Regierungswechsel schwer gemacht

Ein Gespräch mit Agnieszka Łada-Konefał vom Deutschen Poleninstitut

„Es ist ein Dilemma, in dem sich die neue Regierung Tusk noch bei vielen weiteren Reformen wiederfinden wird: Wie lassen sich undemokratische Entwicklungen mit rechtmäßigen Mitteln zurückdrehen?“ (Mihał Kokot, Öffentlich-rechtlich, aber kritisch, in ZEIT online 2. Januar 2023)

Mihał Kokot befasste sich in dem genannten ZEIT-Artikel mit den ersten Versuchen der neuen polnischen Regierung unter Leitung von Donald Tusk, die von der Vorgängerregierung in den vergangenen acht Jahren mehr oder weniger zementierten Maßnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Medien rückgängig zu machen. Es wird ein langer Weg, nicht zuletzt auch angesichts der Konflikte zwischen der neuen Regierung und dem polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda, den manche mit dem Spitznamen „Kugelschreiber der PiS“ belegten und der noch bis 2025 im Amt bleiben wird, bevor eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gewählt werden kann.

Agnieszka Łada-Konefał. © Grzegorz Lytińsi. Archiv: DPI.

Das Deutsche Polen-Institut hat die Wahl, den vorangegangenen Wahlkampf, die politischen Entwicklungen in Polen der vergangenen Jahre stets kritisch begleitet und in zahlreichen Veröffentlichungen zur Diskussion gestellt. In meinem Essay „Polen 2023“ habe ich mehrere dieser Veröffentlichungen vorgestellt. Im Demokratischen Salon finden Sie darüber hinaus ein Gespräch mit Agnieszka Łada-Konefał, der stellvertretenden Direktorin des Deutschen Polen-Instituts sowie eine Reportage über den letzten Wahlkampf von Ines Skibinski, die deutlich zeigte, welche wichtige Rolle die Medien in der politischen Auseinandersetzung spielen. Es ließe sich sogar vermuten, dass der Sieg der Dreierkoalition, die jetzt die polnische Regierung stellt, ohne die drastische Inbesitznahme der öffentlichen Medien durch die Vorgängerregierung noch viel deutlicher hätte ausfallen können. Umso heftiger protestieren jetzt PiS-Anhänger:innen gegen aus ihrer Sicht übergriffigen Maßnahmen der Tusk-Regierung, alles im Namen des Rechtsstaats, den sie selbst zuvor erheblich beschädigt hatten.

Insofern ist Januar 2024 ein guter Zeitpunkt, mit Agnieszka Łada-Konefał über die aktuellen Entwicklungen und Perspektiven zu sprechen. Im Herbst 2024 werden wir eine neuerliche Bestandsaufnahme erstellen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Norbert Reichel: Man könnte sagen, dass die PiS für den Fall ihrer Abwahl gut vorgesorgt hat, sodass die versprochenen Änderungen, beispielsweise in der Medien- und Rechtspolitik nicht so schnell umgesetzt werden können wie das diejenigen erwarten, die die Dreierkoalition von Donald Tusk gewählt haben. Der von der PiS-Regierung 2015 eingerichtete Medienrat kann erst im Jahr 2028 neu besetzt werden, das Verfassungsgericht kann erst 2027 zur Hälfte neu besetzt werden, der der PiS angehörige Präsident Andrzej Duda ist noch bis 2025 im Amt. Er kann jedes Gesetz mit einem Veto belegen, sodass die Regierung im Sejm eine Drei-Fünftel-Mehrheit bräuchte, um dieses Veto außer Kraft zu setzen. Diese Mehrheit hat sie jedoch nicht. Wie handlungsfähig ist das Bündnis von Tusk?

Agnieszka Łada-Konefał: Generell ist die neue Regierung im Amt, hat große Pläne und Ziele. Sie will natürlich ihre Wahlversprechen umsetzen. Gleichzeitig gibt es große Herausforderungen, weil am Ende jedes Gesetzgebungsprozesses der Präsident das Gesetz unterschreiben muss. Andrzej Duda hat bereits angekündigt, er werde sein Veto-Recht benutzen, wenn er das für richtig hält. Man kann vermuten, dass er das eher öfter als seltener tun wird. Das ist für jede Regierungsmehrheit schon eine große Herausforderung. Er bleibt bis 2025 im Amt, mehr als ein Jahr stellt sich immer wieder die Frage, ob ein vom Parlament beschlossenes Gesetz in Kraft treten kann.

