Unsterblich

Oder der Traum vom „sinnhaften“ Leben

Who wants to live forever” (Queen, aus dem Titelsong des Films „Highlander”)

Das menschliche Leben wird durch unterschiedliche Empfindungen für den Ablauf der Lebenszeit bestimmt und ist damit ein gutes Beispiel für die individuelle Relativität der Zeit. Aus diesem Grunde sind Erzählungen beliebt, die mit den Möglichkeiten eines verlängerten oder ewigen Lebens spielen. Wiedergeboren werden in einer anderen Daseinsform ist das gängige Narrativ vieler Religionen. Länger zu leben ist ein gängiges Narrativ technischer Erprobungen. Nicht sterben zu müssen ist ein Narrativ aus dem Märchen und der Welt der Fantasyromane. Wenn diese Erzählungen gut geschrieben sind, verlagern sie die Erzählkunst auf die Frage, was der Mensch denn eigentlich mit der geschenkten Zeit sinnvoll anfangen wird.

Sein und Sinn

Es geht um die Vergänglichkeit alles Lebenden, um Alternsprozesse in der Natur und – insbesondere beim Menschen, der diese Entwicklungen bewusst an sich und seinen nahestehenden Menschen erlebt. Vermutlich ist der Mensch, vielleicht abgesehen von Schimpansen und Elefanten, das einzige Lebewesen auf dem Planeten Erde, das sich seiner Sterblichkeit bewusst ist. Wenn das Leben schon endlich ist, was ist dann der Sinn des Lebens? Gibt es überhaupt einen Sinn, eine Aufgabe, eine Bestimmung? Oder sind solche Gedanken Humbug, Unsinn, Überheblichkeit? Der Mensch als Krone der Schöpfung verschwendet seine Denkfähigkeit mit egozentrischer Bestimmungsduselei?

Man kann das Thema Lebenszeit des Menschen in fiktiven Erzählungen bestens dramatisieren. Die Science-Fiction Literatur bietet zu den Schwerpunkten Zeitreise und Zeitmaschine sehr viele Geschichten, die zum eigentlichen Kern, dem „Novum“ des Genres gehören, wie es Darko Suvin beschrieben hat. Die Romane sind gut, wenn sie technische Aspekte abhandeln, sie sind besser, wenn es um das menschliche Dasein geht, und sie sind genial, wenn sie philosophische Grundsatzfragen des menschlichen Seins dramatisieren.

Der vielleicht schönste (Jugend-)Roman über die Lebenszeit der Menschen ist von Michael Ende Momo – Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte (1973). Ein aktueller Roman behandelt das Thema: Was wäre, wenn Sie wüssten, wie lange Sie noch zu leben hätten? Nikki Erlick: Die Vorhersage (2022). Das Buch ist leicht zu lesen, allerdings ist die Thematik aus meiner Sicht zu seicht abgehandelt worden.

Den Film Highlander (1986) von Russel Mulcahy, geschrieben von dem amerikanischen Drehbuchautoren Gregory C. Widen und aufgewertet durch die Musik der britischen Rockgruppe Queen. Der Film handelt vom Leben des unsterblichen Connor MacLeod, der im Jahre 1518 im schottischen Dorf Glenfinnan geboren wird und dann als Russel Nash in New York des Jahres 1985 lebt. Die wenigen Unsterblichen auf der Erde müssen am Tag des letzten Zusammentreffens gegeneinander mit Schwertern kämpfen und sich den Kopf abschlagen, bis nur noch ein Unsterblicher, dann mit Superkräften ausgestattet, überleben wird. Die Szenen mit den Schwertkämpfen sind eigentlich nur das Action-Beiwerk des Films, viel interessanter finde ich die vielen kleinen und größeren Exkurse über das Thema der Unsterblichkeit, zum Beispiel das Zusammenleben von Connor MacLeod mit Heather am Anfang der Erzählung. Heather altert und stirbt, während Connor MacLeod jung bleibt und allein einen neuen Sinn seines Lebens suchen muss. Dazu wird das Lied Who wants to live forever? von Queen, geschrieben von dem Gitarristen Brian May, eingespielt, mit den Textzeilen:

There’s no time for us
There’s no place for us
What is this thing that builds our dreams, yet slips away from us

