Ein zutiefst humanes Instrument

Liebeserklärung an die Akustikgitarre

„Dieses Buch ist das Ergebnis eines mehr als fünfzigjährigen Feldversuchs über Gitarren und Gitarrenmusik. Es begann beim Radiohören von Radio Luxemburg heimlich unter der Bettdecke: Beatmusik, Rock und Folk aus England und den USA traten Anfang der 1960er-Jahre in mein Leben. Dann kam das Kennenlernen von Live-Auftritten von Bands dazu und die Arbeit als Roadie bei einer Beatband im Kreis Schaumburg, den Loving Hearts. Später sollten viele Konzerte von Rockmusikern folgen, aber auch Konzerte von Gitarristen wie Narciso Yepes, Martin Kolbe und Ralf Illenberger, Paco de Lucia, John McLaughlin und Al Di Meola, Hannes Wader, Paul Simon, James Taylor, Joan Baez. Gute Live-Musik ist immer noch mein Ding und gute Gitarrenmusik sowieso. Ich sammle hervorragende Akustikgitarren und spiele darauf, manchmal gemeinsam mit Freunden, Songs von gestern und heute. Das ist für mich Entspannung pur und deshalb lautet auch mein Motto für das Buch: Wir sollten Akustikgitarren benutzen, um uns an ihrer Schönheit zu erfreuen und unsere eigene musikalische Kreativität freizusetzen.“ (Fritz Heidorn in der Einleitung des von ihm mit Rudi Bults und Ervin Somogyi herausgegebenen Buches „Die Akustikgitarre als Klangkunstwerk“, Berlin, Hirnkost 2024.)

Die Akustikgitarre hat zunächst international Furore gemacht als Begleitinstrument für Liebeslieder und poetische Songs, politische Botschaften und Protestsongs in den 1960er-Jahren. Sie hat die europäische Laute als Begleitinstrument der Renaissance und der Zeit der Romantik abgelöst, ebenso die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch beliebte Gitarrenlaute, auch Zupfgeige genannt, die das Hauptinstrument der Wandervogel- beziehungsweise der Jugendmusikbewegung war. Für die Lautenbegleitung in der Elisabethanischen Zeit ist das Lied „Greensleeves“ eines der bekanntesten, und viele Lieder von John Dowland (1563 bis 1626) werden noch heute gesungen und gespielt, zum Beispiel „Flow my Tears (Lachrimae)“, neu aufgenommen von Sting und Edin Karamazow im Jahr 2006. Die Steelstring-Gitarre hat in den 1960er-Jahren in der Folkbewegung und in den Protestsongs eine große Bedeutung gewonnen und ist seitdem das am Weitesten verbreitete Begleitinstrument für Lieder mit einer Botschaft geworden, getreu dem Motto von Reinhard Mey in seinem Lied „Ein Stück Musik von Hand gemacht“.

Kontrapunkt im Bombast Rock

„Ich liebe Akustikgitarren. Sie sind zart und leicht und doch gleichzeitig unglaublich kraftvoll. Aus dieser Sicht sind sie wirklich seltsame Instrumente, aber sie haben etwas ganz Besonderes an sich. Man muss sich nur einige der wirklich großartigen Songs ansehen, die auf der Akustikgitarre geschrieben wurden – ‚Scarborough Fair‘, ‚Forever Young‘, ‚Yesterday‘ – wirklich ikonische Songs, die alle auf einem kleinen Stück Holz mit dünnen Stahlsaiten an beiden Enden entstanden sind.“

Gibson SJ-200

Dies sagte Greg Lake, der große, im Dezember 2016 verstorbene Sänger, Bassgitarrist und Gitarrist von Bands wie King Crimson und Emerson, Lake und Palmer. Greg Lake bezieht sich hier vor allem auf die Jumbo-Gitarre, eine Gibson SJ200, mit der er viele seiner Kompositionen begleitet hat. Er hat für einige der großartigen Kompositionen von ELP herzerwärmende akustische Songteile geschrieben und auf der akustischen Gitarre eingespielt. Ich denke vor allem an sein Stück „The Sage“ aus Pictures at an Exhibition, live aufgenommen von Emerson, Lake und Palmer am 26. März 1971 in der Newcastle City Hall. Das Werk ist eine Bearbeitung von Modest Mussorgskis Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“, den Maurice Ravel in ein Orchesterwerk und Keith Emerson in eine Rockversion umgearbeitet hatten. Die Musik ist laut, bombastisch, sehr betont von Hammondorgel, Moog-Synthesizer, Bassgitarre und Schlagzeug – und dann kommt dieses ruhige Lied mit einem Text von Greg Lake, eingespielt auf einer Akustikgitarre Gibson SJ200, und zieht das Publikum total in seinen Bann.