Der Plenarsaal des Sejm. Foto: Lukas Plewnia, www.polen-heute.de. Wikimedia Commons.

Die Erwartungen der Wähler der heutigen Regierungskoalition sind sehr hoch. Sie wollen schnell Veränderungen sehen, die Regierung soll schnell liefern, was sie versprochen hat. Dies gilt natürlich immer, ist dieses Mal allerdings noch viel wichtiger, weil wir in Polen in den nächsten Monaten die Kommunalwahlen und die Europawahl haben. Für die Regierungsmehrheit sind diese Wahlen ein Test, eine Überprüfung der Wahlentscheidung vom Oktober 2023. Die Regierungsmehrheit muss sich mit der Frage befassen, ob sie bei der Kommunalwahl als Bündnis oder separat antreten. Die Gespräche haben bereits begonnen. Für eine Regierungsmehrheit ist es schwierig, gleichzeitig in einem Wahlkampf miteinander zu konkurrieren.

Ein weiterer Punkt ist die Stärke der Opposition, der PiS. Sie ist im Parlament die stärkste Kraft. Sie kann zwar keine Regierung bilden, aber sie kann aufgrund der Größe der Fraktion im Parlament die Arbeit im Parlament beeinflussen und blockieren. Das haben wir auch bereits zu Beginn der Legislaturperiode erlebt.

Ich möchte ferner betonen, die Spaltung der Gesellschaft bleibt. Die Wahlergebnisse vom Oktober 2023 haben daran nichts verändert. Die Anhänger der PiS und die Anhänger der Regierungsmehrheit sind zwei verschiedene Lager. Es gibt eine kleine Gruppe, die sich nicht so sehr emotional an eines der Lager hält, aber die große Mehrheit der Gesellschaft ist entweder für die PiS oder für die heutige Regierungsmehrheit. Diese Spaltung ist schwer überwindbar.

Norbert Reichel: Nach bisherigem Stand hatten die Regierungsfraktionen bei den letzten Kommunalwahlen in den Städten bereits Mehrheiten, im ländlichen Bereich dominierte dabei in der Regel die PiS. Sind Änderungen zu erwarten, beispielsweise in der Form, dass die PiS in großen Städten hinzugewinnt? Oder können die drei Regierungsparteien gegebenenfalls in ländlichen Bereichen hinzugewinnen?  

Rafał Trzsaskowski, Bürgermeister von Warschau, hier bei einer Demonstration in Kattowitz. Foto: Silar. Wikimedia Commons.

Agnieszka Łada-Konefał: Man muss die Wahlen auf zwei Ebenen analysieren. Gewählt werden einerseits die Bürgermeister beziehungsweise – wie sie in den großen Städten heißen – die Stadtpräsidenten, andererseits die kommunalen Parlamente. Vor allem zählen die Stadtpräsidenten in den großen Städten. Das sind wichtige Personen, sehr bekannte Namen, die sich in ihrem Amt sehr bekanntgemacht haben. Das ist anders als in Deutschland: diese Namen kennt man in ganz Polen. Ich bin nicht sicher, ob jeder in München die Namen der Bürgermeister in Köln oder in Dresden kennt. In Polen ist das anders. Man kennt in Polen die Namen der Bürgermeister aus Breslau, Danzig, Krakau, weil sie so präsent sind. Sie sind wichtige politische Figuren. Es ist daher symbolisch wichtig, wer gewinnt. Und natürlich die wichtigste Wahl findet in Warschau statt – der heutige Stadtpräsident, Rafał Trzaskowski, hat schon mal kandidiert, um Staatspräsident zu werden, und hat sehr knapp gegen Andrzej Duda verloren. Er gibt es selbst nicht zu, aber er ist ein sehr wahrscheinlicher Kandidat der Bürgerkoalition auch bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2025. In der Tat hat in den großen Städten in den letzten Jahren eher die Bürgerkoalition gewonnen. Auch unabhängige Kandidaten waren immer relevant. Aber natürlich ist es auch wichtig, wer die Mehrheit in den Gemeindeparlamenten hat. Die PiS stellt in den kleinen Städten, in den ländlichen Bereichen oft die Mehrheit, auch die Bürgermeister. Auch dort gibt es Einfluss und Geld, um Stellen zu besetzen.

