Naive Parteien

Zu den Ergebnissen von drei Landtagswahlen

Drei Landtagswahlen – mit recht unterschiedlichen Ergebnissen. Im Saarland siegte die SPD mit absoluter Mehrheit, während die CDU abstürzte. In Schleswig-Holstein gewann die CDU ebenso deutlich wie die SPD verlor. In Nordrhein-Westfalen verlor die schwarz-gelbe Regierung ihre Mehrheit, einen Teil der FDP-Stimmen konnte die CDU auffangen und sich dadurch prozentual verbessern, obwohl auch sie angesichts der stark gesunkenen Wahlbeteiligung an Stimmen verlor. Die FDP schnitt in allen drei Ländern kurz über beziehungsweise kurz unter der magischen Fünfprozentmarke ab. Die Grünen schafften in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen ein Ergebnis, das sie in die Nähe der 20-Prozent-Marke brachte, in Nordrhein-Westfalen waren sie die einzige Partei, die nicht nur prozentual, sondern auch absolut an Stellen gewann, sie verpassten im Saarland jedoch – sicherlich nicht ohne Nachwirkung des Desasters vor der Bundestagswahl – die Fünfprozentmarke um 23 Stimmen. In Schleswig-Holstein verlor die AfD ihre Mandate, in den beiden anderen Ländern lag sie knapp über der Fünfprozentmarke. Ein Desaster waren alle drei Wahlen für die LINKE. Ihre Ergebnisse erreichten Regionen, in denen sonst immer die sonstigen Parteien zusammengefasst werden.

Ob diese Ergebnisse irgendeine Bedeutung für die zukünftige Bundespolitik haben, mag offenbleiben. Ich glaube nicht, dass eine der Wahlen eine Abstimmung über den Bundeskanzler beziehungsweise die Berliner Ampel gewesen ist. In Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen hatte die SPD für das Amt des Ministerpräsidenten zwei relativ unbekannte und wenig profilierte Männer aufgestellt, während sie im Saarland eine äußerst bekannte und profilierte Frau aufbot. Auch die Kandidaten der CDU in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen hätten keinen Charisma-Contest gewonnen, wirkten aber solide und Vertrauen erweckend. Sie profitierten von ihrem Amtsbonus, im Gegensatz zu ihrem Kollegen im Saarland, dessen Gegenkandidatin sehr profiliert auftrat. Ein Faktor für die Erfolge der CDU ist nicht nur die Schwäche der SPD, sondern auch der Vorsitzende Friedrich Merz, dem es wohl gelingt, die wirtschaftsliberalen Stimmen wieder einzusammeln, die die CDU in vorangegangenen Wahlen an die FDP verloren hatte. Die guten Ergebnisse der Ministerpräsidenten der CDU in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein erfreuen manche Kommentator*innen vor allem deshalb, weil sie Konkurrenten für Friedrich Merz als Kanzlerkandidat der Union gefunden zu haben glauben.

Vor allem sollte uns jedoch interessieren, dass es Themen gab, die in den Wahlkämpfen nur eine Nebenrolle zu spielen schienen, obwohl sie eigentlich Kernthemen einer zeitgemäßen Politik in Deutschland, in Europa, in der Welt sein sollten. Es gab immer wieder Debatten, die sich aus dem Angriffskrieg Putins in der Ukraine ergaben, aber im Großen und Ganzen wurden die Themen Klimakrise, Migration und soziale Gerechtigkeit nur am Rande berührt. Die bloße Forderung nach einer Energiewende macht noch keine konsistente Klimapolitik, zumal die Länder wenig Spielräume haben, wenn die Bundespolitik ihnen diese nicht lässt.

Mehr oder weniger unbeachtet blieb die Meldung der World Meteorological Organisation, dass eine Erwärmung des Planeten Erde um 1,5 Grad Celsius in den nächsten fünf Jahren zumindest teilweise erreicht werden dürfte und dass eine Erwärmung um mehr als 2 Grad immer wahrscheinlicher wird. Das Migrationsthema beschränkte sich auf die Geflüchteten aus der Ukraine. Völlig vernachlässigt wurde die Frage, was mit all den aus arabischen, asiatischen und afrikanischen Ländern Geflüchteten geschieht, die schon seit Jahren auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung warten. Wie der Fachkräftemangel behoben werden soll, wenn Menschen, die bereit wäre zu arbeiten, nicht arbeiten dürfen und ihre Berufs- und Studienabschlüsse nicht anerkannt werden, bleibt ein Geheimnis.

Das entscheidende Manko scheint mir jedoch darin zu bestehen, dass die soziale Situation derjenigen, die von Hartz IV leben, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen leben, die das Monatsende mehr fürchten als Krieg und Klimakrise, kaum eine Rolle zu spielen scheint. Die Forderung, dass es bei allen Notwendigkeiten zur Bewältigung der Klimakrise eine soziale Absicherung geben muss, wirkt in den Parteiprogrammen von SPD und Grünen immer so, als schiebe das schlechte Gewissen sie noch schnell hinterher, bevor man wieder zur üblichen Tagesordnung zurückkehrt. Die Linke hätte diese Themen durchaus in die Debatte einbringen können, hatte in Nordrhein-Westfalen auch sehr ansprechende Plakate, doch stattdessen stritt sie sich über Krieg und Frieden, den Umgang mit sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen und ob ihr eigenes Spitzenpersonal geeignet wäre.

