Die Religion der Atheisten

Naturwissenschaft und Technik, Magie und Religion bei Arthur C. Clarke

„When a distinguished but elderly scientist states that something is possible, he is almost certainly right. When he states that something is impossible, he is very probably wrong.” (Arthur C. Clarkes, Erstes Gesetz, in: „Hazards of Prophecy – The Failure of Imagination“, in: „Profiles of the Future“, 1962, deutsche Übersetzung: “Wenn ein angesehener, aber älterer Wissenschaftler behauptet, dass etwas möglich ist, hat er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht. Wenn er behauptet, dass etwas unmöglich ist, hat er höchstwahrscheinlich unrecht.“)

Arthur. C. Clarke ist für seine naturwissenschaftlich-technischen Narrative bekannt geworden, die er in den 1940er bis in die 1960er Jahre entwickelt hatte. Seine Erzählungen aus dieser Zeit sind geprägt vom damaligen Stand der Naturwissenschaften und der Technik der Weltraumwissenschaften sowie der beginnenden Raumfahrt. Sie bewegen sich immer etwas über den Tageshorizont der aktuellen Wissenschaft hinaus in das Futuristische hinein.

Clarke versteht es durch seine ansteckende Begeisterungsfähigkeit, der trägen Weltraumwissenschaft eine visionäre Kraft zu geben, die auf ein zunehmendes Interesse in der Öffentlichkeit trifft. Das vor allem in den USA sich rasch verbreitende Fernsehen begünstigte und verstärkte die didaktischen Fähigkeiten von Clarke, der in der Lage war, selbst komplexe Sachverhalte der Weltraumwissenschaften einem Laienpublikum zu erklären und ihr Interesse dafür zu wecken.

Die Genese der Narrative im Werk von Arthur C. Clarke

Arthur. C. Clarke ist Didaktiker für Weltraumfragen von Anbeginn seiner Karriere an und vor allem in den 1960er und 1970er Jahren zu den Zeiten der Mercury-, Gemini- und Apollo-Missionen der NASA. Später entwickelte Clarke das „naturwissenschaftlich-technische Narrativ“ zum „kosmologischen Narrativ“, das noch später in enger Verbindung mit dem „eschatologischen Narrativ“ steht.

Die vierjährige Zusammenarbeit von Clarke mit Stanley Kubrick an „2001 – A Space Odyssey“ in den Jahren 1964 bis 1968 stellte einen Wendepunkt dar und machte ihn berühmt, denn nun gerät das eschatologische Narrativ stärker in den Vordergrund seiner Erzählungen, also die Fokussierung auf quasi-religiöse Handlungsauflösungen mit langen Zeiträumen und großen Entfernungen. Die Bühne des Weltalls in unserem Sonnensystem wird zum räumlich und zeitlich unendlichen Universum erweitert, in dem Clarke die kosmologische Perspektive der Menschheit diskutiert. Clarke selbst kommentierte das Erscheinen des Films „2001“ mit den Worten, dass MGM es zwar noch nicht wisse, dass sie einen 10-Millionen-Dollar Religionsfilm produziert hätten. Letzte Fragen nach dem Sinn des menschlichen Daseins, nach Außerirdischen und nach Gott bestimmen nun die Erzählungen des Atheisten Arthur C. Clarke. Gleichzeitig hat in dieser Zeit eine Wende in der narrativen Struktur von Clarkes Werken stattgefunden, hin zu mehr plastischen und dramatischen Entwicklungen, die auf seine Begegnung mit Stanley Kubrick zurück zu führen sind. Clarke wird zum Drehbuch-Autor und Szenenschreiber für dramatische Effekte, der auch in Drehbuchstrukturen zu denken und zu schreiben beginnt. Die Wirkung von Clarkes Erzählsträngen bekommt durch die gemeinsame Arbeit mit Stanley Kubrick an „2001“ eine neue Intensität.

