Post-Cli-Fi

Weil Kollaps die Konstante ist oder: in der Ohnmacht weiterschreiben

Cli-Fi (climate fiction) widmet sich unseren ökologischen Zukünften und verwandelt dabei wissenschaftliches Wissen in Affekte und Erfahrungen. Bei der Entwicklung von Klimazukünften greift Cli-Fi auf ein breites Spektrum von Themen und Genres zurück. Ich verstehe Cli-Fi daher nicht als ein zusammenhängendes Genre, sondern als ein literarisches Anliegen. Beschwor dieses Anliegen in seinen Anfängen narrativ die Zukunft herauf, benötigen wir heute vor allem eine Bewältigung unserer klimatischen Gegenwart: Wie mit dem fortlaufenden Kollaps umgehen? Wie das aktuelle Gefühl der Ohnmacht verarbeiten?

Gerade weil wir bereits im Klimawandel leben, in dem Kollaps die Konstante ist, brauchen wir eine Climate Fiction, die das berücksichtigt, verarbeitet, fortschreibt. Wir brauchen Post-Cli-Fi!

Lasst uns Postklimafiktionen schreiben.

Was verstehe ich unter Post-Cli-Fi?

Das Präfix Post markiert hier nicht die Absicht, über den Klimawandel hinaus zu gelangen oder diesen als bereits überwunden zu erklären. Das Präfix Post erkennt vielmehr an, dass wir längst dem klimabedingten Wandel unterliegen. Post-Cli-Fi lenkt unseren Blick damit sowohl auf unsere Gegenwart als auch auf unsere möglichen Zukünfte.

In Post-Cli-Fi Erzählungen werden Klimawandel und dessen Folgen zu Geschehen, die keine Ausnahme mehr sind, sondern die Regel. Das anzuerkennen, erfordert auch, unser gesellschaftliches und planetarisches Selbstverständnis neu auszuhandeln. Wie sehen Gesellschaft und Zusammenleben im Klimakollaps aus? Wie können sie noch aussehen?

Post-Cli-Fi verstehe ich als eine politische Perspektive, die unser gängiges Differenzdenken infrage stellt. Kategorien wie Gesellschaft, Klima, Mensch, Natur und Technik können hier endlich neu erzählt werden, nämlich:

  • posthuman
  • postanthropozentrisch
  • postmigrantisch
  • postapokalyptisch

Posthuman: entgrenzend

Im Gegensatz zum anthropozentrischen Begriff transhuman (das Verändern von Menschen durch Technologien) bezieht sich der Begriff posthuman auch auf nonhuman-Agent:innen und auf unsere Beziehungen mit ihnen und mit anderen Lebensformen. Eine posthumane Perspektive enthält also auch ein neues Verständnis von dem, was wir Mensch oder menschlichen Körper nennen: viele Kooperationen aus unterschiedlichen Agent:innen (zum Beispiel Mikroben, Organen, Prozessen). Wir alle bestehen aus posthumanem Leben.

Posthuman zu schreiben, erweitert unsere Vorstellungen in Bezug darauf, was es bedeutet eine wertgeschätzte Lebensform zu sein und als solche behandelt zu werden. Posthuman verlangt von uns eine kritische Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass wir bestimmte Lebensformen als minderwertig ansehen, sie ausnutzen oder töten. Eine umfassendere, posthumane Definition von Leben ermöglicht wiederum eine größere moralisch-ethische Reaktion und Verantwortung gegenüber nichtmenschlichen Lebensformen.

Posthumane Geschichten widmen sich den vielen durchlässigen Grenzen, wodurch Zukünfte der Artenverwischung und Artenvermischung entworfen werden können. Die aktuelle hierarchische Ordnung – und anschließende Ausbeutung und sogar Ausrottung – von Lebensformen kann hinterfragt werden. Gerade im Angesicht eines fortdauernden Klimawandels und den damit einhergehenden tödlichen Bedrohungen von Pflanzen, Tieren, Landschaften, ergeben sich neue Konsequenzen für und Blickwinkel auf unser Handeln. Denn aus einer posthumanen, entgrenzenden Perspektive sind Tiere, Pflanzen, das Klima und der Planet nicht mehr das Andere, sondern Teil von uns. Wir sind der Planet. Kollaps ist kein Schicksal, sondern das Ergebnis unseres Handelns.

Postanthropozentrisch: dezentrierend

Klimawandel und ökologische Zukünfte postanthropozentrisch zu erzählen, verlangt nach einem Schreiben, das nicht mehr den Menschen in den Mittelpunkt unserer Ökologie und unserer Geschichten rückt. Postanthropozentrische Klimafiktionen betrachten unsere Zukünfte nicht mehr durch die anthropozentrische Linse. Stattdessen betonen sie die Vernetzung zwischen Menschen, Bots, Maschinen, Tieren, Insekten und anderen Mitgliedern unserer Biosphäre – einschließlich DNA und Viren. Etablierte Kategorien und Ordnungskonzepte geraten endlich aus den Fugen, werden fluide, dezentrieren sich oder kollabieren.

Gängige Dichotomien wie Mensch/Natur oder Natur/Kultur können im postanthropozentrischen Schreiben überwunden werden. Neue Unterschiede treten dadurch zutage und übliche Differenzauffassungen erscheinen fraglich: Klima versus Mensch versus Natur versus Gesellschaft versus Demokratie versus Utopie versus Dystopie versus Zukünfte.

