He will fix it? Yes, he can!
Das Phänomen Trump und die Krypto-Faschisten
„Die demokratische Fähigkeit, miteinander in aller Uneinigkeit zu streiten, ist unter durchschnittlichen Amerikanern gegenwärtig in einem miserablen Zustand.“ (Jill Lepore in einem Gespräch mit Elisabeth von Thadden in der ZEIT vom 7. November 2024)
Das Gespräch zwischen Elisabeth von Thadden und Jill Lepore fand vor dem 5. November 2024 statt und viele befürchteten gewalttätige Ausschreitungen für den Fall, dass Kamala Harris die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnen würde. Kamala Harris verlor, die Übergabe der Präsidentschaft von Joe Biden an Donald Trump scheint friedlich zu verlaufen. Gleichwohl: Jill Lepore beklagt ein „rhetorisches Wettrüsten“, das mit der Amtsübergabe am 20. Januar 2025 nicht enden dürfte: „Seit den 1970er-Jahren sind die Gefühle eskaliert: Beide Seiten dieser gespaltenen Gesellschaft halten einander wechselseitig für Mörder, die einen, weil sie im Namen der Freiheit Waffen tragen, die anderen, weil sie im Namen der Freiheit für das Recht auf Abtreibung sind. ‚Das ist Freiheit!‘ schreien die einen, und die anderen schreien: ‚Das ist Mord!‘ Und umgekehrt. Der wichtigste Unterschied zu den Wahlen 2020 ist das Urteil des Supreme Court zur Abtreibung, es hat die Dynamik entscheidend angeheizt. Aber deshalb das Ende der Demokratie zu beschwören, ist gefährlich.“
Die Kettenhunde sind los
Genau dies geschieht aber immer wieder, Bücher, die das Ende der Demokratie verkünden, haben schon seit mehreren Jahren Konjunktur, das Ende der Demokratie wird in den Medien immer wieder prophezeit, als gäbe es mit dem Wahlsieg Trumps ein neuerliches „Ende der Geschichte“, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Diese Beschwörung des Untergangs liberaler und demokratischer Politik ist nicht nur gefährlich, sondern grob fahrlässig. Es wäre aber nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich eine Prophezeiung selbst erfüllt. Dem entgehen wir nur, wenn wir uns die Strukturen näher anschauen, die dazu führen, dass autoritäre Politiker:innen von so vielen Menschen in Regierungsämter gewählt werden und Demokrat:innen und Liberale in die Defensive geraten sind. Dabei spielt die gefühlte Wirtschaftskompetenz von Politikern wie Trump eine zentrale Rolle, aber auch anders als seine Wähler:innen denken dürften. Anne Applebaum charakterisierte die Netzwerke der Autokrat:innen als „Autocracy Inc.“ (Untertitel: „The Dictators Who Want to Run the World” , New York, Doubleday, 2024) und beschrieb damit deren Netzwerke, die im Grunde wie ein weltweites Franchise-Unternehmen funktionieren. Trump inszenierte sich schon immer als eine Art Über-Wirtschaftsboss und sein Bündnis mit Elon Musk, Peter Thiel und Jeff Bezos sowie die Auswahl von Unternehmern aus der Öl- und Gasbranche für sein Kabinett bestätigen dies. Böse Zungen sprechen von mafiösen Strukturen.
Mit Faschismus hat das erst einmal nichts zu tun. Für die USA hat Leo Löwenthal in seinem Buch „Falsche Propheten“ („Prophets of Deceit“, 1949, deutsche Ausgabe 1982, Wiederauflage 2021) die Rhetorik krypto-faschistischer Demagogen in den USA analysiert. Till van Rahden wies mich auf ein Dokument der Vollversammlung der Union of Reform Judaism aus dem Jahr 1961 hin, das schon im ersten Satz die Bedrohung auf den Punkt bringt: „We view with increasing concern the growth and militance of ultra-right wing organizations in the United States whose propaganda is anti-democratic and whose techniques of infiltration and slander are calculated to set group against group, neighbor against neighbor.” Das Dokument verweist auf christlich fundamentalistische Gruppen, die John Birch Society, McCarthys Komitee gegen unamerikanische Umtriebe. Das Papier endet mit einem Appell: „Self-respect as human beings concerned for our country’s welfare, and the imperatives of our faith as Jews, compel us to implore the House Committee on Un-American Activities on all occasions to permit men the constitutional right to speak out, to associate and to differ without fear.” Die 1960er Jahre waren die Jahre der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die getriggert durch den Vietnamkrieg weltweit Unterstützer:innen fand.
Ein Name, der in den 1960er Jahren immer wieder in solchen Zusammenhängen genannt wurde, war Barry Goldwater, der sich bei seinen Kandidaturen zum Amt des US-Präsidenten 1960 in den republikanischen Vorwahlen nicht gegen Richard Nixon beziehungsweise bei seiner Kandidatur im Jahr 1964 nicht gegen den demokratischen Amtsinhaber Lyndon B. Johnson durchsetzen konnte. Barry Goldwater war allerdings auch der erste, dem es gelang, in einigen Südstaaten eine Mehrheit unter den weißen Wähler:innen zu erhalten. Ronald Reagan, der Barry Goldwater unterstützte, George W. Bush und Sarah Palin galten ihren Kritiker:innen als Wiedergänger:innen einer solchen eindeutig extrem konservativen politischen Ausrichtung. Inzwischen wählt George W. Bush – so hört man – wie auch ehemalige republikanische Vizepräsidenten wie Dick Cheney und Mike Pence demokratisch, sodass sich daraus durchaus weitere Schlüsse über die Rechtsverschiebung in der Grand Old Party ableiten lassen. Es gibt eine Linie von den Anfängen des Ku Klux Clans zu heutigen faschistoiden Gruppierungen wie den Proud Boys oder den Three Percenters, die maßgeblich an dem Putschversuch vom 6. Januar 2021 zugunsten von Donald Trump beteiligt waren.
