Wie könnte ein gerechter Friede in der Ukraine aussehen?

Zwischen moralischen Maßstäben und realistischen Erwartungen

Muss man Präsident Donald Trump nicht dankbar sein, dass er in die festgefahrene Lage des ukrainisch-russischen Konflikts Bewegung gebracht hat und über Möglichkeiten eines Waffenstillstands oder gar eines Friedensabkommens zumindest geredet wird? Aber ja: Es ist an der Zeit, dass darüber verhandelt, wie man möglichst rasch ein Ende des mörderischen Abnutzungskrieges erreichen kann. Die bittere Ironie der Geschichte ist, dass diese Wendung nur erreicht wurde, weil die neue US-Regierung sich die russischen Zielvorstellungen weitgehend zu eigen gemacht hat. Niemand kann glauben, dass Bewegung entstanden wäre, wenn Trump sich nur lautstark für Verhandlungen eingesetzt hätte. Heißt dies nun, dass diejenigen recht hatten, die von vornherein die Auffassung vertreten haben, man müsse Putin entgegenkommen? Die Antwort darauf hängt nicht zuletzt davon ab, wie man die  möglichen Verhandlungsresultate bewerten sollte. Von welchen Maßstäben gehen wir dabei aus? Mit welchen Folgen, Risiken und Nebenwirkungen ist zu rechnen? Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Die Fragestellung

Dass die US-amerikanischen Vorstellungen insbesondere der Ukraine eine Menge abverlangen, ist unstrittig. Und: Erpressung bleibt Erpressung. Trotzdem steht die These im Raum, ein Einlenken der Ukraine sei zwar bitter, aber immer noch besser als die Fortsetzung des Mordens und der Zerstörungen. Zumindest wird man sagen können, dass es ein Fortschritt ist, wenn die diplomatischen Bemühungen um eine Beendigung des Krieges intensiviert werden. Und wenn es gelänge, zu einer Vereinbarung zu kommen, die von den unmittelbar Beteiligten angenommen werden kann und die die Chance eines relativ stabilen Friedens bietet, könnte man zumindest erleichtert sein.

Es bleibt ein großes „Aber“: Von den konkreten Umständen, unter denen diese Perspektive, dem Töten und Zerstören ein Ende zu setzen, jetzt verhandelt wird, kann man ebenso wenig abstrahieren wie von den Folgen und Nebenwirkungen einer von außen erzwungenen Einstellung der Kämpfe. Und darüber, ob ein solcher Friedensschluss überhaupt gelingen wird, können wir im Moment keine verlässlichen Aussagen treffen.

Mit Blick auf die Vorbedingungen, die die Trump-Regierung mit ihrer Initiative verknüpft hat, ist aus meiner Sicht äußerste Skepsis angesagt, ob auf diese Weise ein nachhaltiger Friedensprozess auf den Weg gebracht werden kann. Grund zu jubeln, haben nur diejenigen, die es schon immer wussten, dass man um den Krieg zu beenden, die Kriegsziele Russlands für legitim und unabweisbar erachten müsse.

Daher stellt sich die Grundfrage, wie gerecht und tragfähig eine Übereinkunft sein muss, wenn sie die kriegerische Gewalt dauerhaft beenden und einem gedeihlichen Miteinander der Konfliktparteien den Weg bereiten soll. Dies soll als Erstes geschehen. Anschließend sind weitere Fragen zu erörtern und zu beantworten:

Zeigt die neuerliche Wendung der Ereignisse nicht auch, dass die diplomatischen Bemühungen in den drei Jahren des Krieges unzureichend waren? Hat man mit der Aussage, mit dem Despoten Putin könne man ohnehin nicht reden, es sich zu leicht gemacht und damit Wege aus der Fixierung auf das Militärische verbaut? Hätte nicht die Europäische Union in dieser Hinsicht mehr tun können, oder gar müssen? Hätte es über diplomatisches Handeln gelingen können, eine Beendigung des Krieges viel früher zu erreichen?

Der ungerechteste Friede ist besser als der gerechteste Krieg“ Wirklich?

