Star Trek und die Politik
Eine Serie der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit
“Space: the final frontier. These are the voyages of the starship Enterprise. Its five-year mission: to explore strange new worlds; to seek out new life and new civilizations; to boldly go where no man has gone before!”
So beginnen sie, die Originalserie ebenso wie die neueste Serie Strange New Worlds, und die Sätze sprechen die jeweiligen Captains, James T. Kirk und Christopher Pike. Der englische Wikipedia-Eintrag zieht eine Linie bis hin zu den Luisiaden von Luis de Camões aus dem Jahr 1572. Immer wieder sehen wir – beispielsweise in den Büros von Captain Jean-Luc Picard oder Captain Jonathan Archer – Bilder und Modelle vergangener Schiffe, die noch keine Raumschiffe waren, sondern über Meere und Ozeane fuhren, aber den Namen „Enterprise“ trugen. Nun heißen nicht alle Schiffe „Enterprise“, wir haben die „Discovery“, die in eine andere Zeit, 900 Jahre später, verschwand, wir haben die „Voyager“, die ihre endlos erscheinende Rückreise durch den Delta-Quadranten aufnimmt. Sprechende Namen haben sie alle, sie alle sind als Forschungsschiffe konzipiert, aber leider sind die Verhältnisse in unserer Galaxie nicht so friedlich, dass eine Reise ohne extensiven Waffengebrauch überhaupt möglich wäre. Dies ist zum Beispiel die Erkenntnis von Jonathan Archer, Captain der ersten Enterprise und der ersten Deep-Space-Mission der Sternenflotte überhaupt. Und etwas martialischer klingt der Name des Schiffs der Raumstation „Deep Space Nine“, die „Defiant“, denn in dieser Serie gibt es auch einen heftigen, den gesamten Alpha-Quadranten bedrohenden Krieg zwischen dem aus dem Gamma-Quadranten stammenden „Dominion“ und der Föderation und ihren Verbündeten im Alpha-Quadranten.
Aber was erklären uns Bücher, Filme, Serien der Populärkultur über heutige gesellschaftliche und politische Entwicklungen? Es gibt inzwischen ganze Forschungszweige zur Gothic Novel, zu Abenteuerromanen, Vampirromanen, fantastischer Literatur in fiktiven Welten und was auch immer, so eben auch zur Science-Fiction in den verschiedenen künstlerischen Gattungen. Doch Star Trek ist etwas Besonderes. Nicht nur, dass der Herausgeber des Demokratischen Salons ein ausgesprochener Fan ist, sondern auch, weil sich mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit eine politische Stiftung und somit ein Akteur der politischen Bildung die Aufgabe gestellt hat, die Botschaften von Star Trek unter unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten zu untersuchen. Dies geschah in zwei Staffeln mit insgesamt 22 Episoden und war während der COVID-19-Pandemie genau das, was nicht nur Star-Trek-Fans brauchten.
Martin Thoma, Referent bei der Friedrich-Naumann-Stiftung, hat sein Büro in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach. Er hat die Reihe vorbereitet und moderiert, er und Norbert Reichel haben sich ein wenig über diese Initiative ausgetauscht und verabredet, immer wieder mal politische Themen auf der Grundlage der 22 Episoden im Demokratischen Salon vorzustellen und zu diskutieren. Eine vollständige Liste der 22 Episoden mit den zugehörigen Links sowie weitere Lesetipps finden Sie am Schluss dieses Textes. Nicht zuletzt – auch das ist eine inspirierende Botschaft von Star Trek – gehören Shakespeare und Dante zu der bevorzugten Lektüre von Picard und Janeway und auf den Holodecks treffen wir eine Reihe bekannter Persönlichkeiten von Sherlock Holmes bis Leonardo da Vinci.
Cross-Over zwischen Politik und Populärkultur
Norbert Reichel: Wie kam es zu der Serie?
