Die autoritäre Drohung

Robert Ficos Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat in der Slowakei

„Allzu oft versäumen es unsere eigenen Regierungen in Europa, die von ihnen verabschiedeten Regeln gegen diejenigen anzuwenden, die Hass verbreiten. Es gibt einen guten Grund, warum wir die Aufstachelung zum Hass verbieten und warum wir die Anbetung totalitärer Regime unter Strafe stellen. Solche Handlungen können tödlich sein. Das ist keine Theorie, sondern die Wahrheit, die wir durch unsere eigenen bitteren Erfahrungen gelernt haben. Auch in der jüngsten Vergangenheit.“ (Zuzana Čaputová am 22. November 2022 in ihrer Rede zur Verleihung des Freiheitspreises der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit)

Zuzana Čaputová am 10. März 2020 zum 100. Jahrestag der tschechoslowakischen Verfassung in Brno (Brünn). Foto: Matej Grochal. Wikimedia Commons.

Die scheidende slowakischen Staatspräsidentin benennt die Dimensionen der anstehenden Aufgaben zur Sicherung der Demokratie, nicht nur in der Slowakei. Ähnlich äußerte sie sich am 19. Oktober 2022 vor dem Europäischen Parlament. Zahlreiche weitere Reden ließen sich hinzufügen. Zuzana Čaputová ist eine der wichtigsten Stimmen für ein demokratisches Europa. Ende März, Anfang April 2024 wird ihr Nachfolger gewählt. Die aussichtsreichsten Kandidaten sind aus dem Regierungslager Peter Pellegrini und aus dem Lager der Opposition Ivan Korčok.

Es ist noch nicht lange her, da war die Slowakei ein kleines Land in Mitteleuropa, das es nur selten in die Nachrichten ausländischer Medien schaffte, dessen Politiker gänzlich unbekannt waren und das nicht selten mit dem zugegebenermaßen ähnlich klingenden Slowenien verwechselt wurde. Dies hat sich radikal geändert. Die Gründe dafür sind allerdings alles andere als erfreulich und weder kritische Medien in der Slowakei noch die dortige Zivilgesellschaft begrüßen ihre neue Prominenz. Auch steht zu vermuten, dass sogar der Premierminister Robert Fico die Schlagzeilen über sein Auftreten mit gemischten Gefühlen liest.

Diese neuen Schlagzeilen beschreiben, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit Robert Fico gemeinsam mit seiner aus den Parteien Smer, Hlas und Slowakische Nationalpartei (SNS) bestehenden Koalition daran arbeitet, das Verfassungssystem umzubauen. Insbesondere allerdings interessieren sich westliche Medien für Ficos Ablehnung militärischer Hilfe für die Ukraine und seine Zuwendung zu Russland. Diese beiden Bereiche seiner Politik, die Machtsicherung im Inneren und die mit dem Schlagwort der „slowakischen Souveränität“ etikettierte Außenpolitik, stehen in einem bemerkenswert komplexen Abhängigkeitsverhältnis zueinander.

Ficos Priorität: Umbau des Rechtsstaats

Als die dem Namen nach sozialdemokratische Partei Smer im September 2023 die Wahlen mit 22,95 Prozent der Stimmen gewann, wurden auch in Westeuropa einige besorgte Stimmen laut: Ein weiterer Populist an der Regierung? Ein zweiter Orbán? Zugleich versuchten prominente Beobachter wie Timothy Snyder die Lage zu beruhigen, indem sie auf das gute Abschneiden der europafreundlichen und explizit fortschrittlichen Partei Progresívne Slovensko (PS) verwiesen: Diese habe mit fast 18 Prozent ein sehr gutes Ergebnis eingefahren und habe gute Chancen, ihre Wählerschaft bis zu den nächsten Wahlen auszubauen und dann Regierungsverantwortung zu übernehmen.

