Und sie bewegt sich doch

Eine Liebeserklärung an die Deutsche Bahn

Wenn Deutsche über ein Verkehrsmittel schimpfen, dann in erster Linie auf die Deutsche Bahn. Die Deutsche Bahn wird regelmäßig in toto beschimpft, während bei anderen Verkehrsmitteln lediglich Rahmenbedingungen kritisiert werden. Bei Flughäfen sind es mal der ein oder andere Streik, das lange Warten am Gepäckband oder irgendeine bürokratische Regel, die dafür sorgt, dass man zehn Sekunden nach Mitternacht wegen des Nachtflugverbots nicht mehr in Berlin landen und nach Hannover zurückkehren muss. Bei den Autos sind es verschwindende Parkplätze oder eben die vielen Staus, die natürlich die jeweiligen Regierungen zu verantworten haben. Bei der Bahn ist das anders: Nicht die Politiker:innen werden beschimpft, die für den derzeitigen Zustand verantwortlich sind, sondern die Bahn an und für sich und nicht zuletzt das Personal, das in den Zügen versuchen muss, mit der schwierigen Lage zurechtzukommen.

Warum ich die Bahn liebe

Ich bin nach wie vor ein Fan der Bahn, nicht nur weil ich familiär mütterlicherseits wie väterlicherseits vorbelastet bin, ich wäre, würde ich bei der Bahn arbeiten, die dritte Generation Bahn. Möglicherweise geht meine Bahn-Tradition sogar noch viel weiter zurück. Meine mütterliche Familie kam um 1860 aus der Eifel nach Nippes bei Köln (erst 1888 eingemeindet), wo es heute noch in Erinnerung an den damals beginnenden Ausbau der Bahn rund um den Nippeser Bahnhof ein 60-Viertel gibt.

Man könnte auch sagen, dass die mir mitunter zugeschriebene Belesenheit etwas mit der Bahn zu tun hat. Seit meinem 13. Lebensjahr fuhr ich regelmäßig mit der Bahn, zur Schule, ab 1986 dann 28 Jahre lang zur Arbeit nach Düsseldorf. Nur während meiner Studienzeit fuhr ich nicht, weil ich am Studienort wohnte, in den Anfängen meiner Berufstätigkeit leider auch nicht, denn den ICE-Bahnhof in Montabaur gab es damals noch nicht. Meine Zugfahrten gaben mir in der Schulzeit eine Ahnung der großen weiten Welt, denn auf dem Weg von der Schule in Köln nach Hause in Bonn fuhr ich regelmäßig mit dem Hellas-Express, Destination Athen, Kurswagen Istanbul. Am frühen Morgen stieg ich in die Nachtzüge aus der Schweiz, aus Österreich oder aus Italien. Gelegentlich sah ich am frühen Morgen im Kölner Hauptbahnhof den Zug von Moskau nach Paris (oder war es umgekehrt?), bei dem ich nie so richtig wusste, ob er 24 Stunden Verspätung hatte oder pünktlich war.

In den 1960er und 1970er Jahren war es leicht, fast überall mit der Bahn in Urlaub oder mal nur für ein Wochenende in die hinterste Eifel zu fahren. Da gab es den Zug nach Adenau am Nürburgring, da gab es Kleinbahnen. Heute sind viele Bahn-Trassen zu Fahrrad- oder Wanderwegen geworden. Eine Strecke nach der anderen wurde demontiert. Die Romantik einer Bahnfahrt gibt es allerdings gelegentlich immer noch. Ich empfehle eine Fahrt von Köln nach Trier über die Eifelstrecke, die zwar heute noch wegen der Folgen des Hochwassers, das nicht nur die Ahr betraf, zum Teil mit Bussen befahren wird (Schienenersatzverkehr!), aber die Hoffnung, dass diese Strecke bald doch wieder ein Genuss für alle Bahnreisenden ist, hege ich nicht ohne Zuversicht. Etwas weniger Hoffnung habe ich bei dem Zustand der Bahnhöfe. In den Großstädten hat sich hier viel getan, manche Bahnhöfe – das große Vorbild war Hannover – haben sich zu attraktiven Malls entwickelt, in denen man sich treffen kann, in denen man shoppen oder auch einfach in einem Café oder einem Restaurant entspannen kann. Vor allem auf dem Land und in Vorstadtbahnhöfen sieht das anders aus. Viele sind verfallen, es gibt kein Personal, nur noch einen Fahrkartenautomaten, der auch nicht immer funktioniert. Es gab in früheren Zeiten auch keine Bahnhofsuhr, die nicht die richtige Zeit anzeigte. Das gehört zu den eher traurigen Erlebnissen heutiger Reisen.