Martin Thoma: Die Corona-Pandemie führte dazu, dass wir viele Präsenzveranstaltungen ausfallen lassen mussten und auf ZOOM ausgewichen sind. Wir haben festgestellt, dass dies relativ gut funktioniert. Wir haben ein sehr interessiertes Publikum für diese digitalen Formate erreicht. Das hat die Nachfrage und die Teilnehmerquote deutlich gezeigt. Keine andere politische Stiftung war zu diesem Zeitpunkt so weit. Es ging zunächst nicht um Science-Fiction, sondern um eine Reihe zur Gesundheitspolitik. Das entsprach auch meinem Studium. Nach drei Staffeln zur Gesundheitspolitik hatte ich mit einigen Kollegen zusammengesessen und wir überlegten uns, was wir Neues machen könnten. Gesundheitspolitisch hatten wir fast alles behandelt, was man nur unter diesem Thema behandeln konnte.
Eine treibende Idee war schon immer, verschiedene Themen quasi cross-over mit politischer Bildung zu verbinden. In Präsenz wäre das ein bestimmter Ort, zum Beispiel ein Fußballstadion, in dem wir dann über Jugendförderung und Integration sprechen. Das war während der Pandemie aber eben nicht möglich. Science-Fiction war für mich immer schon eine Leidenschaft und irgendwann hatte ich einen klassischen Re-Watch von „The Next Generation“ angesetzt, bin dann zu „Deep Space Nine“ hinübergeswitcht und stellte fest, wie unfassbar politisch das alles ist. Über jede Episode von „Deep Space Nine“ hätte man eine eigene Sendung machen können. Dann kam die Idee, etwas zu Star Trek machen. So ging es los.
Norbert Reichel: Die Stiftung sagte, wir machen eine Staffel und dann wurden es zwei?
Martin Thoma: Nicht ganz. Der Anspruch war, politische Bildung in der gewohnten hohen Qualität abzuliefern. Darüber hinaus muss es authentisch wirken. Das war die Crux. Wir haben ein Jahr Zeit gebraucht zu recherchieren. Wir schauten zum Beispiel nach inhaltlichen Überschneidungen. Themen wie Rassismus, Ökonomie, Religion und Geopolitik sind in zahlreichen Episoden in Star Trek zu sehen. Wir haben diese Inhalte zunächst geclustert und zwölf Episoden konzipiert. In den zwölf Episoden haben wir dann auch die offensichtlichsten Themen platziert. Anschließend ging es in die Recherche nach den richtigen Leuten. Wir brauchten die Expertise und das Authentische. Wir wollten auf jeden Fall Personen gewinnen, die sich wissenschaftlich mit den Themen rund um Star Trek beschäftigen. Das wollten wir dann anreichern, indem wir Fans hineinholen, Podcaster, Journalisten, die sich öffentlich mit Star Trek beschäftigten und damit auch eine gewisse Credibility aufwiesen. Gleichzeitig waren das auch politische Menschen. Also eben Personen, mit einer politischen Meinung, einer Haltung und einer Einstellung.
Meine Recherche begann erst über Fachbücher, Beiträge und dann eben über Literaturverzeichnisse. Das erste Buch, das ich fand, war eine Reihe, die zwanzig Jahre alt ist. Ein wissenschaftlicher Band aus der Universität Kiel. Mein erstes Telefonat fand mit Hans-Jürgen Wulff statt. Er hatte damals eine Ringvorlesung veröffentlicht. Darauf basierte auch zu einem Stück unsere erste Staffel. Interessant war zu sehen, wer damals – vor zwanzig Jahren – schon aktiv war. Zum Beispiel Gerd Strohmeier, heute Rektor der TU Chemnitz, Metin Tolan, Thomas Richter, alle haben sich damals schon damit beschäftigt. Die habe ich alle nicht bekommen. Dann habe ich damit begonnen zu schauen, wer zitiert hier wen, wer schreibt über wen und wer schreibt welche Rezension. Ziel war es an Personen zu kommen, die sich aktuell mit dem Thema beschäftigen. Als ich dann etwa zehn bis fünfzehn Personen recherchiert hatte, konnte ich versuchen, diese zu gewinnen. Es gab Telefonate, E-Mails und und und. Erstaunlicherweise fiel das Projekt auf fruchtbaren Boden. Auch bei Personen, die mit der FNF eigentlich nichts anfangen konnten. Nachdem alle Episoden mit Gästen besetzt waren, konnten wir die Live-Shows planen.