So wird gerne der römische Denker, Politiker und Jurist Cicero zitiert. Es ist ein markanter Satz, der als Denkanstoß nützlich sein kann. Die Vermeidung der menschlichen Opfer, der Zerstörungen steht obenan und dies gilt als Grundlage, um Hass und dauerhafte Verfeindung zu überwinden. Nur so lasse sich eine in der Gesellschaft verankerte Friedensbereitschaft erreichen, die schließlich die Basis dafür sein müsse, um einen friedlichen Austrag der zwischen- und innerstaatlichen Konflikte erreichen zu können. Dies ist ein gut nachvollziehbarer moralischer Denkansatz, den man keineswegs vorschnell als utopisch und illusionär abtun sollte. Und doch muss sich diese normative Aussage daran messen lassen, ob sie in der vorfindlichen Realität Bestand hat und ob sie anhand geschichtlicher Beispiele belegt werden kann.

Der Blick in die Geschichte scheint nahezulegen, dass bis in die jüngste Zeit Friedensschlüsse, die einseitig die eine Seite begünstigen, nicht lange gehalten haben, dass sie eher selten zu einer nachhaltigen Befriedung führten. Eher gilt umgekehrt: Der ungerechte Friede trägt den Keim für künftige bewaffnete Konflikte in sich.

Gern wird hier der Siegfriede von Versailles genannt, der aber nur bedingt als Beispiel taugt. Die Denunziation als „Siegfriede“ wurde von den Nazis als probates Propaganda-Mittel benutzt, um eine grundlegende Neuordnung des Staatensystems zu fordern und um dafür kräftig aufzurüsten. Realiter gilt, dass schon bald nach Versailles die schlimmen Folgen der Reparationen abgemildert wurden, woraufhin die französischen Besatzungstruppen 1923 aus dem Rheinland/Ruhrgebiet abgezogen werden konnten. Mit dem Dawes/Young-Plan wurden wenige Jahre später neue Kreditmöglichkeiten zur Ankurbelung der deutschen Wirtschaft geschaffen.

Trotzdem mag der Versailler Vertrag von 1919 als Beispiel dienen, dass zu bedenken ist, inwieweit sich bestimmte Nachkriegsregelungen sehr negativ auf die weitere Entwicklung zwischen den Konfliktparteien und die internationalen Beziehungen auswirken können. Schon allein auf die deutsch-französische Geschichte bezogen wird man eine gewisse Skepsis haben, was die Haltbarkeit eines ungerechten Friedens betrifft.

Historische Vergleiche sind immer mit Vorsicht anzustellen. Jeder Konflikt hat seine eigene Vorgeschichte, seinen spezifischen Verlauf, die Akteure unterscheiden sich usw. usf. Insofern sind Analogien, die gerne bemüht werden, eher als Warnschild zu verstehen. Dies gilt in Sonderheit für Friedensschlüsse, in denen Länder geteilt, zerlegt, neu zugeteilt worden sind. Gerne wird die Abtretung des östlichsten Teils der Ukraine und der Krim, immerhin etwa 20 Prozent des Staatsgebietes, an Russland mit dem Ende des Koreakrieges und der Teilung der koreanischen Halbinselverglichen. Manche werten diese „koreanische Lösung“ als Positivexempel, weil sich doch gezeigt habe, dass wenigstens aus Südkorea eine blühende Demokratie erwachsen sei. Dabei wird allerdings geflissentlich übersehen, dass es Jahrzehnte brauchte, bis sich im Süden des Landes nach der Ablösung einer Militärdiktatur (sic!) eine kräftige Volkswirtschaft und die Strukturen einer Parteiendemokratie herausbildeten. Von den permanenten Spannungen zwischen den Teilstaaten einschließlich andauernder Hochrüstung bis heute, ist dabei noch keine Rede. Die Fragilität der Demokratie in Südkorea haben wir im Übrigen gerade erlebt.

