Wandel ohne Annäherung

Die Erfolgsgeschichte der palästinensischen Doppelstrategie

„Antisemitismus beginnt nicht erst mit der Ermordung von Juden, sondern fängt dort an, wo Juden anders behandelt und an sie andere Maßstäbe angelegt werden als an andere Menschen.“ (Alex Feuerherdt / Florian Markl: Vereinte Nationen gegen Israel – Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert, Leipzig, Hentrich & Hentrich, 2018)

Wer sich mit den sogenannten „Nah-Ost-Konflikt“ beschäftigt, sollte sich vielleicht zunächst mit seiner Genese beschäftigen. Ein erstes Ergebnis wäre die Einsicht, dass nichts so einfach ist wie es ausschaut – eigentlich eine Binsenweisheit, aber gleichwohl stetiger Anlass für heftigen Streit, wer denn nun recht habe. Es geht oft weniger um den eigentlichen Konflikt und die diversen Konfliktparteien, sondern oft eher darum, dass Menschen, die mit der Region und den dort lebenden Menschen eigentlich kaum etwas verbindet, sich gegenseitig vorhalten, sie unterstützten die falsche Seite. Gepflegt wird der binäre, geradezu manichäisch verwendete Code, dass in dem Gegensatzpaar Israel contra Palästina Israel eindeutig die Rolle des Bösen einnähme. Sachkenntnis, Kenntnis der Geschichte und der diversen kontroversen Interpretationen dieser Geschichte? In der Regel finden wir davon nur Spurenelemente.

Es war einmal ein Traum

Literatur zum Thema gibt es – so könnte man*frau meinen – wie Sand am Meer oder wie Sterne am Himmel. Wer den Überblick behalten möchte oder wer sich auch nur einfach orientieren möchte, um nachher das Thema mit der Lektüre anderer Autor*innen zu vertiefen, greife zur jüngsten Publikation von Julia Bernstein („Israelbezogener Antisemitismus“, 2021 bei Beltz Juventa erschienen) oder den Büchern, die Alex Feuerherdt und Florian Markl im Verlag Hentrich & Hentrich 2018 beziehungsweise 2020 veröffentlicht haben: „Vereinte Nationen gegen Israel – Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert“ und „Die Israel-Boykottbewegung – Alter Hass in neuem Gewand“.

Wer meint, diese Bücher nähmen einseitig Partei, mag sich dafür entscheiden, von einer Lektüre Abstand zu nehmen. Er*sie tut sich damit jedoch keinen Gefallen, denn diese Bücher enthalten eine differenzierte und ausgesprochen sachliche Darstellung des Konflikts, den vor allem eines prägt: es gibt nicht nur zwei Parteien, sondern eine ganze Menge mehr, nur neigen manche dazu, ihre Positionierung in dem Konflikt mehrfach zu wechseln oder sich taktisch zu verbünden, obwohl sie eigentlich wenig verbindet. Nur eine Frage, die zeigt, wie komplex die Lage ist: was haben Hamas und linksliberale Intellektuelle in Deutschland, in den USA und anderswo, die UNO und anti-kolonialistisch engagierte Menschen miteinander gemeinsam? Es geht hier nicht darum, wie das Leiden der palästinensischen Menschen oder das Verhalten der israelischen Sicherheitsbehörden zu bewerten wären, sondern einzig und allein um die Frage, wie das, was wir heute vorfinden, entstanden ist.

Vielleicht veranschaulichen – vielleicht auch zur Vorbereitung der Lektüre der Bücher von Julia Bernstein, Alex Feuerherdt und Florian Markl – drei Bücher israelischer Autoren und eine TV-Serie die Entwicklungen am Beispiel von drei Zeitpunkten der gesamten Geschichte. Das erste Buch thematisiert die Zeit der zweiten Alija– das ist die Zeit der 1880er und 1890er Jahre, die Region gehörte zum osmanischen Reich –, das zweite Buch die Zeit der Staatsgründung, das dritte Buch und die TV-Serie die heutige Zeit.

Samuel Joseph Agnon (1888-1970), der 1966 als bisher einzige*r israelische*r Autor*in den Literaturnobelpreis erhielt, gemeinsam mit Nelly Sachs (1891-1970), erzählt in „Gestern, vorgestern“ (hebräischer Titel: „Tmol Shilshom“, erschienen 1946 in Tel Aviv (deutsche Ausgabe 1969 bei S. Fischer in Frankfurt am Main), die Geschichte von Jizchak Kummer, der seine Heimat in der zweiten Einwanderungsphase verließ, um in Israel eine neue Heimat zu finden. Der Roman berichtet unter anderem von der Gründung Tel Avivs Ende der 1900er Jahre, zuvor ein Ortsteil von Jaffa. Jizchak Kummer ist voller Hoffnung, er findet gleichgesinnte Menschen, versucht sich zu orientieren, er zweifelt. Beispielsweise denkt er darüber nach, ob er seine Lebensmittel bei dem freundlichen arabischen Händler in der Nachbarschaft oder doch aus Solidarität bei dem jüdischen Händler kaufen solle. Es lohnt sich, dieses Buch von Samuel Agnon im Zusammenhang mit „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz (hebräischer Titel: „Ssipur al ahava we-choschech“, in Jerusalem 2002 erschienen, zwei Jahre später in Frankfurt am Main bei Suhrkamp) zu lesen, um zu erfahren, was Menschen bewegte, die in den verschiedenen Zeiten vor 1948 nach Israel einwanderten. Wir finden Menschen, die etwas suchten, das sich vielleicht auch Heimat nennen ließe.

