Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

für die Septemberausgabe des Demokratischen Salons hatte ich Lamya Kaddor und Katrin Uhlig interviewt, die sich beide um ein Mandat im Deutschen Bundestag bewarben. Beide waren erfolgreich, Katrin Uhlig errang in Bonn sogar das Direktmandat. Herzlichen Glückwunsch.

In der Oktoberausgabe finden Sie zwei Begegnungen, drei Essays und eine Rezension, wie gewohnt zu Themen, zu denen sich zu streiten lohnt. Und immer wieder geht es um Bilder, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen müssen, Bilder vom Islam, vom Marxismus, von Wegen und Irrwegen in der SPD, von Geschichte und Traditionen, nicht zuletzt von Gefühlen, die uns in die Irre leiten, wenn wir nicht aufpassen.

Das Editorial:

Politischer Streit ist unbeliebt. Wenn sich Protagonist*innen einer Partei streiten, verliert diese Partei in der Regel Zustimmung und Stimmen. Harmonie ist gefragt, Streit hingegen wird mit Handlungsunfähigkeit verwechselt. Parteien werden jedoch meines Erachtens erst handlungsfähig, wenn es Streit gibt, intern sowie zwischen verschiedenen Parteien. Das gilt auch für Regierungen, gleichviel wie viele Parteien sich dort zusammenfinden.

Artikel 21 Grundgesetz ist eigentlich ganz klar. Absatz 1, Sätze 1 bis 3 lauten: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen.“ In den folgenden Sätzen und Absätzen des Artikel 21 geht es um die Transparenz der Finanzierung der Parteien sowie um die Frage, wann eine Partei „verfassungswidrig“ ist und daher verboten werden könnte. Dies ist die einzige Grenze des Streits: der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ist unverhandelbar. Die Entscheidungshoheit über die Feststellung der „Verfassungswidrigkeit“ und den Entzug staatlicher Finanzierung liegt beim Verfassungsgericht.

Die „politische Willensbildung des Volkes“ kann nicht von oben dekretiert werden. Die „Parteien“ sind Mittler zwischen Volk und Regierung, einerseits, indem sie in den Parlamenten entscheiden, wie die Regierung zu handeln habe, andererseits, indem sie sich um die Stimmen der Bürger*innen bewerben, über die sie einen möglichst großen Handlungsspielraum bei der Umsetzung ihres Programms erhoffen. Demokratischer Zentralismus wäre das Gegenteil der vom Grundgesetz geforderten „demokratischen Grundsätze“. Innerparteilich bedeutet dies, dass die Aufteilung einer Partei in Untergruppen, Ausschüsse, Arbeitsgemeinschaften, die alle ihr Recht auf Mitwirkung an der Willensbildung wahrnehmen, eine Grundbedingung für eine partizipativ angelegte Demokratie im Sinne des Grundgesetzes ist.

Wir sollten daher begrüßen, wenn sich Parteien nicht nur miteinander, sondern auch intern streiten. Das sollten sie im Übrigen unabhängig von Wahlergebnissen tun. Und nach der Wahl ist vor der Wahl. Da es bisher in der Bundesrepublik Deutschland nur ein einziges Mal vorkam, dass auf Bundesebene eine Partei die absolute Mehrheit errang, gab es immer Koalitionen.

Eine Regierung mit mehr als zwei Fraktionen ist in Deutschland ungewöhnlich. Aber warum eigentlich? Natan Sznaider hat seinem Leitartikel für die Jüdische Allgemeine vom 7. Oktober 2021 die Überschrift „Kunst des Koalierens“ gegeben. Im deutschen Parlament gibt es sechs Fraktionen, in der israelischen Knesset 13, von denen nur zwei über eine zweistellige Zahl von Mandaten verfügen, der Likud um Benjamin Netanjahu mit 30 und Jesch Atid, die Zukunftspartei, um Jair Lapid mit 17 Mandaten. Die Regierung wird in Israel von acht Parteien gebildet, der Ministerpräsident gehört nicht der stärksten Partei an, in der Mitte der Legislaturperiode ist ein Wechsel vorgesehen.