I carry the dust of a journey
That cannot be shaken away
It lives deep within me
For I breathe it every day

You and I are yesterday’s answers
The earth of the past come to flesh
Eroded by time’s rivers
To the shapes we now possess

Come share of my breath and my substance
And mingle our streams and our times
In bright infinite moments
Our reasons are lost in our rhymes.

In diesem kleinen Stück, auf der akustischen Gitarre live eingespielt, ist alles an Ausdruckskraft enthalten, was ein Mensch mit diesem Instrument ausdrücken kann: Liebe, Magie, Wärme, Erinnerung, Zukunftshoffnung, Vergessen, Verdrängen, Verzeihen. Die akustische Gitarre ist ein zutiefst humanes Instrument, das der Spielerin oder dem Spieler alle Ausdrucksmöglichkeiten bereitstellt, um die menschlichen Sinne bei sich selbst und bei anderen anzuregen. Die akustische Gitarre unterstützt die menschliche Stimme und trägt sie in ungeahnte emotionale Höhen.

Soloinstrument und Vielfalt

Larrivee LV-10-KA

Die neue Welt der akustischen Sologitarre beginnt mit den Produktionen von Windham Hill Records, gegründet von William Ackerman und seiner Frau Anne Robinson im Jahr 1976. Windham Hill Records war entscheidend an dem Höhenflug akustischer Gitarrenmusik aus den Bereichen New Age und Folk Music in den 1980er-Jahren beteiligt und hat Musiker wie William Ackermann, Alex de Grassi, Michael Hedges, Andrew York, David Qualey und andere gefördert, von denen viele Gitarren von Ervin Somogyi gespielt haben.

Die Töne einer guten Gitarre können Menschen in außerordentliche Gemütszustände bringen: zum Lachen, zum Weinen, zum Nachdenken, zum Wehmütig werden… Wie macht der Gitarrenspieler das? Welches Instrument kann das? Welche Versionen von Gitarren gibt es?

Akustische Gitarren werden auf sehr verschiedene Weise hergestellt, sowohl in ihrer Qualität als auch in ihrer Quantität. Das Spektrum des Gitarrenbaus ist außerordentlich vielfältig und differenziert. An einem Ende stehen Massenproduktionen von schlechten Gitarren aus schlechtem Material, in China oder Indonesien hergestellt, und am anderen Ende steht das einzigartige Meisterwerk, das eigentlich mehr ein Kunstobjekt ist und in ein Museum gehört als ein Gebrauchsinstrument für den Alltag zu sein. Auf beide Extreme kann man die Frage anwenden: Wie machen die das nur?

Gebrauchsgegenstände und Kunstwerke zugleich

Akustikgitarren sollen gespielt werden, sie müssen ihren Gebrauchswert durch einen guten Klang zu Hause auf dem Sofa oder auf der Bühne, allein für eine Liedbegleitung oder in einer Band beweisen. Akustikgitarren wollen gehört werden und haben immer eine Bedeutung als ein tonmalendes Instrument in einem musikalischen Kontext. Wenn sie diese Funktion besitzen, sind sie gut – unabhängig von ihrem Wert als Klang-Kunstwerk. Zu einem Klang-Kunstwerk werden sie allerdings erst aufgrund anderer Eigenschaften, nämlich aufgrund von überragender, einzigartiger Schönheit und einen himmlischem, engelschor-gleichen Klang. Die Bandbreite der Qualitätsstandards von Akustikgitarren ist riesig.

Matsuda-5825

Edle Akustikgitarren sind musikalische Wunderwerke und solitäre Kunstwerke gleichermaßen – angefangen bei den Instrumenten von Antonio Stradivari und Joachim Tielke bis hin zu den Gitarren von Ervin Somogyi und seinen Schülern Michihiro Matsuda und Jason Kostal. Sie sind verbunden mit der Entwicklung der Gitarre von der Liedbegleitung oder dem Mitspielen in einem Orchester hin zum Hervortreten als Soloinstrument, für das sowohl die Klassische Gitarre wie auch die Flamenco-Gitarre als auch die Steelstring-Gitarre stehen, die besonders durch Ervin Somogyi in den USA in ihren Konstruktionsprinzipien ausgearbeitet worden ist. Diese Gitarren klingen hervorragend, sie sind laut, warm und weich, mit reichen Obertönen verziert, harfenähnlich im Zusammenklang der sechs Saiten, der Nachklang ist glockenartig, das Sustain lang anhaltend.