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Urenkelin des früheren KPdSU-Chefs Nikita Chruschtschow, Nina L. Khrushcheva, hat den Bogen noch viel weiter gespannt (in: IPG-Journal, 12. Dezember 2024): In einem großen historischen Aufriss hat sie die Geschichte von Teilungslösungen unter die Lupe genommen. Sie fängt mit den drei polnischen Teilungen im späten 18. Jahrhundert an, geht auf den französisch-deutschen Konflikt um Elsass-Lothringen ein, auf die Teilung Irlands und auf die besonders brutalen Teilungen in Asien, vor allem die Aufspaltung des indischen Subkontinents (in zwei Phasen auf Indien und Pakistan, dann später auch auf Bangladesh, das ehemalige Ostpakistan), auf die Teilung Vietnams. Last not least, und das ist nun wirklich ein besonders prägnantes Beispiel, die Aufteilung Palästinas (auf Israel, Ägypten und Jordanien) auf der Grundlage eines Beschlusses der Vereinten Nationen, die nun fast achtzig Jahre anhält, mit deren Folgen wir heute in besonders dramatischer Weise konfrontiert sind.

Wie gesagt: Es handelt sich hier ausnahmslos um sehr unterschiedliche Szenarien und Konfliktkonstellationen. Aber diese historischen Vergleiche einfach wegzuwischen, wäre auch falsch.

Nur Gerechtigkeit sichert einen stabilen Frieden

Der zu befürchtende Diktatfrieden wirft die Frage auf, welche anderen Optionen es für solche Kriegsszenarien und die Auswege daraus geben könnte bzw. geben sollte. Gerade in Zeiten, in denen Willkür Recht, schiere Macht Interessenausgleich ersetzt, scheint es notwendig, verlässliche Kriterien zu entwickeln, die auch helfen, den Verlauf von Friedensverhandlungen und Verhandlungsergebnisse möglichst präzise bewerten zu können. Das sollte auch eine Basis sein, um passende Schlüsse für künftige Friedensbemühungen ziehen zu können.

Was hieße dies im Fall der Ukraine?

  • Die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht setzen den universellen Rahmen, in dem sich Friedensabkommen bewegen sollten. Dazu gehört das nationale Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Beachtung der territorialen Integrität der völkerrechtlich anerkannten Staaten. Die Grundidee bei der Gründung der Vereinten Nationen als Antwort auf das Zeitalter schlimmer Großkriege: Die Unantastbarkeit der Grenzen und der Verzicht auf Gewalt im Verhältnis der Staaten untereinander.
  • Mit der Pistole an der Schläfe des Angegriffenen wird kein gerechter, tragfähiger Friede zustande kommen. Die Ukraine müsste ergo einer Vereinbarung aus freien Stücken zustimmen können.
  • Es darf sich nicht um eine nachträgliche Legitimierung und Belohnung eines verbrecherischen Gewaltaktes, hier: eines Angriffskrieges, handeln.
  • Erlittenes Unrecht soll möglichst wiedergutgemacht werden. Dies betrifft etwa das Rückkehrrecht der Geflüchteten, ohne Repressalien befürchten zu müssen, sowie die Rückgabe der in das Land des Angreifers entführten Kinder.
  • Der Weg der Ukraine zu einem demokratisch(er)en Gemeinwesen, das sich in die europäischen Strukturen einfügt, darf nicht versperrt werden. Darüber entscheiden die Ukrainer:innen selbst.

Aber was ist mit territorialen und Statusfragen, die im Rahmen von Friedensverhandlungen eine große Rolle spielen und die oft unlösbar erscheinen? Um den berechtigten Interessen beider Seiten entgegenzukommen kann in manchen Konfliktfällen auch über Gebietsaustausch, -veränderungen oder über territoriale Interim-Zustände verhandelt werden. Auch dabei sind die oben genannten Kriterien zu beachten.

