Einheit in Vielfalt
Indonesien – Begegnungen im Herbst 2022
„Das Besondere am indonesischen Islam ist seine ethnische Verteilung über die Vielfalt der Inseln. Wir reden von einem Land, das größer ist als die USA, aber zu zwei Dritteln aus Meer besteht, aus vielen Inseln, zum Teil auch sehr große Inseln. Dort werden etwa 300 Sprachen gesprochen, alleine in Jakarta werden sechs oder sieben Sprachen gesprochen. Ich selbst spreche neben Bahasa noch Javanisch und Sundanesisch.“ (Harry Harun Behr im Gespräch mit Norbert Reichel, dokumentiert unter der Überschrift „Dynamische Religiosität“ im Demokratischen Salon, August 2021)
Im November 2022 hat Indonesien zum G20 auf Bali eingeladen und die Welt war zu Besuch. Für nicht wenige Menschen wurde vielleicht zum ersten Mal deutlich, dass Bali in Indonesien liegt. Indonesien, das ist ein riesiger Archipel, entstanden aus der unfassbaren Macht der Erde, befindet es sich doch auf dem pazifischen Feuerring. Jedes Jahr kommt es zu Vulkanausbrüchen und auch Erdbeben. So gehen die offiziellen Stellen von über 270 getöteten Menschen bei einem Erdbeben am 21. November 2022 bei Cianjur, etwa 70 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Jakarta. Und zugleich sind diese Naturgewalten Indonesiens Schatz, da die Vulkanasche für äußerst fruchtbare Böden sorgt.
Indonesien besteht aus rund 17.000 Inseln ganz unterschiedlicher Größen: von sehr großen wie Sumatra oder Kalimantan, das die doppelte Fläche von Deutschland einnimmt, bis zu sehr kleinen nicht bewohnten kaum ein Quadratkilometer großen Inseln. Von West nach Ost erstreckt sich der Staat auf über 5.000 km. Das ist weiter als von Lissabon nach Moskau. Vom äußersten Norden bis zum Süden sind es fast 2.000 km. Über 275 Millionen Menschen leben in Indonesien, womit es an vierter Stelle der bevölkerungsreichsten Nationen weltweit steht. Ein Versuch, einen allgemeinen Überblick über die Geschichte und Gesellschaft in einem begrenzten Raum zu geben, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Zu vielfältig ist die Natur, zu viele Kulturen haben ihren Platz in diesem Inselreich, zu viele Ethnien mit noch mehr Sprachen gibt es in diesem Land. Und doch ist das größte südostasiatische Land in Deutschland immer noch sehr wenig bekannt. Daran hat auch die Frankfurter Buchmesse im Jahr 2015 nichts geändert, in der Indonesien Gastland war und eine kurze Zeit indonesische Literatur übersetzt und in den Buchläden angeboten wurde.
Die indonesische Gesellschaft
Indonesien ist das größte islamische Land der Welt und lässt sich dennoch nicht auf den Islam reduzieren. Indonesien ist das Land der „Einheit in Vielfalt“ – so das Motto des Staates. Aufmerksamkeit erhält Indonesien in Europa jedoch nur selten, vielleicht dann, wenn es etwas über den Islam zu berichten gibt, nach der Frankfurter Buchmesse des Herbstes 2015 eigentlich erst wieder im November 2022, als während der G20 der indonesische Präsident Joko Widodo auch in Deutschland wegen seines Verhandlungsgeschicks gelobt wurde, und dann im Dezember 2022, als das indonesische Parlament seinen Beschluss bekräftigte, außerehelichen Sex mit einer Haftstrafe von einem Jahr zu bestrafen, eine Regelung, die sich nicht zuletzt gegen Schwule und Lesben richtete. Der Personenkreis, der außerehelichen Geschlechtsverkehr anzeigen kann, wurde erweitert. Immerhin wurde die ursprüngliche Absicht, auch die Dorfvorsteher in diesen Kreis einzubeziehen, schließlich doch noch zurückgenommen.