Natan Szaider nennt die von Naftali Bennett geleitete Regierung „eine Neuerfindung. Es gibt nicht viel Gemeinsames außer das Miteinander gegen Netanjahu.“ Doch bei dieser reinen Anti-Haltung bleibt es natürlich mit der Zeit nicht, aber wie kann das funktionieren? „Bei der Koalition in Israel geht es daher eher um Kategorien wie Selbsteinschätzung und Selbstwertgefühl. Das sind Fragen, die wohl auch in Deutschland eine viel größere Bedeutung haben werden als die klassischen politischen Selbstbeschreibungen. Gängige Positionen wie links, rechts oder liberal sind hier nicht mehr anwendbar, eher wohl die neue Formel der Postdemokratie.“

In Deutschland gäbe es durchaus mehrere Varianten für eine Koalition verschiedener demokratischer Parteien. Auch eine Minderheitsregierung wäre denkbar. In anderen Ländern ist das durchaus üblich, zurzeit beispielsweise in Spanien. In Deutschland hat Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2010 bis 2012 gute Erfahrungen mit einer Minderheitsregierung gemacht, und in Thüringen scheint dies zurzeit auch zu funktionieren. Eins wird jedoch nicht mehr möglich sein: es lässt sich mit Sicherheit nicht alles, was in der Legislaturperiode geleistet werden soll, in einem Koalitionsvertrag regeln lassen. Einem solchen Vertrag droht das Schicksal des Songs „Von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ aus der Dreigroschenoper: „Ja mach nur einen Plan, / sei nur ein großes Licht, / und mach noch einen zweiten Plan / gehen tun sie beide nicht.“

Ich wünsche mir von einer neuen Regierung Mut zu neuen Plänen, Experimentierfreude und einen Abschied von sogenannten roten Linien. Kompromisse dürfen nicht als „faul“ diffamiert werden, gleichzeitig sollten sie immer als vorläufige Kompromisse verstanden werden, und Minister*innen brauchen Spielräume. Das heißt nicht, dass in der Regierung die eine Partei für den Klimaschutz, die andere für die Migrationspolitik zuständig ist wie dies bisher in Österreich der Fall ist und beispielsweise in Hessen praktiziert wird. Umso wichtiger sind klare Absprachen über die Verfahren eines Streits. Streit sollte offen ausgetragen werden, Entscheidungen fehlerfreundlich getroffen, die Bürger*innen sollten Streit und fehlerfreundliche Vorläufigkeiten respektieren, über Risiken diskutieren. Vielleicht sollten wir in Deutschland etwas von Israel in Sachen Demokratie lernen. Denn eines hat die israelische Regierung geschafft: die gegenseitige Blockade, die zu vier Wahlen in zwei Jahren führte, wurde überwunden. Streiten werden sie auch weiterhin.

Michel Friedman brachte dies in seinem Buch „Streiten? Unbedingt!“ (Berlin, Dudenverlag, 2021) auf den Punkt: „Konsens belohnt den Opportunismus. Er belohnt die Kritiklosigkeit. Er belohnt die Beliebigkeit. Er bedroht sogar den Fortschritt. Er bedroht den Widerspruchsgeist. Er bedroht die Individualisierung des Denkens. Er bedroht den kreativen Wahnsinn.“ Und das brauchen wir vielleicht heute, innen- wie außenpolitisch, „kreativen Wahnsinn“!