Who wants to live forever
Who wants to live forever
There’s no chance for us
It’s all decided for us
This world has only one sweet moment set aside for us

Who wants to live forever
Who wants to live forever (…)

Die von David Fincher im Jahre 2008 mit Brad Pitt und Cate Blanchett in den Hauptrollen verfilmte Erzählung von F. Scott Fitzgerald: Der seltsame Fall des Benjamin Button (1922, Novelle: The Curious Case of Benjamin Button, in: Tales of the Jazz Age, 1922): Benjamin Buttons biologische Uhr tickt rückwärts, er entwickelt sich von einem Baby mit den Zügen eines Greises zurück zu einem alten Mann, einem erwachsenen Mann, einem Jüngling und zu einem 84-jährigen Baby, das schließlich in den Armen seiner Freundin Daisy stirbt. Der Kritiker Frank Olbert lobte den Film im Kölner Stadtanzeiger als Meisterwerk, als „in Bilder übersetzte philosophische Reflexion über die Existenz, das Altern und den Tod“. Olbert schreibt, das Zeigen des Sterbens in dem Film geschähe „auf unvergleichlich empfindsame, ja zärtliche Weise …“

Im Jahre 2023 zeigte Netflix den Film Paradise (2023), eine düstere Dystopie, in dem das Biotech-Unternehmen Aeon in der Lage ist, jungen Menschen durch einen medizinischen Eingriff Lebenszeit zu entnehmen und diese auf andere Menschen zu übertragen. Die Zeitspender altern, während die Zeitempfänger jünger werden. Die Grundidee, Lebenszeit von einem Menschen auf einen anderen übertragen zu können und dies in einen Handlungsstrang einer kapitalistischen Profitgier einzubetten, ist gut. Die Entwicklung der Handlung im Film finde ich allerdings nicht sehr gelungen, die Kämpfe zwischen Aeon-Vertretern und den Mitgliedern der Adam-Gruppe sind eher typisch für langweilige Actionfilme. Der Film ist etwas verworren im Handlungsablauf, steht aber durchaus in der Tradition von Dystopien wie Aldous Huxley´s Brave New World (1932) und ist ein Beitrag zur Diskussion der Frage, was man in der modernen Welt mit gekaufter Zeit – wenn dies technisch möglich wäre – anfangen würde.

Der Garten der Zeit

Jeder Gartenliebhaber weiß die jeweilige Mischung eines Gartens aus natürlicher Vegetationsabfolge, gestaltenden Eingriffen des Menschen und akzentuierendem Einsatz von Kunstelementen zu schätzen. Gärten sind Orte der Ruhe, Muße, Besinnung, kurz gesagt: Orte des Nachdenkens. Italienische Gärten bzw. Renaissancegärten sind eine Hochform der historischen europäischen Gartengestaltung, zusammengesetzt aus einer geometrischen Gestaltung mit Pflanzen und Kunstwerken rund um eine Villa. Renaissancegärten und Barockgärten gelten als Hochform der europäischen Gartenkunst.

Gärten haben mit Zeit zu tun, sie sind Oasen der Zeitlosigkeit. In Gärten finden aber auch Veränderungen statt, als jahreszeitliche Abfolge des Wachsens, Blühens und Verwelkens von Pflanzen. Dennoch scheint die Zeit in Gärten stillzustehen und die Insassen sind von der Realität außerhalb abgeschirmt. Gärten sind Orte mit einer doppelten Zeitstruktur; als Stillstand und als Veränderung. Gärten laden zum Verweilen, Staunen und zur inneren Einkehr ein. Gärten sind Orte der friedvollen Begegnung, des Gesprächs und der staunenden Naturbewunderung. Gärten sind Orte des Friedens im Zentrum des temporären Sturms ringsum.