Norbert Reichel: Und die Europawahlen?

Agnieszka Łada-Konefał: Die Europawahlen sind in der Reihe der Wahlen die unwichtigsten Wahlen. Das ist in Europa nicht ungewöhnlich. Auch in anderen Ländern. In Polen war die Wahlbeteiligung immer sehr niedrig. Aber die Wahl vom 15. Oktober 2023 war eine Wahl, in der es um die Frage ging, ob die Polen sich für Europa eher progressiv und offen oder konservativ und geschlossen zeigen wollen. Auch hier, bei den Europawahlen 2024, stellt sich wieder die Frage, ob die Regierungskoalition als Bündnis auftritt oder getrennt. Hier sehe ich eher die Chance, dass sie als Bündnis auftritt als bei den Kommunalwahlen. Das Wahlsystem bevorzugt große Parteien und Bündnisse. Es ist natürlich kompliziert im Rahmen der europäischen Parteifamilien. Aber es ist klar: bis zur Wahl im Juni muss die Regierung sich positionieren, wie sie sich Europa vorstellt. Das wird aber zurzeit weniger diskutiert, weil es so viel in der Innenpolitik zu tun gibt. Das Thema, welches Europa sich die Polen wünschen, ist wenig präsent.

Norbert Reichel: Nun sind die Polen in Umfragen immer sehr europafreundlich, auch im Deutsch-Polnischen Barometer, das Sie betreuen. Die Bevölkerung ist in großer Mehrheit europafreundlicher als die PiS, was aber nicht bedeutet, dass die PiS deshalb weniger Stimmen erhielte. Hier dominieren offenbar innenpolitische Themen.

Agnieszka Łada-Konefał: Das stimmt. Aber ich würde eher auch fragen, was heißt europafreundlich oder – wie manche sagen – europaenthusiastisch, wenn es um die weitere europäische Integration geht? Viele Polen wissen nicht, was das heißt, aber die meisten wünschen sich schon diese Integration. In der Regel sind die Polen froh, in der EU zu sein. Die PiS schürt jedoch Angst vor Europa. Europa, das heißt für die PiS: Brüssel und Berlin mischen sich zu viel in polnische Angelegenheiten ein. Das ist ihre Propaganda.

Norbert Reichel: Wir müssen mit einer nahtlosen Fortsetzung des Wahlkampfs vom Oktober 2023 rechnen?

Agnieszka Łada-Konefał: Ja. Die PiS hat hier nichts zu verlieren.

Paradoxien der Rechtsstaatlichkeit

Das polnische Verfassungsgericht. Foto: Lukas Plewnia, www.polen-heute.de. Wikimedia Commons.

Norbert Reichel: Ein wichtiges innen- und außenpolitisches Thema war und ist die Justizreform in Polen, natürlich auch in der Bewertung aus deutscher oder französischer Perspektive, nicht zuletzt wegen der Finanzmittel, die die EU wegen der den EU-Grundsätzen nicht entsprechenden Rechtspolitik der PiS-Regierung blockierte. Hier ist großer Handlungsbedarf. Das Verfassungsgericht kann erst in Teilen im Jahr 2027 neu besetzt werden. Hier sitzen zurzeit vorrangig von der PiS ausgewählte Richterinnen und Richter. Welche Spielräume hat Donald Tusk, mehr Rechtsstaatlichkeit zu schaffen?

Agnieszka Łada-Konefał: In allen solchen Fällen ist die Lage einfach sehr kompliziert. Es stellt sich die Frage, ob es rechtlich möglich ist, bereits jetzt etwas zu tun. Am Beispiel der öffentlichen Medien haben wir gesehen, dass die Regierung schon Wege sucht, etwas zu verändern. Aber diese Methoden sind schon an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit. Die Juristen sind sich ungeachtet ihrer politischen Präferenzen nicht einig, was rechtlich in Ordnung ist, was nicht. Wir stehen in der Gefahr, dass die Regierung nicht so sauber handeln kann, wie das sein sollte, um zu einer sauberen Situation zurückzukehren.