In der Slowakei selbst allerdings herrschte bereits damals die große Sorge vor, dass Fico genau dies gezielt verhindern würde. Es ist seine vierte Amtszeit als Premierminister; die letzte endete 2018 nach dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová mit Ficos Rücktritt. Diese Demütigung, so die einhellige Meinung, wirkt bis heute nach. Zudem sind nicht wenige seiner Partei- und Koalitionsgenossen in Korruptionsfälle verwickelt und somit sehr interessiert an langfristiger Immunität. Viele kämpfen nicht nur um die politische Macht, sondern um ihre Existenz. All dies ist bekannt, und so schätzten zahlreiche Analysen bereits vor der Parlamentswahl und während der Koalitionsverhandlungen die Situation als ausgesprochen gefährlich ein. Begriffe wie „Rache“ und „Raub des Staates“ bestimmten die Debatten, und nicht wenige Kommentare waren überschrieben mit der Frage „Können wir unsere Demokratie retten?“

Peter Pellegrini, Kandidat von Smer und Hlas zur Präsidentschaftswahl 2024. Foto: Paul Frešo. Wikimedia Commons.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, ganz im Gegenteil. Es ist offensichtlich, dass Robert Fico keineswegs bereit sein dürfte, seine Macht nach vier Jahren in einer regulären demokratischen Wahl wieder abzugeben. Seine Regierung hat innerhalb weniger Monate intensive Säuberungen innerhalb des Polizeiapparates begonnen, Medien unter Druck gesetzt, NGOs geschwächt und die Kultur auf „slowakischen“ Kurs gebracht. Institutionen, die gegen Desinformationen vorgehen, werden nicht mehr gefördert. Zudem zielt die Regierung darauf, Schlüsselpositionen mit ihr genehmen Personen zu besetzen. In den für Ende März anstehenden Präsidentschaftskandidaten gilt Peter Pellegrini als Favorit – zurzeit ist er Vorsitzender des Parlaments und gilt zurecht als Ficos „podržtaška, also Taschenhalter oder auch Fußabtreter. Darüber hinaus hat die Regierung intensiv und erfolgreich daran gearbeitet, einen von „ihren“ Leuten zum Geheimdienstchef zu machen: Pavol Gašpar, Sohn des ehemaligen Polizeipräsidenten Tibor Gašpar. Nachdem Fico ursprünglich den wegen Korruption angeklagten und mutmaßlich in den Mord an Ján Kuciak und Martina Kušnírová verwickelten Vater für den Geheimdienstposten präferiert hatte, damit aber auf Widerstand in der Öffentlichkeit und bei der Staatspräsidentin gestoßen war, entschied er sich für den fachlich unerfahrenen, aber seinem Vater offensichtlich treu ergebenen Sohn. Die Ernennung erfolgte durch Umgehung der dafür eigentlich zuständigen Staatspräsidentin Zuzana Čaputová.

Aufmerksamkeit im Ausland rief vor allem die geplante Strafrechtsreform hervor, die von kritischen Medien als „Mafiapäckchen“ und als „Amnestie für Ficos Leute“ bezeichnet wird. Darin enthalten sind unter anderem deutliche Strafmilderungen für Eigentumsverbrechen – viele sollen nur mehr als Ordnungswidrigkeit geahndet werden – und die Abschaffung der mit Ermittlungen zu Korruptionsverbrechen beauftragten und entsprechend vielbeschäftigten Sonderstaatsanwaltschaft. Ein großes und unübersichtliches Gesetzespaket, bei dem beispielsweise bis zur Abstimmung im Parlament übersehen wurde, dass auch eine Halbierung der Verjährungsfrist für Vergewaltigung vorgesehen war, wurde ohne Expertenanhörungen im beschleunigten Verfahren durchgepeitscht.

