Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

in der Märzausgabe 2022 finden Sie eine Begegnung, vier Essays, sowie die gewohnten Vorschläge für den Besuch von Veranstaltungen, Ausstellungen und die ein oder andere weitere Lektüreempfehlung.

Ich freue mich sehr, dass ich diesmal zwei Gastbeiträge vorstellen darf, ein Gespräch von Carla Steinbrecher mit dem chilenisch-deutschen Regisseur Alejandro Quintana Contreras zum Thema „Chile in der DDR“ sowie einen Essay zur „Welt des Wladimir Wladimirowitsch“ von Ursula Stark Urresturazu. Meine eigenen Essays befassen sich mit der Ukraine, mit Debatten um die sogenannte „Cultural Appropriation“ sowie mit Aspekten der Ein- und Zuwanderung in Deutschland anlässlich eines dynamischen Erinnerungsortes in Köln.

Das Editorial:

Die deutsche Sprache verfügt über eine Besonderheit, die es in vielen anderen Sprachen nicht gibt: den bestimmten Artikel. Im Plural: „die Juden“, „die Türken“, „die Russen“, „die Chinesen“. Im Singular lässt sich, in der Regel in der männlichen Form verwendet, die damit konnotierte Verallgemeinerung noch steigern: „der Jude“, „der Türke“, „der Russe“, „der Chinese“. Der bestimmte Artikel sorgt im Plural wie im Singular dafür, dass eine Gruppe als fester Block, als Einheit präsentiert wird, in der es keine individuellen Differenzierungen gibt. Es wird der Eindruck erweckt, als gäbe es nur Pro und Contra, als gäbe es keine Ausnahmen, als reichte es, Zugehörigkeit zu einer Gruppe in einer Gattungsbezeichnung zu fixieren und schon wären alle Individuen dieser jeweiligen Gattung erfasst. Hundertprozentig!

Und schon sind wir im Fahrwasser von Diskriminierung, Diffamierung, Rassismus, Antisemitismus, wir sind in einer Welt ohne Abweichungen und Ambivalenzen. Nichts schillert, nichts flackert, es herrscht Eindeutigkeit. Carl Schmitt könnte sich freuen, wenn er noch lebte. Es gibt einen Feind. Vor etwa zwei Jahren war es ein Virus, das allen asiatisch aussehenden Menschen angelastet wurde. Sie waren schuld, „die Chinesen“. Diejenigen, die nicht an das Virus glauben wollten, suchten sich einen anderen Feind und fanden „die Juden“, die angeblich mit einem Impfstoff die Welt beherrschen wollten.

Arina Nâberezhnava, Submissive Chain Swallowing Artist. Das Bild wurde mir freundlicherweise von der Künstlerin und von Ekaterina Makhotina, Universität Bonn, zur Verfügung gestellt. Die Rechte liegen bei der Künstlerin.

Jetzt sind es „die Russen“. Sie sind Putin. Carl Schmitt stünde wohl auf seiner Seite, denn Putin ist derjenige, der den Ausnahmezustand definiert, in dem sich die Welt befindet. Das gefiele Carl Schmitt. Wir leben – so formulierte es Ivan Krastev in der New York Times – in „Putins Welt“. Es wäre eigentlich recht einfach, Putin als den – wieder der bestimmte Artikel – Hauptschuldigen, vielleicht sogar einzig Schuldigen an dem durch russische Truppen in der Ukraine und vorher an anderen Orten, in Aleppo, in Grosny, in Georgien, in Tschetschenien verursachten Leid zu identifizieren. Dass er Unterstützung und Zustimmung braucht, um überhaupt so handeln zu können, wissen viele, doch beschuldigen viele die falschen.

Offenbar neigen viel zu viele Menschen in Deutschland – und so in anderen westlichen Ländern – dazu, die Verantwortung Putins für diesen von ihm befohlenen Krieg all den Menschen zuzuschreiben, die nur in irgendeiner Weise irgendeine Eigenschaft mit Putin zu teilen scheinen, vor allem die, dass sie Russen sind. Schuldig sind „die Russen“. Und das sind unabhängig vom Pass auch all diejenigen, die russisch oder mit einem als russisch identifizierten Akzent sprechen. Sogar Ukrainer*innen, denn viele Menschen in der Ukraine sind Russ*innen und sprechen russisch. Putin hielt sie für Verbündete, doch er täuschte sich. Wir erleben jedoch: russische Restaurants werden angegriffen, russische Künstler*innen inquisitorisch befragt, wie sie es mit Putin halten, russische Kinder, die in Deutschland geboren sind, Kinder von russlanddeutschen Aussiedler*innen werden von Klassenkamerad*innen, Studierende von Kommiliton*innen gemobbt. Es gibt ihn, auch wenn manche es nicht glauben möchten: anti-slavischen Rassismus.

