Solarpunk

Genre – Bewegung – Vision

„Was ist Solarpunk, wo kommt er her, wo steht er heute? Ein Überblick und Ausblick auf eine Bewegung, die Science Fiction mit Klimaoptimismus kreuzt.“

Luftschiffe und begrünte Hochhäuser, vertikale Gärten, Windräder und futuristische Züge: Googelt man Bilder zum Begriff Solarpunk, erwarten einen jede Menge urbaner Visionen, mal pastellig, mal mit maximaler Sättigung, immer grün. Gelegentlich blitzt auch ein Hauch arkadischen Landlebens hervor, der Mensch in der vorsichtig bestellten Natur, neben sich umsorgte Herden und Solarpanele.

Mit anderen Worten: Wir sehen das Ideal einer Zukunft, die die Kurve bekommen hat und technologischen Fortschritt nachhaltig und regenerativ denkt. Der Mensch in Einklang mit Technik und Natur.

Zwischen Doomismus und Ignoranz

Diese Vision trifft offenbar bei vielen einen Nerv, die eine Alternative suchen zwischen Doomismus einerseits und Ignoranz andererseits angesichts der Klimakrise und anderer Herausforderungen unserer Zeit. Und so hat sich der Solarpunk in den letzten Jahren seinen Weg ins Sonnenlicht und sogar in Medien gearbeitet, die sich sonst selten mit etwas beschäftigen, was originär als Science-Fiction-Subgenre gestartet ist: Die Tagesschau, Der Standard oder die taz sind nur ein paar der deutschsprachigen Tagesmedien, die allein 2023 über Solarpunk berichtet haben.

Dennoch bleibt Solarpunk ein schwer fassbares Gebilde, angesiedelt auf den Schnittpunkten zwischen (Klima-)Bewegung und Maker-Szene, Subgenre und Ästhetik. Versuche, ihn auf den Punkt zu bringen, gab es gleichwohl viele. 2017 beschrieb Jay Springett Solarpunk in „Solarpunk – A Reference Guide” noch als „a movement in speculative fiction, art, fashion and activism that seeks to answer and embody the question what does a sustainable civilization look like, and how can we get there?’ (…) Solarpunk can be utopian, just optimistic, or concerned with the struggles en route to a better world — but never dystopian. As our world roils with calamity, we need solutions, not warnings. Solutions to live comfortably without fossil fuels, to equitably manage scarcity and share abundance, to be kinder to each other and to the planet we share.“

Vier Jahre später äußerte sich Verlegerin Sarena Ulibarri im Interview mit Henry Jenkins schon etwas vorsichtiger in Bezug auf Lösungen, betonte stattdessen das Visionspotenzial: „Solarpunk is a movement of artists, writers, and activists interested in changing the trajectory of our world for the better. As a genre of fiction, solarpunk is optimistic science fiction stories that engage with issues of climate change and social injustice. Solarpunk stories don’t always show the specific solutions that led to a better world, but they do always strive to show that better futures are possible.“

Beide Definitionen liefern uns hier erst einmal eine grobe Erklärung, um was es sich beim Solarpunk handelt. Die Unterschiede zwischen beiden sprechen aber auch für die Entwicklung, die die Bewegung seit ihrer Netzgeburt 2008 durchlaufen hat, und die sicher noch nicht abgeschlossen ist. Für ein ausgefächertes Bild – mit Fokus auf Solarpunk als literarischer Bewegung – werfen wir einen Blick auf dessen Geschichte und Gegenwart in drei Phasen.

Phase 1: Geburt und Selbstfindung

Wir schreiben das Jahr 2008. Das Frachtschiff „Beluga SkySails“ begibt sich auf seine Jungfernfahrt, die es von Bremerhaven aus über Guanta und Davant bis nach Mo i Rana führen wird. Das Besondere dabei: Zum Einsatz kommt unter anderem ein Zugdrachenantrieb, der das Schiff mithilfe von Windkraft antreibt. Eine nachhaltige Technik-Utopie, die leider 2011 schon wieder ein vorläufiges Ende findet – zu wenige Reedereien wagen die Investition.