Was die anderen Punkte betrifft, so gilt es nüchtern zu sehen, was vermutlich passieren wird: Vereinbarungen und Regelungen, wie erlittenes Unrecht gesühnt und wiedergutgemacht werden kann, sind kaum zu erwarten. Es würde genau genommen auch um die Bestrafung der für den Krieg Verantwortlichen gehen. Hier geht es um den Tatbestand der Aggression, der in einem Zusatz zum dem Internationalen Strafgerichtshof zugrunde liegenden Römischen Statut 2010 in Kampala präzisiert worden ist. Dies markiert einen wichtigen Fortschritt der internationalen Rechtsetzung zur Ächtung des Krieges. Wenn dies nicht zu juristischen Aktionen gegen den Angriffskrieg Russlands führt, wann dann? Und es geht um Verbrechen im Kriege selbst. Der Haftbefehl des IStGH gegen Putin ist konsequent. Dass dies auch für eine Ahndung des Überfalls der USA auf den Irak 2003 gelten sollte, sprich: Haftbefehle gegen den damaligen Präsidenten George W. Bush und weitere Angehörige seiner Regierung, steht außer Frage. Nur erscheint dies im Hinblick auf das bestehende Putin-Regime schwierig: Russland ist dem IStGH (ebenso wie die USA) nicht beigetreten und kann als Vetomacht den UNO-Sicherheitsrat jederzeit blockieren. Ob ein Sondergericht, dem Nürnberg-Tribunal nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar, überhaupt zustande kommen würde, ist überaus fraglich. Von der Sache her wäre ein solcher Schritt überfällig, auch um vor künftigen, schweren strafbaren Handlungen in der Staatenwelt abzuschrecken. Daher müssen Initiativen in dieser Richtung auf dem Tisch bleiben.

Aber lässt sich eine solche Ideallösung überhaupt jemals erreichen? Und was heißt dann noch „gerecht“? Vertreibungen, Umsiedlungen wurden oft akzeptiert, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Und ist es nicht konsequent, das als oberstes Ziel zu formulieren?

Grundlegende Aspekte

Daher noch einmal in aller Kürze die grundlegenden Aspekte, die einbezogen werden sollten.

Erstens: Die Lebensverhältnisse, in denen sich die Menschen nach dem, Krieg wiederfinden, die Umstände, in denen sie ihre Bedürfnisse, ihre Lebensziele, ihre Zukunft verwirklichen können oder eben nicht. Die einschneidenden Folgen für die Menschen in der Ukraine gehören dazu, für die Menschen, die fliehen und ihre Hoffnungen auf ein besseres, selbst bestimmteres Leben begraben müssen und demoralisiert zurückbleiben.

Noch etwa sechs Millionen Menschen leben in den besetzten Gebieten: Russland verfolgt dort eine Politik gnadenloser Russifizierung. Das mag in manchen Ohren harmlos klingen, ist aber mit einem brutalen Regime der Repression gegenüber allen Bevölkerungsteilen verbunden, die als potentiell illoyal und unzuverlässig eingestuft werden. Dazu kommen bereits vollzogene Verhaftungen von Menschen, die in den Kommunen an maßgeblicher Stelle gearbeitet haben. In den Schulen und in den Medien ist russische Propaganda angesagt. Neben der gezielten Ansiedlung russischer Bevölkerung in Städten wie Mariupol, sind alle Bewohner genötigt, sich russische Pässe ausstellen zu lassen. Sie sind damit, selbst wenn sie die in den „Westen“ schaffen, Verdächtigungen ausgesetzt. Und so weiter, und so fort. Und was ist mit den 17.000 Kindern, die verschleppt wurden? Können Eltern diese zurückbekommen? Niemand weiß es. Menschenrechtsorganisationen haben diese Folgen der russischen Herrschaft und die dabei begangenen Kriegsverbrechen sehr genau dokumentiert, so in der in der arte-Mediathek verfügbaren Dokumentation „Auf der Spur der gestohlenen Kinder“.

Diese Angst davor, was die Fremdherrschaft für das tägliche Leben und für die Grundrechte bedeutet, ist auch auf Nachbarregionen zu beziehen – vor allem auf Georgien und Moldawien. Dort gibt es ja bereits den harten Streit um die politische Ordnung. Zu bedenken wären auch die Folgen für die demokratischen Kräfte in Belarus und in Zentralasien. Sollen sie ihre Hoffnung auf einen Wandel im Lande fahren lassen? Diese Fragen sind im Augenblick nicht abschließend zu beantworten. Skepsis ist angebracht.