Seit dem Umzug von Arthur. C. Clarke nach Sri Lanka (damals Ceylon) beginnt er sich für interkulturelle Narrative zu interessieren, wie man vor allem in dem Roman „The Fountains of Paradise“ (1979) nachlesen kann. Im Zentrum steht zwar die Beschreibung des Weltraum-Fahrstuhls, das Handlungsumfeld ist allerdings in Südost-Asien angesiedelt und bestimmt die Motive und Handlungsmuster seiner Probanden. Dieses Interesse für interkulturelle irdische Begegnungen hält Clarke bis zu seinem letzten Roman durch, bis zu „The Last Theorem“ (2008). Interkulturelle Begegnungen mit Außerirdischen – das abstrakteste Imaginativ – hat Clarke selbst viele Male hervorragend gemeistert, am besten wohl in „Childhood´s End“ (1953). Sein Co-Autor Gentry Lee hat in den drei Nachfolgebänden zu „Rendezvous with Rama“ (1973), in dem die unbekannten Erbauer des riesigen Raumschiffs noch unbekannt bleiben, eine geradezu biologische Vielfalt von Außerirdischen vorgestellt.

Das Lebenswerk von Arthur C. Clarke vereint alle wichtigen Stränge der kosmologischen Science-Fiction in meisterhafter Weise: das „naturwissenschaftlich-technische Narrativ“, das „kosmologische Narrativ“, das „eschatologische Narrativ“, das „interkulturelle Narrativ“. Die Klammer für sein schriftstellerisches Werk sind Arthur C. Clarkes Fähigkeiten als Didaktiker, der in der Lage ist, komplizierte Sachverhalte anschaulich zu erklären und zu beschreiben. Den Beleg dafür findet man am besten heute noch in den zahlreichen Videos und Mitschnitten von Fernsehbeiträgen im Internet. Clarke steht somit auf der Höhe seines Freundes Carl Sagan, was die didaktisch-methodischen Fähigkeiten angeht, überaus komplizierte naturwissenschaftlich-technische Sachverhalte oder kosmologische Konstellationen einem breiten Laienpublikum verständlich zu machen.

Die Autorenschaft von Clarke allein oder in einem Team bei der Herausgabe von Büchern spricht ebenfalls für seine didaktischen Qualitäten, zum Beispiel das Buch „Man and Space“ (1964) mit den Herausgebern von Life oder „Beyond Jupiter – The Worlds of Tomorrow“ (1972) mit dem Illustrator Chesley Bonestell. Diese Sachbücher sind in einer Zeit entstanden, als es noch keine Bilder aus Computergrafiken oder der 3-D-Welten-Gestaltung oder der virtuellen Realität gab, geschweige denn einen direkten Zugriff an jedem Ort auf die unbegrenzte Informationsdichte des globalen Internets. Clarke arbeitete sich später selbst in die Möglichkeiten der Computergrafik ein und integrierte sie in sein Buch über die Besiedlung des Mars: „The Snows of Olympus – A Garden on Mars.“ (1994).

Naturwissenschaft und Technik

Arthur C. Clarke hat die Einflüsse der neuesten Erkenntnisse der Weltraumforschung auf seine schriftstellerischen Arbeiten am intensivsten im Nachwort zu dem Roman „3001-The Final Odyssey“ (1997) beschrieben. Dort erwähnt er alle Raumfahrt-Missionen der NASA und alle neuen Erkenntnisse von Forschung und Technologie, die sich in verschiedenen Erzählstrukturen seiner Romane wiederfinden.

Eine erste Erprobung einer Art von Fahrstuhl in den Weltraum habe im August 1992 die Besatzung des Space-Shuttles „Atlantis“ unternommen, als sie den Versuch unternahmen, ein Stück Frachtgut an einem 21 Kilometer langen Seil von dem Shuttle aus zu bringen und wieder einzuholen. Ein Problem war es seinerzeit, das Seil wieder einzuholen, denn der Mechanismus blockierte nach wenigen hundert Metern. Selbst dieses technische Problem ist ähnlich bei Clarke in vielen seiner frühen Werke als Havarie beschrieben worden. Danach sei mit der Entdeckung der besonders harten und flexiblen dritten Form des Kohlenstoffs (nach amorphem Kohlenstoff und Diamant), der Buckminster-Fullerene (C60), das Baumaterial für den Fahrstuhl in greifbare Nähe gerückt.