Die indonesische Gesellschaft befindet sich mitten einer riesigen und breit gespreizten Transformation, die neben einer wirtschaftlichen auch die kulturellen Normen betrifft. Die Grundlage bei der Gründung Staates 1945, der in dieser Form zuvor historisch nicht existiert hat (auch wenn es viele Überlappungen zu den beiden Großreichen Sriwijaya und Majapahit gab), ist die sogenannte Pancasila. Diese umfasst die fünf Prinzipien, auf denen das Staatswesen beruht. Die Grundsätze umfassen:
- die All-Einen-Göttliche Herrschaft,
- den Humanismus und den Internationalismus,
- die Nationale Einheit,
- die Demokratie,
- die Soziale Gerechtigkeit.
Das Staatsmotto lautet „Bhinneka tunggal ika”, in deutscher Sprache: „Einheit in Vielfalt“.
Dieses Motto gilt auch für die religiöse Freiheit. Auch wenn schätzungsweise mehr als 85% der indonesischen Bevölkerung sunnitische Muslime sind, stellt die indonesische Verfassung die freie Religionsausübung sicher, sofern die religiöse Praxis nicht die Rechte Anderer beeinträchtigt, gemeinsame moralische Standards oder religiöse Werte überschreitet oder die Sicherheit beziehungsweise die öffentliche Ordnung gefährdet. Sechs Religionen genießen einen besonderen Status, was sich auch im Ministerium für religiöse Angelegenheiten widerspiegelt. So sind das Christentum, womit in Indonesien als koloniales niederländisches Erbe nur der Protestantismus gemeint ist, der Katholizismus, der Islam, der Hinduismus, der Buddhismus sowie seit kurzer Zeit der Konfuzianismus besonders geschützt. So können Angehörige dieser Glaubensrichtungen bestimmte Rechte geltend machen, wie beispielsweise den Schutz vor blasphemischen Äußerungen, wozu es in der Vergangenheit auch des Öfteren gekommen ist.
Nicht berücksichtigt sind demzufolge viele andere Religionen, insbesondere althergebrachte, die sich beispielsweise auf Papua noch finden lassen. Grundsätzlich lässt sich aber beobachten, dass es nicht DEN indonesischen Protestantismus oder DEN indonesischen Islam gibt, vielmehr werden die verschiedenen Religionen quer über den Archipel in unterschiedlichen, das jeweilige vor Ort aufgefundene kulturelle Erbe aufsaugend und amalgierend praktiziert. Was den Islam betrifft, könnte eine Erklärung mit der Verbreitungsform zusammenhängen, ist er doch mit Händlern ins Land gekommen und unterscheidet sich daher durchaus vom Islam in arabischen Ländern, in Pakistan, Indien oder anderen asiatischen und afrikanischen Ländern.
Nach Jahrzehnten autoritärer Regierungen ist seit der Jahrtausendwende die gesellschaftliche Freiheit deutlich gestiegen und eine deutliche Stärkung demokratischer Strömungen wahrnehmbar. Diese Entwicklung ist eng mit der wirtschaftlichen Öffnung verbunden, wobei gerade dem e-Commerce eine ganz wesentliche Rolle zukommt. Zugleich ist festzuhalten, dass der allergrößte Teil der Bevölkerung lebt, insbesondere außerhalb der Städte, in sehr einfachen bis armen Verhältnissen, was sich insbesondere durch die Pandemie noch verschärft hat.
Dienstleistung, Dienstleistung, Dienstleistung
Es gibt einen sehr großen Dienstleistungssektor, der naturgemäß auch eine große Selbständigkeitsquote zufolge hat. So findet man überall viele kleine Essensunterstände, viele kleine Handwerker (allerdings nicht mehr in den Stadtzentren), aber auch eine Vielzahl an Parkplatzwächtern oder auch, was tatsächlich notwendig ist, Menschen, die bei großen Straßen an Kreuzungen stehen und beim Abbiegen helfen, indem sie den Verkehr aufhalten. Das ist bei dem Verkehr, man mag es kaum glauben, aber auch dringend nötig. Diesen Helfern gibt man dann 2.000 Rupiah (Rp), 0,12 EUR, in die Hand.