Gärten besitzen Magie, sind Orte des Rückzugs und der Heilung und werden oft als Pforten in andere Zeiten, Zustände und Daseinsformen angesehen, wie dies beispielsweise in dem Fantasy-Film Der Geheime Garten (1993, 2020) so zauberhaft gezeigt wird. Es gibt mehrere Verfilmungen des zugrundeliegenden Buches Der Geheime Garten (1911) von Frances Hodgson, in dem die Autorin von der in Indien geborenen Mary erzählt, deren Eltern in Indien gestorben sind und die jetzt bei ihrem adligen Onkel in England aufwachsen muss. Die gefühlskalte Beziehung zu ihrem Onkel und seiner Hausdame ändert sich, als Mary das Dienstmädchen Martha und ihren Bruder Dickon kennenlernt und den geheimen Garten der verstorbenen Lady, der Zwillingsschwester ihrer Mutter, entdeckt. Sie trifft auf ihren Cousin Colin, der in seinem Zimmer versteckt wird, weil er glaubt, todkrank zu sein. Das durch die Todesfälle der Zwillingsschwestern, der Mütter von Mary und Colin, belastete Familienverhältnis hellt sich langsam auf, als die Kinder die Magie des geheimen Gartens entdecken.

Eine der schönsten Kurzgeschichten zum Thema Zeit ist, so meine ich, die Erzählung The Garden of Time (1962) von James Graham Ballard. Diese knapp sechs Seiten kurze Erzählung, zuerst erschienen in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ (Februar 1962), enthält alles, was eine außerordentlich gute literarische Arbeit kennzeichnet. Es ist eine elegante, geheimnisvolle Elegie auf einen aristokratischen Rückzugsort und ebenso eine wundervolle Allegorie auf die Bedrohung durch die Abläufe der Ort. Diese Kurzgeschichte ist eine dringende Empfehlung für alle, die sich mit dem Thema Zeit beschäftigen wollen. Der Garten der Zeit (1962) von James Graham Ballard würde – wenn man lediglich zwei Erzählungen auswählen dürfte – gemeinsam mit H.G. Wells‘ Die Zeitmaschine (1895) alles abdecken, was Menschen über das Wesen dieser schicksalsprägenden physikalischen Konstante wissen müssen.

Unsterblichkeit

Die wahrscheinlich größte Sehnsucht der Menschheit handelt von der Idee, Wege zu finden, um den Tod zu überwinden und unsterblich zu werden. Die Themen „Unsterblichkeit und Lebensverlängerung“ sind Standardthemen der Science-Fiction Literatur. Gary Westfahl stellt in seiner umfangreichen Studie: Science Fiction Literature Through History. An Encyclopedia (2021, Volume 2) die wichtigsten Werke vor, angefangen vom Gilgamesch-Epos (2100 vor Christus) über Gullivers Reisen (1726) zu Mary Shelleys The Mortal Immortal (1833) bis hin zu zahlreichen Werken der jüngeren Vergangenheit des Genres. Interessant sind die analytischen Bemerkungen von Westfahl, zum Beispiel, dass eine der Hauptideen solcher Erzählungen sei, dass die Unsterblichkeit des Menschen nur durch den Tod anderer Menschen erreicht werden könne.

Zum Thema Lebensverlängerung gibt es zahlreiche Narrative in der Science-Fiction-Literatur, oft bezogen auf die technische Seite eines solchen Unterfangens, aber es finden sich auch viele interessante Spekulationen über mögliche Probleme der Lebensverlängerung. Beispielhaft seien erwähnt: Clifford D. Simak schreibt in Way Station (1963), dass Außerirdische einen Menschen unsterblich werden lassen, damit dieser dauerhaft als Operateur für eine Teleportations-Station Dienst machen kann. Robert Heinlein beschreibt in seinem Roman Methusalem`s Children (1942, 1958), wie Menschen im 19. Jahrhundert versuchen, die Lebensspanne zu verlängern. Roger Zelazny schreibt in This Immortal (1965) über unsterbliche Menschen, die auf einer Erde der Zukunft leben, die nach einem Atomkrieg der Menschen jetzt von Aliens beherrscht wird. Die Menschen der fernen Zukunft werden oft als Unsterbliche beschrieben, wie in Arthur C. Clarke´s The City and the Stars (1956).

Das Thema Verjüngung durch die Erfolge der medizinischen Forschung bearbeitet Maxim Leo in seinem Roman Wir werden jung sein (2024). Der Autor schildert in seiner Erzählung, welche positiven und welche negativen Konsequenzen für das Alltagsleben von Menschen der Gegenwart auftreten würden, wenn die medizinische Forschung tatsächlich eine Methode zur Verjüngung des Menschen finden würde.

