Die Stadt von rechts

Humangeographische Analysen im Gespräch mit Johann Braun

„Die Idealisierung der mittelalterlichen Gesellschaft, die deutsche Konservative mit Romantikern wie Novalis und Hölderlin teilte, sucht im internationalen Vergleich jedoch ihresgleichen.“ (Thomas Biebricher, Können Konservative verzichten? in: Merkur 11/2024)

Ob Rothenburg ob der Tauber oder Berliner Stadtschloss. Beide bieten genügend Anlass zur Romantisierung vergangener Epochen. Die Humangeographie befasst sich mit solchen Bildern, die letztlich als Politisierung von Kunst und Kultur gesehen werden können, in diesem Fall von Architektur. Dies ist auch Thema der Arbeiten von Johann Braun, Humangeograph an der Universität Heidelberg. Mit der Arbeit „Stadt von Rechts“ wurde er 2022 an der Universität Erlangen-Nürnberg promoviert. Dort hatte er Kulturgeographie, Soziologie und Publizistik studiert. Er verknüpft historische, geographische und kulturelle Gesichtspunkte und stellt dabei fest, dass es neben romantischen Verklärungen einer mittelalterlich anmutenden Architektur bei der neuen Rechten auch technologische Visionen gibt, die jedoch ebenso antidemokratisch sind wie die Verklärung der Vergangenheit. Er befasst sich mit raumbezogenen Aspekten der Politik beziehungsweise der Politisierung von Raum, auch mit demokratischen und partizipativen Bauprojekten. Der Berliner Verbrecher Verlag hat die Dissertation in einer gekürzten und aktualisierten Fassung im Jahr 2024 veröffentlicht.

Stadt gegen Land – Ost gegen West

Johann Braun. Foto: privat.

Norbert Reichel: Stadt und Land werden in vielen politischen Debatten als Gegensätze positioniert. Der fortschrittlichen und liberalen Stadtbevölkerung stehe die rückständige und illiberale Landbevölkerung gegenüber. Als Beleg werden unter anderem Wahlergebnisse der AfD genannt. Sie haben in Ihrem Buch „Stadt von rechts“ belegt, wie einseitig eine solch vereinfachende Sicht der Dinge ist. Auch in den Städten gibt es genügend Anknüpfungspunkte für die neue Rechte. Der Vollständigkeit halber: auch auf dem Land gibt es viele Menschen, die alles andere sind als illiberal und rückständig.

Johann Braun: Ich habe zunächst den Stadt-Land-Gegensatz als einen populären Erklärungsansatz für den Erfolg oder Misserfolg der heutigen Rechten aufgegriffen. Am Anfang des Projekts hat mich das umgetrieben, weil dieser Gegensatz in Deutschland neben den Ost-West-Gegensatz gestellt wurde. Das waren die beiden räumlichen Erklärungsmuster. Zur gleichen Zeit gab es in der Humangeographie bereits eine Debatte, wie vereinfachend diese Gegensätze sind und welche Möglichkeiten es gebe, eine raumbezogene Erklärung für den Erfolg der neuerlich erstarkten Rechten zu erarbeiten. Ich wollte mir daher anschauen, welche räumlichen Dimensionen diese Rechte selbst sieht, und habe dabei festgestellt, dass diese polarisierenden Erklärungsversuche die Stadt außen vor lassen. Es wird angenommen, die Rechte hätte eine ausgesprochen ausgeprägte Stadtfeindschaft, die zu einer Art Eskapismus führe, Eskapismus aufs Land, Eskapismus dorthin wo angeblich auch rechts gewählt würde. Das führt dazu, dass die Stadt ausschließlich als demokratisch und liberal betrachtet wird.

Mein Buch beruht auf einer mehrjährigen Analyse von Zeitschriften aus der recht vielfältigen rechten Medienlandschaft. Die Zeitschriften, die ich ausgewählt haben, können den Begriff der politischen Rechten noch etwas differenzieren. Ich spreche einmal von der politischen Rechten als organisiertem Teil der neuen Rechten, im Unterschied zur radikalen Rechten, mit der ich eher einen Phänomenbereich oder eine Praxis bezeichne. Aber auch hier gibt es ein Spektrum.

Norbert Reichel: FPÖ und AfD auf der einen Seite, Identitäre Bewegung auf der anderen?

Johann Braun: Nein, beide würde ich der politischen Rechten zuordnen. Radikal rechts kann auch die Alltagspraxis in Betrieben, in Schulen sein, wenn dort Personen bestimmte rechte Positionen vertreten. Diese Personen gehören erst dann zur politischen Rechten, wenn sie sich organisieren.