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Rubriken Liberale Demokratie und Migration: Mit dem Islamwissenschaftler Michael Kiefer habe ich über „Die Vielfalt der Bilder“ gesprochen, die wir uns vom Islam machen, die aber nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen müssen. Viele Stereotype, die heute Muslim*innen im Besonderen und dem Islam im Allgemeinen zugeschrieben werden, lassen sich bereits in einer etwa 140 Jahre alten Kontroverse zwischen Ernest Renan und Dschamal al-Din al-Afghani finden, die Rückbesinnung auf den Islam in seiner Urform ist bei Weitem nicht immer djihadistisch konnotiert. Michael Kiefer erläutert die historischen Wurzeln von Salafismus und Wahhabismus sowie deren Auswirkungen auf die heutige Praxis des Islam. Berechtigt ist die in einer Kontroverse zwischen Gilles Kepel und Olivier Roy gestellte Frage, ob wir heute eine Islamisierung der Radikalität oder eine Radikalisierung des Islam erleben. Aus seinen Erfahrungen mit verschiedenen Präventionsprojekten kann Michael Kiefer berichten, dass es bei Radikalisierungsprozessen in erster Linie gelingen muss, den Kontakt zu den gefährdeten jungen Menschen zu halten. Auch islamischer Religionsunterricht kann dazu beitragen. Das komplette Gespräch finden Sie hier.
  • Rubriken Kultur und Treibhäuser: Haben Karl Marx und Friedrich Engels eine Gebrauchsanweisung für die Gründung und Ausgestaltung eines Staates geschrieben? Oder ist das, was sie schrieben, eher als Methode zu verstehen, die Welt zu interpretieren, auch wenn die elfte Feuerbachthese etwas anderes vermuten lässt? Und wie dialektisch denken und dachten Menschen, die sich auf Karl Marx, Friedrich Engels und andere Theoretiker*innen des Sozialismus berufen? Mit Jürgen Repschläger, genannt Repi, Inhaber des Antiquariats Walter Markov, habe ich diese und andere Fragen erörtert. Der Titel der Dokumentation des Gesprächs: „Der ideelle Gesamtmarxist“. Repi berichtet, wie ihn ein Zufall in den Besitz von 60.000 Büchern aus DDR-Produktion brachte, die dann der Grundstock des Antiquariats wurden, das er und seine Partnerin Esther nach einem Widerstandskämpfer benannten, der sich nicht nur mit den Nazis, sondern auch mit der SED anlegte. In unserem Gespräch stellt Repi seine Initiative für ein Exil-Museum in Bonn vor, wir träumen beide davon, dass es mehr Streitgespräche geben möge, so wie in den Clubs Voltaire vergangener Zeiten. Lesetipps ergänzen unsere Analyse. Das komplette Gespräch finden Sie hier.
  • Rubrik Liberale Demokratie und Treibhäuser: Der Wahlerfolg der SPD bei der Bundestagswahl 2021 hat manche verwundert. Aber ist er ein Signal für eine Renaissance sozialdemokratischer Politik? Wer diese Frage beantworten möchte, sollte das 2010 erschienene Buch von Franz Walter, „Vorwärts oder abwärts? – Zur Transformation der Sozialdemokratie“ In meinem Essay „Vorwärts und längst vergessen? – Kurze Geschichte einer sozialdemokratischen Erzählung“ habe ich versucht, Franz Walters Thesen fortzuschreiben und bin dazu tiefer in die Vergangenheit der Sozialdemokratie eingetaucht. Franz Walter diagnostiziert den Einstieg in die Neoliberalisierung sozialdemokratischer Politik mit dem Jahr 1973, aber dieses Jahr hatte eine Vorgeschichte. Was ist mit der Zeit aus sozialdemokratischen Idealen geworden? Was wurde aus einem Politikverständnis, das Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik als Gesellschaftspolitik verstand? Warum verschwanden die sozialdemokratischen Milieus, die die Partei so stark machten? Warum spielte der Begriff der „Solidarität“ im Wahlkampf 2021 keine Rolle? Und welche Rolle spielte in den vergangenen 20 Jahren Olaf Scholz? Den kompletten Essay finden Sie hier.
