Zart, leicht und doch unglaublich kraftvoll

Eine kurze Geschichte des Gitarrenbaus

„Zart, leicht und doch unglaublich kraftvoll“, so sprach ein großer Musiker der Gegenwart, Greg Lake, über die Akustikgitarre des zwanzigsten Jahrhunderts. Wie ist die Gitarre entstanden, welche Vorläufer gibt es und worauf gründen die historischen Gitarrenbauer ihre Handwerkskunst?

Die Geschichte der Akustikgitarre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe ich in einem vorangegangenen Porträt unter der Überschrift „Ein zutiefst humanes Instrument“ vorgestellt, ausführlicher mit vielen Illustrationen in meinem mit Rudi Bults und Erwin Somogyi gestalteten Buch „Die Akustikgitarre als Klangkunstwerk“ (Berlin, Hirnkost, 2024).  Doch es gibt Vorläufer von Gitarrenbauern bis in das Mittelalter oder die Barockzeit hinein, die durch die Kunstfertigkeit ihrer historischen Instrumente berühmt geworden sind und die hier in Auswahl vorgestellt werden sollen. Die Steelstring-Akustikgitarren und die Klassikgitarren der Gegenwart gehen in ihrem Herstellungsprozess, der Auswahl von Tonhölzern und in ihrem Aussehen und Klangverhalten auf Vorläufermodelle nicht nur von Martin und Stauffer zurück, sondern noch weit davor seit dem Mittelalter auf Gitarren, Lauten, Zithern, Mandolinen, Cistern und andere Saiteninstrumente sowie auf die Erfahrungen aus dem Geigenbau. Eine umfangreiche Darstellung der Geschichte von Saiteninstrumenten findet sich in den beiden Bänden von Andreas Schlegel, „Die Laute in Europa – Geschichte und Geschichten zum Genießen“ (2006) und gemeinsam mit Joachim Lüdtke „Die Laute in Europa 2 – Lauten, Gitarren, Mandolinen und Cistern (2011 in zweiter stark erweiterter Auflage erschienen).

Antonio Stradivari (1644 bis 1737) und Joachim Tielke (1641 bis 1719)

Die Sabionari im Museum Cremona (Italien). Foto: Fritz Heidorn.

Der Gitarrenbau hat in Europa eine lange Tradition, die sich überwiegend aus dem Geigenbau und aus dem Bau von Lauten speist. Bereits im 16. Jahrhundert haben berühmte Geigenbauer wie Antonio Stradivari neben Violinen, Bratschen, Violoncelli auch Zupfinstrumente wie Lauten, Gamben, Mandolinen und Gitarren gebaut. Von Stradivari sind heute noch fünf Gitarren erhalten, davon die einzige noch spielbare Gitarre, die Sabionari, die im Violinen-Museum in Cremona, Italien, verwahrt wird. Die Sabionari wurde von Stradivari 1679 gebaut und man kann ihren süßen Ton noch heute hören.

Joachim Tielke wurde 1641 in Königsberg geboren. Er studierte ab 1663 an der Universität Leiden Medizin und ab 1664 zusätzlich Philosophie. 1667 heiratete er die Hamburger Instrumentenmacher-Tochter Catharina Fleischer und erwarb 1669 das Hamburger Bürgerrecht. In diesem Jahr fertigte er sein erstes, datiertes Instrument, eine Viola da Gamba. Es folgten eine ganze Reihe von unterschiedlichen Zupfinstrumenten, darunter viele Gitarren. Insgesamt wird das Werk von Joachim Tielke als eines der größten nach Antonio Stradivari angesehen. Die Fachliteratur verzeichnet insgesamt 174 nachgewiesene Musikinstrumente von Joachim Tielke.

Tielke-Instrumente sind berühmt wegen ihrer außerordentlichen Dekoration mit vorzüglichen Intarsienarbeiten, die nach niederländischen Drucken und Kupferstichen ausgeführt wurden. Tielke hat wahrscheinlich mit angestellten Handwerkern gearbeitet, manche Kritiker sagen, dass die meisten seiner Instrumente nicht von ihm gebaut worden sind. Damit wäre Joachim Tielke einer der frühen Namensgeber und Entwickler von Instrumenten, die aus einer Manufaktur mit vermutlich arbeitsteiliger Gruppenarbeit stammen. Die Ornamentik stammt wohl überwiegend aus Zukäufen von geschnitzten Köpfen, Ranken und Blüten, die in seiner Werkstatt verarbeitet wurden. Dennoch wird Joachim Tielke als Instrumentenmacher bezeichnet, weil die gesamte Organisation der Abläufe in der Fertigung sowie die Qualitätsprüfung in seinen Händen lag. Ausführlich über ihn geschrieben haben:

  • Günther Hellwig, Joachim Tielke – Ein Hamburger Lauten- und Violenmacher der Barockzeit. Verlag Erwin Bochinsky (zuvor: Verlag Das Musikinstrument), Frankfurt am Main 1980.
  • Friedemann und Barbara Hellwig, Joachim Tielke – Neue Funde zu Werk und Wirkung. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2020.
  • Friedemann und Barbara Hellwig, Joachim Tielke – Kunstvolle Musikinstrumente des Barock, Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2011.

Johann Gottlieb Knößing (1765 bis 1840)

Kopf einer Kessler-Knößing-Gitarre. Foto: Fritz Heidorn.

Johann Gottlieb Knößing war ein deutscher Gitarrenbauer aus Leipzig an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, über dessen Lebenswerk wenig bekannt ist. Seine bekannteste Gitarre ist ein schönes kleines Instrument aus dem Jahr 1807, das unter der Inventar-Nr. 1098 im Musikinstrumentenmuseum in Markneukirchen gelistet und ausgestellt wird. Dieses schöne Instrument ist eine Vorlage für mehrfache Nachbauten von Richard Jacob Weißgerber, der dieses Instrument wie zwei weitere Gitarrenbauer aus Markneukirchen ausgeliehen hatte. Es existieren drei Ausleihscheine im Archiv des Musikinstrumentenmuseum in Markneukirchen, von denen einer unleserlich ist. Ein Leihschein vom 1. März 1925 kann dem Gitarrenbauer Johann Christian Friedrich Kessler (1903 bis 1986) aus Markneukirchen zugeordnet werden, der wahrscheinlich die hier weiter unten abgebildete Gitarre gebaut hat.

Boden und Zargen der Kessler-Knößing-Gitarre sind aus Kirsche, die Decke aus Fichte, wie das Gutachten von Christof Hanusch belegt. Bei der Rosette und der Deckeneinlage ist Elfenbein verarbeitet worden, für das Griffbrett Ebenholz mit vier Perlmutteinlagen. Die Kopfplatte besteht aus Wurzelholzfurnier. Die Gitarre ist klein mit einer Mensur von 606 mm und mit 1030 Gramm sehr leicht. Die seitenständigen Wirbel, vermutlich aus Ebenholz, sind am Wirbelkasten konisch zwischen Holz und Holz arretierbar, was zu einer schwerfälligen Stimmung des Instruments führt. Die Gitarre ist umständlich zu stimmen und hält ihre Stimmung nicht lange vor. Der Ton des Instruments ist, altersbedingt, sanft und süß, nicht aufdringlich laut, aber klar wie eine kleine Klassik-Gitarre mit Darmsaiten, und entspricht der Tonalität von Instrumenten aus dieser Zeit.

Christian Friedrich Martin (1796-1873)

Cristian Friedrich Martin wurde am 31.Januar1796 in Markneukirchen geboren und ging zunächst bei seinem Vater Johann Georg Martin, der Tischler und Instrumentenbauer war, in die Lehre. Im Alter von 24 Jahren zog es Cristian Friedrich Martin nach Wien, wo er eine Lehre bei dem zu dieser Zeit besten Gitarrenbauer Johann Gottfried Stauffer absolvierte. Er brachte es dort zum Vorarbeiter, heiratete Ottilie Lucia Kühle, die Tochter eines Wiener Tischlers und Instrumentenbauers, und fand eine neue Anstellung in der Werkstatt seines Schwiegervaters. Nachdem er vierzehn Jahre in Wien gelebt hatte, kehrte er in seine Heimatstadt Markneukirchen zurück und gründete sein eigenes Geschäft. Cristian Friedrich Martin wurde in einen Zunftstreit der Geigenbauer und Tischler verwickelt, wobei die Geigenbauer den Tischlern vorwarfen, unerlaubterweise Gitarren zu bauen, was nur den Geigenbauern vorbehalten sei.