Norbert Reichel: Das klingt schon paradox. Mir fällt in dieser Situation die sogenannte Radbruch’sche Formel ein, die besagt, dass etwas, das Unrecht ist, nicht als Recht gelten kann, auch wenn es Gesetze gab, die es zu Recht erklärten. Aber ich denke, damit kommen wir in solchen politischen Auseinandersetzungen nicht weit.

Agnieszka Łada-Konefał: Das, was die PiS geschafft hat, war nicht nur undemokratisch, die von ihr geschaffenen Organe sind auch verfassungswidrig, zumindest rechtswidrig. Auf der Grundlage dieser Vorschriften kann man nicht handeln. Aber um diese Vorschriften zu ändern, braucht man die Unterschrift des Präsidenten, die man aber nicht bekommt.

Die aktuelle Lösung im Fall der öffentlichen Medien war an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit. Ich vermute, wir werden noch einigen juristischen Streit über diese Frage erleben. Duda hat immer das Vetorecht. Deshalb wird die Regierung nicht unbedingt die Gesetze ändern wollen, denn sie weiß, das ist verlorene Energie, weil am Ende eben das Veto steht.

Norbert Reichel: Was ist in den letzten Wochen in der Frage der öffentlichen Medien geschehen?

Agnieszka Łada-Konefał: Das ist in der Tat sehr kompliziert. In den acht Jahren der PiS-Herrschaft wurden die öffentlichen Medien zu einem Propaganda-Instrument der Regierung umgestaltet. Sie lobten die Regierung, sie griffen aber auch die Opposition heftig an. Sie haben Fakten verdreht oder so zusammengestellt, dass die damalige Opposition in falschem Licht erschien. Die Erwartung der Wähler der heutigen Regierung ist sehr hoch. Es wäre völlig unverständlich, wenn die Regierung die Medien so beließe wie sie von der PiS gestaltet wurden. Das war eine hohe Priorität, um mit dieser Propaganda Schluss zu machen.

Übertragungswagen des polnischen Fernsehens in der Warschauer Altstadt. Foto: Tomasz Molina. Wikimedia Commons.

Vor einigen Jahren hat die PiS-Regierung eine neue Institution zur Überwachung der öffentlichen Medien geschaffen, den Nationalen Medienrat. Dieser Punkt des Gesetzes wurde vom damaligen Verfassungsgericht, das damals noch nicht in den Händen der PiS war, für verfassungswidrig erklärt. Die PiS hat dies ignoriert. Das heißt, die heutige Regierung beruft sich auf diese Entscheidung des Verfassungsgerichts. In der polnischen Verfassung steht, die Aufsichtsbehörde sei der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen, der Krajowa Rada Radiofonii i Telewizji. Wie gesagt, die PiS hat eine neue Einrichtung geschaffen, den Nationalen Medienrat, aber durch ein Gesetz. Der Landesrat steht in der Verfassung, der Medienrat in einem eigenen Gesetz. Um das alles in Ordnung zu bringen, bräuchte man ein neues Gesetz, dass den Nationalen Medienrat abschafft. Aber das neue Gesetz würde vom Präsidenten sofort mit einem Veto blockiert. Dieser Weg ist daher zurzeit nicht möglich. Deshalb musste die neue Regierung etwas tun, um dies zu umgehen.

Der Kulturminister, der für die Medien zuständig ist, hat nun nicht das verfassungswidrige Gesetz als Grundlage genommen, sondern das Gesetzbuch für Handelsgesellschaften. Es geht darum, dass Medien auch Unternehmen sind, daher könne man auch ein Gesetz für Unternehmen heranziehen. Aber das ist schon am Rande der Rechtsstaatlichkeit, weil es bereits ein spezifisches Gesetz für die Medien gibt, sodass man nicht so einfach ein anderes Gesetz heranziehen kann. Der Kulturminister hat dies aber gemacht, um die Aufsichtsbehörde neu zu besetzen. Die PiS sagt, dies sei rechtswidrig. Die bisherigen Mitglieder des Nationalen Medienrats sagen, sie wären nicht abberufen worden.

Wer hat recht? Beide Seiten, aber es gibt keine Lösung, es gibt stattdessen Streit. Die PiS-Abgeordneten haben protestiert, sie haben die Medien blockiert. Die neuen Mitarbeiter können nicht in den Studios der öffentlichen Medien arbeiten. Die Studios wurden daher verlagert. Ein Chaos. Vor allem rechtlich gesehen, aber auch im Hinblick auf das Personal.

