Ein entscheidendes Jahr

Der Kampf um das Präsidentenamt in Polen hat begonnen

Der Wahlmarathon in Polen ist in eine neue Runde eingetreten. Nach den Parlamentswahlen im Herbst 2023 und den Senats-, Kommunal- und Europaparlamentswahlen zu Beginn des Jahres 2024 werden im Mai 2025 die langersehnten Präsidentschaftswahlen in Polen stattfinden. Wochenlang tobte ein wilder Austausch von Namen in nahezu allen Parteien, wen man als Kandidaten ins Rennen schicken möchten oder wer wen potenziell unterstützen könnte. Ausschlaggebende Themen, die Polen derzeit beschäftigen und somit den Wahlkampf dominieren werden, sind die Sicherheitsfragen im Hinblick auf den Krieg im Nachbarland Ukraine sowie die Wirtschaftsentwicklung und das marode Gesundheitssystem. Hinzu kommt die angespannte Lange zwischen den Regieruns- und Oppositionslager bezüglich des Justizsystems sowie der damit einhergehenden Reformen, welches schon seit Jahren nicht zur Ruhe kommt und die gesamte politische Landschaft belastet.

Der Präsident in Polen hat im Gegensatz zu seinem deutschen Pendent mehr aktive Mitgestaltungsmöglichkeiten inne. Das Wahlsystem in Polen unterscheidet sich von dem in Deutschland darin, dass der polnische Präsident in direkter Wahl von den Bürgern gewählt wird. Es sind zudem zwei Wahlgänge vorgesehen, wenn keiner der Bewerber in der ersten Runde die absolute Mehrheit von über 50 Prozent erreicht. Der Präsident kann nur einmal wiedergewählt werden, sodass der derzeitige polnische Präsident Andrzej Duda nicht erneut antreten darf. Das genaue Datum, an dem Polen wählen wird, wird in Kürze vom Sejmmarschall Szymon Hołownia (Trzecia Droga/Polska 2050) bekanntgegeben. Vermutet werden der 18. Mai 2025 für den ersten Wahlgang und der 1. Juni 2024 für die Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten haben.

Das problematische Verhältnis zwischen Regierung und Präsidenten

Andrzej Duda ernennt Donald Tusk zum Premierminister. Foto: Wikimedia Commons.

Diese Wahlen sind in jedem Falle ausschlaggebend für die Zukunft und Handlungsfähigkeit Polens, da das derzeitige Verhältnis zwischen der liberalen Regierungskoalition unter Donald Tusk und dem derzeitigen Präsidenten Andrzej Duda, der aus den Reihen der national-konservativen PiS stammt, desaströs ist. Da der Präsident in Polen nicht nur repräsentative Funktionen wahrnimmt, werden ihm Gesetzesvorschläge durch die Nationalversammlung (Sejm und Senat) zur Ratifizierung vorgelegt werden, besitz er eine mächtige Rolle im politischen Alltag. Hierbei hat er die Möglichkeit den Gesetzen auch nicht zustimmen und sein Veto einlegen. Aufgrund der ideologischen Differenzen macht Andrzej Duda immer öfter von seinem Recht Gebrauch, dieses Veto gegen die Gesetzesvorhaben der derzeitigen liberalen Regierung einzulegen und wichtige Gesetze damit zu blockieren. Dies kann ohne Angabe von Gründen erfolgen. Nachdem ein Veto von Seiten des Präsidenten eingelegt wurde, hat er das Recht einen eigenen Gesetzesvorschlag vorzulegen oder den bereits vorliegenden Gesetzesentwurf zu überarbeiten. Um das Veto des Präsidenten zurückzuweisen, bedarf es der präsidialen Mehrheit von drei Fünfteln der Abgeordneten, was bei der derzeitigen Zusammensetzung des Sejms fast unmöglich erscheint.

