Das Spiel mit den Emotionen

Zum Missbrauch von Erinnerungskultur in Polen

„Das, was die PiS geschafft hat, war nicht nur undemokratisch, die von ihr geschaffenen Organe sind auch verfassungswidrig, zumindest rechtswidrig. Auf der Grundlage dieser Vorschriften kann man nicht handeln. Aber um diese Vorschriften zu ändern, braucht man die Unterschrift des Präsidenten, die man aber nicht bekommt. Die aktuelle Lösung im Fall der öffentlichen Medien war an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit. Ich vermute, wir werden noch einigen juristischen Streit über diese Frage erleben.“ (Agnieszka Łada-Konefał, Vizedirektorin des Deutschen Poleninstituts im Januar 2024 im Demokratischen Salon unter der Überschrift „Regierungswechsel schwer gemacht“)

Die am 15. Oktober 2023 abgewählte polnische Regierung unter Führung der PiS („Prawo i Sprawiedliwość“) hat die polnische Demokratie erheblich beschädigt. Die neue Regierung unter dem liberalen Ministerpräsidenten Donald Tusk ist bemüht, Schritt für Schritt die Grundbedingungen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats wiederherzustellen. Dabei stößt sie auf erheblichen Widerstand. Die PiS versucht ihre Position mit zahlreichen historischen Parallelen zu untermauern, die tief in der polnischen Erinnerungskultur verwurzelt sind. Die PiS versucht, die Erinnerung an die Volksrepublik Polen (Polska Republika Ludowa -PRL) im Kampf gegen Donald Tusk und die neue Regierung zu instrumentalisieren. Für die PiS ist die neue Regierung ein Wiedergänger der ehemaligen kommunistischen Herrschaft, der neue Ministerpräsident Donald Tusk ein deutscher Agent.

Eine Art Ausnahmezustand

Włodzimierz Czarasty, Szymon Hołownia, Donald Tusk und Władysław Kosiniak-Kamysz – Die führenden Köpfe der Koalition des 13 Dezembers bzw. des 15. Oktobers. Wikimedia Commons. Zur Erinnerung: als Beate Szydło als erste Ministerpräsidentin Polens ihr Amt antrat, ließ sie die Europa-Flagge abhängen.

Seit den Parlamentswahlen 2023, die mit dem Sieg der Koalition um Donald Tusk ausgingen, herrscht dort eine Art politischer Ausnahmezustand. Menschen haben den Ausgang der Wahlen, die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die neue Regierung und sogar die Sejmsitzungen massenhaft live verfolgt. Es wurden Kinosäle bereitgestellt, die Ereignisse wurden auf Leinwänden übertragen. Man könnte sagen, dass seit Jahrzehnten das Interesse an dem aktuellen politischen Geschehen in unserem Nachbarland nicht so groß war wie derzeit.

Das liegt daran, dass nicht nur Donald Tusk und seine Regierung versuchen ihre Wahlversprechen einzuhalten, wie zum Beispiel die rechtliche und gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen, sowie eine Aufarbeitung der Politik der Vorgängerregierung zu vollziehen, sondern auch an dem rasanten Tempo, in dem dieser Prozess vor sich geht. Es rollen metaphorisch gesehen Köpfe und die Führungsriege der PiS hat Angst, dass es für sie persönlich unbequem werden könnte.

Allerdings hat die PiS-Vorgängerregierung ihre Macht gut abgesichert. Durch etliche juristische, häufig umstrittene und fragwürdige Änderungen des Rechtssystems, durch den ehemaligen Justizminister Zbigniew Ziobro, kommt es fast täglich zu juristisch unterschiedlichen Interpretationen der Gesetzeslage. Trotzdem werden Nägel mit Köpfen gemacht. Ob es die Inhaftierung der mittlerweile erneut durch Präsident Andrzej Duda begnadigten PiS-Politiker Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik ist die Auflösung der Untersuchungskommission Antoni Macierewiczs zur Flugzeugkatastrophe in Smolensk oder es um die Umstrukturierungen und Pluralisierung des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens geht, die Regierung unter Donald Tusk zeigt deutlich in welche Richtung es geht und dass die neue Regierung keine Angst vor der PiS hat.