Hier einige weitere technische Innovationen, die von Clarke in seinen Romanen vorgeschlagen worden sind:

Im Jahre 1951 entwarf Clarke eine freischwebende Ringbrücke um den Erdäquator herum, in dem Roman „3001“ „Star City“ genannt. Diese Konstruktion sollte die Reise zu den Planeten vereinfachen, weil Raumschiffe aus Gründen der Einsparung von Material und Energie nicht mehr von der Erdoberfläche starten und landen sollten.

Arthur C. Clarke hatte bereits in seinem Buch „The City and the Stars” (1956) sowie ausführlicher in „3001-The Final Odyssey“ (1997) ein Informations- und Speichersystem für das menschliche Bewusstsein mit der Kapazität von einem Petabyte beschrieben, mit dem der Mensch in einen körperlosen Bewusstseinszustand als ewig Lebender versetzt werden könne.

Das von Clarke in den Büchern „Rendezvous with Rama“ (1973 und „The Hammer of God“ (1993) vorgestellte Projekt Spaceguard zur Abwehr von Asteroiden, die auf die Erde abzustürzen drohen, ist bei der NASA und bei der ESA zu einem seriösen Umsetzungsprojekt gediehen. Der Terminus „Spaceguard“ beschreibt alle Ansätze zur Entdeckung, Katalogisierung und zur Abwehr erdnaher Objekte, die möglicherweise eine Gefahr für die Erde werden könnten. Eine besondere Aufmerksamkeit bekam das Thema durch den Aufschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf dem Jupiter im Juli 1994. Ein Fragment dieses Kometen erzeugte einen gigantischen Fleck auf dem Jupiter in der Größe von zwölftausend Kilometern Durchmesser, was nach Berechnungen einer freigelassenen Energie von sechs Teratonnen TNT entspricht, dem sechshundertfachen des gesamten nuklearen Arsenals der Menschheit. Es verwundert nicht, dass Programme zur Entdeckung von erdnahen Asteroiden danach eine weit höhere finanzielle Unterstützung bekamen.

Die herausgehobene Bedeutung von „2001“

Als die Drehbucharbeiten zu „2001“ am Anfang des Jahres 1964 begannen, war die Mondlandung psychologisch gesehen immer noch ein Traum der fernen Zukunft, wie Clarke in seinem Buch „The Lost Worlds of 2001“ (1972, deutsch: 2001 – Aufbruch zu verlorenen Welten, 1983) schreibt. Es war erst elf Monate her, dass mit Gordon Cooper in Mercury 9 am 15. Mai 1963 der erste amerikanische Astronaut im Weltraum gewesen war. Der erste Gemini-Flug mit zwei Mann Besatzung, mit Virgil „Gus“ Grissom und John Young, sollte erst ein Jahr später stattfinden. Am 23. März 1965 hob eine Titan-II Rakete mit Gemini 3 ab für Experimente zu Andock-, Rendezvous- und Wendemanövern im Weltall. Die Wissenschaftler wussten noch nichts über die Beschaffenheit der Mondoberfläche und stritten darüber, ob man im Mondstaub versinken könne, wie es Clarke in seinem Roman „A Fall of Moondust“ (1961) beschrieben hatte. Der Film „2001“ musste also alles imaginieren, was Wissenschaftler noch nicht wussten. Dafür stand ein Gesamt-Budget von zehn Millionen US-Dollar zur Verfügung, eine Summe, die, wie Clarke süffisant bemerkt, von der NASA an einem Tag ausgegeben würde.

Apollo 11. Foto: NASA Buzz Aldrin / Kev Holmes. Wikimedia Commons.

