Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

zentrales Thema des Demokratischen Salons der vergangenen Wochen war die digitale Veranstaltung „Verfemte Literatur in der DDR – ein Gespräch mit Ines Geipel“ am 21. Januar 2021, 18 – 20 Uhr, die ich als gemeinsame Veranstaltung des Demokratischen Salons und des Instituts für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn in Kooperation mit Bundesstiftung Aufarbeitung und Theatergemeinde Bonn angeboten habe. Allen Mitwirkenden und Teilnehmenden ganz herzlichen Dank. Eine Dokumentation bereite ichvor. Über weitere Texte zum Thema im Demokratischen Salon habe ich Sie /euch in den letzten beiden Newslettern bereits informiert.

Nächste Veranstaltung:

  • Einladen darf ich zu einer weiteren digitalen Veranstaltung am 16. Februar, 18 – 19 Uhr. Initiator und Gastgeber ist diesmal die Bundesstiftung Aufarbeitung. Ich habe die Ehre, zum Thema „Transformationsprozesse im Bildungswesen seit 1989/90“ ein Gespräch mit Herrn StS a.D. Dr. Jan Hofmann (Bildungspolitischer Sprecher am Zentralen Runden Tisch, Staatssekretär in Sachsen-Anhalt 2011-2016), Frau Dr. Margot Metzner (Pädagogin und langjährige Leiterin der Volkshochschule Suhl) und Frau Dr. Judith Enders (Politikwissenschaftlerin und Mitbegründerin der Initiative „Dritte Generation Ostdeutschland“) zu moderieren. Im Mittelpunkt des Gesprächs stehen die Perspektiven von Zeitzeugen, die diese Umbrüche in Politik, Verwaltung und Bildungseinrichtungen miterlebt und mitgestaltet haben. Durchaus kontrovers sollen folgende Fragen diskutiert werden: Welche Voraussetzungen brachten die Bildungssysteme der DDR und der Bundesrepublik Deutschland mit und welche Ideen wurden am „Runden Tisch“ entwickelt und in den Einigungsvertrag einbezogen? Wie verlief die Umgestaltung in bestimmten Bereichen, etwa im Schulwesen? Welche inhaltlichen und personellen Veränderungen und Kontinuitäten gab es? Und schließlich bleibt zu fragen, welche Folgewirkungen der Transformationsprozess hat und wie er aus heutiger Sicht zu bewerten ist. Ich würde mich sehr freuen, Sie begrüßen zu dürfen. Das Programm finden Sie hier, den livestream hier.
  • Zur Einstimmung in die Veranstaltung „Transformationsprozesse im Bildungswesen seit 1989/90“ habe ich ein Gespräch mit Dr. Jan Hofmann über ostdeutsche Bildungspolitik veröffentlicht. Motto des Gesprächs: „Vier Monate Fantasie – und dann?“ Dr. Jan Hofmann war bildungspolitischer Sprecher am Zentralen Runden Tisch der DDR in den wenigen Monaten zwischen Mauerfall und der ersten und einzigen demokratischen Wahl zur Volkskammer. Damals entwickelten die Gruppen der Bürgerrechtsbewegung gemeinsam mit den Parteien eine Fülle innovativer und weitreichender Reformideen, die jedoch mit der Wahl weitestgehend wieder verschwanden. Viele dieser Ideen hätten auch dem „Westen“ gut getan. Gleichwohl hat sich aus dieser Zeit die Zuversicht gehalten, dass es möglich sein muss und kann, durch intensive Beteiligung der Bürger*innen die Dinge zum Guten zu verändern. Wie dies gelingen kann, erläutert Jan Hofmann am Beispiel der Zeit zwischen 2011 und 2016, in der er als Staatssekretär in Sachsen-Anhalt für Schulen und Kultur zuständig war. Das vollständige Interview finden Sie hier.

Weitere Texte im Demokratischen Salon:

  • In dem Essay „Niemals Täter – Die dunkle Seite der Weizsäcker-Rede vom 8. Mai“ gehe ich der Frage nach, warum diese Rede mit der Bezeichnung des 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ zwar ein „Meilenstein“ in der deutschen Erinnerungskultur war, jedoch eben auch nur ein „Meilenstein“ auf einem langen Weg, der noch nicht zu Ende gegangen worden ist, sofern er überhaupt ein Ende haben kann. Ich habe die Rede gegen den Strich gelesen. Richard von Weizsäcker hat sich zwar um die Anerkennung der Opfer verdient gemacht, aber die Verantwortung und Schuld der Täter*innen beschwiegen. Er zählte die Deutschen pauschal unter die Opfer und schrieb die Schuld an dem Terror der Nazis und an der Shoah mehr oder weniger ausschließlich einem einzigen Menschen zu. Doch was haben die Deutschen in den Jahren 1933 bis 1945 dazu beigetragen, dass das Menschheitsverbrechen der Shoah, dieser „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) überhaupt möglich war? Diese Frage bedarf einer offenen und ehrlichen Debatte. Den vollständigen Essay finden Sie hier.
  • Der Essay „Die Sache ohne Punkt – Zur Psychologie der Erinnerung an die Shoah“ stellt zwei Bücher vor, deren Lektüre ich sehr empfehle. Der Verlag Hentrich & Hentrich veröffentlichte den Sammelband Erinnern und Vergessen“. Der Band wurde von der Zentralwohlfahrtsstelle des Zentralrats der Juden herausgegeben. Themen der Beiträge sind Zugänge zur Erinnerung der Opfer sowie Gedanken zur Wirksamkeit der aktuellen Erinnerungskultur in Deutschland. Diese ignoriert die Täterschaften weitgehend. Etwa ein Drittel der Befragten der aktuellen MEMO-Studie glauben, dass ihre Eltern und Großeltern Opfer waren. Ebenso glauben viele, dass sie Juden*Jüdinnen geholfen hätten. Die Autor*innen des Buches stellen Methoden einer differenzierten und ehrlichen Erinnerungsarbeit vor wie das „Zeitzeugentheater“. Der Band enthält Einschätzungen und Perspektiven zur Praxis und Wirksamkeit von Gedenkstätten, Mahnmalen sowie der Beteiligung von Zeitzeug*innen. Der Titel des Essays bezieht sich auf den letzten Absatz des Buches „Die Sache zwischen uns – Israel, die Juden und die Deutschen“ von Anna-Patrizia Kahn. Solange das Thema der Täterschaft nicht bedacht wird, kann Erinnerungskultur nicht nachhaltig dazu beitragen, Antisemitismus zu verhindern. Die Mehrheitsgesellschaft verlangt hingegen Wohlverhalten, Schweigen über die Vergangenheit, Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten, verkehrt das Verhältniss zwischen Opfern und Täter*innen. Den vollständigen Essay finden Sie hier.
  • Eine zweite Amtszeit von Donald J. Trump blieb uns erspart, vorerst. Bei einer neuerlichen Lektüre der Schrift von Karl Marx „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ hatte ich das, was man*frau ein Aha-Erlebnis nennen könnte. Ergebnis ist der Essay: „Der 18. Brumaire des Donald J. Trump – Warum Demokrat*innen einen Strategiewechsel erwägen sollten“. Karl Marx beschreibt nicht nur das Vorgehen des Donald J. Trump, sondern auch, warum seine Gegner*innen 2016 scheiterten und beinahe auch 2020 gescheitert wären. Diese Erkenntnis lässt sich auf viele andere aktuelle Politiker (fast ausnahmslos Männer) übertragen. Leo Löwenthal hat diesen Typus in „Falsche Propheten“ als „Agitator“ bezeichnet, dem es durch inszenierte Grandiosität gelingt, seine Anhänger*innen zu mobilisieren. Gleichzeitig inszeniert der „Agitator“ die Grandiosität seiner „Feinde“, sodass es ihm gelingt, sich als rettenden Messias anzubieten. Demokrat*innen brauchen gegen ein solches Vorgehen einen Strategiewechsel. Dies lässt sich mit Analysen von Madeleine Albright und David Runciman begründen. Die Unzulänglichkeit demokratischer Strategien ist ein Grund dafür, dass es „Agitatoren“ nach wie vor gelingen kann, die Macht zu erlangen, ohne Putsch, auf sanfte schleichende Art. Den vollständigen Text finden Sie hier.
  • Zur Pandemie habe ich den Essay „Bildungsreform oder Bildungsproletariat? Zwei Szenarien sich abzeichnender Kollateralschäden der Pandemie“ veröffentlicht. Es geht meines Erachtens nicht darum zu debattieren, ob und wann Schulen und Kindertageseinrichtungen öffnen, sondern wie. Wir dürfen angesichts der verpassten Digitalisierung, der versäumten Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte, der ignorierten Kollateralschäden des sogenannten „Lockdowns“ bei Kindern und Jugendlichen sowie der unpädagogischen Debatten der amtierenden Schulminister*innen im Sommer 2021 nicht zur Tagesordnung übergehen. Wenn es nicht gelingt, Kinder und Jugendliche in Kleingruppen wieder behutsam zu unterstützen, das Versäumte aufzuarbeiten, wenn es nicht gelingt, Schule wieder zu einem Ort des Lebens zu machen, in dem kulturelle und interkulturelle Bildung, der Besuch außerschulischer Lernorte, Betriebs- und Sozialpraktika, außerunterrichtlicher Schulsport und vieles mehr das Aufwachsen junger Menschen, gerade und auch in der Schule, prägen, riskieren wir ein Bildungsproletariat. Die Schule verliert ihre Seele, viele Kinder und Jugendliche verlieren die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Um Lehrer*innen und den vielen an Schule beteiligten Fachkräften die Zeit zu geben, diese Ziele zu erreichen, sollten die Länder in den kommenden Jahren auf Schulinspektionen, bundes- und landesweite Testverfahren verzichten und Kindern und Jugendlichen die Chance zu geben, sich die Zeit zu geben, die sie brauchen. Individualisierte Lernzeiten und hybride Unterrichtsformen können dabei helfen. Mein Text ist ein Plädoyer für eine pädagogische Wende, eine Bildungsreform, die den Namen verdient.