Die Gewalt liegt schon in der Sprache, so wie Jill Lepore es sagte. Auch dies ist ein weltweites Phänomen. Eben dies beschreibt Thomas Assheuer in der ZEIT bei seiner Analyse des Endes der sogenannten „Ampel“. Dort waren „alle drei Felder durch jeweils eine Partei und deren ‚watchdogs for values‘ vertreten. Die Wachhunde für die ökologische Integration kamen aus der grünen Hütte, und die Zähne fletschenden ‚watchdogs‘ der Systemintegration (‚Wachstum!‘) liefen an der langen Leine der FDP. Die SPD ließ ihre altgedienten Wach- und Hofhunde immer dann von der Kette, wenn sozialintegrative Werte wie Solidarität und Zusammenhalt auf dem Spiel standen.“ Die größte Gefahr dürfte jedoch von dem messianischen Anspruch ausgehen, den selbst gemäßigte Politiker:innen verbreiten, radikale erst recht.
Aber war da nicht auch einmal große Hoffnung? Barack Obama erhielt, kaum hatte er sein Amt angetreten, den Friedensnobelpreis. Im ersten Teil der Podcast-Reihe der Süddeutschen Zeitung „Old Man Trump“ (auch auf spotify) mit dem Titel „Der Schatz von Mount Kisko“ sprachen Christian Zaschke und Boris Hermann mit Nora Guthrie, der Tochter des Folk-Sängers Woody Guthrie. Am Schluss schauten sie sich gemeinsam ein Video der Amtseinführung von Barack Obama ein, bei der Pete Seeger und Bruce Springsteen die von Woody Guthrie geschriebene Hymne „This Land is Your Land“ sangen. Nora Guthrie sagte, das sei der Zeitpunkt gewesen, an dem der „Backlash“ begann. Christian Zaschke kommentiert: „In diesem maximal glücklichen Moment ist aus Sicht des liberalen Amerika das Unglück bereits mit angelegt: The Empire Strikes Back“.
It’s the economy, stupid, isn’t it?
Inflation, De-Industrialisierung, prekäre Arbeitsplätze, Wohnungsmarkt, Verwahrlosung des öffentlichen Raumes und öffentlicher Institutionen wie beispielsweise der Schulen, spielten bei der Wahlentscheidung sicherlich eine Rolle, nicht zuletzt in den sogenannten Swing-States. Aber ob dies die ganze Wahrheit wiedergibt, wird sich erst bestätigen lassen, wenn auch demokratische Gouverneur:innen wie Gretchen Whitmer oder Tim Walz abgewählt würden. Zur Erklärung des Wahlergebnisses reicht die wirtschaftliche Lage, gleichviel, ob real oder nur gefühlt, nicht aus. Es ist viel fundamentaler. Es geht nicht nur darum, dass man selbst profitiert, es geht eben auch darum, dass andere nicht profitieren. Klassismus ist stärker als das Interesse an einem eigenen Vorteil.
Dies belegen Studien zur Akzeptanz von Welfare / Wohlfahrt in den USA. Martin Gilles hat bereits 1999 in einer Studie festgestellt, dass die grundsätzliche hohe Zustimmung schwindet, wenn Bürger:innen den Eindruck haben, dass vor allem Schwarze Menschen profitieren. Eine weitere Studie von Reverend William J. Barber II und Jonathan Wilson Hartgrove (How Exposing Myths About Race and Class Can Reconstruct American Democracy, Liveright, 2024) zum Thema Immigration bestätigte dieses Ergebnis, das Matthew Desmond unter dem Titel „A Prophet for the Poor“ in der New York Review of Books vorstellte: „Whether they have bought into a kind of zero-sum thinking whereby nonwhite people are lazy and a drain on society, many poor white Americans continue to endorse policy agendas that directly harm them.” Das ist der Hintergrund der „My-Country-First“-Ideologie, so lässt sich auch der Hass auf Migrant:innen erklären, den Trump schürte, indem er sich als der Über-Patriarch inszenierte, der nicht nur die Migrant:innen, sondern auch alle diesen zuschreibbaren Probleme mit einem Schlag beseitigen könnte, sodass die Welt wieder so wird, wie sie mal gewesen sein soll, als Männer noch Männer, Frauen noch Frauen waren und die Wirtschaft die Kirchen im Dorf ließ. Die „Manifest Destiny“ des Jahres 2024 ließe sich vielleicht etwas variieren: „Go Trump, Young Man!“
Der amerikanische Westen hat mit dem Westen der Europäischen Union wenig zu tun. Er ist ein Traum, ein Mythos, durchaus auch eine Wertegemeinschaft, aber eine Gemeinschaft fern liberaler oder demokratischer Werte. Er ist der Traum der Verfechter:innen des zweiten Verfassungszusatzes, der uramerikanische Stärke verheißt, der Traum der Rancher, Viehzüchter und Cowboys. Thea Dorn rezensierte für die ZEIT die Netflix-Serie „Yellowstone“, in der Kevin Costner John Dutton spielt, einen Patriarchen wie er im Buche steht: „Der Cowboy wechselt die Seiten“. Es ist nicht nur eine Wild-West-Träumerei. „In Wahrheit ist Yellowstone ein so fundamentaler, verzweifelt rabiater Aufschrei gegen die Moderne, wie es ihn in Gestalt einer Fernsehserie noch nie gegeben hat.“ Die Familie der Yellowstone-Ranch wird als Opfer der Modernisierung gezeigt. Die Gegner sind „kalifornische Immobilienhaie, Investmentbanker und sonstige Renditemaximierer“. Indigene – die Schwiegertochter John Duttons ist selbst eine Indigene – und weiße Rancher stehen gemeinsam auf der Verliererseite. Der Gegner ist der Staat, Thea Dorn schreibt, der Cowboy habe „seinen Hobbes gelesen“. Und damit ist der Cowboy wieder auf der Gewinnerseite!