Die Zeitschriften, die ich analysiert habe, sollen das Spektrum der politischen Rechten in der Breite repräsentieren. Das fängt im Neonazismus an. Es geht weiter in der sogenannten Neuen Rechten, die ich die kulturpolitische Rechte nenne, die einen „metapolitisch“ genannten Ansatz vertritt, über das Kulturelle, das Vorpolitische politische Inhalte in die Breite tragen will. Dafür stehen Zeitschriften wie Sezession, CATO, auch die Zeitschrift der Identitären Bewegung oder die kulturpolitisch besonders prägnante Zeitschrift Tumult. Das Spektrum reicht bis in ein rechtskonservatives Milieu. Da ist Tichys Einblick repräsentativ.

Man kann die Zeitschriften in diesem Spektrum daran unterscheiden, wie deutlich die Texte einen biologistischen Volksbegriff verwenden, wie deutlich rassistisch, wie deutlich antisemitisch, welche politischen Strategien entworfen werden. In der Frage der Problematisierung von Stadt vertreten sie ähnliche Positionen: Die Stadt ist kulturfremd, liberal und demokratisch geprägt, baulich verkommen, sie sind überbaut und zerstört worden. Wenn man tiefer hineinschaut, sieht man die Unterschiede. Neonazistische Zeitschriften pflegen viel deutlicher eine biologistische Position, sprechen von „Degeneration“, ergehen sich in Vertreibungsfantasien, sagen deutlich, wer raus muss aus der Stadt. Sie beziehen ihre Ideale viel offener auf den Nationalsozialismus. Kulturpolitische Zeitschriften stellen zumindest im Vordergrund „Kultur“ als etwas zu Verteidigendes hin. Viel wird auch mit Begriffen wie „Sicherheit“, „Überfremdung“ argumentiert. Dies wird immer auf einen kulturellen, weniger auf einen biologischen Unterschied zurückgeführt. Diese Trennung ist jedoch nicht immer zu halten.

Reaktionärer Modernismus (Jeffrey Herf)

Norbert Reichel: Ich darf aus Ihrem Buch zitieren: „Lokalspezifische Aushandlungsprozesse des Politischen in Stadt und Land verschwinden hinter Vorstellungen liberaler Städte und regressiver Dörfer.“ Sie berufen sich auf diverse Autor:innen, beispielsweise Doreen Massey und Jeffrey Herf.

Johann Braun: Ich habe herausgearbeitet, wie die radikale Rechte Stadt sieht, in ihrer Geschichte ebenso wie in der Gegenwart. Der große übergeordnete Befund lautet: Es gibt zwar eine Stadtfeindschaft, aber der Gegensatz von Stadtfeindschaft und Eskapismus aufs Land ist falsch. Die Stadtfeindlichkeit ordnet sich ein in den üblichen kulturpessimistischen, rassistischen, antifeministischen Duktus. Gleichzeitig gibt es eine große Lust, Stadt zu regulieren, zu kontrollieren, zu „reinigen“. Es gibt in der politischen Rechten ferner ein großes Interesse, Stadt ernst zu nehmen, als Mobilisierungsgebiet, als Ort, der Aufmerksamkeit verspricht, als Aufmarschgebiet, aber auch als Frontstellung im gesellschaftlichen Kampf. Diese Ambivalenz konstituiert das Bild von der Stadt von Rechts.

Norbert Reichel: Mich hat die positive Sicht der Stadt der rechten Seite an den italienischen Futurismus erinnert, der im italienischen Faschismus eine wichtige Rolle spielte. Die futuristischen Manifeste von Marinetti sprechen eine eindeutige sehr technikfreundliche Sprache, beispielsweise im Lob des elektrischen Lichts oder dem Vergleich, dass ein Rennauto viel wertvoller wäre als die Nike von Samothrake. All das findet er nicht im bäuerlichen Italien, sondern in den Städten.

Johann Braun: Gerade faschistische Bewegungen – nicht nur in Italien, dort aber sehr ausgeprägt – haben diesen Schritt zum Modernismus gemacht. In Deutschland propagierte dies beispielsweise Ernst Jünger, der sagte, der völkische Nationalismus der Vorkriegszeit sei in romantischen Ideen verhaftet. Er könne mit den modernen Entwicklungen nicht Schritt halten. Jünger leitet dies aus seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg und dessen technischer Zerstörungskraft ab. Andere Autoren gehen anders vor, zum Beispiel Werner Sombart oder Oswald Spengler. Sie alle eint jedoch die Idee, man müsse die romantische Idee der Naturverbundenheit mit den Vorzügen der Ersten Moderne versöhnen, der Technik. Bei Spengler ist der Ingenieur die Figur, die Deutschland nach dem Untergang des Abendlandes in die Zukunft bringt. Das bringt Jeffrey Herf mit seinem Begriff des „reactionary modernism“ auf den Punkt. Es geht nicht um eine liberale Moderne, sondern eine rein technische und rationale Moderne.