  • Rubriken Treibhäuser und Weltweite Entwicklungen: In dem Essay „Wohlige Wärme – In der ‚Mitte‘ und an den ‚Rändern‘ der Gesellschaft“ versuche ich, ausgehend von Zygmunt Baumans „Retrotopia“ einige politische Kampfbegriffe zu analysieren. Zygmunt Bauman diagnostiziert eine Neigung zur Versammlung um ein „Stammesfeuer“, das alle, die sich dort nicht versammeln sollen, ausschließt. Eine Autor*innengruppe rund um die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main hat in ihrem Buch „Extrem unbrauchbar“ die Begriffe der „Mitte“ und des „Extremismus“ als untaugliche Kampfbegriffe dekonstruiert, Simon Strick dokumentiert und analysiert in seinem Buch „Rechte Gefühle“ die Memes und Erzählungen der extremen Rechten in verschiedenen Ländern, insbesondere in den USA und in Deutschland. Extreme Rechte inszenieren sich bürgerlich, geben Vergangenheiten als Ziele der Geschichte aus. Immer wieder geht es um einen binären Code, der sich weder durch Sachargumente noch durch sozialpädagogisches Verständnis aufbrechen lässt. Wir brauchen – so Simon Strick – „affektive Maßnahmen“. Ein Fazit: It’s the emotion, stupid. Den kompletten Essay finden Sie hier.
  • Rubriken Treibhäuser und Weltweite Entwicklungen: Wer die Zukunft nach seinem Dünken gestalten will, muss sich der Geschichte bemächtigen. In dem Essay „Kampfplatz Geschichte – Jenseits der Faulenbachformel“ gehe ich diversen Versuchen und Versuchungen, Geschichte umzuschreiben, nach. Bernd Faulenbach hat sich 1984, ein Jahr vor der berühmten Rede Richards von Weizsäckers vom 8. Mai 1985, bereits mit der Frage der Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Wahrnehmung und Inszenierung deutscher Geschichte befasst. Geschichte trägt durchaus zur Identitätsbildung bei. Die Art und Weise, wie sie erzählt und überliefert wird, ist jedoch von einer teleologischen Versuchung bedroht. Heute erleben wir die Gefahr einer Geschichtsrevision, die jedoch auch ihre Vorbilder hat, sodass ich von einem „braunen Faden des Geschichtsrevisionismus“ sprechen möchte. Wie Geschichtspolitik als Waffe in der politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert werden kann, belegen diverse Regierungen mit ihren Initiativen, historische Museen gleichzuschalten. So beispielsweise in Polen, in Ungarn, in Russland, in Japan. In dem Essay gehe ich exemplarisch auf die Auseinandersetzungen um das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig ein, die der von der polnischen Regierung entlassene ehemalige Direktor Paweł Machcewicz eindrucksvoll dokumentiert hat. Den kompletten Essay finden Sie hier.
  • Rubrik Migration: Der neue Roman von Dilek Güngör „Vater und ich“ erschien 2021 im Berliner Verbrecher Verlag und stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Die Autorin ist eine Meisterin psychologisch präziser Miniaturen. Sie begann mit Kolumnen in diversen Zeitungen und veröffentlichte mit „Vater und ich“ ihren dritten Roman. Thema sind das Schweigen, das Sprechen, die Suche nach Wegen, sich gegenseitig zu verstehen. Ich habe meiner Rezension den Titel gegeben: „Und der Rest ist Sprechen!“ Denn genau das bietet Dilek Güngör in diesem Roman: eine Reflexion darüber, wie sich Menschen verschiedener Generationen einander begegnen können. Insofern geht es in dem Roman eben nicht nur um das Thema der Migration beziehungsweise der Integration. Es gilt allgemein, ganz im Sinne von Sigmund Freuds „Erinnerungsstörung auf der Akropolis“. Die komplette Rezension finden Sie hier.