Der Clou ist die erfolgreiche Kandidatur John Duttons zum Gouverneur des Staates Montana. „Sollten radikale ‚Degrowth‘-Fantasien in Wahrheit nicht nur im linken, sondern auch im rechten Lager beheimatet sein? Als John Dutton tatsächlich Gouverneur wird, beschließt er noch am Antrittstag ein Bündel an Maßnahmen, die Montana, wie sein ehrgeiziger, juristisch versierter Ziehsohn entsetzt feststellt, wirtschaftlich um 30 Jahre zurückwerfen würden. Duttons Tochter, ehemalige Hedgefondsmanagerin und die spitzeste Wildwestzunge seit Mae West, kanzelt den Bruder mit der Bemerkung ab, dies sei doch ein wunderbarer Anfang – schließlich gehe es darum, Montana um 100 Jahre zurückzuwerfen.“ Man könnte diese treffende Analyse noch zuspitzen: „It’s not the economy, stupid, never.“
Nur wie passt das mit der Wirtschaftsnähe Trumps zusammen? Die Antwort ist relativ einfach: Trump und andere vergleichbare Politiker:innen der radikal(isiert)en Rechten interessieren sich überhaupt nicht dafür, ob sie der Wirtschaft ihres Landes oder gar der Weltwirtschaft nützen. Ihnen geht es um ihren eigenen Vorteil, sodass letztlich Oligarchen, Brot und Spiele ihre Politik bestimmen. Elon Musk, Peter Thiel und Jeff Bezos sind nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Adrian Daub hat die Praxis in seinem Essay „Was das Valley denken nennt“ (Berlin, edition suhrkamp, 2020) beschrieben: „Viele dieser Unternehmen nutzen die Zeit zwischen dem Augenblick, in dem eine neue Methode zum Geldverdienen entdeckt wird, und dem Augenblick, in dem sich der Staat eine Vorstellung davon macht, ob sie tatsächlich im Sinne des Gesetzes ist. Viele dieser Unternehmen haben sozusagen ihr Hauptquartier in dieser historischen Grauzone errichtet.“ Im Grunde spielen Unternehmen und Staat das Spiel von Hase und Igel. Die Unternehmen gewinnen immer.
Vorbild ist möglicherweise – so Adrian Daub – Joseph Schumpeter, der den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ in Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften einführte. Auf diesen Kontext verwies auch Andrian Kreye unter dem Titel „Tabula Rasa“ in der Süddeutschen Zeitung und prophezeite, dass es Trump und seinen Anhänger:innen vor allem um die Zerstörung aller sie hemmenden Institutionen gehe. Das wäre dan die „Kettensägen“Methode von Milei in großem Stil. Der Kapitalismus wird zu einer Art Perpetuum Mobile und jeder Aufsehen erregende Wandel wird gleich als „Revolution“ markiert, daher auch die Vorliebe oligarchischer Kreise für Kryptowährungen, KI und diffuse Weltraumprojekte, all dies mit einem Hauch von Alternativ-Kultur performt wie sie Ende der 1960er Jahre die Hippies verkörperten. Autokraten geben sich gerne das Bild des erfolgreichen Machers, allen voran Elon Musk, der sich als „Maverick“, als eine Art Anti-Establishment inszeniert und den ursprünglichen Hippie in sich sozusagen auf eine neue Stufe gehoben hat. Welcher Inhalt dahinter steht, ist letztlich unerheblich. Es ist die Pose des wirtschaftlichen Erfolgs, nicht der wirtschaftliche Erfolg selbst, der interessiert. So wird dann auch schon einmal jemand gewählt, dessen einziger Programmpunkt von einer Kettensäge symbolisiert wird. Das machen aber auch nicht nur Ultrakonservative und Neoliberale. Erinnert sich noch jemand an Matteo Renzi, der sich als Staatspräsident, damals als Politiker des eher linken Partito Democratico, als „rottamatore“ inszenierte?
Hypermaskulinität
Damit sind wir bei den Aspekten, die eine viel entscheidendere Rolle gespielt haben könnten als die wirtschaftliche Lage. Ist der Trump-Sieg nicht eher Sinnbild einer überkommenen Männlichkeit oder gar „Rache am Feminismus“? Dies fragt Meike Stoverock in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Heutige Männer blieben häufiger ohne Partnerin als Männer vergangener Zeiten und jedes „Nein“ werde als „Zurückweisung“ betrachtet. Die INCELS leiden. Es geht um „die Emotionen von Männern, die Angst vor weiblicher Unabhängigkeit haben. Besonders unter jungen, männlichen Schwarzen und Latinos hat Trump zugelegt. Gruppen, die sich mit ihrer Wahl dem starken Mann anschließen wollen, auch wenn sie real nicht von seiner Politik profitieren werden. Nach einem Bericht der Non-Profit-Organisation Equimundo, die sich für soziale Gerechtigkeit durch Einbeziehung von Männern einsetzt, sind genau diese Gruppen am einsamsten und daher anfällig dafür, von Maskulinisten eingelullt zu werden. Case closed.“ Auch das ist nichts Neues, das hat Kimberley Crenshaw bei ihrer Analyse der Intersektionalität bereits Ende der 1980er Jahre beschrieben. Schwarze Männer und Schwarze Frauen verfolgen nicht unbedingt dieselben Interessen, weiße und Schwarze Frauen auch nicht.
Finton O’Toole hat am 24. Oktober 2024 einen Essay geschrieben, den er im New York Review of Books vom 21. November 2024 veröffentlichte: „The Protection Racket“. Sein Fazit: „The election is hypergendered.“ Finton O’Toole fragt, wie es einem Mann, der wegen sexueller Belästigung, wegen Vergewaltigung vor Gericht zitiert wurde, gelingen kann, sich zum Beschützer der Frauen (aller Frauen!) aufzuschwingen. Die Antwort, „the sex-predator president must be obliterated by the figure of the monstrous woman.” Trumps Wahlkampf beruhte zu einem großen Teil darauf, dass er seine Gegnerin, Kamala Harris, als Monster darstellte, das wegen ihrer Migrationspolitik „Blood on her hands“ habe. Gegen diese Erzählung fand Kamala Harris kein Mittel. „Trump the rapist becomes the defender of women against the sexual violence unleashed by the monstrous-feminine: ‚You will be protected,’ he told women in Pennsylvania on September 23, ‚and I will be your protector’. Trump has, from the beginning of his presidential campaign in June 2015, characterized Mexican migrants as sexual predators: ‚They’re bringing drugs. They’re bringing crime. They’re rapists.” Trump gelang es einfach besser, seine Gegnerin zu dämonisieren, als es ihr gelang, ihn als frauenfeindlichen Sexisten und Vergewaltiger hinzustellen.