Und heute? Ich pendele regelmäßig zwischen Bonn und Berlin, fahre auch zu vielen anderen Orten in Deutschland ausschließlich mit der Bahn und dem Öffentlichen Nahverkehr. Nach wie vor lese ich im Zug. Bücher aus Papier. Mit dem Internet klappt es in der Bahn nicht so richtig. Aber das ist ja nicht nur in der Bahn so. Eine Bundesforschungsministerin meinte einmal, man brauche das Internet doch „nicht an jeder Milchkanne“. Sie hatte den Sinn des Internets eben nicht verstanden, wusste wohl auch nicht wie heute in der Landwirtschaft gearbeitet wird, obwohl sie aus einer sehr ländlichen Gegend kam. So ähnlich dachten vielleicht auch die Vorstände der Bahn und ihre Politikerkolleg:innen.

Ich besitze eine BahnCard 100 First, zu der inzwischen auch das 49EURO-Ticket gehört, dessen Zweck allerdings auch vorher schon auf vielen Strecken in Form des Plus-City-Tarifs erfüllt wurde. Es gab einige Kreise wie den Rhein-Sieg-Kreis, in dem man zusätzlich zahlen musste, aber das hat sich mit dem 49EURO-Ticket geregelt. Mit der BahnCard 100 First kann ich jeden Bus, jede Straßenbahn benutzen, ich habe damit sogar schon den Wannsee per Schiff überquert. Das Ticket erspart mir etwas, unter dem allerdings viele Kund:innen der Bahn leiden. Ich muss mich nie um ein Ticket bemühen. Denn das Tarifsystem der Bahn ist ausgesprochen unübersichtlich. Man kann eine bestimmte Strecke zu Preisen fahren, die zum Teil nur ein Fünftel des Regel-Tarifs betragen, dank der verschiedenen BahnCards 25 oder 50, dank diverser weiterer Tariferleichterung, die durch frühe Buchungen mit Zugbindung möglich werden. Den meines Erachtens unverhältnismäßig hohen Aufwand, den günstigsten Tarif und den richtigen Zeitpunkt herauszubekommen, erspare ich mir mit der BahnCard 100.

Darüber hinaus verfüge ich über ein Kontingent von 100 Reservierungen, kann die BahnBonus-Angebote (die hießen mal BahnComfort) nutzen, gelegentlich auch eine Karte für mitfahrende oder auch für allein reisende Freund:innen zum Nulltarif bestellen, habe sogar für mich reservierte Bonus-Plätze im Zug. Ich erhalte über BahnBonus Freigetränke und – das ist der Clou – darf Wartezeiten in den Lounges der Bahn genießen. Ein Genuss ist die First-Class-Lounge in Frankfurt am Main, sehr angenehm auch die Lounges in Hannover und in Berlin – dort werden meine Frau und ich immer sehr freudig von den Beschäftigten begrüßt – und demnächst wohl auch wieder in Köln, wo umgebaut wird. In der Kölner Lounge traf ich sogar einmal einen Obdachlosen, ein hoch gebildeter Mann, der sich – so sagte er – von seinem „Nicht-Erbe“ – Sozialleistungen wollte er nicht – die BahnCard 100 First leistete und Tag und Nacht in den diversen Lounges oder in Zügen verbrachte. Er genoss wie ich das Zeitungsangebot, das es bis zur Corona-Pandemie auch in den Zügen gab. Es gibt Getränke, es gibt kleine Snacks (leider nicht mehr die wunderbare Vollkornschnitte mit Käse, aber der Falafel-Wrap und die Schokoladenschnittchen sind auch nicht schlecht).