Andrzej Duda hat bereits nach dem Eklat um die Abgeordneten Mariusz Kamiński und Macej Wąsik bekannt gegeben, zukünftig von seinem Veto-Recht öfter Gebrauch machen zu wollen, da seiner Ansicht nach beide Politiker zu Unrecht ihre Immunität verloren hätten, da er sie bereits einmal begnadigt hätte und somit die Zusammensetzung des Sejm unrechtmäßig wäre. Parteipolitisch erscheint dies der einzig logische und effektive Weg zu sein den die PiS nun gehen kann, da sie faktisch nur noch über den Präsidenten ihre Politik der vergangenen Legislaturperioden legitimieren kann, indem er die derzeitigen Gesetze blockiert. Häufig wird im gleichen Atemzug der Regierungskoalition vorgeworfen, dass sie ihre Wahlversprechen nicht eingehalten hätte. In der jetzigen Situation ist es für die PiS noch wichtiger als den Ruf des politischen Gegners zu schädigen, dass es zu keinen grundlegenden politischen Veränderungen der von der PiS eingeführten Gesetze kommt. Besonders elementar erscheinen die Beibehaltung der durch die PiS eingeführten Justizreformen, die nun genutzt werden, um durch Gerichtsurteile weiterhin Einfluss geltend zu machen.

Andrzej Duda hat bereits des Öfteren sein Veto eingelegt, beispielsweise gegen das Bewilligungsgesetz des Haushalts für 2024, den Gesetzesentwurf zum Thema der Freiverkäuflichkeit der sogenannten „Pille dannach“, dem Gesetz über die Anerkennung des Schlesischen als regionale Sprache sowie dem Gesetzentwurf zur Aufhebung des Gesetzes über die staatliche Kommission zur Untersuchung russischen Einflussnahmen. Zuletzt kam es zum Eklat zwischen dem Präsidenten und dem Außenministerium, da Andrzej Duda neu einberufene Botschafter, in wichtigen Ländern wie den USA, Israel oder der Ukraine nicht ins Amt lassen wollte, mit der Begründung, sie entstammen der postkommunistischen Nomenklatura.

Das Land scheint durch den anhaltenden Konflikt zwischen Präsidenten und Regierung wie gelähmt. Viele Gesetzesinitiativen werden verschoben, da man sich bewusst ist, dass diese prinzipiell keine Zustimmung des Präsidenten erhalten. Ein herausragender Indikator wie zerworfen das Verhältnis ist, sind zwei Reden die Andrzej Duda jüngst gehalten hat. Eine vor dem Verfassungsgericht am 10. Oktober 2024 und eine Deklaration vor dem Sejm am einjährigen Jahrestag der durch die liberale Regierung gewonnen Wahlen vom 15.Oktober 2024. In beiden Reden kritisierte er die derzeitige Regierung scharf, warf ihnen das Brechen der Verfassung und geltender Gesetze vor und verteidigte die Justizreformen der PiS sowie die Richter, die von ihm auf Grundlage dieser neuen Gesetzgebung eingesetzt wurden.

All diese Faktoren führen dazu, dass Polen nun die Präsidentschaftswahlen herbeisehnt. Die einen wollenihren Einfluss weiter bestätigt sehen, die anderen wollen endlich einen Präsidenten erhalten, der sein Amt nicht parteipolitisch missbraucht und zum Wohle des Volkes handelt. Diese Wahl scheint deswegen genauso spannend und nervenaufreibend zu werden, wie das gesamte erste Jahr der Regierung Tusk bereits war. Die entscheidende Frage, die sich nun ganz Polen stellt, ist, ob man weiterhin einen Präsidenten haben wird, der auf Kriegsfuß mit der Regierung steht und weiterhin von seinem Vetorecht inflationär gebrauchen wird oder ob es nun die langersehnte politische Wende geben wird, mit einem Präsidenten, der kooperativ ist. Bevor wir diese Frage jedoch beantworten können, steh ein hitziger Wahlkampf in Polen an.

Koalicja Obywatelska – Warschauer Stadtpräsident oder Außenminister

Radosław Sikorski und Annalena Baerbock in Berlin. Foto: Wikimedia Commons.

Die Regierungspartei Platforma Obywatelska (PO) betonte oft, sie hätten schon längst einen „natürlichen Kandidaten“, den sie ins Rennen um das Amt des Präsidenten schicken würde: den Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski. Er ist bereits bei dem letzten Wahlen 2020 gegen Andrzej Duda angetreten und hat gegen ihn nur knapp verloren. Im Frühjahr 2024 würde er dann in seinem Amt als Stadtpräsident Warschaus fulminant bestätigt.

