Was fehlt dem polnischen Denkmal in Berlin?

„Den Opfern von Krieg, Besatzung und Rassenwahn 1939 – 1945“

Lange wurde darüber diskutiert, war es umstritten, nun aber ist es da: am 16. Juni 2025 wurde das polnische Denkmal enthüllt! Es gedenkt der polnischen Opfer in der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Und sogleich wird es schlecht gemacht. Es soll nur vorläufig sein, Platzhalter für etwas anderes, das eigentliche Denkmal, eingebettet in das „Deutsch-Polnische Haus“.

Dabei ist dieses Denkmal würdig und gut gestaltet – ein riesiger Stein, zentral und historisch gut ausgesucht, am Ort der ehemaligen Kroll-Oper, wo Hitler am 1. September 1939 den Krieg mit Polen verkündete. Ganz im Zentrum Berlins, in der Nähe des Kanzleramtes.

Weshalb soll es ein neues Denkmal geben? Weshalb soll das gerade aufgestellte temporär sein? Was fehlt ihm? Was steht dahinter? Soll das andere, neue, monumentaler sein? Gar in den Wettbewerb eintreten mit dem Holocaust-Denkmal? Das wäre in meinen Augen widersinnig und würde dem Anliegen des beabsichtigten Gedenkens nicht gerecht. Verstehen würde ich, wenn es den Wunsch gäbe, den – wie ich finde, sehr geeigneten – Stein um ein Kunstwerk zu ergänzen. Aber nicht, dies Denkmal durch ein neues zu ersetzen!

Die aktuelle Gedenktafel. Foto: NoRei.

Wenig zufriedenstellend dagegen ist in meinen Augen die Gedenkformel. Sie lautet: „Den polnischen Opfern des Nationalsozialismus und den Opfern der deutschen Gewaltherrschaft in Polen 1939-1945“. Doch wer ist gemeint? Es müssten doch alle Opfer der Zweiten Republik Polen sein, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt am 1. September 1939 von Hitlerdeutschland überfallen wurde, und kurz danach, am 17. September, von Stalins Sowjetunion, die 52 % des polnischen Staatsgebiets besetzte. Es war gewissermaßen die vierte Teilung Polens. Im sowjetisch besetzten Gebiet lebten damals 13 Millionen polnische Staatsbürger, doch setzte sie sich folgendermaßen zusammen: fünf Millionen waren Ukrainer, drei Millionen Belarusen, zwei Millionen Juden und knapp drei Millionen waren ethnische Polen. Auch viele Deutsche lebten dort. Ab Juni 1941 kamen auch diese unter deutsche Besatzung. Wäre es nicht wichtig, dass die Gedenkformel sicht- und wahrnehmbar auch die Opfer dieser Minderheiten mit ihrer ethnischen Identität einbezieht – und dies auch in ihren eigenen Sprachen? Die Gedenkformel sollte deshalb dort außer Polnisch und Deutsch auch in Jiddisch, Ukrainisch, Belarussisch und Litauisch dort stehen.

Mein Vorschlag für diesen Text: „Den Opfern von Krieg, Besatzung und Rassenwahn 1939 – 1945“.

Es ist nun geplant, im Zentrum Berlins ein „Deutsch-Polnisches Haus“ zu schaffen. Hier soll an die polnischen Opfer durch Krieg und Besatzung erinnert werden, aber auch an die lange durchaus auch friedliche Beziehungsgeschichte zwischen Polen und Deutschen. Ausgangspunkt für diesen Plan ist die Bundestagsresolution vom 30. Oktober 2020 (Drucksache 19/23708), die für einen polnischen Lernort in Berlin mit einem polnischen Denkmal eintritt. Sie war die Initiative einiger einflussreicher Abgeordneter, nachdem der Bundestag drei Wochen vorher schon ein Dokumentationszentrum zum Gedenken an die deutsche Besatzung in Europa und den Vernichtungskrieg im Osten (Drucksache 19/23126) beschlossen hatte. Auch in diesem spielte Polen eine wichtige Rolle, aber eingebettet in die größere Dimension des umfassenderen Vernichtungskrieges im Osten…

Leider wurde es in der folgenden Legislaturperiode versäumt, beide Projekte zusammenzuführen und so wurden sie getrennt voneinander verfolgt, gewissermaßen im Wettbewerb miteinander, beide seit 2021 betreut von der beziehungsweise dem Bundeskulturbeauftragten. Wegen der außenpolitischen Bedeutung Polens trat das bilaterale Projekt mehr und mehr in den Vordergrund. Gleichzeitig gibt es aber in Polen deutlich weniger Interesse am „Deutsch-Polnischen Haus“ als am Denkmal.

Dieser bis heute im Vordergrund stehende bilaterale Ansatz birgt jedoch große Risiken und Widersprüche.

