Science Fiction schreiben

Ein Porträt von Frederik Pohl, Autor des Gateway-Zyklus

„Ist es lohnenswert, sein Leben damit zu verbringen, Science-Fiction zu schreiben? Aber sicher. In jeder Hinsicht, die ich genannt habe, und in vielerlei anderer Hinsicht. Aber das hat damit nicht viel zu tun. Man liebt einen Menschen nicht nur, weil er einem etwas zurückgibt. Der Mensch ist wertvoll, weil man ihn liebt. So ist es auch mit mir und der Science-Fiction. Ich bin wirklich dankbar für die Geschenke, die sie mir gemacht hat. Aber ich habe sie auf den ersten Blick geliebt, ohne Geschenke, und es sieht so aus, als würde ich das mein Leben lang tun.“ (Frederik Pohl in seiner Autobiografie „The Way the Future was – A Memoir”, 1978)

Es kommt selten vor, dass ich Romane nach dreißig Jahren noch einmal lese. Meist gebe ich nach wenigen Seiten auf, weil der Schreibstil der Autorinnen und Autoren mir mittlerweile zu antiquiert erscheint oder weil sich meine Literaturansprüche geändert haben. Nicht so beim erneuten Lesen eines der – meiner Meinung nach – größten Leistungen der Science-Fiction-Literatur, des Gateway Zyklus (1977-1990) von Frederik Pohl, der aus fünf Romanen und einer ergänzenden Story-Sammlung besteht, von denen leider nur die ersten drei Bände in deutscher Übersetzung vorliegen. Dies ist besonders schade, weil der vierte und der fünfte späte Band die Erzählung auf erweiterte Handlungsebenen heben, die dem Ganzen – wieder einmal mehr in der komplexen Erzählung von Frederik Pohl – eine neue Perspektive verleihen.

Frederik Pohl hat sein Schriftstellerleben lang wunderbare, gut lesbare und interessante Darstellungsmöglichkeiten von Wissenschaft und Ironie in seinen Science-Fiction-Erzählungen gefunden und sie mit den Belangen der Menschen zu einem Literaturformat von Güte verbunden, in dem mögliche Zukünfte für uns Leserinnen und Leser nachvollziehbar werden. Der Gateway-Zyklus gehört zu seinen bekanntesten Büchern, aber es lohnt sich, auch seine weiteren Werke zu lesen. Eine vollständige Liste dieser Werke einschließlich der ihrer Übersetzungen in zahlreiche Sprachen bietet die Internet Speculative Fiction Database.

Im Zentrum des Werks von Frederik Pohl: Der Gateway-Zyklus

Der erste Roman des Gateway-Zyklus beginnt – und das ist schon allein eine bemerkenswerte Besonderheit für ein Science-Fiction-Werk – mit einer Psychoanalyse-Sitzung des Protagonisten Robinette Broadhead mit dem Therapeuten Sigfrid von Shrink (in der deutschen Fassung: Sigfrid Seelenklempner) – und der ist eine künstliche Intelligenz! Wohlgemerkt, der Text ist im Jahre 1977 veröffentlicht worden. Es entwickeln sich lange Therapiegespräche zwischen Mensch und Maschine über Traumdeutung, Beziehungen, Verluste und psychische Verwundungen. Hintergrund ist der Wunsch von Robinette Broahead, über Gateway, das Raumfahrttor der Hitschi (im englischen Original: „Heechees“), eine unbekannte Welt zu finden und durch diesen Fund unermesslich reich zu werden.

Frederik Pohl erzählt in den Bänden des Gateway Zyklus mindestens sieben unterschiedliche Geschichten: die Zukunft der Menschheit, die Abenteuerlust in das völlig Unbekannte und Gefährliche einer außerirdischen Zivilisation, die Kommunikation zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz, das Verschwinden von Menschen im Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs, die Hitschi-Zivilisation, die trotz ihres Alters und ihrer den Menschen hoch entwickelten Technologie sich vor Angst vor den „Mördern“ (im englischen Original: „Assassins“) in ein Schwarzes Loch zurückgezogen haben, und den Mördern selbst, einer noch weiter entwickelten galaktischen Zivilisation, die den Kältetod des Universums umkehren will – und schließlich dem verstorbenen Robinette Broahead, der in Form eines Computerprogramms weiterlebt und auf diese Weise als Energielebewesen mit diesen Intelligenzen Kontakt aufnehmen kann. Dies wäre Stoff für mindestens sieben eigenständige große Werke, die der Autor zunächst in vier aufeinander aufbauenden Romanen genial verbunden präsentiert.

