Bestandsaufnahme einer Zerstörung
Die Diptychen des Karl Hugo Schmölz in der Kölner Galerie Van der Grinten
„‚De Kreech es us!‘ Alles zerstört! Da, wo einst das Zuhause der Familie gewesen war, fanden sich nur noch Schutthaufen, kein Dach mehr gab es über dem Kopf. Wo sind die Angehörigen, die Freunde und Bekannten, leben sie noch – diese Ungewissheit! Für die Amerikaner war der Krieg noch nicht zu Ende, noch ging es bis nach Berlin, nach über 1000 Kilometern von der Normandie bis nach Köln und ungezählten Gis, die ihr Leben gegeben hatten. 1946 bekamen meine Eltern eine Wohnung in Sülz in der Lotharstraße 30 zugewiesen; dieses Mehrfamilienhaus hatte mehrere Bombentreffer bekommen und musste erst einmal bewohnbar gemacht werden. / Kann man einer zerstörten Stadt wieder Leben einhauchen? Man kann, (…)“. (Tommy Engel, Worte schaffen Bilder im Kopf – Vorwort zum Bildband „1945 – Kriegsende in Köln“.)
Als die Amerikaner im März 1945 Köln einnahmen, lebten nur noch 15.000 Menschen in der Stadt. Auf Fotografien sehen wir Ruinen über Ruinen, einen amerikanischen Panzer direkt vor dem Dom. Künstlerische Bilder der Ruinen, ist das überhaupt möglich?
Die Ruinenbilder von Karl Hugo Schmölz
Die Ruinenbilder von Karl Hugo Schmölz (1917-1986) sind ein herausragendes Beispiel dafür, in welchem Maße ein fotografisches Auftragsprojekt dank seiner ästhetischen Präzision und seiner gedanklichen Schärfe zu einem Werk von hohem künstlerischen Rang werden kann. Die sachliche Bildsprache, die jedes Detail im Gesamtbild als Eigenwert erscheinen lässt und für die Schmölz’ Fotografien zu Recht inzwischen weltweites Ansehen genießen, prägt auch diese aus heutiger Sicht konzeptuell erscheinende Werkreihe aus dem Jahr 1947. Als Richard Neutra (1892-1970) in den 1960er Jahren seinen kongenialen Fotografen Julius Shulman (1910-2009) dazu befragte, welcher Fotograf das Zeug dazu hätte, seine Architekturen in Deutschland zu fotografieren, gab es für Schulmann nur einen: Karl Hugo Schmölz.
Das fotografische Werk der Fotowerkstätte Schmölz bildet in einzigartiger Weise den Zeitraum deutscher Geschichte ab, der sich von der Weimarer Republik über die Zeit des Dritten Reiches bis hin zur Nachkriegsmoderne der 1950er Jahre spannt. Die durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges tief gezeichneten Städte harrten nach dem Krieg ihrer Wiederbelebung, ihrer architektonischen und städtebaulichen Neuorientierung. Lange Zeit unter den sogenannten Kennern als nichts sagend und im schlimmsten Fall sogar als muffig geschmäht erhebt sich nun seit einigen Jahren die Architektur der 1950er Jahre aus diesem Dunstschleier der Fehleinschätzung und glänzt im Spiegel ihres schlichten, oftmals zur Bescheidenheit neigenden Stilbewusstseins, und damit glänzen auch die Architekten des Wiederaufbaus. Zu ihnen zählen Rudolf Schwarz (1897-1961), dem wir zum Beispiel das prägnante Gebäude des heutigen Museums für Angewandte Kunst verdanken, Wilhelm Riphahn (1889-1963), von dem zahlreiche Bauwerke das heutige Köln prägen, oder Peter Friedrich Schneider (1901-1981), der das Funkhaus des WDR am Kölner Wallrafplatz erbaute. Aber die Wunden, die der Krieg schlug, sind noch heute sichtbar und spürbar.
Bevor Karl Hugo Schmölz zum vielleicht wichtigsten deutschen Architekturfotografen der Nachkriegsmoderne wurde, nahm er kurz nach dem Krieg Bilder seiner Vaterstadt auf, die auf Grund ihrer äußersten Sachlichkeit erstaunen. Aber gerade deswegen fügen sie sich nahtlos in sein gesamtes fotografisches Werk ein, das ein Leben lang vom ästhetischen Geist der Neuen Sachlichkeit geprägt war. Die Rede ist von den aktuell in Köln ausgestellten Fotografien des kriegszerstörten Köln.