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Thema Widerstand in Deutschland und in Italien: Am 19. Oktober 2021 (18-20 Uhr) moderiere ich die hybride gemeinsame Veranstaltung von Gustav-Stresemann-Institut in Bonn (GSI), Verein Wissenskulturen e.V. und Demokratischem Salon: „Der lautstarke und der lautlose Aufstand“. Thema ist eine vergleichende Betrachtung der Rezeption der Geschichte und des Interpretationswandels in Bezug auf den italienischen und den deutschen antifaschistischen Widerstand. Gerd Pütz vom Verein Wissenskulturen wird in die Thematik einführen, für die Fondazione Gramsci onlus, Rom, spricht Tommaso Baris, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Palermo, über den italienischen Widerstand, die „Resistenza“, über den deutschen Widerstand Dieter Nelles vom Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V. Die Veranstaltung wird simultan deutsch-italienisch gedolmetscht. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.
  • Thema Lernen in der Pandemie: Am 25. Oktober 2021 findet im GOP Variété Theater Bonn die Premiere eines Films über das Lernen in Distanz und die Erfahrungen der Kinder, Lehr- und Fachkräfte sowie von Eltern und Schulleitung in einer offenen Ganztagsgrundschule, der Gottfried-Kinkel-Grundschule in Bonn-Oberkassel, statt. Anschließend moderiere ich ein Gespräch mit Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städte- und Gemeindebund, Myrle Dziak-Mahler, Kanzlerin Alanus Hochschule, Selma Brand, Regisseurin des Films, Susanne Blasberg-Bense, Bildungsministerium NRW, und dem Schulleiter der OGS Gottfried Kinkel Christian Eberhard. Einen ersten Eindruck gibt der Trailer des Films. Anmeldung bis zum 8. Oktober 2021 an schulleitung@gottfried-kinkel-grundschule.de. Es gelten die 3G-Regelungen.
  • Thema Rechtsanspruch auf Ganztag: Bundestag und Bundesrat haben sich am 6. September 2021 auf die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in den Grundschulen ab 2026 geeinigt. Gemeinsam mit der Serviceagentur Ganztägig lernen (SAG) im Institut für Soziale Arbeit (ISA) bietet der Demokratische Salon am 2. November 2021, 19 – 21 Uhr (nach wie vor digital) die Veranstaltung „Ganztagsbildung ist Kinderrecht – Perspektiven des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz“ an. Der Ganztag ist eine Erfolgsgeschichte der vergangenen zwanzig Jahre, die Einführung des Rechtsanspruchs ist nicht nur eine quantitative, sondern auch und vielleicht sogar vor allem eine qualitative Frage. Es geht um die im 15. Kinder- und Jugendbericht geforderte kindorientierte Ganztagsbildung, die am besten durch eine verlässliche und verbindliche Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule gewährleistet wird. Ganztagsbildung – das ist strukturierter Ganztag, der pflichtige und freiwillige Elemente miteinander verknüpft, die die Kinder aktiv mitgestalten. Expert*innen aus Jugendhilfe und Schule werden unterschiedliche Perspektiven beleuchten, beispielsweise die Ausgestaltung von Familiengrundschulzentren, von Schutzkonzepten im Ganztag, des Dialogs zwischen Schule und Jugendhilfe in einer Kommune. Anmeldung ist hier möglich. Rechtzeitig vor der Veranstaltung wird von der SAG an alle Angemeldeten der Zugangslink versandt.