Die Themen – Konzepte und Entwicklungen
Norbert Reichel: Mit dem Vorteil, dass man auch nach der Live-Show hineinschauen konnte, alles ist nach wie vor verfügbar und Ihre Zahlen zeigen, dass es immer wieder neue Interessierte gibt. Sie nannten eben einige Namen, erst einmal alles Männer, aber es gab ja auch einige Frauen, die sich mit Star Trek beschäftigten, zum Beispiel Luise K. Müller. Gab es so etwas wie geschlechtspezifische Vorlieben?
Martin Thoma: Hinsichtlich der Themen nicht unbedingt. Thomas A. Herrig hat über Feminismus in Star Trek ein Buch geschrieben. Eva Marlene Hausteiner beschäftigt sich auf politikwissenschaftlicher Ebene mit dem Imperialismus und Jenny Joy Schumann befasste sich mit Künstlicher Intelligenz in den Rechtswissenschaften. Das Spektrum von Personen und Themen ist also sehr breit gefächert und Star Trek bietet sich ja geradezu an, diese Vielfalt zu leben.
Norbert Reichel: Sie präsentieren in der Tat die unterschiedlichen Themen, Feminismus, Rassismus, Wirtschaft, die Institutionen der Galaxie. Gibt es in der Forschung Schwerpunkte, vielleicht sogar ein Ranking?
Martin Thoma: Es liegt ein bisschen an der Zeit. Aktuell gibt es einen Band von Katja Kanzler über Discovery. Da ging es viel um gesellschaftliche Themen. Es ist auch die diverseste Crew, die es je gab. Der Cast war ausgezeichnet, auch wenn die Rezensionen durchwachsen sind, was aber mehr am Story Telling und an der Rollenbeschreibung der einzelnen Personen liegt. Das Ökonomie-Thema war bei Next Generation und Deep Space Nine ein Thema, auch wegen der Ferengi, das war später nicht mehr so stark vertreten. In Discovery oder Strange New Worlds gibt es das beispielsweise kaum.
Norbert Reichel: Interessant finde ich die Veränderungen in der Darstellung der Ferengi. In Next Generation, auch in je einer Episode von Voyager und Enterprise sind die Ferengi üble Gesellen, eine Art Piraten, denen es nur um die persönliche Bereicherung geht. In Deep Space Nine kommt Rom zu seiner wahren Bestimmung, indem er seine Fähigkeiten als Ingenieur beweist, Nog gelingt es, Offizier der Sternenflotte zu werden und am Schluss setzt die gemeinsame Mutter von Quark und Rom durch, dass die Ferengi ihre bisherige Linie zur Unterdrückung der Frauen aufgeben, die keine Kleidung tragen, keine Geschäfte machen durften, und Rom wird Staatschef und Nachfolger des Great Nagus.
Martin Thoma: Es kommt darauf an, wie man die Story erzählt und aus welcher Blickrichtung man die Ferengi sieht. Aus der klassischen humanistischen Blickrichtung sind die Ferengi eine ganz fiese Truppe, ein patriarchalisches Gesellschaftssystem, ein schwieriges Gesellschaftsbild aus unserer Sicht. Solche Gesellschaftsbilder gibt es später bei Star Trek nicht mehr, in der Science-Fiction taucht es erst wieder in der Serie „The Orville“ auf. Ein Ranking der Themen lässt sich meines Erachtens nicht erstellen, aber der Zeitgeist prägt die Science-Fiction und damit auch Star Trek enorm. In 20 Jahren sehen wir wahrscheinlich wieder andere Themen als heute oder vor 20 Jahren.