Das Personal wird ausgebeutet

Bleibt zu erwähnen, dass das Personal der Bahn immer freundlich ist, fast nie genervt, obwohl ich gut verstehen könnte, wenn es so wäre, denn jede Verspätung verkürzt die Pausenzeiten. Leider lassen manche Reisegefährt:innen ihren Unmut an denjenigen aus, die nun wirklich keine Schuld an dem Desaster tragen. Das war auch einer der Gründe, dass ich die Streiks bei der Bahn eher wohlwollend zur Kenntnis nahm. Jetzt soll es weitere Einschränkungen geben, bis zu 30.000 Stellen sollen abgebaut werden, nicht nur in der Verwaltung, auch beim Zugbegleitpersonal. Ich hoffe, dass das Personal sich dank engagierter Gewerkschaften erfolgreich wehren wird.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete angesichts interner Chats, die sie zu recherchieren vermochte, unter dem Titel: „Dann sagt ein Teil halt: Nö danke und Tschüss“: „Aus ihnen (den Chats, NR) geht hervor, wie hart die Arbeitsbedingungen für viele Mitarbeitende im Fernverkehr schon jetzt sind und wie wenig Verständnis sie dafür haben, dass ausgerechnet bei ihnen weiter gespart werden soll. Genau das hat die Deutsche Bahn laut der Bahngewerkschaft EVG nämlich vor: Sie erwäge, selbst voll besetzte ICE künftig planmäßig nur noch mit zwei Servicekräften (‚1:1‘) fahren zu lassen, unabhängig von Auslastung oder Wagenanzahl. / Früher sei es gang und gäbe gewesen, zu viert oder zu fünft auf einem ICE eingeteilt zu sein. Insbesondere, wenn eine hohe Auslastung zu erwarten sei, berichten Mitarbeiter der SZ. Auch die Bahn teilt mit: ‚Planmäßig verkehren unsere ICE in der Regel mit einer Mindestbesetzung von fünf Mitarbeitenden.‘ Man befinde sich nun aber bezüglich der ‚Anpassung des Besetzungskonzeptes‘ im Austausch mit den Interessensvertretungen.“ Eine weitere Reportage der Süddeutschen Zeitung trägt den traurigen Titel „Ich schäme mich mittlerweile für das Unternehmen.“

Das Personal streikte in der fernen Vergangenheit nicht – im Unterschied zu den Kolleg:innen in unseren Nachbarländern. Es gab auch genügend Personal, das in Bereitschaft für den Fall eingesetzt werden konnte, wenn jemand erkrankte oder aus anderen Gründen seinen Dienst nicht wahrnehmen konnte. Wer bei der Bahn arbeitete, war verbeamtet. Der Beamtenstatus gab Sicherheit, den Beschäftigten wie den Kund:innen, aber das deutsche Hobby des Beamtenbashing bewirkte, dass mit der Zeit alle Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden, sodass heute bei der Bahn nur noch Angestellte und Arbeiter:innen tätig sind. Und die dürfen streiken. Ihr gutes Recht.

Das Personal der Bahn ist nicht zu beneiden. Die machen alle eine ausgezeichnete Arbeit. Mir erzählte einmal eine Zugbegleiterin, dass sie zwar am Abend eine Hotelübernachtung erhielten, aber das Frühstück selbst bezahlen müssten, weil es sonst eine unangemessene Bereicherung wäre („häusliche Ersparnis“ heißt das im Jargon des Reisekostenrechts). Sie berichtete auch, wie schwer es wäre, Menschen zu motivieren, für die Bahn zu arbeiten. Offenbar reichen die bisherigen Ergebnisse der Tarifverhandlungen nicht aus. Es sind letztlich die Arbeitsbedingungen, die dringend verbessert und attraktiver werden müssen. Nicht zuletzt zu diesem Punkt: Wie wäre es, wenn das Pilotprojekt der Deutschen Bahn, Geflüchtete für die Bahn zu gewinnen, in ganz Deutschland ausgerollt würde?

Schienenersatzverkehr und Personen im Gleis

Als jemand, der viel Bahn fährt, erlebe ich natürlich oft genug Verspätungen. Hat der Zug mehr als eine Stunde Verspätung, gibt es sogar eine Erstattung, in meinem konkreten Fall als Inhaber einer BahnCard 100 First 15 EUR pro verspätete Fahrt. Gäbe es diese Verspätungen nicht, wäre es vielleicht möglich, Personal in der Verwaltung einzusparen, aber so?

Warum diese Verspätungen? Die Ansagen sind bekannt: „Verspätung aus vorheriger Fahrt“, „Verspätetes Personal aus einem anderen Zug“, „Störung an einem Bahnübergang“, „Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“, „Verspätete Bereitstellung“, „Personen im Gleis“, „Signalstörung“, „Weichenstörung“, „Notarzteinsatz“. Ein Freund meinte einmal, all diese Ansagen würden bei Verspätungen zugelost. Das klingt weniger unwahrscheinlich als es ist, denn oft ist es so, dass das Zugpersonal selbst nicht Bescheid weiß. Mitunter ist auch das Internetportal der Bahn überfordert. Das ist nicht immer aktuell.