2008 aber sind die Hoffnungen auf Zukunftsträchtigkeit noch groß, und zwei Monate, nachdem die „Beluga SkySails“ in Mo i Rana angelegt hat, wird auf dem Blog „Republic of the Bees“ der Solarpunk aus der Taufe gehoben. Hier wird er als Literaturgenre eingeführt, als geistiger Bruder insbesondere zum Steampunk, der ebenfalls „alte“ und „neue“ Technologie zusammendenkt. Anders als das Alternate-History-Movement verortet sich der Solarpunk aber von Anfang an in einer Zukunft, der es gelungen ist, mit erneuerbaren Energien – insbesondere Solar- und Windtechnologie – die Ressourcen-Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Schon in diesem ersten Blogpost wird dabei der Wille formuliert, umsetzbare Lösungen darzustellen, womit sich der Solarpunk jener Zeit in der Hard Science Fiction verortet.

Nun gibt es zahlreiche Blogbeiträge, die versuchen, neue Genres aus der Taufe zu heben. Wo es früher jemanden mit dem passenden redaktionellen Einfluss brauchte, um einer neuen Entwicklung einen Namen zu geben, da kommen dieser Rolle heute unzählige Menschen und Institutionen auf der ganzen Welt nach. Wobei längst nicht alle damit erfolgreich sind: Manchmal folgt dem Blog- oder Forenbeitrag noch eine Reddit- oder Paneldiskussion, die meisten aber verschwinden nach kurzer Zeit wieder im Netz-Nirvana.

Mit dem Solarpunk hingegen trifft „Republic of the Bees“ einen Nerv, obwohl sich der Blog selbst gar nicht weiter mit seiner neuen Erfindung auseinandersetzt. Die nachstehende Entwicklung lässt sich nicht linear fassen – wie das im Netz oft der Fall ist, sobald ein neuer Trend die Runde macht. Grundsätzlich lassen sich jedoch drei Meilensteine festhalten:

Erstens gelingt es Miss Olivia Louise 2014, über einen Tumblr-Post die Kunst-Ästhetik des Solarpunk sowie erste zentrale Werte in die Netz-Community einzuspeisen. In ihrer Vision finden sich Anleihen an den Jugendstil, das Arts-&-Crafts-Movement, die Ästhetik der Viktorianischen und Edwardischen Epochen, aber auch an die Werke Hayao Miyazakis. Eine Graphik von Anime-Künstler Teikoku Shônen („Imperial Boy“), das eine üppig bewachsene, gleichwohl futuristischen Stadt in dunstigem Sonnenlicht zeigt, steht wie kein zweites für diese noch recht „pastellige“ Solarpunk-Ästhetik.

Zweitens veröffentlicht Adam Flynn kurz darauf auf der Website „Hieroglyph“ die „Notes towards a manifesto“, mit denen er der aufkeimenden Bewegung ihre kämpferische Hymne verpasst: „We’re solarpunks because the only other options are denial or despair“. Der Punk im Namen verweist demnach auf „infrastructure as a form of resistance“ (Hervorhebungen im Original, dort kursiv)“. „Solarpunk is still a new genre, more a call to arms than a substantial body of literature“, so kommentiert 2015 Jeet Heer die damalige Solarpunk-Stimmung.

Apropos – wo ist eigentlich die Literatur bei alldem?

Die frühen Solarpunks verweisen auf Erzählungen von Autor:innen wie Norman Spinrad, Ursula K. LeGuin oder Kim Stanley Robinson, in denen Elemente des potenziellen Subgenres bereits aufgegriffen wurden, ehe der Begriff existierte. Auch in Kim Stanley Robinsons aktuellen Werken finden sich viele Elemente des Movements – doch dazu später mehr.

Die „praktische“ Geburt des literarischen Solarpunk kommt zunächst aus einer weniger prominenten Ecke, womit wir bei unserem dritten Meilenstein wären: 2012 gibt Gerson Lodi-Ribeiro in Brasilien die Anthologie „Solarpunk: Histórias ecológicas e fantásticas em um mundo sustentável“ heraus, an der verschiedene Größen der portugiesisch-sprachigen Phantastikszene mitwirken. Vermutlich plante Lodi-Ribeiro, der zuvor schon ähnliche Bücher zu Diesel- und Vaporpunk initiiert hatte, hiermit eigentlich kein Grundsatzwerk. Doch bis heute gilt diese Anthologie – vor allem dank der in der World Weaver Press veröffentlichten Übersetzung von Fabio Fernandez – als genau das. Dabei unterscheidet sich die dortige Interpretation von Solarpunk von vielen aktuelleren Werken. World Weaver PressVerlegerin Sarena Ulibarri beschreibt den Unterschied im Vorwort der englischsprachigen Ausgabe: „The stories in this anthology are far less utopian and pastoral than most of the English-language solarpunk I’ve read(…) (S)everal of the stories show that just because a corporation or a government is ‚green’ doesn’t mean it’s free of corruption. (…) Americans tend to associate it with liberalism and left-wing ideology – the very idea of a world run primarily on renewables is often dismissed as idealistic and utopian. Brazil is actually one of the world’s leaders in renewable energy, with 76% of the country’s energy in 2017 coming from wind, solar, and hydropower. Brazil’s political landscape, however, is certainly not a liberal utopia (…).“