Während der Produktion des Films „2001“ fand das erste Rendezvous-Manöver im Weltraum statt, mit Gemini VI und Gemini VII, die Sonde „Luna“ landete auf dem Mond im Meer der Stürme und die Wissenschaftler sahen die ersten Nahaufnahmen des Mondbodens. Apollo 8 umrundete den Mond am 27. Dezember 1968, die Astronauten brachten das ikonische Bild der aufgehenden Erde mit. Die erste Landung von Menschen auf dem Mond fand mit der Besatzung von Apollo 11 am 16. Juli 1969 statt. Etwas mehr als ein Jahr vor der Mondlandung hatte bereits die Premiere des Films „2001“ stattgefunden, am 2. April 1968 im Uptown Theater in Washington D.C, USA, statt.

Die Fiktion von „2001“ war der Wirklichkeit des Weltraumflugs der Menschheit im aufregenden Jahr 1968 weit voraus gewesen und hat ihre visionäre Kraft bis heute ohne realitätsbedingte Kratzer erhalten. Der Film darf auch heute noch als einer der innovativsten und besten Science-Fiction-Filme gelten.

Die in „3001-The Final Odyssey“ (1997) beschriebene Stadt „Ganymed City“ musste Clarke völlig imaginieren, denn es gab keine Bilder, als er den Roman schrieb. Clarke schreibt, dass er erst am 11. Juli 1996, zwei Tage vor der Vollendung seines Buches, Fotos vom JPL von der Sonde Galileo erhalten habe. Diese würden seiner Fiktion nicht widersprechen und er hoffe, dass später nicht noch andere Fotos von dort mit der Aufschrift „Yankees Go Home“ auftauchen würden.

Im Roman „Odyssey 2010“ (1982) hat Clarke ein chinesisches Raumschiff auf dem Jupitermond Europa landen lassen. Damals gab es noch kein Weltraumprogramm Chinas, aber im Jahre 2019 waren die Chinesen die ersten, die ein automatisiertes Raumschiff auf der dunklen Seite des Mondes landen ließen.

Der Protagonist aus „3001-The Final Odyssey“ (1997), Frank Poole, bekämpft den Monolithen, der die Menschheit vernichten soll, mit einem Computervirus, einem sogenannten Trojanischen Pferd. Clarke erwähnt in dem zitierten Nachwort, dass die Außerirdischen in dem Film „Independence Day“ (1996) ebenfalls mit einem Computervirus erfolgreich bekämpft würden. Außerdem erwähnt er, etwas verstimmt, dass Roland Emmerich die Eingangsszene von seinem Roman „Childhood´s End“ (1953) kopiert habe.

Clarke erwähnt, dass er es noch beim Erscheinen von „3001-The Final Odyssey“ (1997) es kaum fassen könne, dass der Regisseur Peter Hyams bei der Verfilmung von „2010“ tatsächlich reale Nahaufnahmen der Jupitermonde zur Verfügung gehabt habe.

Der dritte Band der Space-Odyssee „Odyssee III“, spielt im Jahre 2016 zur Rückkehr des Halley´schen Kometen. Clarke entwickelt eine Forschungsmission zum Halley´schen Kometen als Narrativ des Romans, also eine Art wissenschaftliche Mission zu einem regelmäßig wiederkehrenden Naturschauspiel in unserem Sonnensystem.

Magie und Religion

Das kosmologische Narrativ bei Arthur C. Clarke beginnt nach seiner frühen naturwissenschaftlich-technischen Werken bis zu den 1950er Jahren mit den Arbeiten über Aliens und die weite Zukunft der Menschheit im Universum, also etwa mit „Childhood´s End“ (1953). Clarke verlässt die Beschreibungen von Abenteuern und Havarien im nahen Sonnensystem und widmet sich dem großen Ganzen im Universum, in dem die Menschheit nur eine geringe Rolle spielt. Zu den Höhepunkten dieser Phase gehören die Romane „2001“ (1968), „Rendezvous with Rama“ 1973) und „3001“ (1997). Passend zu dieser Phase seiner schriftstellerischen Tätigkeit formulierte Arthur C. Clarke sein zweites Gesetz: The limits of the possible can only be defined by going beyond them into the impossible.” (deutsch: „Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist, ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen.“)