Die Verhärtung

Ein völlig anderes Bild beschreibt Yishai Sarid in „Siegerin“ (2020 in Tel Aviv unter dem Titel „Menatzachat“ erschienen, deutsche Ausgabe 2021 bei Kein & Aber in Zürich und Berlin). Hauptperson ist Abigail, eine Psychologin, die traumatisierte Soldat*innen behandelt, Bewerber*innen für höhere Aufgaben in der israelischen Armee begutachtet und Führungskräfte wie Soldat*innen berät, in Kampfeinheiten zu überleben. In einem ihrer Vorträge sagt sie: „Anscheinend habt ihr noch nicht verstanden, wozu ich hier bin. Nicht, um euch zu schwächen, nicht, um euch Moral zu predigen. Ich bin hier, um euch und euren Soldaten zu helfen, den Feind zu besiegen, ihn zu töten und selbst am Leben zu bleiben. Ich erforsche die Psyche von Kämpfern schon über zwanzig Jahre. Ich weiß, was zu tun ist, um Soldaten tödlicher, disziplinierter und auch resistenter gegen Traumata zu machen. Aber damit das gelingt, müsst ihr begreifen, was in der Seele des Soldaten, eurer Seele, vorgeht, wenn ihr einen anderen Menschen töten müsste und man euch umzubringen versucht. Das ist immer ein einschneidendes Ereignis, und es hinterlässt unweigerlich Spuren.“

Empathie mit dem Gegner? Kontraproduktiv. Es geht ausschließlich um das Überleben in einem Kampf, dem niemand entgeht und vor dem niemand weder sich noch seine Kinder schützen kann. So ergeht es Abigail, die zu zweifeln beginnt, als ihr Sohn Schauli als junger Fallschirmjäger traumatisiert Zuflucht bei seiner Mutter sucht. Letztlich zieht er jedoch wieder in den befohlenen Kampf. Sie selbst tötet bei einem Frontbesuch bei Scharfschützen, weil der Offizier, den sie begleitet, ihren Finger auf den Abzug des Gewehrs legt, mit dem er den gegnerischen Anführer tötet. Ihr Sohn überlebt, Abigail ist im wahrsten Sinne des Wortes eine „Siegerin“, auch über sich selbst. Sie verhält sich im Grunde nicht anders als ihr Patient Mendi, der ihr von seiner Mordlust erzählt: „Was ich nicht erzählt habe und weswegen ich jetzt da bin, ist der Umstand, dass ich Lust verspürte, weil ich einen Menschen tötete, ein fantastisches Hochgefühl. Nichts von dem, was ich sonst im Leben erlebt habe, ist damit vergleichbar. Nach dem ersten Mal war ich so gut drauf, dass ich zu meinen Vorgesetzten ging und sie bat, mich immer den Exekutor machen zu lassen, der, der am Ende jedes minutiös geplanten Einsatzes der Zielperson die Kehle durchschneidet oder sie aus nächster Nähe abknallt. Und sie ließen mich.“

Yisai Sarids 2009 in Tel Aviv erschienenes Buch „Limassol“ endet offener. Ein Jahr später erschien es auch in Deutschland in Zürich bei Kein & Aber. Der Erzähler hat den Auftrag, über eine Schriftstellerin an einen palästinensischen Dichter heranzukommen, der sterbenskrank aus Gaza herausgebracht werden soll, damit über ihn der Kontakt zu seinem ein Terrorattentat vorbereitenden Sohn hergestellt werden kann. Der Sohn soll in einem scheinbaren Familientreffen in Limassol auf Zypern getötet werden. Der Erzähler führt seinen Auftrag aus, aber er verweigert spontan denn letzten Schritt. Er rettet den Terroristen, wird inhaftiert, aber wieder freigelassen. Seine Karriere ist wohl beendet. Zwei Mal beklagt er die verlorene „Eleganz“ der Verhöre, er sieht sehr klar, was geschieht: „Zwei Gorillahorden, die aufeinander losgehen. Wie in Kubricks Odyssee 2001, nur dass die Knüppel heute ausgereifter sind. Wir setzen Spionagesatelliten ein, um den Schluckauf des Typen aus Jenin zu wittern, der gerade noch Hummus, Favabohnen und Zwiebeln verdrückt hat. Am Ende fügt man ihnen Schmerzen zu, zerreißt ihnen Haut und Nerven, zieht ihnen einen stinkenden Sack über den Schädel, zurrt die Fesseln enger, bis sie ins Fleisch schneiden. Auf diese Mittel kann man nur verzichten, wenn sie vor Todesangst schlottern. Das tun sie aber nicht. Sie wissen von den vielen Auflagen, die unsere Arbeit behindern. Also muss man sich ab und zu etwas einfallen lassen, eine Grausamkeit begehen, die sich herumspricht.“

Das Gegenbild, das ihn zweifeln und anders als geplant handeln lässt: zum zweiten Mal verwendet er das Bild des Gorillas. „Ich verabscheute den psychischen Druck vor der entscheidenden Frage, ich war erregt wie ein Gorilla vor dem Kampf auf Leben und Tod. Viel lieber hätte ich mit dem Dichter aus Gaza weiter von Mensch zu Mensch geredet, ohne mit jedem Wort ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.“ Der Terrorist war ein Terrorist – daran war nichts zu deuteln.