Die Geschichten hier sind dreckiger, düsterer, enger noch am Cyberpunk orientiert, oder genauer gesagt am „tupinipunk“, einer 1989 in Brasilien geborenen Variante, die deutlich brutaler aber auch satirisch-humorvoller ist als ihr US-amerikanischer Vorläufer. Sie sind damit auch ein Beispiel, wie globale Bewegungen – wenngleich der Solarpunk 2012 erst am Aufkeimen war – (g)lokal(isiert) interpretiert werden.

Dass eine originär nicht-englischsprachige Anthologie so viel internationale Aufmerksamkeit bekommt, ist sicher nicht alltäglich. Doch das Solarpunk-Movement sucht bewusst – wenn auch nicht immer konsequent – den Blick über den angloamerikanischen und westlichen Tellerrand hinaus. Oft geht es um Lösungen, die sich lokal aus den Begebenheiten der einzelnen Weltregionen oder kleiner Gemeinschaften heraus entwickeln, um global miteinander zu interagieren. Schließlich lässt sich eine Herausforderung wie der Klimawandel kaum mit zentral organisierten, universellen Lösungen angehen.

Ohnehin ist Solarpunk eine Vision von der Macht „kleiner“ Lösungen, von Erfindergeist und der Weigerung, angesichts großer Herausforderungen aufzugeben. In diesem Kontext ist manchmal die Rede vom indischen Jugaad-Prinzip, was genau das umschreibt. Ihm verwandt ist eine entsprechende Do-it-yourself-(DIY)-Haltung. Im Ideal, wie es in der eingangs erwähnten Definition von Jay Springett formuliert wird, imaginieren Autor:innen in Geschichten genau solche Lösungen, während sie in der Maker-Szene der Solarpunks bereits (prototypisch) umgesetzt werden.

Phase 2: Entwicklung und Ausdifferenzierung

Nach der ersten Hochphase 2014/2015, markiert durch die ästhetische Ausformulierung, Adam Flynns Manifest-Notizen und Jeet Heers Artikel, wird es zunächst etwas ruhiger. Literarisch treten andere Punks in den Vordergrund, allen voran der 2017 von Alexandra Rowland eingeführte Hopepunk, der mit seinem „radical kindness“-Ideal mehr die sozialen Seiten der Utopie beleuchtet denn der zunächst noch stärker technologisch orientierte Solarpunk. Zugleich treten Klimabewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion global verstärkt auf den Plan, und wen wundert es da, dass der Solarpunk wieder in Aufwind gerät, der quasi die Ideen des Hopepunk mit denen der Klimabewegungen kombiniert?

2017 bis 2018 veröffentlicht der britische Künstler Jay Springett seinen Reference Guide zur zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr allzu jungen Bewegung. Ebenfalls 2018 findet in Berlin das Solar Punk Festival statt, das mit DIY-Mentalität bewusst den Schulterschluss von Kunst und Wissenschaft sucht, 2019 folgt ein Solarpunk-Kunstwettbewerb des Designstudios „Atomhawk“. Auf die Shortlist schafft es dabei auch eine Illustration von Rita Fei, die später das Cover zur World Weaver Press-Anthologie „Multispecies Cities: Solarpunk Urban Futures“ zieren wird und heute exemplarisch für eine „farblich gesättigtere“ Form der Solarpunk-Ästhetik stehen kann.

Apropos „Multispecies Cities“: 2018 bringt die World Weaver Press nicht nur die erste komplette englische Übersetzung von Lodi-Ribeiros Anthologie heraus, sondern startet auch mit einer Reihe eigener Solarpunk-Anthologien, darunter „Glass and Gardens: Solarpunk Summers“ oder „Glass and Gardens: Solarpunk Winters“. Diese etablierten gemeinsam mit ähnlichen Veröffentlichungen eine ungleich (sozial-)utopischere Ausrichtung.

