Der lange Weg der Öko-Science Fiction

Teil 2: Weimarer Republik und Nationalsozialismus

„Science Fiction ist die metaphorisch-mythische Antwort der Literatur (im weiteren Sinn der Kunst) auf die revolutionären, durch Wissenschaft und Technik bedingten Umbrüche in der menschlichen Gesellschaft seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute.“ (Hans Frey, Definition der Science Fiction in einem Satz)

Dem gescheiterten Kaiserreich folgte die Weimarer Republik, die ungeachtet einer durchaus für Demokratie und Rechtsstaat wegweisenden Verfassung ebenfalls zum Unglücksfall in der deutschen Geschichte werden sollte. Alles, was das Kaiserreich politisch-ideologisch und geistesgeschichtlich an schlechtem Erbe vorgelebt hatte, wurde in der Weimarer Republik ausformuliert, verfestigt, verstärkt und radikalisiert. So spielte neben dem Aufkommen des organisierten Faschismus, der Spaltung der Arbeiterbewegung und der Schwäche des demokratisch-republikanischen Lagers in der ideologischen Großwetterlage der Weimarer Republik in erster Linie eine geistige Megaströmung eine entscheidende Rolle. Das war der mehr oder minder stark vom technokratischen Denken beeinflusste Modernismus, der sich in einen fortschrittlichen und einen reaktionären Modernismus aufspaltete.

Zwischen Demokratie und Faschismus

Mit Modernismus ist eine Denkrichtung gemeint, die den vorwärts stürmenden Industrialismus und eine expandierende Wissenschaft und Technik bejaht oder zumindest als notwendiges Übel akzeptiert. Diese Grundeinstellung war allen Modernisten gemeinsam. Gleichwohl gab es bei ihnen einen klaren Bruch in der Haltung, wie der Modernismus auszugestalten sei. Während der fortschrittliche Modernismus die Entfaltung der Industriegesellschaft mit demokratisch-sozialen Reformen verbinden wollte, lehnte der reaktionäre Modernismus diesen Teil ab bzw. bekämpfte ihn aktiv. Ihm ging es nur um die Steigerung von Effizienz und Macht. Humanisierung und sozialer Ausgleich standen nicht auf seiner Tagesordnung.

Insgesamt war und ist der Modernismus eng mit der Technokratie-Idee verbunden. Technokratisches Denken bedeutet: Wissenschaft und Technik werden als eigenständig wirksame Faktoren angesehen. Diese werden dann schon von sich aus, so der Glaube, die bessere Gesellschaft hervorbringen. Politik ist in diesem Zusammenhang kontraproduktiv, da sachfremd. Leitbild ist der Experte, der Fachmann, der Technokrat. Diese Auffassung findet in den modernistischen Richtungen eine unterschiedlich starke Nuancierung.

Völlig konträr agierte eine andere Bewegung in der Weimarer Republik, die ebenfalls große politische Bedeutung hatte: der völkische Faschismus. In seinem Zentrum standen die Ablehnung der westlichen Moderne, der Kampf gegen die Aufklärung, die Verächtlichmachung der Demokratie und der illusorische Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Der vom völkischen Faschismus favorisierte Mythos entsprach einem heroisierten Ackerbau- und Viehzuchtgermanentum, das es so in der Realgeschichte nie gegeben hatte. Damit wurde der völkische Faschismus nicht nur zum natürlichen Feind aller Fortschrittsbewegungen, sondern auch zum Gegner des reaktionären Modernismus und der Technokratie-Idee.

Das wog für die Stimmigkeit des Rechtsextremismus bedeutend schwerer, weil sich innerhalb der Nazipartei, die der Industrie durchaus zugewandt war, auch die Völkischen etablierten. Sie standen im Widerspruch zu übrigen Teilen der Nazi-Ideologie. Insofern gab es eine stringente „NS-Philosophie“ ebenso wenig wie ein in sich geschlossenes Ideensystem. Der NS-Sud war, um es metaphorisch auszudrücken, ein rechtsextremistischer Gemischtwarenladen, der vieles anbot, was sich bei genauem Hinsehen als nicht vereinbar entlarvte. Zusammengehalten wurde er letztlich nur durch die obszöne Gier nach Macht.

Man könnte vielleicht glauben, dass der völkische Faschismus mit seiner Naturtümelei und den Schwärmereien für ein sogenanntes einfaches, natürliches, unverdorbenes Leben auf der Scholle einer grünen Weltsicht am nächsten kam. Das war keineswegs der Fall, ja es wäre ein abwegiger Irrtum, den völkischen Faschismus auch nur in die Nähe eines ökologischen Denkens rücken zu wollen. Tatsächlich war der Wesenskern dieser Fascho-Variante eine biologistisch verstandene Volksgemeinschaft, eine sozialdarwinistische Weltsicht und ein Rassismus, der sich gegen alles wendete, was nicht „arisch“ war, was immer das im Einzelnen auch heißen mochte. Immer ging es um sogenannte Rassereinheit und um Aussonderung. So war denn die direkte Folge dieses geistesgestörten Mythenkonstrukts nicht etwa ein harmonisches Leben in und mit der Natur, sondern die SS und der Holocaust, die unglaubliche Verbrechen und unsägliches Leid hervorgebracht haben.

Zwiespältige Modernismen

Noch einmal zurück zum Modernismus. In der SF-Literatur der Weimarer Republik gab es zwei symbolisch-symptomatische Romane, die den Modernismus auf den literarischen Punkt gebracht hatten und die ich deshalb als Schlüsselromane bezeichne. Gemeint sind die Werke Utopolis (1931) von Werner Illing (1895-1979) und Metropolis (1926) von Thea von Harbou (1888-1954).