Umso näher die Wahl nun rückte, tauchten neue Namen innerhalb der PO in Konkurrenz zu Trzaskowski auf, die sich auch um das Präsidentenamt bewerben wollten. Erst munkelte man, dass Donald Tusk höchstpersönlich das Amt übernehmen wollen würde. Er hat jedoch sehr schnell und deutlich klargestellt, dass er keine derartigen Ambitionen verfolge. Kurz darauf tauchte noch ein hoch angesehener und erfahrener Politiker auf, der Interesse äußerte, als Kandidat aufgestellt zu werden: Radosław Sikorski, der derzeitige Außenminister. Er ist auf der weltpolitischen Bühne wohl bekannt und ein außenpolitisches Schwergewicht. Bereits 2010 hat Sikorski einen ersten Versuch unternommen das höchste Amt des Landes zu erlangen. Er unterlag damals in einem parteiinternen Vorentscheid seinem Parteikollegen und späterem Präsidenten Bronisław Komorowski. In diesem Jahr ist er vor allem durch seine starke Rede von den UN-Sicherheitsrat aufgefallen, als er auf die dort geäußerten Lügen des russischen Botschafters reagierte und darstellte, wie die Sachlage in der Ukraine wirklich aussieht.

Rafał Trzaskowksi in Bielsko-Biała. Foto: Wikimedia Commons.

Beide Kandidaten der Bürgerplattform haben ihre Vor- und Nachteile. Trzaskowski ist ein weltmännischer, eloquenter und überaus beliebter Politiker, der vor allem junge Wähler und Wählerinnen anspricht, er wird jedoch oft als elitär betitelt. Er wird eher dem links-liberalen Spektrum der PO zugeordnet und ist somit eine Konkurrenz für den linken Rand der politischen Landschaft. Radek Sikorski hingegen ist konservativer und strenger in seinen Ansichten und seinem Wesen. Er hat jahrlange Erfahrung als Außenminister und ist besonders gut in den USA vernetzt, zumal er mit der bekannten jüdisch-amerikanischen Journalistin und Historikerin Anne Applebaum verheiratet ist. In dem Zusammenhang kam es im Vorwahlkampf zu einem Eklat vor laufenden Kameras. Sikorski war bei dem Nachrichtensender TVN24 zu einem Interview eingeladen. Es handelte sich dabei um das Format „Kropka nad i“ mit der erfahrenen Journalistin Monika Olejnik. Sie sprach Sikorski auf seine Frau an und ob ihre jüdisch-amerikanische Herkunft sich negativ auf seine Kandidatur auswirken könnte. Nach der kurzen Antwort, „es ist bereits eine säkulare Tradition, dass die First Ladies jüdischer Herkunft sein sollten” (er spielte darauf an, dass auch Agata Kronhauser-Duda, die Ehefrau von Andrzej Duda, jüdische Wurzeln hat), verlies Sikorski aus Protest das Fernsehstudio. Leider hat er mit diesem Statement eine wichtige Chance verpasst, eine Debatte über Antisemitismus in Polen einzuleiten.

Der Warschauer Stadtpräsident hat aufgrund seines eigenen und des Interesses Sikorskis an der Kandidatur fürs Präsidentenamt vorgeschlagen, Vorwahlen innerhalb der Partei Platforma Obywatelska durchzuführen. Diese interne Wahl erschien vielen wegweisend zu sein, da viele Polen und Polinnen bereits den neuen Präsidenten in der Entscheidung dieser Vorwahlen sehen, da die Unterstützung der PO in diesem Wahlkampf sehr groß erscheint. Wenige Tage vor der Vorwahl, am Montag, den 18. November 2024 erschien eine statistische Wählerbefragung, die voraussagte, dass Rafał Trzaskowski vor allem im ersten Wahlgang ein wesentlich besseres Ergebnis erreichen könnte als sein Parteikollege Sikorski. Auch im entscheidenden zweiten Wahlgang war das Ergebnis Trzaskowskis wesentlich besser als das Sikorskis.

Der Vorwahlgang der PO fand am 22. November 2024 statt, indem man die Parteibasis der PO per SMS zur Wahl zwischen Trzaskowski und Sikorski aufrief. Das Ergebnis wurde einen Tag später verkündet und war mehr als eindeutig: Trzaskowski kam auf über 75% und Sikorski auf 25%. Der Sieger Rafał Trzaskowski steht für proeuropäische und freiheitliche Werte. Bereits als Stadtpräsident der polnischen Hauptstadt hat er gezeigt, dass er sich um Themen wie Umwelt, Frauenrechte und Diversität kümmert. Offiziell hat Sikorski Trzaskowski herzlich gratuliert und unterstrichen, dass er vollkommen hinter seinem siegreichen Konkurrenten steht. Es ist wünschenswert, dass die Wahl die Partei nicht in ein konservatives und ein linkes Lager spaltet und man gemeinsam den gewählten Kandidaten unterstützt.

