Rette sich wer kann!
Die Manifest Destiny der Milliardäre – Next Level
„Is it fair for a stock trader to use smart drugs? Should children get implants for foreign languages? Do we want autonomous vehicles or prioritize the lives of pedestrians over those of its passengers? Should the first Mars colonies be run as democracies? Does changing my DNA undermine my identity? Should robots have rights? (Douglas Rushkoff, Survival of the Richest – Escape Fantasies of the Tech Billionaires, New York, W.W. Norton & Company, 2022, eine deutschsprachige Ausgabe erschien 2025 bei Suhrkamp)
Jede einzelne dieser Fragen eignet sich für einen Science-Fiction-Roman oder gar eine komplette TV-Serie. Die Antworten lassen sich variieren, dystopisch wie utopisch, apokalyptisch wie appellativ-aufrührerisch. Revolten und Revolutionen, strahlende Superheld:innen als Protagonist:innen einer Welt, die von Grund auf neu konzipiert und gestaltet werden sollte, am besten „from scratch“. Douglas Rushkoff setzte sich mit solchen Fragen auseinander, als er zu einer Gruppe von hyperrreichen Männern eingeladen wurde. All das fand statt in der extrem luxuriösen Atmosphäre eines Wüsten-Resorts, drei Autostunden vom nächsten Flughafen entfernt, fast schon eine Art Burning-Man-Environment. Die Milliardäre hatten natürlich die Möglichkeit, mit ihrem Privatflugzeug direkt dort einzufliegen. Die Abgeschiedenheit des Resorts verstärkte den Eindruck der Begegnung mit einer revolutionären Sekte.
Die Prepper und die Science Fiction
Douglas Rushkoff lässt keinen Zweifel daran, dass die Tech-Milliardäre des Silicon Valley und ihre Kolleg:innen den Klimawandel mit all seinen denkbaren Katastrophen nicht leugnen, sondern sich hingegen aktiv darauf vorbereiten, ihr sprichwörtliches Schäfchen trotz Klimawandel ins Trockene zu bringen und nicht zuletzt auch dafür vorzusorgen, falls Künstliche Intelligenzen und Maschinen die Macht übernehmen. Rushkoff bezeichnet sie als „Prepper“. Das, was sie denken, ist „The Mindset“, das, worauf sie sich vorbereiten, „the Event“, der Kollaps, die Apokalypse. Sie brauchen keine Waffenlager, aber sie brauchen Sicherheiten, dass sich diejenigen, selbst die Männer, die sie für ihre eigene Sicherheit engagiert haben, sich nicht gegen sie wenden, falls sie merken sollten, was ihre Chefs tatsächlich planen.
Ein Rückzug der Superreichen aus der Welt war schon in der COVID-Pandemie Programm. Die Reichen fanden jeden gewohnten Luxus in ihren Villen, ihren Gated Communities, während alle anderen unter höchstem Infektionsrisiko für sie arbeiten mussten. Es erinnert ein wenig an die zehn reichen Männer und Frauen, die Boccaccio im 14. Jahrhundert vor der Pest aus Florenz sich auf ihre Landgüter zurückziehen lässt, wo sie sich dann 100 Geschichten erzählen, aus denen das „Decamerone“ wurde. Nur schreiben die heutigen Superreichen keine so schönen Geschichten, ihr Angebot an die große Mehrheit der Bevölkerung sind Games und Virtual Reality: „VR is the new solution to climate change – or maybe the ultimate surrender to ist inevitability.“
Alle Probleme können mit Technologie und mit Geld gelöst werden – so der Glaube. Und mit einer Art Sklavenarbeit! Douglas Rushkoff bezeichnet die Produktionsprozesse zur Herstellung von Computern und Smartphones ausdrücklich als Sklavenarbeit, er spricht von „networks of slave labor“. Raubbau und Vergiftung des Planeten werden ebenso externalisiert wie Armut. Dies betrifft ohnehin nur die großen Verlierer, „the losers“. Das Prinzip des „Mindset“ lässt sich einfach zusammenfassen, „‚winning‘ means earning enough money to insulate themselves from the damage they are creating by earning money in that way. It’s as if they want to build a car that goes fast enough to escape from its own exhaust.”
