Der Rechtspopulismus und die Hoffnung auf den Butt
Versuch einer psychologischen Analyse
„Wird aber in der neurechten Argumentation auf Differenz bestanden, dann wird Differenz gerade wieder zu einem Prinzip des binären Denkens, zu einer Möglichkeit, den Anderen als absolut Anderen, als Gegenteiligen, zu konzipieren. Differenz wird dabei genau zu dem, was sie in der poststrukturalistischen Theorie nicht sein wollte: zur Opposition.“ (Sylvia Sasse, „Verkehrungen ins Gegenteil – Über Subversion als Machttechnik“, Berlin, Matthes & Seitz, 2023)
Die nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen hatten ein erwartbares Ergebnis: Gute Wahlergebnisse für die AfD, schlechte für SPD und Grüne, mäßige für die CDU, die mit einem blauen Auge davonkam. Eine andere Seite bietet die Berichterstattung: Sobald in einer Kommune ein AfD-Politiker es in eine Stichwahl um ein kommunales Spitzenamt schafft, scheint es kein anderes Thema mehr zu geben, überregional, im Westen wie im Osten. Vielleicht wäre es interessanter gewesen, darüber nachzudenken, warum in Köln eine kurdischstämmige Grüne und ein Sozialdemokrat in der Stichwahl gegeneinander antraten oder warum in Dortmund für die CDU ein Kandidat gewann, der im Libanon geboren wurde? Aber nein, in der Berichterstattung dominierten die Stichwahlen in Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen, allerdings nur als Fakt und Skandal. Nach den Konzepten der AfD-Kandidaten für die Zukunft fragten die beteiligten Journalist:innen nicht.
Erst im Nachgang gab es in der überregionalen Presse erstaunte Kommentare über die klaren Wahlsiege der sozialdemokratischen Kandidaten, in der ZEIT zum Sieg von Marc Herter in Hamm, in der Süddeutschen Zeitung zum Wahlerfolg von Frank Dudda in Herne. Deren ständiger Kontakt mit den Bürger:innen war in beiden Fällen ein wichtiges Argument für diese Wahlentscheidung. Auf Landesebene stagnieren die Ergebnisse der SPD, aber die SPD stellt dennoch mehr Oberbürgermeister:innen als die CDU. Bei den Landräten dominiert nach wie vor die CDU. Die Dominanz dieser beiden Parteien in den kommunalen Spitzenämtern entbindet jedoch nicht davon, sich näher mit den Gründen für die Stimmenzuwächse der AfD zu befassen. Es hilft kaum, pauschal über „Faschismus“, „Desinformation“ oder welche böswillige „Kampagne auch immer zu klagen, da steht dann nur die eine Ansicht gegen die andere und das geben dann alle jeweils für sich als „Meinungsfreiheit“ aus. In diesem Essay wage ich den Versuch, den psychologischen Aspekten hinter einer solchen Entwicklung nachzugehen. Dabei spielt nicht zuletzt das Rollenmodell fast aller neurechten Politiker:innen schlechthin eine tragende Rolle: Donald J. Trump.
Die Partei der wahren Opfer
Oberflächlich scheinen die Wahlergebnisse erklärbar: Verkommene Infrastruktur, verlassene Innenstädte, teure Mieten, hohe Schulden, ungesteuerte Migration, Sozialbetrug von rumänischen und bulgarischen Clans in einigen Ruhrgebietsstädten, als „abgehängt“ bezeichnete (man könnte auch sagen: diffamierte) Bevölkerungsgruppen. Eine zweite Begriffskette bringt sozialpsychologische Argumente ins Spiel: Demokratieverdrossenheit, Überforderung der Bevölkerung, Dauerstreit der Parteien, fehlende Bürgernähe. Aus beiden Argumentationsmustern wird dann sehr schnell auf Staatsversagen geschlossen oder gar auf ein Versagen der Demokratie. Dies wird durch die penetrante Nachfrage diverser Umfrageinstitute verstärkt, was die Bürger:innen über die Demokratie dächten.
Emotionalisierung und Verkürzung – das ist das Geschäftsmodell der AfD (und ihrer kleinen Schwester BSW). So verfestigt sich das allgemeine Unbehagen mit der Zeit zu einer Art „Ekel vor der Politik“. Einen solchen „Ekel“ hatte Thomas Mann bereits im Jahr 1918 in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ als Movens politischer Einstellungen diagnostiziert: „Der Geschmack eines Volkes an der Demokratie steht im umgekehrten Verhältnis zu seinem Ekel vor der Politik.“ (zitiert nach Caren Heuer und Barbara Eschenburg, Meine Zeit – Thomas Mann und die Demokratie, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2025).