In diesem Punkt verbinden sich antifeministische und antimigrantische Erzählungen. Auch das ist nichts Neues. Coco Fusco stellte in derselben Ausgabe des New York Review of Books zwei Bücher vor, die an die lange Geschichte der Zurückweisung, Deportation und Internierung von Migrant:innen in den USA erinnern: „The Crime of Human Movement“. Die USA hatten schon immer ein ambivalentes Verhältnis zu Migrant:innen. Die „Nation of Immigrants“, von der John F. Kennedy sprach (A Nation of Immigrants, New York and Evanston, Harper & Row, 1964), war immer zugleich eine Nation, die sich abschottete. Trump verbindet diese Erzählungen mit seiner Inszenierung der Hypermaskulinität, „he has absorbed it into his personal brand, not only as the savior of America but now specifically as the deliverer of women and girls.” So stark wollen viele Männer sein, die aber vor allem von einer Sache überzeugt sind, dass sie verlieren, wenn Frauen gewinnen. Sind Frauen stark, brauchen sie keine Beschützer mehr, müssen nicht mehr gerettet werden, und Männer sind dann überflüssig: „In a divided culture, all games are zero-sum – if women are gaining, men must be losing.” So erklärt sich auch der maskulinistische Hass auf Trans-Menschen. Diese stehen in ihren Augen für die Auflösung binärer Strukturen, ohne die der Maskulinismus in sich zusammenfallen würde.
Schließlich sollte niemand unterschätzen, dass das Management der Pandemie nicht nur zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hat, sondern mit seinen Nachwehen nach wie vor das Vertrauen in die Demokratie beschädigt. Waren all diese Maßnahmen wirklich notwendig, Masken, Kontaktverbote, Schulschließungen? Auch hier wirkte das Kettenhund-Prinzip. Adam Tooze hält in seinem Buch „Welt im Lockdown – Die globale Krise und ihre Folgen“ (München, C.H. Beck 2021, englischer Titel: „Shutdown: How Covid Shook the World’s Economy“) fest: „Wenn ein politischer Flügel in einer umstrittenen Demokratie radikal von den konventionellen Wahrheitsstandards abwich, wenn man sich nicht einmal auf die Realität einer Pandemie einigen konnte, gab es keinen Grund zu der Annahme, dass ein Wahlgang – ein Akt des kollektiven Zählens – ausreichen würde, um die Frage zu klären, wer regierte.“ Die während der Pandemie verbreiteten Wahrheiten und Unwahrheiten zerstörten den Glauben an den wissenschaftliche Ehrenkodex. Es geht nicht darum, ob Impfen Menschen schädigt, es reicht zu verbreiten, dass es schaden könnte. Es ist dasselbe Prinzip wie mit den Hunden und Katzen in Springfield (Ohio). Es kommt nicht darauf an, ob Migranten tatsächlich die Haustiere der Bewohner:innen von Springfield essen, es kommt darauf an, dass es für wahrscheinlich gehalten werden kann. Und warum sollten man nicht Desinfektionsmittel trinken, um sich vor COVID 19 zu schützen?
In Deutschland taten die geleakten internen Protokolle aus dem Robert-Koch-Institut das Ihre dazu. Mit der Zeit wurden Unzulänglichkeiten, auch Betrügereien bekannt, die sehr schnell von interessierter Seite zu grundlegender Kritik an den demokratischen Institutionen des Staates umfunktioniert wurden. André Brodocz und Hagen Schölzel belegen dies in ihrer Studie „Demokratische Auszeit“ (Bielefeld, transcript, 2024) ausführlich. Bezeichnend die Überschrift des sechsten Kapitels: „Wie Antagonismen in agonale Konflikte transformiert wurden“. Es geht nur noch um den Modus des Kampfes, nicht mehr um Problemlösungen, anders gesagt: der Kampf ist die Lösung. „Aus dieser Perspektive kommt es deshalb für Demokratien nicht auf die konsensuelle Überwindung von Konflikten an, sondern vielmehr darauf, wie sich die Konfliktparteien konstituieren. Demokratien zeichnen sich nach Chantal Mouffe (Agonistik – Die Welt politisch denken, Berlin, edition suhrkamp, 2014, NR) dadurch aus, dass sich die Konfliktparteien gegenseitig als legitime Gegner anerkennen.“
Genau dies geschieht jedoch nicht, denn es gehört zum Selbstbild vieler Amerikaner:innen, dass sie selbst für ihr Schicksal verantwortlich sind. Das ist ihre jeweils persönliche „Manifest Destiny“. Wenn sie jedoch den Eindruck haben, dass sie diesen an sich selbst gestellten und von (vor allem männlichen) Politikern immer wieder propagierten Anspruch nicht mehr erfüllen können, werden sie zu Radikalen, die sich je nachdem mal als „Querdenker“, mal als „Wutbürger“ oder „Selbstdenker“ bezeichnen, mal Verschwörungserzählungen wie denen von QAnon anhängen. Mit solchen Einstellungen kann man wie Robert F. Kennedy Jr. beweist sogar Gesundheitsminister werden.
In Europa hat dieses Denken im Zuge der Pandemie ebenfalls zahlreiche Anhänger:innen gefunden, allerdings sind die Europäer:innen noch nicht so weit, dass sie auch einen Trump wählen würden. Trump hätte in den meisten europäischen Staaten wahrscheinlich nur ein einstelliges Ergebnis eingefahren, aber möglicherweise auch nur deshalb, weil er ebenso wie die verschiedenen Kriege, Migrations-, Klima- und Wirtschaftskrisen als nicht kontrollierbar wahrgenommen wird. Für US-Amerikaner:innen ist er derjenige, der die Kontrolle wiederherstellt, für Europäer:innen derjenige, der Kontrolle zerstört. In Europa gilt Trump als Teil des Problems, nicht als Teil der Lösung. Es wäre allerdings interessant, in diesem Kontext die Entwicklung von Einstellungen bei Brexiteers zu untersuchen, die ja unter dem Motto „Take Back Control“ für den Brexit stimmten. Der (Wieder-)Aufstieg von Nigel Farage und seinen „Reformers“ bei den letzten Wahlen zum britischen Unterhaus lässt Böses ahnen.