Bei der Lektüre der Bücher von Yishai Sarid dachte ich an Wolf Biermanns Liedvers „Lass dich nicht verhärten“. Abigail ist hart. Ich dachte auch an die Netflix-TV-Serie „Fauda“. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen „Fauda“ und „Siegerin“. Wenn die Mitglieder des „Teams“ in „Fauda“ töten, leiden sie unter ihrer Härte, sie zeigen Emotionen, vor allem die Männer. Nurit, die einzige Frau, die sich erst in ihrer Zugehörigkeit, ihrer Härte, als Mitglied des Teams beweisen muss, tötet in mindestens einer Szene emotionslos. Oder vielleicht sollte ich es pflichtgemäß nennen? Nurit ist eine Schwester Abigails, ähnlich wie Abigails Lieblingspatientin, die Kampfpilotin Noga, der Abigail hilft, trotz einer nicht bestandenen Prüfungsaufgabe als Gefangene eines fiktiven Feindes ihren Traum zu erfüllen.

Auf der anderen Seite zeigt „Fauda“ sehr deutlich, wie die nicht an den unmittelbaren kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten Frauen leiden, auf der israelischen wie auf der palästinensischen Seite. Einige verzweifeln, einige verhärten. Den palästinensischen Frauen bleibt verbale Gewalt, Selbstmord oder die Ausreise mit Hilfe des israelischen Militärs nach Europa. Amal tötet sich in der ersten Staffel aus Verzweiflung über den Tod ihres Mannes mit einem Selbstmordattentat in der Bar, in der das Teammitglied verkehrte, das ihren Mann getötet hatte. Shirin erhängt sich, obwohl sie keinerlei Schuld auf sich lud, aber immer wieder zwischen die Fronten geriet, durch Erpressung, Schmeichelei, Verstellung und Lüge. Und in der dritten Staffel verhärtet der junge palästinensische Boxer Bashar zusehends und verstrickt sich mehr oder weniger zwangsläufig in dem Kreislauf der Gewalt, bis er den Mord begeht, der ihn für lange Jahre in das israelische Gefängnis bringt, aus dem sein Vater zu Beginn der dritten Staffel nach 20 Jahren entlassen worden ist. Doron, der Hauptdarsteller, der in allen Konflikten persönlich extrem stark involviert ist und sich sehr schwertut, seine Emotionen, die guten wie die schlechten, zu beherrschen, versucht Shirin zu retten, bevor er sie durch die falsche Beschuldigung, sie wäre am Tod seines Vaters mitschuldig, in den Selbstmord treibt. Er versucht mehrfach Bashar und Shirin zu retten, was ihm nicht gelingt. Und er ist die wesentliche Ursache des Scheiterns Bashars und des Suizids Shirins. „Fauda“ zeigt die Emotionen und Stufen der Verhärtung auf beiden Seiten. Niemand scheint seinem Schicksal entkommen zu können.

Ursache oder Wirkung?

Was geschah in den letzten 100 Jahren, was veränderte sich, wie konnte es dazu kommen, dass sich Menschen in der israelischen Gesellschaft – und nicht nur im israelischen Militär – so verhärteten, dass ein Buch wie „Siegerin“ und eine Serie wie „Fauda“ entstanden? Die zweite Frage lautet jedoch: Was geschah, dass in der gängigen Berichterstattung der meisten westlichen Medien Israel immer wieder unterstellt wird, es sei der hauptverantwortliche, wenn nicht sogar alleinige Treiber des Konfliktes, den sie den „Nah-Ost-Konflikt“ nennen? Im Grunde geht es darum, was geschieht, wenn ein Land, eine Gesellschaft, im wahrsten Sinne des Wortes unter Dauerbeschuss gerät, nicht nur durch Raketen von Hamas und Hisbollah oder durch Selbstmordattentate, sondern auch verbal durch Resolutionen in aller Welt, nicht zuletzt in der Organisation, die eigentlich für Frieden in der Welt sorgen sollten, der UNO. Wie weit ist die Verhärtung der Gefühle Ursache, wie weit ist sie Wirkung, und wenn ja sie dies ist Wirkung von was?

Alex Feuerherdt und Florian Markl bieten folgende These an: Es ist der arabischen beziehungsweise palästinensischen Propaganda mit relativ wenig, aber dafür ausgesprochen spektakulärem Aufwand gelungen, den Konflikt um Israel und Palästina in einen Konflikt zwischen Gut und Böse zu verwandeln, in dem Israel die Täterrolle zugeschrieben wird, die Palästinenser jedoch unbeschadet der ständigen Terrorakte – denn nichts anders sind Hamas- und Hisbollah-Raketen, Messerangriffe und Selbstmordattentate – zu unschuldigen Opfern erklärt werden. Diese Umdeutung gelang nicht zuletzt, weil die von vorwiegend demokratischen Staaten gegründete UNO der ersten Nachkriegsjahre inzwischen weitgehend von Diktaturen und Schein-demokratien beherrscht wird, die von ihren jeweiligen eigenen Unzulänglichkeiten und Verbrechen ablenken, indem sie alle Übel dieser Welt auf Israel schieben. 1967 wurde geradezu zum Dreh- und Angelpunkt, denn seit 1967 verfielen auch die westlichen Demokratien zunehmend der arabisch-palästinensischen Propaganda, weil diese sich antikolonialistisch und antiimperialistisch tarnte. Mitunter bleibt Galgenhumor: Alex Feuerherdt und Florian Markl karikieren diese Entwicklung mit einem Zitat von Abba Eban, erster Vertreters Israels bei den Vereinten Nationen und von 1966 bis 1974 israelischer Außenminister: „Wenn Algerien in einem Resolutionsentwurf erklären würde, dass die Erde eine Scheibe ist und Israel sie dazu gemacht hat, dann würde diese Resolution mit 164 zu 13 Stimmen bei 26 Enthaltungen angenommen werden.“