Illing erfüllt in der Beschreibung seiner Arbeiterrepublik Utopolis den fortschrittlichen Modernismus mit quirligem Leben. Dagegen forciert Harbou in ihrem Moloch Metropolis die Düsternis eines reaktionären Modernismus. Bei Illing finden wir die Bejahung der wissenschaftlich-technischen Moderne, soweit sie mit sozialem Fortschritt gekoppelt wird, bei Harbou hingegen eine eher zähneknirschende Akzeptanz der Industrialisierung, soweit sie in autoritär-faschistoiden Modellen verharrt. Utopolis ist demokratisch, Metropolis faschistoid. Für beide gilt aber auch: So fundamental sie sich in ihren Botschaften unterscheiden, so sehr ist auch für sie die Ökologie kein Thema.

Nach diesen Kurzanalysen, die ein Gefühl für das politisch-kulturelle Klima der Weimarer Republik geben sollen, soll jetzt ein kursorischer Überblick über das weltanschaulich-ideologische Spektrum der Weimarer SF im Fokus stehen.

Zu den politischen Kräften in Weimar zählte selbstverständlich ein nennenswerter demokratisch-republikanischer Sektor, der wesentlich von den Ideen des fortschrittlichen Modernismus bestimmt war. Auf die bemerkenswerte demokratisch-republikanische SF muss ausdrücklich hingewiesen werden, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, die Weimarer SF sei ein rechtsnationalistischer, faschistischer Einheitsbrei gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Auf Utopolis wurde bereits hingewiesen. Die SF-Romane der Demokraten beschäftigten sich mit fortschrittlichen politisch-sozialen Utopien, technischen Wunderdingen und philosophischen Problemen. Mit Ökologie hatten sie indes nichts im Sinn (Ausnahmen: Ri Tokko und Annie Francé-Harrar).

Nachrichtlich sei erwähnt, dass als Nebenstrang auch eine kommunistische SF existierte, die sich allerdings nur in drei SF-Romanen niederschlug und bedeutungslos blieb. Der bekannteste Roman ist Levisite oder Der einzig gerechte Krieg (1926) von Johannes R. Becher (1891-1958), dem späteren Kulturminister der DDR und Autor der DDR-Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“. Bedarf es noch des Hinweises, dass in keinem der Romane von Ökologie gesprochen wird?

Wichtiger waren Texte, die Zwischenstadien und Übergänge im Rahmen der verschiedenen Richtungen widerspiegelten. Man kann sie auch als janusgesichtig oder doppeldeutig bezeichnen. Die ideologische Gemengelage der Weimarer Republik war streckenweise derart verworren, dass lupenreine Zuweisungen in der politischen Bewertung literarischer Produkte nicht immer möglich sind. Nicht selten verschwammen Grenzen, die sich vor allem in der Durchmischung von linken und rechten Inhalten zeigten. Ebenso werden einzelne Autoren bezogen auf das rechte Spektrum unterschiedlich wahrgenommen.

Einer von ihnen war und ist Hans Dominik (1872-1945). Er war der berühmteste und in der Zwischenkriegszeit die Nummer Eins der deutschen SF-Autoren. Ihn zu ignorieren, wäre sachfremd und unangemessen, zumal er heute noch bekannt ist und auch in der BRD ab und an neu aufgelegt wurde.

Dominiks politische Umstrittenheit macht sich an Einschätzungen fest, die ihn immer wieder zwischen Konservatismus und Faschismus hin und her driften lassen. In meinen ersten beiden Sachbüchern zur Geschichte der deutschen SF-Literatur habe ich ausführlich begründet, warum ich Dominik im Bereich des technokratischen Nationalkonservatismus ansiedele. Ein Nazi und Rassist hingegen war er nicht. Insofern ordne ich Dominik mit seinen vielen Storys und fünfzehn SF-Romanen, zum Beispiel Die Macht der Drei (1922), das Buch, mit dem er seinen Durchbruch schaffte, oder Atlantis (1925), dieser Beschreibung zu. Hans Dominiks Werke ranken sich durchgehend um die Zukunft einer ingenieurwissenschaftlich orientierten Technik. Nur ein einziges Mal begab er sich auf das ihm fremde Feld der Biologie und wandte sich damit indirekt Umweltfragen zu.

In dem SF-Roman Lebensstrahlen (1938), wohl gedacht als Beitrag zur Bekämpfung der Nahrungsmittelknappheit, wird eine Strahlung entdeckt, die anorganische in organische Materie umwandeln kann. Das hat u. a. ein Riesenwachstum von Pflanzen zur Folge. Dominik vermag es nicht, seiner Idee Relevanz abzugewinnen und verkürzt sie auf die Produktion von Düngemitteln. Alles in allem wirkt der Roman weit hergeholt, unfertig und streckenweise konfus. Eine ökologische Dimension hat der Roman nicht. Dominik, dessen Texte für die SF nicht uninteressant sind, hatte sich mit seinen Lebensstrahlen auf ein Terrain begeben, von dem er wenig bis nichts verstand. Zudem schlug auch immer wieder sein Hang zum Opportunismus durch. Mit den Herrschenden wollte er sich arrangieren, aber auf keinen Fall anlegen.

Schätze ich Illings Buch Utopolis als bedeutendste Utopie der Weimarer SF ein (neben Ri Tokko), hatte ich bei Dominik eine durchgehend rechtskonservative Technokratie festgestellt, so kann man Thea von Harbous Metropolis als latent faschistoid bezeichnen. Ihr Denken bestand einerseits aus einer schwerverdaulichen Mischung von romantischen Versatzstücken, verbrämter katholischer Religiosität und melodramatischem Kitsch (ihr Spitzname lautete nicht umsonst „Lady Kitschener“), andererseits aber auch aus eindeutig faschistischen Elementen. Thea von Harbou war im Nazireich die Leni Riefenstahl der Unterhaltungsliteratur. Bezeichnend: Sie war glühende Anhängerin der Nazis und trat noch 1940 der NSDAP bei, im Gegensatz zu ihrem zeitweiligen Ehemann Fritz Lang, der als Regisseur des gleichnamigen Stummfilms Metropolis Filmgeschichte schrieb. Fritz Lang emigrierte 1933 in die USA, obwohl ihm Propagandaminister Goebbels verlockende Angebote gemacht hatte. Derweil wurde Harbous Gesinnung von den Nazis mit üppigen Honoraren und gesellschaftlichem Ansehen belohnt.