Das Spektrum des Bauens von akustischen Gitarren endet bei den großen Künstlern, die in Sachen Aussehen und Klang ihrer Instrumente keinerlei Kompromisse eingehen und die sich in unzähligen Arbeitsstunden allein in ihrer Werkstatt ausschließlich von ihren künstlerischen Ideen leiten lassen und deren Grundpreis wie bei Jeff Traugott oder Ervin Somogyi bei 40.000 US-Dollar anfangen. Was zeichnet solche Kunstwerke aus? Wer baut solche Kunstwerke? Und schließlich: Wer kann sich den Kauf dieser exquisiten und sündhaft teuren Instrumente überhaupt leisten?

Zwischen den Einzelbauern und den großen Fabriken liegen die Manufakturen, in denen einige Gitarrenbauer oder ein bzw. zwei Dutzend angestellte Gitarrenbauer in Handarbeit und mit Maschinenunterstützung Gitarren in Serie bauen. Dazu zähle ich in Deutschland die Firmen Lakewood, Stevens Guitars, Hanika, Höfner und andere. In den USA findet man vergleichbare Manufakturen, die allerdings teilweise älter und vor allem bekannter sind. In Kalifornien beispielsweise geht das Spektrum der Gitarrenmanufakturen von solchen mit außerordentlicher Custom-Fertigung für ihre Kunden wie Santa Cruz Guitars und Kevin Ryan über Larrivee bis zu Taylor, die pro Tag 1.000 Gitarren bauen und damit die größten Hersteller für akustische Gitarren sind. Alle Manufakturen stellen Qualitätsgitarren in den Preissegmenten zwischen 2.000 und 10.000 Euro her, von einfachen Serienprodukten zu ausgefeilten Sonderanfertigungen. Die anderen großen Bauer akustischer Gitarren wie Martin und Gibson in den USA sind ebenfalls wichtig und aufgrund ihrer historischen Vorbildfunktion auch einmalig und besonders erwähnenswert.

Die Kunst der Intarsien

Viele Steelstring-Akustikgitarren der Gegenwart zeichnen sich durch ausgefeilte, reich ornamentierte und verzierte Intarsienarbeiten aus, vor allem ausgeführt mit Perlmutt, der inneren Schicht aus den Schalen verschiedener Wirbeltiere wie See- und Perlmuscheln. Perlmutt ist ein natürliches Verbundmaterial aus Calciumcarbonat, das bei Lichteinfall eine reflektierende Wirkung mit einem irisierenden Glanz erzeugt, also in den Farben des Regenbogens schillert. Perlmutt wird von Gitarrenbauern für verschiedene Anwendungen benutzt. Martin hat seine Martin-D45-Serie durch ein auf der Vorder- und der Rückseite der Gitarren umlaufendes Band aus Perlmutt ausgestattet und damit eine Vorlage für andere Gitarrenbauer geliefert. Viele Einlagen im Griffbrett und bei der Rosette am Schallloch werden aus Perlmutt angefertigt. Solche Perlmutteinlagen bekommt man inzwischen bereits aus der Serienproduktion, die Einzelbauer allerdings fertigen ihre Einlagen noch immer von Hand nach den eigenen Entwürfen. Berühmt sind historische Vine-Inlays im Griffbrett, wie dies auch bei vielen Gibson Akustikgitarren verwendet wurde.

Die bekanntesten Gitarrenbauer für Inlay-Arbeiten sind William „Grit“ Laskin und Larry Robinson. Laskin fertigt Gitarren mit großflächig ornamentierten Inlays, er hat diese in seinem Buch „Grand Complications. 50 Guitars and 50 Stories From Inlay Artist William ‚Grit’ Laskin” (2016) vorgestellt. Larry Robinson ist der bekannteste Inlay-Spezialist für Gitarren, berühmt geworden durch seine exquisiten Arbeiten für Martin bei der Herstellung der Millionsten Martin-Gitarre, die 2004 vorgestellt wurde. Robinson hatte für diese Gitarren-Inlays zwei Jahre gearbeitet, um die Intarsien zu entwerfen, zu schneiden und in das Holz einzuarbeiten. Im Jahr 2000 hatte Martin die Martin-D-45-Peacock-Gitarre vorgestellt, ebenfalls mit einer reichhaltigen Ornamentik von Larry Robinson ausgestattet, wofür er zweitausend von Hand geschnittene Einzelteile verwendet hatte. Robinson schreibt darüber in seinem Buch „The Art of Inlay. Design and Technique For Fine Woodworking“ (2005).