Das Endspiel, „the endgame“, „the Event“ ähnelt dem Drehbuch eines „Marvel blockbuster“. In der Tat erinnert manches an das Vorgehen des Oberbösewichts Thanos in dem vorletzten Blockbuster der Avenger-Serie: „Infinity War“. Thanos, der den Namen des griechischen Totengottes Thanatos zitiert, sorgt dafür, dass sich die Hälfte der Menschheit einfach auflöst. Diese Halbierung der Bevölkerung des Planeten einschließlich so mancher Superheld:innen und der Führungscrew der Organisation SHIELD soll den Planeten ökologisch retten. Natürlich lässt es Marvel nicht dabei bewenden, denn das hätte das Publikum sicherlich nicht akzeptiert, und im folgenden Blockbuster, „Endgame“, findet sich die Chance, alle wieder zum Leben zu erwecken. Zurück auf Null.
Die von Douglas Rushkoff beschriebene Strategie der Milliardäre findet sich schon in früherer Science Fiction. Er zitiert „Metropolis“, den Roman von Thea von Harbou (1925), der eindeutig faschistoide Tendenzen aufweist, und dessen Verfilmung von Fritz Lang (1927). Man könnte ebenso „Globalia“ zitieren, den Roman des Arztes und Aktivisten Jean-Christoph Rufin (Paris, Gallimard, 2004). In diesem Roman gibt es angesichts der ökologischen Zerstörung der Erde vom Rest der Welt abgegrenzte, durch Kuppeln geschützte Rückzugsgebiete der Reichen und Mächtigen, die sich über geklonte Organe jung erhalten. Natürlich gibt es Widerstand. Ebenso ließe sich an den Film „Gattaca“ von Andrew Nicoll aus dem Jahr 1997 denken. Krankheiten sind per DNA-Manipulation ausgeschlossen, dennoch profitieren nicht alle davon. Es gibt trotz des Verbots genetischer Diskriminierung Ober- und Unterschichten. Dave Eggers zeigt in seinen Romanen „The Circle“ und „Every“ eine Welt, in der Künstliche Intelligenzen und allerlei technologische Gimmicks eine totalitäre Gesellschaft schaffen, die nicht einmal mehr eine Unterdrückungsmaschinerie braucht, weil die Menschen deren Aufgabe selbst erledigen. Das Besondere dieser Dystopie ist die Tatsache, dass jedes einzelne der beschriebenen Instrumente bereits existiert. Man müsste sie nur weltweit und umfassend implementieren. Die Romane von Dave Eggers zeigen, wie eine solche Welt dann ausschaut. Auch hier gibt es natürlich Widerstand, sogar aus dem engen Kreis derjenigen, die diese Welt konzipiert haben.
Last not least wäre einer der wichtigen Theoretiker und Vordenker des italienischen Faschismus zu nennen: Filippo Tomasi Marinetti, der in seinen futuristischen Manifesten – das erste erschien 1909 – verkündete, ein Rennwagen sei schöner als die Nike von Samothrake, es lebe das elektrische Licht und so fort. Technik habe der Dominanz über die Schwachen zu dienen, es solle eine Welt entstehen, in der Technik – so nannte man damals Technologie – männlichen Superhelden zur Herrschaft über alle anderen verhelfe. Ohnehin waren faschistische und faschistoide Parteien nie technik- beziehungsweise technologiefeindlich. Dies galt auch für andere totalitäre Ideenwelten. Lenin sah als Grundlagen einer kommunistischen Zukunft „Elektrifizierung und Sowjetmacht“.
„Faschismus“ hat viele Gesichter und wir sollten daher möglicherweise von „Faschismen“ sprechen. Dies schlägt Drehli Robnik in seiner Auseinandersetzung mit Siegfried Kracauer vor (Flexibler Faschismus, Bielefeld, transcript, 2024). Oft dient der Faschismusbegriff einfach als Metapher für etwas, das diejenigen, die sie nutzen, mit dem Nationalsozialismus identifizieren möchten. Nicht zuletzt tun das diejenigen, die wie Putin zwar keine Faschisten im Sinne des italienischen Vorbilds der 1920er und 1930er Jahre sein mögen, aber gleichwohl mit faschistoiden Mitteln regieren, indem sie jede Möglichkeit zum Widerspruch oder gar Widerstand in der Gesellschaft mit mehr oder weniger offensichtlicher Gewalt unterbinden.