Weitere Empfehlungen:

  • Thema Shoah I: MOCAK, das Museum für Gegenwartskunst in Krakau und das Museum Zentrum für verfolgte Künste Solingen haben gemeinsam die Anthologie „Polyphonie des Holocaust – Stimmen zur Erinnerungskultur“ herausgegeben. Maria Anna Potocka, Leiterin des MOCAK, firmiert als Herausgeberin, sie hat das Buch gemeinsam mit Jürgen Kaumkötter, dem Direktor des Museums Zentrum für verfolgte Künste gestaltet. Das Buch ist im Wallstein Verlag, Göttingen erschienen. Es enthält Statements von 81 Intellektuellen, Künstler*innen, Historiker*innen und Politiker*innen aus Deutschland, Israel und Polen, darunter beispielsweise Bazon Brock, Jochen Gerz, Michel Kichka, Sylvia Löhrmann, Claudia Roth, Olga Tokarczuk und viele andere (ich durfte auch einen Beitrag leisten). Das Buch kann bei Verlag und in ihrer Buchhandlung erworben werden: Polyphonie des Holocaust | Wallstein Verlag (wallstein-verlag.de).
  • Thema Shoah II: Ich empfehle die Video-Aufzeichnung des Zoom-Webinars zum 79. Jahrestag der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 2021 zum Thema Antisemitismus und Shoah. Zwischen Historisierung und Gegenwartsbezug„.  Es handelt sich umein Gespräch zwischen Marina Chernivsky, Eva Gruberová und Prof. Dr. Michael Wildt, der zuvor einen Einführungsvortrag zu „Antisemitismus und Shoah“ hielt. Die Veranstaltung wurde von Deborah Hartmann, der neuen Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz moderiert. Samuel Salzborn sprach ein Grußwort.
  • Thema Shoah III: Digitales Shoah-Denkmal – machen Sie mit. Die über Jahrzehnte gesammelten Akten der „Arolsen Archives“ werden weltweit zugänglich gemacht. Ob Deportationslisten, Vermerke über Todesmärsche oder Häftlings-Personal-Karten: beim Digitalisieren kann jede*r mitmachen und so das digitale Shoah-Denkmal „Every Name Counts“ mit aufbauen. Diese Information entnahm ich dem Newsletter des Tagesspiegel zum Berliner Bezirk XHain.
  • Thema Sinti und Roma, Antiziganismus: Gerade erschienen ist „newess“, herausgegeben vom Zentralrat der Sinti und Roma. Das Heft enthält zahlreiche Hinweise zu aktuellen Entwicklungen aus verschiedenen Ländern, Rezensionen von neu erschienenen Büchern sowie einen grundlegenden Text zum Thema Pandemie und Menschenrechte mit dem Titel „Gleichmacher Corona?“. Eine der Entwicklungen: „Die Pandemie verschärft soziale Ungleichheit und lässt den allgegenwärtigen Antiziganismus noch deutlicher zu Tage treten. Download hier.
  • Thema Rassismus I: Die Bildungsstätte Anne Frank bietet in der Broschüre „Deutscher Kolonialismus – ein vergessenes Erbe?“ Begriffsdefinitionen, Hintergrundinformationen sowie pädagogische Vorschläge zum Themenkreis Rassismus im Kontext von Kolonialismus und Post-Kolonialismus. Die Autor*innen dokumentieren, wie mit „WortGewalt“ und „Bilderwelten“ heute noch Verbrechen der Kolonialzeit bagatellisiert und gesellschaftliche und politische Debatten über die sogenannten ehemaligen „Kolonialländer“ belastet werden.
  • Thema Rassismus II: Auf der Seite der Aktion Sühnezeichen sind Interviews, Materialien und vieles mehr zu finden, u.a. das aktuelle Themenheft „Rassismus in unserer Gesellschaft“ von ASF mit Artikeln zu u.a. Anti-Schwarzem Rassismus, einem Glossar zu relevanten Begriffen der Rassismus-Debatte, postkolonialen Perspektiven. Es enthält auch methodische Hinweise für Bildungsprozesse- und veranstaltungen.