Wertanlagen und Museumsstücke

Wer kann vom Gitarrenbau leben? Viele der jungen deutschen Gitarrenbauerinnen und Gitarrenbauer jedenfalls nicht. Für manche gilt, was ich einmal in einem Gespräch mit einem bekannten größeren Gitarrenbauer gehört habe, eine Aussage über Anfänger, für die ihre Berufung noch kein Beruf ist, von dem sie leben können, eher ein Hobby: Sie hätten eine verbeamtete Lehrerin als Ehefrau, die für das Familieneinkommen sorgt. Gitarrenbauer ohne bekannten Namen für ihr Produkt, ohne Verkaufsgarantie, ohne professionelle Werbung sind immer noch Hobbyarbeiter in ihrem stillen Kämmerlein. Wie gelingt der nächste Schritt, der Sprung in die Professionalität auf eine Ebene, auf der man von seiner Berufung leben kann?

Martin D-45

Alte Akustikgitarren der Hersteller Martin und Gibson aus den Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg sind als Vintage-Instrumente der Heilige Gral von Sammlern und erzielen, wenn man sie überhaupt noch erwerben kann, irrationale Preise. Selbst die Preisangaben im Vintage Guitar Price Guide geben nur eine ungefähre Orientierung wieder, in der Realität des Handels werden höhere Preise erzielt. Zum Heiligen Gral gehören beispielsweise Martin-OM-45-Gitarren aus den 1930er-Jahren. Bei Auktionen erzielen Gitarren Erlöse von fast vier Millionen Dollar.

David Gilmours zwölfsaitige Martin D12-28 aus dem Jahr 1971, mit der er das Stück „Shine on, you crazy diamond“ eingespielt hatte, erzielte 531.000 Dollar, seine Martin D-35 aus dem Jahr 1969 erzielte mehr als eine Million Dollar. Auf dieser Gitarre spielte David Gilmour das Stück „Wish you were here“ ein. Alle erzielten Preise lagen weit über den von Christies geschätzten Margen.

Die handgefertigten Boutique-Gitarren von Meisterbauern der edelsten Gitarren der Welt sind nicht nur schwer zu bekommen, viele davon gibt es überhaupt nicht in Deutschland und kaum jemals in Europa. Sie sind absolute Einzelstücke, werden als Unikate behandelt und auch so bezahlt. Zu diesen obersten Akustikgitarren der Welt gehören die Instrumente von Ervin Somogyi und seinen Schülern Michiko Matsuda, Jason Kostal, Tom Sands oder Jeff Traugott, bei denen der Grundpreis für eine neue Gitarre bei 40.000 Dollar liegt.

Linda Manzer ist eine der berühmtesten Gitarrenbauerinnen der Welt, vor allem bekannt geworden durch das Modell Picasso, das sie für Pat Metheny („baue mir eine Gitarre mit möglichst vielen Saiten“) 1984 entworfen und gebaut hat. Die Picasso ist ein äußerst ungewöhnliches Saiteninstrument mit vier Hälsen und 42 Saiten. Linda Manzer hat 1992 noch ein zweites Instrument für den Millionärssohn Scott Chinery gebaut. Dieses Sondermodell benötigte eine Bauzeit von zwei Jahren mit ungefähr 1.000 Stunden Arbeit. Die zweite Picasso wurde von Lark Street Music bei reverb im Jahr 2020 zum Preis von knapp 100.000 US-Dollar angeboten.

Martin D-45

Edle Akustikgitarren kommen in Deutschland in geringer Zahl in einige wenige Museen, wenn es sich um Antiquitäten handelt. Dies ist in den USA anders. Hier finden auch Instrumente der Gegenwart ihren Platz in einer öffentlichen Ausstellung, beispielsweise eine Modified-Dreadnought, Seriennummer 59, von Ervin Somogyi im National Music Museum der Universität von South Dakota. Die Smithonian Institution in Washington, DC verfügt über eine feine historische und gegenwartsbezogene Gitarrensammlung, die Gitarren von James Brown, Prince, Paul Reed Smith, Garth Brooks, Van Halen und anderen enthält. Das Martin Museum in Nazareth (Pennsylvania) zeigt den Besucherinnen und Besuchern die schönsten Martin-Modelle aus allen Phasen der Martin-Geschichte, unter anderen das millionste und das zweimillionste Instrument mit den überbordenden Inlays von Larry Robinson. Martin-Gitarren werden ebenfalls in den Museen von Phoenix, AZ, Orlando, FL, und Easton, PA, ausgestellt.