Norbert Reichel: Ich versuche mal einen Vergleich. Das ist ungefähr so, dass der Westdeutsche Rundfunk nach wie vor existiert, aber nicht mehr auf den öffentlichen Frequenzen senden kann. Stattdessen gibt es ein alternatives Studio bei irgendeiner kleinen freien Filmgesellschaft, von der der WDR mit anderen Leuten auf Sendung geht. Die bisherigen WDR-Mitarbeiter sitzen nach wie vor in ihren Büros, nur eben ohne Sendefrequenzen.

Agnieszka Łada-Konefał: Genau so ist es. Es gibt ein neues Team. In diesem Team arbeiten Journalisten, die vor der PiS-Zeit bekannte Namen hatten. Man hat irgendwo ein Studio, es gibt auch Mitarbeiter in der Welt, in Brüssel, in Rom, in Washington, in Israel und so weiter, natürlich auch in Polen, aber die arbeiten nicht am Hauptsitz der TVP-Info.

Norbert Reichel: Das bedeutet aber auch, dass die alte PiS-Propaganda nicht mehr gesendet wird. Für die kommenden Wahlen ist das ja nicht unwichtig. Die PiS vertritt aber die These, dass die Regierung rechtswidrig handele, obwohl das, was die Regierung an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit abschafft, rechtswidrig war. Wie nimmt das die Bevölkerung wahr?

Agnieszka Łada-Konefał: Die Bevölkerung ist – wie ich zu Beginn schon sagte – so gespalten, dass die Anhänger der PiS sagen, die PiS habe recht. Die PiS spricht von einer Revolution, die neue Regierung breche das Recht. Es gibt natürlich auch private Zeitschriften und Sender, die so senden wie die PiS sich das wünscht. Die Anhänger der Regierung sagen, es müsse schnell gehandelt werden, auch wenn manche Zweifel haben, ob das, wie sie es macht, rechtsstaatlichen Kriterien entspricht. Sie halten es aber letztlich für wichtiger, die alte Welt abzuschaffen.

Der Druck wächst

Norbert Reichel: Nun gab es jetzt einen Vorfall der ganz besonderen Art.

Parlamentspräsident (Sejm-Marschall) Szymon Hołownia. Foto: Silar. Wikimedia Commons.

Agnieszka Łada-Konefał: Das ist schon filmreif. Und es ist schon schwer zu erklären. Im Parlament saßen in der Fraktion der PiS zwei Abgeordnete, die wiedergewählt wurden, aber von Gerichten rechtskräftig verurteilt wurden. Sie wurden für schuldig befunden, die Fälschung von Dokumenten angeordnet zu haben, um den Chef ihres Koalitionspartners zu kompromittieren. Am 20. Dezember 2023 wurden sie zu zwei Jahren Haft verurteilt. Sie hatten hohe Ämter, einer war Innenminister, der andere Vize-Innenminister. Sie wurden zwar schon zuvor von Duda begnadigt, aber dies war vor ihrer endgültigen Verurteilung, damit nicht rechtsgültig – so meinen zumindest viele Juristen und die heutige Regierung. Die beiden wollten weiterhin an den Sitzungen des Sejm teilnehmen, der Präsident des Sejm, der Sejm-Marschall, sagte jedoch, sie dürften dies nicht mehr. Eine Sitzung des Parlaments wurde verschoben, um die beiden nicht ins Parlament hineinzulassen. Duda hat die beiden, um seine Autorität zu betonen, zu sich in den Präsidentenpalast eingeladen., damit sie dort an einer Zeremonie teilnehmen konnten. Die Polizei kam trotzdem, hat sie im Präsidentenpalast verhaftet und ins Gefängnis gebracht.

Norbert Reichel: Jetzt hat Duda angekündigt, er werde die beiden begnadigen, was nach abschließendem Urteil rechtlich natürlich möglich ist. Die beiden werden wohl nicht lange in Haft bleiben. Ein kritischer Punkt ist in diesem Zusammenhang auch die erforderliche Verabschiedung eines Haushalts für das Jahr 2024 im Sejm.