Für die Kund:innen ist das alles ein großes Problem, Anschlüsse werden nicht erreicht, der Zug endet nicht am vorgesehenen Endbahnhof, sondern bereits vorher, damit er wenigstens die Rückfahrt pünktlich beginnen kann, lange Schlangen am Servicepoint sind die Folge. Mir ist ein solcher vorzeitiger Stopp schon mehrfach in Köln passiert, aber auch in Frankfurt Süd – wie kommt man von Frankfurt Süd zum Hauptbahnhof. Das bedarf schon einer kundigen Recherche. Und man nehme nie den letzten Zug!

Ich habe eine bestimmte Flexibilität und kann dank meiner BahnCard 100 von Berlin auch mal über Frankfurt ins Rheinland fahren. Das kann jemand, der einen Fahrschein für die Strecke über Hannover gebucht hat, nicht. Es ist sogar ein Preisunterschied, ob ich von Köln nach Bonn fahre oder nach Siegburg / Bonn. Zwischen Siegburg / Bonn und Bonn Hbf liegen etwa 30 Minuten Straßenbahn, also eigentlich kein Problem.

Besonders unangenehm ist es – das muss ich leider sagen – seit einiger Zeit bei Fahrten zwischen dem Ruhrgebiet und Köln. Die Strecke ist dermaßen überlastet, dass die Verspätung eines Zuges viele Verspätungen nach sich zieht. Das summiert sich. Schon zwischen Bonn und Köln ist es immer wieder schwierig, weil Züge ausfallen, Züge erheblich verspätet sind oder der Bahnhof wegen einer neuerlichen Baumaßnahme gar nicht angefahren wird. Leider erfährt man dies oft sehr kurzfristig. Ich muss gestehen, dass ich die Pendelei mit der Bahn zwischen Bonn und Düsseldorf, die ich 28 Jahre lang pflegte, heute nicht mehr machen könnte. Dazu ist das real existierende Angebot zu unzuverlässig. Die Dreiviertelstunde, die für die Fahrt im Fahrplan steht, wird immer mindestens eine Stunde, vorausgesetzt man muss in Köln nicht umsteigen, mitunter sind zwei oder gar zweieinhalb Stunden Weg einzuplanen. Fahrpläne gelten heute ohnehin nicht mehr für ein Jahr verbindlich und verlässlich, sondern ändern sich kurzfristig. Man muss schon sehr vorausschauend und flexibel planen. Wer sich darauf einrichtet, kann sich manchen Ärger ersparen.

Die Bahn hat all diese Verspätungen nicht immer zu verantworten. Bei dem Grund „Personen im Gleis“ habe ich schon darüber nachgedacht, ob es nicht ein lohnender Forschungsauftrag wäre, ein psychologisches und soziales Profil dieser Personen zu erstellen. Wie kommen die da hin, was wollen die da und warum gehen die nicht einfach weg? „Notarzteinsätze“ sind tragisch – das ist eine andere Sache. Nur wie kommt es zu all diesen Störungen? Von Weichen, Signalen, auf der Strecke, am Zug, an Bahnübergängen?

Die Antwort ist einfach: Die Bahn wurde von einer ganzen Reihe von Verkehrsministern (alles Männer) systematisch vernachlässigt. Strecken wurden stillgelegt, etwa ein Drittel der Weichen entfernt, war zu viel Pflegeaufwand, Signale und Züge wurden nicht gepflegt. All das rächt sich. Die Bahn ist ein Sanierungsfall, weil niemand die Binsenweisheit berücksichtigte, dass ich bei einer ordentlichen Haushaltsplanung nicht nur Neubau und Neuanschaffung berücksichtigen muss, sondern auch Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen. Jetzt wird saniert – ganze Streckenabschnitte werden über Wochen oder gar Monate gesperrt und komplett neu eingerichtet, aber wer wird beschimpft? Die Bahn! Das Personal! Wie schlecht es der Bahn geht, hat man weltweit bei der Fußballeuropameisterschaft gemerkt: In einem Fall kamen die Fans einer Mannschaft erst zur zweiten Halbzeit ins Stadion. Das Wort „Schienenersatzverkehr“ – der da, wo es ihn gibt, gar nicht so schlecht läuft – dürfte es nach „Kindergarten“, „Waldsterben“ und „Blitzkrieg“ in andere Sprachen schaffen.