Ihre These belegen Alex Feuerherdt und Florian Markl mit einer nüchternen Darstellung der Chronologie der Ereignisse. Ihr Buch ist nicht nur ein Buch über den Nah-Ost-Konflikt, sondern auch ein Buch über die Veränderungen innerhalb der UNO und ihrer diversen Organisationen und darüber was geschieht, wenn Diktaturen definieren, was Recht ist und was Unrecht. Ihre gut lesbare Darstellung der historischen Ereignisse der letzten 100 Jahre lässt sich vielleicht in vier einfachen Sätzen zusammenfassen:

  • Die Briten sorgten für chaotische Zustände.
  • Die Araber lehnten von Anfang an bis zum heutigen Tag alles ab, was zu einer Lösung hätte beitragen können. Sie wollten alles, „from the river to the sea ….“.
  • Die Vereinten Nationen haben trotz ihrer anfänglichen Entscheidung für die Sache Israels sich als würdiger Nachfolger der britischen Schaukelpolitik erwiesen. Mit der Zeit verhärteten die Fronten, die UNO vertritt einseitig die palästinensische Version der Geschichte.
  • Es ist der arabischen Seite gelungen, die BDS-Bewegung, deren Ziel die Vernichtung Israels ist, als friedliebende zivilgesellschaftliche Organisation zu inszenieren.

In den Tagen, in denen ich diesen Text schreibe, schiebt sich die Debatte um den Iran als Akteur in diesem Konflikt immer mehr in den Vordergrund. Mehrere arabische Staaten haben erst vor Kurzem ihre Beziehungen mit Israel auf eine vielleicht noch nicht freundschaftliche, aber immerhin friedliche und vielleicht sogar partnerschaftliche Ebene gehoben. Welchen Anteil daran Donald J. Trump tatsächlich hatte, vermag ich nicht zu beurteilen, aber sicherlich hat seine Rolle in diesem Prozess die aktuellen Entwicklungen ebenso gefördert wie sein cowboyhaftes Auftreten in der Frage des sogenannten „Atomdeals“ mit dem Iran bei aller berechtigten Kritik an den iranischen Vertragsverletzungen Öl ins Feuer gegossen hat. Ich glaube nicht, dass Trump einen Plan verfolgte, aber wenn es ihn gegeben hat, hätte er wie folgt ausgesehen: Provokation des Iran so weit, dass dieser sein Atomprogramm und damit die von ihm ausgehende Bedrohung in der gesamten Region hochfährt, die arabischen Staaten Angst bekommen und Israel als Bündnispartner gegen den Iran entdecken. In der Tat wirkt die vom Iran ausgehende Bedrohung für mehrere arabische Staaten zumindest als gefühlte Bedrohung so stark, dass sich die bisherige Isolation Israels gegenüber der arabischen Welt aufzulösen scheint. Natürlich haben die Organisationen der Palästinenser heftig gegen die arabisch-israelischen Verträge protestiert, aber ob sich die arabischen Staatsführer jemals wirklich für die Palästinenser interessiert haben, ist eine andere und angesichts mancher Äußerungen von arabischer Seite einfach zu beantwortende Frage.

Exkurs: Die Raketenangriffe der Hamas vom Mai 2021

Die Debatte um die Auslöser der Raketenangriffe der Hamas und die israelische Reaktion in der Zeit vom 10. bis 21. Mai 2021 belegt, wie Ursache und Wirkung, Täter und Opfer verdreht werden. Melody Sucharewicz hat am 23. Mai 2021 in der Online-Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen den Verlauf eines Gesprächs skizziert, das sie mit einem deutschen Moderator führte, der – vorsichtig gesagt – ausschließlich der palästinensischen Version der Ereignisse um Sheikh Jarrah glauben wollte, wie auch viele andere Journalist*innen in den deutschen Medien. Melody Sucharewicz zu den Fakten: „Weder der Immobilienstreit von Sheikh Jarrah noch die Präsenz israelischer Polizisten am Tempelberg gegen Ende des Ramadans waren die Auslöser der ‚Eskalation‘. Beide Ereignisse verkauft die palästinensische Propaganda als Zeichen ‚ethnischer Säuberung‘ und Eroberungsversuche von Al-Aqsa. / Und nur allzu gern wird diese Fake-News-Erzählung von selbsternannten deutschen ‚Nahostexperten‘, die oftmals obendrein noch nie in Israel gewesen sind, reichweitenstark nachgeplappert.“