Prawo i Sprawiedliwość – Der „bürgerlich-unabhängige“ Kandidat

Bei der PiS kreisten wesentlich mehr Namen, um die Ambitionen Präsident Polens zu werden. Anders als in der PO entschied, hier nicht die Parteibasis, sondern der Parteivorsitzende der PiS, Jarosław Kaczyński allein, wer für das rechts-konservative Lager antreten soll. Es gab bereits im Vorfeld viele verschiedene Termine, zu denen der Name des Kandidaten bekannt gegeben werden sollte. Letztendlich wurde doch abgewartet, dass der politische Gegner zuerst seinen Kandidaten bekannt gibt, um sich daran zu orientieren, wen man schlussendlich ins Rennen schickt.

In der PiS fielen in diesem Zusammenhang viele Namen, unter anderem Mariusz Błaszczak, ein sehr naher Kaczyński-Vertrauter und ehemaliger Verteidigungsminister, der ehemalige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sowie seine Vorgängerin Beata Szydło. Diese Kandidat:innen wurden jedoch schnell wieder verworfen, weil der Vorsitzende Kaczyński nicht überzeugt war oder weil die Unterstützung innerhalb der Partei fehlte. Mit der Zeit wurde klar, dass sich drei Personen im engeren Kreis der Gunst des Parteivorsitzenden befanden: Przemysław Czarnek, der ehemalige Bildungsminister, der sehr umstritten und erzkonservativ ist, Tobiasz Bocheński, ein noch relativ unbeschriebenes Blatt, der bereits im Kampf um das Stadtpräsidentenamt in Warschau antrat und gegen Trzaskowski verlor, und der Direktor des IPN (Institut für Nationales Gedenken) und früheren Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig, Karol Nawrocki.

Karol Nawrocki. Foto: Wikimedia Commons.

Für den 24. November 2024, also ein Tag nach Bekanntgabe des PO-Kandidaten, wurde ein Kongress ausgerufen, an dem die Kandidatur bekannt gegeben werden sollte. Schon im Vorfeld wurde bekannt, dass der konservative Kandidat unabhängig und parteiübergreifend sein werde, sodass schnell klar war, dass es sich lediglich um den Historiker Karol Nawrocki handeln kann, da er derzeit kein Parteimitglied der PiS ist. Dies kommt daher, dass er in seiner Funktion als Direktor des Instituts des Nationalen Gedenkens keiner Partei angehören darf. Seine Karriere im Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs sowie seine Position im IPN hat der 42-jährige Danziger zu überwiegendem Teil seiner Nähe zur PiS zu verdanken. Er ist katholisch, konservativ und entstammt dem rechts-konservativem Milieu. Allerdings wird ihm auch Nähe zu Hooligans und Kriminellen des Rotlichtmilieus nachgesagt, was seiner Kandidatur jedoch nicht im Weg stand. Es ist bekannt geworden, dass die Partei über sein Umfeld bereits im Vorfeld informiert wurde.

Während seiner Zeit als IPN-Direktor war er für die Demontage sowjetischer Denkmäler im Rahmen der Dekommunisierung in Polen verantwortlich, was ihn in Russland auf die Liste der Personae non gratae brachte. Dies macht ihn im rechts-konservativen und russlandfeindlichen Kreisen sehr beliebt und überaus wählbar. Man rechnete auch damit, dass er als patriotischer und nationalistischer Bewerber vor allem im zweiten Wahlgang, die Stimmen der rechtsradikalen Konfederacja einsammeln könnte. Diese Rechnung gehe jedoch nur auf, weil Trzaskowski für die PO ins Rennen geschickt wurde, der als sehr links-liberal wahrgenommen wird. Ein Duell mit dem strengeren Sikorski hätte völlig andere Parameter und man hätte in diesem Fall einen anderen Kandidaten aufgestellt. Außerdem hat man, wie bereits erwähnt, immer wieder das Argument gehört, dass der Kandidat der PiS unabhängig sein müsse. Während des Kongresses zur Nominierung waren keine Parteilogos zu sehen und der Krakauer Geschichtsprofessor Andrzej Nowak hat die Kandidatur Nawrockis verlautbart, also gezielt kein PiS-Mitglied. Dies kann man als Reaktion darauf verstehen, dass Andrzej Duda seine gesamte Präsidentschaft über als „Kugelschreiber“ bezeichnet wurde. Ihm wurde unterstellt, dass er nur dazu da sei, die parteipolitischen Interessen der PiS zu vertreten, er selbst aber keine eigene politische Meinung hätte. Einem derartigen erneutem Vorwurf wollte man zuvorkommen und für sich nutzen, sodass man einen Kandidaten wählte, der auf den ersten Blick nichts mit der Partei zu tun hat.