Die Reise des Menschen ins Unendliche

Unser Universum wird unvorstellbar groß und alt, es könnte aber auch sein, dass es endlich ist und im Kältetod erstarren wird. Eine andere Möglichkeit wäre, dass das Universum unendlich ist und in einem jeweils neuen Big Bang immer wieder wiedergeboren wird. Dies wäre die Vorstellung ewiger Inflation und ewiger Komplexität. Alle Vorschläge sind unfassbar, irritierend und quälend interessant. Ein wunderbarer Stoff für ein großes Epos im Stile von Tolkiens „Herr der Ringe“ oder ein Gefühlsdrama nach einer Art Muster „Die Liebenden am Ende aller Tage“.

Es gibt einige wenige gute literarische Versuche, diese großen Fragen von Unendlichkeit zu behandeln. Am überzeugendsten ist dies aus meiner Sicht Frederic Pohl in seinem Gateway-Zyklus gelungen. Im ersten Band „Gateway“, beginnt der Protagonist Robinette Broadhead eine verschlungene Reise zu den Sternen und zu sich selbst. Die Menschheit hat ein Tor zu den Sternen entdeckt, das von einer sehr alten und verschollenen Alien-Rasse, den Hitschis, hinterlassen wurde. Robinette Broadhead ist von Beruf Prospektor, also eine Art diebischer Archäologe, der technische Artefakte von den gefährlichen Reisen mitbringt, auf die man von Gateway aus geschickt wird, wenn man wagemutig und verzweifelt genug ist, sich auf ein derartiges Abenteuer einzulassen. Viele kommen nicht zurück von ihrem Gateway-Trip, manche, wie Robinette Broadhead, werden steinreich.

Durch die Untersuchung der über die Galaxis verstreuten Mosaikstücke der überlegenen Heechee-Technologie eröffnen sich der Menschheit neue Dimensionen der Erkenntnis. Was zunächst als Spielerei mit technischen Innovationen beginnt, wird schließlich zu einem großen kosmologischen Gemälde mit endzeitlicher Konsequenz. Die Hitschis haben sich vor Millionen von Jahren aus der Galaxis zurückgezogen und verstecken sich in Schwarzen Löchern. Der Grund für ihre überstürzte Flucht wird später erläutert: das Wirken einer furchterregenden Superrasse, der Assassins. Die Assassins haben alle Lebewesen der Galaxis gnadenlos vernichtet und deren Kulturen erbarmungslos zerstört. Gründe für ihre Motive werden erst im letzten Band enthüllt.

Die „Assassins“ haben sich zu reinen Energiewesen entwickelt, die ihre Heimstatt in Sonnen beziehungsweise in fremden Dimensionen gefunden haben. Sie arbeiten daran, den unabwendbaren Kältetod des Universums zu verhindern und den Big Bang umzukehren. Dabei werden, nebenbei und unbeabsichtigt, viele an Materie gebundene Prozesse, also auch der Austausch von Materie und Energie von Lebewesen, gestört. Die Dimensionen passen einfach nicht zueinander, so dass die Superwesen die fatalen Folgen, die ihr Tun für Materiewesen bedeutet, nicht einmal merken.

Der Protagonist Robinette Broadhead ist mittlerweile alt geworden und stirbt schließlich, wobei sein Bewusstsein aufgrund fortschrittlicher Hitschi-Technologien in Computerdatenbanken weiterexistiert. Er wird eins mit dem Programm „Einstein“, das ihn jahrzehntelang psychologisch betreut hat. Robinette Broadhead mutiert zu einem Wesen, dessen Bewusstsein nur auf Energiezuständen beruht. Damit wird er kommunikationsfähig mit der Superrasse der Assassins und kann die Verbindung zwischen ihnen und der Menschheit sowie den schließlich aus den Schwarzen Löchern aufgeschreckten Hitschis herstellen.