Das eschatologische Narrativ bei Arthur C. Clarke wird am besten deutlich in dem Prolog zu „3001-The Final Odyssey“ (1997). die von Clarke so genannten „Erstgeborenen“ haben ihr Bewusstsein von der Materie getrennt. „Der Geist war das Kostbarste, das sie in der gesamten Galaxis fanden, und so förderten sie seine Entwicklung allenthalben“. Sie lernten, „ihr Wissen in der Struktur des Raumes zu speichern und ihre Gedanken in starren Lichtrastern zu fixieren.“ Das einzige Problem für sie war nur noch, dass sie, „gleich allen Kindern der Materie (waren) sie anfällig für den Zahn der Zeit und für ihren geduldigen, ewig wachen Diener, die Entropie.“ Diese im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beschriebene zunehmende Unordnung im Universum ist, vereinfacht gesagt, die treibende Kraft für die Ausdehnung des Universums – jedenfalls in der Theorie der Kosmologie, oder besser gesagt, einer der Theorien der Kosmologie. Hier bewegt sich Clarke noch innerhalb der wissenschaftlichen Kosmologie oder an ihren Grenzgebieten zur Phantastik, während uns der Schlusssatz des Romans an die Offenbarung des Johannes erinnert, an die in der Bibel angekündigte Apokalypse, das Jüngste Gericht: „Epilog / Ihr kleines Universum ist sehr jung, und ihr Gott ist noch ein Kind. Doch für ein Urteil ist die Zeit noch nicht reif. Wenn Wir zurückkehren am Ende aller Tage, werden Wir entscheiden, was einer Rettung würdig ist.“

Passend zu dieser Phase seiner schriftstellerischen Tätigkeit das dritte Gesetz von Arthur C. Clarke: “Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.” (deutsch: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“). Das dritte Gesetz ist wahrscheinlich sein bedeutendster Beitrag zur Gattung der fantastischen Literatur, zumindest das am meisten zitierte. Und das am meisten überarbeitete – in kritischer Hinsicht oder als philosophische Ergänzung: Andrew M. Butler zitiert in seinem Essay „2001: A Space Prosthesis – The Extensions of Man” (in: Ian Whates and Tom Hunter, ed., „2001: An Odyssey in Words”, 2018) die Variante des amerikanischen Wissenschaftsjournalisten und Herausgeber der Zeitschrift SKEPTIC, Michael Shermer: „Jede hinreichend fortschrittliche außerirdische Intelligenz ist von Gott nicht zu unterscheiden.“

China Miéville schreibt in seinem Essay „Once More on the 3rd Law” in demselben Band: „Jede hinreichend fortschrittliche Science-Fiction ist von Literatur nicht zu unterscheiden.“ Und weiterhin: „Jede hinreichend fortschrittliche Literatur muss von Science-Fiction nicht zu unterscheiden sein.“

1.000 Jahre später

Im Jahre 1997 erschien der letzte, von Clarke im Alter von achtzig Jahren allein geschriebene Roman, „3001 – The Final Odyssey“ als vierter Band in der Reihe „Space Odyssey“. Ich war damals von dem Titel sehr angetan, als ich das Buch sofort nach Erscheinen des englischen Originals in Deutschland kaufte und las. Dies war zu einer Zeit, als es noch kein Internet und kein Amazon gab und nur ausgewählte Buchhandlungen diese in ihrem Sortiment führten und nur wenige große Buchhandlungen überhaupt englische Titel bestellen wollten. Ich habe das Buch seinerzeit bei einer großen deutschlandweiten Buchkette gekauft – und war enttäuscht. Was hatte ich erwartet? Eine grandiose Erzählung mit völlig überraschenden Wendungen in weite Räume und Zeiten vielleicht und einem philosophischen Duktus, der dem Leser neue Erkenntnishorizonte vermittelt. Einen überragenden finalen Clarke eben, wahrscheinlich.