Wenn man sich jedoch die Rhetorik und Themenschwerpunkte Nawrockis anschaut, wird ganz schnell deutlich, dass er eins zu eins das politische Programm der PiS übernommen hat. Seine Lieblingsthemen sind Patriotismus, polnische Werte, das „Attentat von Smolensk“ sowie der christliche Glaube. Auch setzt man darauf, ihn als besonders bürgernah darzustellen, und betont seine schlichte bürgerliche Herkunft, im Gegensatz zum PO-Kandidaten Trzaskowski, der als elitär gilt. Immer wieder wird Nawrocki als Sportler gezeigt, da er früher professionell geboxt hat. Dies soll den noch sehr unbekannten Nawrocki sympathisch und nahbar machen. Die Wahrscheinlichkeit einen Wahlerfolg mit Karol Nawrocki zu erzielen, erscheint trotz aller Bemühungen eher gering, da er selbst in der PiS ein eher unbekanntes Gesicht ist. Ein weiteres Problem könnte auch die Finanzierung der Wahlkampagne werden, da aktuell der PiS Gelder gestrichen wurden. Zuletzt hat sich die PiS-Abgeordnete Joanna Lichocka im konservativen Sender Republika dazu geäußert und den parteinahen Sender kritisiert. Sie meinte, dass der Sender zu Geldspenden für die PiS aufrufen sollte, nicht für den Erhalt des eigenen Senders, sondern für den Erfolg der Kampagne Nawrockis. Dies zeigt, dass Nawrocki doch nicht so unabhängig von der PiS ist, wie die ganze Zeit behauptet wird.

Dass die Gunst Kaczyńskis auf ihn als Historiker fiel, ist jedoch nicht verwunderlich. Die PiS hat seit 2015 ihre Politik mit Hilfe einer patriotisch-nationalistischen Erinnerungskultur untermauert und so ein ideologisches Fundament erbaut. Er weiß, dass man mit Geschichte Wählerstimmen generieren kann. Ob es sich um Reparationsforderungen gegenüber Deutschland, den Flugzeugabsturz der Präsidentenmaschine 2010 in Smolensk oder die Verehrung der Verfemten Soldaten handelt, so ist die Geschichte in der polnischen Politik allgegenwärtig und ruft ehebliche Emotionen in der Bevölkerung hervor. Mit einem Historiker, der bereits seit vielen Jahren die Geschichtspolitik nach PiS-Ideologie aktiv und maßgeblich mitgestaltet, erhofft man, an alte Emotionsmuster der Wähler anzuknüpfen.

Mit der Nominierung Nawrockis möchte man auch an die „Erfolgsgeschichte“ Andrzej Dudas anknüpfen, der 2015 auch als „No-Name“ in der Öffentlichkeit erschien und nun bereits zehn Jahre das Präsidentenamt bekleidet. Jedoch ist Nawrocki offenbar so unbekannt, dass selbst Andrzej Duda während einer Pressekonferenz Probleme hatte,sich an seinen Namen zu erinnern. Hierzu wurde spekuliert, ob dieser Fauxpas gezielt von Duda inszeniert wurde, da er bei der Wahl des PiS-Kandidaten vom Parteivorsitzenden übergangen wurde. Dafür spricht auch, dass Duda bisher seine Unterstützung für Nawrocki nicht offiziell geäußert hat und sogar den Kandidaten der rechtsradikalen Konfederacja, Sławomir Mentzen, für wählbar erachtet.

Trzecia Droga – Kampf mit Affairen und um Wählerstimmen

Szymon Hołownia. Foto: Wikimedia Commons.