Viele Erzählungen über Unsterblichkeit oder Zeitreisen greifen den menschlichen Irrtum auf, dass man entweder alles richtig machen würde, wenn man genug Zeit hätte oder alle Fehler korrigieren könne, wenn man in die Zeit zurückreisen und alles anders machen würde. Der grundlegende menschliche Denkfehler ist, dass man ein fehlerfreies Leben führen würde und keine Umwege und Irrwege werde gehen müssen, um ans Ziel zu gelangen. Welches Ziel ist gemeint? Was ist der Sinn eines guten menschlichen Lebens? Diese Frage werden Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen sowie in den Kulturkreisen selbst völlig unterschiedlich beantworten. Es gibt keine allgemeingültige Definition des guten menschlichen Lebens.

Erzählungen über die Unsterblichkeit gehen meist von der naiven Vorstellung aus, dass die Unsterblichkeit mit ewiger Jugend, andauernder Gesundheit und durchgängiger Vitalität verknüpft sei. Wäre Unsterblichkeit auch dann noch so attraktiv, wenn sie mit fortschreitendem Alterungsprozess, abnehmender Gesundheit und dauerhafter Gebrechlichkeit verbunden wäre? Jonathan Swift schreibt in seinem berühmten Roman Gullivers Reisen (1726) über die Struldbruggs, die unsterblich sind, aber immerfort altern. Dies ist sicher für die meisten Menschen eine Horrorvorstellung, ewig zu leben und dabei alt und gebrechlich zu sein. Dann, und erst dann, erscheint der Tod als Erlösung.

Mary Shelley hat in ihrer Kurzgeschichte The Mortal Immortal (1833) erzählt, dass Cornelius Agrippa einen Zaubertrank mischt, der einen seiner Studenten unsterblich macht. Dieser ist nicht glücklich darüber, sondern sehr verärgert, denn er gewinnt zwar seine große Liebe Bertha, aber er überlebt sie auch und klagt, ähnlich wie der Highlander Connor MacLeod beim Tode seiner Frau Heather, über den Fluch der Unsterblichkeit: „Wir lebten noch viele lange Jahre. Bertha wurde bettlägerig und lahm; ich pflegte sie, wie eine Mutter ein Kind pflegen würde. Sie wurde mürrisch und haderte immer noch mit der Frage, wie lange ich sie überleben würde. Es ist mir immer ein Trost gewesen, dass ich meine Pflicht ihr gegenüber gewissenhaft erfüllt habe. Sie war in der Jugend die meine gewesen, sie war die meine im Alter; und als ich schließlich den Rasen über ihrem Leichnam aufschüttete, weinte ich, weil ich fühlte, dass ich alles verloren hatte, was mich wirklich an die Menschheit band.“

Aus dem Lobgesang für die Unsterblichkeit wird der Lobgesang auf den Tod: „Tod, mysteriöser, ungeliebter Freund der schwachen Menschheit! Warum hast du mich allein von allen Sterblichen aus deiner schützenden Herde verstoßen? Oh, für den Frieden des Grabes! die tiefe Stille des eisernen Grabes! dass der Gedanke aufhören würde, in meinem Gehirn zu arbeiten, und mein Herz nicht mehr mit Gefühlen schlagen würde, die nur durch neue Formen der Traurigkeit verändert werden!“

Unsterblichkeit: Segen oder Fluch? Die Entscheidung liegt in der individuellen Bewertung. Die Literatur gibt dazu viele Ratschläge in Form von mehr oder weniger tiefgründigen Erzählungen.

Wiedergeburt

Die Entstehung einer neuen körperlichen Existenz nach dem Tode eines Lebewesens, besonders des Menschen, nennt man Wiedergeburt oder Reinkarnation. Die meisten Religionen der Menschheit beschäftigen sich mit dieser Thematik, also des Vergehens des Körpers und der Wiedergeburt der unsterblichen Seele in einem neuen Körper. Insbesondere der Buddhismus und der Hinduismus haben im Zentrum ihres Glaubens die Seelenwanderung und die Wiedergeburt eines neuen Lebens in einem neuen Lebewesen. Dieser Glaubensvorstellung wohnt eine starke Kraft inne, denn sie macht für viele Menschen das schwere oder gar unerträgliche Dasein auf dieser Erde etwas leichter, wenn man daran glaubt, dass nach dem Tode eine neue Existenz kommt, sich also ein neuer Lebensweg auftut, der besser werden wird als der momentane.