Norbert Reichel: Auch Figuren verändern sich. Der Spock der Originalserie ist ein anderer Spock als der Spock in Discovery und in Strange New Worlds. Spock erscheint zunächst zwischen seinen Identitäten als Vulkanier und als Mensch gespalten, mit dem striktem Bemühen, so wenig Menschliches wie möglich zuzulassen. Das ist natürlich Anlass für immer neue Konflikte, aber in Strange New Worlds wird das erheblich differenzierter und auch lockerer, gerade im Hinblick auf seine Liebesgeschichte mit Nurse Christine Chapel, die hier eine viel aktivere Rolle hat als in der Originalserie, abgesehen von der Episode, in der sie eingeführt wird („What are little Girls made of?“), oder die Konflikte mit der Familie seiner vulkanischen Verlobten T’Pring, die in der Ponfarr-Episode („Amok Time“) zu Beginn der zweiten Staffel der Originalserie auch schon eine – hier allerdings nicht in Frage gestellte – Rolle spielt. Als wir zuletzt noch einmal die Originalserie anschauten, sagte meine Frau, dass der Umgang der Crew mit Spock in den ersten Folgen geradezu rassistisch war. Das änderte sich mit der Zeit, aber ich muss sagen, sie hatte recht.
Martin Thoma: Ich weiß nicht, ob wir Spock mit dem Thema Rassismus in Verbindung bringen können. Es ist auch immer die Frage, ob er diskriminiert wird, weil er Vulkanier ist. Ich sehe andere Charaktere, bei denen das viel krasser deutlich wird, dass sie aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden. Ich denke an die Figur von Lieutenant Worf, weil hier dargestellt wird, dass er eben nicht dieselben Möglichkeiten wie seine menschlichen Kolleginnen und Kollegen hat. Oft genug eben auch mit dem Hinweis, dass er Klingone ist und oft auch darauf angesprochen wurde, er solle sich nicht „zu klingonisch“ als Mitglied der Sternenflotte benehmen. In der dritten Staffel von Picard spielt das natürlich keine Rolle mehr.
Ein Paradebeispiel ist in Deep Space Nine der Ferengi Nog, der sich von seiner Herkunft, von seinem Vater und seinem Onkel, zu emanzipieren versucht, immer noch mit Rückfällen, beispielsweise beim Double-Date mit Jake Sisko und seinem Versuch, sich als kompetenter Händler zu erweisen, der er nicht ist. Er sagt, er könne sich vorstellen, in der Sternenflotte Dienst zu tun und die Werte zu teilen, auch weil er die Werte der Ferengi eben nicht vertreten konnte. Vermutlich auch, weil er auf DS9 in einem multikulturellen Umfeld aufgewachsen ist.
Norbert Reichel: Wie auch schon sein Vater Rom, der zunächst vor allem unter seinem Bruder Quark zu leiden hat, der ihn immer wieder als „Idioten“ bezeichnet. Der ferengi-hafte Ferengi diskriminiert seinen Bruder Rom, der in seinen Augen sich nicht ferengi-haft benimmt und sogar einen erfolgreichenStreik gegen die ausbeuterische Praxis von Quark in seinem Etablissement organisiert.
Martin Thoma: Richtig, und Nog erhält von Sisko die Absage, Teil der Sternenflotte zu werden, weil er eben einfach Ferengi ist und das prinzipiell schon nicht geht. Das ist schon ein sehr offensichtlicher Fall von Rassismus in einer Organisation, die sich selbst als sehr integrativ versteht. Ähnliche Vorbehalte gab es viele Jahre zuvor gegenüber Worf.
Norbert Reichel: In Deep Space Nine wird der Rassismus von zwei Seiten überwunden, von der Seite der Sternenflotte – Sisko ändert seine Meinung und schätzt Nog als Offizier – und von der Seite der Ferengi selbst, auch wenn sich Quark eigentlich nie so richtig mit dem Werdegang seines Bruders und seines Neffen abfinden will. Letztlich fügt er sich ins Unvermeidliche. Sein Ferenginar gehört schließlich der Vergangenheit an.
Martin Thoma: Das geht auch noch weiter. In den neuen Star-Trek-Serien gibt es als Thema den Umgang mit den Orionern. Hier werden aber Klischees und Stigmata durchbrochen und eben aufgelöst. Diese Sichtweise war ja früher gar nicht vorgesehen, weil es immer ein klassisches Freund-Feind-Schema brauchte.