Der Grund des „Ekels“ muss beseitigt werden. Die AfD inszeniert sich als die „Avantgarde“, die dies vermag. Ihre intellektuellen Vordenker haben Lenin, Gramsci und Carl Schmitt gelesen. Für die Anerkennung als „Avantgarde“ – ganz im leninistischen Sinne – braucht die Partei die Anerkennung und Solidarität der Mehrheit, gesellschaftliche „Hegemonie“ im Sinne Gramscis. Sie erreicht dies durch ständige Angebote an konservative, neoliberale und nicht zuletzt gewerkschaftliche Kräfte. Carl Schmitt schließlich sorgt für ein Politikverständnis, das die Welt in „Freunde“ und „Feinde“ einteilt.
Die AfD geht wie folgt vor: Zunächst inszeniert sie sich selbst als „Opfer“ der anderen Parteien, die sie ständig diffamierten und ihr – selbst bei guten Wahlergebnissen – einfach nicht die Regierungsgewalt übergeben wollten. Die Bürger:innen gewinnt sie, indem sie diese als Teil einer Opfergemeinschaft anspricht. Je erfolgreicher sie dabei ist, desto mehr fordern konservative Politiker:innen, die AfD als „normale Partei“ zu behandeln. Ein mehrheitsfähiges Feindbild verstärkt diese Wirkung. Dieses findet die AfD in einer angeblichen „Gender- und Wokeideologie“. Das wahre Opfer wären dann nicht Minderheiten, sondern die der Mehrheit angehörigen Menschen. Diese Mehrheit wird pauschal als „weiß“ und „christlich“ charakterisiert. Diese Mehrheit ist „das Volk“, die AfD die Partei des „Volkes“, die den „Volkswillen“ vertritt und umzusetzen verspricht. Sie ist die eigentliche „Volkspartei“, die in dieser Rolle die bisherigen „Volksparteien“ SPD, CDU und CSU abzulösen verspricht. Wahlparolen wie „DDR 2.0“, „Vollende die Wende“ oder „Deutschland, aber normal“ sind Teil dieser Strategie, die nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern, sondern inzwischen auch in westlichen Regionen funktioniert. Etwa drei Viertel der Wähler:innen der AfD bei der Bundestagswahl vom 23. Februar 2025 kamen aus dem Westen.
Das Grundprinzip dieser Strategie lässt sich bei George Orwell nachlesen, der in „1984“ die Begriffe des „Newspeak“ und des „Doublethink“ einführte. Die Zürcher Slawistin Sylvia Sasse hat dies in ihrem Buch „Verkehrungen ins Gegenteil“ eindrucksvoll analysiert: „Verkehrungen ins Gegenteil sind eine bewusst gewählte Machtstrategie, die versucht, die eigenen Interessen mit den Werten, Begriffen, Theorien und Strategien Anderer durchzusetzen. Verkehrungen ins Gegenteil wollen Andere abhängig machen, ins Spiel der Gegensätze, falschen Projektionen und Tarnungen hineinziehen. Sie sind aber zugleich auch vom Anderen, der dieses Spiel mitspielt, abhängig. Liest man Verkehrungen ins Gegenteil also auf diese Weise, kann man sie auch als seltsames Geständnis und Eingeständnis lesen: Diejenigen, die Verkehrungen praktizieren, wissen, dass sie für ihre eigentlichen Ziele nicht gewählt würden, dass sie nicht regieren könnten und auch keine Unterstützung für ihren Krieg fänden. Die Verkehrung ins Gegenteil ist im Grunde eine verräterische Selbstadressierung. Sie ist ein Eingeständnis, dass die eigene Macht nur mit den Überzeugungen der Anderen zu erreichen ist.“
Mit dieser Analyse liefert Sylvia Sasse eine plausible Erklärung dafür, dass es nicht hilft, auf den faschistischen beziehungsweise rechtsextremistischen Hintergrund von entsprechenden Politiker:innen und Parteien zu verweisen. Damit kann man zwar gut besuchte Demonstrationen organisieren, wie beispielsweise in Deutschland nach den Enthüllungen der „Remigrationspläne“ in der AfD und ihrem Vorfeld durch CORRECTIV. Aber die AfD weiß mit solcher Kritik umzugehen. Jede Kritik dieser Art wird sofort gegen die Kritiker:innen umgelenkt. Sie würde verleumdet, zum „Opfer“ gemacht, obwohl sie den Willen der „Mehrheit“ verträte. Der Weg ist nicht mehr weit, die Kritiker:innen als „Volksverräter“ oder gar als „Volksschädlinge“ anzuprangern.
Diese Strategie entspricht durchaus dem Modell von Putins Inszenierung seines Überfalls auf die Ukraine als Kampf gegen angebliche Nazis in der Regierung der Ukraine. Das Vorgehen der ICE in den USA bei der Verschleppung von angeblich illegalen Migrant:innen folgt demselben Prinzip. Der „Ekel vor der Politik“, den Thomas Mann diagnostizierte, betrifft eben nicht – wie Liberale glauben möchten – die Performance der Neurechten, sondern deren Kritik. Man „ekelt“ sich nicht vor der Misshandlung und Missachtung von Menschen, sondern vor den Kritiker:innen. So inszenieren sich Rechtsextremist:innen und Rechtspopulist:innen als die eigentlichen, als die wahren „Demokrat:innen“.