Dieser informellen Wirtschaftssektor ist naturgemäß sehr volatil und bedeutet für die an diesen Märkten teilnehmenden Menschen, die über keine soziale Absicherung verfügen, immer zugleich eine große Unsicherheit. Sinnbildlich für die Verschmelzung dieses Sektors mit der digitalen Wirtschaft sind die im Stadtbild allgegenwärtigen Motorradfahrer mit grünen Helmen und grünen Jacken mit den Aufschriften Grab bzw. Go-Jek. Diese beiden Firmen sind die Platzhirsche für den Transport von Menschen (hierfür gibt es neben den Motorrädern auch Autos). Diese Firmen stellen eine Plattform für Kunden und Dienstleister zur Verfügung und erhalten dafür eine Provision, die in der Regel bis zu 30% beträgt. Die Berechnung der Fahrtkosten variiert je nach Tageszeit und Nachfrage. Eine Fahrt vom Hauptflughafen Jakartas ins Zentrum der Stadt (ca. eine Stunde) kostet ca. 12 EUR.
Die Geschäftsfelder sind vielfältig. So kann man über die jeweilige App Lebensmittel bei gelisteten Märkten einkaufen und sich liefern lassen, Gegenstände verschicken oder auch bei bestimmten Restaurants Essen bestellen. Möchte ein Fahrer (99,9% sind Männer) einen Auftrag durchführen, nimmt er ihn per App-Klick an. Allerdings weiß er dabei nicht, um was für einen Auftrag es sich handelt bzw. wie lukrativ dieser ist. Gleichzeitig besteht eine sehr große Abhängigkeit von der App, eine echte Selbstständigkeit besteht nicht mehr.
So berichtete mir der Fahrer Manik aus Surabaya über von ihm nachvollzogene Kontrollmechanismen, die auf Algorithmen beruhen. Beispielsweise wird einem Fahrer, je seltener er einen Auftrag annimmt, in der Folge umso seltener ein Auftrag angeboten. Nimmt jemand nach Berechnungen des Algorithmus zu häufig Pausen bzw. hat er die App zu häufig abgemeldet, wird auch hier mit selteneren Auftragsangeboten sanktioniert. Das alte Transportsystem, das in einem Land ohne wirklich funktionierender öffentlichen Verkehrsstruktur lebensnotwendig war, ist vollkommen zerstört worden. An guten Tagen erhält ein Autofahrer ca. 250.000 Indonesische Rp, also ca. 19 EUR. Ein gutes Gehalt für nicht-studierte Menschen sei ca. 5.000.000 Rp, etwa 310 EUR monatlich. In Yogjakarta, dem kulturellen Zentrum Javas, hat er zuvor rund 130 EUR monatlich als Arbeiter in einer Fabrik, die für einen großen deutschen Sportartikelhersteller Trikots herstellt, gearbeitet.
In der 30-Millionen-Metropolregion Hauptstadt Jakarta bräuchte er hingegen ein deutlich höheres Gehalt, allein schon wegen der hohen Transportkosten. Er selbst hat zuletzt als Arbeiter in Taipeh/Taiwan in einer Fabrik gearbeitet. Nach 55 Stunden in einer Sechstagewoche blieben ihm am Ende des Monats gerade einmal 100 EUR übrig, die er sparen konnte, nachdem er seiner Frau und seinen Kindern versorgte, die in Surabaya geblieben sind. Er berichtet mir von vielen Rassismuserfahrungen, die er in Taiwan gemacht hatte, weswegen es für ihn immer klar gewesen war, wieder in sein Heimatland zurückzukehren. Mit seinem Ersparten hatte er sich schließlich das Auto gekauft, mit dem er nun seinen Lebensunterhalt bestreitet.