Agnieszka Łada-Konefał: Der Druck ist sehr hoch. Das Parlament muss bis Ende Januar einen Haushalt verabschieden. Wenn dem Präsidenten bis Ende Januar kein Haushalt zur Unterschrift vorliegt, darf er das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Das ist der einzige Fall, in dem er das darf.

Verzögerungen der parlamentarischen Arbeit wie im beschriebenen Fall können die rechtzeitige Verabschiedung des Haushalts gefährden.

Norbert Reichel: Insofern hat die PiS ein Interesse daran, die Parlamentsarbeit zu blockieren. Aber kann der Präsident den Haushalt auch ablehnen, um Neuwahlen auszuschreiben?

Agnieszka Łada-Konefał: Nein, das ist das einzige Gesetz, bei dem er kein Veto einlegen darf.

Es ist natürlich ein Kampf gegen die Zeit. Die neue Regierung muss wegen des Zeitdrucks mit dem Haushaltsentwurf der alten Regierung arbeiten. Sie können die eine oder andere Priorität verändern, aber viel werden sie nicht schaffen. Sie müssen davon ausgehen, dass sie den Haushalt im Laufe des Jahres verändern müssen.

Norbert Reichel: Das ist nach Wahlen auch in Deutschland kein unübliches Verfahren.

Agnieszka Łada-Konefał: Aber das war kein normaler Wechsel. Das ist schon etwas anderes.

Norbert Reichel: Gibt es besondere soziale Probleme, deren Lösung über den Haushalt abgebildet werden müssen? Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Versprechungen, wenn sie nicht eingelöst werden können, bei den anstehenden Wahlen der Regierung Probleme bereiten könnten.

Agnieszka Łada-Konefał: Es gibt natürlich Wahlversprechen von Tusk und der Koalition, aber auch von der PiS. Tusk hat versprochen, viele Sozialausgaben, die die PiS eingeführt hatte, im Haushalt weiterzuführen, zum Beispiel das Kindergeld. Die PiS hat versprochen, es von 500 Złoty auf 800 Złoty zu erhöhen. Die neue Regierung hat das so übernommen. Auch die 13. Rente bleibt. Die neue Regierung hatte versprochen, dass die Lehrer deutlich mehr Gehalt bekommen sollen. Im Haushaltsentwurf ist eine Erhöhung um 30 Prozent vorgesehen. Das heißt natürlich mehr Ausgaben. Aber man muss wissen, dass die Lehrer so schlecht verdienen, dass das unbedingt erforderlich ist.

Man braucht auch Möglichkeiten, mehr Geld einzunehmen, um dies alles umzusetzen. Die PiS hat so regiert, dass verschiedene Ausgaben über bestimmte Extrafonds – in Deutschland nennt man das „Sondervermögen“ – abgesichert wurden, um die Schuldenbremse zu umgehen. Wie viel Geld aus diesen Vermögen dann wohin fließt, muss man nicht so klar darstellen, ist oft fast schon geheim. Die neue Regierung muss jetzt erst einmal herausfinden, was alles in diesen Sondervermögen steckt und was es für die Zukunft und für die Verschuldung heißt.

Norbert Reichel: Eine große Aufgabe für das Jahr 2024 besteht somit darin, all diese Schattenhaushalte zu finden und zu erfahren, was sich da so alles versteckt.

Agnieszka Łada-Konefał: So ist es. Jedes Ministerium hat sich einige Wochen Zeit genommen, im Einzelnen nachzuforschen, was sich wo versteckt. Man braucht – so heißt es – eine Art Weißbuch. Da sind schon alle gespannt, was da herauskommt.

Die Ukraine

Norbert Reichel: Ein zentraler Punkt ist die Lage in der Ukraine. Das ist ja auch ein großes Thema in Ihrem Polen-Jahrbuch 2023. Die polnische Position erlebe ich in zweierlei Hinsicht, einerseits die klare Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg, andererseits die Blockaden an der polnisch-ukrainischen Grenze gegen ukrainische Getreide-Importe.

Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz. Foto: Ministerstwo Rodziny i Politiyki Społesznej. Wikimedia Commons.