Es ist immer dasselbe Prinzip: Menschen werden ethno-nationalistisch markiert. Da gibt es kein Vertun. Jüdinnen und Juden mussten sich schon immer für die israelische Regierung rechtfertigen, die viele von ihnen gar nicht gewählt hatten und viele auch mangels Staatsbürgerschaft gar nicht wählen können. Menschen mit türkischer Familiengeschichte müssen sich für den türkischen Staatspräsidenten, Amerikaner*innen für Donald J. Trump und seine Unterstützer*innen rechtfertigen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Vielleicht sollten sich Deutsche, genauer: Deutsch-Deutsche, sich vor Augen halten, dass auch sie in manchen Ländern solche Merkwürdigkeiten erleben? Wer reist, wird wissen, wovon ich spreche: dort gibt es sie tatsächlich, „die Deutschen“, oft verbunden mit „die Nazis“.

Gibt es ein Gegenmittel gegen das Virus der – ich verwende den von Wilhelm Heitmeyer geprägten Begriff so problematisch er auch ist – „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“? Was lässt sich gegen solche Kollateralschäden der Rede über den Krieg Putins gegen die Ukraine tun? Vielleicht lohnt sich sogar eine Reflexion über die Frage der „Kollektivschuld“, die die Deutschen für die NS-Zeit immer weit von sich wiesen. Natürlich gibt es per se keine „Kollektivschuld“, schuldig werden immer einzelne Menschen. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zwischen totalitären und autoritären Systemen. Sowjetkommunismus und Nationalsozialismus waren totalitäre Systeme, die von der Interaktion zwischen charismatischen Führern und jubelnden Massen lebten. Aufmärsche, kollektive Feste, Sanktionierung jeden Ausscherens – all das gehörte dazu. Dies ist in autoritär regierten Staaten anders. In Russland gibt es keine Massenbewegung für Putin, es gibt viel Gleichgültigkeit und es gibt drakonische Strafen gegen Protestierende, die aber erst in den letzten Jahren gesteigert wurden, zuletzt mit dem Verbot von Memorial oder der Androhung von bis zu 15 Jahren Haft für Menschen, die sich nicht der von Putin gewünschten Lesart des Krieges anschließen.

Wer die Kriegsschuld „den Russen“, mit dem Subtext „alle Russen“, alle Menschen, die in irgendeiner Form sich der russischen Kultur, der russischen Geschichte verbunden fühlen, zuschreibt, diffamiert all die mutigen Menschen, die in Russland, in Belarus, in der Ukraine und in vielen anderen Orten als Russ*innen gegen den Krieg aufstehen, Menschen, die in Russland höchste Risiken für sich und ihre Familien eingehen. All diese Menschen würdigen wir erst, wenn wir uns um ein differenziertes Bild der russischen Geschichte bemühen. Wir sollten uns nicht scheuen, Putins Ansichten zu widerlegen. Schwer wäre es nicht, wir müssen nur genau hinsehen. Andreas Kappeler schrieb am 10. März 2022 in seinem Essay „Der lange Weg zur Unabhängigkeit“: „Der Hobby-Historiker Putin hat in seinen Darlegungen weit ausgeholt. Wer ihn widerlegen will, muss es ihm gleichtun.“

Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des deutschen Verfassungsgerichts und Vorsitzender des Vereins Für Demokratie gegen Vergessen e.V. bat darum, „sorgfältig“ darauf zu achten, mit welcher Sprache und mit welchen Bildern man über den Krieg berichtet. „Es muss darum gehen, sich von dem, was geschieht, nicht überwältigen zu lassen, sondern mit klarem Kopf die Lage einzuschätzen und nach Lösungen zu suchen, um das große Leiden zu beenden.“ Wir sollten uns alle bemühen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Ob es immer gelingt, weiß ich nicht, aber ich denke, so geht es allen. Vor allem sollten wir uns aber hüten, Russ*innen pauschal zu verurteilen.