Untere Mittelschicht
Die in Maniks Fall untere Mittelschicht zeichnet sich dadurch aus, dass sie relativ viele Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Beispielsweise ist durchaus üblich, eine Nanny für die Kindererziehung einzustellen. Diese kommen meistens aus wirtschaftlich wenig entwickelten Regionen des Landes, wie beispielsweise Ost-Java, Zentral-Sulawesi, den Molukken oder einigen Regionen Sumatras. Diese Hilfskräfte wohnen dann mit der Familie in der Wohnung und helfen überall da, wo es notwendig ist. In der Regel erhalten sie noch ein wenig Geld, das aber nicht zum Überleben ausreichen würde. Wie in allen südostasiatischen Ländern kann man auch in Indonesien klare soziale Schichten beobachten. In den Großstädten sind oftmals die bewachten Wohneinheiten der Mittel- und Oberschicht nur einige Minuten von den ärmlichen Wohngebieten, den sogenannten Kampungs (Dorf), entfernt. Treffen tun sich die verschiedenen Menschen höchstens in den riesigen Einkaufszentren, auch wenn sich die meisten Menschen von den zumeist international vertretenen Geschäften nichts leisten können. In Semarang, einer in Zentral-Java gelegenen Stadt mit der Größe Hamburgs, hat es sich eine Bürgerbewegung in den vergangenen Jahren zum Ziel gemacht, einen Kampung schöner zu machen. Das Ergebnis ist extrem farbenfroh und zieht auch Touristen an. Dieses nachbarschaftliche Engagement macht Schule und andere Kampungs in der Stadt nehmen es sich vermehrt als Vorbild. Mit diesen Initiativen werden gemeinsame Verantwortungsbereiche im öffentlichen Raum geschaffen, was in dieser Form eher schlecht ausgeprägt ist.
Chindos
Selbstständige, die ein wenig Geld ansparen können, investieren ihr Geld nicht selten in neue Geschäfte. Die chinesischstämmige Priscillia aus Jakarta arbeitete in der Vergangenheit für einen für ein Import-/Exportunternehmen aus Hongkong. Sie verdiente so gut, dass sie nebenbei noch zwei sogenannte Foodstalls (kleine Garküchen) erwarb, mit denen sie die Belegschaft in mehreren Fabriken in Jakarta belieferte. Das Geschäft lief so gut, dass sie sich nach neuen Geschäftsfeldern umsah. So hat sie im vergangenen Jahr ihre Stelle gekündigt und mit Freunden ein Unternehmen gegründet, mit dem sie landesweit Krankenhäuser und Praxen mit medizinischem Equipment ausstattet.
Gesellschaftshistorisch ist die Situation der chinesischstämmigen Indonesierinnen und Indonesiern, den sogenannten Chindos, auch wenn sie teilweise seit mehreren Jahrhunderten dort leben, nicht immer einfach. Der besondere Umgang mit dieser Minderheit in der Bevölkerung lässt sich sehr weit zurückverfolgen. In der Neuzeit ist hier insbesondere die Kolonialzeit anzusprechen, als die chinesischen Händler*innen und Arbeiter*innen ein wichtiger Stützpfeiler für die Durchsetzung der niederländischen Interessen im sog. Niederländisch-Indien waren. Ein gutes Beispiel dafür lässt sich in Medan finden. Die sogenannten (Malakkan) „Strait Chinese” oder „Peranakan” spielten hier eine sehr wichtige Rolle. Um 1900 hat der chinesischstämmige Tjong A Fie im Auftrag der Kolonialverwaltung Verwaltungsaufgaben übernommen, wobei er sich auf seine Netzwerke in China, Malaysia wie auch in Nordsumatra verlassen konnte. Auch heute noch gibt es eine große chinesischstämmige Minderheit in Medan, die wirtschaftliche Beziehungen in die Volksrepublik China pflegt. Die Mehrzahl der Chindos in anderen Landesteilen, insbesondere auf Java, hat keine solchen Beziehungen.
Für die chinesischstämmige Minderheit sind in der jüngeren Vergangenheit die Ereignisse infolge des Sturzes des ersten indonesischen Präsidenten Soekarno im Jahr 1965 im kollektiven Gedächtnis präsent. Unter dem Vorwand, einem geplanten Umsturz durch die Kommunistische Partei Indonesiens zuvorzukommen, wurden zahlreiche Massaker an Parteiangehörigen aber auch an den Chindos verübt. Allgemeine Schätzungen gehen von insgesamt bis zu einer Million Getöteten aus. Der 2015 veröffentlichte Dokumentarfilm “The Look of Silence” gibt einen äußerst beklemmenden Eindruck von den damaligen Geschehnissen, bei denen Nachbarn zu Folterknechten und Mördern wurden.