Eine der Ursachen für diverse Varianten ultrarechter SF lag in dem wildwuchernden faschistoiden Milieu der Weimarer Zeit. Man muss sich diese Subkultur als anarchischen Haufen von Verbänden, Gruppen, Grüppchen und Einzelpersonen vorstellen, der jeweils nach Gusto agierten – die Unzahl der hier angesiedelten, zumeist sektiererischen Organisationen spricht für sich. Das Bindemittel zwischen ihnen waren die verachtete Republik und inhumane Wahnideen, ansonsten machte im Grunde jeder das, was er wollte und glaubte.

Auch die Nazis waren im Gegensatz zur landläufigen Meinung, sie hätten in der Weimarer Republik stets eine wichtige Rolle gespielt, keine Ausnahme, waren sie doch bis 1930 nicht mehr als eine politische Sekte gewesen. Ihr Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass Hitler im Gegensatz zu den völkisch-faschistischen Esoterikern tatsächlich (macht)politisch dachte. Nicht zuletzt er mokierte sich schon 1925 in seiner Hasstirade Mein Kampf ganz offen über die Quacksalber“, „Rauschebärte“, „Methusaleme“, „Sprücheklopfer“ und „Nichtskönner“ der völkischen Opposition.

Es ließe sich nun eine lange Liste von SF-Titeln nennen, die beispielhaft reaktionäre und faschistische SF in der Weimarer Republik abbilden – was aus Platzgründen nicht möglich ist. Es versteht sich, dass in keiner dieser Schriften die Ökologie eine Rolle spielt.

Es gab wenige Weimarer SF-Topoi, die derart wirksam die Gemüter erregten wie die ebenso geliebte wie gehasste moderne Großstadt. Deshalb soll zur exemplarischen Erläuterung von zeitbedingten Haltungen und Vorstellungen ein SF-Komplex herausgegriffen werden, den man pauschal mit dem Begriff Zukunftsstadt betiteln kann. Gerade dieses Thema bot sich an, ökologisch heiß diskutiert zu werden, denn die in der Weimarer Zeit weit verbreiteten Kritik an der Großstadt hatte einen guten Grund, gab es doch nicht nur in Berlin ganze Stadtteile, die völlig verslumt und extrem menschenunwürdig waren – erinnert sei an die berüchtigten Mietskasernen mit ihren viel beschworenen Hinterhöfen. Die Vermutung liegt nahe, dass die katastrophalen Zustände in den industrialisierten Metropolen einen ökologischen Streit geradezu herausforderten. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen waren es entweder die unterstellte Eigendynamik von Wissenschaft und Technik oder die Reformierung bzw. die Abschaffung der Republik, von denen man sich eine Veränderung zum Besseren erhoffte.

Insgesamt ging es beim zeitgenössischen Diskurs um die hypermoderne Stadt, die durchtechnisierte Zukunftsmetropole, ja die verheißungsvolle, aber auch menschenverschlingende Megalopole, die trotz allem die Perspektive auf ein bequemes, angenehmes und durch viele technische Neuerungen abgesichertes Leben eröffnete. Schon bei Thea von Harbou übt die Zukunftsstadt Metropolis einen morbiden Reiz aus (die ja auch ihre schönen Seiten hat, siehe im Buch den luxuriösen Park „Club der Söhne“), während Illing von sauberen Gartenstädten spricht, ohne darauf näher einzugehen. Hygienisch durchgestylte Wohnquartiere mit weitläufigen Gärten sind, um es platt zu sagen, in diesen Utopien einfach da, entweder für alle oder eben nur für Privilegierte.

Die Kritik richtete sich gegen die Unbehaustheit und Menschenfeindlichkeit der Großstadt. Man war ja nicht blind. Die Frage aber, ob derartige Zustände etwas mit einer ökologisch grundfalschen Anlage dieser Art von Stadt zu tun haben könnte, wurde indes nur gestreift oder ausgeblendet. Zu einem vollständig verkorksten Irrweg geriet die Argumentation völkisch-esoterische Kreise, die eine Pauschalkritik an der verkommenen, verdorbenen Großstadt formulierten und diese stets mit Babylon und dem biblischen Sodom und Gomorrha verglichen, in eine fundamentalistische Anklage gegen die Moderne ummünzte.

Die Arbeiten des Schriftstellers Otfrid von Hanstein (1869-1959) sind ein besonders aussagekräftiges Exempel für die Behandlung des Weimarer SF-Topos Großstadt aus technikverliebter Sicht. Hanstein stammte aus einer gutbürgerlichen, gebildeten Familie und entdeckte früh seine Vorliebe für die leichte Literatur. Seine emsige Produktivität, die sich auf Liebesromane, Krimis, historische Romane und Abenteuergeschichten verteilte, zudem Sachbücher und Reisebeschreibungen umfasste, brachte ihn auch zur SF. So kreierte er einige SF-Romane, die vor allem seine Begeisterung für durchtechnisierte, vollautomatisierte Szenarien transportierten und der Technokratie-Idee eng verbunden waren. Die Farm des Verschollenen (1924), Ein Flug um die Welt und die Insel der seltsamen Dinge (1927) und Elektropolis. Die Stadt der technischen Wunder (1928) entsprangen seiner Feder.

Hansteins SF-Roman Die Farm des Verschollenen (1924) handelt zwar noch nicht von der Superstadt, sondern „nur“ von einer Automatenfarm im XXL-Stil, enthält aber bereits die wesentlichen Elemente, die dann seine utopischen Großstädte auszeichnen. Von überdimensionalen Schalttafeln aus lenkt und steuert man die Welt. Übrigens favorisiert er in diesem Text die zu seiner Zeit übliche Vorstellung, dass wildes Land (zum Beispiel der Regenwald) unter allen Umständen „kultiviert“ werden müsse.