In Sheikh Jarrah ging es um einen ausgelaufenen Pachtvertrag, nicht um eine Zwangsräumung. Ebenso verdreht ist die Berichterstattung über die Ereignisse am Tempelberg, die sich in der Berichterstattung wie eine Variante der „Newspeak“ Orwells lesen, Verteidigung ist Angriff. Melody Sucharewicz: „Ost-Jerusalem gehört zu den ‚umstrittenen‘ Themen, über die künftig verhandelt werden sollte. Völkerrechtlich sprechen wir also von ‚umstrittenem Gebiet‘ – und eben nicht von ‚besetztem Gebiet‘. / Warum waren also israelische Polizisten während des Ramadan am Tempelberg? Weil massenhaft verbreitete Aufrufe der palästinensischen Führung zur gewaltsamen ‚Befreiung von Al Aqsa‘ anstachelten. Fake News über Sheikh Jarrah wurde als Zündstoff eingesetzt. / Zum destruktiven Konzept der Palästinenserführung gehörten Attentate auf jüdische Zivilisten und Sicherheitskräfte. In der Al-Aqsa-Moschee wurden Felsbrocken, Feuerwerkskörper und Steine gehortet. / Nach dem Freitagsgebet warfen tausende Palästinenser diese Geschosse auf die Polizisten. Die verteidigten sich mit Brandgranaten. In den sozialen Medien machten die Palästinenser daraus ‚Israel besetzt Al Aqsa‘. Der Rest ist bekannt.“

Alex Feuerherdt und Florian Markl diagnostizieren beispiellose Unkenntnis der historischen Entwicklung als Grund für solche Verdrehungen. „Die Äquidistanz mancher Politiker in Deutschland und ihr Appell an ‚alle Beteiligten‘, Gewalt und Opfer zu vermeiden, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Wer lacht sich dabei ins Fäustchen? Die Terroristen in Gaza, die den Westen genauso verachten wie die Juden. Die Mullahs im Iran, die den Raketenterror der Hamas finanzieren, während sie den Westen erfolgreich mit nuklearer Aufrüstung erpressen.“ Esther Shapira und Georg M. Hafner fassen dies in ihrem Vorwort zum UNO-Buch der beiden Autoren zusammen: „Kriegserklärungen und Vernichtungsfantasien gegen Israel, selbst Militärschläge gegen das Land waren nie Gegenstand einer UN-Verurteilung. Das Wissen aber um die historischen Hintergründe des Beschlusses von 1947 und um die verheerende Rolle der UN seit 70 Jahren ist beschämend dürftig.“

Britisches Chaos

Doch vielleicht schauen wir uns einmal die britische Politik vor der Staatsgründung Israels an. Eine kohärente britische Politik gab es nie, auch nie eine kohärente westliche Politik. Das US-Außenministerium sprach sich gegen, der Präsident, der sich dann durchsetzte, für den Beschluss der UNO vom 29. November 1947 aus, der die Staatsgründung Israels ermöglichte. Die Balfour Declaration, die immer zitiert wird, als hätten die Briten einen Staat Israel versprochen, war in Wirklichkeit wachsweich. Lord Arthur Balfour erklärte im November 1917 in einem Brief (zitiert nach Axel Feuerherdt und Florian Markl): „Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nicht geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.“ Diese Formulierung sollte sich mit der Zeit als Versuch zur Quadratur des Kreises erweisen. Und vielleicht war sie auch so gedacht.

Für die arabische Seite war die Balfour Declaration inakzeptabel, obwohl sie daraus auch eine Bestätigung ihrer eigenen „bürgerlichen und religiösen Rechte“ hätten ableiten können. Ihnen ging es jedoch darum, dass es überhaupt keine „Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ geben durfte. Ein jüdischer Staat – so 1947 ein libanesischer Delegierter, wäre und war für die arabische Seite die „Heimat des Bösen“. Diesen galt es zu „zerstören“. Damit wollten die arabischen Staaten „dem Weltfrieden dienen und ihre Verbundenheit gegenüber den Prinzipien der Menschenrechte unter Beweis stellen.“ Eine Zwei-Staaten-Lösung stand für die arabische Seite nie zur Debatte.

Die Gewähr eigenständiger arabischer Staaten reichte zur Befriedung der arabischen Seite nicht aus. Damals gab es sie auch noch nicht. Sie bildeten sich erst mit der Zeit heraus – auch im Gefolge des britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommens von 1916. Axel Feuerherdt und Florian Markl: „Das Sykes-Picot-Abkommen wiederum war weniger ein gemeinsames britisch-französisches Unterfangen, die Araber zu hintergehen, sondern kann vielmehr als der britische Versuch gedeutet werden, den Franzosen die arabischen Ansprüche zu verkaufen.“ Europäische Kolonialmächte unter sich! Nur kurze Zeit gab es ein Königreich Syrien, das französische Truppen im Juli 1920 zerstörten. Die Briten taten ihrerseits wenig zur Stabilisierung in den Gebieten, in denen sie verantwortlich blieben, aber sie förderten – ob gewollt oder ungewollt – militanten Extremismus: „Anderslautende Stimmen unterlagen im innerpalästinensischen Machtkampf, in dem eine Generation junger Militanter zunehmend die Oberhand gewann – eine Entwicklung, die von den Briten nicht zuletzt durch die 1921 erfolgte Ernennung des späteren Nazi-Kollaborateurs Mohammed Amin el-Husseini zum Großmufti von Jerusalem befördert wurde.“