Migrantisch rechts
Bei den Wahlen für die Integrationsräte erreichte die AfD in Nordrhein-Westfalen mit ihren Listen in fünf Städten Platz eins, in weiteren fünf Städten Platz zwei. Der Landesintegrationsrat wies zwar darauf hin, das landesweit weniger als fünf Prozent der Wähler:innen für die AfD gestimmt hätten, doch kann diese Nachricht nicht wirklich beruhigen: Einerseits ist die AfD nicht überall angetreten, andererseits gibt es inzwischen auch unter Migrant:innen Milieus, in denen sie durchweg gute Ergebnisse erreicht. Die zumindest gefühlt am häufigsten im Fernsehen interviewte AfD-Politikerin an den beiden Abenden der Wahlen vom 14. und am 28. September 2025 war eine in Albanien geborene Landtagsabgeordnete der AfD, stellvertretende Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Gelsenkirchen und Mitglied mehrerer kommunaler Gremien, unter anderem des Integrationsrates. Man könnte sagen, sie wurde in ihrem telegenen Erscheinungsbild und ihrer Radikalität nach dem Muster des Wagenknechts-Phänomens präsentiert.
In der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Zeitung „Das Parlament“ vom 27. September 2025 war ein Gespräch von Jeannette Goddar mit dem Politikwissenschaftler Özgür Özvatan über ein „Unterschätztes Potenzial“ der Rechten bei Wähler:innen mit dem sogenannten Migrationshintergrund zu lesen. Özgür Özvatan betreibt gemeinsam mit Daniel Kubiak den Podcast „B.O.M. – Berlin, Ost, Migrantisch“. Anlass des Interviews war Özvatans Buch „Jede Stimme zählt – Von Demokraten unterschätzt, von Populisten umworben; migrantische Deutsche als politische Kraft“ (Berlin, Ch. Links, 2025). Die demokratischen Parteien irren, wenn sie glauben, dass Menschen mit einer migrantischen Familiengeschichte automatisch anti-migrantische Positionen ablehnten. Im Gegenteil: Es geht um diejenigen, die schon immer hier waren und diejenigen, die in den letzten Jahren hinzukamen. Die AfD versteht es, nicht zuletzt über die sozialen Netzwerke, die erstgenannte Gruppe gezielt anzusprechen, auch in ihren eigenen Sprachen, darunter vor allem Russlanddeutsche und Türkischstämmige.
Die Grünen, die sich gerne als Partei der Migrant:innen präsentieren, agieren hilflos. Özvatan verweist auf ein Video, in dem Robert Habeck und Annalena Baerbock sich beim Döner-Essen zeigten („Einmal Wahlkampf mit alles und scharf“), doch dieses führe nur noch zum Fremdschämen, abgesehen davon, dass man mit Recht fragen darf, wie sich ein solcher Auftritt von den Bratwurst-Auftritten des Markus Söder unterscheidet. Die Vertreter:innen demokratischer Parteien – so Özvatan – würden sich akribisch auf Termine bei Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden vorbereiten, hätten aber offensichtlich keinen Schimmer, wie sie vor „Russlanddeutschen oder Schwarzen Menschen“ auftreten müssten. Özgür Özvatan gibt einer migrantischen Partei, die diese Defizite aufgriffe, Wahlchancen zwischen 15 und 20 Prozent.
In der ZEIT berichtete die Berliner Journalistin Anastasia Tikhomirova im Juli 2024 über Migrant:innen, die die AfD wählen und fest überzeugt sind: „Mich wird niemand abschieben“. Eine wichtige Rolle spielt die eigene Aufstiegsgeschichte, die offenbar gegen neu Zuwandernde verteidigt werden muss. Ein weiterer Aspekt ist der Vorwurf, Bundes- und Landesregierungen gingen nicht konsequent gegen Islamismus vor. Die AfD wird ihrerseits nicht müde, Muslim:innen pauschal als Islamist:innen zu bezeichnen, die aus ihren Ländern Antisemitismus nach Deutschland „importiert“ hätten. Auch dies ist nicht nur in konservativen Kreisen anschlussfähig. Diese anti-islamistische Haltung ist allerdings durchaus ambivalent: „In der AfD mehren sich derweil vereinzelt Stimmen, die für Allianzen mit islamisch-konservativen, teilweise gar islamistischen Kräften werben. Gemeinsamkeiten findet man im Hass auf den Westen, die LGBT-Bewegung oder den Feminismus. Gleichzeitig präsentiert sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm als islamismus- und islamkritische Partei. Etwa 50-mal werden darin Muslime und der Islam erwähnt, zumeist in negativem Zusammenhang. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach aus dem Jahr 2021 sehen 43 Prozent der Befragten die AfD als Vorreiterin im Kampf gegen Islamismus – weit vor anderen Parteien.“