Am 2. März nahm die russische Polizei eine alte Dame fest, weil sie gegen den Krieg demonstrierte. Es handelte sich um Elena Osipova, eine berühmte Überlebende der deutschen Belagerung von Leningrad. So viel zum Thema: Putin und der „Große Vaterländische Krieg“. Katarina Niewiedzal, Integrationsbeauftragte des Berliner Senats: „Meine Erfahrung bis jetzt zeigt, dass die russische Community mit der ukrainischen an einem Strang zieht. Gegen die aufkeimenden anti-russischen Ressentiments müssen wir als Staat eine klare Haltung zeigen. Es ist wichtig zu sagen: Es ist Putins Krieg.“ Und die vielen Russ*innen, die für Demokratie und Frieden kämpfen, sind unsere Bündnispartner*innen. Sie kämpfen mit höchstem Risiko, sie riskieren Leib und Leben– meine Leser*innen mögen die militärische Vokabel entschuldigen, aber ich denke, hier passt sie – an vorderster Front.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Rubriken Weltweite Entwicklungen und Treibhäuser: Die Autorin Ursula Stark Urresturazu hat mehrere Jahre an der Universität in Kiew gelehrt. In ihrem Essay „Die Welt des Wladimir Wladimirowitsch – Von Identitätskränkung und Weltordnungskonflikten“ analysiert sie die Vorstellungen Wladimir Putins von einer Weltordnung in seinem Sinne, die er in verschiedenen Medien in den vergangenen Jahren nicht müde wurde zu wiederholen, so auch in seiner etwa einstündigen Rede zu Beginn der Invasion in die Ukraine. Ursula Stark rekurriert auf diverse Texte Putins, von seiner Rede im Deutschen Bundestag im Jahr 2001 über seine in verschiedenen westlichen Zeitschriften und Zeitungen platzierten Namenartikel der Jahre 2020 und 2021 bis hin zu seinen historisierenden Vorträgen vor laufender Kamera in den Wochen vor seiner Anordnung, in die Ukraine einzufallen. Es geht um sein Bild einer neuen Weltordnung, den Mythos einander bekämpfender Machtzentren, Selbst- und Fremdbilder, um seine imperiale Vorstellung russischer Geschichte. Die Autorin plädiert dafür, dass im Westen jetzt alle Optionen auf den Tisch gehören, und alle heißt alle! Anders ließe sich Putin nicht stoppen. Den vollständigen Essay finden Sie hier.
  • Rubriken Weltweite Entwicklungen und Treibhäuser: In meinem Essay „Geliebtes Appeasement – Wie sich die Deutschen in einem Faulen Frieden gefielen“ analysiere ich drei Faktoren, die Putin ermutigten, so zu handeln wie er handelt. In Texten, die in den Tagen zwischen dem 24. Februar und dem 1. März 2022 in diversen Zeitschriften und Zeitungen erschienen, entdeckte ich vor allem drei Themen: die Nicht-Existenz einer kohärenten Sicherheitspolitik des Westens, die Rolle einer legitimierenden oder auch delegitimierenden Geschichtspolitik sowie die Frage nach der Zukunft der freiheitlichen Demokratie in einer Zeit, in der manche den Staat für eine Art Dienstleistungsbetrieb zu halten scheinen. Der Kalte Krieg wurde nicht durch einen Ewigen, sondern durch einen Faulen Frieden ersetzt. Fukuyamas Wort vom „Ende der Geschichte“ gründlich missverstanden. Ob eine „Finnlandisierung“ der Ukraine eine nachhaltig wirkende Option wäre, darf bezweifelt werden. Geboten ist ein offener Diskurs, auch über Worst-Case-Szenarien. Ein offener Diskurs zeichnet Demokratien im Unterschied zu autoritären Systemen aus. Den vollständigen Essay finden Sie hier.
  • Rubriken DDR und Kultur: In ihrem Gespräch mit dem aus Chile in die DDR geflüchteten Regisseur und Schauspieler Alejandro Quintana Contreras, Titel: „Chile in der DDR – geteilte Utopien?“, dokumentiert Carla Steinbrecher inter- und transkulturelle Entwicklungen der Theaterszene in der DDR unter dem Einfluss der nach dem Putsch gegen Salvador Allende geflüchteten chilenischen Künstler*innen. Alejandro Quintana erlebte in der DDR alle Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung als Künstler, die er sich nur wünschen konnte, in den Begegnungen mit Bertolt Brecht und Heiner Müller sowie mit anderen prominenten Akteuren des Theaters. Andererseits erlebte auch er, was das durch eine dogmatische Politik bedingte „Eingeschlossensein“ bewirkte. In dem Gespräch entsteht ein differenziertes Bild der Theater- und Filmgeschichte in der DDR. Wir finden Reflektionen über das in der DDR idealisierte Bild von Spanienkämpfern und Revolutionären in Lateinamerika und anderswo. Im Film „Blonder Tango“ aus dem Jahr 1986 entstand das ambivalente Bild des „Engels ohne Flügel“. Theater, Verkleidung, Masken, Utopien – all dies ergibt ein sehr vielschichtiges Bild kreativer Arbeit in der DDR. Das vollständige Gespräch finden Sie hier.
  • Rubriken Weltweite Entwicklungen und Treibhäuser: In dem Essay „Cultural Appropriation – Orientalismen und Universalismen in einer schwierigen Debatte“ geht es um die Diversität von Erinnerungskulturen. Es wäre schon längst an der Zeit, die Verbrechen der deutschen Kolonialgeschichte zu benennen. Kolonialismus war alles andere als ein Zivilisationsprojekt, er war imperialistisch, genozidär. Unsere Sprache ist verräterisch. Afrika wird zur Metapher für Länder, die eben nicht so sind wie Deutschland, rückständiger, gewalttätiger, unorganisiert. Selbst Weißer Anti-Rassismus tappt in eine pater- beziehungsweise maternalistische Falle. Ein zentraler Begriff der Debatte ist die „Cultural Appropriation“. Aber wie gefährlich ist Kulturrelativismus? Und warum dominiert so oft eine Art Wokeness ohne Juden? Wie ist ein inter- und transkultureller „Polylog“ (Ingrid Jacobs und Anna Weicke) möglich? David Baddiel schlägt in seinem Buch „Jews don’t count“ vor, die Kategorie der „Sicherheit“ in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, Mark Lilla fordert einen „einen universellen Liberalismus, der über die individuellen Identitäten und die Betonung von Stammesdenken (…) hinaus geht und gesellschaftliche Koalitionen bilden kann – Koalitionen wohlgemerkt, nicht Allianzen von Minderheiten.“ Den vollständigen Essay finden Sie hier.
  • Rubriken Migration und Kultur: Wer erzählt die Geschichten der Migration? In Köln gibt es seit über zehn Jahren Planungen für ein Migrationsmuseum, ein „Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland“, kurz: DOMiD. Manuel Gogos hat in seinem Buch „Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft“ beschrieben, wie es dazu kam und wie Kurator*innen, Initiator*innen und viele Interessierte unserer Migrationsgesellschaft einen Ort gestalten, der gleichzeitig Museum, Erinnerungs- und Begegnungsort ist. In meinem Essay „Konkrete Vielfalt Migration“ versuche ich, die diversen Phasen der Ein- und Zuwanderung nach Deutschland auszuloten, die Generation der Gastarbeiter*innen, der Menschen, die Deutschland als Land ihres Exils suchen mussten, die politischen Wirren um die Frage, wie viel Integration und Migration Deutschland vertrage. Grundlegende Dokumente sind das Kühn-Memorandum von 1979, die Empfehlungen der Süßmuth-Kommission von 2001, aber auch die Bemühungen von Armin Laschet als Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, ein integrationsfreundliches Klima zu schaffen. Vergleiche mit Entwicklungen in den USA lohnen sich ebenso wie die Analyse von Filmen, die problematische Geschichten der Migration dokumentieren. Ein Fazit: Migration gibt es ebenso wie Heimat nur im Plural. Den vollständigen Essay finden Sie hier.