  • Thema Rassismus III: Karim Fereidooni und seine Kolleg*innen haben im Springer Verlag eine neue Reihe aufgelegt. Einer dieser Bände ist der von ihm gemeinsam mit Nina Simon herausgegebene Band „Rassismuskritische Fachdidaktiken“. Aus der Analyse verschiedener Unterrichtsfächer werden Möglichkeiten der Veränderung der jeweiligen Unterrichtsfächer abgeleitet. Gemeinsam mit Y. Akbaba und B. Bello hat Karim Fereidooni das Buch „Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse“ herausgegeben. Thema sind Bildungsinstitutionen, Schulbücher und andere fachdidaktische Materialien sowie fachdidaktische Konzepte, jeweils unter dem Gesichtspunkt einer diversitätsdifferenzierenden Sichtweise. In einem weiteren Band der Reihe präsentiert A. Karabalut „Rassismuserfahrungen von Schüler*innen“. Weitere Bände dieser Reihe werden vorbereitet, darunter auch ein Band zum Thema „Soziale Arbeit und Antiziganismus“.
  • Thema Integration: In ihrem Essay „Das Lieblingskleid im Keller“ plädiert Didem Ozan für die Anerkennung von Mehrsprachigkeit. Viel zu oft werden Sprachen, die Zuwanderer*innen in der Familie sprechen, abgewertet. Die Muttersprache ist „kulturelles Menschenrecht“. Aber statt Anerkennung verstecken sich viele Kinder in einer „ prophylaktische(n) Einsprachigkeit“. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass niemand eine Sprache lernen kann, wenn er alle anderen Sprachen verleugnet. Hier der Text.  Zu diesem Thema lohnt sich vielleicht auch ein Blick in das bereits 2019 von mir veröffentlichte Gespräch mit Christiane Bainski. Der programmatische Titel: Die Würde des Menschen ist unantastbar
  • Thema Multilateralismus: Am 26. Januar 2021 diskutierten Madeleine Albright, Joschka Fischer, David Miliband und Patricia Espinosa Cantillano über die Frage der Zukunft weltweiter multilateraler Zusammenarbeit, die Rolle der Demokratien und die Notwendigkeit einer humanitären Wende aktuellen Regierungshandelns. Es lohnt sich, die etwa 90minütige Konferenz zu verfolgen: Einstein Humanitarian Dialog – Aufzeichnung vom 26. Januar 2021 | IRC Deutschland (rescue.org) David Miliband sprach als Präsident des 1933 auf Anregung von Albert Einstein gegründeten International Rescue Commitee, das u.a. Prüfsteine zur Bundestagswahl 2021 vorgelegt hat: IRC D Forderungskatalog Bundestagswahl_final.pdf (rescue.org).
  • Auch mal etwas Entspannendes: In einer Zeit, in der wir nicht verreisen, sollten wir uns auf anderen Wegen entspannen. Ich empfehle die Seite Drive and Listen, über die Sie / ihr eine Autofahrt (geht auch langsam, sodass Sie / ihr denken könnt, es wäre ein Fahrrad) durch Ihre / eure Lieblingsstädte genießen dürft, auch mit dem üblichen großstädtischem Lärm. Den Hinweis verdanke ich dem täglichen Newsletter des ZEITmagazins vom 5.2.2021.

Viel Gewinn beim Lesen und Nachdenken! Mein herzlicher Dank gilt all denen, die mich auf die ein oder andere der oben genannten Empfehlungen hingewiesen haben. Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf den Demokratischen Salon hinweisen.

In etwa vier Wochen melde ich mich wieder.

Ich grüße Sie / euch alle herzlich.

Ihr / Euer Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte ich um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.