Populismus ist noch kein Faschismus – noch nicht
Die Strukturen des Aufstiegs autoritärer Herrschaft und der Hilflosigkeit ihrer Gegner hat Karl Marx in seiner Schrift „Der 18. Brumaire des Louis Napoléon“ analysiert (MEW 8). Marx beschreibt, wie der angehende Autokrat von der Uneinigkeit seiner Gegner profitiert, die nun nicht alle als Demokraten oder Liberale gelten mögen, aber doch zumindest versuchen, die bevorstehende Autokratie zu verhindern. Dies gelingt ihnen nicht, weil sie sich untereinander über den richtigen Weg zerstreiten, wie man den Autokraten bekämpfen könnte. Die diversen Woke-Bewegungen haben in den letzten Jahren einiges zum Verlust an Einfluss auf Seiten der Vertreter:innen einer liberalen Demokratie beigetragen.
Wiederholt sich nach Trumps Wahlsieg nun die Tragödie seiner ersten Präsidentschaft als Farce wie Karl Marx im „18. Brumaire“ formulierte? Oder wird etwa in Umkehrung die damalige Farce zur Tragödie? Meines Erachtens sollten wir uns nicht zu sehr auf Trump konzentrieren, sondern lieber darauf, welche Personen – ich möchte sie nicht „Persönlichkeiten“ nennen, weil dies sie unangemessen aufwerten würde –Trump, den Möchtegern-Autokraten, bejubeln, ähnliche Thesen formulieren wie Trump und in ihren Ländern mit der Schwächung oder gar Auflösung demokratischer Institutionen und Verfahren schon einige Schritte weitergekommen sind.
Adam Tooze warnt in einem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Interview zum Extremismus in der amerikanischen Geschichte davor, es sich zu einfach zu machen: „Gewiss, Trump ist bösartig, seine Rhetorik ist gewaltsam, seine Anhängerschaft ist gewalttätig. Es gibt viele Menschen, die milizartige Vorstellungen haben, Amerika ist eine Gesellschaft unter Waffen. Wenn man das Faschismus nennen will, okay, ich will nicht über Wörter streiten.“ Tooze fährt fort, „dass wir es seit den 1990er Jahren mit einem langanhaltenden Kampf um die Moderne zu tun haben“. Es geht nicht um „Faschismus“. „Der Streit über den Faschismus lenkt ab von der real existierenden und dynamischen Kontinuität des Konservatismus, Nationalismus und der Rassismus in den USA – gegenüber den Native Americans, der versklavten schwarzen Bevölkerung und ‚minderwertigen Migranten‘ – der sich aus dem 19. Jahrhundert nahtlos über die Zwischenkriegszeit in den 1960er Jahren wie im Ku-Klux-Clan fortsetzt. (…) Hierin liegt die perfide Gefahr einer ‚Entschärfung‘ des Begriffs: Wenn wir Trumps Bewegung als ‚faschistisch‘ bezeichnen, mag das den Anschein erwecken, als hätten wir eine Blaupause, wie man ihr begegnet. Doch die Wurzeln dieses Phänomens sind zäher. Menschen in den segregierten Großstädten oder tief im Süden des Landes, wenn sie Schwarz oder eine Frau sind, erleben dieses Gesicht Amerikas immer wieder. Wir sehen das hässliche Gesicht Amerikas.“
Wie dieses Gesicht ausschaut, sehen wir beispielsweise in Florida, wo Ron de Santis und seine Proxys wie beispielsweise die „Moms for Liberty“ für eine Menge an Geschichtsklitterung in Schulen und Hochschulen zu sorgen bestrebt sind. Das Regime von Ron de Santis hat durchaus Züge einer schleichend totalitären Bildungspolitik, wie sie auch in faschistischen Systemen geschieht: Bestimmte Bücher werden aus den Bibliotheken entfernt, es erwischte sogar das Tagebuch der Anne Frank, das als nicht kindgemäß markiert wurde.
Gleichzeitig steigt aber auch die Nachfrage nach all diesen verbotenen Büchern. Die liberale Demokratie ist noch lange nicht tot! Liberale und Demokrat:innen können sich weiterhin äußern, sie werden nicht – wie in Russland, in Belarus, im Iran oder in Nordkorea – verhaftet und auf lange Zeit eingesperrt, nur die Foren, in denen sie auch gehört werden könnten, werden eingeschränkt. Wer wie in Florida in der Schule lernt, dass die aus Afrika nach Amerika in die Sklaverei deportierten Menschen dort Fähigkeiten erworben hätten, die sie vorher nicht hatten, Sklaverei also so etwas war wie ein Ausbildungsbetrieb, wird irgendwann nicht mehr über Rassismus sprechen wollen. Wer in der Schule nichts über Klimakrise und Klimawandel lernt, wird sich nicht unbedingt von sich aus für den Klimaschutz begeistern können.
Rechter Pragmatismus
Populismus und Extremismus bedrohen die liberalen Demokratien nicht erst seit gestern. Es ist lediglich die Frage, unter welchen Umständen sie wie viel Erfolg haben beziehungsweise zu haben drohen. In einigen Fällen disziplinieren sie sich, wenn sie einmal die Regierung übernommen haben, wie beispielsweise bei Giorgia Meloni und den Fratelli d’Italia in Italien zu beobachten. Ob das so bleibt, ist natürlich nicht ausgemacht. Vergleichbar ist das Vorgehen Giorgia Melonis vielleicht am ehesten mit dem Vorgehen von Juan Perón in Argentinien, der eine hohe Popularität genoss, nicht zuletzt im Tandem mit seiner Frau Evita. Giorgia Meloni wirkt mitunter wie Juan und Evita Perón in einer Person.
