katrin Uhlig: Das Studium in China ist anders als das, was ich in Deutschland erlebt habe. Aber da hat jedes Land eine eigene Philosophie. Für mich war es sehr viel Auswendiglernen. In Passau haben wir in der Woche ca. 20 Vokabeln gelernt, in China ging es direkt mit 60 Vokabeln alle zwei Tage los, dann 60 Vokabeln am Tag. Das war immer Schrift, Sprachbild, Übersetzung. Die Bücher waren auf Englisch. Also für jedes Wort drei Arbeitsschritte. Ich hatte dafür extra Karteikarten und drei Stapel vor mir, die ich abarbeiten musste. Der Tag sah etwa so aus: vier Stunden Universität, Mittagessen, am Nachmittag Nacharbeiten und Lernen zu Hause beziehungsweise im Wohnheim, Abendessen, Weiterlernen.

Norbert Reichel: Und die chinesischen Studierenden?

Katrin Uhlig: Wir hatten mit den chinesischen Studierenden gar nicht so viel Kontakt, eigentlich gar keinen. Wir wohnten in unterschiedlichen Wohnheimen und wir lernten in einer reinen Gruppe ausländischer Studierender. Mein engster Kontakt war meine chinesische Tandempartnerin, die Deutsch studierte. Wir haben abwechselnd Deutsch und Chinesisch gelernt und geübt. Eine Zeitlang habe ich allerdings mein Aikido-Training auch in China fortgesetzt. An der Beijing-Universität, die etwa eine halbe Stunde von meiner Universität entfernt lag, gab es eine Gruppe von Studierenden und Nicht-Studierenden, die Aikido trainierten. Dort hatte ich dann auch Kontakt mit Chines*innen. Ansonsten begrenzte sich der Kontakt auf Einkaufen, Gespräche in Supermärkten oder auf der Straße. Von meiner Tandempartnerin habe ich einiges über den Alltag chinesischer Familien gelernt. Sie kam nicht aus Beijing, sondern aus Harbin im Norden. Sie hat mir z.B. viel über das Eisskulpturenfestival in Harbin erzählt.

Norbert Reichel: Über Politik habt ihr nicht gesprochen?

Katrin Uhlig: Nein, das war auch nicht erwünscht. Daran habe ich mich gehalten. Wir haben natürlich im Kreis der ausländischen Studierenden, die alle aus anderen Ländern kamen, über das ein oder andere gesprochen. Ich habe dabei gelernt, dass es manchmal einfach gut ist zuzuhören. Die Menschen haben unterschiedliche Perspektiven. So möchte ich auch Politik machen. Wir müssen nicht immer alle einer Meinung sein, aber sollten einander zuhören und die verschiedenen Perspektiven kennenlernen.

Demokratie in Gefahr? Oder was wir dagegen tun können

Norbert Reichel: Ich habe mitunter den Eindruck, dass es zunehmend junge Menschen in der sogenannten Generation Z gibt, die bereit zu sein scheinen, für den Klimaschutz auch Einschränkungen von Freiheiten in Kauf zu nehmen. Damit meine ich nicht die Freiheit, zu jeder Zeit überall hin mit einem möglichst großen Auto zu fahren, sondern das, was im Grundgesetz unter den Grundrechten niedergeschrieben ist. Ich habe darüber gerade mit Harry Harun Behr gesprochen, der sich nicht nur mit den deutschen, sondern auch mit indonesischen Entwicklungen gut auskennt. Es ist kein rein deutsches oder europäisches Phänomen.

Katrin Uhlig: Ich stelle mitunter fest, nicht nur bei der jüngeren Generation, auch bei der älteren, auch in deinem Alter, dass Menschen denken, Politik solle einfach sagen wie es sein sollte und das dann auch so durchsetzen. Das finde ich ein falsches Verständnis von Demokratie. Denn Demokratie lebt vom Dialog.  

Die Frage der Demokratie ist damit für mich eine andere Frage als die der Klimakrise. Mir macht es große Sorge, dass der Wert von Demokratie, von Aushandlungsprozessen, von unterschiedlichen Meinungen, einer pluralen Gesellschaft, vom Wettstreit der besten Ideen in Frage gestellt werden. Denn das ist Grundlage unseres Zusammenlebens. Das ist Schutz von Minderheiten, das ist die Grundlage davon, wie wir unser Zusammenleben organisieren. Am rechten Rand, gibt es Kräfte, die sich gegen jede Veränderung wehren und alles, was anders ist als sie, verbieten, ausschließen wollen und noch weit darüber hinaus. Ich finde das ganz fatal. Du hast mit deinem Hintergrund noch andere Erfahrungen, welche Diskurse es da gibt.

Norbert Reichel: Das sind ganz schwierige Diskurse. Diese Frage wird in der Forschung auch gestellt. Die vor einigen Wochen vorgestellte Bielefelder Mitte-Studie, die nicht nur Jugendliche befragt hat, kommt zu einem problematischen Ergebnis, aber vielleicht ist „problematisch“ als Begriff noch viel zu euphemistisch. Auf der einen Seite ließ sich eine Abnahme der Zustimmung zu harten antisemitischen, antidemokratischen und anderen vergleichbaren Aussagen feststellen. Auch die Zahl derjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild haben, scheint zu sinken. Eine Ausnahme ist die Ablehnung von Muslim*innen. Diese steigt und hat inzwischen das Niveau der Ablehnung von Sinti und Roma erreicht, das in einigen Aussagen schon immer mehrheitsfähig war, also Raten von um die 50 % und darüber erreichte. Das ist schon sehr bedenklich. Aber hinzu kommt Folgendes: es sinkt auch die Zahl derjenigen, die solche extremistischen Weltbilder entschieden ablehnen. Da weicht etwas auf.

Katrin Uhlig: Ich glaube, dass die Pandemie uns alle mehr voneinander getrennt hat, weil Menschen noch weniger mit anderen Menschen in Kontakt kamen, die nicht aus ihrem engsten Kreis kamen und so andere Berührungspunkte fehlten.

Norbert Reichel: Der internationale Jugendaustausch ist zusammengebrochen.

Katrin Uhlig: Ich finde es wichtig, den Austausch zwischen den Menschen zu stärken. Die Pandemie hat das Gegenteilige erreicht. Wenn du mit anderen Menschen in Kontakt bist, die andere Perspektiven haben, mit denen du in den Dialog kommst, stellst du fest, dass es eben auch andere Sichtweisen auf das Leben gibt. Es ist eine Erfahrung, die ich für sehr wertvoll halte. Im Wahlkampf merke ich das übrigens auch. Ich mag Podiumsdiskussionen, auf denen ich mich mit anderen über die anstehenden Herausforderungen diskutieren kann, aber mein liebster Ort ist der Wahlkampfstand. Denn nirgendwo sonst kommst du mit Menschen in Kontakt, die du sonst nie treffen würdest, die einfach ein anderes Leben leben. Da entsteht Dialog, und ich erfahre von vielen Themen, die Menschen in der Stadt bewegen.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im September 2021, Internetzugriffe am 7. September 2021)