Verschollen im Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs

Im zweiten Band „Behind the Blue Event Horizon“ (1980) schildert Pohl die Schuldgefühle seines Protagonisten Robinette Broadhead und die Rettungsmission für seine Seelenverwandte Gelle Klara Moynlin, die im Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs verschollen ist. Es wird offenbart, dass sich die Hitschis in einem Schwarzen Loch verbergen, um die relativistische Zeit auszunutzen, die ihnen ein langsameres Leben als außerhalb des Schwarzen Lochs ermöglicht, denn sie fürchten sich vor den mächtigen Assassins. Es wird diskutiert, ob das Universum in sich selbst kollabiert und durch eine neuen Big Bang wiedergeboren wird, sodass bessere Bedingungen für intelligentes Leben herrschen. Robinette Broadhead und seine AI Albert sind der Meinung, dass sie mit Hitschi-Technologie die verschollene Gelle Klara Moynlin aus dem Ereignishorizont des Schwarzen Lochs werden befreien können.

Im dritten Band „The Annals of the Heechee“ (1987) wird Gelle Klara Moynlin aus dem Ereignishorizont des Schwarzen Lochs befreit und die Hitschis befassen sich mit dem technischen Entwicklungsstand der Menschheit, weil sie befürchten, dass diese durch ihre Aktivitäten die Assassins auf sich aufmerksam machen. Außerdem wird enthüllt, dass die Hitschis schon vor sehr langer Zeit auf der Erde gewesen sind und die Evolution des Australopithecus zum Homo sapiens beeinflusst haben.

Im vierten Band „The Annals of the Heechee“ (1987) tauchen die Assassins auf, die reine Energiewesen sind und die die Ausdehnung des Universums gestoppt haben und in eine Kontradiktion umgewandelt haben. Da Robinette Broadhead gestorben ist und zu einem Computerprogramm wurde, ist er nun ein gleichwertiger Gesprächspartner für diese Energiewesen geworden und kann zwischen den unterschiedlichen Intelligenzen vermitteln. Am Schluss des Buches sagt die gottgleich gewordene künstliche Intelligent Albert zu Robinette Broadhead: „Wenn alle Menschen und Heechee, die am Leben sind, beschließen, lebendiger und dauerhaft am Leben zu bleiben, dann besteht vielleicht die Chance, einen echten Dialog zu führen (…). Aber in den nächsten paar Millionen Jahren werden sie uns wohl in Ruhe lassen – wenn wir sie in Ruhe lassen.“

Was konnte Frederik Pohl in den 1980er Jahren über Schwarze Löcher wissen und wie gelang es ihm, eine Erzählung um diese mysteriösen Gebilde im Universum zu schreiben, eine Erzählung, die tiefe menschliche Gefühle wie Liebe, Verlust, Schuld, Sühne und Wiedervereinigung mit Astrophysik verbindet?

Schwarze Löcher sind astronomische Gebilde von sehr unterschiedlicher Beschaffenheit, wie wir heute, im Jahre 2025, wissen. Offenbar gibt es – theoretisch – Mikro-Schwarze-Löcher und – nachweislich – kosmische Giganten, wie das inaktive Schwarze Loch im Cosmic Horseshoe-System, fünf Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt, das die unvorstellbare Masse von 36 Milliarden Sonnen umfasst. Im Zentrum unserer Milchstraße wurde ein massenreiches Schwarzes Loch bei Sagittarius A* nachgewiesen.

Es wird vermutet, dass Schwarze Löcher Wurmloch-Verbindungen in andere Universen darstellen, an deren Ende sich Weiße Löcher befinden. Die Science-Fiction-Literatur hat aus dieser rein theoretischen Annahme heraus faszinierende Geschichten geschrieben. Frederik Pohl hat erzählt, wie Gelle-Klara Moynlin in den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs gerät und so auf ewig in einer Zeitfalle gefangen wäre. Ihre Zeit verläuft für sie relativ normal, während die Zukunft des Universums an ihr vorbeirast. Gelle-Klara Moynlin wird gerettet und taucht als Protagonistin in „The Boy who would live forever“ (2004) wieder auf.