Diese radikalen und schnellen Entscheidungen stoßen PiS-Sympathisanten bitter auf, was bereits zu Protesten und vielen bösen Worten in Richtung der neuen Regierung führte. Besonders auffällig ist, dass hierzu immer wieder historische Bezüge genutzt werden, was in der geschichtspolitischen Narration der nationalkonservativen bereits jahrelange Tradition hat.

Lech Wałęsa in der Danziger Werft 1983. © picture alliance / AP Photo

Schon während der Regierungsjahre 2015 bis 2023 wurden immer wieder historische Ereignisse und Gedenktage genutzt, um Stimmung zu machen und Emotionen zum Kochen zu bringen und dadurch die Wählergunst zu beeinflussen. Bereits unmittelbar nach der Abstimmung zur Wahl Donald Tusks als Ministerpräsidenten trat Jarosław Kaczyński zum Rednerpult des Sejms und beschimpfte einen Erzfeind Donald Tusk: „Ich weiß nicht, was ihr Großvater gemacht hat, aber Sie sind ein deutscher Agent!“

Zweifelsfrei war dies eine Anspielung darauf, dass Donald Tusks Großvater in der Wehrmacht als Volksdeutscher zwangsrekrutiert wurde. Auch wird bekanntermaßen Donald Tusk von seinen politischen Konkurrenten immer wieder vorgeworfen, dass er für Deutschland und nicht für Polen arbeite und eine Germanisierung Polens anstrebe. Auch verglich Kaczyński ihn vor kurzem mit Adolf Hitler und dessen Führerprinzip: „Tusk will, dass sein Wille das Gesetz ist, denn darauf läuft es hinaus: Tusks Wille ist das Gesetz. Es hat schon Leute gegeben, für die ihr Wille das Gesetz war. Der Wille des Führers war das Gesetz.“

In den Augen Kaczyńskis ist es Tusks oberstes politisches Ziel, Polens Souveränität zu vernichten und Polen zu einen Vasallenstaat Deutschlands zu machen, unter dem Deckmantel der Europäischen Union. Und das sind nur vereinzelte Beispiele, die man an dieser Stelle anführen kann.

Derzeit hören Zuschauer der Sejmdebatten und vor allem des neuen PiS-Sprachrohrs TV Republika immer wieder von angeblichen Kontinuitätslinien der derzeitigen politischen Situation und der Regierung zu Zeiten der Volksrepublik, der Ausrufung des Kriegsrechts und politischer Akteure aus der PRL. Da für die PiS die Volksrepublik, der Staatssozialismus und alles, was damit einher ging, die Personifikation des Bösen ist, projizieren sie dies nun auf die Person Donald Tusk und seine Regierung in Hoffnung dieser möglichst großen politischen Schaden zuzufügen.

Die Regierung des 13.Dezember

Die Regierung Donald Tusk am 13. Dezember 2023. Wikimedia Commons.

Eine der Analogien entstand bereits mit dem Einsetzen der neuen Regierung. Die Regierung selbst nennt sich „Koalition des 15. Oktober“, in Anlehnung an den Tag der Entscheidungswahl. Ihre politischen Gegner der PiS hingegen nutzen die Formulierung „Regierung des 13. Dezember“, den Tag an dem Donald Tusk und sein Kabinett vereidigt wurden. Diese Formulierung soll eine Kontinuität zu einem der schwärzesten Tage der polnischen Nachkriegsgeschichte andeuten. Am 13. Dezember 1981 wurde vom General Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht in Polen ausgerufen, nachdem hunderttausende Polen sich der Gewerkschaft Solidarność angeschlossen hatten und es immer öfter zu Streikwellen im Land kam. An diesem Tag wurde das Fernsehen der Volksrepublik abgeschaltet und ausschließlich die Verlautbarung des Kriegsrechts durch Jaruzelskis ausgestrahlt. Das Kriegsrecht ging mit vielen repressiven Einschränkungen für die polnische Bevölkerung, Ausgangssperren und einer Militarisierung des Staatsapparats einher. Und genau das werfen die Anhänger der PiS der neuen Regierung vor und ziehen entsprechende geschichtliche Parallelen.

Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Koalition wird von der PiS als Wendepunkt in der polnischen Politik gesehen und gleichzeitig als Kontinuität der kommunistischen Tradition von vor 1989. Bereits früher wollte sich die PiS in ihrer Regierungszeit durch die Formulierung der „Vierten Rzeczpospolita“ von den in ihren Augen kommunistischen Strukturen ihrer Vorgänger abgrenzen und sich selber als die erste politische Kraft in Polen stilisieren, die mit dem Kommunismus vollständig bricht. Die Regierungsübernahme von Donald Tusk hingegen sehen sie als Rückschritt in Richtung PRL und Sozialismus.

General Wojciech Jaruzelski verkündet am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht. Wikimedia Commons.

Zu den Kritikern gehört neben Kaczyński auch der Abgeordnete Janusz Kowalski, der sich im Dezember in dem neuen parteipolitischen Propagandainstrument „TV Republika“, wie folgt äußerte: „Es ist sicher so, dass die Koalition des 13. Dezember, weil so muss man sie nennen, ein Krieg gegen das Polnische Volk ausgerufen hat. (…) Sie kämpfen gegen polnische Helden, sie kämpfen gegen polnische Werte, sie kämpfen gegen die polnische Kirche. Sie kämpfen gegen Polen. Das, was heute passiert, wird meiner Meinung nach, genauso enden wie die Herrschaft der Kommunisten und ihrer Kollaborateure: mit einem großen Niedergang“.

Die Rhetorik des Abgeordneten der „Solidarna Polska“, einem Bündnispartner der PiS, zeigt ein klares Kampf- und sogar Kriegsmotiv auf. Er vergleicht die derzeitige Regierung mit den einstigen kommunistischen Machthabern, die gegen das eigene polnische Volk kämpften und auch in seiner Auffassung genauso untergehen werden. Dies Worte und Bilder, die der Abgeordnete malt, sollen Gefühle in den Zuhörern wecken, die sie an die Zeit des Kriegsrechts, der kommunistischen Repression und der damit verbundenen rechtlichen Willkür der Volksrepublik erinnern.

Jarosław Kaczyński ist bemüht neben dem inneren Feind, also Donald Tusk und seiner Regierung, auch einen äußeren Feind aufzuzeigen, gegen den man kämpfen muss: „Sie (die neue Regierung, Anm. d. Autorin) brechen das Gesetz. Unterstützt durch Deutschland. Äußere Kräfte realisieren ihre Ziele und es hat keinen Sinn auf Hilfe zu hoffen. Die Souveränität unseres Landes ist in Gefahr!“

Die These, dass Deutschland als Hegemon der EU Polen der staatlichen Unabhängigkeit berauben will, ist schon länger in konservativen und europakritischen Kreisen zu vernehmen. Doch seitdem die Wahl im Herbst 2023 für die PiS zum Debakel geworden ist, wird diese These immer lauter und immer öfter von hochrangigen Politikern des konservativen und nationalistischen Spektrums vernommen. Diese Rhetorik mit ähnlichem Wording finden wir bei nahezu allen wichtigen Oppositionspolitikern wie Jarosław Kaczyński (ehemaliger. Vizepremierminister und Vorsitzender der PiS), Mariusz Błaszczak (ehemaliger Verteidigungsminister und Kaczyński-Vertrauter) oder Mateusz Morawiecki (ehemaliger Premierminister) und sogar dem Präsidenten Andrzej Duda.