Norbert Reichel: Die romantische Idee stelle ich mir etwa vor wie ein universelles Rothenburg ob der Tauber.

Johann Braun: Genau das. Das gerne fast schon mythisch verklärte Rothenburg ob der Tauber ist verloren gegangen. Aber auch das Bäuerliche spielt eine zentrale Rolle, der Begriff der Scholle, auf der der Bauer sitzt, Verantwortung zeigt, nah an den Jahreszeiten lebt. Das meint in rechten Diskursen Naturnähe oder Verwurzelung. Der Begriff des „reactionary modernism“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Bilder des ländlichen Lebens nicht mehr wirkmächtig wären. Deshalb spreche ich hier von Versöhnung. Wirkmächtig sind diese Bilder bis heute. Auch die AfD kann mit Ländlichkeit Agrarromantik mobilisieren. Gleichzeitig vertritt sie eine marktradikale und technikaffine Linie.

Kulturkampf um die Architektur

Norbert Reichel: Wie müsste eine Stadt aussehen, die der Rechten gefällt?

Johann Braun: In Bezug auf Architekturpolitik sind die von mir analysierten Zeitschriften sehr bemüht, über Alternativen nachzudenken. Wie könnte die „normalisierte“ Stadt aussehen, wenn die Rechte erst einmal durchregiert. Es gibt Leitfiguren wie Léon Krier, einen Architekten aus Luxemburg, der für Prince Charles Poundbury geplant hat, eine Planstadt im Sinne eines kleinteiligen Bauens nach menschlichem Maß. Er steht für eine sehr konservative bis rechte Architekturdebatte. Das wird immer wiederholt, er wird oft zu Interviews eingeladen. Da wird viel Energie hineingesteckt, weil Architektur etwas Bildungsbürgerliches zu sein scheint, über das man eloquent reden kann. Das ist ein wichtiger Punkt für diese Zeitschriften.

Norbert Reichel: Das schafft Anschlussfähigkeit an intellektuelle Milieus, die nicht unbedingt rechtskonservativ sein müssen. Spielen auch tagespolitische Themen eine Rolle?

Johann Braun: Im rechtskonservativen Spektrum geht es viel um tagespolitische Themen, zum Beispiel Dieselfahrverbote, Umweltauflagen, grüne Infrastrukturen, was das auch immer sein mag, Tempolimits. Auch Sicherheit, Verschmutzung sind Thema. Berlin wird oft die „Hauptstadt der Schande“ genannt, weil sie nicht so funktioniert, wie man sich eine repräsentative Hauptstadt vorstellt. Diese Fragen werden ausgiebig diskutiert. Ich will allerdings auch betonen, dass es hier ein Spektrum gibt, das aber eine gemeinsame ideologische Basis hat.

Norbert Reichel: Ich sehe auf der einen Seite den Wunsch nach einer Art Rothenburgisierung, auf der anderen Seite die Tradition der futuristischen Architektur. Wenn ich mir zum Beispiel in Rom das Viertel EUR anschaue, sieht das doch ganz anders aus als all diese romantischen Träume. Aber Rom ist natürlich auch Hauptstadt eines großen Landes.

Johann Braun: Auf jeden Fall. Das findet sich auch in der NS-Architektur. Die Wohnhäuser für die Masse sollen futuristisch sein, elektrifiziert. Da wohnt die Masse, die Volksgemeinschaft. Diese Unterscheidung wird gezielt gespielt. Es soll eine Stadt entworfen werden, die dem eigentlichen Volk dienen soll. Einerseits werden immer wieder die romantischen Bilder vorgetragen, andererseits gibt es eine schon fast fordistische Vorstellung vom Leben in den Wohnblocks.

Norbert Reichel: Oder auch im Urlaub, siehe die Gigantomanie von Prora. Da macht die Volksgemeinschaft Urlaub. Ließe sich sagen: Romantische Innenstadt – so wie beispielsweise in Frankfurt am Main – und futuristische Außenstadt?

Johann Braun: So konkret ist das nicht. Bei den kulturpolitischen Debatten soll eine Idee transportiert werden, eine Mischung von Gewerbe, öffentlicher Daseinsvorsorge, Konsum und Wohnen. Es wird nicht darüber diskutiert, ob das jetzt Fachwerk sein soll. Die Rede ist von einem traditionellen Bauen. Man kommt ohne moderne Werkstoffe aus wie Glas und Stahl.