Es lohnt sich der Frage nachzugehen, wann und wie rechts- (oder links-)populistische Parteien und Organisationen zu faschistischen Bewegungen werden. Doch um dies zu erörtern, müsste man zunächst definieren, was überhaupt Faschismus ist. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil „Faschismus“ inzwischen zum Kampfbegriff geworden ist, mit dem Personen und Parteien mit eher rechter, gelegentlich auch mit linker Ausrichtung delegitimiert werden sollen, oft zu Recht, oft aber auch so undifferenziert, dass der Vorwurf die eigentliche Bedrohung, die von (wirklichen) Faschisten ausgeht, verharmlost und entwertet. Dies ist eines der Argumente von Adam Tooze in dem oben zitierten Interview. Manchmal funktioniert der Faschismus-Vorwurf auch wie ein Bumerang und alle beschimpfen sich gegenseitig als „Faschisten“, in der Steigerung als „Nazi“, sodass letztlich niemand weiß, was sich hinter diesem Begriff überhaupt verbirgt. Vielleicht sollten wir auch lieber von „Faschismen“ sprechen wie dies Drehli Robnik in seiner Analyse des Faschismus-Begriffs von Siegfried Kracauer vorschlug.
Letztlich ist es unerheblich, darüber zu philosophieren, ob Trump nun ein Faschist ist oder nicht. Wichtiger wäre es zu analysieren, in welchen Punkten er und seine Bewunderer sich wie Faschisten verhalten. Udo Knapp kommentierte am 12. November 2024 in tazFUTURZWEI: „Trump ist kein Hitler. Er ist kein Faschist. Faschisten haben eine Idee, einen systematischen Plan, sie organisieren das Böse, sie sind fanatisch, ihre politischen Techniken sind Gewalt und Hass, sie zielen auf die physische Vernichtung alles Anderen, aller Anderen, alles Verschiedenen. Jene Demokraten, die diese Rhetorik benutzen, bestätigen sich selbst, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, aber vor allem schwächen sie ihre Sache, wenn sie glauben, sie könnten jeden ‚rohen Konservativen‘ mit der Faschistenkeule von seiner Gefolgschaft abspalten.“
Nach der Wahl Trumps finden sich in allen Zeitungen, Podcasts und Netzwerken schlimme und schlimmste Vermutungen über das, was Trump jetzt alles anrichten könnte. Manches wird eintreten, aber es wird auch Überraschungen geben, von denen wir bisher nichts ahnen, im Guten wie im Schlechten. Immerhin konnte Trump, den Abschluss der Abraham Accords in seiner Amtszeit für sich verbuchen, auch wenn er mit seiner Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, wiederum Öl ins Feuer goss. Zweifellos hätten die Abraham Accords eine länger andauernde Friedensphase im Nahen Osten einleiten können. Das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 war nicht zuletzt auch ein Angriff auf Friedensbemühungen von Seiten der arabischen Nachbarstaaten Israels. Die eigentliche Gefahr liegt in Europa selbst. Je mehr wir uns in Europa an Trump abarbeiten, desto weniger wird es uns Europäer:innen gelingen, ein eigenes Profil zu entwickeln und desto erfolgreicher könnten diejenigen werden, die Trump zu ihrem Vorbild erklären, damit nicht unbedingt die Person meinen, wohl aber ein Politikmodell, das in erster Linie auf das Recht des Stärkeren setzt. Insofern ist Trump die autoritäre Version des Neoliberalismus eines Ronald Reagan und einer Margaret Thatcher, ergänzt um die evangelikale Bigotterie der Tea-Party-Bewegung, die inzwischen fast die gesamte republikanische Partei erobert hat.
Populisten oder Faschisten?
Federico Finchelstein hat in seinem Buch „Wannabe Fascists – A Guide to Understanding the Greatest Threat to Democracy” (University of California Press, 2024) aktuelle Politiker wie Donald Trump, Narendra Modi, Jair Bolsonaro oder Viktor Orbán auf den Faschismus-Verdacht hin untersucht und sie mit verschiedenen autoritären Theoretikern und Staatschefs der vergangenen 100 Jahre verglichen. Es ist nicht das erste Buch von Federico Finchelstein zu diesem Thema. 2019 erschien „From Fascism to Populism“ (University of California Press), 2022 „Fascist Mythologies – The History and Politics of Unreason in Borges, Freud and Schmitt” (Columbia University Press).
Finchelstein verbindet seine Analyse mit einer Fülle historischer Beispiele, nicht zuletzt aus den südamerikanischen Staaten. Nicht alle sind Faschisten, viele – dazu zähle ich auch Trump – dürften sich nie damit beschäftigt haben, was eigentlich „Faschist“ bedeutet und was es mit dem italienischen Vorbild Mussolinis auf sich hat. „Faschist“ funktioniert als Kampfbegriff, in der Steigerung mit dem Wort „Nazi“. In dieser Hinsicht pflegen Putin, Trump und manch andere autoritäre Herrscher ein vergleichbares Vokabular. Vielleicht ließe sich der Begriff „Wannabe Fascists“ auch mit „Krypto-Faschisten“ übersetzen. Es kommt nicht unbedingt darauf an, was jemand wünscht zu sein, eher darauf, wie jemand handelt und was er damit anrichtet.
Federico Finchelstein definiert zu Beginn seines Buches seinen Begriff von Faschismus: „Fascism defended a divine, messianic, and charismatic form of leadership that conceived of the leader as organically linked to the people and the nation. It considered popular sovereignty to be fully delegated to the dictator, who acted in the name of the community of the people and knew better than they what they truly wanted. Fascists replaced history and empirically based notions of truth with political myth.” Damit wären wir wieder bei den Hunden und Katzen in Springfield (Ohio) und all den anderen Geschichten bis hin zur angeblich gestohlenen Wahl. Der Hypermaskulinismus hat auch eine väterliche Seite. Trump schützt nicht nur die Frauen, sondern auch die Haustüre und all das, was Familien in ihren schönen Häusern wichtig ist. Und er kennt sogar all die Gefahren, von denen diese noch nicht einmal etwas ahnen!
