Koalition der Traditionalisten

Zur Popularität frauenfeindlicher Rhetorik

„Mit der Wahl Obamas hatten die USA zwei Schritte vorwärts gemacht. Mit der Wahl Trumps machten sie sicherheitshalber gleich vier Schritte zurück. Auch diese erste Wahl Trumps hatte viele Gründe im Kleinen, im Großen ließ sie sich als das Ergebnis von Reiz und Reaktion erklären. Auf Obama folgt Trump – was auf den ersten Blick so unwahrscheinlich erscheint, ist auf den zweiten fast zwingend.“ (Christian Zaschke, in: Trump ist die zwangsläufige Antwort auf Obama, in: Süddeutsche Zeitung 22. November 2024)

Eines der Themen, mit denen Kamala Harris und die Demokraten Donald Trump besiegen wollten, war der Vorwurf, Trump sei ein Faschist. Diese Einschätzung unterstützte sein ehemaliger Stabschef John Kelly. Historiker differenzieren. Christian Staas hat einige Kommentare für die ZEIT zusammengetragen. Manche Kriterien passen, andere weniger. Einige Historiker plädieren dafür, genauer hinzuschauen, welche Elemente von Faschismus bei Trump oder anderen Akteuren seiner Art zu finden wären, beispielsweise Männlichkeitskult und Rassismus eher ja, Opferkult und Ziel der Schaffung eines neuen Menschen eher nein: „Faschistoid in manchen seiner Praktiken und Teilen seiner Propaganda und Programmatik, im Kern aber ein libertärer Autoritarismus mit narzisstischem Antlitz und der Lizenz zum Aggro-Individualismus. So könnte eine Antwort lauten.“

Hilfloser Antifaschismus

Albrecht von Lucke sieht in seinem Editorial zur Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik vom Dezember 2024 – unabhängig von der Tragweite diverser Faschismus-Definitionen – „Europa in der Faschismuszange“. Die eine Seite ist Putins Russland mit seinen Proxys in der EU, allen voran Viktor Orbán. Die andere Seite vertreten Trump und seine Anhänger:innen mit ihren autoritären, hierarchisch orientierten, maskulinistischen und libertär-radikalen Vorhaben: „Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die Herrschaft von Recht und Gesetz auch in Europa zunehmend leer läuft, ob also die multilaterale, regelbasierte Ordnung in der Trump-Putin-Ära vollständig einem neuen Regime weicht, das allein auf Gewalt und Deals basiert.“  Das Scheitern der Ampel-Koalition in Deutschland verschärfe das Dilemma: „Die eigentlichen Verlierer der drei Ampel-Jahre sind daher all jene, die auf eine wirkliche sozial-ökologische Transformation gehofft hatten, und vor allem die kommenden Generationen. Noch ist nicht klar, ob und wie sich die progressiven Kräfte von diesem doppelten Tiefschlag erholen werden. Fest steht jedenfalls eines: Von den nächsten vier Jahren wird keinerlei grundlegende Veränderung zum Positiven zu erwarten sein.“ Diese Einschätzungen ließen sich vielleicht in der Frage zuspitzen, ob sich in Europa demnächst Viktor Orbán als „heimlich-unheimliche Führungskraft Europas“ (von Lucke) durchsetzt oder Donald Tusk. Deutschland und Frankreich schwächeln.

Der größte Fehler dürfte jedoch sein, sich in den politischen Debatten der Zukunft so sehr darauf zu fixieren, was Trump macht oder machen könnte, sodass man die eigene Profilierung vergisst. Es ist letztlich immer dasselbe Lied, das Angela Merkel in ihrer Autobiographie in ihrer bekannt nüchternen Art auf den Punkt brachte: „Wenn sie annehmen, die AfD klein halten zu können, indem sie unentwegt über deren Themen sprechen und sie diese dabei am besten auch noch rhetorisch übertrumpfen wollen, ohne tatsächliche Lösungen für bestehende Probleme anzubieten, dann werden sie scheitern.“ (zitiert nach den Besprechungen von Robert Roßmann in der Süddeutschen Zeitung und von Christopher Zeidler im Tagesspiegel vom 26. November 2024.) Timothy Garton Ash hat für die ZEIT eine sehr lesenswerte und differenzierte Rezension der Biographie Angela Merkels geschrieben. Seine Kritik ließe sich mühelos auf all diejenigen übertragen, die ihre eigene politische Agenda ausschließlich an Trump, Putin oder ihren Proxys in diversen rechten Parteien und Bewegungen orientieren: „Es ist schwer, nicht zu dem Schluss zu kommen, dass Merkel zwar all die westdeutschen Männer ausmanövrierte, die osteuropäischen Männer (Orbán, Putin) aber genau das mit ihr taten.“