An all diese Ideenwelten schließen die Milliardäre an, die Douglas Rushkoff in der Wüste traf. Elon Musk will auf den Mars, Jeff Bezos sucht ebenfalls solche Wege, Peter Thiel lässt mit Palantir-Technologies zur Verjüngung forschen. Das tun sie nicht, weil sie den Klimawandel leugnen, sondern weil sie an ihn glauben! Ihre Fantasien sind ihr Weg einer Klimaanpassungsstrategie. Alles andere ist Propaganda, so auch bei ihrem Frontmann Donald Trump, der sicherlich nichts dagegen einzuwenden hätte, verjüngt als ewiger Präsident auf dem Mars zu residieren.
Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, an dem man diejenigen, die für die Versorgung der Superreichen zuständig sind, nicht mehr wahrnehmen muss. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob ein Gesundheitsministerium zu Impfungen forschen lässt. Viel wichtiger werden Verjüngungsdrogen oder die Bedingungen einer künstlichen Biosphäre auf dem Mars. Was stören schon Tausende von Toten welcher Pandemie auch immer, wenn der Milliardär in Zukunft das ewige Leben auf dem Mars genießen darf? Wir sind dann auch nicht fern von Phantasien der Eugenik, wie sie der australische Autor Peter Singer vertritt, erschreckenderweise sogar im Einklang mit manchen demokratischen Politiker:innen und Wissenschaftler:innen. Die Eugenik der Nazis gehörte nicht zu den Kritikpunkten der Auslandsorganisation der damaligen Sozialdemokratie, der SoPaDe. Auch Alva und Gunnar Myrdal sympathisierten mit solchen Vorstellungen. Peter Bierl hat in seinem Buch „Unmenschlichkeit als Programm“ (Berlin, Verbrecher Verlag, 2022) diese „Querfront der Exklusion“ beschrieben. Es ist offensichtlich, wofür Trump und seine Milliardärs-Crew die ursprünglich für USAID, die WHO und andere internationale Organisationen gedachten Mittel brauchen und warum sie das Personal der staatlichen Steuerbehörde IRS ebenso drastisch reduzieren wollen.
Die von Donald Trump gewaltsam geplanten und in Teilen auch schon durchgesetzten Abschiebungen ebenfalls in diesen Kontext. Proteste der Unternehmen, die wichtige Arbeitskräfte verlieren, kümmern ihn nicht. Die erforderliche Arbeit können ja eines Tages Roboter leisten. Aber auch das ist nicht so ganz neu. Douglas Rushkoff erinnert an „Thomas Jefferson’s ingenious food delivery system.” Dieses sorgte dafür, dass die Essenden keinerlei Kontakt mehr mit den Sklav:innen haben mussten, die sie versorgten. „We were taught in school that Jefferson invented the tiny manual elevator so the enslaved at Monticello wouldn’t have to trudge up the stairs with plates of food.” Ebenso geht es der Crew der Prepper darum, dass diejenigen, die die sprichwörtliche Drecksarbeit machen, einfach nicht mehr sichtbar sind. Die Welt ist ausschließlich zur Ausbeutung da: „Uber, Airbnb, and even Google see low-income residents and their neighborhoods the way John Locke saw the landscape and natives of America: as undeveloped, virgin territories for exploitation.”
All diese Fantasien haben für die Reichen und Mächtigen nicht immer ein gutes Ende. In der Science-Fiction-Satire „Don’t Look Up” von Adam McKay (2021) retten sich die Reichen und Mächtigen, angeführt von einer von Meryl Streep gespielten weiblichen Donald-Trump-Karikatur, vor der Zerstörung des Planeten durch einen Kometen, dessen Existenz sie lange abgestritten hatten, auf einen fernen Planeten, werden aber – Vorsicht: Spoiler – von einer dort lebenden großen vogelartigen Spezies aufgefressen. Man könnte sagen, Doomsday is real, aber man sollte sich schon besser auf den fernen Ort vorbereiten, an dem man überleben zu können glaubt.
Wie demokratisch ist die Demokratie?