Der Zuhörer soll vor einem inneren, wie auch vor einem äußeren Feind Angst haben, Angst um ihr Land, die polnische Verfassung und sogar um die eigene Freiheit. Auf dieser Basis will die Opposition ein großes Narrativ vom ultimativen Bösen aufbauen, das derzeit in Polen herrsche. Dazu gehört zweifelsohne Donald Tusk und sein Kabinett, sowie die EU und Deutschland, die Polens Souveränität bedrohen. Gleichzeitig soll vermittelt werden, dass nur die PiS, als einzige ehrliche Partei Polen vor diesem Schicksal bewahren könne.

Die ersten politischen Gefangenen seit 1989

Derzeit spielt sich in diesem Zusammenhang ein Justiz-Drama (oder Komödie) in Polen ab, das seines Gleichen sucht. Dabei handelt es sich um den früheren Leiter der Antikorruptionsbehörde CBA (Centralne Biuro Antikorupcyjne) sowie ehemaligen Innenminister Mariusz Kamiński und seinen Stellvertreter Maciej Wąsik, die wegen Dokumentenfälschung und Machtmissbrauches in öffentlichen Ämtern zu je zwei Jahren Haft verurteilt wurden. Bereits 2015 hat Präsident Andrzej Duda die beiden in dieser Angelegenheit begnadigt, jedoch ohne vorausgegangenes rechtsgültiges Urteil, was die Begnadigung unwirksam machte. Nach dem Machtwechsel wurde dieser strafrechtliche Fall erneut aufgerollt und beide Politiker wurden rechtskräftig zu Gefängnisstrafen verurteilt. Beide haben sich nach dem aktuellen Haftbefehl am 9. Januar 2024 im Präsidentenpalast bei Andrzej Duda verschanzt, wo sie durch die Behörden aufgegriffen und ihrer Strafe zugeführt wurden. Am Abend der Verhaftung erschien der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński persönlich vor der Haftanstalt, wo beide hingebracht wurden. Als er von einem Journalisten gefragt wurde, warum er dort sei, antwortete er: „Wir haben es hier mit dem ersten politischen Gefangenen seit 1989 zu tun. Das ist sehr traurig, gar skandalös, weil es sie hierbei um Menschen handelt, die nicht für begangene Verbrechen verurteilt wurden, genauer gesagt um Menschen, die wegen des Kampfes gegen Kriminalität verhaftet wurden.“

Projektion auf dem Präsidentenpalast in Warschau. Foto: Katarzyna Pawlak-Mucha KPRP.

Der Pis-Abgeordnete Bolesław Piecha äußerte sich in TV Republika zu der Inhaftierung wie folgt: „Mich erinnert das an die Zeiten während des Kriegsrechts, sowie des Volksaufstandes vom Juni 1976. Das sind irgendwelche Funktionäre des damaligen Systems und nicht des modernen, demokratischen Staates“.

Durch den Versuch, eine Kontinuitätsline zu den PRL-Repression zu ziehen, soll der Regierung die Legitimität abgesprochen werden und sie als eine widerrechtliche Bande darzustellen, die das polnische politische System zerstören wolle und Kamiński und Wąsik wären ihre ersten Opfer.

Beide haben sich dazu entschieden, nachdem sie inhaftiert wurden, einen Hungerstreik zu beginnen. Ein symbolträchtiger Akt der an echte politische Gefangene, wie Alexej Nawalny oder Andrzej Poczobut erinnern soll (Andrzej Poczobut ist ein belarussischer Oppositioneller und Journalist, der der polnischen Minderheit in Belarus angehört und für ihre Rechte kämpft. Er wurde vom Lukaschenka-Regime am 25. März 2021 inhaftiert und wird als politischer Häftling unter „verschärften Bedingungen“ bis heute festgehalten.) Dieser Vergleich wirkt jedoch wie eine Herabstufung des Begriffs „politische Gefangene“ und ihrer Leiden. Nawalny sowie Poczobut wurden in russischen und belarussischen Scheinprozessen verurteilt, leben seit Monaten in unmenschlichen Verhältnissen und wurden von Amnesty International als politische Häftlinge eingestuft. Im Gegensatz zu Kamiński und Wąsik, die rechtskräftig durch ein demokratisches Gericht, aufgrund von wirklich begangenen Straftaten, verurteilt wurden. Amnesty International rief dazu auf den Begriff „Politische Gefangene“ in dieser Sache nicht zu missbrauchen.