Während sich Die Farm des Verschollenen noch durch eine gewisse Ambivalenz auszeichnet (sein Protagonist hat bei der Bewältigung der selbstgestellten Aufgabe psychische Probleme), gibt es in Ein Flug um die Welt und die Insel der seltsamen Dinge (1927) keine Zweifel mehr, dass Wissenschaft und Technik den Menschen nur Gutes bringen. Der SF-Roman spielt auf der erfundenen Insel Iguana vor der Küste Perus und dreht sich im Kern um eine utopische Stadt mit allen technischen Schikanen und Raffinessen. Von durch einen Inka-Schatz unermesslich reich gewordenen Wissenschaftlern erbaut, gibt sie dem Autor die Gelegenheit, fast schon orgiastisch in den diversen fiktiven Errungenschaften zu baden. Wunderbare Art-Deco-Gebäude zieren die Skyline, perfekte Autos und Vakuum-Tubes garantieren einen reibungslosen Verkehr, Kommunikationsapparate sichern den steten Austausch von Informationen und eine phantastische Medizin sorgt für allseits gesunde und fitte Menschen. Der Roman setzt alle hypermodernen Träume der 1920er-Jahre, die sich um die Stadt ranken, in SF um.

Das Buch Elektropolis. Die Stadt der technischen Wunder (1928) ist sozusagen der Höhepunkt dieser Entwicklung. Dass Hanstein diesmal die Handlung mit nationalistischen Tönen unterlegt, stört zwar, bleibt aber angesichts der Produkte anderer zeitgenössischer Autoren erträglich. Im Plot geht es um einen jungen Deutschen namens Fritz, der in Australien seinen Onkel trifft. Diesem ist von einem genialen Erfinder, der bereits in Die Farm des Verschollenen auftrat, eine Supertechnik hinterlassen worden. Mit ihrer Hilfe wollen beide in den Outbacks eine hochtechnisierte Stadt mit dem bezeichnenden Namen Elektropolis bauen.

Die Regierung genehmigt das Siedlungsprojekt, da es sich bei dem Areal nur um Wüste handelt. Folglich meint sie, es mit Spinnern zu tun zu haben. Im weiteren Verlauf kommen immer mehr Menschen aus Deutschland und richten sich ein. Eine ausgeklügelte Wetterkontrolle und Regenmaschinen erschaffen eine blühende Landschaft. Inzwischen hat die Regierung mitbekommen, was sich wirklich in der Wüste abspielt. Sie entzieht alle Rechte und verlangt die sofortige Übergabe der Stadt. Es kommt zum bewaffneten Konflikt. Doch die Vertreibung scheitert kläglich, da die Regierungstruppen den überlegenen Waffensystemen und einem Energieschirm nichts entgegenzusetzen haben. Elektropolis muss als autonome Stadt anerkannt werden.

In Elektropolis hat Hanstein eine wohl höchst ausgefeilte Vorstellung einer wunderbar funktionierenden Zukunftsstadt vorgelegt. Im Gegensatz zu Illing, der in Wissenschaft und Technik zwar unverzichtbare, aber eben doch nur Instrumente sieht, um eine sinnstiftende Fortschrittsphilosophie durchzusetzen, haben Wissenschaft und Technik bei Hanstein fast schon den Charakter eines Selbstzwecks. Hanstein, ein durchaus interessanter Unterhaltungsschriftsteller der Weimarer Zeit, hat gerade in der SF einiges zu bieten. Leider bleibt er in seiner gedanklichen Verkürzung, die auch das Ignorieren von Umweltfragen umfasst, auf halbem Weg stehen.

Anders als Hansteins technokratisches Hohelied hatte Hans Richter (1889-1941) mit Turmstadt (1926) einen SF-Roman geschrieben, der die Problematik der Weimarer Großstadt bzw. der Metropole einigermaßen gut einfängt, obwohl es in seiner schlussfolgernden Grundbotschaft zwielichtig bleibt. Das hing mit seiner unklaren Rolle zusammen, die er gegenüber den Nazis spielte. Einerseits hatte Richter durchaus eine NS-Nähe, war aber andererseits nicht Mitglied der NSDAP, was zu einem Karrierebruch führte. In Turmstadt versuchte er, eine realistischere und moderatere Position einzunehmen, deren Implikationen indes problematisch blieben.

„Gebundene Kraft, ein Wille, auf Betonquadern aus Stahl und Eisen emporgezwungen, in gigantischen Ausmaßen.“ So beschreibt Richter schon zu Beginn seines Romans Turmstadt ein Menschen verschlingendes, durch und durch künstliches Gebilde. Riesige, auf Stelzen erbaute Wohn- und Geschäftstürme, Verkehrssysteme, die sich wie Spinnennetze über die Stadt ziehen, die Allgegenwart von Maschinen, gesichtslose Parkanlagen wie aus der Retorte und brodelnde, nie endende Hektik charakterisieren die Metropole. Sie mag in jeder Hinsicht alle möglichen Funktionen erfüllen, nur eins erfüllt sie nicht: sie macht die in ihr lebenden Menschen nicht glücklich. Stattdessen bestimmen schwelende Klassenkonflikte und diffuse Gefühle der Unsicherheit und Unbehaustheit das gesellschaftliche Klima.