Nach der Abstimmung wurde alles getan, um die Einspruchsmöglichkeiten der Staatspräsidentin und des Verfassungsgerichts zu minimieren. Zunächst verzögerte Fico seine Unterschrift, dann reizte Pellegrini die Frist für eine Veröffentlichung im Gesetzesblatt aus. In dieser Situation künstlich erzeugten Zeitdrucks reagierten Präsidentin und höchstes Gericht ausgesprochen kreativ. Zuzana Čaputová, die im letzten Herbst noch dem Motto „When they go low, we go high“ gefolgt war und sehr präzise den üblichen Verfahren folgte, wählte nun einen anderen Weg. Sie legte kein Veto ein, sondern umging das vorgesehene Procedere und leitete das Gesetz unmittelbar an das Verfassungsgericht in Košice weiter. Dieses wiederum formulierte eine kritische Entscheidung, noch bevor das Gesetz veröffentlicht war.

Ivan Korčok, Kandidat der Oppositionsparteien zur Präsidentschaftswahl 2024, bei einem Informellen Außenministertreffen während der slowakischen EU-Präsidentschaft am 24. Juli 2016. Foto: Andrej Klizan. Wikimedia Commons.

An diesem Vorgehen wird vieles deutlich, das heute in der Slowakei zu beobachten ist: Die aggressive Machtpolitik der Regierung zwingt Oppositionsparteien in die Obstruktion und Verfassungsorgane zu unorthodoxen Methoden. Demokratische Ordnungen verlassen sich oft auf das Fair Play ihrer Akteur:innen und geraten dann in Gefahr, wenn sich ihre Gegner anders verhalten. Fico bewegt sich weitgehend innerhalb der Grenzen des Gesetzes oder ganz knapp am Rand; doch widerspricht seine Politik zutiefst dem Geist und der Kultur der liberalen Demokratie. Zu seinem Arsenal gehören Beschimpfungen der Staatspräsidentin und Verdächtigungen des Verfassungsgerichtes, Attacken auf Journalist:innen und Diffamierungen zivilgesellschaftlicher Akteure. Er zerstört die demokratische Kultur und versucht, wo möglich, demokratische Institutionen zu umgehen oder auszuschalten.

Bedrohte Pressefreiheit

Auf der anderen Seite stehen die Oppositionsparteien, kritische Medien und die Zivilgesellschaft, in die Beobachter im vergangenen Herbst so viel Hoffnung gesetzt hatten. Ob diese Hoffnung berechtigt ist und ob die demokratischen Kräfte sich gegen die Angriffe Ficos behaupten können, wird sich zeigen. Im Moment kämpfen sie in einer Weise, die nur als bewundernswert bezeichnet werden kann – gegen eine antidemokratisch agierende Regierung und gegen eine im europäischen Vergleich außergewöhnlich stark verankerte Desinformationskultur. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt an Verschwörungen geheimer Organisationen und befürchtet Wahlbetrug, nur 15 Prozent halten die Demokratie für ein funktionierendes System, und ganze 52 Prozent wünschen sich einen „starken Führer“. Die Slowakei ist seit Jahren intensiven Desinformationskampagnen insbesondere aus Russland und Ungarn ausgesetzt, und nicht wenige Mitglieder der aktuellen Koalitionsfraktionen haben selbst erfolgreiche Desinformationskarrieren hinter sich, unter anderem ausgerechnet die Kulturministerin Martina Šimkovičová.

Demonstration in Bratislava. Foto: Michal Hvorecky.

Der Protest gegen diese Gefahren ist umso lauter. Ausländische Medien berichten dabei vor allem über die seit Dezember stattfindenden Demonstrationen. Aufgerufen von demokratischen Oppositionsparteien und der Initiative Za slušné Slovensko (Für eine anständige Slowakei), gehen Tausende Menschen in Bratislava, aber auch in kleineren slowakischen Städten auf die Straße. Sie protestieren gegen Korruption und für Demokratie. Bei uns weniger wahrgenommen hingegen wird die Arbeit kritischer Medien. Zu erwähnen ist hier beispielsweise die Initiative für investigativen Journalismus ICJK, die sich dem Erbe des ermordeten Ján Kuciak verschrieben hat.