Norbert Reichel: In Lower Decks gibt es ein orionisches Crewmitglied, Ensign D-Vana Tendi, die wir auch in Strange New Worlds in der zweiten Staffel sehen („Those Old Scientists“), als einer ihrer Kollegen, Ensign Boimler durch ein Zeitportal auf der Enterprise landet. In anderen Serien sind Orioner jedoch eindeutig negativ belegt.
Martin Thoma: Ich finde es spannend, dass Star Trek selbst diese Bilder durchbricht, das alle Orioner kriminell, alle Ferengi raffgierige Kapitalisten, alle Klingonen gewalttätige Schlächter und alle Romulaner gewalttätig und hinterhältig zugleich wären. Auch in den begleitenden Romanen wird dies viel stärker thematisiert und ein plurales Bild der oben genannten Gesellschaften gezeigt. Auch wenn die Ausreißer noch in der Minderheit zu sein scheinen.
Norbert Reichel: Man muss natürlich einige Folgen sehen, um zu sehen, wie Bilder dekonstruiert werden. Interessant finde ich auch die Personen der Crew, die eine gebrochene Vergangenheit aufweisen, gerade bei den Brückenoffizieren. Das trifft auch auf Worf zu, der in Minsk von menschlichen Adoptiveltern aufgezogen wurde, das trifft auf Tom Paris zu, der von Janeway aus der Strafkolonie geholt wird, auf die Crew-Mitglieder des Maquis auf der Voyager ohnehin. Bei Worf, beim Spock der Originalserie, auch bei Nog habe ich sogar den Eindruck, dass sie ihre Herkunft durch Überanpassung zu bewältigen versuchen, Worf durch das Überklingonische, Spock durch das Übervulkanische, Nog dadurch, dass er sich als ganz besonders diensteifriger Sternenflottenoffizier beweisen möchte.
Martin Thoma: Wenn man die Auskopplung der neuen Star-Trek-Filme der Kelvin-Timeline (ab 2009) schaut, sieht man, dass Spock vor ein Auswahlgremium gestellt wird, das ihm sagt, dass er trotz seiner Einschränkung in die vulkanische Akademie aufgenommen werden soll. Als er fragt, welche Einschränkung das sei, erhält er zur Antwort: Ihre menschliche Mutter. Er verabschiedet sich hochachtungsvoll aber nach dem Motto, dann macht es doch alleine, ohne mich. Wenn man an dem einen Ort nicht mehr zu Hause ist, geht man eben an einen anderen Ort, und der ist dann die Sternenflotte.
Ein Kommentar auf US-amerikanische Politik
Norbert Reichel: Star Trek war und ist immer wieder ein Kommentar auf US-amerikanische Politik und gibt oft genug ein ganz anderes Bild als das, das wir hier in Europa oder in Deutschland so in unseren Köpfen haben. Eigentlich ist das Star-Trek-Universum ein sehr liberales Universum.
Martin Thoma: Star Trek ist ein Kommentar auf amerikanische Politik, war es immer schon, eher selten mit dem Hang, sich außenpolitisch zu äußern, zum Beispiel mit einem Blick nach Europa. Star Trek hat sich auf die US-amerikanische Politik konzentriert und dieser so etwas wie einen Spiegel vorgehalten. Deshalb ist es auch immer etwas schwierig, eine politische Debatte aufzumachen und über die Werte des Liberalismus zu diskutieren, wie wir ihn in Deutschland verstehen.
Norbert Reichel: Ich erlaube mir die Zwischenbemerkung, dass auch hier in Deutschland 100 Liberale 102 verschiedene Vorstellungen davon haben, was Liberalismus sein könnte.