Die Frage, ob die erste Kolonie auf dem Mars eine Demokratie sein sollte, werden die von Douglas Rushkoff beschriebenen Prepper wohl eher mit Nein beantworten, es sei denn, sie denken an die attische Demokratie. Die attische Demokratie, die von Politiker:innen und Geschichtslehrer:innen gerne empathisch als Wiege der Demokratie bezeichnet wird, gab nur Vermögenden das Recht der Teilhabe, schloss Frauen aus und war eine Sklavenhaltergesellschaft. Das klassische Athen war sogar das Muster einer imperialistischen Oligarchie. Thukydides beschrieb im Melier-Dialog des Peleponnesischen Krieges (Buch 5), wie die athenische Demokratie mit einem schwächeren Nachbarn umging. Putins Handeln und Trumps Rhetorik ließen sich durchaus mit denselben Argumenten erklären.
Uwe Volkmann hat in der Maiausgabe 2025 des Merkur den Essay „Demokratischer Minimalismus – Zur Kapitulation der Demokratietheorie vor der gegenwärtigen Lage“ veröffentlicht (der Text ist frei lesbar ). Er verweist darauf, dass die Debatte um die Zukunft der Demokratie „längst ihr eigenes Literaturgenre hervorbracht“ hat, mit „nicht nur gelegentlichen Anleihen bei der Sprache der Pathologie“. Eine kleine Auswahl: „How Democracies Die“ (Steven Levitsky und Daniel Ziblatt 2018), „How Democracy Ends“ (David Runciman 2018) oder etwas poetischer formuliert „The Light that Failed“ (Ivan Krastev und Stephen Holmes 2019), bildungsbürgerlich-wagnerianisch „Demokratiedämmerung“ (Veith Selk 2023). Immer wieder ist von „Kipppunkten“ die Rede. Exemplarisch für diese Tendenz nenne ich eine Veranstaltung des Deutschen Zentrumn für Integration und Migration (DeZIM), das im Mai 2025 zu einer Veranstaltung mit Marco Wanderwitz einlud, dem ehemaligem Ostbeauftragten der Bundesregierung, Titel „Wann ist in einer Demokratie der Kipppunkt erreicht?“ Diesmal keine pathologisierende oder mythologisierende, sondern zur Abwechslung einmal eine den Naturwissenschaften entnommene Metapher.
Uwe Volkmann stellt die Konzepte der beiden Österreicher Hans Kelsen und Joseph Schumpeter einander gegenüber. Hans Kelsen hat in seinem Buch „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ (in der gelben Reihe von Reclam lieferbar) schon 1929 mehrere Grundprinzipien genannt, das Mehrheitsprinzip, den Parlamentarismus, die Repräsentation. Den Parlamentarismus charakterisiert Kelsen als „ein notwendiger Kompromiss zwischen der primitivierenden Idee der politischen Freiheit und dem Prinzip differenzierte Arbeitsteilung“. Sein Hauptargument für die Demokratie ist der „soziale Friede“, auch wenn die demokratische Repräsentation der gesamten Bevölkerung letztlich immer nur eine „Fiktion“ sein kann. Demokratie – so referiert Volkmann Kelsen – ist allerdings auch „diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt“, eine Formel, die später Ernst-Wolfgang Böckenförde mit seinem Satz aufnahm, Demokratie könne ihren eigenen Fortbestand nicht sichern. Die Beziehung Böckenfördes zum Anti-Demokraten Carl Schmitt, der mit seinen Thesen von „Souveränität“ und „Ausnahmezustand“ Rushkoffs Milliardären gefallen dürfte, wäre in diesem Kontext interessant zu untersuchen.