Wer A sagt, muss auch B sagen. So war es dann auch, aber es war unklar, was A eigentlich bedeutete. Die Balfour Declaration bot keine Grundlage für Klarheit. Und da die Briten befürchten mussten, dass sich die arabischen Staaten auf die Seite der Nazis schlugen, „opferte man im Dienste einer Appeasement-Politik die Interessen der Juden. Premierminister Neville Chamberlain brachte dies in einer Kabinettsitzung im April 1939 in aller Kürze auf den Punkt: ‚Wenn wir eine Seite verärgern müssen, dann lieber die Juden als die Araber‘.“ Dies setzte sich fort: „Als der systematische Massenmord an den europäischen Juden begann, wurden die Grenzen Palästinas für jüdische Flüchtlinge geschlossen. Illegal Eingereiste wurden inhaftiert, nach Mauritius im Indischen Ozean gebracht oder gar nach Europa zurückgeschickt.“ Vom 6. bis zum 15. Juli 1938 trafen sich in Evian-les-Bains (Frankreich) 32 Staaten und 24 Hilfsorganisationen, um über die Rettung der im Deutschen Reich verfolgten Juden*Jüdinnen zu beraten. Ergebnislos. Einige Delegationen benannten ausgesprochene Antisemiten als Delegierte. (Eine eindrucksvolle Chronik der Evian-Konferenz bietet Jochen Thies, „Evian 1938 – Als die Welt die Juden verriet“, Essen, Klartext, 2017).

In Palästina nichts Neues. Auch nicht nach dem Krieg. Unbeschadet des Sieges über Hitler-Deutschland verschärfte sich die anti-jüdische Praxis der Briten, denn die arabische Seite zeigte sich nach wie vor unversöhnlich. Die bekannteste anti-jüdische Maßnahme der Briten war vielleicht die in Roman und Film dokumentierte Irrfahrt der „Exodus“ im Jahr 1947. Axel Feuerherdt und Florian Markl: „Statt den eigenen Versprechungen Folge zu leisten, ging die britische Regierung nun auf Konfrontationskurs mit dem Jischuw, der jüdischen Gemeinde in Palästina: Bevor an die Erteilung von Einreisegenehmigungen für jüdische Einwanderer auch nur zu denken sei, müssten die jüdischen Gruppen im Mandatsgebiet restlos entwaffnet werden.“ Die britische Seite fürchtete die Terrorangriffe jüdischer Gruppierungen, der Palmach, der Irgun, der Lechi, der Stern-Gruppe mehr als arabischen Unmut oder glaubten vielleicht, arabischen Terror durch Bekämpfung jüdischen Terrors zu unterbinden. Erfolgreich waren die Briten nicht, sie zogen nicht zuletzt unter dem Eindruck der diversen Terrorakte ab.

Den jüdischen Terror prägten zwei spätere israelische Ministerpräsidenten, Menachem Begin unter anderem mit der Sprengung des King David Hotels am 22. Juli 1946, Yizchak Schamir mit seiner Mitwirkung an dem Befehl zur Ermordung des von den UN als Vermittler eingesetzten schwedischen Grafen Folke Bernadotte am 17. September 1948. Die Stimmung britischer Soldaten und der Zivilbevölkerung im Vereinten Königreich war eindeutig anti-jüdisch. Alex Feuerherdt und Florian Markl zitieren britische Soldaten, die der Meinung waren, Hitler habe seinen Job nicht gemacht, Gaskammern forderten und Hakenkreuze an Wände malten. Sie berichten von Attacken auf Synagogen, beispielsweise in Liverpool, auf deren Wänden zu lesen war: „Tod allen Juden“. „Zu antijüdischen Ausschreitungen kam es auch in Glasgow, London, Manchester, Birmingham, Hull und Brighton.“

Diese Stimmung führte dazu, dass die Briten als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat verhinderten, dass der unmittelbar auf die Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 einen Tag später erfolgte Angriff fünf arabischer Länder verurteilt wurde. „Am 22. Mai forderte der UN-Sicherheitsrat alle Beteiligten zu einem Waffenstillstand auf. Israel stimmte dem sofort zu, die arabischen Staaten lehnten ab. Doch noch etwas geschah an diesem Tag: Per Drohung mit ihrem Veto verhinderten die Briten, dass die arabischen Staaten in der Resolution als Aggressoren verurteilt wurden.“

Und nicht zuletzt unterstützten die Briten zumindest mittelbar auch militärisch die arabische Seite: „Manche Militärstützpunkte wurden direkt arabischen Milizen überlassen, andere oft ohne Ankündigung geräumt, was die Konfliktparteien unvorbereitet in Kämpfe um diese abrupt verlassenen und oft an strategisch wichtigen Punkten gelegenen Einrichtungen stürzte. In manchen für den jüdischen Staat vorgesehen Gebieten blieben dagegen bis zuletzt britische Soldaten stationiert, womit die Übernahme der Kontrolle durch jüdische Einheiten verhindert wurde.“