Postmigrantisch: entmarginalisierend

In Postklimafiktionen ist nicht nur Klimawandel, sondern auch Migration die Regel. Im Kollaps geraten Lebensformen in Bewegung: einzelne Migrationsereignisse, doppelte Migration, dreifache Migration – wir ziehen von einem Ort, dann zu einem anderen, dann wieder zu einem anderen, um so etwas wie Zuflucht zu finden. Darin zeigt sich das Weitermachen im Kollaps. Der Begriff postmigrantisch hebt aber auch hervor, dass Migration in Postklimazukünften eine gesellschaftsbewegende und gesellschaftsbildende Kraft sein kann. Eine soziale Situation von Mobilität und Diversität.

Postmigrantisch versteht sich als ein politischer Begriff: gegen Marginalisierung von Menschen, Tieren und anderen Lebensformen, die integraler Bestandteil unseres planetarischen Zusammenlebens sind, sowie gegen einen Diskurs, der Migrationsgeschichten als historische Ausnahmeerscheinungen behandelt und in dem zwischen einheimischer Normalität und eingewanderten Problemen unterschieden wird.

Gerade postmigrantische Klimafiktionen eröffnen neue Möglichkeiten, um sich Fragen von Klimagerechtigkeit, aber auch von Klasse und Klassismus zu widmen. Denn die diejenigen, die hauptsächlich für den Klimakollaps verantwortlich sind, sind nicht diejenigen, die am meisten unter den Auswirkungen leiden und leiden werden. Postmigrantisch zu schreiben, bedeutet, sich damit auseinanderzusetzen, ob diese Ungerechtigkeiten in Zukunft weitergeführt werden und wie sie bereits in unserer Gegenwart verwurzelt sind.

Postapokalyptisch: unendend

Postklimafiktionen erzählen uns was nach und während dem Kollaps passiert, erkennen aber auch an, dass der Kollaps unendend ist. Postapokalyptische Klimafiktionen begrenzen sich also nicht darauf, von der Zerstörung der Welt und von den darin zugrunde liegenden Prozessen zu schreiben. Sie handeln auch von unseren Reaktionen darauf, die untrennbar mit dem Kollaps verbunden sind. Postapokalyptisch zu schreiben, beinhaltet folglich, das banale Alltagsleben zu schreiben, das wir leben müssen, auch dann, wenn alles auseinanderfällt. Aufgaben, die wir erledigen müssen, Beziehungen, die gepflegt werden müssen, ein postapokalyptischer Alltag im Kollaps – unendend.

Neue Zukünfte: in der Ohnmacht weiterschreiben

Post-Cli-Fi beschönigt nicht den Kollaps, gibt aber trotzdem nicht auf, sondern erzählt postapokalyptisch, posthuman, postanthropozentrisch und postmigrantisch weiter. Dadurch entstehen neue Zukünfte, in denen wir gängige Kategorien entgrenzen, Hierarchien überwinden, uns dezentrieren und das postmigrantische Leben entmarginalisieren sowie den Alltag mit und im Kollaps fassbar machen. Oder anders gesagt: Postklimafiktionen befähigen uns, in der Ohnmacht weiterzuschreiben.

Klimawandel und seine Folgen erhalten andere Bilder, Repräsentationspraktiken und Vorstellungen von Subjektivität, andere Narrativen und mehrstimmige Perspektiven. Unser Blick kann dadurch endlich auf das bisher Ungesagte, Unsichtbare und Marginalisierte gerichtet werden: auf das Posthumane, das Postanthropzän, das Postmigrantische, das Postapokalyptische.

Nicht nur neue Zukünfte können daraus wachsen, sondern auch ein neues Verständnis von Klima, Gesellschaft, Migration, Human, Nonhuman, sowie neue Praktiken und damit verbundene Erfahrungen.

Klimawandel und seine Folgen können auf diese Weise zu einem möglichen konstitutiven Moment im historischen Prozess werden. Ein Moment, das für unser gemeinsames Zusammenleben auch neue Formen von Freiheiten und neue Formen von Demokratie erfordert.

Fazit: Wenn wir unsere aktuelle Gegenwart erfahrbar machen wollen, neue Zukünfte aus dem Kollaps wachsen lassen wollen, dann bietet uns Post-Cli-Fi dafür Möglichkeitsräume, die zugleich dezentrierend, entgrenzend, entmarginalisierend und unendend sind. Postklimafiktionen erkennen an, dass wir längst im Klimawandel leben und unsere Zukünfte jetzt und zusammen schreiben.

Aiki Mira, Hamburg

Aiki Mira studierte Medienkommunikation in Stirling, London und Bremen, forschte zu Jugendkulturen und Gaming, und schreibt Erzählungen, Romane und Essays, die bereits mehrfach ausgezeichnet wurden, beispielsweise mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und dem Deutschen Science-Fiction-Preis. Aiki Mira verortet sich in der Queer*Science-Fiction, zum Schreibverständnis siehe Aiki Mira, Der schreibende Körper, in: Die ZEIT, 2. Februar 2024.

Zum Weiterlesen:

  • Neurobiest, Bremen, Eridanus, 2023.
  • Neongrau – Game Over im Neurosubstrat Cyberpunk-Roman, Heidelberg, Polarise, 2022.
  • Titans Kinder. Eine Space-Utopie SF-Roman, Winnert, machinery, 2022.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung: Februar 2024, Internetzugriffe zuletzt am 26. Februar 2024. Der Text wird eine zentrale Rolle in dem geplanten Kongress „KlimaFiktionen 2024“ spielen. Für die Vermittlung danke ich Markus Tillmann. Das Titelbild „Kyborg Dixit Algorismi“ – ein Ausschnitt – verdanke ich Thomas Franke, präsent im Demokratischen Salon mit verschiedenen Bildern und dem Gespräch „Parallele Welten – synergetisch gebrochen“.)