Dies ist ein strategisches Dilemma vor allem, wenn auch nicht nur der Konservativen, das sich vor allem beim Migrationsthema zeigt. Horst Seehofer sprach von der Migration als „der Mutter der Probleme“, Carsten Linnemann meinte, das zu lösende Problem heiße „Migration, Migration, Migration“. Als gäbe es nichts anderes. Auch Friedrich Merz lässt sich mitunter zu solchen Vereinfachungen hinreißen, da waren doch mal die „kleinen Paschas“. Der Bundeskanzler ist auch nicht geschickter. Mehrfach kündigte er in den vergangenen zwei Jahren an, „im großen Stil abschieben“ zu lassen. Eine politische Strategie ist das nicht. Nicht dass Trump & Co. eine bessere hätten, aber bei Trump reicht es offenbar, dass er den „tough guy“ spielt, gleichviel ob er tatsächlich Millionen Menschen abschieben lässt oder nicht. Unter Obamas Präsidentschaft gab es mehr Abschiebungen als in der ersten Trump-Präsidentschaft, aber Obama war eben nicht der „tough guy“.

Es hilft auch nichts, Trump und alle seine Gesinnungsgenossen – und wie in der Linken üblich auch noch viele andere, die ihrer Meinung nach nicht „woke“ genug sind – pauschal als Faschisten zu bezeichnen. Es geht eben nicht darum, ob jemand ein Faschist ist, sondern darum, ob sich jemand faschistoid verhält und darüber hinaus faschistoide wie offen faschistische Gruppen gewähren lässt oder gar in ihrem Handeln ermutigt. In diesem Kontext eignet sich Trump ausgezeichnet dazu, an seinem Beispiel die Fehler demokratischer und liberaler Politiker:innen zu beschreiben. Er ist de facto – so bezeichnete ihn Federico Finchelstein – so etwas wie ein „wannabe fascist“. Eine besondere Rolle spielt in diesem Konzert Giorgia Meloni, die eher Finchelsteins Definition einer Populistin entsprechen dürfte, so in etwa als Juan und Evita Perón in einer Person.

Antifeminismus als Erfolgsmodell

Migration ist einer der Punkte, an denen sich erklären ließe, ob es sich um bloßen Populismus oder um Faschismus handelt. Es stellt sich die Frage, wann eine gegen Migration gerichtete Einstellung oder Politik rassistisch wird. Ein weiteres und möglicherweise sogar bedeutenderes Kriterium, das auch in Deutschland eine immer beklemmendere Rolle spielt, ist der Anti-Feminismus, die Frauenfeindlichkeit, die Trump zelebriert. Christian Zaschke sieht einen „der wichtigsten Gründe für beide Wahlsiege Trumps“ darin, „dass er 2016 und 2024 jeweils gegen eine Frau antrat. Als sein Gegner im Jahr 2020 Joe Biden hieß, offenkundig ein Mann, musste er eine Niederlage hinnehmen. Wie gesagt, das ist nicht der einzige Grund für Trumps Erfolge, aber es ist ein bedeutender. Die USA sind auch im Jahr 2024 immer noch ein in weiten Teilen misogynes Land, das eher einen Sexisten ins Weiße Haus wählt als eine Frau.“ Trump gewann gegenüber der Wahl 2020 zwar an absoluten Stimmen nicht hinzu, aber Kamala Harris konnte viele Stimmen, die damals Joe Biden gewann, nicht halten. Dies zeigt zumindest, dass ein antifeministischer Impuls äußerst stabil zu wirken scheint.

Trumps antifeministische Rhetorik erleben wir in Deutschland täglich. In der Leipziger Autoritarismusstudie des Jahres 2022 bezeichneten die Autor:innen den Antifeminismus als „Brückenideologie“ für menschenfeindliche Einstellungen. Sandro Witt berichtete im Demokratischen Salon, dass bei dem von ihm geleiteten und vom Bundesarbeits- und -sozialministerium geförderten Projekt „Betriebliche Demokratiekompetenz“ mit der Zeit die Beschäftigten in den Betrieben eine Vielzahl anti-demokratischer und menschenfeindlicher Einstellungen ablegten, mit einer Ausnahme: Antifeminismus. Die antifeministischen, frauenfeindlichen Einstellungen haben sich nach den Ergebnissen der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 verstärkt (sie liegt online unter dem Titel „Vereint im Ressentiment – Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen“ vor, als Buch wurde sie im Gießener Psychosozial Verlag publiziert).