Das Thema Wiedergeburt taucht immer wieder als Narrativ in Romanen auf und wird immer wieder in etwas anderer Akzentuierung aufgegriffen und neu erzählt. Der Glaube versetzt Berge und eine gute Erzählung über die Überwindung des Todes und das ewige Weiterleben in einem anderen Körper ist zu allen Zeiten attraktiv. Der Film Infinite – Lebe unendlich (2021) ist eine filmische Umsetzung des Romans The Reincarnation Papers (2009) von D. Eric Maikanz und leider eine verpasste Chance für eine glaubhafte Inszenierung des Themas Wiedergeburt. Eigentlich ist der Film lediglich eine brutale Aneinanderreihung von sinnentleerten Actionszenen, in denen sich die zwei Fraktionen der Unsterblichen duellieren. Warum sie unsterblich sind und was ihr Auftrag ist, bleibt unklar. Hier ist ein großes Thema in Materialschlachten verbrannt worden. Anders gesagt: Ein attraktives Thema führt zu Trash, wenn es nicht philosophisch reflektiert wird.

Für diejenigen, die sich für historische Gedanken über Alchemie, den Stein der Weisen und das Thema Wiedergeburt interessieren, empfehle ich den Klassiker Der Rote Löwe (1984) von Maria Szepes, eine Erzählung über den Alchimisten Hans Burger, der im 16. Jahrhundert das Pulver „der rote Löwe“ entdeckt, mit dessen Hilfe man das ewige Leben gewinnt und durch die Jahrhunderte als wiedergeborener Mensch reisen kann.

Das Weiterleben des Menschen nach seinem Tode als ewige Computerdatei ist bereits in den Schriften des Transhumanismus ausführlich diskutiert worden. Der Grundgedanke der Unsterblichkeit des Menschen durch die Verschmelzung seines Bewusstseins mit Maschinen wurde bereits vor mehr als dreißig Jahren von Hans Moravec in seinem aufsehenerregenden Buch Mind Children: The Future of Robot and Human Intelligence (1988) als Evolution des postbiologischen Lebens beschrieben. Ray Kurzweil, der berühmteste Vertreter des technologischen Posthumanismus, hat diese Ideen weiterentwickelt und in seinen Büchern Das Zeitalter der intelligenten Maschinen (1990) und The Singularity is Near: When Humans Transcend Biology (2005) einem breiteren Publikum vorgestellt. Posthumanismus und Transhumanismus sind philosophische Konzepte zur Überwindung der traditionellen biologischen Menschlichkeit zugunsten der Einspeisung von Bewusstsein in Computer oder der Verschmelzung von Menschen mit Maschinen. Das Fernziel ist die Erschaffung unsterblichen, intelligenten Lebens, das in der Nachfolge des Homo sapiens als maschinenähnliche kosmologische Superintelligenz das Universum kolonisiert und damit den Kosmos selbst in eine intelligente Wesenheit verwandelt.

Die Singularität scheint wirklich näher zu kommen. Am 12. Mai 2024 berichtete die ZDF-Nachrichtensendung „Heute-Journal“ über das US-amerikanische Startup Unternehmen „Eternos“, das mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz sterbenden Menschen die Möglichkeit bietet, ihren Hinterbliebenen einen digitalen Zwilling zu hinterlassen, mit dem sie auch nach dem Tode ihres geliebten Menschen kommunizieren können. Ist dies eine Hoffnung oder ein Fall für die medienethische Diskussion?