Die Zeitung Denník N und das Webportal aktuality.sk berichten, analysieren und kritisieren. Mit Texten, podcasts, Karikaturen, Glossen, öffentlichen Diskussionen und Expert:innengesprächen schaffen sie ein breites Informationsangebot. Dafür werden sie von der Regierung attackiert. Sie gelten längst als „feindliche Medien“, ihre Mitarbeiter:innen werden nicht mehr zu Pressekonferenzen zugelassen, einzelne Journalist:innen werden bedroht. Besonders aktiv ist hier eine Gruppe jüngerer Politiker aus dem Umkreis Ficos, die unter der Bezeichnung „die Wölfe“ firmieren – ein deutlicher Hinweis auf die politische Atmosphäre des Landes. So wurde Monika Tódová, Redakteurin bei Denník N, kurz vor den Parlamentswahlen im September durch ein gefälschtes Video verleumdet, das angeblich von ihr geplanten Wahlbetrug nachweisen sollte. Gegen Martin M.G Šimečka, ebenfalls Journalist bei Denník N und Vater des Oppositionsführers Michal Šimečka, wird zurzeit wegen angeblicher Diffamierung des slowakischen Nation prozessiert.

Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk RTVS steht unter Beschuss. Nach polnischem Vorbild soll daraus ein gehorsamer Staatsfunk werden. Und schließlich ist der Fernsehsender Markíza zu erwähnen, seit Jahren ein wichtiger Vertreter des unabhängigen slowakischen Journalismus. Hier wurde kürzlich die Führungsriege ausgetauscht, und Mitarbeiter:innen berichten von neuen Richtlinien, man möge sich mit Kritik an der Regierung lieber zurückhalten. Vermutet wird, dass dahinter ökonomischer Druck steht: Markíza gehört dem tschechischen Finanzkonzern PPF, dessen Wirtschaftsinteressen in der Slowakei (unter anderem ein Mautsystem und E-Züge) durch einen unzufriedenen Premierminister gefährdet sein könnten.

Gefährliche Außen- und Europapolitik

Während diese innenpolitischen Entwicklungen im Ausland nur bedingt wahrgenommen werden, erzeugen Ficos außenpolitische Manöver deutlich größere Aufmerksamkeit. Robert Fico steht klar für eine russlandfreundliche Haltung, und die Ankündigung, keine Waffen mehr in die Ukraine zu senden, gehörte zu den Pfeilern seines Wahlkampfes. Diese Aussage rief im Westen zunächst Unruhe hervor, die aber bald wieder abklang. Die Slowakei, die in den ersten 18 Monaten der russischen Vollinvasion gegen die Ukraine zu den engagiertesten Unterstützern des angegriffenen Landes gehört hatte, verfügte ohnehin nicht mehr über viele Waffen, die sie hätte abtreten können. Zudem ruderte Fico bald zurück: Staatliche Lieferungen kämen nicht mehr in Frage, aber gegen privatwirtschaftliche Waffenverkäufe werde er sich nicht stellen. Auch in Fragen der europäischen Unterstützung der Ukraine durch finanzielle Mittel und eine Perspektive für die Aufnahme in die EU zeigte er sich kompromissbereit.

Diese ambivalente Haltung – nach innen radikal, nach außen vage – passte zum Bild Ficos als gewiefter und pragmatischer Politiker. Die Slowakei ist abhängig von EU-Geldern, und die Erfahrungen Ungarns und Polens fungierten für Fico nicht nur innenpolitisch als Blaupause, sondern auch außenpolitisch als Warnung. Tatsächlich meldeten sich schon früh alarmierte Stimmen aus Brüssel. Smer wurde aus der sozialdemokratischen Fraktion des Europaparlaments ausgeschlossen, und auf die Pläne für die Strafrechtsreform reagierte die EU-Kommission mit der Drohung, Subventionen einzufrieren.

Karte mit Slowakei und Ukraine in den jeweiligen Landesfarben. Wikimedia Commons.