Das Wissen über Schwarze Löcher in den 1980er Jahren war begrenzt. John Archibald Wheeler prägte den Begriff „Schwarzes Loch“ im Jahre 1967, Stephen Hawking berechnete im Jahre 1980 die Hawking-Strahlung, die besagt, dass sich Schwarze Löcher durch die Abgabe von Strahlung langsam auflösen. In den 1980er Jahren war die Identifikation von Schwarzen Löchern im Universum ein aktives Forschungsfeld, es wurden Pulsare untersucht und mit Cygnus X-1 das erste Schwarze Loch nachgewiesen. Das Material für literarische Verwertungen der wissenschaftlichen Daten und Erkenntnisse war seinerzeit wenig ergiebig und man muss Frederik Pohl ein großes Kompliment ausstellen, dass es ihm trotzdem, und als einem der ersten Science-Fiction Schriftsteller überhaupt, gelungen ist, damit eine spannende Erzählung zu schreiben, die die Kälte des Universums mit menschlicher Wärme erfüllt.

Im späten letzten Band des Gateway-Zyklus „The Boy who would live forever“ (2004) äußert sich Frederik Pohl in einem Nachwort über die Wandelbarkeit der Wissenschaft zum Thema Schwarze Löcher: „Als ich 1978 ‚Gateway‘, den ersten Band der Heechee-Reihe, schrieb, waren Schwarze Löcher noch eine ziemliche Neuheit. Die meisten Wissenschaftler waren bereit zu glauben, dass solche Objekte tatsächlich existierten. Allerdings war noch keines davon eindeutig nachgewiesen worden, und die Spekulationen über ihre genaue Beschaffenheit waren zahlreich und vielfältig. Für meinen Roman entschied ich mich für zwei der interessantesten Spekulationen der Wissenschaftler. Erstens, dass sich im Zentrum unserer Galaxie ein großes Schwarzes Loch befindet. Und zweitens, dass sich immer dann, wenn irgendwo eine ausreichend dichte Ansammlung von Materie oder Energie vorhanden ist, automatisch ein Schwarzes Loch um sie herum bildet. Daher könnten innerhalb eines solchen Schwarzen Lochs eine Reihe von Sternen und Planeten existieren. / Fürs Protokoll: Ich habe zur Hälfte richtig gelegen.“

Frederik Pohl und seine Netzwerke

Frederik Pohl schreibt gut lesbar und reflektiert über die aufregenden, spannenden und komplexen Themen in den unendlichen Raum-Zeit-Gefügen. Gleichzeitig bietet er fast schon lyrisch zu nennende Texte über die Grundessenz menschlicher Beziehungen ab? Aber wer ist der Autor Frederik Pohl? Und mit wem arbeitete er?

Frederik Pohl wurde am 26. November 1919 als Kind einer armen Familie in Brooklyn, New York, geboren, lernte früh Lesen und entdeckte die Pulp-Hefte der Zeit als Quelle seiner Ideen über Abenteuer, das Erwachsenwerden und das Leben in der Zukunft. Über die Anfänge seiner Karriere mit der Schilderung zahlreicher Begegnungen großer Autorinnen und Autoren des goldenen Zeitalters der Science Fiction schreibt Frederik Pohl in seiner Autobiografie „The Way the Future Was: A Memoir“ (1978), in der er vor allem auf seine Anfänge als Herausgeber und als Schriftsteller und frühen Freunde wie Isaac Asimov eingeht.

Der Beginn der Profikarriere von Frederik Pohl als Herausgeber, Lektor und Schriftsteller ist auf seine erste Begegnung mit der Zeitschrift Science Wonder Stories Quarterly, einem Pulp-Magazin, zurückzuführen. Diese Zeitschrift war von Hugo Gernsback im Jahre 1929 gegründet worden und existierte nur von Herbst 1929 bis Frühjahr 1930. Frederik Pohl und sein Freund Dave Wylie engagierten sich in der Science Fiction League, die von Hugo Gernsback im Februar 1934 organisiert wurde. Frederik Pohl organisierte später selbst einen damals einflussreichen Kreis von Science-Fiction Enthusiasten, die „Futurians“, bei denen sein Schreibpartner Cyril M. Kornbluth, Isaac Asimov und Damon Knight mitmachten. Im Alter von neunzehn Jahren wurde Frederik Pohl Herausgeber der Pulp-Magazine Astonishing Stories und von Super Science Stories.