Wiedererweckung

Die imaginäre Kraft der Science-Fiction ist besonders bei dem Thema Wiedererweckung ausgestorbener Arten deutlich geworden. Eines der Meisterwerke ist der Roman Jurassic Park (auch als Dino Park erschienen, 1990) von Michael Crichton, der auch gemeinsam mit David Koepp das Drehbuch für den berühmten Film Jurassic Park (1993) von Steven Spielberg schrieb. Die Bearbeitung des Themas ist auch eine gute Kombination der Visionen von Naturwissenschaft und Literatur, denn die Dinosaurier der Erzählung entstehen mit den Mitteln der modernen Gentechnologie aus Dinosaurierzellen aus der Zeit vor 65 Millionen Jahren, die Wissenschaftler der Gegenwart im Blut von Stechmücken finden, die in Bernstein eingeschlossen sind. Das Besondere an dem Film ist, dass Steven Spielberg uns Lebewesen auf der Leinwand in scheinbar naturgetreuer Darstellung gezeigt hat, die ein Mensch niemals wird in der Realität sehen können. Es sei denn, er reiste mit einer Zeitmaschine zurück auf die Erde vor 65 Millionen Jahren – und genau das tut der Hauptdarsteller Adam Driver in dem Film 65 (2023), der als Mitglied einer humanoiden Zivilisation von dem erdähnlichen Planeten Somaris auf die Erde von vor 65 Millionen Jahren verschlagen wird und sich dort mit Dinosauriern herumschlagen muss. Der Film ist sehenswert, ist aber im Grunde ein narrativer Abklatsch der Erzählung von Michael Crichton und der filmischen Darstellung von Steven Spielberg.

Der US-amerikanische Thriller-Autor Douglas Preston hat in seinem Roman Extinction (2024) die Wiedererweckung ausgestorbener Lebewesen noch weitergetrieben. Er lässt Wissenschaftler in einem abgelegenen Ferienressort Neandertaler wiederauferstehen, die aus westeuropäischer DNA wiederbelebt werden und nennt dies „De-Extinktion“, wobei, besonders perfide, dies der Verbesserung des Genpotenzials von reichen Menschen dienen soll. Das Ganze gerät natürlich, wie im Jurassic Park auch, völlig außer Kontrolle, sonst wäre es ja auch kein Thriller. Interessant an diesem Roman ist wiederum der wissenschaftliche Hintergrund, denn die DNA der Neandertaler wurde im Jahre 2010 sequenziert und wir Menschen tragen zwei bis drei Prozent Neandertaler-Gene in uns. Der Homo sapiens hat den Homo neanderthalensis fünftausend Jahre bekämpft und schließlich ausgerottet. Jetzt erweckt der Mensch der Gegenwart den Neandertaler nach vierzigtausend Jahren wieder zum Leben, jedenfalls in der Literatur.

Douglas Preston schildert die neuen Konflikte zwischen den wiedererweckten Neandertalern und den Menschen der heutigen Zeit als Action-Thriller, geht aber auch detailliert auf die Unterschiede zwischen den beiden Vertretern der Menschengattungen ein. Der Neandertaler hatte ein größeres Schädelvolumen und hat sich mit Höhlenmalereien beschäftigt. Warum hat er, der größer und stärker war als die Menschen der Frühzeit, den Krieg verloren. Dazu schreibt Douglas Preston in dem Roman: „Weil die Menschen eine entscheidende Qualität besitzen, die ihnen fehlte: Empathie. Das mussten wir feststellen, als wir sie von klein auf großgezogen haben. Empathie? Inwiefern macht das einen Unterschied? Es macht einen gewaltigen Unterschied. Aus der Empathie entspringen Kooperation, Mitgefühl und Altruismus. Wir unterstützen einander.“

Douglas Preston betont in seinem Nachwort, dass er seinen fiktiven Roman auf der Basis realer Wissenschaft geschrieben habe und bezieht sich auf die Insel des Dr. Moreau (1896), jenen berühmten Roman von H.G.Wells, in dem sich dieser mit der Vision der Schaffung von Tiermenschen auseinandersetzt. Ob er damit den historischen Neanderthalern gerecht wird oder sie zu einem Opfer (s)eines paläontologischen Rassismus macht, ist eine andere Frage.

Die einzig wirklich sinnvolle Zeitreise ist die literarische Erzählung

So könnte ein Fazit zum Thema Zeitreisen lauten. Eine Zeitreise in Erzählungen, in denen alles möglich und sinnvoll erscheint, in der aber auch alles erklärt und auf seinen Sinngehalt untersucht werden muss. Die literarische Zeitreise darf alles und kann alles – darin eingeschlossen ist die Möglichkeit großer Kunst, die die Zeit überdauern wird.