Auch beim Sturz des zweiten Präsidenten Soeharto 1998 wurden zahlreiche Anschläge auf sie ausgeführt. Hierbei spielte wirtschaftlicher Neid keine unerhebliche Rolle. Das hat zur Folge, dass wirtschaftlicher Erfolg oftmals nicht öffentlich gezeigt wird. Zudem verkehrt man gerne nur innerhalb der eigenen Community – auch weil viele Chinesischstämmige Christ*innen sind. Dass die latenten Vorurteile nach wie vor vorhanden sind, zeigt eine kurze Recherche bei YouTube, bei der ganz schnell reißerische Videos auftauchen, die beispielsweise vorgeben, zu zeigen, „how chinese-indonesian become crazy rich”.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik
Dewi aus Tangerang im Einzugsgebiet von Jakarta ist geschieden und alleinerziehend. Zum Zeitpunkt der Scheidung war sie nicht berufstätig. Mit dem Ersparten ihrer Mutter eröffnete sie ein Obst-Cateringunternehmen. Das war so erfolgreich, dass sie ein weiteres Geschäft für Kleidung eröffnete. Zudem machte sie sich auch als Makeup-Artist und TikTok Influencerin selbständig. Seit kurzem hat sie ein neues Haus gekauft, in das sie mit ihrer 12 jährigen Tochter und der Nanny eingezogen ist.
Es gibt natürlich nicht nur Erfolgsgeschichten. So verlor Dhian aus Palembang, einer Millionenstadt in Süd-Sumatra, seine gesamten Ersparnisse bei einem Geschäft: Er ließ Kopra, ein Kokosnusserzeugnis, in Indien herstellen und importierte es. Aus einem für ihn nicht nachvollziehbaren Grund, ließen die indischen Behörden den Betrieb Konkurs gehen. Seitdem ist er pleite. Nichtsdestotrotz ist er wieder dabei, neue Pläne zu schmieden und gründete eine kleine Wäscherei.
Die wirtschaftliche Entwicklung hat auch eine gesellschaftliche zur Folge: Die sozialen Medien spielen dabei eine überragende Rolle. So wird man kaum einen Menschen unter 40 Jahren mal länger als 30 Minuten ohne Mobiltelefon in der Hand erleben. Aktuell ist es insbesondere die TikTok App, die bei allen sehr große Beliebtheit genießt. Gerne werden dramatische Szenen aus Serien oder alten Filmen, die quasi ikonischen Status genießen, nachgespielt. Ich kann mir dabei nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich hier um eine Fortführung des traditionellen malaiischen Theaters Wayang handelt, das es in unterschiedlichen Formen bspw. als Schattentheater oder als Maskentheater gibt. Mindestens genauso gerne werden gefühlvolle Lieder gesungen. Neben diesen freizeitorientierten Ausprägungen wird das Internet gerne zur Vernetzung von Gleichgesinnten wie auch zur Organisation von bestimmten Interessen. Die indonesische Gesellschaft wird von vielen Einheimischen als hochgradig konservativ wahrgenommen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.
So gilt der Grundsatz der Gleichheit auch in religiösen Fragen, wenn allerdings auch nur für die sechs größten, sodass verschiedene Naturreligionen beispielsweise auf Papua davon ausgeschlossen sind. So wird im Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung in verschiedenen Regionen, wie in der Region um den Toba-See, in Nord-Sulawesi oder auch auf Bali nicht-halale Lebensmittel wie Schweinefleisch oder Alkohol verkauft. Von anderen Dingen, wie Hunden oder Fledermäusen auf Märkten in Tomohon/Sulawesi oder auf der Insel Vulkanisel Samosir/Sumatra ganz zu schweigen. Fast überall gleich und auch quer über fast alle Ethnien und Religionen sind bestimmte Moralvorstellungen, die den öffentlichen Anstand betreffen. Je ländlicher geprägt eine Region ist umso mehr gelten noch die althergebrachten Sitten.
Zwei große Ausnahmen gibt es im Land: einerseits ist es Jakartas Zentrum, zum anderen vor allem Bali. Überall in Indonesien wird die hinduistische Insel, die in mehrfacher Hinsicht einen besonderen Status genießt, als eine Traumdestination gesehen: ein Ort, in dem große Freiheit herrscht. Bali ist zu einem Sehnsuchtsort der jungen Bevölkerung geworden, der viele Möglichkeiten bietet. So kann man hier einen westlichen Lebensstil führen und sich somit den sozialen Kontrollmechanismen im Dorf oder Nachbarschaft entziehen.