Der Zusammenschluss von der Bauernpartei PSL und der noch relativ jungen Polska 2050 hat sich, während der Sejmwahl 2023 als Zünglein an der Waage herausgestellt, da sie doch viele Wähler mobilisieren konnten. Besonders bekannt ist das Gesicht des ehemaligen Entertainers Szymon Hołownia, der unter anderem die polnische Version des Supertalents moderierte. In seiner nun herausragenden Rolle als Sejmmarschall hat Szymon Hołownia bekannt gegeben, dass der Wahlkampf um das Präsidialamt am 8. Januar 2025 offiziell beginnen soll. Hołownia hat sich auch als Kandidat selbst ins Rennen geschickt, ohne Absprachen innerhalb der Koalition beziehungsweise des Wahlbündnisses Trzecia Droga zu treffen. Zu Beginn würde nämlich darüber spekuliert, dass die Regierungskoalitionen einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen könnten, wozu es nun faktisch nicht gekommen ist. Der Gründer der Partei Polska 2050 hat die Unterstützung seiner Co-Partei PSL sicher, trotzdem hat es einige Wochen gedauert, bis Władysław Kosiniak-Kamysz, der Vorsitzende der PSL, sich klar hinter die Kandidatur seines Parteifreundes gestellt hat.

Vor kurzem ist ein schwerwiegender Vorwurf gegen Hołownia laut geworden, dass er an der in Verruf geratenen Privatuniversität Kollegium Humanum „studiert“ haben soll. Dies bestreitet er vehement. Dieser Vorwurf könnte dem Sejmarschall politisch das Genick brechen. Seit längerem gibt es vermehrt Vorwürfe, dass diese Institution Studienabschlusse an hochrangige Politiker:innen und Personen des Öffentlichen Lebens verkauft haben soll, ohne dass diese jemals dort an Vorlesungen oder Klausuren teilgenommen haben. Dieser Fall ist juristisch jedoch nicht abgeschlossen, es wird derzeit ermittelt.

Zusätzlich hat Hołownia viel Spott für seine Aussage geerntet, dass er als einziger „unabhängiger Kandidat“ antreten würde, da sonst alle Kandidaten als verlängerte Arme der jeweiligen Parteivorsitzenden agieren würden. Damit versucht er sich vor allem von PO und PiS abzugrenzen und so Wähler:innen zu mobilisieren, die die Parteimachenschaften der alteingesessenen Parteien satthaben. Eine eindeutige Spitze nicht nur gegen die PiS, der unterstellt wird, Andrzej Dudas Entscheidungen zu beeinflussen, sondern auch gegen seinen Koalitionspartner Donald Tusk und seine PO. Es ist erkennbar, dass die anfängliche Begeisterung und gegenseitige Unterstützung innerhalb der Koalition PO-Trzecia Droga-Lewica immer deutlichere Risse bekommt. Immer öfter werden innerparteilich motivierte Entscheidungen gefällt, wie beispielsweise die zurückgezogene Unterstützung für Gesetzesvorhaben, wie des versprochenen Abtreibungsgesetzes oder zum Thema eigetragene Lebenspartnerschaften. Seit längerem ist klar ersichtlich, dass vor allem die eher konservative Bauernpartei PSL, die ein Teil des Wahlbündnisses Trzecia Droga ausmacht, an Unterstützung ihrer doch recht konservativen Wählerschaft verloren hat. Viele erachten die Politik als zu liberal und als Verrat an den christlichen Werten der Traditionspartei. Mit der Blockade besonders fortschrittlicher und liberaler Gesetze versucht man die Gunst der abtrünnigen Wähler:innen wiederzuerlangen, schadet aber dem Fortschritt in der Koalition.

Lewica – Linksaußen wird es eine Frau

Magdalena Biejat. Foto: Wikimedia Commons.

In der polnischen Linken wurde die Präsidentschaftskandidatur zwischen zwei Frauen entschieden: Agnieszka Dziemianowicz-Bąk und Magdalena Biejat. Die Entscheidung, wer letztendlich für die Linke in den Wahlkampf starten wird, wurde am 15. Dezember bekannt gegeben. Die Wahl fiel auf Biejat. Es ist zwar bekannt, dass Magdalena Biejat bereits im Kampf um das Stadtpräsidentenamt 2024 in Warschau Rafal Trzaskowski unterlag und es sehr wahrscheinlich ist, dass sich dies auch bei den Wahlen im Mai wiederholen könnte. Man setzt hier auf ihr Image als „Mädchen von nebenan“, wie ihr Parteigenosse Krzysztof Gawkowski in einem Interview mit dem Privatsender TVN24 darstellte. Im Gegensatz zu ihr, seien die anderen Kandidaten ein „Junge aus dem Palast“ und ein „Junge aus dem Fitnessstudio“.