Martin Thoma: Stimmt schon. In den USA ist es vielleicht etwas einfacher. Es gibt immer ein paar Hauptströmungen, aus deren Sicht sich dann über Star Trek sprechen lässt. Das ist aus unserer Sicht schon etwas schwieriger, weil wir eben nicht in den USA leben. Es ist auch so: Hollywood macht sich das Leben nicht einfach, wenn es versucht, über Star Trek politischen Zeitgeist zu kommentieren. Einerseits muss Star Trek verkaufen, authentisch sein, und wenn man damit auch noch politische Kontexte kommentieren möchte, kann man das nie mit dem Anspruch machen, vollständig zu sein, es fehlt immer etwas, das eben nicht erzählt wird, nicht kommentiert wird. Und schon hagelt es Kritik. Am Ende hat man etwa 60 Minuten Zeit für eine Episode und wenn man alle Stilmittel integrieren wird, ist das für eine richtige Story nicht sehr viel. Es gibt auch keine Staffeln mehr mit 25 Episoden im Jahr à 45 Minuten, die aufeinander aufbauen könnten. Eine Folge wie „Wem gehört Data?“ („The Measure of A Man“) mit dem Gerichtsprozess, ob Data Eigentum der Sternenflotte ist oder ein Recht auf seine eigene Persönlichkeit hat, ein Individuum mit Freiheitsrechten, wird heute schwierig. Da wird nur verhandelt, es wird kein Phaser abgefeuert, das hat inhaltliche Tiefe. Ob das heute vom Publikum genauso aufgenommen würde wie damals, weiß ich nicht. Ich denke erst einmal nicht.
Norbert Reichel: Gerichtsverhandlungen gibt es bei Star Trek immer wieder. Wir hatten es gerade in Strange New Worlds in der zweiten Folge der zweiten Staffel („Ad Astra per Aspera“) mit dem Prozess gegen Una Chin-Riley, die – wie alle anderen auf ihrem Heimatplaneten auch – genetisch verändert ist, um dort überleben zu können, und deshalb verurteilt werden sollte, weil genetische Veränderungen seit der Geschichte von Khan Noonien Singh und den Eugenischen Kriegen in der Föderation verboten sind. Oder auch die Folge der siebten Staffel von Voyager („Author, Author“), in der der holographische Doktor mit Unterstützung von Janeway und Tuvok um seine Autorenrechte an dem von ihm verfassten Holo-Roman kämpft. Die diversen Folgen, in denen Crew-Mitglieder sich wegen eines von ihnen gar nicht begangenen Mordes vor dem Gericht einer fremden Zivilisation verantworten müssen, will ich gar nicht näher thematisieren, Scotty in der Originalserie, Tom Paris in Voyager, Chief O’Brien in Deep Space Nine.
Martin Thoma: Voyager hat sich damals noch Zeit gelassen, weil man in der Anzahl der Episoden pro Staffel viel mehr unterbringen konnte. Heute sind es in der Regel zehn oder allenfalls ein oder zwei Episoden mehr, in Discovery, in Strange New Worlds, in Picard. So wird die Story verdichtet. Eine politische Diskussion leidet in einer solchen Verdichtung. Gut finde ich aber, dass in Strange New Worlds einzelne Episoden, durchaus mit rotem Faden, vorgestellt werden, man aber nicht die ganze Staffel sehen muss, um alles zu verstehen. Vielleicht führt diese Erfahrung dazu, dass man sich in Zukunft wieder mehr Zeit nimmt.
Norbert Reichel: Die durcherzählte Geschichte war bei Discovery ein Problem. In der zweiten Staffel war meines Erachtens die Geschichte der Bedrohung durch Control, die Künstliche Intelligenz, überdehnt, in der dritten Staffel hatte ich den Eindruck, dass nach dem Verschwinden von Philippa Georgiou in ihrer ursprünglichen Dimension man nicht mehr so richtig wusste, wie man „The Burn“ an ein Ende bringt. Ich fand es schon merkwürdig, dass all dies durch einen psychisch durchgeknallten Kelpianer verursacht sein sollte. Die vierte Staffel war da schon kohärenter. Gut durcherzählt ist meines Erachtens die dritte Staffel von Enterprise, die vierte Staffel hat mehrere aufeinander aufbauende Folgen, in der Regel zwei oder drei. Die dritte Staffel ist 9/11 pur, mit allem Drum und Dran. Diese Staffel hat durchaus eine ganz gute Balance zwischen der Gesamterzählung und dem gefunden, was man in einer einzelnen Episode erzählen kann. Meines Erachtens wird diese Serie von vielen in ihrer Qualität einfach unterschätzt.