Die Geschichte dieser außergewöhnlichen fotografischen Reihe ist bemerkenswert: 1947 sucht der Chef des Nachrichtenamtes der Stadt Köln einen geeigneten Fotografen, der in Bildern einen unmittelbaren Eindruck der zu gut 90 Prozent zerstörten Kölner Innenstadt in direkter Konfrontation mit Bildern der unzerstörten Stadt erzeugen könne. 1947 ist die Innenstadt bereits weitgehend entschuttet und die Planungen für einen Neuanfang stehen bevor. Die Aufgabenstellung ist also, das Vorkriegs-Köln mit dem kriegszerstörten direkt zu vergleichen, mit dem Ziel, bei entscheidenden Politikern Unterstützung und bei der Bevölkerung Akzeptanz für einen raschen Wiederaufbau zu erreichen. Einige Namen, darunter auch der von August Sander (1876-1964), wurden ins Spiel gebracht. Die Wahl fiel schließlich, allerdings auch schnell und folgerichtig, auf den kurz zuvor aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Karl Hugo Schmölz, der bereits in den ersten Monaten seiner Anwesenheit schon wieder der meistbeschäftigte Architekturfotograf der Stadt war. Auch deswegen, weil die Fotowerkstätte Schmölz dem Bombenhagel weitgehend widerstanden hatte.
Die Fotografenfamilie Schmölz
Schmölz, der seine gesamten technischen und ästhetischen Fähigkeiten der Zusammenarbeit mit seinem Vater Hugo (1879-1938) zu verdanken hatte, suchte gezielt im unzerstörten Glasplatten-Negativ-Archiv seines Vaters und gemeinsamer Aufnahmen nach Stadt-und Gebäudeansichten vor der Zerstörung. Da in den erhaltenen Aufnahmebüchern Uhrzeit, Brennweite und Lichtverhältnisse notiert wurden, entschied sich Schmölz dazu, mit exakt der gleichen Technik in exakt gleichen Lichtverhältnissen die exakt gleichen Blicke zu wiederholen. Beide Negative wurden von ihm in gleicher Qualität abgezogen, sodass bei manchen Aufnahmen der Eindruck entsteht, zwischen den beiden Bildern lägen nur die wenigen Augenblicke, die die Wolken am Himmel für den Weiterzug benötigt hatten. Hier bekommen diese Aufnahmen eine hohe Emotionalität hinter der strengen Sachlichkeit. Die Bildpaare wurden in eigens dafür hergestellte Bildbände montiert, von denen mindestens drei inzwischen bekannt sind und sich im Besitz der Stadt Köln befinden.
Schmölz‘ zukünftige Laufbahn als Fotograf scheint durch seine Biografie vorbestimmt. Bereits mit 17 Jahren trat er in das Fotoatelier seines Vaters Hugo ein, der sich seit den 1920er Jahren ganz auf Architektur und Innenarchitektur spezialisiert hatte und dadurch so geschätzt und gefragt war, dass er mit der fotografischen Dokumentation vieler der großen Bauvorhaben jener Zeit beauftragt wurde. Daneben arbeitete er eng mit dem Architekten Dominikus Böhm (1880-1955) zusammen, wodurch der junge Karl Hugo unmittelbar erleben konnte, wie kongenial Architekt und Fotograf zusammenarbeiten konnten, wenn es darum ging, Innenräume in all ihren Details, im Ausmodellieren der Lichtführung und in der kompositorischen Feinabstimmung zu portraitieren, so dass die Aufnahme für sich ein vergleichbares Erlebnis wie das Begehen des eigentlichen Raumes sein konnte.
Durch seinen Vater lernte Karl Hugo auch, was zu einem seiner an Perfektion nicht zu überbietenden Charakteristika werden sollte: die Aufhebung der Tiefenstaffelung durch lange Belichtungszeiten und die Addition der vorhandenen Lichtqualitäten zu einem atmosphärischen Gesamterleben. Als Hugo im Jahre 1938 verstarb, setzte Karl Hugo dessen Arbeit unter dem Namen der Fotowerkstätte fort und führte alle Aufträge, nur unterbrochen durch seine eigenen Kriegseinsätze, weiterhin in höchster Perfektion und im Stile seines Vaters aus. Er hatte das Prinzip von äußerstem Arbeitseinsatz erlernt und durch seinen Vater erfahren, dass es kein technisch-fotografisches Problem gab, das nicht zu lösen war. Diese Erfahrung war für seinen weiteren Werdegang elementar.