Der Wandel vom eher pragmatisch-optimistischen, technologisch und lösungsorientierten Solarpunk hin zur utopischen Vision schlägt sich auch im Solarpunk-Manifest nieder, das seit 2019 über Alessandro Ardovinis Website „Re-Des“ verbreitet wird und das in 22 Punkten die Eckpfeiler dessen in Worte fasst, was den Solarpunk inhaltlich, normativ und ästhetisch ausmachen soll. Entworfen wird hier das Bild einer von Gemeinschaftssinn, Gleichheit und Inklusion geprägten Gesellschaft, die mit nachhaltiger Technologie dem Nihilismus der Zeit Optimismus entgegenhält. Nicht zuletzt versteht sich dieser Solarpunk zudem explizit als postkapitalistisch.

Dieses Manifest, in dessen Werten sich vor allem links-progressive Bewegungen verschiedener Art wiederfinden können, hat dem Solarpunk einen neuen Schub beschert, der weit über die Science-Fiction-Szene hinausreicht. Zugleich ist es mit ihm eine ambivalente Angelegenheit. „Solarpunk embraces a diversity of tactics: there is no single right way to do solarpunk. Instead, diverse communities from around the world adopt the name and the ideas, and build little nests of self-sustaining revolution.“

So heißt es in Punkt 6 des Manifests. Und doch werden mit ihm universelle Werte in eine Bewegung eingeschrieben, die offen sein möchte. Ein typisches Dilemma, gerade für Bewegungen, die vor der Herausforderung stehen, universelle Werte und kulturellen Pluralismus miteinander zu verbinden.

Der Popularität tut das keinen Abbruch: Vor einigen Jahren noch selbst von Szenemedien als einer von vielen „Punks“ belächelt, wird Solarpunk inzwischen von ganz unterschiedlichen Magazinen von Vice bis Forbes besprochen. Hinzu kommen spezialisierte Medien wie „Optopia“, das „Solarpunk Magazine“ oder der „Solarpunk Presents-Podcast“. Universitäten wie die Arizona State University bringen entsprechende Veröffentlichungen raus, in einer norwegischen Kleinstadt entsteht als Kunstinitiative die Rjukan Solarpunk Academy. Namen wie Vincent Callebaut oder Luc Schuiten bringen den Solarpunk in die Architektur, er wird mit Guerilla Gardening und Urban Gardening assoziiert, aber auch mit der Kultur des Teilens bzw. Open Culture und Open Knowledge. Medial finden sich zum Thema inzwischen zum Beispiel Video- („Solarpunk“) oder Brettspiele („Planta Nubo“, „Solarpunk Futures“), oft handelt es sich um Crowdfunding-Projekte.

Hinzu kommen regelmäßige Kunstwettbewerbe und Anthologie-Ausschreibungen in der Literatur. Der Großteil dieser Veröffentlichungen sind Kurzgeschichten oder Novellen – der utopische Blick fällt eher episodenhaft aus. Das gilt auch hierzulande, wo zum Thema Anthologien wie „Sonnenseiten, Sonnenzeiten“ oder „Planta Nubo“ oder Novellen beziehungsweise kürzere Romane wie Mary Stormhouses „Draußen“ und m.skalabyrinths „Wenn es nicht passiert“ herausgekommen sind. Das populärste deutschsprachige Beispiel mit Romanlänge ist bislang Marie Graßhoffs „Neon Birds“ , was bereits 2019 erschienen ist und in der Interpretation der Elemente noch relativ frei agiert.

Ästhetisch und normativ ist der Solarpunk eng mit anderen Subgenres und Bewegungen verwoben. 2022 brachte zum Beispiel das indisch-stämmige Online-Magazin „Mithila Review“ eine Hopepunk-Ausgabe namens „Planet Democracy“ heraus, die klar den Schulterschluss zum Solarpunk sucht. Bewegungen wie Afrofuturismus, africanfuturism oder amazofuturismo greifen ebenfalls Solarpunk-Elemente auf, wie auch umgekehrt im Solarpunk entsprechende Elemente auftauchen. Jüngere Mikro-Genres wie „lunarpunk“ oder „sertãopunk“ beziehen sich in Teilen ebenfalls auf Solarpunk-Ideen.

Mit anderen Worten: Der Solarpunk ist angekommen.