Agnieszka Łada-Konefał: Bei Fragen der Sicherheit gibt es keine große Spaltung in der Gesellschaft. Es ist Konsens zwischen PiS und Regierungsbündnis, dass man der Ukraine helfen soll. Wir sind in Polen auch direkt durch Russland bedroht. Die Zusammenarbeit zwischen dem Verteidigungsminister Władiyław Kosiniak-Kamysz und dem Präsidenten ist hier – nach dem was man hört – nicht schlecht. Kosiniak-Kamysz ist für die PiS keine so große Konfrontationsfigur. Duda wird es daher auch schaffen, mit ihm normal zu kommunizieren. Das ist auch deshalb wichtig, weil wir in den letzten Tagen an der Grenze mit russischen Raketen im polnischen Luftraum Vorfälle hatten, mit denen die Sicherheitssysteme unmittelbar konfrontiert waren. Man muss natürlich auch weiterfragen: Was will Polen mittelfristig in und mit der Ukraine? Was heißt es, wenn man die EU-Mitgliedschaft der Ukraine unterstützt? Wie macht man das? Was liefert Polen? Waffen, finanzielle Hilfen? Die neue Regierung muss das mit den europäischen Partnern abstimmen, das ist auch eine Aufgabe für die deutsch-polnischen Beziehungen.

Norbert Reichel: Das Hauptproblem in dieser Sache verursacht auf EU-Ebene zurzeit Ungarn. In der Slowakei scheint sich die Übernahme der Regierung durch Robert Fico nicht so stark auszuwirken. Zumindest hat Fico sich den Blockaden Orbáns bisher nicht angeschlossen. Die Frage ist meines Erachtens, wie hoch sich Orbán seine Zustimmung bezahlen lässt.

Agnieszka Łada-Konefał: Das stimmt. Eine Unterstützung seitens der polnischen Regierung wird Orban jetzt in keinem Bereich bekommen, vermute ich. Aber noch ein Satz zu den Bauernprotesten an der polnisch-ukrainischen Grenze: die Bauern haben sich mit der Regierung verständigt, aber ich denke, die Regierung wird auch liefern müssen. Vorerst sind es Versprechungen. Im Landwirtschaftsministerium sitzt jetzt mit dem stellvertretenden Minister jemand, der die Proteste der Bauern früher mitorganisiert hat. So fühlen sich die Bauern wohl auch gehört.  

Wind of Change

Norbert Reichel: Ein weiteres Problem ist die Geschichtspolitik der PiS. Ich denke an die Debatte um das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, die Schulbücher, die Gesetzgebung zur Frage der Mitwirkung von Polinnen und Polen im Holocaust. Gibt es in diesem Kontext Entwicklungen?

Agnieszka Łada-Konefał: Die neue Regierung hat es bereits geschafft, verschiedene Gremien aufzulösen, sodass die PiS-Leute, die dort entschieden, nicht mehr da sind. Es gibt allerdings noch keine neuen Gremien. Man sagt, das braucht Zeit, es gibt so viele Abberufungen und Berufungen, dass Tusk gar nicht die Zeit hat, das alles zu prüfen und zu unterschreiben. Das ist eine riesige Liste. Das sind schon wichtige Themen und Institutionen, aber man spricht darüber nicht so laut wie über die anderen Themen. Man kann aber schon erwarten, dass hier ein Wind of Change kommt.

Norbert Reichel: Aber hier kann Tusk Veränderungen vornehmen, ohne Gesetze zu ändern?

Agnieszka Łada-Konefał: Das kommt drauf an. Bei manchen Gremien geht das, bei anderen nicht. Bei manchen Gremien sind wiederum die Minister zuständig. Man muss in jedem Einzelfall prüfen. Die Ministerien haben Listen der Institutionen, manches musste man erst einmal liegenlassen. Es gibt schon die Überlegung, was gegebenenfalls wieder ins Leben gerufen werden muss, was einfach liegen gelassen wurde, so wie die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, das Deutsch-Polnische Forum.

Norbert Reichel: Es ist alles im Umbruch – das wäre mein Fazit. Ich schlage vor, dass wir uns im Herbst wieder neu verabreden, um zu sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln.

Agnieszka Łada-Konefał: Das werden wir gerne tun. Auch im Hinblick auf die Ergebnisse der Europawahlen bleibt die Lage natürlich spannend.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Januar 2024, Internetzugriffe zuletzt am 15. Januar 2024.)