Zweitens: Der gewaltträchtige Konflikt wäre möglicherweise nicht erledigt. Mit einer Woge der Verfeindung und der Militarisierung dies- und jenseits der neuen „Systemgrenze“ wäre zu rechnen. Also: Die Rüstungsspirale dreht sich weiter. Dazu gehören auch die Überlegungen auf der ukrainischen Seite, die Ukraine zu einer führenden Militärmacht in Europa, inkl. Waffenexporte, auszubauen, aber auch alle bekannten Pläne in Russland, die eingeleitete Rüstungsmobilisierung aufrecht zu erhalten.

Drittens: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der belohnte Aggressor durch seinen Sieg nicht zahmer, sondern kühner werden würde. Selbst wenn man von zeitgenössischen Kommentator:innen geäußerte Befürchtungen, Russland werde dann bis zum Brandenburger Tor durchmarschieren, ins Reich russophober Fabeln verbannt, bleibt es realistisch, von einer verschärften Bedrohung für die postsowjetischen Staaten auszugehen.

Ich halte die Vorstellung, dass wir nach einem möglichen Diktatfrieden zu Lasten der Ukraine wieder unmittelbar in die idyllische Welt der Ost-West-Entspannung zurückkehren können, für nicht realistisch. Wir werden weder russisches Gas beziehen können noch wollen. Wir werden die vor dem Krieg ventilierte Idee, mit einer KSZE 2.0. eine stabilere europäische Friedensordnung begründen zu können, nicht unmittelbar umsetzen können. Diese Überlegung war goldrichtig und sie sollte zur rechten Zeit wieder aufgenommen werden. Es wird aber Zeit brauchen, bis darüber verhandelt werden kann. Das heißt wiederum nicht, dass man nicht über Schritte dorthin nachdenken könnte; im Gegenteil, man muss sie unter Berücksichtigung der widrigen Rahmenbedingungen angehen.

Viertens: Nicht zuletzt wird das Einknicken vor dem eklatanten Völkerrechtsbruch die durch die UN-Charta bestimmte regelbasierte Ordnung nachdrücklich beschädigen. Schlechte Beispiele machen Schule: Die Missachtung des Völkerrechts bleibt nicht ohne Konsequenzen. Andere expansionsorientierte Machthaber werden sich ermuntert sehen. Stichworte liegen in der Luft: Panama, Grönland, Taiwan.

Und was ist mit den Beschlüssen der UN-Generalversammlung, in denen die russischen Annexionen für null und nichtig erklärt werden? Eine solche Schwächung des Völkerrechts und der UNO ist alles andere als friedensfördernd.

Ergo:

Die Welt droht, nicht friedlicher, sondern gewalttätiger zu werden. Die Hoffnungen der Menschen rund um den Globus, autoritäre Verhältnisse überwinden und die Sicherung der Menschenrechte erreichen zu können, bekäme einen schlimmen Dämpfer.

Die Hoffnung liegt jetzt darin, dass sich eine internationale Koalition von Staaten aufmacht, um den Vormarsch der ultrarechten Gegner einer regelbasierten Weltordnung zu stoppen (es sollte auch klar sein, dass Putin als Ultrarechter zu sehen ist), Dabei wird die Mobilisierung der Zivilgesellschaften eine prominente Rolle zu spielen haben.

Illusionen vs. Realismus

In den Debatten um einen Friedensschluss für die Ukraine haben einige Fragen eine Rolle gespielt, die im Lichte der jüngsten Entwicklungen gegebenenfalls neu erörtert werden müssen. Dazu ein paar kursorische Aussagen:

„Reden statt schießen“; Der alte Satz, man müsse mit seinen „Feinden“ reden, ist im Grundsatz richtig. Was lässt sich gegen Gespräche zwischen Putin und Trump über eine Beendigung des Krieges und über die Aufnahme von Rüstungskontrollverhandlungen, die ja vage angekündigt wurden, einwenden? Nichts. Diejenigen, die uns einreden wollen, dass man mit Rüpeln, Kriminellen und Kriegsverbrechern nicht reden dürfe, werden schnell merken, dass man in der wirklichen Welt von heute damit nicht weit kommen wird. Der in diesem Zusammenhang zu hörende Satz, Gespräche mit den Falschen führe nur dazu, den Verursacher des Krieges zu begünstigen, ist daher viel zu eng gedacht. Richtig ist allerdings, dass es mitunter keinen Sinn ergibt, Gesprächsangebote zu machen, weil schlicht kein Echo zu erwarten ist. Die These, mit solchen Angeboten schaffe man nur Illusionen, ist auch deshalb falsch, weil sie das Einsichtsvermögen der Menschen unterschätzt und zudem die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Willensbildung vernachlässigt. Es geht nicht immer nur um direkte Resultate, die zu erreichen sind oder auch nicht. Es geht auch darum, bestimmte Signale an die jeweilige Öffentlichkeit zu senden. In diesem Fall: An die russische Gesellschaft. Diesbezüglich wäre es richtig gewesen, deutlich zu machen, dass man für den Fall des russischen Rückzuges die Sanktionen sukzessive aufheben würde. Es bleibt indes grundfalsch, Diplomatie und militärische Aktion als unvereinbar gegenüber zu stellen. Es gibt in der Geschichte jede Menge Beispiele für eine Parallelität. Und nur durch Reden sind aggressionsbereite Staatenlenker äußerst selten von praktischem Handeln abgehalten worden.

„Mehr Diplomatie wäre möglich gewesen“: Es liegt in der Natur dieser Materie, dass Vieles hinter den Kulissen passiert. Daher wissen wir vermutlich zu wenig, was auf diesem Feld passiert ist. Dennoch kann gesagt werden, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass seitens der EU und der NATO die Initiativen Dritter – vor allem aus dem Kreis der BRICS-Staaten – eher zögerlich begleitet wurden, statt sie nachdrücklich einzufordern und zu unterstützen. Aber es trifft auch zu, dass diese diplomatischen Anstrengungen Dritter nicht stringent genug verfolgt wurden, eher appellativen Charakter hatten. Dies gilt besonders für die Beiträge Chinas, die von besonderem Gewicht gewesen wären, obwohl sie wenig Substanz hatten und deren Glaubwürdigkeit darunter gelitten hat, dass die Volksrepublik immer wieder dem Aggressor Putin den Rücken freigehalten hat.

Der an die  EU gerichtete Vorwurf lautet, man habe sich ausschließlich auf die Waffenhilfe für die Ukraine fixiert. Die Behauptung, dass es zwischen 2021 und heute keinerlei diplomatische Versuche gegeben hätte, ist und bleibt jedoch falsch. Aber: Selbst wenn an diesen Vorhaltungen etwas Richtiges ist, bleibt die Frage, welche Aussagekraft darin liegt. Dass weder die EU noch die USA erste Adresse für diplomatische Vermittlung gewesen sind, liegt auf der Hand. Dies wird durch die laufende Initiative Trumps nicht dementiert. Diese war nur durch den Seitenwechsel der USA in diesem Konflikt möglich, der gesondert betrachtet werden muss (siehe unten). Es bleibt eine Tatsache, dass die russische Seite, die den Krieg ausschließlich zu verantworten hat, zu keiner Zeit zu einem substantiellen Friedensschluss bereit war. Dies lässt sich schon an der Weigerung festmachen, verbindlich den Rückzug der Truppen zumindest hinter die Grenzlinie vom 23. Februar 2022 in Aussicht zu stellen. Dies gilt auch für die gescheiterten Verhandlungen in Istanbul im April 2022 – was wiederum eine conditio sine qua non für die ukrainische Seite gewesen wäre.

Die Formel des Kreml war immer, dass die durch den Überfall verschobenen territorialen Grenzen anerkannt werden müssten. Eine diplomatische Lösung des Krieges schien ergo ziemlich aussichtslos, weil Russland keinerlei Bereitschaft zeigte, den Angriffskrieg durch Rückzug zu beenden. Die Ukraine war aus nachvollziehbaren Gründen zu keiner Zeit bereit, die Selbstständigkeit und territoriale Integrität des Landes preiszugeben. Das bedeutet, dass die Ausgangsposition der beiden kriegführenden Parteien vollständig konträr blieb und sie daraufsetzten, qua militärischer Überlegenheit zum Ziel zu kommen. Für ernsthafte Verhandlungen gab es in diesem Rahmen keinerlei Spielraum.