In der sogenannten „Polstadt“ imaginiert der Autor sein Gegenbild. Eine neu entdeckte Energie ermöglicht es, in Grönland und in der Arktis große Flächen vom Eis zu befreien und lebensfreundliche Landschaften zu erzeugen (auch hier werden Folgewirkungen weder bedacht noch diskutiert). Es entsteht eine Stadt, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Weite Räume, bewohnbare Häuser und urbanes Leben sorgen für humane Verhältnisse. Im Grunde geht es Richter darum, das neue Zeitalter mit einer natürlichen Lebensweise zu versöhnen. „Industrielle Arbeit ist ebenso notwendig wie Ackerbau und Viehzucht. Unsere Zeit steht im Zeichen der Industrie, aber sie soll über ihren materiellen Erwerbssinn die Ideale nicht vergessen.“

Richter spart nicht mit Kritik an der zeitgenössischen Großstadt. Seine Alternative besteht darin, die Potenziale der wissenschaftlich-technischen Zivilisation im Sinne der Menschen auszuschöpfen, ohne andere Werte zu vergessen. Was eigentlich vernünftig klingt, lässt uns plötzlich straucheln, denn genau hier drohen Richters Einlassungen abzukippen. Legt man sie auf die Folie bestimmter NS-Vorstellungen, kommt man schnell zu einem „gesunden Volkstum“, das darin besteht, Industrialisierung und bodenständiges Bauerntum romantisierend auf einen Nenner zu bringen. Doch das gelang nur in der belletristischen und politischen Propaganda, nicht in der Wirklichkeit.

Zwei Ausnahmeerscheinungen: Annie Francé-Harrar und Ri Tokko

Mit Annie Francé-Harrar und Ri Tokko (d. i. Ludwig Dexheimer) müssen die beiden großen Ausnahmeerscheinungen der 1920er-Jahre herausgestellt werden. Sie haben nicht nur gemeinsam, in ihrer Bedeutung für die SF allein auf weiter Flur gestanden zu haben, sondern auch, dass ihre zum Teil bahnbrechenden Gedanken keine Resonanz fanden. Nichtdestotrotz sind beide Leuchttürme der deutschsprachigen SF-Literatur, deren Glanz unübersehbar ist – jedenfalls für die, die sie kennen und würdigen zu wissen. Es ist und bleibt gerade für die Literaturgeschichte eine bleibende Aufgabe, sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Zu den Problemen einer Megalopolis zählt die Frage, wie eine überbordende Bevölkerung ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden kann. Durch ihren Roman Die Feuerseelen (1923) gehörte Annie Harrar (d. i. Annie Francé-Harrar, 1886-1971) nicht nur zu den äußerst seltenen zeitgenössischen SF-Autorinnen, sondern auch zu den ebenfalls wenigen Autoren, die ihre ausgewiesene wissenschaftliche Kompetenz mit der Freude an der belletristischen Arbeit zu verbinden wussten. Zusammen mit ihrem zweiten Mann, dem Biologen und Mediziner Raoul Heinrich Francé (1874-1943), entwickelte sie die wissenschaftlichen Grundlagen für die Humus- und Kompostwirtschaft. Die Idee, der Bodenerosion und dem Verlust von Humusboden durch eine sinnvolle Abfallverwertung entgegenzuwirken, ist auf Annie Francé-Harrar zurückzuführen.

Der SF-Roman Die Feuerseelen reicht bis in eine ferne Zukunft. Auf der ganzen Erde gibt es lediglich dreihundert Städte, wobei allerdings jede über mehrere Hundert Millionen Einwohner verfügt. Die Menschen sind nur noch als Nummern identifizierbar und durch eine umfassende Mechanisierung der körperlichen Bewegung entwöhnt. Künstlich hergestellte Nahrung versorgt die Massen mit dem Lebensnotwendigen. Hier aber liegt der Keim des Untergangs. Die Kunstnahrung führt zu einer Stickstoffüberproduktion, die den natürlichen Erdboden unfruchtbar macht. Das entzieht aber auch dem synthetischen Essen die Herstellungsbasis, sodass eine furchtbare Hungersnot ausbricht, der fast alle Menschen zum Opfer fallen. In den „Feuerseelen“, Feuer, die sich im toten Erdboden selbst entzünden, findet die Rache der Erde ihren metaphorischen Ausdruck. Nur wenigen Menschen gelingt das Überleben. Ob sie jedoch einen neuen, besseren Anfang zustande bringen, bleibt offen.

Harrars fortschrittskritische SF-Apokalypse, die auf ihre eigenen Forschungen zurückgreift, sieht in der künstlichen Ernährung einer explodierenden Weltbevölkerung einen Irrweg, der unweigerlich im GAU enden muss. Die Feuerseelen ist einer der spürbar besseren SF-Romane der Zeit, der sich über die technokratische Blauäugigkeit hinwegsetzt und als Warnung gemeint ist. Darüber hinaus ist er meines Wissens neben Ri Tokkos Das Automatenzeitalter der einzige SF-Roman der Weimarer Republik, der sich fundiert mit Aspekten des ökologischen Kreislaufs beschäftigt.

Unter dem merkwürdigen Pseudonym Ri Tokko („Tokko“ ist vielleicht dem Buddhistischen entlehnt und meint wohl eine Art Zauberinstrument) veröffentlichte Ludwig Dexheimer 1930, vordatiert auf 1931, das umfangreiche SF-Werk Das Automatenzeitalter. Ein prognostischer Roman. Er ergriff den Beruf eines Chemie-Ingenieurs. 1929 wurde er arbeitslos. Die Zeit nutzte er, um den Roman zu schreiben. 1937 gelang ihm die Rückkehr ins Arbeitsleben. In den 1950er-Jahren engagierte er sich neben seinem Job in einem Labor als Schatzmeister der Südwestdeutschen Gesellschaft für Weltraumforschung. Das Automatenzeitalter blieb Dexheimers einziges SF-Werk.

Es scheint, dass er alles, was er in diesem Bereich als mitteilenswert empfand, in das Buch hineingepackt hat. Mithin gleicht es mit seinen etwa 800 eng bedruckten Seiten und 71 Kapiteln einem einmaligen Kompendium, in dem so gut wie jede SF-Idee, die es zu Dexheimers Zeit gab, ausgeführt oder zumindest angesprochen wird. Eine durchgehende Handlung, die man sonst bei einem Roman erwartet, hat das Werk nicht. Die Struktur des Romans gleicht einer Kollage. Anhand von ausführlichen Dialogen, teils langatmigen Vorträgen, genauen Schilderungen, ausgedehnten Reisen, Traumsequenzen und abenteuerlichen Erlebnisspots führt uns Tokko durch eine Wunderwelt der fast vollständigen Automatisierung, die die Menschen von den früheren Leiden und Bedrängnissen erlöst hat und ihnen ein Leben der Freiheit und des individuellen Glücks gestattet.