Es gibt viele Menschen, die von keiner der demokratischen Parteien mehr vertreten werden. Die LINKE ist angesichts ihrer suboptimalen Performance für sie schon lange kaum noch von Interesse. Erhöhung des Mindestlohns, Grundsicherung, bezahlbare Mieten – all das wird in den Parteiprogrammen angesprochen, ist auf Bundesebene auch im Koalitionsvertrag angedacht, aber scheint die Menschen, die es betrifft, nicht zu erreichen. Für die SPD kaum noch ein Thema? Die Grünen sind eine bürgerliche, im Grunde linksliberale Partei, die Zeiten eines Norbert Blüm oder Hans Katzer gehören in der CDU längst der Vergangenheit an und die FDP hat nie einen Hehl aus ihrer neoliberalen Gesinnung gemacht.

Die Krise der LINKEN ist eben auch eine Krise der Sozialpolitik. Dass diese Krise unsere freiheitliche Demokratie nicht destabilisiert, hat vielleicht auch damit zu tun, dass die AfD in Deutschland bei Weitem nicht die Popularität des französischen Rassemblement National erreicht und auch keine rechtspopulistische Partei nach dem Muster der ungarischen FIDESZ oder der polnischen PiS in Sicht ist, die ihre jeweilige Wiederwahl mit umfangreichen Sozialprogrammen gesichert haben.

Prekäre Verhältnisse, Vernachlässigung von Sozialpolitik – das ist nicht nur ein deutsches oder europäisches Problem. Es gab mal den Satz von der Weltinnenpolitik, die ich als Weltsozialpolitik wieder in Erinnerung rufen möchte. Was heißt dies für Afrika, für Asien, für Lateinamerika, für den Süden des Planeten Erde? Die WHO und die deutsche Außenministerin haben auf die drohende Hungerkrise in Folge des russischen Angriffskriegs hingewiesen, Putin lässt Weizendepots und Weizenfelder bombardieren, der Hafen von Odessa ist blockiert. Ist Autarkie eine Lösung? Was im Westen, auch in Indien und China jedoch durch Exportverbote kompensiert werden könnte, wird in Afrika zu Hungersnöten führen und damit letztlich auch zu mehr Migration. Der Klimawandel wird das Seine hinzutun, Parag Khanna hat dies in seinem 2021 erschienenen Buch „Move – Das Zeitalter der Migration“ eindrucksvoll dargestellt. Die Klimakrise ist eine Krise sozialer Ungleichheiten und wenn wir nicht die Chancen der Migration nutzen, werden sich beide Krisen gegenseitig verstärken.

Anders gesagt: die Globalisierung ist nicht tot. Im Gegenteil: wir brauchen sie, aber die Bedingungen müssen neu ausgehandelt werden. Amrita Nariklar, Präsidentin des Institute for Global and Area Studies in Hamburg hat am 13. Mai 2022 in einem Interview für den Berliner Tagesspiegel mehr als deutlich gesagt, dass der Westen gegenüber Indien und anderen Ländern sehr diversifiziert auftreten müsse, einschließlich der Unterstützung dieser Länder bei einer Diversifizierung ihrer Waffeneinkäufe. Das eine hat viel mit dem anderen zu tun. Wer dafür sorgen will, dass Putin mit seinem Angriffskrieg keinen Erfolg hat, muss vor allem die Länder gewinnen, die sich in der UNO bei einer Verurteilung von Putins Angriffskrieg enthalten haben. Die Gefahr: „Die Armen zahlen für die Sanktionen des Westens.“ Aber dies könnte verhindert werden: Kurzfristig sollten die wichtigsten Industriestaaten sicherstellen, dass mehr Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt werden. Viele Länder werden in Versuchung geraten, Exportbeschränkungen zu erlassen, damit die knapp gewordenen Lebensmittel im eigenen Land bleiben. Die G7-Staaten sollten sich verpflichten, das selbst nicht zu machen, und auch an andere zu appellieren, nicht diesen Weg zu gehen, einschließlich Länder der EU.“

Fazit: die Landtagswahlkämpfe kratzten an der Oberfläche. Und vielleicht ist dies auch ein Grund für die dramatisch eingebrochene Wahlbeteiligung in Nordrhein-Westfalen, vielleicht. Und die Klimakrise werden wir nur bewältigen, wenn wir auch die Krise des Sozialen bewältigen, in Deutschland mit einem stets offenen und empathischen Blick auf die Geschehnisse und Entwicklungen in anderen Ländern des Planeten Erde.

Norbert Reichel, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Mai 2022, Internetlinks wurden am 26. Dezember 2022 überprüft. Titelbild: Hans Peter Schaefer.)