Die Zeitschrift Vintage Guitar berichtet in ihrer Ausgabe vom Dezember 2022 über die Ausstellung „Storied Strings: The Guitar in American Art“ im Virginia Museum of Fine Arts in Richmond, Virginia, die mit 130 Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen sowie mit 35 ausgewählten Gitarren einen Blick auf die Gitarrenkunst vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart werfen lässt. Weitere Ausstellungen oder Sammlungen von Gitarrenkunst finden sich im Metropolitan Museum of Art, New York City und im Museum of Fine Arts in Boston.

Das Museum of Fine Arts in Boston hat ein Apple-Book mit eingeschlossenen Audios und Videos über Musikinstrumente herausgebracht, in dem auch die Vorläufer der Akustikgitarre und verwandte Instrumente aus anderen Kulturen als der westlichen mit Klangbeispielen vorgestellt werden, hier die Fundstelle: Darcy Kuronen, MFA Publications, Boston, 2013.

Klangfarbenblüte

Ervin Somogyi, einer der besten und kunstfertigsten Akustikgitarren-Bauer der Welt, von manchen auch als „Luthier of the Luthiers“ bezeichnet, sagt über den Einfluss des Deckenholzes und des Rückseitenholzes einer Gitarre: „Die Decke und der Boden (und das Luftvolumen dazwischen) machen den gesamten Klang der Gitarre aus: ihre Lautstärke, Süße, Projektion, Tragfähigkeit, Gleichmäßigkeit, Wärme oder Schärfe, wie sie die Noten angreift oder sanft herausdrückt usw. Die Zargen, der Hals, die Verzierungen usw. sind strukturell und ästhetisch (…) und funktionell (…) aber sie helfen nur der Decke und dem Boden, den Klang zu erzeugen.“

Aber wieso sind alle Akustikgitarren, egal ob handgearbeitet oder aus der Fabrik, so unterschiedlich in ihrem Klang? Warum klingen manche matt, andere obertonreich? Warum sind manche laut, andere leise, manche voll und warm, andere dünn und flach? Wieso passt bei manchen Gitarren alles zusammen, bei anderen nichts? Ervin Somogyi schreibt darüber, was er als „Tonal Bloom“ oder die „Klangfarbenblüte“ be­zeichnet. Dies kennzeichnet ein Phänomen eines Instruments, nach dem Anschlagen eines Akkords, innerhalb einer knappen Sekunde lauter zu werden. Die Töne kommen aus dem Schallloch, breiten sich in der Luft aus und entwickeln sich zu einem größeren und lauteren Klanggebilde, ohne dass der Spieler oder die Spielerin etwas dazu tut. Somogyi sagt, dass eine Akustikgitarre eine große „Klangfarbenblüte“ besitzt, wenn alle Teile des Instruments perfekt zusammenpassen und perfekt verarbeitet worden sind.

Andere Klangcharakteristika einer Akustikgitarre werden mit „Tiefe“, „Wärme“, „Obertonreichtum“, „Sustain“, „harfenähnlicher Klang“, „Glockenklang“, „Nachhall“, „Dynamik“ oder anderen Attributen betitelt. Damit sind Klangcharakteristika gemeint, die schwer zu erläutern, aber gut zu hören sind, wenn eine Akustikgitarre solche Eigenschaften besitzt. Und sie sind der entscheidende Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Instrument.

Graham Nash schildert in seiner Autobiografie „Wild Tales: A Rock & Roll Life“ (2013), wie bei Live-Auftritten von Crosby, Stills, Nash and Young das Geigenspiel von David Lindley auf die Martin-Gitarren auf der Bühne übertragen wurde. Die Akustikgitarren befanden sich in einem Ständer, resonierten durch das Geigenspiel Lindleys und spielten den Song mit. Geige und Gitarre im perfekten gegenseitigen Schwingungsverhalten. So etwas funktioniert nur mit ausgezeichneten Instrumenten.

Handwerk oder Kunst? Schönheit!