UNO-Resolutionen gegen Israel

Die UNO, die über die Teilung Palästinas befand, handelte unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Terrors. Die heutige UNO handelt unter dem Eindruck der antikolonialistischen Bewegungen der 1960er Jahre. Die vielen in den diversen Befreiungsbewegungen der 1950er, 1960er und 1970er Jahre entstandenen souveränen Staaten wurden Mitglied der UNO und bestimmten deren Agenda. Allerdings waren die meisten keine Demokratien im westlichen Sinne: „Im Jahr 1975 war nur mehr rund ein Viertel der UN-Mitglieder freie, demokratische Staaten.“ Axel Feuerherdt und Florian Markl zitieren „Israels Botschafter Herzog. Er bemerkte sarkastisch, es sei passend, ‚dass die Vereinten Nationen, die ihr Leben als Anti-Nazi-Allianz begonnen haben, sich dreißig Jahre später auf dem Weg dazu befanden, zum Weltzentrum des Antisemitismus zu werden.‘“ Anlass dieser Bemerkung war die Resolution 3379, die am 10. November 1975 beschlossen wurde und den „Zionismus“ als „eine Form des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung“ bezeichnete. Allerdings ging es bei der Verurteilung des „Zionismus“ nicht nur um diesen, sondern auch um die Frontstellung zwischen westlichen Demokratien und allen anderen vorwiegend aus ehemaligen Kolonien des Westens entstandenen Staaten, die sich die Sache der arabischen Staaten zu eigen machten und so in gewisser Weise auch die eigenen kolonialen Verbrechen der Vergessenheit anheimzugeben. Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 war dies gängige Praxis. So „erwidern die Autokratien, Despotien und Diktaturen in der UNO seit dem Sechstagekrieg von 1967 die westliche Kritik an ihren Menschenrechtsverstößen immer wieder mitlautstarken Angriffen auf Israel – um auf diese Weise ein eigenes Engagement in Menschenrechtsfragen zu simulieren.“

Die UNO-Resolution 3379 war nur eine der vielen Resolutionen, in denen die UNO Israel verurteilte. Wer die von Axel Feuerherdt und Florian Markl vorgelegte Chronologie der UNO-Beschlüsse verfolgt, versteht die Vorbehalte der USA und anderer westlicher Staaten gegen die UNO. Es war nicht erst Donald J. Trump, der die UNO kritisierte, Barack Obama stoppte 2011 die Zahlungen an die UNESCO, weil sie die Palästinensische Autonomiebehörde als Staat Palästina aufgenommen hatte. Die anti-israelische Praxis der UNO lässt sich an mehreren Beispielen belegen. „Die UNESCO bestreitet einen jüdischen Bezug zu Jerusalem im Allgemeinen und zum Tempelberg im Besonderen. Die WHO wirft Israel als einzigem Land vor, die geistige und die körperliche Gesundheit von Menschen sowie die Umwelt zu schädigen. Für die UN-Frauenrechtskommission ist Israel die Nummer eins unter den Frauenrechtsverletzern auf dem Erdball. Der Menschenrechtsrat verurteilt den jüdischen Staat häufiger als alle anderen Länder dieser Welt zusammen und dämonisiert und delegitimiert ihn auch in Kommissionsberichten. Die UNRWA ist keine Einrichtung, die Flüchtlingen hilft, sondern eine von der Hamas dominierte Organisation zur Zerstörung Israels. Auch die UN-Generalversammlung verabschiedete auf ihren Sitzungen regelmäßig mehr Resolutionen gegen den jüdischen Staat als gegen alle anderen Länder zusammen.“

Axel Feuerherdt und Florian Markl belegen diese Zusammenfassung detailliert mit Hilfe der Tagungsdokumente und Beschlüsse, sie dokumentieren, wie diverse Delegierte Israel mit den Nazis vergleichen. Ein Höhepunkt der anti-israelischen und antisemitischen Strategie der UNO war die Anti-Rassismus-Konferenz in Durban (Südafrika) vom 31. August bis zum 7. September 2001, von deren Vorbereitungskonferenz in Teheran Israel unter anderem auf Betreiben des Iran ausgeschlossen wurde. Apartheid, Rassismus, Kolonialismus und Zionismus wurden miteinander vermengt und übrig blieb der Zionismus als einzige und maßgebliche Form des von dieser Konferenz verurteilten Rassismus.

Terrorismus schadet nicht

Erschreckend ist in diesen Kontexten nicht nur das, was in der UNO beschlossen wurde, sondern auch der Wandel im Verhalten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dies geschah beispielsweise bei der Bewertung des Gaza-Krieges 2014 durch den UN-Menschenrechtsrat. Verurteilt wurde nicht der „Raketenterror der Hamas“, er wurde „nicht einmal andeutungsweise erwähnt“, verurteilt wurde Israel. „Nur die USA stimmte gegen die Resolution, fünf Länder – Indien, Kenia, Äthiopien, Paraguay und Mazedonien – enthielten sich der Stimme. Die übrigen 41 waren dafür, darunter auch die im Menschenrechtsrat vertretenen Staaten der Europäischen Union einschließlich Deutschland.“