In den letzten Tagen aber zeigt sich eine neue Entwicklung: Die slowakische Regierung tritt nicht mehr nur nach innen aggressiv und provozierend auf, sondern auch auf der internationalen Bühne. Ende Januar reiste Robert Fico in die Ukraine, nicht ohne dem Land zuvor seine Souveränität abzusprechen und zu behaupten, in Kyjiv herrsche kein Krieg, sondern Normalität. Die Tatsache, dass er selbst dann nicht in die ukrainische Hauptstadt reiste, sondern sich nur über die Grenze ins ostukrainische Užhorod „traute“, wurde allgemein belächelt. Der Zynismus und die Brutalität aber, die aus seinen Worten sprachen, lösten Entsetzen aus. Einen Monat später, aus Anlass des zweiten Jahrestages der russischen Vollinvasion, veröffentlichte Fico dann ein Video, in dem er die europäische Unterstützung der Ukraine scharf kritisierte, davon sprach, dass Putin „fälschlich dämonisiert“ werde und der EU vorwarf, sie unterstütze „das gegenseitige Morden von Slaven“. Wiederum einen Tag später behauptete er, einige Länder der NATO planten, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken und versprach in dramatischer Form, so etwas für die Slowakei niemals zuzulassen, „selbst wenn es mich meine Position als Premier kosten sollte“.

In nur zwei Tagen kamen so Fake-News, panslavistische Anklänge, ein scharfer Angriff auf Europa, eine eindeutig prorussische Positionierung und nicht zuletzt der Versuch zusammen, sich selbst als Kämpfer, ja als Märtyrer für die slowakische Souveränität darzustellen. Binnen kürzester Zeit war aus dem Premierminister eines kleinen, gern übersehenen ostmitteleuropäischen Landes ein Troublemaker auf internationaler Bühne geworden. Emmanuel Macron wurde auf die Frage der Bodentruppen angesprochen und lösten mit seiner Antwort heftige Spekulationen aus. Olaf Scholz reagierte scharf. Die in just diesen Tagen in Prag geplante Sitzung der Visegrád-Gruppe (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) schien gefährdet. Sie fand schließlich statt, wenn auch unter diplomatisch heiklen Bedingungen.

Direkt nach der Anreise in Prag trafen Robert Fico und Viktor Orbán sich am Flughafen, während der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala und sein polnischer Amtskollege Donald Tusk bereits in der Stadt miteinander sprachen. Als der slowakische Premierminister dann vor dem Liechtensteinpalais auf der Kleinen Seite eintraf, wurde er von Demonstranten mit Rufen wie „Geh nach Hause, Du feiger Fußabtreter Putins“ und „Schande!“ begrüßt. Verhandelt wurde nur hinter verschlossenen Türen, das Zusammentreffen größerer Delegationen wurde abgesagt. Tusk erwähnte wie nebenbei, die Bücher von Martin M. Šimečka gelesen zu haben, dem Journalisten, gegen den Mitglieder der Fico-Regierung gerade Klage führen. Gewissermaßen gekrönt wurde das spannungsreiche Treffen von einem Besuch Ficos und Orbáns beim bekanntermaßen russlandfreundlichen ehemaligen Präsidenten Miloš Zeman, während Donald Tusk auf der Burg vom tschechischen Staatspräsidenten Petr Pavel empfangen wurde. Am Ende jedoch machte Petr Fiala gute Miene zu bösem Spiel, als er öffentlich erklärte, man habe sich darauf geeinigt, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine ein „grober Verstoß gegen internationales Recht sei“ und dies als Einigung ausgab – obwohl er gleich hinzufügen musste, dass es unterschiedliche Ansichten sowohl zu den Gründen für den Krieg als auch zu den nun notwendigen Schritten gebe.