Das gilt einmal grundsätzlich:

Wichtiger Hintergrund beider Projekte war, dass sich in Deutschland die Erinnerung an den Nationalsozialismus immer mehr auf das Gedenken an den Holocaust beschränkte. So sollten endlich auch andere Dimensionen der NS-Verbrechen in die Erinnerung und in das Gedenken einbezogen werden. Das gilt für die Millionen Opfer des von Beginn an so geplanten Dokumentationszentrum zum Vernichtungskrieg und der mörderischen Besatzung in Polen, Belarus, der Ukraine und Russland, aber eben auch in Jugoslawien, besonders im heutigen Serbien. Die Initiatoren des bilateralen Projektes mit Polen argumentierten mit der besonderen Nachbarschaft und der längsten Besatzungszeit, eben vom September 1939 bis 1945.

Doch ist das historisch überzeugend?

Bezeichnend war, dass in den Gedenkreden am 1. September 2025 der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 gar nicht erwähnt wurde. In Deutschland hat die Erinnerung an diese komplexe historische Verflechtung nazistischer und der Verbrechen der Sowjetunion keine Tradition – und vielfach weiß man auch wenig davon. Durch diesen Pakt und seine bis in die Gegenwart reichenden Folgen ist die Geschichte Polens, Finnlands, der baltischen Staaten, Moldaus und Rumäniens, aber eben auch der heute zu Belarus und der Ukraine gehörenden Territorien eng miteinander verbunden. Hier ein bilaterales deutsch-polnisches Haus zu planen, ist ein gewagtes Unterfangen (wären dort etwa die Verbrechen an den Ukrainern in Lemberg einbezogen – die in Kyjiw aber nicht…).

Dazu kommt die Darstellung der Verbrechen Stalins: Trägt nicht Deutschland durch diesen Pakt auch eine gewisse Mitverantwortung an den Verbrechen Stalins im von der Roten Armee besetzten östlichen Polen der Zweiten Republik seit 1939 (Gebiete, die die Sowjetunion nach 1945 behalten hat)? Dazu gehört der vieltausendfache Mord der polnischen Offiziere 1940, am bekanntesten die Massaker von Katyn?

Schwierige Fragen über Fragen…

Dazu kommt, dass ein bilaterales Projekt vermutlich auch ein Projekt beider Staaten wäre, wenn auch von Deutschland finanziert und in Berlin platziert. Doch ist das realistisch? Ich befürchte, das wird scheitern. Wer glaubt, dass sich ein offizielles deutsch-polnisches Team bilden lässt, das über die nächsten Jahre im Konsens ein Konzept erarbeitet, das dann auch umgesetzt wird, ist in meinen Augen ziemlich optimistisch oder gar fahrlässig blauäugig. Es gibt zwar das gute Beispiel des deutsch-polnischen Geschichtsbuches, das in vier Bänden nach langen Jahren gemeinsamer Arbeit vorliegt und vielfach gerühmt wird. Doch war es von der PIS-Regierung in Polen jahrelang nicht zum Gebrauch zugelassen – und in Deutschland ebenfalls in Bayern nicht!

Ist es da nicht sinnvoller, das in der anderen Bundestagsresolution vom 9. Oktober 2020 beschlossene Projekt eines Dokumentationszentrums zum Vernichtungskrieg und zur deutschen Besatzung in Europa entschlossen in Angriff zu nehmen und hier – wie ursprünglich sowieso beabsichtigt – Polen einen angemessenen Platz zu geben? Es wäre ein deutsches Projekt, ein Lernort, der auch zuerst die deutsche Bevölkerung im Blick hat, da in Deutschland kaum jemand von dieser Geschichte des Nationalsozialismus weiß. Natürlich würden auch hier Fachleute aus den betroffenen östlichen Ländern zur Mitarbeit eingeladen werden, wobei die russischen oder belarusischen heute wohl im Exil leben.

Dies Dokumentationszentrum könnte dem polnischen Denkmal gegenüber gebaut werden, auf der anderen Straßenseite Richtung Reichstag – es würde nur die Rasenfläche ein Stück weit verringern. Hier fänden die Besucher des polnischen Denkmals die historischen Hintergründe und Zusammenhänge, die dies Denkmal begründen.

Gleichzeitig ist dieser Standort offen dafür, auch noch das tragische Schicksal anderer Völker mit einem eigenen Denkmal in den Blick zu nehmen. Angesichts des heutigen Krieges in der Ukraine und der ebenfalls in Millionen zählenden NS-Opfer in diesem Land – man geht von ca. acht Millionen aus – wäre hier demnächst an ein weiteres Denkmal für die ukrainischen Opfer zu denken. Mit Recht hat der ukrainische Botschafter schon mehrfach diesen Vorschlag gemacht.

Markus Meckel, Berlin

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Oktober 2025, Internetzugriffe zuletzt am 27. Oktober 2025, Das Titelbild zeigt die am 16. Juni 2025 eingeweihte Gedenkstätte mit Stein und Tafel in der Heinrich-von-Gagern-Straße, an der Stelle der ehemaligen Kroll-Oper, in der Hitler am 1. September 1939 den Angriff auf Polen verkündete. In der Kroll-Oper tagte nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 der Reichstag. Foto: ReLo.)