Weitere Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe:

  • Thema Migration kontrafaktisch: Wer Lust hat, über das Schicksal ein- und zugewanderter Menschen einmal kontrafaktisch nachzudenken, besuche die zurzeit in Bonn im Stadttheater zu sehenden Aufführungen von „Istanbul – Ein Sezen Aksu Liederabend“. Autor*innen sind Selen Kara, Torsten Kindermann und Akin E. Şipal. Klaus Gruber, ein junger deutscher Mann, frisch verheiratet, reist alleine mit vielen anderen Männern seines Alters in den 1960er Jahren in die Türkei, um dort zu arbeiten. Die reiche Türkei braucht Arbeitskräfte und holt sie aus dem armen Deutschland. Der junge Mann erlebt all das, was Menschen erlebten, die aus der Türkei und anderen Ländern nach Deutschland kamen, angefangen mit den Sprachschwierigkeiten, die sich bewältigen lassen, mit den Zuschreibungen der Gastgesellschaft, den interkulturellen Missverständnissen und allem was dazu gehört. Dazu passend hervorragende Interpretationen von Songs der vielleicht bekanntesten türkischen Sängerin, von Sezen Aksu, alle in Türkisch gesungen, aber mit sichtbarer deutscher Übersetzung. Aufführungstermine und Karten über die Theatergemeinde Bonn.
  • Thema Sprechen über Migration und Integration: Wer, vielleicht nach Lektüre meiner Rezension, Dilek Güngör live erleben möchte, findet sie am und am 23. Oktober 2021 in mehreren Veranstaltungen der Frankfurter Buchmesse. Den Stand des Verbrecher Verlags finden Sie in der Halle 3.1 B 100.
  • Thema Stadtentwicklung in Ostdeutschland: Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur lädt zur nächsten Online-Veranstaltung der Reihe „Zeitzeugenperspektiven“ ein. Sie findet am 26. Oktober 2021 um 18 Uhr statt, Titel „Städte im Wandel – Transformation auf kommunaler Ebene seit 1990“. Thema sind Transformationsprozesse in ostdeutschen Kommunen seit den 1990er Jahren, Es diskutieren Jörg Bogumil, Universität Bochum, Herbert Wagner, Oberbürgermeister von Dresden in den 1990er Jahren, Katja Wolle, in den 1990er Jahren Bürgermeisterin von Petershagen / Eggersdorf und in den 2000er Jahren Bürgermeisterin für Soziales, Schulen, Jugend und Sport in Frankfurt / Oder. Vera Wolfskämpf vom ARD-Hauptstadtstudio moderiert. Sie können den Livestream am 26. Oktober 2021 ab 18:00 Uhr abrufen.
  • Themen Erinnerungskultur 1: Am 28. und 29. Oktober 2021 bieten neun Träger der Erinnerungsarbeit die Tagung „Ausgeblendete Aspekte der Erinnerungskulturen im Spannungsfeld zwischen Inklusion und Desintegration“ an. Die Akteur*innen versprechen durchaus kontroverse Debatten, gerade im Zeichen intersektioneller Erinnerungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft, u.a. Max Czollek, Rosa Fava, Peggy Piesche und Nora Sternfeld, Anmeldung und weitere Informationen finden Sie hier.
  • Thema Erinnerungskultur 2: Die Deutsche Gesellschaft lädt zum Theodor-Litt-Symposium „Politische Bildung als Teil der historischen Aufarbeitung. Ein ostmitteleuropäischer Vergleich“ am November 2021 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig ein. Thema ist die Heterogenität der Erinnerungskulturen in verschiedenen ostmitteleuropäischen Ländern angesichts der dort sichtbaren nationalen Prägungen und politischen Einflüsse der jeweiligen Regierungen. Weitere Informationen finden Sie hier. Die Veranstaltung kann auch über den you-tube-Kanal der Deutschen Gesellschaft verfolgt werden.