Norbert Reichel: Es gibt auch eine ganze Menge Pseudoökologie.

Johann Braun: In einer Zeitschrift aus dem neonazistischen Spektrum, Umwelt & Aktiv, wird das ganz konkret. Das ist nichts Neues. Das sind Ideen aus den 1920er Jahren. Die Stadt wird hier als „künstlich“ gegeißelt. Da fehlt den Menschen der Bezug zum Boden, zu den „natürlichen“ Lebensabläufen. Die Stadt ist zu hell, zu laut, zu wenig grün. Über diese Zuschreibungen wird versucht, Verbindungen und Korridore zu auch in einer größeren Öffentlichkeit präsenten Debatten schaffen, um eine völkische Interpretation zu befördern. Allerdings ist diese Zeitschrift nie über ein völkisches Publikum hinausgekommen. Es ist ihr nie gelungen, Personen außerhalb ihres Spektrums anzusprechen oder gar für Interviews zu gewinnen. Mit dem Titel konnte man sich ganz gut tarnen, aber die Leserschaft blieb immer im Milieu.

Norbert Reichel: Interessant sind in diesem Kontext diverse völkische Landkommunen wie wir sie in Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Niedersachsen vorfinden. Inzwischen gibt es für vor allem junge Menschen, die dort aufwachsen, vom Staat geförderte Ausstiegsprogramme. Oder schauen Sie sich den Lebensstil von Götz Kubitschek und Ellen Kositza und ihren Kindern an. Rittergut für die Tradition und Ökologie für die Romantik?

Johann Braun: Das funktioniert im aktuellen Kontext der Krisenbewältigung. Dazu gehören auch rechtsesoterische Bewegungen wie die Anastasia-Bewegung in Sachsen-Anhalt. Ihre Mobilisierungskraft ziehen sie aus der Erfahrung von Krieg, Krise, allgemeiner Verunsicherung. Sie bieten Eskapismus als Lösung: raus aus den alten Lebensstrukturen, raus aus dem alten Alltag, dem alten Berufsleben. Auf einer sehr persönlichen Ebene wird Anziehungskraft entwickelt und man soll dann in die Kommune kommen, das Ganze dann verpackt in einer recht esoterischen Welt. Besonders, aber nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern hat das eine völkische Dimension.

Norbert Reichel: Wie verbreitet ist die Anastasia-Bewegung?

Johann Braun: Für die Gesamtbetrachtung der radikalen Rechten ist das eher ein Randphänomen. Die Bewegung schafft keine Massenmobilisierung. Im gleichen Kontext ist die neue Generation im Neo-Nazismus interessanter, die in der NPD, der JN oder beim III. Weg oder anderen neonazistischen Kaderorganisationen auftauchen. Das führt dann dazu, dass – wie kürzlich in Bautzen zum CSD – Tausende auftauchen, auch aus mehreren Generationen, da stehen Eltern mit ihren Kindern. Das und die AfD sowie die Junge Alternative halte ich für gefährlicher. Anastasia-Bewegung oder völkische Siedler tragen immer auch selbst zu ihrer eigenen Isolation bei. Das heißt nicht, dass vor Ort, in den lokalen Kontexten, in denen es diese Kommunen gibt, es für die Leute, die sich dagegen engagieren, keine großen Probleme mit sich bringt. Sie werden angegriffen, angepöbelt, ihr Eigentum wird zerstört. Außerdem sind die Siedlungen Rückzugs- und Versammlungsorte für rechte Netzwerke bis in den Rechtsterrorismus.

Norbert Reichel: Bei den von ihnen genannten Gruppen, auch bei Gruppen wie den Freien Sachsen, habe ich den Eindruck, dass dahinter kein unmittelbar handlungsleitendes Bild von Stadt und Land steht, sondern eher eine Einstellung, wer dazu gehört und wer nicht. Es kommt dann weniger darauf aus, wie Stadt oder Land aussehen, sondern wer da lebt und nach deren Ansicht nicht dahingehört.

Johann Braun: Ich glaube, das kann man nicht trennen. In meiner Untersuchung habe ich schon gemerkt, dass es eine sehr deterministische Idee von Raum gibt. Raum wirkt aus sich heraus, beeinflusst, wie die Menschen sind, die dort leben. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive würde ich eine solche Idee ablehnen. Ich begründe das auch in meinem Buch. Zur Vereinfachung im rechten Diskurs funktioniert das aber sehr gut. Stadt wird als eine Art Schichtenmodell gedacht. Es gibt eine gebaute Umwelt, diese gebaute Umwelt ist die Arena, die Bühne, auf der soziales Leben stattfindet. Es gibt eine städtische Gemeinschaft, die auf dieser Bühne agiert, und es gibt eine Stadtpolitik, die das kontrolliert. Aus der rechten Perspektive heißt das eben auch, es braucht eine andere Architektur.