Doreen Reinhard sprach für die ZEIT mit Oliver Decker, dem Leiter der Autoritarismusstudie. Er betonte: „Das Kerngeschäft der extremen Rechten ist die Krise. (…) Wir sehen zudem, dass ein größerer Teil der Bevölkerung offen ist für Verschwörungserzählungen.“ Wir erleben darüber hinaus die Rückkehr eines „traditionellen Frauenbilds“. Dies zeige sich an der deutlich gesunkenen Zustimmung zu der Aussage „Eine Frau, die sich mehr auf ihren Beruf als auf Haushalt und Kinder konzentriert, sollte kein schlechtes Gewissen haben.“ Die Zustimmung zu diesem Satz sank bundesweit von 84 Prozent im Jahr 2020 auf 51 Prozent im Jahr 2024, im Westen auf 46 Prozent, im Osten auf 69 Prozent.

Die Autoritarismusstudie 2024 diagnostiziert „nervöse Krisenbereitschaft“, unter anderem mit dem Ergebnis: „Migranten, Juden, Sinti und Roma oder Homosexuelle ziehen Hass auf sich, so zeigt es unsere Studienreihe seit Jahren (…) und so müssen wir es auch in der aktuellen Leipziger Autoritarismus Studie wieder feststellen. Dabei sind diese Ressentiments in der vielbeschworenen ‚Mitte‘ der Gesellschaft nicht nur weit verbreitet, etwas in der Mitte der Gesellschaft, in ihrem Zentrum, bringt sie überhaupt erst hervor.“ Näheres finden wir im fünften Kapitel der Studie, das Fiona Kalkstein, Gert Pickel und Johanna Niendorf verfassten, Titel: „Antifeminismus und Antisemitismus – eine autoritär motivierte Verbindung?“ In Bezug auf „Antifeminismus“ sprechen die Autor:innen von „Annahmen einer essenzialistischen Natürlichkeit von Geschlecht und Heterosexualität.“ Das Verhältnis der Geschlechter zueinander werde binär und hierarchisch definiert und sei Teil einer „Ideologie der Ungleichwertigkeit“. „Auch finden sich unter ihnen besonders viele Personen, die danach trachten, die Natur zu beherrschen, sowie solche, die keine Ambiguität aushalten können und klaren Schemata zwischen Gut und Böse folgen.“ Entsprechend werde zwischen „guten“ und „bösen“ Frauen unterschieden. Ein Musterbeispiel bot JD Vance, als er Kamala Harris als kinderlose „cat lady“ bezeichnete. Trump gelang es im Wahlkampf, sie sogar als ein Monster hinzustellen, das vergewaltigende Migranten ins Land hole („Blood on her hands“). Der verurteilte Sexualstraftäter Trump inszenierte sich als der Mann, der Frauen beschützt.

„Neue Deutsche machen wir selber“ plakatierte die AfD in mehreren Wahlkämpfen. Die Partei plädiert für Familien mit mehreren Kindern, in denen die Frauen die Kinder betreuen, während die Männer ihrer Arbeit außer Haus nachgehen. Ein solches Bild ist nicht einmal mehr in Russland attraktiv. Anders ist nicht erklärbar, dass dort ein Gesetz verabschiedet wurde, dass niemand mehr positiv über Kinderlosigkeit sprechen dürfe, auch nicht negativ über das Leben mit Kindern. Das Gesetz richtet sich gegen eine angeblich aus dem Westen importierte „Ideologie der Kinderlosigkeit“, die Vorsitzende des Familienausschusses der Staatsduma sprach von einer „speziellen demographischen Operation“. Aufklärung über Verhütung ist verboten, Männer sollen sich zur Armee melden, Frauen sollen Kinder gebären. Filme und Bücher, in denen jemand äußert, keine Kinder bekommen zu wollen, dürfen nicht mehr gezeigt beziehungsweise verlegt werden. Müttergruppen, die sich gegenseitig bei Problemen helfen, wie es sie immer mal gibt, wenn man Kinder bekommt und aufzieht, haben sich bereits aufgelöst, weil sie Strafen fürchten. Diskutiert wird in Russland auch ein Abtreibungsverbot, dass jedoch möglicherweise nicht erforderlich sein dürfte, weil ohnehin schon ausreichend Druck auf Kliniken ausgeübt wird. Es bleibt der Küchentisch. Silke Bigalke berichtete für die ZEIT: „Mehr Kinder für Putins Reich“, Hannah Wagner für den Tagesspiegel: „Putin verbietet positive Darstellung von Kinderlosigkeit“. Die russische Bevölkerung schrumpft zurzeit jährlich um etwa 500.000 Menschen, nach anderen Prognosen bis zum Jahr 2050 um etwa acht Millionen, das wären im Schnitt etwa 300.000 Menschen pro Jahr. Sofi Oksanen hat „Putins Krieg gegen die Frauen“ ausführlich und exzellent recherchiert beschrieben (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2023). Raketen auf die Außenwelt, Strafrecht und Lagerhaft nach innen.