Cristian Friedrich Martin wanderte im September 1833 von Markneukirchen im Vogtland nach New York, USA, aus und baute dort die berühmteste Firma der Welt für Akustikgitarren auf, deren Sitz 1838 nach Nazareth, Pennsylvania, verlegt wurde. Dort produzierte Martin hochwertige Akustikgitarren. Die Geschichte der Firma Martin ist legendär, ebenso wie die Instrumente gleichen Namens. Dick Boak hat die Geschichte der Firma Martin von Markneukirchen, Deutschland, nach Nazareth, USA, in einem kleinen Büchlein prägnant zusammengestellt: Images of America. C.F. Martin & Co. (2014).

Der Gitarrenbau bei Martin ist vermutlich auch der am besten dokumentierte Entwicklungsprozess von Akustikgitarren und in diesen reich illustrierten Büchern nachzulesen:

  • Richard Johnston, Dick Boak, Martin Guitars: A History, Hal Leonard Books, 1988, 2008
  • Richard Johnston, Dick Boak, Martin Guitars: A Technical Reference. Hal Leonard Books, 2009.
  • Jim Washburn with Dick Boak, The Martin Archives – A Scrapbook of Treasures from the World’s Foremost Acoustic Guitar Maker, Hal Leonard Books, 2016.
  • Jim Washburn, Richard Johnston, Martin Guitars – An Illustrated Celebration of America’s Premier Guitarmaker. A Readers Digest Book, 1997, 2002.
  • Walter Carter, The Martin Book – A Complete History of Martin Guitars. A Backbeat Book, 2006.

Richard Jacob Weißgerber (1877 bis 1960)

Einer der bedeutendsten deutschen Gitarrenbauer des 20. Jahrhunderts ist Richard Jacob Weißgerber aus Markneukirchen, der sich im Lauf seines Lebens einen Ruf als hervorragender Handwerker, scharfsinniger Beobachter von Traditionen und aktuellen Entwicklungen sowie als unermüdlich Suchender für Neues erarbeitet hat. Weißgerber baut auf der Tradition des Geigen- und Gitarrenbaus in Markneukirchen seit Ende des 18. Jahrhunderts auf, verarbeitet Modelle aus der Biedermeierzeit als Vorbilder für seine Instrumente und entwickelt später, vermutlich durch Konzerte von Miguel Llobet und Andres Segovia in Markneukirchen angeregt, Gitarren nach den Konstruktionsprinzipien von Antonio de Torres, dem Erneuerer der spanischen Gitarre. Die beste Übersicht über die Gitarren von Weißgerber findet sich in dem Buch von Christof Hanusch „Gitarren von / Guitars by Richard Jacob“, das Anfang 2023 in zweiter Auflage erschienen ist.

Bernhard Kresse (*1952), Meisterbauer und Restaurator von Stauffer-Gitarren

Bernhard Kresse ist ein anerkannter deutscher Gitarrenbauer, der in Köln eine Werkstatt für die Reproduktion und Restaurierung romantischer Gitarren des 19. Jahrhunderts betreibt. Bernhard Kresse konzentriert sich seit mehr als dreißig Jahren die Anfertigung von Replikaten von Stauffer-, Lacote- und Panormo-Gitarren und baut klassische Gitarren in zwei Versionen. Sein Typ-A modern ist eine Konzertgitarre im Stil und mit Konstruktionselementen der Wiener Gitarre der post-Stauffer Zeit, während der Typ-B in der Tradition des spanischen Gitarrenbaus steht und sich an den Gitarren von Manuel Ramirez um das Jahr 1910 orientiert.

Bernhard Kresse ist auch ein anerkannter Restaurator für historische Instrumente, allein in dem monumentalen Fachbuch „Stauffer und Co – Die Wiener Gitarre des 19. Jahrhunderts“ (2011) von Erik Pierre Hofmann, Pascal Mougin und Stefan Hackl sind sieben der sechzig vorgestellten Gitarren des 19. Jahrhunderts von Bernhard Kresse restauriert worden. Auf seiner Webpage sind ungefähr einhundertachtzig historische Instrumente verzeichnet und mit Fotos hinterlegt, die er restauriert hat.

Fritz Heidorn, Oldenburg

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Januar 2024, Internetzugriffe zuletzt am 9. Februar 2025. Titelbild und Fotos im Text: Fritz Heidorn. Beim Titelbild handelt es sich um den Boden einer Kessler-Knößing-Gitarre.)