Martin Thoma: Absolut. Hier hat man wirklich am falschen Ende gespart. Man hätte aus Enterprise noch einiges machen lassen. Aber vielleicht war der Markt schon gesättigt. Die Rollen waren gut verteilt, der Cast war gut, die Stories, die Personen entwickelten sich gut. Es war vielleicht die richtige Serie zum falschen Zeitpunkt.
Norbert Reichel: Und wir haben wieder die Geschichte einer Zivilisation, die anders ist als man denkt, die der Vulkanier. T’Pau, die schon in der Originalserie als Staatschefin auftritt, ist 70 Jahre zuvor in Enterprise Widerstandskämpferin gegen ein autoritäres Regime („The Forge“ und „Awakening“). Die entscheidende Bemerkung macht meines Erachtens der vulkanische Botschafter auf der Erde, Soval, der zu Archer sagt, man habe wohl so viele Vorbehalte gegen die Menschen von der Erde, weil sie den Vulkaniern so ähnlich wären, in der Geschichte, im Verhalten.
Martin Thoma: Diese Storyline hatte sehr viel Potenzial. Die Serie endet ja mit dem Gründungsakt der Föderation, die letzte Folge aber spielte dann sechs Jahre nach den vorangegangenen.
Norbert Reichel: Zum Abschluss unseres heutigen Gesprächs, das ja nur der Auftakt sein soll, möchte ich einen Schauspieler nennen, der es schafft, immer wieder andere Personen und Persönlichkeiten in den diversen Staffeln zu spielen. Ich bin ein großer Fan von Jeffrey Combs.
Martin Thoma: Wer nicht? Welche Rollen hat der alle gespielt? Irgendwo gibt es eine Liste, den Ferengi-Bürokraten Brunt und den Vorta Weyhoun in Deep Space Nine, den Andorianer Shran in Enterprise, dazu dann noch mehrere Einzelauftritte.
Die beiden Staffeln von Star Trek und die Politik:
Erste Staffel:
- Star Trek und der Liberalismus.
- Star Trek und die Ökonomie.
- Star Trek und die Institutionen der Galaxie.
- Star Trek und der Rassismus.
- Star Trek und der Feminismus.
- Star Trek und die Religion.
- Star Trek und die Krisen unserer Zeit.
- Star Trek und die Freiheit von Forschung und Wissenschaft.
- Star Trek und das Holodeck als virtuelles Archiv und kulturelles Gedächtnis.
- Star Trek und die Außenpolitik.
Zwei Episoden zum Thema „Star Trek und der Krieg“ wurden wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine aus dem Programm genommen.
Zweite Staffel:
- Star Trek und die menschlichen Maschinen.
- Star Trek und die Rechte künstlichen Lebens.
- Star Trek und die Diversität.
- Star Trek und die Würde des extraterrestrischen Lebens.
- Star Trek und die Ethik des modernen Heilens.
- Star Trek und der Feminismus – Teil 2.
- Star Trek und der Imperialismus.
- Star Trek und die Utopie.
- Star Trek und die Sprache der Diplomatie.
- Star Trek und die Moral.
- Star Trek und die Kulturen der Galaxis.
- Star Trek, Star Wars und The Orville im politischen Vergleich.