Die russischen Gesetze kann sich in Deutschland kaum jemand vorstellen, die Rhetorik schon eher. Die Autoritarismusstudie 2024 kommt zu folgendem Ergebnis: „Ein Viertel der deutschen Bevölkerung vertritt geschlossen antifeministische Einstellungen, genauso viele ein geschlossen sexistisches Weltbild. Bei geschlossenen transfeindlichen Einstellungen liegen die Werte mit 37 % noch deutlich höher. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Parteien und Bewegungen im äußeren rechten Spektrum das antifeministische Ideologiefragment mehr in den Mittelpunkt rücken – ist es doch bereits Bestandteil ihrer Ideologie. Zu Beginn dieses Kapitels haben wir aus aktuellem Anlass auf die USA geblickt, doch lässt sich für die Bundesrepublik Ähnliches konstatieren. ‚Feministinnen sind hässlich und grässlich‘, äußerte Anfang des Jahres Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, und umriss das Feindbild klar und deutlich.“ Das Ergebnis lässt nicht den Schluss zu, dass drei Viertel der deutschen Bevölkerung sexistische Aussagen ablehnten: „Sexistische Aussagen werden lediglich durch ein Drittel der Bevölkerung abgelehnt, während sich eine große Gruppe zeigt, die dem einen oder anderen sexistischen Item zugestimmt hat, ohne eine geschlossen sexistische Einstellung aufzuweisen. Antifeminismus und Haltungen zur Transgeschlechtlichkeit sind den Ergebnissen nach polarisierender als Sexismus.“ Motto: Das wird man doch noch sagen dürfen. Welchen Einfluss die Pandemie und die ständigen Debatten um eine geschlechtsgerechte Sprache hatten, wäre interessant zu untersuchen, aber so viel dürfte feststehen: Steter Tropfen höhlt den Stein und die ständigen Wiederholungen antifeministischer und frauen- (beziehungsweise auch trans-)feindlicher Sprüche sollten in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden.

Doch wann werden scheinbar lockere Sprüche zur Tat? Am 19. November 2024 veröffentlichte das Bundeskriminalamt sein Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“. Das BKA verzeichnete einen erheblichen Anstieg. Dieser Anstieg lässt sich nicht mit einem durch #MeToo und andere Kampagnen gesteigerten Anzeigeverhalten erklären. Morde an Frauen in Mexiko, in Kenia oder in anderen Ländern seien hier ebenfalls erwähnt. Ein solches Niveau hat die Gewalt gegen Frauen in Deutschland nicht, aber das entbindet niemanden davon, das Thema in der politischen Agenda ganz nach vorne zu stellen. Die Zahl der Plätze in deutschen Frauenhäusern ist viel zu niedrig, viel zu oft entscheiden Familiengerichte gegen die Mütter und zwingen diese, ihre Kinder zu den gewalttätigen Vätern zu bringen.

Mauern und Zölle nach außen – Geschlechterhierarchie nach innen

Thomas Greven analysiert in seinem Kommentar „Trump zum Zweiten: Ein Triumpf reaktionärer Bewegungen“ (in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Dezember 2024) „männliche Verlustängste“. Trump habe davon profitiert, dass „die amerikanische Politik (…) tribalisiert“ wurde, ein Gedanke, den Zygmunt Baumann in „Retrotopia“ (Berlin, edition suhrkamp, 2017) als grundlegendes Merkmal der Bewegungen der neuen Rechten formuliert. Thomas Greven schreibt: „Trump wurde zum Erfüllungsgehilfen im Kampf gegen kulturelle Veränderungen, insbesondere gegen LGBTQI-Rechte und die Herabstufung der traditionellen Rollen von Männern und Familien, obwohl er die Ängste der Traditionalisten mutmaßlich nicht teilt.“