Der Anfang war äußerst vielversprechend, der tote und am Ende des Sonnensystems in die Unendlichkeit treibende Astronaut Frank Poole aus „2001“ wird geborgen und wiederbelebt und taucht in die menschliche Zivilisation eintausend Jahre nach unserer Zeit ein. Dort begegnet er den technischen und kulturellen Innovationen der Menschheit der Zukunft, und dies ist tatsächlich eine der Stärken von Clarke. Der Schutz der Natur hat eine neue Ebene erreicht, es gibt viel mehr Schutzgebiete als im zwanzigsten Jahrhundert. Die Kommunikation der Menschen hat sich völlig verändert, sie tauschen sich über sogenannte Kom-Paks aus, also über Armbänder, die mit dem globalen Kommunikationssystem verbunden sind. Clarke beschreibt hier – am Anfang der Zeit des realen Internets – die Möglichkeiten eines wirklich weltweit verfügbaren, funktionierenden und inspirierenden zukünftigen Internets. Die wirklich interessante Kommunikationsverbindung zwischen den Menschen und ihren Computern läuft allerdings über den sogenannten Zerebralhelm, der als „Traummaschine“ Teil des Alltagslebens geworden ist. Daten in der Größenordnung von einem Petabyte – zehn hoch fünfzehn Byte – erlauben, „alles aufzuzeichnen, was ein Mensch zwischen Geburt und Tod erlebt“. Und natürlich auch über seinen Tod hinaus oder noch besser, um sein Bewusstsein in einem Datenspeicher ewig weiterleben zu lassen.

Es gibt den Fahrstuhl in den Weltraum hin zu den geostationären Raumstationen und neue Energietechnologien, auf die Clarke selbst in früheren Erzählungen oder in wissenschaftlichen Abhandlungen hingewiesen hatte, beispielsweise die Nutzung der Vakuumenergie und das damit verbundene Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe. Überhaupt ist Clarke vielfältig kulturell, politisch und bezogen auf Religionsfragen unterwegs, und manchmal sehr radikal. Die Religion wird im Jahre 3001 „als Nebenprodukt der Angst“ völlig abgelehnt – „Zivilisation und Religion schließen sich aus“ -, die Beschneidung von Jungen wird als Blasphemie angesehen. In der Freizeitgestaltung und im Alltagsleben hat sich viel getan.  Die Menschen haben das eigene Fliegen wie ein Vogel als Freizeitsport entdeckt. Die Philosophie spekuliert darüber, ob der Mensch eine Panne der Evolution ist bzw. durch den Monolithen in der Olduvai-Schlucht vor vier Millionen Jahren auf eine falsche Spur gesetzt worden ist. „Kein anderes Lebewesen foltert seine Artgenossen. Sind wir eine Panne der Evolution – eine genetische Katastrophe?“

Alles ist anders geworden und doch so vergleichbar mit dem Zeitalter der Menschen vor eintausend Jahren in unserer Gegenwart. Wir erkennen unser Wesen, sehen unsere Gegenwart und staunen über die magischen technischen und kulturellen Veränderungen des Lebens unserer Nachkommen. Hier ist Clarke wirklich gut und inspirierend, und im Übrigen sehr ähnlich wie sein Nachfolger Cixin Liu in der Trisolaris-Trilogie. Die Weiten in Raum und Zeit und das grandiose Finale werden auch noch geliefert, aber man kann als Autor wohl nicht immer ein überragendes, alleinstehendes Werk abliefern.

„3001 – The Final Odyssey“ ist ein würdiges Buch am Ende einer langen Schriftsteller-Karriere. Man muss Romane auch immer vor dem zeitlichen Hintergrund ihrer Entstehung mit den gesellschaftlichen, naturwissenschaftlich-technischen und den kulturellen Konstellationen bewerten. Die Rezipienten dieser Werke sollte n aber auch berücksichtigen, dass sie selbst ihre Urteilskraft vor dem eigenen persönlichen Zeithorizont entfalten, also dem eigenen Lebensalter und ihrer Befindlichkeit sowie der Gegenwart, in der sie lesen. So kann sich eine Bewertung verändern, wenn man ein Buch nach 22 Jahren erneut liest und eine andere Verbindung zu sich selbst entdeckt.