Auch Karl Hugo Schmölz profitierte im Nachkriegsköln von seinem exzellenten Namen, den man mit den besten bekannten Architekturaufnahmen verband, und so hat er viele der repräsentativen Neubauten, zum Teil vom Baubeginn an, fotografiert. Seine intensivste Beschäftigung mit der Architektur schließt die Jahre 1945 bis 1958 ein. Schmölz verließ 1958 die familieneigene Fotowerkstätte und eröffnete im gleichen Jahr mit seiner frisch vermählten Gattin Walde Huth (1923-2011) ein eigenes Studio für Möbel-&-Werbefotografie, das bis zu seinem Tod 1986 bestand.
Äußerste Sachlichkeit
Worin liegt die Perfektion dieser Bilder? Was macht sie so besonders oder anders als die vielen Architekturaufnahmen, die man aus den 1950er Jahren kennt? Zunächst ist es Schmölz’ durchgehende, immer an höchsten technischen Maßstäben orientierte Einstellung zum Auftrag und zum Objekt. Ein Mensch wie er muss das zu fotografierende Gegenüber bis ins letzte Detail ernst genommen und durchdacht haben, und er fand – aus seiner frühen Erfahrung heraus – immer den exakt richtigen Blickpunkt, um den herum sich das Bild aufbauen konnte, so dass auch banalere Motive, die es selbstverständlich auch gibt, in der kühlen und analytisch-atmosphärischen Wiedergabe in ein anderes Licht gehüllt werden. Die Fotografie abstrahiert ja unwillkürlich durch das Schwarz-Weiß, verleiht den Bildern grafische Qualitäten, die wir vor allen Dingen bei den Nachtaufnahmen von Schmölz so schätzen.
Aber Schmölz baut das Bild nicht nur grafisch und kompositorisch in seinem völlig ausbalancierten Auge auf, er erlaubt uns auch, als staunende Besucher in die Bilder einzudringen. Beeindruckende Beispiele hierfür sind seine Aufnahmen von Kino-Innenräumen. Schmölz hatte hierfür eine zwar aufwendige aber ebenso einfache wie geniale Methode: Im völlig abgedunkelten Innenraum und bei geöffneter Blende ließ er einen schwarz gekleideten Assistenten mit einer Stablampe in gemessenem Schritt durch die einzelnen Sitzreihen laufen. Dabei beleuchtete die Stablampe, die auf das polierte Holz oder das Metall der Sitze gerichtet war, jedes Objekt einzeln und dreidimensional, so dass es Reflexe in den ganzen Raum abgab. Die Wirkung ist frappant. Das Bild hat eine ungeheure Tiefe, obwohl es sich von ferne betrachtet aus Mustern von gleichmäßig hellen und dunklen Partien zusammensetzt. Dadurch, dass das Auge der Kamera an jedem Punkt des Bildes gleichzeitig sein kann und ihn aufnimmt, erleben wir ein visuelles Ereignis, das unser bloßes Auge nicht in der Lage ist zu leisten.
Karl Hugo Schmölz wandte häufig Tricks wie die in den lichtlosen Kinosälen an, vor allen Dingen bei Gegenlichtaufnahmen, in denen er die Fenster verhüllte und erst zum Ende einer Aufnahme, in der er einen Raum in allen Facetten durch das vorhandene und hinzugefügte Licht festgehalten hatte, öffnete, um ganz kurz das Licht von außen hineinzulassen. So ist die gesandstrahlte vollflächige Glasfront des Funkhauses auf den Aufnahmen der Innenräume vollständig und in aller Reliefhaftigkeit zu sehen als gesandstrahlte Glasfront. Schmölz konnte Glas als Glas wiedergeben, poliertes Metall als poliertes Metall, Parkett als wahrhaftiges Holz, Stuck und Putz in pudriger Haptik und Stoffe in all ihren möglichen Texturen.