Finchelstein nennt fünf Kriterien, die zeigen, wann solcher Populismus in Faschismus umschlägt: Die Wahlen sind nicht mehr frei, die unabhängige Presse wird eingeschüchtert, abweichende Meinungen werden delegitimiert, die Gewaltenteilung wird unterminiert, aus Polarisierung wird politische Verfolgung. Im Detail beschreibt Finchelstein diese Aspekte in vier Kapiteln: Gewalt und die Militarisierung von Politik, faschistische Lügen und Propaganda, Politik der Xenophobie, Diktatur. Der faschistische Diktator verkörpert die Herrschaft des Volkes. Eigentlich bedeutet Demokratie Volksherrschaft, aber Demokratie und Volksherrschaft sind zwei völlig verschiedene Politikmodelle, die einander antagonistisch gegenseitig ausschließen. Während Demokratie Minderheiten zulässt, ihnen sogar die Chance gibt, Mehrheiten zu bilden, schließt Volksherrschaft jede abweichende Meinung oder Lebensweise aus. Mitunter gerät Volksherrschaft zur Theokratie. Da unterscheiden sich Evangelikale und iranische Mullahs nicht sonderlich voneinander.
Finchelstein analysiert populistische, faschistische und krypto-faschistische Politiker der vergangenen etwa 100 Jahre in fast allen Erdteilen, mit einem Schwerpunkt in Lateinamerika. Russland und China werden nicht diskutiert, obwohl insbesondere bei Putin zahlreiche Elemente eines faschistischen Diktators zu finden wären, auch wenn Putin als Person weder eine faschistische Ideologie im Sinne des italienischen Grundmusters verfolgt noch sich darauf bezieht. Nicht alle Populisten sind Faschisten. Finchelstein nennt Juan Perón in Argentinien und Getúlio Vargas in Brasilien, Rómulo Betancourt in Venezuela und Víctor Paz Estenssoro in Bolivien: „These populist leaders created a new form of political regime that combined democracy with illiberalism.” Die „illiberale Demokratie“, die Viktor Orbán propagierte, hatte ihre Vorbilder in Lateinamerika! Ein wesentlicher Unterschied zum italienischen und zum deutschen Faschismus beziehungsweise zum Nationalsozialismus waren – so Finchelstein – der fehlende Rassismus und die fehlende Militarisierung der Politik. Es habe auch keine vergleichbare totalitäre Propaganda gegeben.
Im Zentrum stehen Gefühle. Ein zentraler Begriff der Analyse Finchelsteins ist der „Mythos“. „For fascists, violence is transcendental, linking humanity to a heroic mythological world.” An anderer Stelle: „Fascists rooted their violence in myths about past warrior-leaders and their all-or-nothing battles against alien invaders. From Roman emperors to Spanish invaders to Hindu warriors, fascists imagined a history of violence as the mythical foundation for their present.” Das, was Faschisten vertreten, ist oft heilig oder geheiligt, „sacred”. Dies ist auch der Ton der Propaganda und erklärt die Vorliebe rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Bewegungen für „Star Wars“ oder „The Lord of the Rings“. Diese sind noch nicht faschistoid, auch wenn sie faschistoidem Denken naheliegende Ideen transportieren, die es aber noch nicht zu einer geschlossenen Ideologie geschafft haben. Finchelstein argumentiert mit Siegfried Kracauer, der beschrieben habe, dass Faschismus weder ohne Propaganda noch ohne Terror existieren könne. Von ihren Anhängern verlangen Faschisten ebenso wie „wannabe fascists (…) faith and use symbols and language from religion to depict themselves as modern-day saviors, crusaders, and warriors.” Es geht nicht um Wahlen, sondern um Erwähltheit, nicht um Wählen, sondern um Hingabe („devotion“). Der Hobbit als Weltenretter? Zumindest bietet der Hobbit all den vielen Menschen, die eben keine Helden im Leben sind, das Gefühl, auch er könne es schaffen. Er muss sich nur gläubig und voller Hingabe dem großen Führer überlassen.
Faschisten glauben an das, was sie sagen, und sie wollen das, woran sie glauben, in Wirklichkeit verwandeln, während Populisten wie Perón oder Berlusconi ihre eigenen Lügen nicht unbedingt glaubten. Zu den „wannabe fascists“ zählt Finchelstein unter anderem Trump, Bolsonaro, Orbán und Modi, alle nicht unbedingt Faschisten, aber in ihrem Denken und Handeln nahe daran, zum faschistischen Führer zu werden. Um den Führer wird ein Kult betrieben, die endgültige Erfüllung des faschistischen Mythos ist die Diktatur. Carl Schmitt habe zwei Typen von Diktatur unterschieden, eine Übergangsdiktatur, die an den römischen Diktator erinnere wie sie auch Perón verkörpert habe, und eine souveräne revolutionäre Diktatur, die ewig währen solle, in der die jeweilig herrschende Partei als Anti-Partei im Ein-Parteien-Staat bestimme. Rechtsprechung beruht dann nicht mehr auf Normen, sondern auf „political considerations“.
Als Gewährsmann für dieses Konzept von Faschismus nennt Finchelstein den uruguayischen Faschisten Adolfo Agorio, der 1923 postulierte: „A dictator is born, in the same way that poets or musicians are born. Dictatorship is the science of thinking through acts. Hence it is the more objective instrument for the genius.” Daraus ergibt sich eine Art doppelter Körper des Führers, ähnlich der Zwei-Körper-Theorie für die von Gottes Gnaden bestellten europäische Könige und Kaiser bis ins 19. Jahrhundert.
One among many
Mit der Analyse von Federico Finchelstein ließe sich für jeden einzelnen autokratischen Herrscher definieren, ob es sich bloß um einen populistischen oder einen faschistischen, zumindest kryptofaschistischen Herrscher handelt. „Trumpism is part of a global attack on democracy from within democracy. This is what links Trumpism to a new trend of global autocratic movements. This autocratic destruction of democracy from the inside echoes past historical ideologies, such as fascism. Trumps populism is the latest chapter in a long history.” Für diesen Trumpismus braucht man noch nicht einmal einen Trump, denn er verkörpert schlicht und einfach einen Trend: „Trump is one among many.“ Es ist der Trend des „Backlash“, von dem Nora Guthrie sprach, gekoppelt mit dem Mythos einer heilen Welt, die es in der Vergangenheit einmal gegeben haben soll wie beispielsweise der Welt der amerikanischen Cowboys in „Yellowstone“. John Wayne und James Stewart lassen grüßen. Vielleicht ist „The Man Who Shot Liberty Valance“ aus dem Jahr 1962 der amerikanischste aller Western-Filme. Es kommt nicht darauf an, wer tatsächlich Liberty Valance erschossen hat. Es ist der Mythos, der zählt, und deshalb wird der von James Stewart dargestellte Ransom Stoddard Senator in Washington und nicht Tom Doniphon. Als Stoddard den Zeitungen anbietet, die wahre Geschichte nach Doniphons Tod zu veröffentlichen, lehnen diese ab. Wie gesagt: der Mythos zählt, nichts als der Mythos.