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Perspektiven des Religionsunterrichts: Die nächste Veranstaltung mit Beteiligung des Demokratischen Salons: findet am 18. März 2022, 18 – 20 Uhr in Präsenz im Trinkpavillon vor der Stadthalle in Bonn-Bad Godesberg im Rahmen der Internationalen Woche gegen Rassismus statt. Sie ist die zweite einer Veranstaltungsreihe zum Thema Religionsunterricht. Im Oktober 2021 diskutierten drei Religionslehrer*innen aus Judentum, Christentum und Islam (in der Reihenfolge ihrer Entstehung genannt), in der zweiten werden drei Schüler*innen ihre Sicht der Dinge vorstellen. Ich werde auch diese Veranstaltung moderieren. Veranstalter sind die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Bonn sowie der Verein für transkulturelle Bildung ANqA e.V.
  • Bildung für Nachhaltige Entwicklung: Vier Partner, die DASA-Arbeitswelt Ausstellung, EDUCATION Y, UNICEF Deutschland und das nordrhein-westfälische Bildungsministerium laden ein zur Tagung „Ökologische Kinderrechte und Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Termin: 27. April 2022, 9 bis 16 Uhr in Dortmund. Im Zentrum steht die Arbeit der von Education Y initiierten und betreuten Kinderrechteschulen. Ich habe die Aufgabe übernommen, eine Podiumsdebatte am Nachmittag zu moderieren, an der Vertreter*innen aus Wissenschaft, Kommunen, Lehrer*innenbildung und Zivilgesellschaft teilnehmen. In fünf Foren werden aktuelle Projekte vorgestellt. Programm und Anmeldeformular finden Sie hier.

Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe:

  • Deportationen nach Minsk und Riga: Der Erinnerungsort Alter Schlachthof in Düsseldorf bietet am März 2022, 18 Uhr und am 29. März 2022, 18 Uhr zwei Veranstaltungen zu den Deportationen nach Minsk und Riga im Jahr 1941 an. Die Veranstaltungen sind Teil der Reihe „Erinnern heißt Handeln“. Referenten sind Bastian Fleermann und Joachim Schröder. Ob die Veranstaltungen online oder in Präsenz oder ggf. in beiden Formaten stattfinden, wird noch bekanntgegeben. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Sportgeschichte: Die Bundesstiftung Aufarbeitung lädt am März 2022, 19 Uhr, ein zur Online-Podiumsdiskussion „Zwischen Siegpodest und Damnatio Memoriae – Sportlerbilder im 20. Jahrhundert“. Dies ist die erste Veranstaltung einer Reihe zur Instrumentalisierung des Sports in Diktaturen. „Woher rührt die Wahlverwandtschaft von ‚Sport und Diktatur‘ im 20 Jahrhundert, weshalb tut sich gerade die Erinnerungskultur im Sport so schwer damit, die Schattenseiten des eigenen Bereichs anzuerkennen und im Gedächtnis zu halten?“ in der ersten Veranstaltung diskutieren Historiker*innen, u.a. eine Expertin für den Fußball der Ukraine und eine Spezialistin für Mediengeschichte, die auch Mitglied im Beirat für den Nachlass von Leni Riefenstahl ist, ein Sportfotograf sowie eine Goldmedaillengewinnerin von Moskau 1980, die als Nebenklägerin in den Doping-Prozessen der 1990er Jahre auftrat. Partner der Stiftung Aufarbeitung sind das ZZF Potsdam und das Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg e.V.. Weitere Informationen zu allen Veranstaltungen der Reihe finden Sie hier, den Livestream können Sie – auch zu einem späteren Zeitpunkt – hier verfolgen.
  • Antisemitismus: Am 13. März 2022 hatte die „Szenische Collage mit Musik“ mit dem Titel „An allem sind die Juden schuld! Heute anders als vor 100 Jahren?“ im Horizont-Theater in Köln Die künstlerische Leitung und Regie hatte Sophie Brüss, die musikalische Leitung Axel Weggen. Veranstalter ist der Theater- und Musikverein NRW e.V., die Aufführungen werden im Rahmen des Festjahres „2021 Jüdisches Leben in Deutschland“ unterstützt. Zu sehen und zu hören sind Chansons, szenische Lesungen, beispielsweise eine Kurzanleitung, wie jemand Nahost-Korrespondent werden kann, und komödiantisch-nachdenkliche Beschreibungen alltäglicher Merkwürdigkeiten aus Deutschland und Österreich. Weitere Veranstaltungen sind für den 20. März, den 3. sowie 24. April 2022, jeweils 19 Uhr geplant. Karten können im Theater reserviert werden. Die Einnahmen gehen zu 50 % an die Hilfe für geflüchtete Menschen aus der Ukraine der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und der Synagogengemeinde Köln.
  • Eine-Welt-Landeskonferenz: „Gendergerechtigkeit und Empowerment“ sind die zentralen Themen der Landeskonferenz des Eine-Welt-Netzes Nordrhein-Westfalen am 25. und 26. März 2022. Es geht um entwicklungspolitisches Empowerment, insbesondere über feministische Außenpolitik und von Frauen getragene Protestbewegungen, all dies im Kontext von Politik, Klimakrise, Religion, Armut, Rassismus und intersektionaler Diskriminierung. Nach derzeitigem Stand findet die Konferenz in Präsenz in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster statt. Sollte dies nicht möglich sein, wird sie digital durchgeführt. Das Plakat der Konferenz finden Sie hier, zur Anmeldung geht es hier.
  • Filmpremiere „8×2 Jüdische Perspektiven“: Die Uraufführung des Dokumentarfilms „8×2 Jüdische Perspektiven“ findet am 31. März 2022 um 18.00 Uhr (Einlass: 17:30 Uhr | Ende: ca. 21:00 Uhr), im Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf statt. SABRA hat für den virtuellen Methodenkoffer gegen Antisemitismus MALMAD acht Kurzfilme mit 16 Jüdinnen und Juden aus Nordrhein-Westfalen produziert. Der Film zeigt die Quintessenz dieser acht Episoden, er zeigt Begegnungen von jeweils zwei jüdischen Menschen, die miteinander über ihr Leben und ihre Erfahrungen sowie ihre Auffassung über das Judentum sprechen. Nach der Filmpremiere gibt es zwei Gesprächsrunden, eine mit dem Projektteam und zwei Protagonist*innen des Films sowie eine mit Gästen aus der deutschsprachigen Bildungs- und Kulturszene. Die Veranstaltung ist ausgebucht, aber auf der MALMAD-Seite sind einzelne Episoden zu finden.