Ein weiter Aspekt ist ein konservatives Familienbild. Traditionelle Familienwerte sind an sich nichts Schlechtes, werden es aber, wenn sie zugleich frauenfeindlich sind. Hier sind sich Rechtsextremist:innen und Islamist:innen weitgehend einig: Das Patriarchat – das sie natürlich nicht so nennen, sie sprechen von „natürlicher Ordnung“, wahlweise von einer „gottgegebenen Ordnung“ – ist für sie die zentrale Säule der Gesellschaft, Frauen hingegen hätten zu viele Rechte und sollten sich lieber um Kinder und Haushalt kümmern als einem Beruf nachzugehen. Solche Einstellungen teilen auch viele sich als konservativ verstehende Bürger:innen, darunter viele Muslim:innen. Diese Menschen sehen sich bedroht: Von Linken, von Liberalen, von etwas, das landläufig als „Wokism“ und „Genderideologie“ gebrandmarkt wird. Das betrifft beispielsweise türkische Communities, die Gulistan Özmen-Tuncel und Erol Ünal, beide bei der Fachstelle gegen Türkischen Rechtsextremismus tätig, in einem Beitrag für die dritte Ausgabe 2025 von „Außerschulische Bildung – Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung“ beschrieben haben: „Türkischer Rechtsextremismus ist kein ‚migrantisches‘ Problem, sondern eine Form von Rechtsextremismus in Deutschland“. Allerdings teilen nicht alle diese Erkenntnis. Es gibt unter Linken und Grünen auch Gruppierungen, zum Beispiel in der grünen Unterorganisation „Bunt-Grün“, die die bloße Erwähnung von Islamismus, ausländischem Rechtsextremismus oder sexuellen Belästigungen durch migrantische Männer als „Rassismus“ brandmarken.
Lea Ypi, in Albanien geborene Professorin an der London School of Economics“, plädierte in einer „Rede an Europa“ am 15. Mai 2025 auf dem Wiener Judenplatz „Für eine aufgeklärte Debatte um Migration“ (Titel der deutschen Übersetzung von Katharina Hasewend: „Klasse statt Identität“, in der Septemberausgabe 2025 der Blätter für deutsche und internationale Politik). Es ist schon paradox: „Politischer Fortschritt ist zu einer Frage über die Regulierung der Bedingungen politischer Zugehörigkeit verkommen. Migration wird als Problem wahrgenommen, weil politische Zugehörigkeit als Lösung gesehen wird.“ Diese „politische Zugehörigkeit“ wird von rechts als ethnische Zugehörigkeit definiert, könnte aber genauso gut als Klassenzugehörigkeit definiert werden. Rechtspopulisten und Rechtsextremisten können mit dieser Denkfigur spielen und erreichen auf diese Weise auch migrantische Gruppen als Wähler:innen. Es ist letztlich die Frage, ob die intersektionelle Trias „race, class and gender“ im Kontext gedacht wird oder als Hierarchie. Das von rechts propagierte intersektionelle Gegenbild lautet „white, male and christian“, schließt damit ausdrücklich Russlanddeutsche mit ein, aber auch islami(sti)sche Akteur:innen, die ebenso denken, nicht aus.
„Echte Männer“ und eine Drag Queen: „great television“
Feindbild Nummer Eins der Neuen Rechten ist offenbar tätsächlich der Feminismus, vereinfachend als „Genderideologie“ markiert. Wie das funktioniert, belegt beispielsweise eine Verfassungsänderung in der Slowakei vom September 2025: Dort gelang es dem Premierminister Robert Fico, sich eine verfassungsändernde Mehrheit mit den Stimmen der Christdemokraten zu sichern, indem er diverse sogenannte „Genderthemen“ (unter anderem: Festschreibung, dass es nur zwei Geschlechter gibt, Ausschluss homosexueller Paare von Adoptionen, Einschränkung von Sexualerziehung, Verbot von Leihmutterschaften) in den Vordergrund stellte, obwohl er mit diesen Änderungen vor allem auf Europa beziehungsweise die Europäische Union und deren Engagement für Vielfalt zielte. Die Kieler Osteuropahistorikerin Martina Winkler hat dieses Manöver in ihrem Beitrag „Drehbuch zur Demontage der Demokratie“ im Demokratischen Salon kommentiert. Antifeminismus wird als „christlich“ verkauft, wie zuvor beispielsweise schon in Ungarn, in Russland und in den USA.
Das, was in der Slowakei geschah, ist kein Einzelfall. Die Beschwörung sogenannter „christlicher“ Werte durchzieht die Politik rechter Parteien. Die „woke“ Linke, die Liberalen und die Demokraten, die sich angeblich nur für Frauenrechte und die Rechte von Minderheiten interessierten, wären an allem Unbill schuld. „Richtige, echte Männer“ wären „rechts“ und der Feminismus verhindere, dass sie keine Frauen fänden und ihr Leben als INCEL fristen müssten. So argumentieren AfD-Politiker, nicht zuletzt in den sozialen Medien. „Echte Männer“ – das wollen eben auch „migrantische“ Männer sein.