Der Plot spielt im Jahr 2500. Protagonisten sind das junge Pärchen Mi und Lu. Beide sind von ausnehmender Schönheit, und das Ebenmaß ihrer Körper entspricht ihrer Bildung, ihrer Intelligenz und ihrem fröhlichen, lebenszugewandten Wesen. Fast alle Personen, die auftauchen, leben in der Automatenstadt. Die Stadt ist ein annähernd rechteckiges Areal von gigantischen Ausmaßen. Es reicht von Frankreich bis zur heutigen deutsch-polnischen Grenze und von Dänemark bis zu den Alpen. Es beherbergt 200 Millionen Menschen (nach Ri Tokko die gesamte Menschheit) und ist in Villengrundstücke aufgeteilt, die jeweils 1.000 Quadratmeter umfassen. Die Versorgung erfolgt über eine Rohrpost, und die Zentralküche liefert exzellente Menüs. Der Verkehr wickelt sich über Flugautos oder über interkontinentale Hochgeschwindigkeitszüge ab, die wie Silberpfeile durch Vakuumröhren flitzen. Eine umfassende Mobilität gehört zur Normalität. Angedeutet wird auch eine behutsame Entwicklung der Weltraumfahrt. Von einer Regierung ist wenig zu spüren. Die politischen Institutionen, die es gibt, sind demokratisch und agieren zurückhaltend. Offensichtlich sind die Menschen des Jahres 2500 so reif, dass sie staatliche Reglementierungen kaum noch brauchen. Die Automatenstadt beherbergt eine umfassende Informationsgesellschaft. Man kann jederzeit jegliche Information von der Zentralbibliothek abrufen, womit Ri Tokko eine Art Internet kreiert. Eine entscheidende Rolle spielen die Homaten, menschenähnliche Roboter, die alle niederen Arbeiten erledigen und die Menschen umsorgen. Zu den unumstößlichen Prinzipien des Tokko’schen Utopias gehören individuelle Freiheit und politisch-soziale Gleichheit. Männer und Frauen sowie alle Ethnien sind in jeder Hinsicht gleichberechtigt.

In unserem Kontext ist explizit hervorzuheben, dass der Autor wie selbstverständlich Umweltideen in sein Konzept mit einbezieht. Die Energieversorgung basiert wie schon bei Laßwitz auf regenerativen Energien, und es gibt riesige, unterirdische botanische Gärten, die für einen Klimaausgleich sorgen. Ebenfalls werden Fragen des Wohnens, der Ernährung und der Entsorgung immer wieder unter Aspekten des Recyclings abgehandelt. Die gesamte Infrastruktur wird von einem elektronischen Zentralgehirn kontrolliert und gelenkt. Das erinnert verblüffend an zahlreiche moderne SF-Ökoromane, in der eine Künstliche Intelligenz die grundlegende Sicherung der natürlichen Kreisläufe überwacht und sie unabhängig macht von kurzfristigen und kurzsichtigen Interessen. Da die Fortpflanzung von der erotisch-sexuellen Liebe und einem partnerschaftlichen Zusammenleben der Geschlechter vollständig abgekoppelt ist, hat man implizit auch das Problem der Überbevölkerung gelöst, das aktuell in einem keineswegs geringen Maße zu den ökologischen Verwerfungen der Weltgesellschaft beiträgt.

Ri Tokkos SF-Utopie macht zuweilen sprachlos, ja manchmal kann man kaum glauben, dass ein Mensch am Ende der 1920er-Jahre in der Lage war, ein derartiges geistiges Feuerwerk zu entzünden. Wenn auch die literarische Form oft zu wünschen übrig lässt, so nimmt das dem Werk kein Jota an origineller Bedeutung. Neben dem unglaublichen Reichtum an gelungenen Extrapolationen und utopischen Geistesblitzen beeindruckt Das Automatenzeitalter durch seine philosophische Tiefe. Ein in der SF singulär dastehendes Meisterwerk!

Apokalypsen

Verlassen wir die Zukunftsstadt, und gönnen wir dem SF-Subgenre des Katastrophenromans noch einige Bemerkungen, weil dieses für Ökothemen besonders geeignet erscheint. In der von Krisen geschüttelten Weimarer Republik trieben beachtliche Angstpotenziale ihr Unwesen. So blieb es nicht aus, dass weltumspannende Katastrophen bis hin zum Weltuntergang zum festen Repertoire der Weimarer SF gehörten.

Ausgemalt wurden von der Natur verursachte Katastrophen mit Vulkanausbrüchen, drohenden Meteoriteneinschlägen – zum Beispiel Panik (1922) von Reinhold Eichhacker (1886-1931) oder wie in Bruno H. Bürgels (1875-1948) Der ‚Stern von Afrika‘. Eine Reise ins Weltall (1920) eine kosmische Dunkelwolke. Die Wolke hüllt die Erde ein und löst eine Eiszeit aus, allerdings eine Eiszeit, die mit der von Rosegger nichts zu tun hat, ist doch Bürgel ausdrücklich dem demokratischen Lager zuzurechnen. (Bürgels Werk ist übrigens der erste SF-Roman in deutscher Sprache, der die Rakete als realistisches Weltraumgefährt prognostiziert.)

Die andere Seite der Medaille inkarnierte sich in Infernalien, deren Ursachen beim Menschen liegen. Da gab es schon die Atombombe und den Atombrand, siehe Dominiks Bücher Der Brand der Cheopspyramide (1926) und Das Erbe der Uraniden (1927) sowie biologische Ausrottungskriege, siehe Der Bacillenkrieg (1922) von Curt Abel-Musgrave (d. i. Kurt Abel, 1860-1938).