Die literarische Erzählung hat eine visionäre Kraft, die über die Wissenschaft und andere menschliche Erkenntnismethoden hinausgeht. Literatur über Zeitphänomene ist nicht auf lineare Zeitabläufe und aufeinanderfolgende Ereignisse beschränkt, sie kann Ungleichzeitigkeiten beschreiben, Zeitsprünge inszenieren und Sprunghaftigkeit als Narrativ benutzen. Imaginationen und scheinbar Unmögliches können eingesetzt werden, um Realitäten besser zu beschreiben und das Mögliche herauszuarbeiten. Die narrativen Möglichkeiten sind unendlich und gute Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind in der Lage, dies zum Vergnügen und zum Erkenntnisgewinn ihrer Leserinnen und Leser zu tun. Literarische Zeitreisen sind nicht auf die Gesetze der Physik angewiesen, sondern auf die Gesetze guter Literatur.

Der Film Die Zeitmaschine aus dem Jahre 1960 ist eine werkgetreue Visualisierung des Romans von H.G. Wells aus dem Jahre 1895. Lediglich der Schluss wird anders umgesetzt. Der Zeitreisende im Roman reist aus dem Jahre 802.701, der Zeit der Eloi und Morlocks, weiter in die ferne Zukunft der Erde 30 Millionen Jahre nach unserer Zeit und findet dort eine stillstehende Erde vor einem roten Feuerball, der einmal unsere Sonne war. Die Menschheit ist ausgestorben. Im Film dagegen kehrt der Zeitreisende in die Zeit der Eloi und Morlocks zurück, während sein Freund des Jahres 1899 entdeckt, dass er drei Bücher aus seinem Labor mitgenommen hat. Es bleibt offen, welche Bücher dies sind.

Ich möchte an dieser Stelle meine drei Bücher zum Thema nennen, die ich an seiner Stelle mitgenommen hätte:

Das Standardwerk der Science-Fiction und seine Weiterführung:

  • Herbert George Wells, Egon Friedell: Die Zeitmaschine – Die Reise mit der Zeitmaschine, 1904, 1946, Neuausgabe in einem Band, herausgegeben von Dieter von Reeken, Lüneburg.
  • Das Meisterwerk über kulturelle, wissenschaftliche und kosmologische Zeiten der Menschheit im Angesicht überlegener Aliens im Universum: Cixin Liu: Die Trisolaris-Trilogie: Die Drei Sonnen, Der Dunkle Wald, Jenseits der Zeit (2016, 2018, 2019).
  • Der Roman über die Entdeckung eines Zeitbeobachtungsinstruments, das durch seine Anwendung alle historischen Geheimnisse und jegliche Privatsphäre der Menschen zerstört: Arthur C. Clarke, Stephen Baxter, The Light of Other Days (2000).

Fritz Heidorn, Oldenburg

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im September 2024, Internetzugriffe zuletzt am 30. August 2024. Titelbild: „Sirius Transit“ von Thomas Franke, der das Bild wie folgt beschreibt: „Und seht, was just der Weltmaschine patakosmologisches Getriebe im Gegensatz zur obsoleten Wirklichkeit erschafft, wie düstres Wimmeln sich vom grenzenlosen Hellen separiert und aus ursuppig kosmochemischem Geschiebe Erdkügelchen auf -kügelchen vom Mikro- ins Makrotische gebiert. Seltsam Symbolisches anwandelt überall als daß es dinghaft durch ins Gegenteil verkehrten Äther schwebt, alogisch auch, daß all nur das, was irgendwer erlebt, ausschließlich Wirklichkeit und keinfalls vorgespiegelt ist. Noch bleibt’s Experiment in tempus vor dem uren Knall, doch immerhin sind Gus und Barry mittendrin.“ Holzstichcollage 21,5 x 39,5 cm 2018. Mit freundlicher Genehmigung von Thomas Franke, präsent im Demokratischen Salon mit verschiedenen Bildern und dem Gespräch „Parallele Welten – synergetisch gebrochen“. „Sirius Transit“ ist der Titel eines der Bände der Werkausgabe von Herbert W. Franke, die Thomas Franke – nicht mit dem Autor verwandt – illustriert.)