Hier beginnt die lange und erfolgreiche Karriere von Frederik Pohl, zunächst als Agent von Isaac Asimov und als Herausgeber mehrerer Magazine sowie als vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, dessen Hauptwerke die „Space Merchants“ (1952) sind, eine ironische Satire auf das Konsumwesen in Amerika der 1950er Jahre und den Gateway-Zyklus (1977 bis 1990). Frederik Pohl beendet seine Schriftstellerkarriere in der Arbeit mit Arthur C. Clarke an dem Roman „The Last Theorem“ (2008), den er nach einem Exposee von Clarke schreibt. Frederik Pohl stirbt am 2. September 2013 in Palatine, Illinois.

Die Kraft der Wissenschaft mit einem Hauch von Subversion

Frederik Pohl und Cyril M. Kornbluth haben im Jahre 1952 mit „The Space Merchants“ (deutsche Ausgabe: „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“) eine bitterböse Satire auf die US-amerikanische Konsumgesellschaft veröffentlicht, die als Science Fiction etwas in die Zukunft versetzt und mit dem Traum der Menschen nach einem sauberen Paradies spielt, da die Erde durch Umweltkatastrophen verschmutzt ist. Ein Konzern verscheuert die Venus als zukünftige Heimstätte der Menschheit, trotz des lebensfeindlichen Klimas und der unbewohnbaren Oberfläche des Planeten. Die Autoren ziehen alle Register von fundierter Gesellschaftskritik, verkleidet als bittere Ironie. Dieses frühe Werk ironischer Science Fiction stellt einen ersten Höhepunkt dieser Satire-Unterart des Genres dar und hat eine ähnliche Qualität wie die Romane von Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ (englisches Original: A Hitchhiker’s Guide Through the Galaxy, 1979, deutsche Ausgabe 1992).

Richard Morgan würdigt das Buch, das auf dem Höhepunkt der McCarthy-Ära in den USA geschrieben wurde, in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe: „Die Satire und Sozialkritik von ‚Eine Handvoll Venus‘ steht wie ein zeitloses Monument für die subversive Kraft der Science-Fiction.“

Ein ähnliches Urteil könnte auch für „Mensch Plus“ (englischer Titel: „Man Plus“) gelten, die Geschichte einer ungewöhnlichen Art der Besiedlung des Mars, die nicht von Menschen oder Robotern ausgeführt wird, sondern von Cyborgs, also solchen Mischwesen aus gentechnisch veränderten Menschen und intelligenten Maschinen, eine Vorstellung, die vielen Menschen der Gegenwart als Horrorvorstellung aus dem Labor eines Dr. Frankenstein vorkommen mag. Hintergrund ist die drohende Apokalypse auf der Erde, die nicht mehr aufzuhalten scheint. Die visionäre Kraft des Romans ist allerdings nicht auf die besondere Art der Marsbesiedlung zurückzuführen, sondern auf die Erzählung der Bewusstwerdung der Computerintelligenzen, die der Autor – wohlgemerkt, wir befinden uns Anfang der 1970er Jahre, der Roman wurde 1976 veröffentlicht – am Schluss des Romans zurückschauen und resümieren lässt: „Wir hatten den ganzen langen Weg fast an jedem Punkt Schwierigkeiten gehabt, aber wir hatten sie überwunden und freuten uns darüber. Die Menschen wussten natürlich nicht, dass wir uns freuten, sie hätten es vielleicht nicht geglaubt. Die Menschen wussten nicht, dass Maschinenintelligenz überhaupt eines Bewusstseins fähig war. Wir bemühten uns sehr, ihnen dieses Wissen vorzuenthalten. Solange sie glaubten, Computer seien nicht mehr als Werkzeuge wie eine Axt oder eine Bratpfanne, würden sie fortfahren, uns alle ihre Berechnungen und Tatsachen anzuvertrauen, und würden ohne Argwohn die Urteile akzeptieren, die wir lieferten.“