Zum Weiterlesen:
Die folgende Leseliste hat Martin Thoma zusammengestellt (i.d.R. mit ISBN-Nummern):
- Henrik Hansemann, Die Philosophie bei Star Trek: Mit Kirk, Spock und Picard auf der Reise durch unendliche Weiten, 978-3527507283
- Michael C. Bauer, Neue Welten – Star Trek als humanistische Utopie? 8-3662574485
- Katja Kanzler, Christina Schwarke, Star Trek: Discovery: Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart, 978-3-658-27610-2
- Thomas A. Herrig, …wo noch nie eine Frau zuvor gewesen ist… 45 Jahre Star Trek und der Feminismus, 9783828825673
- Niko Switek, „Politik in Fernsehserien – Analysen und Fallstudien zu House of Cards, Borgen & Co“, 978-3-8376-4200-1
- Andreas Rauscher, Das Phänomen Star Trek: Virtuelle Räume und metaphorische Weiten, 978-3930559985
- Star Trek – Deep Space Nine: Die Mythen und Legenden der Ferengi, 978-3893658794
- Star Trek: Die Klingonische Kunst des Krieges, 978-3864254383
- George A. Gonzalez, The Politics of Star Trek. Justice, War, and the Future, 9781137549402
- Judith Barad/Ed Robertson, The Ethics of Star Trek, 9780060933265:
- Jason T. Eberl/Kevin S. Decker, Star Trek and Philosophy. The Wrath of Kant, 9780812696493
- Jason T. Eberl/Kevin S. Decker, The Ultimate Star Trek and Philosophy: The Search for Socrates (The Blackwell Philosophy and Pop Culture Series), 978-1119146001
- Sabrina Mittermeier, Mareike Spychala, Fighting for the Future: Essays on Star Trek: Discovery, 978-1789621761 oder 9781802077834
- Frank Lesske, Zukunft im Film: Sozialwissenschaftliche Studie zu Star Trek und anderer Science-fiction, 978-3-933046-47-5
- Kristina Jaspers, Things to Come: Science Fiction Film, 9783735602176
- Sebastian Stoppe, Is Star Trek Utopia? Investigating a Perfect Future, 978-1-4766-8636-3
- Kristina Jaspers, Nils Warnecke, Gerlinde Waz, Rüdiger Zill, Future Worlds. Science-Fiction-Film, 9783865052506
- Björn Sülter Verlag in Farbe und Bunt, Es lebe Star Trek – Ein Phänomen, zwei Leben
- Björn Sülter Reinhard Prahl Thorsten Walch, Die Star-Trek-Chronik – Teil 1: Star Trek: Enterprise, Die Star-Trek-Chronik – Teil 2: Star Trek: Raumschiff Enterprise, Die Star-Trek-Chronik – Teil 3: Star Trek: The Next Generation
- Mike Hillenbrand und Christian Humberg, TREKminds – nur der Himmel ist die Grenze
- Thomas Höhl, Dies sind die Abenteuer… 40 Jahre Star Trek, 9783898806688
- Mike Hillenbrand, Star Trek in Deutschland: Wie Captain Kirk nach Deutschland kam, 9783868520064
- Manu Saadia, Trekonomics: The Economics of Star Trek by Manu Saadia, 978-1941758755
- Sophia Ebert, Johannes Glaese, Ökonomische Utopien, 978-3958080089
- Lawrence Krauss, Physics of Star Trek (Star Trek Series), 978-0465002047
- Lawrence M. Krauss, Die Physik von Star Trek, 9783453109810
- Stefan Thiesen, Star Trek Science. Die Zukunft hat schon begonnen, 783612264466
- Stefan Thiesen, Trek Science. Mit Warpgeschwindigkeit in die Zukunft? 9783934195066
- Thomas Richards, Star Trek. Die Philosophie eines Universums, 978-3453136748
- Nina Rogotzki, Helga Brandt , Paul M. Hahlbohm, Faszinierend! Star Trek und die Wissenschaften Band 1, 978-3933598257
- Nina Rogotzki, Thomas Richter, Faszinierend! – Star Trek und die Wissenschaften Band 2, 978-3-933598-69-1
- Metin Tolan, Die STAR TREK Physik: Warum die Enterprise nur 158 Kilo wiegt und andere galaktische Erkenntnisse, 978-3492310840
- Sebastian Stoppe, Unterwegs zu Neuen Welten – Star Trek als politische Utopie, 978-3-941310-61-2
- Klaus Vieweg, Die Philosophie in Star Trek, 9783966581769
- Klaus Vieweg, Die Literatur in Star Trek, 9783966584050
- Kai-Uwe Hellmann, Arne Klein, „Unendliche Weiten…“. Star Trek zwischen Unterhaltung und Utopie, 978-3596135790
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Oktober 2023, Internetzugriffe zuletzt am 11. Oktober 2023. Nach unserem Gespräch hat Martin Thoma geheiratet und heißt jetzt Martin Reif. Er arbeitet in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach, die auf dem Titelbild im Ausgang des Holodecks der Star-Trek-Reihe der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zu sehen ist.)