Schon Gerhard Schröder tat als Bundeskanzler das, was nachher eine ganze Reihe von CSU-Verkehrsministern fortsetzten. Er setzte seinen Kumpel Hartmut Mehdorn ein, der von der Bahn wenig verstand, wohl aber etwas vom Börsengeschäft und daher versuchte, die Bahn an die Börse zu bringen, indem sie sich im Ausland engagierte. Das war ungefähr so, als wenn ein Restaurant nicht mehr in Geschirr und Lebensmittel investierte, sondern in Verkauf und Vertrieb von Fernsehgeräten und Computern. Das Geld für die inneren Angelegenheiten fehlte, war die waren aber politisch offenbar auch nicht prioritär. Und unter CSU-Ministern galt nach wie vor der von Helmut Kohl aus seiner Zeit als Bundeskanzler kolportierte Satz, ein Verkehrsminister müsse lediglich gut mit einer Schere umgehen können, sprich: Autobahnabschnitte eröffnen können. Schon der sozialdemokratische Verkehrsminister Georg Leber versprach in den 1970er Jahren, dass jeder Deutsche (damals genderte niemand) in unmittelbarer Nähe seinen Autobahnanschluss vorfinden sollte. Diese Einstellung hat sich bis in den heute gültigen Bundesverkehrswegeplan fortgesetzt, dem – so sagte es Joschka Fischer mal – „Wunschkatalog der Verkehrspolitiker und der Autoindustrie“, der wäre „noch unterfinanzierter als alle Parteiprogramme“.

Nun sollen Sanierungsmittel für die Bahn eingesetzt werden, aber natürlich geht das nicht so einfach, dass nur die Bahn Geld bekommt. In Brandenburg plakatiert die FDP im aktuellen Wahlkampf trotzig: „Wir lieben Bahn. Autobahn Inklusive“. Wir lassen uns doch das Auto nicht vermiesen! Das gehört zur deutschen DNA wie Bratwurst und Mallorca-Urlaub. Offenbar zählt die FDP Bahnkund:innen nicht zu ihrer Klientel. Aber wie auch immer: das Hauptproblem ist und bleibt die vom FDP-Vorsitzenden wie ein Mantra vor sich her getragene Schuldenbremse. Geld für alle möglichen Entlastungen fürs Auto, Benzinpreiszuschüsse für alle zum Beispiel, ist da, aber für die Bahn? Keine Priorität. Naja, nur wenn es nicht anders geht.

Und nun?

Wird die Bahn wieder zu einem gesunden Unternehmen? Vielleicht gelingt es, aber es wird Zeit und Geld kosten. Und Geduld bei Kund:innen und Personal. Aber es wird nicht gelingen, wenn nur über Strukturfragen debattiert wird – Netz und Betrieb trennen zum Beispiel –, dies aber nicht mit den notwendigen Geldern unterfüttert wird. Wenn wir wirklich eine Verkehrswende wollen, müssen wir in die Bahn investieren, investieren, investieren. Das sollte höchste Priorität haben: vor Autobahnen und vor Fahrradwegen!

Der Tagesspiegel übernahm einen Artikel aus dem Handelsblatt mit fünf Überlebensregeln für Bahn-Pendler. Ich hätte noch einige Tipps mehr, wie man eine Reise plant, vor allem wie viel Zeit man sich nehmen sollte, vielleicht sogar als Beitrag zur Entschleunigung? Vielleicht ist unser Wahn, alles immer schneller erledigen und erreichen zu müssen, auch ein Grund, warum es der Bahn so schlecht geht. Ich kenne sogar einige überzeugte Grüne, die mir wortreich erklären, sie führen lieber mit dem Auto als mit der Bahn.

Aber wenn die Bahn ihr Image verbessern möchte, sollte sie mit der Pflege ihres eigenen Personals anfangen. Das ist genauso wichtig wie die Sanierung von Strecken, Weichen, Signalen und Bahnhöfen. Ich kann auch allen Bahnkund:innen nur raten: Anerkennung für das Personal, denn wenn weder Politik noch Bahnvorstand noch wir als Kund:innen diese Anerkennung leben und pflegen, wird auch der beste Sanierungsplan nicht helfen. Wir bekommen dann eine Bahn, aber niemand fährt mehr damit, weil kein Personal da ist, die Kund:innen zu betreuen. Und vielleicht ist die aktuelle Bahn genau die Bahn, die wir verdienen?

Bleibt hinzuzufügen, dass ich all dies ähnlich auch über den Öffentlichen Personennahverkehr hätte schreiben können. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, als sei es eben gar nicht gewollt, dass Bahn und ÖPNV mit dem Auto und dem Flugzeug konkurrieren können. Aber vielleicht ist das nur eine böse Unterstellung.

War das jetzt eine Liebeserklärung? Ich denke schon, aber liebe Leser:innen, entscheiden Sie!

Norbert Reichel, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im August 2024, Internetzugriffe zuletzt am 6. August 2024.)