In Schulen und Hochschulen haben Frauen Männern ohnehin schon den Rang abgelaufen. Also müssen Schulen und Hochschulen wieder „männlicher“ werden. Nicht nur diese, auch das Militär. Die martialische Rede des US-amerikanischen „Kriegsministers“ Pete Hegseth vor etwa 800 US-Generälen forderte höchste „männliche“ körperliche Fitness für alle Soldat:innen. Ob Drohnen-Pilot:innen die Physis von „männlichen“ Kampfsportlern brauchen? Das war kein Thema. Es ging eben um eine angeblich von Frauen und Trans-Personen dominierte Armee, der Hegseth und Trump den Kampf angesagt haben. Man mag Hegseths Rede als die nächste Stufe nach dem Verbot von etwa 200 bis 250 Wörtern verstehen, die in US-Regierungsdokumenten nicht mehr verwendet werden dürfen. Zu diesen Wörtern gehört auch das einfache Wort „woman“. Erst werden Wörter verboten, dann bestimmte Eigenschaften, was mag der nächste Schritt sein?
Doch wie „männlich“ ist der Schutzheilige der „Männlichkeit“ selbst? Die Zeitschrift Merkur hat in ihrer Oktoberausgabe 2025 einen Essay von Jonas Rosenbrück, Assistant Professor of German am Amherst College, mit einer bemerkenswerten Perspektive veröffentlicht: „Donald Trumps Männerfantasien“. „Der Trick des US-Präsidenten, mit dem er um die Anerkennung seiner Männlichkeitsperformanz bittet, ist nun folgender: Donald Trump ist eine inkognito, campy, extravagante Drag Queen. Er versteht, dass er das Versagen seiner Männlichkeit nicht überwinden kann, und verschiebt das Problem folglich auf die Ebene des Scheins. Der Schein der Männlichkeit wird durch Trumps theatralische Übertreibungen hervorgebracht. Denn bei ihm finden sich alle klassischen Elemente des Drag. Er übertreibt, er ist ironisch, er ist affektiert, er liebt das Artifizielle und Manierierte, eine Art Rokokostil dominiert seine Welt (überall blitzt es golden, selbst im Oval Office). Er ist ‚Camp‘ ganz in Susan Sontags Sinne, denn ‚the essence of Camp is its love of the unnatural: of artifice and exaggeration’.”
Exzessives Make-Up, gefärbte Haare, überlange Krawatten, der Bau eines riesigen Ballsaals im Weißen Haus, hohe Flaggenmasten davor, deren Errichtung Trump höchstpersönlich mehrere Stunden lang überwachte, die Ankündigung von Mixed-Martial-Arts-Kämpfen ebenda zur Feier des 250. Unabhängigkeitstages der USA – all das sind Teile einer Inszenierung, mit der es Trump immer wieder gelingt, sein Publikum zu begeistern. Er schwärmt von idealen Männerkörpern wie er ihn selbst nun einmal gar nicht hat. Die ihn umgebenden Frauen wie Kristi Noem und Pat Bondi dokumentieren allein durch ihre Anwesenheit, dass Trump in allem, was er sagt und tut, recht handelt. Sie dokumentieren öffentlich ihre Bewunderung für den ultimativen Mann.
Trump ist nicht der Einzige, der sich so verhält. Putin, Orbán, Erdoğan verhalten sich nicht so sonnenkönighaft wie Trump, aber sie alle haben sich riesige Paläste gegönnt. Solche Paläste bauten sich in früheren Zeiten Diktatoren wie Ceauşescu oder Mobutu. Eine skurrile Variante bot Gaddafi mit den Beduinenzelten, in denen er bei Staatsbesuchen zu übernachten pflegte, beispielsweise in Paris. Gaddafi trug eine überdimensionale Brosche mit den Konturen Afrikas am Revers, Mobutu liebte Leopardenfelle. Hermann Göring zeigte sich als Reichsjägermeister in einer selbstentworfenen Uniform mit Lanze. Er teilte die Neigung manch sowjetischer Politbüromitglieder und Generäle, sich die Brust mit einer Unzahl von Orden zu behängen. Es ließen sich weitere Beispiele finden. Im Vergleich zu all diesen Potentaten residierte die DDR-Führung in Wandlitz geradezu bescheiden, eher im Stil einer Einfamilienhaussiedlung von Oberstudienräten und Sparkassendirektoren. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied aller genannten Personen zu Trump. Er ist der Einzige, der seinen Körper männlich und weiblich zugleich inszeniert.
Jonas Rosenbrück wendet die körperliche Integrität und Identität auch auf Trumps Zollpolitik an, die angeblich dafür sorgen soll, dass die anderen, die Europäische Union, China und wer auch immer, selbst unbewohnte Inseln, die braven Amerikaner nicht weiter über den Tisch ziehen: Zoll „schottet ab und trennt vom bedrohlichen Außen. Zollpolitik als ausgeklügelte Etablierung von Körperpanzern.“ Dann sind nicht mehr die eklatanten Ungerechtigkeiten im eigenen Sozial- und Wirtschaftssystem Thema, weil diese externalisiert werden können. Trumps Körper ist der Körper Amerikas.