Mauern und Zölle schotten nach außen ab, My Home is My Castle? In diesem Heim, in dieser Burg gelten wieder die als „traditionell“ markierten Werte. „Dies dürfte ein weiterer Grund dafür sein, dass Trump bei Latinos und Afroamerikanern besser punkten konnte als zuvor, obwohl er verbal immer wieder heftig gegen diese Gruppen austeilt. Auch ihnen gegenüber spielt er sich als Retter auf (…). Doch auch viele junge Männer fühlen sich davon angesprochen, angeheizt durch eine frauenfeindliche Influencer-Kultur in den sozialen Medien – deren Einfluss auf alle hier genannten Bewegungen kaum unterschätzt werden kann.“ Ähnliche Entwicklungen wären in Deutschland und in anderen europäischen Ländern durchaus denkbar, wie die Leipziger Autoritarismusstudien belegen. Die AfD könnte durchaus bei arabischen oder türkischen und anderen migrantischen Gruppen in Deutschland punkten. Maximilian Krah hat bereits seine Sympathie für Erdoǧans Politik bekundet und damit meinte er nicht nur dessen außenpolitische Vorstellungen.

Anastasia Tikhomirova berichtete im Juli 2024 in der ZEIT über Migrant:innen, die AfD wählen: „Mich wird niemand abschieben“. „In der AfD mehren sich derweil vereinzelt Stimmen, die für Allianzen mit islamisch-konservativen, teilweise gar islamistischen Kräften werben. Gemeinsamkeiten findet man im Hass auf den Westen, die LGBT-Bewegung oder den Feminismus. Gleichzeitig präsentiert sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm als islamismus- und islamkritische Partei. Etwa 50-mal werden darin Muslime und der Islam erwähnt, zumeist in negativem Zusammenhang. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach aus dem Jahr 2021 sehen 43 Prozent der Befragten die AfD als Vorreiterin im Kampf gegen Islamismus – weit vor anderen Parteien. ‚Dieses Angebot werden insbesondere konservative Parteien denjenigen Angehörigen von Minderheiten glaubhaft machen können, die häufig selbst am stärksten unter Islamismus leiden: Juden, Kurden, Jesiden‘, sagt Jannes Jacobsen vom Dezim-Institut.“ Linke und Grüne sollten in der Tat schleunigst damit aufhören, den Islamismus zu verharmlosen und – wie es leider immer wieder geschieht – diejenigen, die sich gegen Islamismus positionieren, als Rassisten zu markieren.

Optimismus Fehlanzeige?

Noch einmal zurück zum Thema Migration. Die Parallelen zwischen antimigrantischen, ausländerfeindlichen sowie antifeministischen, frauenfeindlichen Positionierungen sind eindeutig. Christoph Koopmann kommentierte in der Süddeutschen Zeitung die laut Autoritarismusstudie 2024 vor allem im Westen gestiegene Ausländerfeindlichkeit, Ost und West glichen sich einander an. Auf der einen Seite wurde festgestellt, dass die „Ausländerfeindlichkeit“ gewachsen sei, im Westen auf 19,3 Prozent, im Osten auf 31,5 Prozent. Dazu kommt die Frage, ob die Demokratie eine gute Staatsform sei. „Der Anteil der Befragten, die unzufrieden sind mit dem aktuellen Zustand der Demokratie, ist gewachsen – nur für knapp 42 Prozent ist die immer noch in Ordnung. Im Westen liegt der Wert knapp darüber (45,5 Prozent), im Osten sogar weit darunter (29,7 – so niedrig wie seit 18 Jahren nicht mehr). Dabei finden mehr als 90 Prozent der Befragten Demokratie als Idee grundsätzlich gut. Das Problem liegt also in der Praxis.“