  • Bettina Wegner: Auf der diesjährigen Berlinale hatte der Film „Bettina“ Premiere, der u.a. von der Stiftung Aufarbeitung gefördert wurde. Der Film kommt jetzt in die Kinos und ich wünsche ihm viele viele Zuschauer*innen. Der Film ist nicht nur ein hervorragendes Zeitdokument, sondern auch die Biographie einer beeindruckenden Künstlerin, die sich in den Wirren der Zeiten stets treu geblieben ist. Der Film verbindet Dokumentation, so auch den (nachgesprochenen) Text der Gerichtsverhandlung in der DDR gegen Bettina Wegner nach ihrem Protest gegen die Niederschlagung des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ in Prag, und Interviews mit Zeitzeug*innen. In dem Film gibt es natürlich viel Musik, auch mit Hintergrundinformationen zum Anlass der von Bettina Wegner meist selbst verfassten Texte.
  • Emotionen: Haus Wasserburg und Germanwatch laden für den 6. bis 8. Mai 2022 ein zu Strategietagen mit dem Thema „Die Rolle von Emotionen in Klimadebatte, BNE und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen“. Es geht um Gefühle, Hoffnungen, die Rolle der Künste, die Sehnsucht nach Veränderung. Eingeladen sind Akteur*innen aus dem Bildungsbereich oder auch aus Jugendverbänden. Weitere Informationen finden Sie hier. Anmeldung ist hier bis zum 20. April möglich.
  • Roma in Ungarn: Am 14. April 2022 um 19.00 Uhr stellt die Kulturwissenschaftlerin Eszter Varsa im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg ihre empirische Studie „Protected Children, Regulated Mothers. Gender and the ‚Gypsy question‘ in state care in postwar Hungary“ vor. Sie analysierte Hunderte von Einzelfallakten aus staatlichen Kinderheimen im frühen sozialistischen Ungarn (1949-1956), die belegen, wie der Staat das Fürsorgewesen nutzte, um Roma zwangsweise in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Eszter Varsa studierte in Budapest Amerikanistik, Anglistik und Gender Studies. Sie war im Jahr 2020 Stipendiatin der Romani Rose-Fellowship der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg und engagiert sich seit 2021 im Projekt “ZARAH” des Europäischen Forschungsrats an der Central European University in Wien.
  • Ausstellung „Experiment in Catastrophe“: Das Deutsche Kulturforum Osteuropa kuratierte diese Ausstellung im Pommerschen Landesmuseum Greifswald. Sie ist noch bis zum 24. April 2022 zu sehen. Am April 2022, 18 Uhr gibt es zum Abschluss ein Podiumsgespräch. Gegenstand der Ausstellung ist die Verhaftung und Deportation von 1.120 Juden*Jüdinnen aus dem Regierungsbezirk Stettin am 12. und 13. Februar 1940. Die künstlerische Intervention der Stettiner Künstlerinnen Natalia Szostak und Weronika Fibich folgt den Spuren einiger Personen, die auf diesen Transport geschickt wurden, auf Grundlage vorhandenen Archivmaterials und bisheriger Forschungsergebnisse. Das Fundament bildet die Aufnahme vorgefundener Zeichen, aus denen sich das damalige Geschehen ablesen lässt. Neben dem Sammeln von Artefakten und der Schaffung eines multimedialen Registers ist der Versuch einer individuellen Erinnerungspraxis Thema, beispielsweise durch Abschreiben, Verlesen, Folgen einer Route. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Leseland DDR: Ab September 2022 steht für die Kultur- und Bildungsarbeit im In- und Ausland bei der Bundesstiftung Aufarbeitung die von Stefan Wolle erstellte Ausstellung „Leseland DDR“ zur Verfügung. Die Schau umfasst 20 Tafeln. Bestellungen sind bereits jetzt möglich. Weitere Informationen finden Sie hier.