Nach dem Amtsantritt von Joe Biden habe ich in dem Essay „Der 18. Brumaire des Donald J. Trump“ darüber nachgedacht, „warum Demokrat:innen einen Strategiewechsel erwägen sollten“. Der Wahlerfolg von Trump am 5. November 2024 beruhte nicht zuletzt darauf, dass Demokrat:innen einen solchen Strategiewechsel nicht vollzogen, möglicherweise nicht einmal erwogen haben. Ähnlich argumentiert Marc Saxer, Mitglied der SPD-Grundwertekommission am Tag nach den US-Wahlen im Berliner Tagesspiegel. Er fordert: „Die westlichen Gesellschaften brauchen eine neue Leitidee.“ Saxer entlarvt die Posen – auf allen Seiten: „Gesellschaftspolitisch will der kalifornische Liberalismus die anti-rassistischen, feministischen und postkolonialistischen Kämpfe aus den Universitäten in den amerikanischen Mainstream tragen. Spirituell ist er in der New Age Kultur der Hippies verwurzelt. Deren Ideale der Selbstverwirklichung passen hervorragend zum neoliberalen Imperativ der Selbstoptimierung. Die eiskalte Leere des Geiz-ist-Geil Kapitalismus wird allerdings mit der Wohlfühldecke von Mindfulness, Meditation und Macha-Latte ummäntelt.“ Im Grunde herrsche „magisches Wunschdenken“. Und Elon Musk und seine Kollegen inszenieren sich – wie Adrian Daub in seinem Porträt des Valley darlegt – vielleicht als die wahren Erben der Hippies, sind so eine Art „anarchistische Bankiers“ im Sinne der Erzählung von Fernando Pessoa aus dem Jahre 1922: „Jawohl, dieselbe Logik, die mir vor Augen geführt hatte, dass der Mensch nicht geboren wird, um zu heiraten oder um Portugiese, um reich oder arm zu sein, dieselbe Logik sagte mir, dass er ebensowenig geboren wird, um solidarisch zu sein, dass er einzig und allein geboren wird, um er selber zu sein, also das Gegenteil von selbstlos und solidarisch, kurz: ein vollkommener Egoist.“ (zitiert nach der Übersetzung von Reinold Werner, Berlin, Klaus Wagenbach Verlag, 1986).
Viel zu viele Fragen vermögen Liberale und Demokraten – so Finchelstein – (zumindest zurzeit) nicht (mehr) zu beantworten: „Wie schafft man Sicherheit in einer Welt nach dem Ende der Pax Americana? Wie verteidigt man die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, wenn der frühere Garant die liberale internationale Ordnung selbst infrage stellt? Wie entsteht Wohlstand, wenn sich Volkswirtschaften voneinander abschotten? Wie bekämpft man die Klimakrise, wenn multilaterale Institutionen blockiert sind? Wie können wir Künstliche Intelligenz zum Wohl der Menschheit nutzen, während der Wettlauf um militärische Anwendungen tobt?“
Anti-Faschisten hätten (nur) dann eine Chance, wenn sie ihre Differenzen zurückstellen und gemeinsam gegen die autokratischen Faschisten antreten. Die radikale Linke kann jedoch die Demokratie genauso beschädigen wie die konservative Seite. Die Diktatur beginnt, wenn der autoritäre Führer mit Armee und Polizei zu herrschen beginnt anstatt auf der Grundlage der Verfassung, also bereit ist, sich in den „Grauzonen“ zu bewegen, von denen Adrian Daub spricht. Aber wie auch immer: Demokraten und Liberale stecken in einer Falle, die sie sich selbst gebaut haben. In ihrer Fixierung auf den Diktator, den Faschisten, den autoritären Herrscher, den sie in ihrem Gegner sehen, spielen sie dessen Spiel, sodass sich dieser als das Opfer inszenieren kann, dem alle Gegner:innen nur Übles wünschten und der deshalb das wahre Opfer ist, dem man beizustehen habe. So kommt eine Marjorie Taylor Greene auch auf den Gedanken, dass Jesus ja ebenso wie Trump ein verurteilter Straftäter gewesen sei.
Trump inszeniert sich als verfolgter Messias im Gewand des fähigen Handwerkers: „Kamala Broke it, President Trump will fix it.“ Der Auftritt Trumps in der Kleidung eines Müllwerkers gehört ebenfalls in dieses Bild. Trump räumt auf. So einfach ist das. In der Dämonisierung der Gegnerin war Donald Trump einfach skrupelloser, geschickter und erfolgreicher als Kamala Harris, so „weird“ er ihr und allen Liberalen und Demokrat:innen auch erscheinen mag. Andererseits ist „weird“ noch ein freundlicher Euphemismus, nicht zuletzt wenn man sich die Crew anschaut, die Trump als Minister:innen um sich schart. Aber vielleicht ist der Spruch „Trump will fix ist“ auch nur die im Jahr 2024 logische Variante des Obama’schen „Yes we can“? Vielleicht ist das die aktuelle Perspektive des „Backlash“, von dem Nora Guthrie sprach?
Norbert Reichel, Bonn
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im November 2024, Internetzugriffe zuletzt am 18. November 2024. Für Rat und Inspiration danke ich Paul Schäfer, der zuletzt im Demokratischen Salon den dreiteiligen Essay „Friedenspolitik nach der Zeitenwende“ veröffentlichte. Titelbild: Woody Guthrie Centre in Tulsa, Oklahoma, Foto: Garnup de Besanez. Wikimedia Commons.)