„Das Denken in der Kategorie des Siegfriedens war verkehrt“: Die in unserer Öffentlichkeit nie ausreichend diskutierte Frage lautete: Worum hätte es bei der militärischen Gegenwehr gehen sollen? Lange Zeit gilt der feststehende Grundsatz, dass das Putin-Regime militärisch und wirtschaftlich niedergerungen werden müsse, da nur ein komplett besiegtes Russland bereit sein würde, einzulenken. In den hiesigen Medien kommen vor allem diejenigen zu Wort, die im Brustton der Überzeugung nur diese „Lösung“ gelten ließen, diejenigen, die die Ratio eines solchen Ziels in Zweifel zogen, wurden als „Bedenkenträger“ abgestempelt.

Es kann für mich kein Zweifel daran bestehen, dass die permanente Beschwörung eines Siegfriedens für die Ukraine auf der anderen Seite realitätsblind und irreführend war. Diese Haltung war im übrigen auch doppelbödig: Die Hauptunterstützer der Ukraine, die USA und Deutschland, haben in den jeweiligen Phasen des Krieges peinlich darauf geachtet, Waffenlieferungen, die sie als zu provokativ, zu risikoreich einstuften, zu unterlassen, Dass damit die Möglichkeiten der Ukraine nach militärischen Kriterien Oberhand zu gewinnen, eingeschränkt waren, ist ein offenes Geheimnis. Ob diese „Zurückhaltung“ immer angemessen war, steht auf einem anderen Blatt. Es war trotzdem allemal richtig, nicht denjenigen zu folgen, die ein „Augen zu und durch“ propagierten, Die Quintessenz daraus lautete: konnte es absehbar immer nur darum gehen, bestmögliche Bedingungen für eine Verhandlungslösung herzustellen. Das heißt, den ukrainischen Grundforderungen sollte größtmögliche Geltung verschafft werden. Aber wäre es dann nicht notwendig gewesen, zumindest hinter den Kulissen mit der ukrainischen Führung über diesen Sachverhalt zu sprechen? Selenskyjs Werben für einen Siegesplan im Herbst 2024 wurde erkennbar mit großer Zurückhaltung aufgenommen. Wäre es nicht fairer gewesen, auf diplomatischem Weg hier reinen Wein einzuschenken? So hat man den ukrainischen Präsidenten beim Crash im Weißen Haus ins offene Messer laufen lassen, der sich dann an dem Punkt verrannte, dass man mit Putin eben nicht verhandeln könne. Heute wissen wir: An schmerzlichen Kompromissen wird man  mit Blick auf die Kräfteverhältnisse nicht vorbeikommen. Immer noch gilt es dennoch allzu Schlimmes zu verhindern und positive Entwicklungsmöglichkeiten offen zu halten.

„Man hätte eine Verhandlungslösung früher erreichen können“: Friedens- und Konfiktforscher:innen haben sich schon längere Zeit damit auseinandergesetzt, an welchem Zeitpunkt eines bewaffneten Konflikts sich Chancen für diplomatische Lösungen eröffnen. Ein Befund, der sich zunächst auf statistische Wahrscheinlichkeiten stützt, und zu je spezifischen Konfliktverläufen begrenzten Aussagewert hat, lautet: Entweder werden Gewaltkonflikte kurz nach der Aufnahme kriegerischer Handlungen beendet, wenn der Hass noch nicht übergroß geworden ist, die Konfliktparteien noch nicht die Kräfteverhältnisse einschätzen können oder nach einer längeren Dauer, an deren Ende sich die Kräfte beider Seiten erschöpft haben und ein militärischer Sieg als nicht mehr erreichbar erscheint (vgl. Friedensgutachten 2024, Welt ohne Kompass, herausgegeben von den Instituten BICC, IFSH, INEF, PRIF).