Kurznachrichten und weitere Empfehlungen:

  • Thema Jüdisches Leben: Am 8. Oktober lud der Deutsche Kulturrat zum Thementag „Medienbild im Wandel – Jüdinnen und Juden in Deutschland“ ein. Initiator*innen waren die Kulturstaatsministerin Monika Grütters MdB, Felix Klein, Josef Schuster und Olaf Zimmermann. Es gab Gespräche über die Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Vorsitzenden der ARD Tom Buhrow, über die Rolle von Museen mit Hetty Berg und Mirjam Wenzel sowie eine fachwissenschaftliche Einführung der Filmwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg Das Resümee zog der in Tel Aviv lebende Soziologe Natan Sznaider. Die gesamte Tagung ist auf dem youtube-Kanal des Deutschen Kulturrats verfügbar, ein Tagungsbericht auf der Seite der Initiative Kulturelle Integration.
  • Thema Erinnerungskultur: Der Erinnerungsort Alter Schlachthof in Düsseldorf ist mit dem AWO-Innovationspreis 2021 ausgezeichnet worden. Die Jury überzeugte das Biografische Archiv und das Konzept aktiver biografischer Erinnerungsarbeit. Mit ihr wird an diejenigen Menschen erinnert, die während der NS-Herrschaft als Jüdinnen und Juden verfolgt und über den damaligen städtischen Schlachthof deportiert und ermordet worden sind. Im Rahmen eines Projektes des Erinnerungsortes mit dem Fachbereich Medien unter der Leitung von Thomas Rakow und Jens Lambert entwickelten Studierende eine eigene Website und integrierten sie in den Internetauftritt des Erinnerungsortes. Seit Januar 2021 ist das Biografische Archiv somit auch über Internet zugänglich. Weltweit sind die Lebensgeschichten der Verfolgten und Ermordeten recherchierbar und werden somit dem Vergessen entrissen.
  • Thema Kinderrechte: Die Familienforscherin Sabine Andresen hat in der Ausgabe zu „Jugend und Politik“ der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (20. September 2021) einen Essay mit dem provokativen Titel „‚Was viele Jugendliche Abfuckt…‘ – Wie sollte Politik für die Jugend aussehen?“ veröffentlicht. Sie referiert diverse Studien zur Nicht-Beteiligung beziehungsweise Nicht-Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie und stellt fest, dass zwar gelegentlich von Kindeswohl die Rede ist, der in der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Vorrang des Kindeswohls jedoch nicht eingehalten werden. Die Beteiligung von Kindern wird völlig ignoriert, sodass Kinder und Jugendliche den Eindruck haben, „die ganze Welt darf irgendwie über mich bestimmen“. Junge Menschen sind Objekte, nicht Subjekte der Politik. In der Corona-Pandemie wurden Kinder als „Regelbrecher*innen“ beachtet oder auch als potenzielle Gefährder*innen markiert. Ohne „die Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen“ – so Sabine Andresen – „bleibt eine Politik für die Jugend Makulatur“. Die zitierte Ausgabe von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ enthält sechs weitere Texte, darunter auch den Text von Jörg Gertel „Zehn Jahre Generation ‚Arabischer Frühling‘“.
  • Thema Rechtsextremismus:. Im Verlag Barbara Budrich erschien 2021 erstmals die Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung. Die Zeitschrift soll in Zukunft in der Regel zweimal jährlich erscheinen. Es geht um die Diskussion von Forschungsergebnissen, aber auch um konkrete Aktivitäten zu Prävention und Intervention (Quelle: Arbeitskreis Deutscher Bildungsstätten, Zeitschrift „Außerschulische Bildung“ 3/2021).

(Alle Zugriffe im Internet erfolgten zuletzt zwischen dem 6. und 12. Oktober 2021.)

Ich wünsche allen meinen Leser*innen viel Gewinn beim Lesen und Nachdenken! Mein herzlicher Dank gilt all denen, die mich auf die ein oder andere der oben genannten Empfehlungen hingewiesen haben oder mich bei meinen Texten durch Anregungen, Gespräche, Korrekturen so diskussionsfreudig unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf den Demokratischen Salon hinweisen.

In etwa vier Wochen melde ich mich wieder.

Ich grüße Sie / euch alle herzlich.

Ihr / Euer Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte ich um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.