Architektur und Städtebau müssten Hand in Hand gehen mit einer „wahren Gemeinschaft“ und diese Gemeinschaft brauche ein Haus. Diese soll und kann nur in einem solchen Haus entstehen. Immer wieder in Sezession und CATO zitiert wird der britische Philosoph Roger Scruton. Er sagt, „wahre Gemeinschaft“ könne nur entstehen, wenn auch die Gegebenheiten dafür da sind. Er meint damit ein kleinteiliges Bauen, durch das „echte Nachbarschaft“ entsteht, wo die Wege kurz sind, der elterliche Betrieb direkt neben der Wohnung liegt, die Kinder nicht weit zur Schule gehen müssen. Dahinter steht schon eine romantische Idee von Stadt. Hinzu kommt, dass diese „echte Nachbarschaft“ nur entstehen kann, wenn dort nur Gleiche wohnen. Und dies bedeutet: Massenvertreibungen. Den Begriff der „Remigration“ gab es damals in den Zeitschriften, die ich analysiert habe, noch nicht. Heute würde die Rechte von „Remigration“ als Voraussetzung einer „Normalisierung“ von Stadt sprechen.

Bauen ist immer politisch

Norbert Reichel: In Sachsen-Anhalt hatten wir die Debatte um das Bauhaus auf der Grundlage eines Antrags der AfD im Landtag vom Oktober 2024. Der Antrag wurde von allen anderen Parteien im Landtag im November 2024 abgelehnt.

Johann Baumann: Der Titel des Antrags sagt eigentlich alles: Die AfD bezeichnete das Bauhaus als „Irrweg der Moderne“. Das ist etwas, das in den kulturpolitischen Zeitschriften schon immer zu lesen war. In Sachsen-Anhalt besteht ohnehin eine besondere Nähe der Partei zur kulturpolitischen Rechten. Der Weg von Kubitscheks Esszimmertisch ins Parlament ist nicht weit.

Das Bauhaus wird als problematisch gesehen, weil es aus der Sicht der Rechten für eine totale Moderne steht. Aus ihrer Sicht ist das Bauen etwas Unpolitisches, eine Tätigkeit, eine Praxis, die sich an Geschichte, Traditionen und Natur orientieren müsse. Bauen ist also überhistorisch. Es kann dann keine Moden geben, keine verschiedenen Stile. Aus dieser Warte ist das Bauhaus ein Problem, weil es eine grundlegende Reform des Bauens und des Lebens wollte. Deshalb wird das Bauhaus immer kritisiert, es wäre „total“, hätte eine Ideologie geschaffen, wolle einen „neuen Menschen“ schaffen und alles Traditionelle abschaffen. Da ist schon etwas dran, denn die Idee des Bauhauses ist in Teilen revolutionär. Die Rechte sagt, nur das Bewährte wäre gut.

Norbert Reichel: Was auch immer das sein mag.

Johann Braun: Es gebe eben ein überhistorisches Ideal und damit hätte – so die Rechte – das Bauhaus gebrochen. Deswegen wäre auch jeder Bezug auf das Bauhaus ein Problem, weil es dabei nicht nur um eine bestimmte Ästhetik, sondern auch um eine bestimmte Idee des Menschen gehe. Der Mensch, der Alltag sollen entsprechend geformt werden. Da wird ein Schreckbild aufgebaut.

Bauen ist aber nie unpolitisch, egal welches Bauen, und vollzieht sich in einem historischen Kontext. Wir können beim Autobahnbau, beim Straßenbau anfangen, weil es eine bestimmte Mobilität als Standard setzt. Die Autobahnen hängen sehr stark an einer fossilen Idee. Die Fahrradwege hängen sehr stark an einer ökologischen Idee von Mobilität, Lärm- und Schadstoffreduktion. Infrastruktur ist politisch. So sind es auch Häuser.

Das Berliner Stadtschloss ist politisch, weil damit ein bestimmtes Bild von Geschichte ins Herz von Berlin gepflanzt wurde, weil damit koloniales Erbe, postkoloniale Strukturen in der Gesellschaft berührt werden. Wohnungsbau ist politisch, weil er eine bestimmte Idee von Wohnen manifestiert, Eigentumsverhältnisse zum Beispiel.