Kurznachrichten und weitere Empfehlungen:

  • Demokratiefördergesetz: Bundesinnen- und Bundesfamilienministerium haben am 25. Februar 2022 ein Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz vorgelegt. Dieses Gesetz ist in der vergangenen Legislaturperiode am Widerstand des damaligen Koalitionspartners der SPD, an CDU und CSU, gescheitert. Die Presseerklärung der beiden Ministerinnen finden Sie hier, das Diskussionspapier hier. Dieses gibt Anlass zur Hoffnung, dass die bisherige Projektförderung mit in der Regel jährlich neu zu stellenden Anträgen in eine längerfristige verlässliche Infrastruktur der Demokratieförderung überführt wird, vielleicht sogar nach dem Vorbild von Kinder- und Jugendförderplänen in Bund und Ländern. Letztlich hängt das Gelingen des Vorhabens an den zur Verfügung zu stellenden Finanzmitteln. Der Finanzminister ist sozusagen der Elefant im Raum des Gesetzgebungsverfahrens.
  • KGB und MfS: Am 24. Februar 2022 stellte die Bundesstiftung Aufarbeitung das Buch „Neues vom großen Bruder – Aktuelle Studien zum Verhältnis von KGB und MfS vor. Es diskutierten Jan C. Behrends vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, Irina Scherbakowa vom Wissenschaftlichen Informationszentrum MEMORIAL in Moskau und der Mitherausgeber und Hauptautor des Sammelbandes Douglas Selvage. Moderiert wurde das Gespräch von Ulrich Mählert von der Bundesstiftung Aufarbeitung. Das Gespräch finden Sie hier.
  • Ukraine – Russland – Deutschland: Wer die Veranstaltung des Grünen Salons Dortmund am Februar 2022 nicht verfolgen konnte, kann dies im Nachhinein tun. Thema war: „Kriegsgefahr in Europa: wohin steuert Putin im Ukraine-Konflikt?“. Gesprächspartner*innen von Daniela Schneckenburger waren der außenpolitische Sprecher der grünen Fraktion im Europaparlament Reinhard Bütikofer MdEP sowie die ukrainisch-deutsche Publizistin Marina Weisband. Das Video finden Sie hier.
  • Osteuropäische Literatur: Am 9. März 2022 veröffentlichte die Zeit den Essay von Volker Weidermann „Unsere Ohren waren verstopft“. Osteuropäischer Autor*innen und Kenner*innen der osteuropäischen Wirklichkeiten warnten schon lange vor Putin, doch niemand wollte zuhören. In seinem Essay berichtet er von aktuellen Auftritten von Karl Schlögel und Juri Andruchowytsch sowie von Katja Petrowskaja („Vielleicht Esther“), Nino Haratischwili („Das mangelnde Licht“) und Serhij Zhadan („Mesopotamien“). Den vollständigen Text finden Sie hier.
  • Gesichter der Demokratie – Inge Auerbacher. Am 27. Januar 2022 sprach Inge Auerbacher im Deutschen Bundestag. „Gesichter der Demokratie“ hat ein Interview mit ihr veröffentlicht, Ihre Rede finden Sie hier.
  • Antiziganismusbeauftragter: Die Bundesregierung hat Mehmet Daimagüler zum Antiziganismusbeauftragten bestellt. Mehmet Daimagüler ist einer der führenden Anwälte in Deutschland in der Vertretung von Opfern politisch motivierter Hasskriminalität. Er war Nebenklägervertreter im NSU-Prozess und hat mehrfach Sinti*zze und Rom*nja, die Opfer von antiziganistischen Straftaten wurden, vertreten. Er war Mitglied im Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte und Stiftungsrat der Amadeu-Antonio-Stiftung. Er gehörte der Regierungskommission „Sicherheit für NRW“ (2018-2020) an und ist gegenwärtig Mitglied des Integrationsbeirates des Landes Nordrhein-Westfalen.
  • Nationale Strategie „Antiziganismus bekämpfen, Teilhabe sichern“: Die am 28. Februar 2022 beschlossene Strategie ist der deutsche Beitrag zur Umsetzung der EU-Roma-Strategie 2030. Im Mittelpunkt steht die Bekämpfung des Antiziganismus. Die Empfehlungen der in der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages berufenen Unabhängige Kommission Antiziganismus sind in die Nationale Strategie eingeflossen. Romani Rose verwies auf das Zusammenwirken der Stelle des Antiziganismus-Beauftragten und der Nationalen Roma-Koordinierungsstelle im Bundesinnenministerium: „Diese Stellen müssen personell und finanziell adäquat ausgestattet sein und sie müssen tatsächlich auf politische Maßnahmen, die Sinti und Roma betreffen, treffen können.“ Er forderte eine Bund-Länder-Kommission, die die Umsetzung der nationalen Strategie begleiten sollte. Die Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zur EU-Strategie finden Sie hier.