Nur zur Erinnerung: Der erste Personal Computer, der Apple I, kam im Juli 1976 auf den Markt, als das Buch von Frederik Pohl schon erschienen war, der erste wirklich brauchbare Rechner Apple II im April 1977 und der Macintosh im Jahre 1984. Der erste IBM Personal Computer, das Model 5150 kam im August 1981, während die Publikumserfolge von Atari im Jahr 1979 und der Commodore C64 im Januar 1982 das Licht der Welt erblickte.

Science Fiction sagt nicht die Zukunft voraus, aber sie macht literarische Aussagen über gesellschaftliche Entwicklungen der Menschheit und erzählt Visionen, die in einer möglichen Zukunft eintreten könnten. Dabei liegt Science Fiction mitunter auch falsch oder erzählt Triviales, aber veröffentlicht manchmal eben geniale Zukunftsentwürfe, bei denen sich die Leserinnen und Leser wundern, wie die Autorinnen und Autoren auf ihre kreativen Ideen gekommen sind. Wenn man auf die Entstehungsgeschichte großer Romane der Science Fiction und ihre Erzähler zurückschaut, wie in diesem Beispiel nach mehr als fünfzig Jahren, ist man schon erstaunt, welche emotionalen und ethischen Werturteile in der Erzählung enthalten sind. „Mensch Plus“ beginnt mit einer Aussage über unsere Welt: „Es war eine schmutzige, schmierige Welt, und der Weltraum verschaffte ihr ein wenig Schönheit und Erregung. Nicht viel, aber besser als gar nichts.“ Es endet mit der Einschätzung über das Weiterleben von Menschen und intelligenten Maschinen: „Wir hatten unsere Spezies gerettet. Und dabei hatten wir auch noch Beträchtliches zur Sicherheit der Menschen beigesteuert.“ Hoffentlich stimmt dieses Selbstlob auch mit der Wirklichkeit überein.

Ganz am Schluss von „Mensch Plus“ erlaubt sich Frederik Pohl einen Cliffhanger, der vielleicht sogar auf den zukünftigen Gateway-Zyklus verweist. Die Maschinenintelligenzen fragen sich, warum eines ihrer entscheidenden Projekte, die Platzierung von Orbitalanlagen über dem Mars, falsch geraten ist. „Wir hatten die Pläne der Menschheit systematisch beeinflusst, um sie in die richtige Richtung zu lenken, die sie einschlagen sollten. / Wer beeinflusste die unsrigen? / Und warum?“

In einem Nachwort zu seinem Buch „The Boy who would live forever“ (2004) zieht Frederik Pohl eine Bilanz zur Rolle der Wissenschaft in seinen Werken: „Technisch gesehen muss Science-Fiction überhaupt keine echte Wissenschaft enthalten, und ein Großteil davon tut dies auch nicht. Ich bin jedoch der Meinung, dass einige der besten Science-Fiction-Werke auf der Erforschung der Wunder tatsächlicher wissenschaftlicher Theorien oder Beobachtungen beruhen, insbesondere wenn diese gerade erst aufgestellt wurden und noch nicht dogmatisch sind. Ich verwende solche Dinge oft. Wenn ich das tue, versuche ich, sie richtig darzustellen. Leider ist das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt „richtig” ist, nicht unbedingt auch noch ein paar Jahrzehnte oder sogar ein paar Jahre später richtig. Ein Beispiel dafür sind Schwarze Löcher. (…) / Ich sollte jedoch hinzufügen, dass ich so unverbesserlich bin, dass ich mich davon nicht davon abhalten lasse, weiterhin einige der haarigsten Spekulationen von Wissenschaftlern aufzugreifen und mein Bestes zu tun, um sie in Science-Fiction-Geschichten zu verarbeiten. Sie sind also gewarnt.“

Fritz Heidorn, Oldenburg

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Dezember 2025, Internetzugriffe zuletzt am 17. Dezember 2025, Titelbild: Hans Peter Schaefer.)