Norbert Reichel: Das Eigenheim, das Häuschen im Grünen, ist in Deutschland auch so etwas wie ein Kulturgut, von dem viele offenbar träumen. Die steigenden Bau- und Energiepreise führten dazu, dass die BILD-Zeitung unkte, niemand könne sich mehr ein Eigenheim leisten und deshalb müsse man die Regierung abwählen. Umgekehrt: Plattenbauten, Großsiedlungen, wie man sie im Westen wie im Osten baute, um ausreichend Wohnraum zu schaffen, haben ebenso ihr eigenes Framing. Im Osten wohnten in den Plattenbauen alle gesellschaftlichen Schichten nebeneinander. Nach dem Mauerfall zogen diejenigen, die es sich leisten konnten, weg, und es blieben diejenigen, die dies eben nicht konnten. Die Plattenbauten wurden zu einem Negativbild für die einen, die sich über den Osten aufregten, zu einem Bild der Vernachlässigung und Ignoranz durch „die da oben“ für die, die dortgeblieben waren. Im Osten kommt dann das Schreckbild hinzu, es könne eines Tages dort so aussehen wie in Duisburg, weil dort irgendwann Migrant:innen die Mehrheit bildeten beziehungsweise, so wie man sich in der Rechten Duisburg vorstellt.

Johann Braun: Es fängt schon mit der Planung, der Städteplanung, der Infrastrukturplanung an, politisch zu sein. Auch die Arbeitsbedingungen auf dem Bau, die gewerkschaftliche Organisation der Menschen, die auf dem Bau arbeiten, sind politisch. Bauen ist unweigerlich politisch, egal wer es betreibt und wie es betrieben wird. Die Rechten sagen, es ist nicht politisch, es ist überhistorisch.

Norbert Reichel: Damit landen wir bei einer Art Territorialismus, bei dem, das Martin Sellner „Ethnopluralismus“ nennt.

Johann Braun: Darin gibt es einen sehr starken Bezug auf das Lokale als Gegenspieler zum Globalen. Das Globale verspricht Einheitlichkeit und Unübersichtlichkeit, Bewegung und Beschleunigung. Das Lokale verspricht Sicherheit. Krisen könnten einfach gelöst werden, weil es dafür immerwährende Routinen gäbe.

Gebäude erzählen Geschichte

Norbert Reichel: Bei unserer Vorbesprechung haben Sie mir das Buch „Bauen am nationalen Haus – Architektur als Identitätspolitik“ von Philipp Oswalt empfohIen (Berlin, Berenberg, 2023). Dort geht es um die politischen Debatten zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, der Potsdamer Garnisonskirche, der Neuen Altstadt Frankfurt, der Frankfurter Paulskirche und der Neuen Meisterhäuser in Dessau. Das war zum Teil schon recht apart, wenn beispielsweise Verfechter des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses von dem Zusammenspiel der Kuppeln von Schloss und Dom sprachen, obwohl es die Domkuppel damals noch gar nicht gab.

Ich erlaube mir eine Passage aus dem Buch von Philipp Oswalt zu zitieren, in der er das „neue Architekturparadigma“ beschreibt, nämlich: „die Vorstellung, dass sich der deutsche Nationalismus der Vergangenheit als Vorbild für die plurale Demokratie eigne. Und die Vorstellung, dass sich diese Geschichte trennen ließe von Militarismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Untertanengeist.“ Es sei den Verfechtern gelungen, die „Gegensätze zwischen Rechtsextremismus und demokratischem Konservativismus zu verwischen.“ Es war schon erstaunlich, wie sich Menschen wie Richard von Weizsäcker, Richard Schröder oder Herfried Münkler, die nun wirklich erhaben darüber sind, irgendwelche Positionen der politischen Rechten zu vertreten, gemeinsam mit ausgesprochen weit rechts angesiedelten Apologeten vergangener Zeiten plädierten. Oswalt beschreibt ausführlich das erratisch-widersprüchliche Verhalten auch von Bundesregierung und Sozialdemokratie. Es ist erschreckend, wie anschlussfähig offenbar das scheinbar traditionalistische Bild der Rechten von Architektur in bürgerlichen Kreisen ist. Die AfD hat jetzt in ihrem Wahlprogramm eine positive Darstellung des Kaiserreichs in den Schulen gefordert. Das passt ganz gut zu der Stadtschlossinitiative und ich bin gespannt, ob diese Geschichtsklitterung Anschluss finden wird.