Unmittelbar nach diesem halbgaren Kompromiss ging Fico jedoch noch einen Schritt weiter. Bei einem diplomatischen Gipfel in Antalya traf sein Außenminister Juraj Blanár auf den russischen Außenminister Sergej Lavrov. Freundliches Händeschütteln und ein gemeinsames Foto, begleitet von Lavrovs Beteuerung, Russland sei sehr an bilateralen Beziehungen interessiert, führten zu einem Eklat. Fico begrüßte Blanárs Aktion mit einem Verweis auf die „souveräne slowakische Außenpolitik“. Sekundiert wurde ihm dabei vom radikalen Vorsitzenden der Slowakischen Nationalpartei und (aussichtslosen) Präsidentschaftskandidaten Andrej Danko. Dem ansonsten eher zurückhaltenden, um nicht zu sagen farblosen tschechischen Premier Petr Fiala platzte der Kragen. Er sagte ein geplantes Regierungstreffen mit den Slowaken ab.

Fico ist, so die weitgehend einhellige Meinung slowakischer Kommentatoren dieser Tage, außer Kontrolle geraten. Der Premier hat seine lange verfolgte Strategie, in der Slowakei antieuropäische und prorussische Vorstellungen zu bedienen, zugleich aber auf internationaler Bühne den besonnenen Politiker zu spielen, offenbar aufgegeben. Die Machtsicherung nach innen hat nun Vorrang. Um kurzfristig seinen Präsidentschaftskandidaten Pellegrini zu stärken und langfristig seine eigene Macht zu sichern, geht er rhetorisch aufs Ganze.

Damit scheinen bereits zuvor geäußerte Befürchtungen bestätigt, dieser Premier werde mit seiner Politik das Vertrauen der Verbündeten in EU und NATO verspielen und sein Land isolieren. Erste Einladungen auf internationale Treffen bleiben aus, und sogar die historisch engen Beziehungen zu den tschechischen Nachbarn scheinen auf der Kippe zu stehen. Die Staatspräsidentin, viele Vertreter der Opposition, Intellektuelle und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen setzen nun alles daran, den Riss zu kitten. Und auch von tschechischer Seite haben viele Personen des öffentlichen Lebens schnell das Wort ergriffen und betonen, es ginge hier keineswegs um einen Bruch zwischen den beiden Ländern, sondern einzig um eine Abgrenzung von der Person Ficos und seinen Verbündeten.

Kulturkämpfe

Man muss nicht zu Pathos neigen, um festzustellen, dass hier viel auf dem Spiel steht. Was wir hier beobachten können, ist der Versuch der systematischen Zerstörung einer Demokratie und der Kampf um deren Erhalt. Und möglicherweise ist ein wenig Pathos durchaus angebracht. Die Debatte in der Slowakei beschränkt sich nicht auf die Diskussion von Verfassungsorganen und Parlamentsordnungen. Es geht – und dies schon seit Jahren – um eine bessere Kultur, um slušnost´“ (Anstand).

Michal Šimečka, Vorsitzender der größten Oppositionspartei Progresívne Slovensko (PS) und Sohn des Journalisten Martin M. Šimečka. Foto: Progresívne Slovensko. Wikimedia Commons.

Der bereits erwähnte Martin M. Šimečka hat kürzlich einen hochinteressanten Essay geschrieben, in dem er folgende Argumentation entwickelt: Während das sozialistische System eine Gesellschaft der Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit geschaffen hatte, habe sich nach 1989 langsam ein Miteinander entwickelt, in dem Werte, Rechte und Anstand eine Rolle spielten. Dazu gehörten auch der Wunsch nach einem lebenswerten Dasein und vor allem der Gedanke, tatsächlich einen Anspruch auf ein solches Leben in Würde zu haben. Politiker wie Fico arbeiteten nun, so Šimečka, systematisch daran, dieses neue Miteinander zu zerstören: Durch eine Sprache der Gewalt, durch offensichtlichen Machtmissbrauch, durch eine Kultur der Stärke.