Phase 3: Ausblick und Verhandlungen

Angekommen bedeutet in dem Fall aber auch, dass er einen Punkt erreicht hat, an dem er in eigene Bedeutungskämpfe verstrickt ist. Wie weiter oben bereits angesprochen, befindet sich die Bewegung in einer Situation, in der sich Offenheit und relativ verbindliche Normen und Werte in einem ambivalenten Verhältnis gegenüberstehen. Das ist typisch für solche szeneartigen Gebilde, die immer wieder neu ausgehandelt und entwickelt werden (Ronald Hitzler / Arne Niederbacher, Leben in Szenen, Wiesbaden, VS Springer, 2010). Hinzu kommt, dass der Solarpunk mit wachsender Bekanntheit für kommerzielle Akteure interessant wird, die den Gedanken einerseits weitertragen, dem „Degrowth“- und Postkapitalismus-Ideal des Solarpunk jedoch oft zuwiderlaufen. Ein Dilemma, das der Solarpunk ebenso mit anderen subversiven Bewegungen teilt (siehe dazu auch Wenzel Mehnert, Solarpunkt oder wie SF die Welt retten will, in: Science Fiction Jahr 2021).

Prompt führt das zu Bedeutungskämpfen innerhalb der Community und zu den Fragen: Was darf Solarpunk? Und wer darf Solarpunk?

Am Prominentesten wurde die Debatte anhand des Animationsvideos „Dear Alice“ geführt. In dem Werbeclip von 2021, realisiert vom Lebensmittelunternehmen Chobani und dem Animationsstudio The Line, wird in einer guten Minute die Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft der Zukunft vorgestellt. Wir bekommen futuristische, doch regenerative Technologien zu sehen, eine inklusive Gemeinschaft auf dem Lande und im Hintergrund die grüne Silhouette einer Großstadt. Mit anderen Worten: die perfekte Solarpunk-Szenerie. Nur handelt es sich bei Chobani eben auch um ein Großunternehmen, noch dazu um eines, das unter anderem mit Molkereiprodukten wirbt, was vielen Solarpunks negativ aufstößt. Auf YouTube existiert inzwischen eine Alternativversion des Videos von Waffle to the Left, die alle Werbeeinblendungen entfernt und den Schriftzug „Donations“, bezogen auf eine Essensspende, durch „Commons“ ersetzt hat – statt Nahrungsspenden gibt es also Gemeingüter.

Ähnliche Diskussionen gab und gibt es zum Beispiel um die Verwendung KI-generierter Solarpunk-Illustrationen, um „Village Global’s Solarpunk“-Podcast, oder um die Planstadt Telosa, ein Projekt von Milliardär Marc Lore. In der Wüste von Nevada, Arizona und Utah möchte Lore die Vision einer nachhaltigen, diversen 15-Minuten-Stadt verwirklichen, die nahezu ausschließlich mit regenerativen Energien betrieben wird – sogar inklusive eines kommunalen Systems, das ohne Privateigentum auskommt. Auf dem Papier klingt das in mehrfacher Hinsicht Solarpunk-gefällig – doch dass sich hier quasi ein Mann im Alleingang eine Stadt bauen möchte, und viele praktische Fragen seiner Vision noch ungeklärt sind, sorgt für Skepsis in der Solarpunk-Community.

Selbst in der Literatur- und Mediendiskussion tauchen inzwischen immer häufiger „Gatekeeping“-Momente auf, das heißt Debatten darüber, was als Solarpunk gelten darf und was nicht. Kann man z. B. guten Gewissens einen Disney-Film wie „Strange World“ als Solarpunk bezeichnen? Und entscheiden die Künstler:innen oder das Publikum, was Solarpunk ist – eine Frage, die auch damit zusammenhängt, ob man ihn eher als Genre oder als Szene beziehungsweise Bewegung wahrnimmt. Wenn beispielsweise Kim Stanley Robinson im Interview in Ausgabe 1 des „Solarpunk Magazine“ erklärt, sich nicht als Teil von Solar- oder Hopepunk zu sehen, ist das verständlich, wenn man beides als Bewegung begreift. Andererseits weist sein „Das Ministerium für die Zukunft“ viele Solarpunk-Elemente auf, zum Beispiel die episodenhafte Erzählweise, den globalen Blick mit individuellen Perspektiven, das Zusammenspiel von Roman und Sachbuch oder die Hoffnung der Figuren darauf, trotz allen Übels noch Gutes tun zu können. Gerade dies erinnert an Adam Flynns „we’re solarpunks because the only other options are denial or despair“. In Genre-Hinsicht gibt es also gute Gründe, das Buch als Solarpunk zu lesen. Doch auch aus der Community selbst heraus gibt es dazu Bedenken. Der Post-Manifest-Solarpunk spielt meist weit in der Zukunft und behandelt eher Alltagsthemen oder Konflikte innerhalb einer Gemeinschaft, die den Sprung in die nachhaltige Zukunft bereits geschafft hat. Es wird also mehr das Leben in der „Utopie“ beschrieben, weniger der Weg dahin – womit wir wieder bei unseren beiden Eingangsdefinitionen wären und den feinen Unterschieden, die sich in den vier Jahren ergeben haben, die zwischen ihnen liegen.