Joseph Schumpeter, der in der Regel mit dem von ihm geprägten Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ zitiert wird, erklärt hingegen „Demokratie in Analogie zum ökonomischen Tausch“: „Politische Unternehmer, die Parteien, unterbreiten ihren Konsumenten, den Wählern, ein Angebot und werden dafür von diesen mit Stimmen belohnt, die sie in den Besitz der staatlichen Ämter bringen.“ Damit sind wir bei einer der heute gängigsten Metaphern, mit denen Regierungshandeln belegt wird, Politik habe zu „liefern“ oder in Trumps Begrifflichkeit, sie wäre immer ein „Deal“. Uwe Volkmann spitzt dies zu: „In diesem Sinne handeln sie mit Stimmen wie andere mit Öl und verführen die so ahnungs- wie verantwortungslosen Bürger mit ihrer Werbung.“ Und wenn die Bürger:innen vor etwas Angst haben, versucht man einfach, die angeblichen Gründe der Ängste aus dem Blickfeld zu entfernen und verjagt einfach alle, die einem nicht passen, als Sündenböcke. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Anspruchslose Demokraten
Für Uwe Volkmann ist ein konsumorientiertes Verständnis von Demokratie „der demokratische Minimalismus in seiner radikalsten Form, gespeist aus tiefem Misstrauen gegen die menschliche Fähigkeit zur Demokratie.“ Damit sind wir wieder bei den „Preppern“, deren Wirken Douglas Rushkoff beschreibt. Peter Thiel hält Demokratie und Freiheit – er meint natürlich ausschließlich wirtschaftliche Freiheit, mit Bürgerrechten hat das nichts zu tun – für unvereinbar. Eine Gegenerzählung haben die meisten liberalen und demokratischen Politiker:innen nicht. Letztlich verfolgen sie – so Uwe Volkmann – „ein „defensives Konzept, gerade im Fall der Demokratie atmet es den Geist der Wagenburg, die gegen das Andere, das von allen Seiten andrängt, verteidigt werden muss.“ So agierten bei den letzten Wahlen Kamala Harris und die US-amerikanischen Demokraten, so agierten in Deutschland vor allem SPD und Grüne. Solche Beispiele ließen sich auch für andere Länder finden. Uwe Volkmann konstatiert nüchtern: „Aus dem Geist der Defensive lassen sich solche Kämpfe erfahrungsgemäß nur schwer gewinnen.“
Stattdessen bräuchten sie – so Uwe Volkmann – eine „Vision von Zukunft“. Marina Weisband hat unter anderem in ihrem Buch „Die neue Schule der Demokratie“ (2024) appelliert, „aus Konsumenten Gestalter“ zu machen. Doch dies liegt wohl weit außerhalb solcher Vorstellungen. Uwe Volkmann nennt als weiteren Gewährsautor einer partizipativen Idee von Demokratie John Rawls und seine „Gerechtigkeitstheorie der Gesellschaft als ein System fairer Kooperation“ (1979). Doch statt sich mit diesen Thesen auseinanderzusetzen, überlallen demokratische Politiker:innen das Feld Figuren wie Donald Trump und der Crew der sich um ihn scharenden Milliardäre.
Donald Trump verspricht letztlich viele neue Fließbänder, Kohle- und Atomkraftwerke Elon Musk noch nie gesehene Technik. Das passt nicht einmal zusammen. Die von Rushkoff beschriebenen Prepper reduzieren Zukunft auf Technologie, denn auch Wirtschaft – Produktionsbedingungen, Geldtransfersysteme, Alltagstauglichkeit – hat viel mit Technik zu tun. In der einfachen Version: Wenn die Schienen kaputt sind, kann die Bahn nicht fahren. In der komplizierteren Version: Wenn wir alle mit Künstlicher Intelligenz jeden beliebigen Text übersetzen könnten, brauchen wir keinen Fremdsprachenunterricht mehr. So ähnlich hat es im Übrigen Wilfried Kretschmann in einem Interview für die ZEIT gesagt. Und vielleicht brauchen wir noch nicht einmal Schulen, College-Abschlüsse oder Abitur, wenn Technologie den gesamten Alltag organisiert. Trump lässt ohnehin das Bildungsministerium der USA weitgehend entkernen. Schulbesuch wird zur privaten Angelegenheit jedes Einzelnen. Nice to have.