Das Volkskammergebäude, das im Volksmund eigentlich doch recht liebevoll „Erichs Lampenladen“ genannt wurde und nicht nur der Volkskammer, sondern auch zahlreichen öffentlichen Festen und Tanzveranstaltungen Raum bot, ein eigenes Restaurant hatte, wurde abgerissen. Damit wurde auch ein Stück DDR entsorgt. So verschwand auch der Ort, wo die am 18. März 1990 gewählte demokratische Volkskammer die deutsche Einheit beschlossen hatte. Ich weiß nicht, ob das Gebäude architektonisch besonders wertvoll war, aber es hatte auf jeden Fall einen starken Symbolgehalt. Es bot Transparenz, viel Glas, viel Licht, eine Botschaft, die die DDR als Staat nun ganz und gar nicht auszeichnete.

Johann Braun: Für die DDR war es architektonisch schon ein sehr symbolisches Gebäude. Philipp Oswalt beschreibt sehr schön, dass es seit den 1980er Jahren ein Verlangen nach einer neuen nationalen Erzählung Deutschlands gibt. Diese Erzählung braucht eine Geschichte. Für das rechte, auch das konservative und das sozialdemokratische Spektrum reichte es nicht mehr aus, sich negativ und abgrenzend auf den Nationalsozialismus zu beziehen. Man brauchte einen größeren Bezug. Dieser Bezug wurde an solchen Rekonstruktionsprojekten besonders prägnant, in dem man Deutschland vor 1933 wieder aufbaute. Entlang dieser Gebäude sollte dann Geschichte erzählt werden. Dazu gehören die von Oswalt genannten Gebäude, auch das Dresdner Ensemble mit der Frauenkirche. Trotzdem liegt dort ein Unterschied gegenüber den frühen Rekonstruktionen der 1950er Jahre.

Bei der Potsdamer Garnisonskirche gibt es dann auch eine Debatte um Bundeswehrtraditionen, die Tradition der kaiserlichen Armee, die mit dem berüchtigten Tag von Potsdam nun gar nichts zu tun gehabt hätte. Über diese Gebäude wird eine Geschichte erzählt, wird Politik gemacht. Das macht diese Projekte für ein breiteres Publikum attraktiv, weil gleichzeitig diese Projekte, diese Rekonstruktionen als unpolitisch dargestellt werden. Es gehe doch nur um Architektur, um Wiederherstellung, um eine bauliche Reparatur. Deswegen können bei diesen Projekten sich so viele unterschiedliche Menschen engagieren, die sonst nicht zusammenkämen. Durch den scheinbar unpolitischen Charakter dieser Projekte wird es auch leichter, über eine Neuerzählung der deutschen Geschichte zu reden, die sie anderswo nicht so vertreten könnten. Es gibt manche Politiker in der CDU, in der SPD, auch Vertreter der Bundeswehr, die in ihren üblichen Kontexten womöglich so nicht über Geschichte reden könnten, das aber sehr wohl in den Kontexten der Rekonstruktionsprojekte tun, weil es angeblich doch nur um Architektur und Ästhetik gehe. Letztlich ist es völlig egal, ob hier eine Garnisonskirche wieder aufgebaut wird oder was auch immer. Das sind Symboliken, Metaphern.

Demokratisierung des Bauens

Norbert Reichel: In der Architekturgeschichte gibt es immer wieder Könige, Präsidenten, Staatschefs, die ein Denkmal ihrer Regierungszeit setzen wollten. Mitterand tat das mit der Pyramide du Louvre, in Ansätzen Helmut Kohl mit der Bonner Museumsmeile. Das Brasilia von Oscar Niemeyer oder der Palladianismus in den USA erzählen die Geschichte eines Staates. Zurzeit sehe ich nirgendwo jemanden, der darüber nachdenkt, wie Demokratie gebaut werden könnte. Es gibt immer nur diese Rekonstruktionsprojekte, offenbar mit dem Wunsch nach einem Gestern.

Johann Braun: Das hat sich etwas verschoben. Es gibt natürlich weiterhin Großprojekte, Flughäfen, Wolkenkratzer. Diese haben gerade in autoritären Staaten ihre Symbolik. Diese Großprojekte stehen nicht dafür, wie früher in Brasilien oder auf den Philippinen, postkoloniale Unabhängigkeit zu demonstrieren.

Wenn wir uns die Frage stellen, wo aktuell demokratisches Bauen geübt wird und wo demokratische Werte in Bauprojekte überführt werden, möchte ich sagen, dass sich dies sehr stark von Großprojekten weg- und zu gemeinschaftlichen Projekten hin entwickelt hat. Es gibt eine Bewegung, die aus der Wohnungsnot in europäischen Städten entstanden ist. Es wird genossenschaftlich gebaut, es werden neue Formen des gemeinschaftlichen Planens und Bauens gelebt, gerade in sehr anspannten Miet- und Eigentumsmärkten. Solche Projekte haben hohen Zuspruch und praktizieren eine Demokratisierung des Bauens. Besitzverhältnisse werden neu geregelt.