  • Verschwörungstheorien: Die Anne-Frank-Bildungsstätte Frankfurt am Main hat im Februar 2022 die virtuelle Ausstellung „Matter of Fact – Warum wir an Verschwörungstheorien glauben wollen“, eröffnet. Zu finden sind acht Module mit theoretischen Hintergründen und praktischen Möglichkeiten, sich und andere vor solchen Verschwörungserzählungen zu schützen. Zur Ausstellung geht es hier.
  • Kunstprojekt für saubere Wahlen in Ungarn: In der Tradition von „Artivism“ wollen ungarische Künstler*innen zu sauberen Wahlen am 3. April 2022 in Ungarn beitragen. Ein Motto lautet „Unhack Demokracy“. Bei diesen Wahlen stehen sich die FIDESZ-Partei des amtierenden Ministerpräsidenten und ein sechs Parteien umfassendes Oppositionsbündnis einander gegenüber, durchaus vergleichbar mit der Situation vor den jüngsten Wahlen in Tschechien. Dort siegte das Oppositionsbündnis. Die OSZE hat 200 (in Worten: zwei Hundert) Beobachter*innen nach Ungarn entsandt. Es geht auch um die Zukunft von Kunst und Kultur in Ungarn, die in der „illiberalen Demokratie“ des ungarischen Ministerpräsidenten auf „nationalstrategisch“ bedeutsame Formen reduziert wird. Der Berliner Tagesspiegel berichtete unter dem Titel „Demokratie als Heldengeschichte“.
  • Gewöhnliche Gewalttäter: Viele rätseln, was Autokraten umtreibt. Tanja Maljartschuk, die 2018 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis und 2022 mit dem Usedomer Literaturpreis ausgezeichnet wurde, sieht in ihnen nichts Dämonisches. Sie profitieren jedoch davon, dass ihre Gegner*innen sie fürchten und ihnen dämonische Züge zuschreiben. Sie sind im Grunde ganz „gewöhnliche Gewalttäter ohne jedes Geheimnis“. Sie leben von der Angst ihrer Untergebenen. „Sie manipulieren, kontrollieren, lügen, bluffen, entschuldigen sich niemals, nehmen nie Verantwortung auf sich, zersetzen die Wahrheit, stellen sich als Opfer dar. Obwohl das Ziel ihrer Aggression die Aggression selbst ist, erfinden sie immer einen plausiblen Grund für ihre Gräueltaten. Sie greifen nur dann an, wenn sie denken, das Opfer sei schwach genug.“ Den vollständigen Essay, der am 3. März 2022 in der Süddeutschen Zeitung zu finden war, finden Sie hier.
  • Rassismus als Geschäftsmodell: Im täglichen Checkpoint des Berliner Tagesspiegels fand ich am 3. März 2022 folgende Meldung: „Berliner Mietenwahnsinn: Ein Vermieter bietet ein ‚Mini-Zimmer in Tempelhof‘ für 290 Euro an – es hat vier Quadratmeter. Als jemand nach dem Quadratmeterpreis von 72,5 Euro fragt, erhält er folgende Antwort: ‚Das sind keine 10 Euro am Tag. Und besser als auf dem U-Bahnhof schlafen. (…) Ich gebe denen ein Zimmer, die sonst nichts hier bekommen. Das Zimmer dient als Schlafplatz für Inder und Araber.‘ Übersetzt: Rassismus zum Geschäftsmodell “

(Alle Zugriffe im Internet erfolgten zuletzt zwischen dem 6. und dem 13. März 2022).

Ich wünsche allen meinen Leser*innen viel Gewinn beim Lesen und Nachdenken! Mein herzlicher Dank gilt all denen, die mich auf die ein oder andere der oben genannten Empfehlungen hingewiesen haben oder mich durch Anregungen, Gespräche, Korrekturen so diskussionsfreudig unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf den Demokratischen Salon: hinweisen.

In etwa vier Wochen melde ich mich wieder.

Ich grüße Sie / euch alle herzlich.

Ihr / Euer Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte ich um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.