Wir kommen zu einem deprimierenden Resultat. Obwohl der umweltpolitische Problemdruck in der ersten deutschen Republik gegenüber dem Kaiserreich weiter anstieg, nahm die Bedeutung der Öko-Debatte nicht etwa zu, sondern ging noch weiter zurück. Dieser erstaunliche wie auch erschreckende Marginalisierungsprozess schlug sich deutlich in der SF der Weimarer Republik nieder. Ich kenne keine Texte außer denen von Francé-Harrar und Tokko, die sich offensiv der ökologischen Herausforderung stellten. Die Weimarer SF (wie auch alle sonstigen Publikationsformen) interessierte sich in ihrer überwältigenden Mehrheit einfach nicht für Umweltthemen.

Die nächste Station dieses Essays steht im Zeichen der zwölfjährigen Herrschaft des organisierten Verbrechens in Deutschland. Die Berichterstattung kann recht kurz ausfallen, weil es im Rahmen unserer speziellen Themenstellung nicht viel zu berichten gibt. Öffentliche Diskussionen und Debatten über Inhalte fanden unter den Nazis generell nicht statt. Warum sollte das ausgerechnet bei der Öko-Debatte, die – wie wir gesehen haben – bereits vorher so gut wie nicht vorhanden war, anders gewesen sein?

Zudem befand sich die Science Fiction als Genre in einem Überlebenskampf, da sie bei den braunen Machthabern herzlich unbeliebt war. Entsprechend wurde alles unternommen, sie stetig zurückzudrängen, mit der Folge, dass es am Ende der Nazidiktatur faktisch keine SF mehr in Deutschland gab.

Dennoch hat sich im NS-Reich eine Geschichte zugetragen, die schier unglaublich klingt, wäre sie nicht tatsächlich geschehen. Sie rankt sich um den Autor Paul Gurk (1880-1953) und seinen SF-Roman Tuzub 37. Der Mythos von der grauen Menschheit oder von der Zahl 1 (1935). Der stets mit materieller Armut kämpfende Paul Gurk, insgesamt ein Mensch mit einem tragischen Leben, geriet an einen offensichtlich besonders dummen Zensor. Der konnte mit dem Manuskript nichts anfangen. Er hielt das einzigartige literarische Juwel für ein naives, infantiles und harmloses Geschreibsel, stufte es als Kinderbuch ein und genehmigte die Veröffentlichung. Damit hatte Tuzub 37 den Sprung auf den Büchermarkt geschafft. Zwar bescherte auch dieses Buch Gurk nicht das dringend benötigte Einkommen, aber Tuzub 37 war so zu einem nicht mehr zu übersehenden Teil der deutschen Literatur geworden.

Der Roman spielt in einer fernen Zukunft, in der sich die Menschheit zu einer grauen, gleichförmigen, ununterscheidbaren Masse geformt hat, deren Einzelfiguren alle die Zahl 1 tragen. Sie sind zu Maschinenmenschen geworden, die zum Teil aus Leichtmetall bestehen (heute würden wir Cyborgs sagen). Alle sind einer lückenlosen Beobachtung und Kontrolle unterworfen.

Diese radikale Nivellierung entspricht der Einebnung der Erde. Alles wird auf ein gleiches Niveau gebracht. Die Berge werden abgetragen, und da, wo es nach einer grotesken Logik notwendig ist, werden die Ozeane abgepumpt. Der ebene Erdboden wird mit Metallplatten ausgelegt, sodass eine gleichförmige Oberfläche entsteht. Damit wird das monströse System in Gurks Dystopie nicht nur zu einer radikalen Kampfansage an die menschliche Kultur, sondern auch an die Natur selbst. Alles Natürliche, das dem Wilden, Ungeordnetem, Nichtberechenbarem, Unkontrolliertem und Chaotischem gleichgesetzt wird, muss beseitigt werden.

Im Gebiet des ehemaligen Himalaya gibt es ein besonderes Projekt. Hier soll ein riesiger „Turm zu Sektor B – Planquadrat 37″ erbaut werden, der Frischluft aus der oberen Atmosphäre ansaugen soll, weil mittlerweile die Atemluft durch die Abgase der Industrie verseucht ist. (Hier erklärt sich auch der Buchtitel: Tuzub 37 ist die Abkürzung der oben genannten Bezeichnung.)

Ein Gas führt dazu, dass sich die Grauen plötzlich nicht mehr verständigen können. Das Chaos nehmen die Menschenmaschinen, das sind lupenreine Roboter, zum Anlass, die noch halbmenschlichen Grauen zu vernichten. Doch auch die Roboter überleben nicht, weil sie sich anschließend selbst lahmlegen. Damit führt Gurk das Konstrukt einer perversen, künstlichen Evolution vollständig ins Absurde. Am Ende gibt es nur noch „die Maschine“. Die sog. Maschine ist Zweck an sich, steht nur für sich selbst, ist pure Funktion ohne Sinn, ein Gebilde, das sich selbst aufhebt und im Nichts strandet.