Auch die medizinische Behandlung der Gefangenen, die die Ärzte im Gefängnis vor allem Mariusz Kamiński aufgrund der Weigerung Nahrung aufzunehmen verordneten, wäre laut PiS eine Tortur und verstoße gegen die Menschenrechte. Piecha verglich im TV Republika kurz vor der Entlassung der beiden die Haftbedingungen mit stalinistischen Methoden: „Hierbei entschied man sich für eine sehr drastische, inhumane Methode ihm unter Zwang eine Ernährungssonde durch die Nase einzuführen. Das ist sehr unmenschlich. Generell erachte ich die ganze Inszenierung um Herrn Mariusz und Wąsik als sehr geschmacklos. Ich verstehe einfach die Koalition des 13. Dezember nicht. Das sind glaube ich stalinistische Methoden. Ich glaube das nur die Zwangseinweisung in eine Psychiatrische Klinik noch übrig bleibt. Eine fatale Situation. Ich erkenne die Entscheidungen, die im Vorfeld gefallen sind, nicht an.“

Barbara Kamińsaka und Romualda Wąsik zeigen des Victory-Zeichen im Sejm. Quelle: Sejm RP/KAPiF.

Diese Aussage steht symbolisch für das Narrativ, das von der PiS aufgebaut wird. Die beiden ehemaligen Abgeordneten sollen zu Märtyrern und politischen Symbolfiguren erkoren werden. Sie ertragen das Leid für ein besseres traditionalistisches und konservatives Polen, dass über die letzten acht Jahre aufgebaut worden wäre. Diese Narration wurde auch auf zahlreichen, jedoch mengenmäßig eher kleinen Demonstrationen, vor den Haftanstalten deutlich. Auch im Sejm sah man immer wieder Symbole, die an die Solidarność-Bewegung der 1980er Jahre erinnern sollten. Es wurden Plakate und Banner gedruckt, die von Demonstrierenden zur Schau getragen wurden. Auf die Sitzplätze der Inhaftierten im Sejm wurden diese auch gestellt sowie auf den Präsidentenpalast projiziert. Diese Illustration zeigt die Gesichter Kamińskis und Wąsiks, mit der Aufschrift „Solidarni z Kamińskim i Wąsikem“ (deutsch: „Solidarisch mit Kamiński und Wąsik“). Der Schriftzug des Wortes „Solidarni“ ist von der Farbgebung und Schriftart ganz klar an das unverwechselbare Logo der Gewerkschaft „Solidarność“ angelegt. Die Ehefrauen beider Politiker, Barbara Kamińska und Romualda Wąsik, waren im Sejm und zeigten das Victory-Zeichen mit ihren Fingern, was man auch eindeutig mit Lech Wałęsa und dem Kampf gegen den Kommunismus der 80er Jahren verbindet.

„Solidarisch mit Kamiński und Wąsik“ – Quelle: https://twitter.com/Szafarowicz2001/status/1749845187713503542.

Durch die Nutzung der Symbolik der Solidarność soll eine Kontinuitätslinie zwischen der antikommunistischen Bewegung der 1980er Jahre und dem jetzigen Kampf gegen die angeblichen Nachfahren der PRL-Führung aufgebaut werden, die die PiS und ihre Anhänger in der derzeitigen Regierung verorten. Man möchte als unmittelbare Nachkommen und Verfechter der Werte der antikommunistischen Bewegung angesehen werden und mit dieser in Verbindung gebracht werden. Es soll durch die Anlehnungen dieser Art gezeigt werden, wer derzeit auf der „richtigen“ und wer auf der „falschen“ Seite der Geschichte steht.