So ist Agus aus dem Süden Sumatras vor einigen Jahren nach Bali gezogen. Er stammt aus einer angesehenen Familie in seiner kleinen Stadt. Nach der Beendigung seines Zahnmedizinstudiums in Jakarta ist er wieder in seinen Heimatort zurückgezogen. Schnell merkte er, dass er sich nicht wieder heimisch fühlt. So zog er vor einigen Jahren nach Jimbaran in den Süden Balis und eröffnete dort seine Zahnarztpraxis. Einerseits zogen ihn die höheren Verdienstmöglichkeiten auf diese Insel. Andererseits hat er sehr persönliche Gründe. So lebt er seit einiger Zeit mit einem Mann zusammen. Auch wenn auf Bali solche Beziehungen nicht vollständig anerkannt sind, erst recht, wenn in den stark ländlich geprägten Norden oder Westen fährt, so gibt es hier eine gewisse Toleranz, die man andernorts in Indonesien so nicht findet.
Transmigrasi
Daneben ist die Insel auch das beliebteste Ziel für einheimische Touristen. Hier spielt insbesondere der hohe Internationalitätsgrad an touristischen Angeboten eine ganz wesentliche Rolle. Dabei kann es dabei durchaus zu bestimmten kulturellen Spannungen kommen. Auf der Insel Bali ist die autochthone Bevölkerung hinduistischen Glaubens (mit einer sehr eigenen Prägung). Von der einheimischen Bevölkerung wird durchaus die Gefahr gesehen, die eigene balinesische Kultur, die tagtäglich eine große Rolle spielt, zu verlieren. Das betrifft neben den touristischen Einflüssen aber auch ein anderes grundlegenderes Projekt.
Mit 141 Millionen Menschen lebt rund die Hälfte der indonesischen Bevölkerung auf Java, einer Insel mit einer Fläche von einem Drittel Deutschlands. Aus diesem Grund versucht die Regierung den Bevölkerungsdruck, der auch negative wirtschaftliche Folgen hat, seit 1969 mit der Transmigrasi Projekt zu reduzieren. Damit wird beabsichtigt, Menschen javanischer, aber auch sundanesischer (West-Java) Herkunft auf andere Inseln anzusiedeln. Nach öffentlichen Daten sind bislang rund sieben Millionen Menschen in weniger dicht besiedelten Regionen des Landes umgesiedelt. Das hat an nicht wenigen Orten Probleme hervorgerufen: das betrifft sowohl gesellschaftliche/religiöse wie auch wirtschaftliche und ökologische Aspekte. So werden die überwiegend muslimischen Zuwanderer teilweise in christlich geprägte Regionen angesiedelt, wie beispielsweise auf Sulawesi oder Papua.
Zudem wird aufgrund der noch immer maßgeblichen Rolle der Landwirtschaft vor Ort fruchtbarer Boden verknappt und es entsteht eine Konkurrenzsituation, die in Gewalt münden kann. Eine Folge ist auch die steigende Brandrodung von Urwald, vor allem auf Borneo, um zusätzlichen Ackerboden zu schaffen. Allerdings reicht gerade auf dieser Insel der fruchtbare Boden nicht sehr tief, sodass nach einiger Zeit durch Regen weggeschwemmt wird. Von den riesigen Palmöl-Plantagen und den damit einhergehenden Schaden der Natur durch diese Mono-Kultur ganz zu schweigen. Im Übrigen ist das Projekt keine neue Idee: bereits die niederländischen Kolonialherren haben gerne Arbeiter*innen auf Java für die Arbeiten auf den Kaffee-, Zucker- und Tabakplantagen mit sogenannten Kuli-Kontrakten auf Sumatra umgesiedelt. Nach einigen Jahren hatten diese verpflichteten Menschen theoretisch wieder die Möglichkeit, wieder zurück zu kehren. Tatsächlich gibt es noch immer Geschichten aus dieser Zeit, die in den Familien erzählt werden.
Mostapha Boukllouâ, Köln
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Januar 2023. Alle Bilder wurden vom Autor dieses Textes zur Verfügung gestellt, das Titelbild zeigt eine Landschaft der Insel Samosir. Internetzugriff in dem eingangs zitierten Text von Harry Harun Behr zuletzt am 2. Januar 2023.)