Das Ressentiment des Priesters
Trump spiegelt in seinem Erscheinungsbild zugleich sein Idealbild wie das Bild all dessen, das er ablehnt. Trump ist im Grunde ein Queer. Hauptsache ist, dass alles, was er (re-)präsentiert „great television“ bietet – so sein Kommentar nach der ominösen ersten Begegnung mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymir Selenskyj. Nach diesem Muster wurde wohl auch die Entschuldigung Netanjahus in Katar für die Bombardierung von Doha inszeniert, mit Live-Bildern und weltweit verbreitet. Rosenbrück: „Die Lust stammt daraus, das Leiden des Anderen sehen zu können.“ Gleichviel, ob es sich dabei um einen ausländischen Staatschef oder von ICE deportierte Migrant:innen handelt.
Jonas Rosenbrück nennt als zweite Voraussetzung des Erfolges der Rechten und ihres Rollenmodells Trump das „Ressentiment“, ganz im Sinne von Friedrich Nietzsche, der in der „Genealogie der Moral“ es als ein „Nein zu einem ‚Ausserhalb‘, zu einem ‚Anders‘, zu einem ‚Nicht-selbst‘: und dies Nein ist ihre schöpferische That‘“ beschreibt. „Das große Kunststück Trumps ist diese schöpferische Tat aus dem verbitterten Nein heraus. Er ist ein Priester im nietzscheanischen Sinn, denn ‚der Priester ist der Richtungs-Veränderer des Ressentiment‘: ‚Jeder Leidende nämlich sucht instinktiv zu seinem Leid eine Ursache, genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen für Leid empfänglichen schuldigen Thäter‘.“ Trump und seine Anhänger:innen leider unter „Wokismus“, Feminismus, all den ach so gefährlichen Migrant:innen und nicht zuletzt dem Queer in sich selbst.
Ob es so etwas wie eine „Woke-Bewegung“ überhaupt gibt, spielt keine Rolle. Es verhält sich ähnlich mit der Antifa, die keine feste Organisation ist, sondern eine Dachmarke für ein politisches Anliegen. Schulen, Hochschulen, Medien, Gerichte sind die Gegner, die ultimativ bekämpft werden müssen. Deren „Wokeness“ ist der absolute und endgültige Gegner, der besiegt werden muss, um die eigene dauerhafte Überlegenheit, die „White, Male and Christian Supremacy“, durchzusetzen. Die „White Supremacy“ radikal konservativer US-Amerikaner findet ihr Gegenstück in Putins „Russkij Mir“ oder in Erdoğans „Türkentum“, Orbáns Inszenierung Ungarns als Bollwerk des abendländischen Christentums gegen die muslimische Einwanderung, in der Überbetonung des „Deutschen“ in Reden von AfD-Politikern und ihrem zivilgesellschaftlichen Umfeld von Kubitschek bis Sellner. In Bezug auf das Christentum ist es schon etwas absurd, wenn Jesus, der nun einmal im Nahen Osten lebte, durchweg als weißer Amerikaner oder Europäer präsentiert wird. Die Verknüpfung mit einer Religion lässt aber fast schon befürchten, dass nicht nur im Iran, sondern auch in westlichen Staaten eine Theokratie möglich wäre. Als möglicher Papst hat sich Trump ja schon mal gepostet.
Bernd Greiner, Historiker an der Universität Hamburg, schrieb in seinem Beitrag „Hass und Hetze: Trumpismus mit und ohne Trump“ in der Oktoberausgabe 2025 der Blätter für deutsche und internationale Politik: „Um politisch Erfolg zu haben, muss man wissen, wer wen hasst.“ Auch das ist kein sonderlich originelles Konzept. „Das Skript für die Agitation gegen die Unerwünschten war gut hundert Jahre alt. Dass Amerika zum Schuttabladeplatz für den Abschaum aller Nationen würde, dass Kriminelle, Vergewaltiger und Geistesgestörte das Land überfluten würden, dass selbst die Gesetzestreuen unter den Neuankömmlingen sich nicht assimilieren würden, dass sie genetisches und weltanschauliches Gift in den Kreislauf der Nation tragen würden – der gleichen ging bereits zur Zeit des Ersten Weltkrieges um.“
Damit sind wir – so Bernd Greiner – schnell bei der Theorie des „Great Replacement“, des „grand remplacement“, des „großen Austauschs“, dem natürlich ein Plan zugrunde liegen muss, wahlweise der Feministinnen, der Translobby, reicher Juden, personifiziert in Namen wie Rothschild und Soros, den Linken und den Liberalen oder wahrscheinlich von allen gemeinsam, gegen die der Kampfbegriff des „Wokism“ erfolgreich eingesetzt werden kann. Besonders infam ist in dieser Konstruktion von Feindbildern die Tatsache, dass in einem Atemzug jüdische Magnaten wie George Soros und der angeblich die Hochschulen und Schulen beherrschende Antisemitismus angeprangert werden können.