Zurück zu Douglas Rushkoff: Die Milliardäre um Elon Musk, Peter Thiel und Jeff Bezos werden für viele zu Vorbildern, letztlich sind sie die heutige Variante des American Dream, vom Tellerwäscher zum Millionär. „They have become our society’s heroes. Cherry picking compatible ideas from science, economics, and philosophy, they have assembled a mindset that actually encourages them to build a highly technologized society capable of supporting denial at scale.” Es soll sogar Leute geben, für die Jeffrey Epstein ein Vorbild sein soll, der auch zu dieser Crew gehört. Das ist gar nicht so abwegig, wenn man Äußerungen so mancher Männer über Frauen liest. Mariam Lau hat in der ZEIT die Attraktivität einer solchen Einstellung am Beispiel der USA analysiert: „Willkommen in der Mannosphäre“. In Israel wurde der ehemalige Präsident Moshe Katzav wegen Vergewaltigung zu sieben Jahren Haft verurteilt und Putin erklärte öffentlich, für was für einen tollen Mann er Katzav hielte. Douglas Rushkoff nennt Epstein einen „transhumanist billionaire prepper“, der nicht nur glaubte, dass ihm die Forschung helfen könnte, den menschlichen Genpool zu dominieren, den Tod zu verhindern, sondern auch plante, in seiner Ranch gleichzeitig 20 Frauen zu schwängern (Elon Musk soll angeblich bereits 14 Kinder gezeugt haben und sucht über soziale Netzwerke weitere Frauen, die bereit wären, mit ihm weitere Kinder zu zeugen). Epstein tötete sich als verurteilter Sexualstraftäter in der Haft selbst. All diese Milliardäre wirken ein wenig wie „übermensch wannabees“.
Uwe Volkmann spricht von der „Anspruchslosigkeit“ der selbsternannten Demokratieverteidiger:innen. Es gibt offensichtlich „keinen Maßstab (…), anhand dessen sich mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig und als solche benennen lassen.“ Ebenso fehle es „an einem Maßstab für Kritik“. Ständig werden Alltäglichkeiten zu einem Demokratieproblem hochgehypt, obwohl sie eben nur Alltäglichkeiten sind. Fährt der Bus nicht, fehlen Ärzt:innen auf dem Land, sind die aktuellen Gas- und Ölheizungen dysfunktional, sind das keine Probleme der Demokratie, sondern der Infrastruktur, die behebbar sein dürften. Eigentlich. Aber viel zu oft entsteht der Eindruck, den Katja Berlin in einer ihrer Torten der Wahrheit auf den Punkt brachte: Es gibt einige wenige, die sagen, das Glas wäre halb voll, dann eine größere Gruppe, die es als halb leer bezeichnet, etwa 40 Prozent jedoch seien der Meinung, das Glas wäre leer, dazu auch noch kaputt und jetzt wolle man auch noch die Gläser verbieten.
The Empire Strikes Back
Uwe Volkmann benennt das Dilemma, in dem sich Demokratien zurzeit befinden: „Versteht man hingegen mit deliberativen Konzeptionen Demokratie als eine Form des öffentlichen Vernunftgebrauchs, die durch den Austausch rechtfertigender Gründe bestimmt ist, sieht man, dass all dies nicht nur einige ihrer begünstigenden äußeren Voraussetzungen betrifft, die gegeben sein mögen oder auch nicht, sondern sie selbst, in ihrem Begriffe und der sie von innen her tragenden Ordnungsidee, und sie von dort her zersetzt. Und man erkennt, warum sie existentiell herausgefordert ist, wenn Gesellschaften immer mehr und zuletzt so weit auseinanderdriften, dass, wie es derzeit in den USA zu beobachten ist, sich die verschiedenen Lager gegenseitig als Feinde betrachten und die eine Seite die andere ganz grundsätzlich als ‚böse‘ ansieht.“ Auch hier finden wir den Geist von Carl Schmitt, es gäbe in der Politik nur Freund und Feind, nichts mehr dazwischen. Volkmann verweist auf die Studie „Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser (Berlin, Suhrkamp, 2023). Diese Studie zeigt allerdings auch, dass solche Konfrontationen durchbrochen werden können, wenn die Leute nur miteinander reden würden. In der Situation der soziologischen Studie taten sie dies.