Technologische Zukunftsentwicklungen

Arthur C. Clarke äußert in dem Gespräch mit Gentry Lee (abgedruckt in:  in Rick Barba, „Rama – The Official Strategy Guide“, 1996) die Erwartung, bald neue Entwicklungen im Bereich der „Kalten Fusion“ bzw. der „Unendlichen Energie“ zu sehen, die er im Bereich der „Supraleitfähigkeit“ von Materialien sieht und weist darauf hin, dass wir noch keine anerkannte Theorie dazu hätten oder wüssten, wie sie funktioniert, dass aber das Phänomen ihrer Existenz da sei. Dann spricht er über die sogenannte „Nullpunktsenergie“ beziehungsweise die „Vakuumenergie“ oder das „Quantenvakuum“, alles Begriffe für eine Theorie, die etwas über die Energie eines Systems am absoluten Nullpunkt aussagt. Clarke sagt, dass diese „Nullpunktsenergie“ das Sonnensystem bedrohen könnte und dass er bereits viele Male vorgeschlagen habe, dass Supernovae vielleicht das Ergebnis von industriellen Unfällen von Aliens sein könnten. Andererseits bleibt Clarke skeptisch, was (auch seine eigenen) naiven Vorhersagen nach den erfolgreichen Apollo-Missionen angeht. „Nun, ich bezweifele, dass wir vor dem Jahre 2020 auf dem Mars landen werden und dann auch nur, wenn es vorher einige fantastische Durchbrüche in der Antriebstechnologie gegeben hat.“

Auf die Frage, was von seinem fiktionalen Werk überleben würde, sagt Clarke: „Nun, es ist natürlich völlig unmöglich, sich auszumalen, wie die Welt in zweihundert Jahren sein wird. Hätte man sich im Jahre 1795 uns hier vorstellen können? Ob irgendetwas von mir bekannt sein wird, außer einer unklaren Fußnote – oder was immer das elektronische Äquivalent zu einer Fußnote in einigen hundert Jahren sein wird – Ich habe keine Idee. Wenn man sich überhaupt an mich erinnern wird, dann wohl wegen des Clarke-Orbits, nicht wegen meiner Erzählungen. Natürlich würde ich mir wünschen, dass man sich an einige meiner Werke erinnert, sicherlich an meinen Lieblings-Roman ‚Das Lied der fernen Erde‘“.

Tatsächlich beziehen sich immer noch wichtige Autoren, Wissenschaftler und Schriftsteller am Ende der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts auf Clarke, beispielsweise erwähnt Michio Kaku, der bekannte Physiker, Stringtheoretiker und Sachbuch-Autor in seinem Buch: „The Future of Humanity – Terraforming Mars, Interstellar Travel, Immortality and our Destiny beyond Earth” (2018, deutsche Ausgabe: Abschied von der Erde – Die Zukunft der Menschheit. 2019), in dem er die Menschheit auf dem Wege zu einer multiplanetaren Spezies beschreibt, ausführlich die Verdienste von Clarke bei der Erforschung des Weltraum-Fahrstuhls und seiner Beschreibung in dem Roman The Fountains of Paradise“ (1979) sowie seine literarischen Anmerkungen über die Erstbegegnung mit Außerirdischen. Michio Kaku geht übrigens auch auf die von Clarke beschriebene „Nullpunktsenergie“ ein, bestätigt ihre Existenz, die im Labor gemessen wurde, und erläutert die prinzipielle Verfügbarkeit für die zukünftige Raumfahrt der Menschheit. Das Buch von Kaku bewegt sich – ganz im Sinne von Clarke – an den Grenzen von Wissenschaft, Technologie und Fiktion – und ist damit ebenso eine Art Weiterführung der Arbeiten von Arthur C. Clarke.

Fritz Heidorn, Oldenburg

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Dezember 2024, Internetzugriffe zuletzt am 2. Dezember 2024. Titelbild: Large Hadron Collider, Tunnel, Sektor 3-4, Foto: Maximilian Brice, CERN, Wikimedia Commons.)