Beim Aussuchen eines Instruments zählt manchmal der erste Eindruck, manchmal die genaue Betrachtung, manchmal das vertiefte Untersuchen aller Bestandteile. Oft ist der äußere Eindruck das erste Kriterium der Wahl, manchmal der Klang. Akustikgitarren werden allerdings nie gegen das eigene Klangurteil gekauft, trotz eines schlechten Aussehens dagegen schon, wenn der Klang überragend ist und individuell gefällt. Klang schlägt Schönheit – in den meisten Fällen.

Ervin Somogyi schreibt dazu: „Das Aussehen der Gitarre ist eine ganz andere Sache. Das Aussehen ist das, was das Auge des Kunden anzieht. Es mag einige Zeit dauern, bis man lernt, wie man zuhört und auf welche Klangeigenschaften man bei einer Gitarre achten muss, aber jeder kann eine Gitarre sofort ansehen und wissen, dass sie schön ist … oder nicht. Und sauber gefertigte und attraktive Gitarren verkaufen sich leichter, selbst wenn der Klang nach technischen Maßstäben nur durchschnittlich ist.“

Die meisten Akustikgitarren, die in Live-Auftritten und auf Plattenaufnahmen zu hören sind, kommen aus einer Fabrik, einer kleinen, die man als Manufaktur bezeichnen kann, wie Larrivee, Kevin Ryan oder Santa Cruz Guitars, einer großen wie Martin oder Gibson oder einer ganz großen wie Taylor, wie gesagt: 1.000 Gitarren pro Tag. Es gibt gute und sehr gute Instrumente von allen Herstellern, vor allem für den alltäglichen Gebrauch gedacht. Wirklich außerordentliche Akustikgitarren, die wahren Klangschönheiten, sind allerdings selten und werden wohl ausschließlich von Meisterbauern in Einzelarbeit konzipiert und angefertigt. Sie sind selten, extrem teuer, aber auch himmlisch schön und wohlklingend.

Ervin Somogyi schließt seine Betrachtungen auf seiner Webpage über den Unterschied zwischen einer handgefertigten Akustikgitarre und einer Fabrik-Akustikgitarre mit den folgenden Worten: „Natürlich ist eine Gitarre, die gestimmt ist, besser als eine, die nicht gestimmt ist, aber wenn man nicht in der Lage ist, dies zu hören, wird es zur Nebensache. Mit einem verbesserten Gehör war dieser Mann bereit für eine verbesserte Gitarre. Das gleiche Wachstum der Fähigkeit, auf gebildete und erfahrene Weise zu sehen und zu hören, wirkt sich auf unsere Fähigkeit aus, Nuancen von Details, Feinheiten und Qualität zu schätzen. Dies sind genau die Punkte, in denen sich handgefertigte Gitarren von nicht handgefertigten unterscheiden und diese übertreffen können. Aber bis ein Spieler die Fähigkeit zur Unterscheidung erreicht hat, ist jede Gitarre, die er hat, gut genug.“

Das ist eine sehr alte Debatte und ein unaufgelöster Streit. Kunst und kunstfertiges Handwerk sollten sich in der Vervollkommnung eines Instruments gegenseitig ergänzen, und dies ist am besten in den wunderschönen Instrumenten selbst abzulesen. Die Fotos solcher Akustikgitarren sollen dazu anregen, dass sich die Leserinnen und Leser solche Instrumente selbst anschauen und sich ihr eigenes Urteil aus einer Synthese von Handwerk, Kunst und Klang bilden. Die Klangschönheit einer Akustikgitarre setzt sich immer aus Anschauung und Klang zusammen, gewonnen aus der realen Erprobung. Suchen Sie sich Instrumente aus, begutachten Sie diese und spielen Sie darauf. Dann wird sich ein gutes Instrument Ihnen öffnen!

Ervin Somogyi, einer der größten Akustikgitarren-Bauer der Gegenwart, sagt dazu: „Kunst und Handwerk sind, wenn man so will, eine Art Partnerschaft zwischen Objekt und Betrachter, ein Konzept, auf das ich zum ersten Mal in Robert Pirsigs Buch Zen and the Art of Motorcycle Maintenance stieß und das ich Ihnen ans Herz legen möchte. Außerdem empfehle ich allen, die mehr über den menschlichen Schaffensprozess wissen wollen, The Dynamics of Creation, ein leicht verständliches und aufschlussreiches Buch des britischen Psychiaters Anthony Storr.“

Fritz Heidorn, Oldenburg

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im November 2024, Internetzugriffe zuletzt am 7. November 2024. Titelbild und alle Fotos im Text: Fritz Heidorn. Bei dem Titelbild handelt es sich um eine Martin D-45 Custom Shop Gitarre.)