Die vierte Regierung Fico gilt bereits jetzt in vielen Kommentaren als „Normalisierung“, in Anspielung auf die Zeit sowjetischer Okkupation nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Diese Politik kann, dies zeigen unter anderem Fälle in den Nachbarländern Polen und Ungarn, sehr erfolgreich sein. Manchmal aber scheitert sie auch. In Polen war es die unmenschliche Abtreibungspolitik, die die Menschen auf die Straßen brachte. In Ungarn musste die Präsidentin Katalin Novák zurücktreten, als sie den Direktor eines Waisenhauses begnadigte, der jahrelang Kindesmissbrauch vertuscht hatte. Und in der Slowakei schließlich musste Fico in der Frage der angekündigten Verkürzung der Verjährungsfrist für Vergewaltigungen zurückrudern und diese Gesetzespassage streichen. Šimečkas Fazit ist im Großen und Ganzen ernüchternd – die Regierenden zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt und überschreiten moralische Grenzen – aber auch vorsichtig optimistisch: Sie können genau mit dieser Strategie scheitern.

Und so erscheint der Kampf fúr die Demokratie in der Slowakei auch als Konflikt um die gesellschaftliche und nationale Identität. Wo Fico panslavistische Akzente setzt und – trotz seiner Behauptung, sich außenpolitisch in alle Richtungen zu orientieren – ganz klar prorussisch und zunehmend antieuropäisch auftritt, warnen kritische Stimmen immer wieder davor, den Bezug zum „Westen“ zu verlieren. Aus der langjährigen Selbstzuordnung der Slowaken (und im Übrigen auch der Tschechen) zu Mitteleuropa entwickelt sich nun ein neues Bild. Die Argumentation ist zunehmend bestimmt vom Gegensatz zwischen West und Ost, und dabei geht es nicht allein um sicherheitspolitische Bündnisse und wirtschaftliche Kooperationen, sondern um die Vorstellung von zwei Kulturkreisen, ja zwei Zivilisationen. Damit verbunden ist – oft implizit, manchmal ausdrücklich – eine historische Meistererzählung von einem seit dem Mittelalter gespaltenen Europa und nationalen Schicksalswegen.

Ob solche Pauschalnarrative der politischen Auseinandersetzung helfen, darf bezweifelt werden. Und tatsächlich werden Diskussionen über Frauenrechte und die Istanbuler Konvention, über die Ehe für alle, über Klimawandel und Umweltschutz, über Pressefreiheit, Menschenrechte und natürlich Demokratie immer häufiger mit einer kulturkämpferischen und pseudohistorischen Dimension aufgeladen. Smer hat die Wahlen in September nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil es ihr gelungen ist, die liberale Position von Progresívne Slovensko beispielsweise zu LGBTIQ*-Rechten radikal zu überzeichnen und als fundamentalen Angriff auf Familie, Werte und Nation erscheinen zu lassen. Umgekehrt warnen liberale Stimmen davor, die aktuelle Regierung werde das Land nicht etwa von der europäischen Solidaritätsgemeinschaft und der NATO isolieren, sondern auch vom vorbestimmten Weg nach Westen abbringen. Politische Konflikte werden so zur Frage nach der Identität, ja dem Schicksal „der Slowaken“.

In diesem Zusammenhang wird in Debatten auch immer wieder eine fehlende politische und nationale Identität der Slowaken beklagt, mangelndes Selbstbewusstsein, Minderwertigkeitskomplexe und ein unsicherer Blick auf stärkere Nachbarn. Die slowakische Nation gilt als gespalten. Die aktuelle Situation kann diese Spaltung verschärfen – dies ist klar das Ziel Ficos und seiner Anhänger – möglicherweise aber auch in einem fast kathartischen Prozess zu einer neuen Form politischen Bewusstseins führen.

Fico hat jedenfalls keine positive Botschaft und kein irgendwie konsistentes Modell zu bieten. Seine Rhetorik ist eine Mischung aus unverhohlener Aggression und Opfernarrativ, Kampfrhetorik und angeblichem Willen zum Frieden. Er kritisiert die Osterweiterung der NATO, von der die Slowakei selbst profitiert hat, wendet sich gegen europäische militärische Allianzen und beklagt zugleich, dass Italien seine Luftabwehr aus der Slowakei abzieht. Er paktiert mit Russland, das bei einem Sieg über die Ukraine direkt an der slowakischen Grenze stünde und kooperiert mit Orbán, der seinerseits mit großungarischen Fantasien spielt.