Konfederacja – Rechtsaußen hält man die die Zügel in der Hand

Sławomir Mentzen. Foto: Wikimedia Commons.

Die nationalistisch-rechtsradikale Partei Konfederacja hat als erste ihren Kandidaten bekannt gegeben. Es handelt sich dabei um einen der Vorsitzenden, Sławomir Mentzen. Es ist anzunehmen, dass auch er es nicht in den zweiten Wahlgang schafft, jedoch sind die Stimmen der Rechtsaußenwähler sehr wichtig für die Kandidaten, die es in die Stichwahl schaffen, da diese den Wahlausgang maßgeblich beeinflussen könnten, da sie sich im niedrigen zweistelligen Bereich bewegen könnten. Man hofft in der PiS, dass die Konfederacja nach dem ersten Wahlgang dazu aufruft, im zweiten Wahlgang den „unabhängigen und bürgerlichen“ Kandidaten der PiS Karol Nawrocki zu unterstützen. Ohne die Stimmen von Rechtsaußen ist ein zufriedenstellendes Ergebnis für die PiS quasi nicht erreichbar. Allerdings hat sich Krzysztof Bosak, der Co-Parteivorsitzende der Konfedracja bereits dazu geäußert, dass sie ihren eigenen Kandidaten haben und ihre Wähler ein eher gepaltes Verhältnis gegenüber der PiS pflegen. Es ist also anzunehmen, dass man offiziell keine Unterstützung Karol Nawrockis erwarten kann.

Prognosen über Prognosen

Am 25.November 2025 erschien im Auftrag der privaten Fernsehstation TVN eine erste allgemeine Wahlprognose. Hierbei hat sich die erwartete Tendenz bestätigt: Rafał Trzaskowski würde im ersten Wahlgang 41 Prozent, Karol Nawrocki nur 26 Prozent erhalten. Überraschend war die große Unterstützung für den Kandidaten der rechtsextremen Konfederacja mit 12 Prozent, aber auch die niedrige Unterstützung für den derzeitigen Sejmmarschall Szymon Hołownia, der lediglich 9 Prozent erreichte. Auch wurde eine mögliche Stichwahl untersucht, in der sich zeigte, dass der große Vorsprung Trzaskowskis zu dem bürgerlichen Kandidaten Nawrocki sich stark verringerte. Die Prognose sagt hier, dass der PO-Kandidat 52 Prozent und der durch die PiS unterstützte Nawrocki 41 Prozent erhalten würde. Anzunehmen ist, dass der Plan mit der Wahl eines besonders konservativen Kandidaten die Wähler der Konfederacja und der Bauernpartei PSL zu erreichen, nicht unbedingt funktionieren könnte.

Die neueste Wahlprognose stammt vom 16. Dezember 2024 und bestätigt die Tendenz, welche bereits in der vorangegangenen Befragung deutlich wurde. Auch wenn sich die Spitzenkandidaten Nawrocki und Trzaskowski prozentual annähern, ist die Aussage klar: Besonders spannend wird der Kampf um die noch unentschiedenen Wähler und Wählerinnen, die in dieser Befragung 9,5 Prozent ausmachen.

Selbstverständlich ist dies nur eine Momentaufnahme und die Präsidentschaftswahlen finden erst in einem halben Jahr statt. Dieser Wahlkampf wird jedoch mit Sicherheit hitzig und hält noch viele Überraschungen für uns bereit. Im Zeitraum eines halben Jahres kann sich noch sehr viel ereignen. Nur eine Sache scheint in diesen Präsidentschaftswahlkampf sicher zu sein: Der nächste polnische Präsident wird in keinem Falle Andrzej Duda heißen.

Ines Skibinski, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Januar 2024, Internetzugriffe zuletzt am 22. Dezember 2024. Das Titelbild zeigt das Palais des Präsidenten bei Nacht. Dieses und alle anderen Fotos in diesem Bericht: Wikimedia Commons.)