Die Inszenierung dieses Dramas führt jedoch nicht zum gewünschten Ziel. Die meisten Polen sehen die Begnadigung durch Präsident Duda kritisch, manche gar als Schmach. Sie erkennen parteipolitisches Kalkül hinter seinem Handel, und nicht den heroischen Kampf gegen die bösen Überbleibsel der Vergangenheit.

Der Kampf um die öffentlichen Medien

Es war vollkommen klar, dass es nach den gewonnenen Wahlen durch die liberale Koalition zu einer gewaltigen Umstrukturierung der Öffentlich-Rechtlichen Medien in Polen kommen musste. Seit Beginn ihrer Regierungszeit nutzte die PiS die TVP-Gruppe als ihr Sprachrohr, wo häufig gegen die damalige Opposition scharf geschossen wurde. Die Rhetorik des Öffentlich-Rechtliche Fernsehens, welches getrost als ein politisches Propagandainstrument eingeordnet werden kann, wurde immer radikaler und der Vorwurf von Hatespeach und Hetze gegen die politischen Gegner stand im Raum.

Am 20. Dezember 2023, nur wenige Tage nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die neue Regierung um Donald Tusk, wurde das durch die PiS eingesetzte Führungspersonal der TVP-Gruppe abgesetzt, der Nachrichtensenders TVP Info wurde temporär abgeschaltet, das Hauptnachrichtenprogramm „Wiadomośći“ durch das neue Format „19:30“ ersetzt. Im TVP sieht man nun altbekannte Gesichter, wie das von Marek Czyz oder Macej Orłoś, die vor 2015 dort angestellt waren und nach dem Einsetzen des PiS-Vertrauten Jacek Kurski als Sender-Chef, gehen wollten oder gar mussten.

General Wojciech Jaruzelski und das Kriegsrecht 1981. Wikimedia Commons.

Direkt nach der Verkündung der Umstrukturierung kamen auch schon die ersten Vorwürfe und Vergleiche auf, dass es sich um Methoden der früheren PRL-Führung handele. Denn 1981 wurde am besagten 13. Dezember das TV-Programm durch die kommunistischen Machthaber abgeschaltet, um eine Verlautbarung des Generals Wojciech Jaruzelski zu senden, dass das Kriegsrecht in Polen ausgerufen wurde. Bis heute für viele Polen, die diese schwarze Stunde miterlebt haben, ein Augenblick, den man mit Angst, Repression und staatlicher Übermacht in Verbindung bringt.

Den Worten Kaczyńskis zufolge steht hinter dem „Angriff“ auf die Öffentlich-Rechtlichen nur eins: „Die Polen sollen nichts wissen, so wie zu Zeiten des Kommunismus“. Auch wird von ihm unterstellt, dass die Medienlandschaft in Polen nun nicht mehr unabhängig wäre. Ziel wäre es, sagt Kaczyński, den Kampf, um die Öffentlich-Rechtlichen zu gewinnen, sowie einen privaten Sender zu etablieren, um die Pressefreiheit und Pluralismus in Polen zu gewährleisten. Dazu äußerte sich auch der ehemalige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: „Wir wollen kein Monopol, wie es in der PRL war. Wir wollen kein Monopol, wie es durch die PZPR (Vereinte Polnische Arbeiterpartei, Anm. der Autorin) repräsentiert wurde.“

Auch Vergleiche zu Stalin und Jaruzelski fallen immer wieder in Richtung Donald Tusk. Die Europaparlamentsabgeordnete Beata Kempa spricht beispielsweise auf der Plattform „X“ von „Säuberungen“, wenn es um die Entlassungen der durch die PiS eingesetzten TVP-Vorstand geht und zieht Vergleiche mit Stalin: „Es sieht so aus, als ob Tusk an den Terror Stalins heranreichen möchte.“