Es gibt mehrere Projekte in München, die sehr stark auf neue architektonische und ökologische Formen setzen, allerdings auch eher hochpreisig sind. In Heidelberg gibt es mehrere Wohnprojekte für Familien, ein selbstverwaltetes Wohnheim. Es gibt solche Projekte in Berlin. In der Regel mit genossenschaftlichen Vertragsgestaltungen.

Norbert Reichel: Gibt es hier eine Rückbesinnung auf die Wiener Projekte der 1920er Jahre, beispielsweise den Karl-Marx-Hof?

Johann Braun: Zum Teil ja, aber zum Teil gibt es auch eine Abkehr davon. Wien hatte sich durch kommunalen Wohnungsbau ausgezeichnet. Die neuen Projekte sind jedoch in der Regel selbstverwaltete, zivilgesellschaftliche Projekte. Sie haben einen basisdemokratischen Anspruch und gehen von Menschen aus, die auf dem Wohnungsmarkt keinen Platz finden oder die sich einfach ein anderes Wohnen vorstellen, beispielsweise in Mehrgenerationenkontexten leben wollen statt in ihrem bisherigen Einfamilienhaus. Exemplarisch ist das Mietshäusersyndikat, dass dies auch mit einer politischen Außenwirkung verbindet. Es soll eine Wirkung in den Kiez geben, man versteht sich als politisches Projekt, das zeigen will, dass es bei den hohen Mietpreisen auch andere Möglichkeiten gibt zu wohnen. Die Kommunen spielen eine Rolle, beispielsweise in dem sie Auflagen senken oder finanzielle Unterstützung leisten. Die Projekte gehen nicht von den Kommunen aus. Das ist somit kein klassischer sozialer Wohnungsbau.   

Norbert Reichel: Hat die Politik das gemerkt? Ich sehe immer noch Großprojekte, auch wenn diese schon in einer vergangenen Zeit geplant und begonnen wurden. Die Elbphilharmonie ist nun mit gigantischen Kostensteigerungen fertiggebaut worden, der neue Stuttgarter Hauptbahnhof sollte 2021 fertiggestellt werden, aber das wird wohl noch ein paar Jahre dauern. Der Berliner Flughafen hat ebenfalls seine eigene Geschichte, die es in viele Comedy- und Kabarettshows hineinschaffte.

Johann Braun: Man muss unterscheiden. Es gibt natürlich Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie. Man muss aber auch fragen, welche Gesellschaft leistet sich solche Gebäude? Wenn ich mir den Hamburger Mietmarkt anschaue, denke ich, man hätte von dem Geld für die Elbphilharmonie Hundertausende Sozialwohnungen bauen können. Davon hätte die Stadtgesellschaft sicherlich mehr profitiert als von der Elbphilharmonie. Der BER machte vielleicht Sinn aus der Sicht der Flugzeug- und Tourismusindustrie, aber aus gesellschaftlicher oder ökologischer Sicht überhaupt nicht. In München wird über eine neue Startbahn nachgedacht. Da stellt sich die Frage, ob man diese Projekte gegen alle ökologische Vernunft umsetzen sollte? Ich denke nein, aber man sollte sich diese Projekte natürlich genau anschauen. Großprojekte führen immer wieder zu Debatten. Das können Einkaufsmeilen, Malls sein, die schon dazu führen, dass die Kaufpreise und die Mieten steigen, Innenstädte weniger attraktiv für die Menschen werden, die nicht konsumieren wollen oder können. Damit einher gehen oft Vertreibungspolitiken durch private Sicherheitsdienste. Man muss sich schon grundsätzlich über eine andere Planung in Städten verständigen, die demokratischer ist, partizipativer.

Norbert Reichel: Und wie verhält sich die neue Rechte dazu?

Johann Braun: Das ist denen völlig egal. Beteiligungsprojekte interessieren die nicht. Basisdemokratische Verfahren werden als elitäres linkes Projekt abgetan. Die eigentlichen Probleme würden gelöst, wenn wir abschieben und die Liberalen und Linken in den Städten wieder zur Vernunft bringen. Interesse an praktischen Lösungsverfahren besteht nicht. Das sagt sehr viel über den Diskurs aus. Es geht um politische Macht, um Mobilisierung, nicht um die Lösung von konkreten Problemen.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Februar 2025, Internetzugriffe zuletzt am 31. Januar 2025. Titelbild: Das Berliner Schloss mit der sogenannten Humboldt-Box während der Bauzeit im Jahr 2015, Wikimedia Commons.)