Nicht zuletzt unter dem Vorwand, er wolle jüdische Studierende schützen, versucht Trump seit seiner Amtsübernahme, die amerikanischen Universitäten unter Druck zu setzen, indem er ihnen Mittelkürzungen und die Streichung von Steuervorteilen androht. Der Holocaust-Forscher Christopher R. Browning ging im New York Review of Books in seinem Beitrag „Trump, Antisemitism & Academia” (deutsche Übersetzung am 30. März 2025 in der Süddeutschen Zeitung) der Frage nach, wie ehrlich Trump es mit dem Antisemitismus meinen mag. Im Wahlkampf 2017 zeigte Trump Hillary Clinton vor einem Hintergrund mit 100-Dollarscheinen und einem Davidstern, dazu die Porträts von drei jüdischen Finanzexpert:innen, Janet Yellen, George Soros und Lloyd Blankfein. Am 6. Januar 2021 zeigten sich die Proud Boys mit Sweatshirts und der Aufschrift „6MWE“ (= „6 Million Weren’t Enough“). Brownings Schlussfolgerung: „His campaign against campus antisemitism is simply a hypocritical pretext for his assault on American higher education.”
Mit Beschämung gegen die Schamlosigkeit?
Jonas Rosenbrück spricht an einer Stelle ausdrücklich von Trumps „Schamlosigkeit“, der sich mit all seinen „Männerfantasien“ gleichzeitig als Drag Queen inszenieren kann, auch wenn das auf den ersten Blick nicht zusammenpasst. Mit Politik hat das im eigentlichen Sinne nichts mehr zu tun. Oder anders gesagt: Trump und seine Anhänger:innen – auch seine europäischen Bewunderer – betreiben Politik und behaupten zugleich, dass dies keine Politik sei, sondern einfach nur so etwas wie „gesunder Menschenverstand“ oder „Wille des Volkes“ oder wie es auf AfD-Plakaten zu lesen ist „Deutschland, aber normal“. Im Grunde ist Trump ein Schauspieler, ein Darsteller von Politik, die nicht als Politik gewertet werden soll. Sylvia Sasse beschrieb diese Strategie wie folgt: „Das Politische selbst, die Möglichkeit von Partizipation und Mitbestimmung, wird in einem solchen System auf die Ebene der Repräsentation verschoben, es findet nicht statt, wird aber dargestellt. Das Politische wird so zu einem Element der Selbstrepräsentation, zu einem Inhalt von Propaganda und Ideologie.“ Derjenigen, der behauptet, eine Ideologie zu zerstören, entpuppt sich selbst als Ideologe.
Die Trump‘sche „Schamlosigkeit“ sieht der slowenische Philosoph Slavoj Žižek in einem Gespräch mit Louis Pienkowski für die ZEIT als eine Art universelles Prinzip kryptofaschistischer Rhetorik: „Trump ist ein Faschist, aber ein libertärer Faschist“: „In seiner ersten Amtszeit hat er viel geredet, aber seine Macht war beschränkt. Jetzt kann er völlig schamlos handeln: Wie ein Perverser macht er einfach, was er will. Er baut Spezialeinheiten der Nationalgarde auf, die seinem direkten Kommando unterstehen. Und er sagt offen, dass er darauf aus ist, Barack Obama, Hillary Clinton und die Regierung Kaliforniens zu verhaften. Trump ist ein Faschist, aber ein libertärer Faschist. Redefreiheit ist für ihn die Freiheit der Mächtigen, die Unterdrückten zu beleidigen.“ Allerdings wirke hier eine merkwürdige Dialektik. Da die Linke in der 1968er-Bewegung „Scham“ als etwas Konservatives angegriffen habe, das abzuschaffen wäre, habe sie der aktuellen Rechten den Boden für eine erheblich schlimmere „Schamlosigkeit“ bereitet.
Das, was im Allgemeinen als „Wokeness, politische Korrektheit und Cancel Culture“ kritisiert werde, gehe nicht weit genug, weil „diese politischen Strategien (…) nur als kulturelle Ausdrucksformen der oberen sozialen Klassen fungieren“. Liberale und Linke graben sich selbst das Wasser ab, wenn sie zum Beispiel Klagen über „Probleme mit gewalttätigen Migranten (…) als Rassismus verunglimpfen“. Das Ergebnis ist Rassismus, gepaart mit „einem extremen religiös-patriotischen Fundamentalismus.“ Slavoj Žižek ist davon überzeugt, dass Trump gegen einen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders im Jahr 2016 verloren hätte: Dessen „Stil könnte ein Vorbild sein. Die Linke sollte für absolute Werte stehen, die nicht relativierbar sind, und sich mit moralischem Entsetzen wehren: also nicht mit Aggression, sondern mit Scham.“
Die amerikanische Umwelt- und Politikwissenschaftlerin Jennifer Jacquet schlägt in ihrem Buch „Is Shame Necessary“ (deutsche Übersetzung von Jürgen Neubauer unter dem Titel „Scham – Die politische Kraft eines unterschätzten Gefühls“, Frankfurt am Main, S. Fischer, 2015) als Gegenmittel die „Beschämung der schlechten Praktiken von Institutionen, Unternehmern oder Ländern“ vor. Diese sei „tendenziell annehmbarer, wenn sie sich gegen die Mächtigen richtet und nicht gegen die Ausgegrenzten.“ Beispielsweise dürfe man nicht die einzelnen Arbeiter in einem Zuchtbetrieb der Tierquälerei bezichtigen, sondern müsse auf die dem zugrundeliegenden Strukturen hinweisen. Eben dies hätte Bernie Sanders leisten können und schon sind wir beim Grundproblem aktueller Politikmodelle. Es wird immer wieder erwartet, dass der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin das Verhalten ändere. Ergebnis ist Widerstand, der dann politisch in unsinnigen Bratwurst- und Verbrennerlobpreisungen zugespitzt wird. Wenn man jedoch die Arbeitsbedingungen in entsprechenden Betrieben, die Gesundheit schädigende Unternehmenspraktiken anprangern und die dafür verantwortlichen Akteure beschämen könnte, wäre viel gewonnen. Natürlich ist das nicht so einfach getan wie gesagt, denn dazu hat die allgemeine „Schamlosigkeit“ in der Politik schon zu viele Anhänger:innen gewonnen.