Nun ist oft genug behauptet worden, ein Fenster der Gelegenheit habe es im Zeitraum März/April 2022 gegeben und es sei nach den Verhandlungen in Istanbul durch den Druck der westlichen Alliierten auf die Ukraine verschlossen worden. Da die entsprechenden Dokumente vorliegen, wissen wir es inzwischen besser. (Kommuniques der Verhandlungen am 16. und 17. März 2022 und das sogenannte. Istanbul Kommunique vom 29. März 2022 wurden in verschiedenen Zeitungen/Zeitschriften veröffentlicht, so in der New York Times vom 16. Juni 2024. Einen Gesamtüberblick über die Verhandlungen im gesamten Zeitraum von 2014 bis heute ist zu finden auf der Seite der Stiftung Wissenschaft und Politik).

Die Regierung Selenskyj war anfangs zu weitreichenden Zugeständnissen bereit – Neutralität des Landes, vorübergehende Akzeptanz der russischen Eroberungen im Donbas etc. –was angesichts einer damals militärisch eingekreisten Hauptstadt nicht weiter verwunderlich war. Die von niemanden erwartete Zurückdrängung der Angreifer im Norden des Landes und die Zusagen westlicher Verbündeter, mit Waffenlieferungen zu helfen, haben die Ausgangslage für die Ukraine signifikant geändert. Die Kommuniques der Verhandlungen in Belarus und der Türkei weisen aus, dass für die russische Seite die Akzeptanz der völkerrechtlichen Grenzen der Ukraine null und nichtig war und man von Kyiv die kategorische Anerkennung der militärischen Landnahme verlangte.

Es ist nicht weiter überraschend, dass diejenigen, die heute den Vorstoß Donald Trumps fast euphorisch begrüßen, schon damals die Auffassung vertraten, ein Verhandlungsfrieden wäre möglich, wenn man nur Russland ausreichend entgegenkomme. So hat es beispielsweise die Publizistin Gabriele Krone-Schmalz bei ihrem Vortrag am 29. April 2024 im Kulturhaus Rüdersdorf formuliert, dass die Voraussetzungen für eine diplomatische Einigung günstig gewesen wäre, weil die Ukraine mit dem Rücken zur Wand gestanden habe, andererseits Moskau eingesehen habe, dass man die Ukraine nicht besetzen könne. Die ganzen Einschätzungen dieses Meinungsspektrums gleichen sich damals und heute: Russland wolle nichts anderes als Frieden („in Ruhe gelassen werden“, so Krone-Schmalz) und die Anerkennung der eigenen legitimen Sicherheitsinteressen. Das Neue an der heutigen Lage ist, dass ein gewählter US-Präsident diese Auffassung offenbar teilt und mehr oder weniger die angegriffene Ukraine und ihre Unterstützer im Westen für den Krieg verantwortlich macht.

Immerhin wird man zugestehen müssen, dass es der Coup des Donald Trump war, der die Frage nach einer Verhandlungslösung auf die Tagesordnung gesetzt hat. Der Abnutzungskrieg, der von beiden Seiten immer mit der Hoffnung verbunden war, dem Anderen werde die Puste ausgehen, hätte noch längere Zeit andauern können. Dies kann immer noch passieren.

Der grundlegende und unwiderlegte Einwand gegen die These, ein Einlenken der Ukraine wäre „besser“ gewesen als der militärische Widerstand, bleibt: Ohne diesen und die militärische Hilfe von außen hätte es keinerlei Grundlage für Verhandlungen gegeben. Die Ukraine hätte kapitulieren müssen und wäre als selbständiger Staat eliminiert worden. Diese Grundbedingung gilt bis heute und wird nicht dadurch aufgehoben, dass wir das Ausmaß der Kriegsgewalt mit Entsetzen registrieren. Man kann dieser Erkenntnis auch nicht durch den Verweis auf kritikwürdiges Verhalten der ukrainischen Verbündeten ausweichen.

Paul Schäfer, Köln

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im März 2025, Internetzugriffe zuletzt am 12. März 2025. Titelbild: Firouzeh Görgen-Ossouli.)