Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

ich melde mich diesmal etwas früher als im üblichen Vierwochenrhythmus vorgesehen.

Anlass ist die Vorstellung einer Studie zum Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen in einem von RIAS und SABRA durchgeführten Fachtag am 7. September 2020 in der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Ich hatte die Aufgabe, diesen Fachtag zu moderieren, und habe daher vier Beiträge für den Demokratischen Salon vorbereitet, die das Feld aus vier verschiedenen Perspektiven darstellen sollen. Antisemitismus ist keine Erscheinung der letzten Jahre, er hat in Deutschland eine lange unheilige Tradition, eine Tradition der Ignoranz, der Schuldabwehr, der Täter-Opfer-Umkehr und der Bagatellisierung. Doch vielleicht besteht Hoffnung. Wenige Tage vor den Hohen Feiertagen, wenige Tage vor dem Beginn des Jahres 5781, wenige Tage vor dem ersten Jahrestag der Mordanschläge und des Mordes in Halle an der Saale sollten und könnten wir uns vergewissern, was wir wissen und vor allem ob wir das Richtige und genug davon tun. Meine Leser*innen können sich anhand der vier Texte, die ich am 8. September 2020 neu in meinen Blog eingestellt habe, ein Bild machen.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • In dem Text „System(at)ische Ignoranz – Hell- und Dunkelfelder des Antisemitismus 2020“ geht es um eine Bestandsaufnahme, auch der Stimmung in den Jüdischen Gemeinden. Die oben genannte nordrhein-westfälische Studie, die aktuelle Veröffentlichung von Julia Bernstein, das Lagebild 2020 des Verfassungsschutzes – das sind einige der Quellen, die ich in diesem Text zitiere. Michael Brenner stellt in einem Essay für „Aus Politik und Zeitgeschichte“ die berechtigte Frage, ob wir noch den Anfängen wehren oder ob wir nicht schon weit darüber hinaus sind. Mein Fazit: das Dunkelfeld hat eine erhebliche Größe – dringend erforderlich ist ein Meldesystem im Bund und in allen Ländern, aber dieses muss auch Konsequenzen haben, die für alle sichtbar sind, sowohl in der Sanktionierung als auch in der Aufarbeitung:  https://demokratischer-salon.de/beitrag/sytematische-ignoranz/.
  • In dem Text „Weltbild Antisemitismus – Von der allmählichen Verfertigung eines Feindbilds beim Reden“ geht es um die Sprache, die Frames des Antisemitismus, u.a. um eine Darstellung der Arbeiten von Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz. Victor Klemperers „LTI“ prägt auch heute noch die Wirklichkeit unserer Sprache. Sprache schafft Wirklichkeiten. Auch fiktive und fiktionale Texte können zu Verschwörungsbildern werden, sie sind ein schleichendes Gift, das die im erstgenannten Essay beschriebenen „Radikalisierungsstufen“ – wie sie der Verfassungsschutz in seinem Lagebild benennt  – bis zum Mord durchlaufen können. Wir sollten und müssen darauf achten, wer welche Begriffe wie benutzt, was er*sie damit meint und wie sie wirken. Ein neues Sprachbewusstsein könnte präventiv wirken, könnte:  https://demokratischer-salon.de/beitrag/weltbild-antisemitismus/.
  • Der israelbezogene Antisemitismus hat Konjunktur – nicht erst seit gestern, das war schon vor 50 Jahren so. Heute gilt diese Variante als die gesellschaftlich akzeptierte Form von Antisemitismus, die stets mit dem Hinweis präsentiert wird, man*frau wäre ja kein*e Antisemit*in. Die Debatte um BDS und um Achille Mbembe zeigt, wie Israel zum Sündenbock wird, wie Verschwörungstheorien entstehen, aber auch, dass wir sehr genau hinschauen müssen, wann eine Äußerung zu Israel antisemitisch ist und wann nicht. Monika Schwarz-Friesel und Eva Illouz haben dazu zwei verschiedene Vorschläge, die ich in meinem Essay „Sündenbock Israel – Die Debatten um BDS und Achille Mbembe“ „Nie wieder“ – das heißt für Jüdinnen*Juden auch: „Nie wieder wehrlos“: https://demokratischer-salon.de/beitrag/suendenbock-israel/
  • Kann Bildung helfen? Man*frau ist versucht, diese Frage mit dem berühmt-berüchtigten „Im Prinzip ja“ zu beantworten. Aber wie kommt es, dass auch gebildete Menschen antisemitisch denken, reden und handeln? In meinem Essay „Die Bildung und der Antisemitismus – Warum es so schwer ist, Antisemitismus zu bekämpfen“ versuche ich dieser Frage nachzugehen. Der Essay nennt Versäumnisse in unseren Bildungseinrichtungen und enthält Vorschläge, was wir tun könnten, beispielsweise in Didaktisierung der in den drei anderen Essays vorgestellten Analysen und Dokumentationen. Vor allem mangelt es an Verbindlichkeit in Aus- und Fortbildung für Lehrkräfte der Schulen und Hochschulen sowie in Ausbildungseinrichtungen für Polizei und Justiz:  https://demokratischer-salon.de/beitrag/die-bildung-und-der-antisemitismus/.