Der Historiker Adam Leszczyński fragt, warum wir uns mit diesen offensichtlich absurden Vergleichen beschäftigen müssen? Eben weil sie ein Teil einer gut durchdachten Strategie sind, die darauf abzielt, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Donald Tusk zu zerstören und die neue Regierung als neues „totalitäres System“ darzustellen, dass das polnische Volk in Unfreiheit führen wird. Dafür sprechen auch die bereits genannten Vorwürfe, dass Deutschland als EU-Hegemon hinter Donald Tusk stehe und Polen deswegen bald seine Souveränität verlieren würde. Alles, was nicht in das konservative und patriotische Weltbild der PiS passt, wird als totalitär oder fremdgesteuert gebrandmarkt.

Besonders die öffentlichen Medien waren elementar für die ideologische Vermittlung und Wählergenerierung der PiS und ihrer Bündnispartner in der „Vereinigten Rechten“, da ihre Wählerschaft vor allem ältere Menschen umfasst, die in Kleinstädten und Dörfern leben und deren Leitmedium nun mal weiterhin der Fernseher ist. Somit war die Umstrukturierung der TVP-Gruppe ein tiefer Schnitt ins Rückgrat der PiS, der sehr schmerzhaft war. Um weiterhin den Kontakt mit der Wählerschaft nicht zu verlieren und die parteipolitischen Inhalte senden zu können, ist man auf den Nischensender „TVP Republika“ ausgewichen. Seitdem werden dort von den ehemaligen TVP Info-Moderatoren die gleichen Inhalte vermittelt wie zuvor im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, allerdings ist die Reichweite bei weitem nicht so ausgedehnt wie sie bei der TVP war.

Schlussfolgerung

Wie der Politologie Kai-Oliver Lang in seiner Ausarbeitung für die Stiftung Wissenschaft und Politik von Oktober 2023 bereits treffend angemerkt hat, werden Kontinuitätslinien, wie sie von den Politikern derzeit angestellt werden, als Legitimationsmechanismus genutzt, um das eigene Handeln abzusichern und als den einzig richtigen Weg darzustellen. Wer jedoch auf welcher Seite des Antikommunismus steht, ist von der eigenen Perspektive abhängig. Einerseits werden Menschen, die aus Sicht der PiS zu liberal und linksorientiert sind, als Kommunisten beschimpft und zu politischen Feinden erklärt, die die Freiheit und Integrität Polens bedrohen.

Jarosław Kaczyński und Stanisław Piotrowicz 2017. Wikimedia Commons.

Andererseits hat man kein Problem damit, ein ehemaliges Mitglied der Polnischen Kommunistischen Partei PZPR und Staatsanwalt aus dieser Zeit, wie es Stanisław Piotrowicz ist, als Verfassungsrichter einzusetzen, obwohl man eine Dekommunisierung der Justiz bereits seit Jahren propagiert. Grund dafür ist, dass er ein treues Parteimitglied der PiS ist und man von ihm in dieser Position profitierten kann. Dieser Umgang mit der schwierigen Vergangenheit Polens zeigt eine tiefe Ambivalenz und Hypokrisie, die die Partei Kaczyńskis seit Jahren begleitet und zeugt von einer sehr selektiven Wahrnehmung des Sachverhaltes. Es ist anzunehmen, dass man durch diese Rhetorik moralisches Kapital schlagen möchte, ohne auf die so häufig durch die PiS geforderte historische Wahrheit zu schauen. Es ist deswegen davon auszugehen, dass die angespannte Lage in unserem Nachbarland noch bei weitem nicht seinen Höhepunkt erreicht hat und wir noch einige weitere Vergleiche mit der PRL, Stalinismus oder Nationalsozialismus hören werden.

Ines Skibinski, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Februar 2024, Internetzugriffe zuletzt am 7. Februar 2024.)