Die erschreckende Dystopie Tuzub 37 geißelt in Form einer surrealen Future History die grundfalsche Entwicklungsrichtung der aktuellen Gesellschaft, in der Gurk leben muss. Dominierend sind die politischen Implikationen. Unüberhörbar ist eine ätzende, satirische Kritik an der Naziherrschaft. Darüber hinaus beeindrucken dezidiert ökologischen Töne. Schaut man noch genauer hin, äußert Gurk im Letzten, so denke ich, eine Fundamentalkritik an der westlichen Zivilisation, die sich prinzipiell am Fortschrittsbegriff und den Idealen der Aufklärung abarbeitet. In diesem Bereich ist Gurk rückwärtsgewandt, weil er nicht die Chancen einer wissenschaftlich-technischen Welt erkennen will, sondern ausnahmslos ihr zerstörerisches Potenzial beschwört. Man könnte sogar meinen, dass er in eine gefährliche Nähe zu den Völkischen gerät, die allerdings im krassen Gegensatz zu Gurk ihr debiles Arierparadies in einer Vergangenheitsphantasmagorie suchen. Davon ist bei Gurk keine Rede. Er schlägt eine Bresche für das natürliche (schöne) Antlitz der Erde. Dessen gnadenlose Einebnung ist das Symbol eines vollständig zusammengebrochenen Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Insofern gibt es in Tuzub 37 kein Entrinnen mehr und schon gar nicht in alberne Scheinidyllen. Der Kern des SF-Romans ist die Verzweiflung eines sensiblen Dichters, der seiner realen Welt keinerlei Verständnis mehr entgegenzubringen vermag.

Es steht außer Frage, dass Tuzub 37 der literarisch höchstwertige SF-Roman ist, der während der NS-Zeit veröffentlicht wurde. Abgesehen von Tuzub 37, das sozusagen aus blankem Irrtum heraus an die Öffentlichkeit geriet, gab es während der Nazidiktatur nichts, was irgendeine Relevanz für unser Thema gehabt hätte. Das Resümee kann also, kaum dass es begonnen hat, bereits abgeschlossen werden, was ganz nebenbei als weiteres vernichtendes Urteil über den geistesgeschichtlichen Sumpf der Nazis gewertet werden muss.

Hans Frey, Gelsenkirchen

Teil 1 des Essays „Der lange Weg der deutschen Öko-Science Fiction“ erschien im März 2024 (Vorbemerkungen und Kaiserreich), Teil 3 erscheint im Mai 2024 (die Zeit nach 1945 in BRD, DDR und im angloamerikanischen Raum).

Zum Autor Hans Frey:

Der Lehrer Hans Frey war 25 Jahre lang für die SPD Abgeordneter im Landtag Nordrhein-Westfalen. Er errang regelmäßig ein Direktmandat in Gelsenkirchen. 2005 kandidierte er nicht mehr und widmete sich seiner Leidenschaft, der Science Fiction und wurde zu einem der bedeutenden Chronisten und Experten der Science Fiction mit Verbindung zu verschiedenen Verlagen und vielen anderen Experten und Expertinnen der SF-Community. Hans Frey starb am 25. Januar 2024. Dieser dreiteilige Essay ist sein Vermächtnis. Er war eine wichtige Grundlage für das von Markus Till-mann und anderen Expert:innen der Science Fiction vorbereiteten Festivals zur Climate Science Fiction. Der Demokratische Salon veröffentlicht diesen und andere Texte dieses Festivals zum Teil vorab. Die Texte werden auch in einer kleinen Liebhaberausgabe gesammelt.

Im Demokratischen Salon veröffentlichte er im Herbst 2023 bereits den dreiteiligen Essay „Science Fiction als Wirklichkeitsmaschine“. Teil 1: Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“, Teil 2: Die SF im Kampf zwischen Humanität und Barbarei“, Teil 3: „Wir leben in einer SF-Gesellschaft“.

(Anmerkung: Erstveröffentlichung in dieser Fassung im Demokratischen Salon im März 2024, Markus Tillmann danke ich dafür, dass er mir den Text zur Verfügung gestellt hat, Internetlinks zuletzt am 14. April 2023. Das Titelbild wurde von Thomas Franke zur Verfügung gestellt, der eine große Zahl von Science-Fiction-Literatur illustriert hat. Es zeigt einen Ausschnitt aus der von Thomas Franke illustrierten Neuausgabe von Arno Schmidts „Die Gelehrtenrepublik“. Die Rechte für dieses Bild liegen beim Illustrator. Siehe hierzu auch das im Demokratischen Salon erschienene Interview mit dem Titel „Parallele Welten – Synergetisch gebrochen“.)

Zum Weiterlesen: Bücher von Hans Frey:

In Berlin sind bei Memoranda folgende Bücher von Hans Frey erschienen, sie sind lieferbar, auch als EBook über den Buchhandel oder direkt über die Verlagsadresse erhältlich. Die Bände im Einzelnen:

  • G. Ballard – Science Fiction als Paradoxon: SF-Personality 24, 2016.
  • James Tiptree Jr. – Zwischen Entfremdung, Liebe und Tod: SF-Personality 27, 2018
  • Fortschritt und Fiasko – Vom Vormärz bis zum Ende des Kaiserreichs 1810-1918,
  • Aufbruch in den Abgrund – Von Weimar bis zum Ende der Nazidiktatur 1918-1945,
  • Optimismus und Overkill – Von den Anfängen der BRD bis zu den Studentenprotesten 1945-1968,
  • Vision und Verfall – Von der sowjetischen Besatzungszone bis zum Ende der DDR 1945-1990,

Hans Frey im Podcast des Memoranda-Verlags:

Hans Frey in der Zeitschrift !Time Machine:

  • Religion und Science Fiction, in: !Time Machine 2019.
  • Die Menschheit soll aussterben! Eine wiederentdeckte SF-Perle aus der Weimarer Republik, in: !Time Machine 3 (Rezension zu Karl Ettlinger, Der erschossene Storch, auch in „Aufbruch in den Abgrund“),
  • Abteilung 9 – Spiegel-Ethnologen: Kleine Geschichte der Marsianer, in: !Time Machine 4 – Mars-Themenband, 2021.
  • Sprache und Science Fiction. Wenn die Sprache zum Thema der SF wird, in:!Time Machine 7, 2023.
  • Mythos und Science Fiction. Die Welt im 3. Jahrtausend – Hilft eine Neue Große Erzählung bei der seelischen Weiterentwicklung des Menschen? in:!Time Machine 8, 2024.
  • (mit Klaus Farin) Projekt Zeitenwende – Kongress der Utopien, in:!Time Machine 8, 2024.