In der politischen Realität ist dies jedoch nur dann möglich, wenn wieder über Repräsentation in der Demokratie nachgedacht und Repräsentation eben nicht durch Identität ersetzt würde, diesmal durch eine „white identity“, die alle bisherigen DEI-Maßnahmen („Diversity, Equality, Inclusion“) zunichtemacht. Repräsentation ist nicht das Interesse der von Rushkoff beschriebenen Prepper. Es geht ihnen um Identität und Exklusion. Man muss sich nur die Schulgesetzgebung in Florida anschauen, in denen es Nicht-Regierungsorganisationen wie die „Moms for Liberty“ geschafft haben, alles, was nicht ihrem Weltbild entspricht, aus den Bücherregalen der Schulen entfernen zu lassen. Genau dies geschieht zurzeit in den Datenbanken der US-amerikanischen Wissenschaft, wo alles getilgt wird, das Begriffe enthält, die in irgendeiner Form an „Diversity, Equality, Inclusion“ (DEI) erinnern, einschließlich von ganz einfachen Wörtern wie „climate“, „women“ oder „female“. Adrian Daub hat die Vorstufen in seinem Buch „Cancel Culture Transfer – Wie eine moralische Panik die Welt erfasst“ (Berlin, edition suhrkamp, 2022) beschrieben. Nur kann inzwischen nicht mehr von „Panik“ die Rede sein, denn das Imperium schlägt zurück. Adrian Daub schrieb in der ZEIT über „Amerikas Bildungswunder“: „Der Erfolg der amerikanischen Universitäten fußte zumindest zum Teil auf dem kleinen Wunder, dass sich Sponsoren überzeugen ließen, Dinge zu unterstützen, die sie weder verstanden noch gut fanden.“ Eben dies ändert sich jetzt, und zwar grundsätzlich: Sponsoren, zumindest die Milliardärs-Crew um Trump, unterstützen nur noch Dinge, die sie selbst gut finden und ihren Reichtum vermehren.
Rushkoff hält es für keinen Zufall, dass die koreanische Serie „Squid Game“ zur meistgesehenen Netflix-Serie wurde. Es geht um das Versprechen unermesslichen Erfolgs für den Sieger, während alle anderen, die Verlierer, getötet werden. Die Leichen werden entweder verbrannt oder für den Organhandel genutzt. Der berühmte Star-Trek-Satz von Spock, „the need of the many outweigh the need of the few” (in: The Wreath of Khan, dem zweiten Film mit der Crew der Originalserie), wird ins Gegenteil verkehrt: „While the wealthy retreated, the poor were clobbered. Each 1 percent increase in a county’s income inequality was associated with a 2 percent increase of Covid infection and a 3 percent rise in related deaths.”
COVID wurde somit – geradezu im Gegensatz zu Susan Sontags These, dass eine Krankheit eine Krankheit und keine Metapher ist – zur Metapher gesellschaftlicher Ungleichheit, verbunden mit dem Plädoyer, dass die Wenigen allein aufgrund ihrer technologischen und finanziellen Überlegenheit das Recht haben, auf niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Die marxistische These von der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel als Grundlage der Macht im Kapitalismus wird auf die Spitze getrieben. Wie die aus dem Valley stammenden Milliardäre ihre Macht auf- und ausbauen, haben sie – so Adrian Daub in „Was das Valley denken nennt“ (Berlin, edition suhrkamp, 2020) – von „alten amerikanischen Traditionen: von der Erweckungsbewegung zum Infomercial, von der Prädestination zur Selbsthilfe“ übernommen und mit den Theorien der Hippie-Kultur Kaliforniens der 1960er Jahre getarnt.
Der Weg zum Mars ist ihre Manifest Destiny, aber auch nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Transhumanismus. Ray Kurzweil, der in Rushdoffs Buch natürlich nicht fehlen darf, denkt über das Überleben der Menschheit in Daten nach: „Everything about us that can be converted into data will be preserved. Anything that cannot, well, that stuff isn’t real anyway.“ Manifest Destiny – Next Level. Wir erleben den Auftakt einer Zeit, in der kosmologische Science Fiction Wirklichkeit zu werden droht. Cixin Liu beschrieb die unendlich lang erscheinenden Zeiträume einer solchen Entwicklung in seiner Trisolaris-Trilogie. Andererseits: Je schneller die technologische Entwicklung, desto langfristiger lässt sich denken. Die Prepper-Milliardäre, die Douglas Rushkoff eingeladen hatten, sind selbstverständlich Anhänger eines solchen Longtermism, in dem wir heutigen Menschen keine Rolle mehr spielen. Der aktuelle Klimawandel ist für sie – so Verena Dauerer im Quiio-Magazin – in solchen Zeiträumen nur „eine Lappalie“. Vorausgesetzt, die Milliardäre sind schnell genug, die nächsten Level zu bespielen.
Norbert Reichel, Bonn
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Mai 2025, Internetzugriffe zuletzt am 27. Mai 2025. Titelbild: Hans Peter Schaefer aus der Serie „Deciphering Photography“.)