Hinzu kommen die üblichen Andeutungen aus dem Gemischtwarenladen des Populismus: Nationalismus, antisemitische und antiamerikanische Vorurteile, Hetze gegen Migrant:innen, einfache Lösungen und teure Wahlgeschenke. Fico folgt einem Drehbuch, an dem Menschen wie Donald Trump und Steve Bannon mitgeschrieben haben, das Politiker wie Viktor Orbán in gesicherte Machtpositionen gebracht hat und es der polnischen PiS erlaubte, die Demokratie in ihrem Land beträchtlich zu schädigen, und dem auch die deutsche AfD und die österreichische FPÖ folgen.

Auch wenn manche die Gefährdung der Demokratie in einem kleinen ostmitteleuropäischen Land mit dem leicht zu verwechselnden Namen eigentlich nicht besonders interessieren mag, sollten sie zumindest angesichts dieser global zu erkennenden Muster genauer hinschauen. Wir sehen hier die ersten Schritte einer Zerstörung der slowakischen Demokratie mit Ansage und erkennen die entscheidenden Stellschrauben. Davon abgesehen könnte unsere Aufmerksamkeit für das, was in der Slowakei geschieht, auch der slowakischen Demokratie selbst helfen. Die großen Demonstrationen der letzten Monate in Bratislava und in vielen anderen Orten richteten sich auch an den Westen und baten europäische Öffentlichkeiten und europäische Institutionen um Unterstützung.

Amtssitz des Premierministers der Slowakei in Bratislava. Wikimedia Commons.

Solche Unterstützung ist nicht nur moralisch zu verstehen. Sie könnte die Regierung Fico auch auf grundsätzliche Widersprüche ihrer Strategie hinweisen: Da ist einmal die ökonomische Abhängigkeit von Brüssel. Die slowakische Regierung braucht europäisches Geld, um ihre innenpolitische Macht zu erhalten, um die Landwirtschaft zu subventionieren und die Renten attraktiv zu halten. Zugleich widersprechen die Mittel, mit denen sie diese Macht aufbaut, grundsätzlich den Prinzipien und den Regeln der EU. Und da ist die Absurdität einer aggressiven Außenpolitik, die eigentlich nur eine Botschaft nach innen senden soll, dann aber doch so laut vorgetragen wird, dass sie auch von den Diplomaten und Regierungen der Alliierten gehört wird und die Slowakei damit isoliert.

Fico galt lange als Pragmatiker, der die Balance zwischen Nationalismus nach innen und Verträglichkeit nach außen beherrschte. Es sieht so aus, als kippe dieses riskante Spiel nun. Die Frage ist: wird dieses Kippen zur Isolation der Slowakei, zur endgültigen Bindung an Ungarn und Russland und zur Etablierung einer illiberalen Demokratie, ja Autokratie führen? Oder werden sich Zivilgesellschaft, kritische Medien, Opposition und Anstand durchsetzen können?

Martina Winkler, Kiel

Die Autorin ist Leiterin der Abteilung Osteuropäische Geschichte der Universität Kiel. Zu ihren Schwerpunkten gehören die tschechische und slowakische Zeitgeschichte, Russland im 18. Jahrhundert, Kindheits- und Fotografiegeschichte. Sie arbeitet zurzeit an einer Biografie von Zar Peter I., die 2025 im Böhlau-Verlag erscheinen wird.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im März 2024, Internetzugriffe zuletzt am 9. März 2024. Das Titelbild zeigt eine Demonstration zur Erinnerung an Ján Kuciak und Martina Kušnirová am 2. März 2018 in Bratislava, Foto: Peter Tkac, Wikimedia Commons. Für die Vermittlung des Essays dankt der Demokratische Salon Martin Aust, Leiter der Abteilung Osteuropäische Geschichte der Universität Bonn.)