Und Schmölz zeichnete noch etwas aus. Er fotografierte mit seinem Stab an Mitarbeitern, die nicht selten unter seinem Drill litten, und erfüllte Aufträge am Tag wie in der Nacht. Und er musste mit dem Negativmaterial dabei äußerst ökonomisch umgehen, denn wenn man sich vorstellt, wie viel Zeit beispielsweise die Aufnahme der Kinositze in Anspruch genommen hatte, und dass dafür im besten Fall nur ein Glasplattennegativ vorgesehen war, dann musste jeder einzelne der Mitarbeiter auf den anderen vollständig eingespielt sein. Was damals als Arbeitsresultat herauskam, sehen wir heute verklärt. Und inzwischen ist das Interesse an seinen Arbeiten gewachsen. Immer häufiger werden Bilder für thematische Gruppenausstellungen angefragt oder in einer großen Retrospektive gezeigt wie im Landesmuseum Bonn 2012, die durch die Arbeit des Kölner Archivs von Wim Cox, das er und sein Sohn Maurice betreuen, erst möglich wurde.
Interessanterweise hat Karl Hugo Schmölz die Fotografie immer in dienender Funktion gesehen.
In diesem im höchsten Maße disziplinierten Bemühen um äußerste Sachlichkeit erscheint der Horror des Abgebildeten – einer nahezu vollständig zerstörten Stadt – fast umso drastischer. 26 dieser Diptychen, die sich im Besitz des Kölnischen Stadtmuseums befinden, wurden 1982 vom Museum als Begleitbuch zu einer Ausstellung publiziert. Unsere Vintage-Prints stammen aus seinem eigenen Besitz. Diese waren niemals eingeklebt und sind insofern von musealer Qualität. Neben 24 der beschriebenen Diptychen zeigt die Ausstellung weitere 20 Originalabzüge mit zerstörten Gebäuden, Brücken und Straßenfluchten, in denen kaum ein Gebäude mehr steht. Wir sehen Inkunabeln der Baukunst wie die romanischen Kirchen und den Dom (der als fast einziger Baukörper nur leicht beschädigt aus der Trümmerlandschaft herausragt), die Oper am Ring, den Flughafen, große repräsentative Bauwerke und gespenstische Stahlruinen.
Franz van der Grinten, Köln
Zum Weiterschauen und Weiterlesen:
Die Galerie Van der Grinten liegt in der ersten Etage der Gertrudenstraße 29, 50667 Köln. Auf der Internetseite zu finden sind weitere Ausstellungen der Galerie. Einige Kataloge wie beispielsweise der Katalog der Ausstellung mit den Kinobildern von Karl Hugo Schmölz, sind über die Galerie erhältlich, andere zumindest antiquarisch. Die Ausstellung mit den Köln-Bildern von Karl Hugo Schmölz läuft noch bis zum 15. April 2023.
Zwei persönliche Anmerkungen des Herausgebers des Demokratischen Salons:
- Seine Mutter war eine der etwa 15.000 Menschen, die bei Kriegsende noch in der Stadt Köln verblieben war. Ihre Familie wurde in Mauenheim ausgebombt und wohnte in einer kleinen Wohnung im Nippeser Afrikaviertel.
- Der im Text erwähnte Architekt Dominikus Böhm war Erbauer der Riehler Engelbertkirche, im Volksmund „Die Zitronenpresse“, Pfarrkirche der Familie in ihrer Kölner Zeit 1954-1968. Diese Kirche war Schauplatz der Hochzeit des von Til Schweiger und Katja Riemann dargestellten Paares in dem Film „Der bewegte Mann“ von Sönke Wortmann.
Empfehlenswert sind folgende Bildbände:
- 1945 – Kriegsende in Köln – Die komplette Fotoedition von Hermann Rheindorf, Rheinbach, Regionalia Verlag, 2014, mit Vorworten von Werner Schäfke und Tommy Engel.
- Lee Miller, Köln im März 1945, Köln, Greven Verlag, 2013, mit einem Vorwort von Jürgen Wilhelm und Michael H.G. Hoffmann sowie Beiträgen von Kerstin Stremmel („Im Herzen Deutschlands – Lee Millers engagierter Realismus“) und Walter Filz („Kaputtsein ist kein Mythos – Bild und Bildkosmetik einer zerstörten Stadt“).
- Reinhard Matz / Wolfgang Vollmer, Köln vor dem Krieg – Leben / Kultur / Stadt 1880-1940, Köln, Greven Verlag, 2012.
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im März 2023, Internetzugriffe zuletzt am 8. März 2023)