Bedeutet das also, dass sich der Solarpunk nicht treu wäre oder er gar in seiner ersten Krise steckt? Keineswegs. Er hat zu einem spezifischen Fokus gefunden, einer Art szenischen Identität. Eine solche ist jedoch nie statisch, sondern stets in Entwicklung, geprägt von internen Verhandlungen, von neuen Trends und alten Diskussionsritualen. Gerade die Auseinandersetzung damit ist letztlich ein Zeichen einer lebendigen Gemeinschaft.

Wie also wird der Solarpunk der Zukunft aussehen? Wird er sich in eine pragmatische Richtung entwickeln oder Utopien verfestigen? Wird Telosa zum Zufluchtsort der Solarpunks? Wird sich die Bewegung zersplittern?

Seien wir gespannt!

Alessandra Reß, Koblenz

Die Autorin betreibt den Blog „Fragmentansichten“.

Zum Weiterlesen:

Centro de Estudios Brasileños, BioBrasil: Literatura “punk” brasileña, 2022.

Adam Flynn, Solarpunk – Notes towards a manifesto, 2014.

Jeer Heer, Jeet (2015), The New Utopians – Kim Stanley Robinson and the novelists who want to build a better future through science fiction, 2015.

Ronald Hitzler / Arne Niederbacher, Leben in Szenen, Wiesbaden, VS Springer, 2010.

Pascal Hogue,, What Is Solarpunk Architecture and How Does It Fit Into the Built Future? 2023.

Henry Jenkins, How Do You Like It So Far? Sarena Ulibarri and Ed Finn on Solarpunk (Part One), 2021.

Ariel Kroon / Justine Norton-Kerston / Christina De La Rocha (2022): Utopianism. An Interview mit Kim Stanley Robinson, in: Solarpunk Magazine #1, Jan/Feb 2022.

Gerson Lodi-Ribeiro, Solarpunk – Ecological and Fantastical Stories in a Sustainable World. Albuquerque, World Weaver Press, 2018.

Wenzel Mehnert, Solarpunk oder Wie SF die Welt retten will, in: Hardy Kettlitz, / Melanie Wylutzki, Das Science Fiction Jahr 2021, Berlin, Hirnkost, 2021.

Miss Olivia Louise via Tumblr, „Here’s A Thing I’ve had around in my head for a while!“ / Land of Masks and Jewels, 2015.

Laura Puttkamer, Telosa – Die Stadt der Zukunft? 2023.

Juan David Reina-Rozo, Art, energy, and technology: the Solarpunk movement, in: International Journal of Engineering, Social Justice and Peace, 8 (1), 2021.

Republic of the Bees, From Steampunk to Solarpunk, 2008.

The Solarpunk Community, A Solarpunk Manifesto, 2019.

Jay Springett, Solarpunk – A Reference Guide, 2017.

Lidia Zuin, Decolonizing Brazil through Science Fiction: Bacurau and Brazilian Empowerment, in: Humanities 2022.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Oktober 2024, Internetzugriffe zuletzt am 14. Oktober 2024. Der Text wird – in etwas anderem Format, aber inhaltlich identisch – gedruckt in dem zum Kongress „Klimafiktionen 2024“ erscheinenden Band veröffentlicht. Teile des Textes basieren auf Allessandra Reß, Sonnenseiten, Sonnenzeiten – Solarpunk von „Republic of the Bees“ bis zur „Sonnenseiten“-Anthologie“, in: Tino Falke / Jule Jessenberger, Hg., Sonnenseiten – Street-Art trifft Solarpunk, Books on Demand, 2022. Titelbild: Berlin Friedrichstraße Utopia 2048. Aerroscape & Lino Zeddies. Wikimedia Commons.)