Veranstaltungen und Ausstellungen:

  • Der fünfte neu eingestellte Text im Demokratischen Salon bezieht sich auf die am 10. September 2020 in Berlin in der Zilberman-Galerie eröffnete Ausstellung „Both Eyes in My Two Hands“ von Sandra del Pilar. Der Text ist weitgehend identisch mit meinem Beitrag im Katalog der Ausstellung, der am 28. Oktober 2020 in der Galerie in einem von Sandra und mir gestalteten Gespräch vorgestellt wird, das im Nachgang auch online verfügbar sein wird. Die Ausstellung ist bis zum 14. November 2020 geöffnet. Ich darf den Besuch sehr empfehlen. Weitere Informationen über die Seite der Galerie: (zilberman.art).
  • Ergänzend zu den o.g. Essays zum Antisemitismus darf ich auf eine gemeinsame Veranstaltung der beiden Kultursekretariate in Nordrhein-Westfalen mit dem Titel „Kultur (der Freiheit) der Kultur“ am 25. September 2020 in Düsseldorf hinweisen. In dieser Veranstaltung werden Sophie Brüss (SABRA) und ich gemeinsam eine Arbeitsgruppe zum Thema Antisemitismus leiten. Nähere Informationen und Anmeldung unter kulturfreiheitkultur.de.  
  • Eine Ausstellung mit Werken von Bettina Flitner und Sandra del Pilar wird am 4. Oktober 2020 in Hilden eröffnet. Der Ausstellung vorangestellt ist die Tagung „Feindbilder“, zu der ich einen Vortrag beisteuern werde, der im Anschluss im Demokratischen Salon zu lesen sein wird. Träger ist der Kreis der Freunde des Instituts für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Weitere Informationen: https://arthist.net/archive/23446/view=pdf.

Weitere Empfehlungen:

  • Ich empfehle die aktuelle Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen. Sie enthält eine sehr gelungene Beilage zum 70jährigen Bestehen des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sehr lesenswert und mit vielen Informationen zur Geschichte, über Jüdisches Leben in den Gemeinden, in der Kultur, im Alltag. Die Ausgabe der JA selbst bietet auf der letzten Seite wie üblich Ben Gershons Cartoon mit Jewy Louis, der telefonisch dem Zentralrat zum 70. Geburtstag gratulieren will und in der Anrufschleife landet: „Willkommen beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Für die Lichtzündezeiten drücken Sie bitte die 1, für antisemitische Beschimpfungen drücken Sie die 2. Wenn Sie einen Vorschlag für Frieden in Nahost haben, drücken Sie bitte die 3…“ Michael Brenner schreibt in seinem Leitartikel: „Bei allen unterschiedlichen Herausforderungen nimmt der Zentralrat auch heute noch die wichtigen Funktionen ein, die er schon bei seiner Gründung hatte: jüdisches Leben aufrechtzuerhalten, jüdische Erziehung und Kultur zu gewährleisten, Neueinwanderer zu integrieren und Antisemitismus zu bekämpfen. Nur mit einem wichtigen Unterschied: Auf jeder Ebene gibt es heute ein bisschen mehr zu tun.“ Bleibt auch mir zu sagen: Mazal Tov!

Viel Gewinn beim Lesen! Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf die Artikel und den Demokratischen Salon hinweisen.

Ich grüße Sie / euch alle herzlich. In etwa vier Wochen melde ich mich wieder, dann mit den bereits versprochenen Artikeln zum Rassismus, zum Schwarzen Feminismus sowie zu der Hildener Ausstellung mit Sandra del Pilar.

Ihr / Euer Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte ich um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.