Nun wird es ohnehin schwierig, Trump und vergleichbare Potentaten persönlich zu „beschämen“. Aber vielleicht ließen sich deren Wähler:innen „beschämen“, dass sie so jemanden überhaupt zu wählen erwägen. Vielleicht hilft es ihn zu parodieren wie dies zurzeit Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien und einer der Lieblingsfeinde Trumps zurzeit tut. Es reicht auch nicht, jemanden als „Faschisten“ zu bezeichnen, dem es zum einen nichts ausmacht, als solcher bezeichnet zu werden, dem es aber auch immer wieder gelingt, diesen Vorwurf gegen die zu richten, die ihn erheben. Wie gesagt: die Strategie der „Verkehrungen ins Gegenteil“.
Trump & Co. ließen sich durchaus aufhalten, allerdings nur dann, wenn es Liberalen, Linken und Konservativen gleichermaßen und bei allen Gegensätzen im Detail gemeinsam gelingt, den verbreiteten und von der neurechten Bewegung und ihren Apologeten gepflegten „Ekel vor der Politik“ und die damit verbundenen Inszenierungen auch in sich selbst zu erkennen.
Liberale und Linke müssten sich schon ernsthaft mit ihren eigenen Ambivalenzen beschäftigen und sich vor allem von der eigenen Doppelmoral verabschieden. Die queere Berliner Publizistin, Juristin und Kabarettistin Michaela Dudley hat auf der Plattform mena-watch in ihrer „Abrechnung mit dem medialen Palästina-Aktivismus“ die Doppelmoral der „White Saviors“ auf der „woken“ Seite entlarvt: „Dieselbe Clique, die sonst gegen die kulturelle Aneignung predigt, gewandet sich in Kuffiyas und ruft zur Intifada auf: Baader-Meinhof-Romantik 2.0. Die leidenschaftliche Unterstützung für die palästinensische Sache ist bei vielen (weißen) Deutschen zu einem Vehikel der Identitätssuche geworden.“ Ähnlich merkwürdig ist die Neigung mancher Aktivist:innen, Frauen, die – wie beispielsweise Chimamanda Ngozi Adichie oder J.K. Rowling – darüber nachdenken, wie sich Transfrauen und Frauen zueinander verhalten, als TERFs („Trans Excluding Radical Feminists“) zu bekämpfen. Trump und die Woke-Bewegung, nur zwei Seiten derselben Sehnsucht nach klaren Verhältnissen?
Liberale und linke Demokrat:innen müssen sich an zwei Fronten wehren: Gegen den Trumpismus und seine Varianten auf der einen Seite, gegen illiberalen „Wokismus“ auf der anderen Seite. Und Konservative sollten sich vor den Sirenengesängen von rechts hüten. Ihnen droht die feindliche Übernahme durch die Parteien der neuen Rechten. Das Schicksal der Republikaner und auch manch konservativer Partei in Europa sollte Mahnung genug sein. Aber vielleicht hilft die Hoffnung auf ein Ende wie im Märchen „Der Butt“, eine Art Implosion des Größenwahns. Vielleicht enden Diktatoren, Möchte-Gern-Diktatoren und andere Autoritäre in ihrer Selbstgerechtigkeit und Schamlosigkeit wie die Frau des Fischers im Märchen? Vielen Vertreter:innen der „Woke-Bewegungen“ ist es bereits so ergangen. Warum sollte es nicht auch der anderen Seite mal so ergehen? Trump, Orbán, Erdoğan, Kickl, Weidel & Co sind weder Papst noch Gott. Nur bleibt die Frage: In welchem Meer schwimmt zurzeit der Butt?
Norbert Reichel, Bonn
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Oktober 2025, Internetzugriffe zuletzt am 13. Oktober 2025, Titelbild: Hans Peter Schaefer.)