Ich bin mir nicht so sicher, ob diese Schlussfolgerung stimmt. Welche Praxis wollen die Befragten? Wann ist nach ihrer Ansicht die Demokratie eine gute Staatsform? Trump, Orbán und andere bezeichnen sich durchaus als Demokraten, auch die verschiedenen rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Parteien in den westlichen Demokratien tun dies. Die Zahl derjenigen Menschen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, liegt jedoch laut Autoritarismusstudie 2024 in Deutschland unter fünf Prozent. Aber lässt sich dieses Ergebnis möglicherweise so interpretieren, dass rechtsextreme Einstellungen nicht mehr als solche erkannt werden? Und was verstehen diejenigen, die mit der Praxis der Demokratie nicht zufrieden sind, unter Demokratie? Was antworten wir jemandem, der sagt, er dürfe seine Meinung nicht mehr sagen und damit meint, er dürfe das „N-Wort“ nicht mehr aussprechen? Welche Antwort haben wir, wenn jemand meint, Moscheen müssten grundsätzlich geschlossen werden? Wie antworten wir, wenn jemand verlangt, alle seiner Auffassung nach zu wenig integrierten Menschen sollten das Land verlassen? Was „Integration“ bedeutet, bleibt in solchen Äußerungen ebenso diffus wie „Demokratie“. Und was sagen wir, wenn junge Männer meinen, ihre zukünftigen Frauen sollten sich zu Hause erst einmal um die Kinder kümmern? Sind „junge Männer rechts“ wie der AfD-Vorsitzende postulierte?

Vielleicht hilft ein Blick in die Shell-Jugendstudie 2024 (die Druckfassung erschien bei Beltz): Jugendliche sind an Politik interessiert, sie sind politischer als allgemein angenommen. Dies gilt vor allem für junge Frauen. „Themen, die in der öffentlichen Debatte häufig als ‚progressiv‘ eingeordnet werden, finden bei jungen Frauen deutlich mehr Beachtung als bei Männern. Ihnen ist Feminismus wichtiger (59 % zu 20 %), ebenso eine vielfältige, bunte Gesellschaft (72 % zu 56 %) und auch vegane Ernährung (21 % zu 7 %). Für junge Männer sind andere Themen relevant: Männlichkeit (67 % zu 20 %), sportliche Autos oder Motorräder (48 % zu 14 %), Wettbewerb (44 % zu 36 %) und Markenkleidung (44 % zu 35 %).“ Traditionelle Familienbilder sind nach wie vor jedoch verbreitet: „Im Westen favorisieren 52 % der Jugendlichen das Modell eines männlichen Allein- oder Hauptversorgers, im Osten lediglich 32 %.“

Liest man Shell-Jugendstudie und Autoritarismusstudie im Kontext, dürfte eigentlich klar sein, worauf wir in Zukunft achten sollten. Vielleicht sollten wir auch darauf hören, dass viele Jugendliche fordern, dass Fake News und Künstliche Intelligenz in Schulen gehören. Möglicherweise liegt da ein Schlüssel für die Zukunft. Aber beruhigen sollte uns das Ergebnis der Shell-Jugendstudie nicht. Sie bietet eine Momentaufnahme und die Frage, ob sich möglicherweise die Einstellungen von jungen Männern und jungen Frauen weiter auseinanderentwickeln, wird die kommenden politischen Debatten bestimmen. Es ist schon denkwürdig, dass dem Begriff des „Feminismus“ der Begriff des „Maskulinismus“ entgegengesetzt wird. „Feminismus“ wird zunehmend kritisch gesehen, „Maskulinismus“ hat sich noch nicht als Selbstbezeichnung durchgesetzt, die dahinterliegenden Einstellungen werden zunehmend populär. Aber wie gesagt, das ist eine Momentaufnahme.

Optimismus Fehlanzeige? In der Dokumentation „Old Man Trump”, die die Süddeutsche Zeitung einige Tage vor den Wahlen in den USA veröffentlichte, sprachen Christian Zaschke und Boris Hermann mit Nora Guthrie, der Tochter von Woody Guthrie. Sie sagte, mit der Amtseinführung Obamas habe der Backlash begonnen, und nannte den Augenblick, in dem Pete Seeger and Bruce Springsteen „This Land is Your Land” sangen. Daher der Titel des Kommentars von Christian Zaschke: „Trump ist die zwangsläufige Antwort auf Obama“. Er schreibt allerdings auch über die USA: „Sie sind ein Land mit einem unbezähmbaren Willen, seine Grenzen auszutesten, und das kann auf für alle Seiten verwirrende Weise heute hierhin führen, morgen dorthin. Es ist im Wesen dieses Landes angelegt, dass es sich dem Verständnis permanent entzieht. Doch immer, wenn es so aussieht, als hätten die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Mitte verloren, sind sie bereits auf dem Weg zurück dahin.“ Der Backlash vom Backlash? Das sollten wir nicht nur hoffen, sondern dafür sollten wir kämpfen. Die Themen liegen nicht nur auf dem sprichwörtlichen Tisch.

Norbert Reichel, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im November 2024, Internetzugriffe zuletzt am 26. November 2024. Titelbild: Hans Peter Schaefer aus der Serie „Deciphering Photographs“.)