Die Raketen der Hamas setzen im Grunde die Strategie von PLO, Fatah und anderen Organisationen fort. Es ist heute allerdings nicht mehr erforderlich, Flugzeuge zu entführen und jüdische Einrichtungen oder einzelne Jüdinnen*Juden in anderen Ländern zu ermorden. Das war noch die Strategie der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, beispielsweise 1972 bei der Ermordung israelischer Sportler*innen während der Olympischen Spiele in München. Axel Feuerherdt und Florian Markl zitieren Wadi Haddad und George Habasch, hochrangige Funktionäre der PFLP („Volksfront für die Befreiung Palästinas“): „Wir glauben, dass es mehr Effekt erzielt, einen Juden weit entfernt umzubringen, als 100 von ihnen im Kampf zu töten – es erregt mehr Aufmerksamkeit. Und wenn wir ein Geschäft in London in Brand setzen, sind diese Flammen so viel wert wie das Niederbrennen von zwei Dutzend Kibbuzim, weil wir die Menschen dazu zwingen, danach zu fragen, was hier los ist.“

Heute reichen ständige und in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen erfolgende Raketenangriffe der Hamas oder der Hisbollah auf Israel, weil sich die Öffentlichkeit in den westlichen Demokratien inzwischen daran gewöhnt hat, die israelische Verteidigung zu verurteilen und ausschließlich die Zivilopfer auf der palästinensischen Seite beklagt, obwohl die Hamas diese bewusst einsetzt, indem sie ihre Abschusseinrichtungen sowie ihre militärischen Quartiere bewusst in Wohngebiete legt. Messerattacken, Steinwürfe, Selbstmordattentate in Israel flankieren die Quasi-Militärschläge von Hamas und Hisbollah. Die Botschaft: Terrorismus schadet nicht. Nur da es der Hamas inzwischen gelungen ist, sich als Staat zu inszenieren, der sie nicht ist, reicht es, die selbst herbeigeführte Notlage der eigenen Bevölkerung vorzuschieben, um den Gegner, Israel, als Schuldigen zu brandmarken. Und da sich die Lage der Palästinenser in den Flüchtlingslagern im Libanon oder in Jordanien und vor allem nicht in Gaza in keiner Weise verbessert, bleibt in den Augen auch der demokratischen Staaten des Westens Israel als Ursache des Elends.

An der arabischen Position, dass Israel zu vernichten sei, hat sich nichts geändert, nicht mit der Rede Arafats vor der UNO am 13. November 1974, nicht bei den folgenden UN-Resolutionen. Heute legen westliche Politiker*innen Kränze am Grab Arafats nieder. Erfolge des Terrors waren „der kometenhafte Aufstieg der Palästinenser in der ersten Hälfte der 1970er Jahre“. Ob es dabei jedoch wirklich um Palästina ging und geht, darf bezweifelt werden. Axel Feuerherdt und Florian Markl zitieren einen prominenten Vertreter der „pro-syrischen as-Saika“ aus dem Jahr 1977: „Nur aus politischen Gründen betonen wir unsere palästinensische Identität. Tatsächlich ist es von nationalem Interesse für die Araber, die Existenz der Palästinenser gegenüber dem Zionismus zu behaupten. Ja, das Bestehen einer palästinensischen Identität wird nur aufgrund taktischer Gründe aufrechterhalten.“ Daraus lässt sich ableiten, welche Bedrohung die israelisch-arabischen Verträge des Jahres 2020 für die palästinensischen Organisationen sind.

Die Raketen der Hamas im Mai 2021 hatten somit mehrere Ziele, nicht nur Israel. Es ging offensichtlich auch darum, sich als den einzig aktiven und legitimen Vertreter der palästinensischen Sache darzustellen, die Palästinensische Autonomiebehörde zu delegitimieren und die arabischen Staatsbürger*innen Israels angesichts der israelischen Reaktion für sich zu gewinnen. Welchen Einfluss die Beteiligung einer arabischen Partei an der am 13. Juni 2021 gewählten israelischen Regierung unter Naftali Bennett auf die weitere Entwicklung haben wird? Eine offene Frage, möglicherweise wird die Radikalisierung zunehmen, sofern sie sich überhaupt steigern lässt. Einen Anlass werden Israels Feinde immer finden. Und unter dem Druck, unter dem in Israel Bevölkerung, Militär und Regierung handeln müssen, wird es auch Überreaktionen geben. Gerüchte reichen aus, und manche rechtsnationalistische jüdische Bewegung spielt die Rolle des „nützlichen Idioten“. Weitere Verhärtung.

BDS – antisemitisch?

Eine Analyse der Positionierung der diversen UNO-Organisationen gegenüber Israel belegt, wie sich antijüdische, antisemitische, antizionistische und antiisraelische Stereotype miteinander vermischen. Yair Wallach schreibt zum Begriff „Zionismus“ in David Ranans Buch „Sprachgewalt – Missbrauche Wörter und andere politische Kampfbegriffe“ (Bonn, Dietz Verlag, 2021): „Wenn wir den Zionismus von seinem tatsächlichen sozialen und politischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts abkoppeln und ihn in eine transhistorische Kategorie umwandeln, deckt er sich weitgehend mit dem Begriff ‚Judentum‘; und dies wiederum macht den Antizionismus per Definition zu einer Form des Antisemitismus.“

Letztlich geht es darum, Israel und alle, die Israel unterstützen, vor allem Jüdinnen*Juden in aller Welt für den Konflikt verantwortlich zu machen. Und eben dies ist letztlich antisemitisch. Andererseits bedarf es gar nicht des Vorwurfs des Antisemitismus, um sich mit BDS auseinanderzusetzen. Es müsste eigentlich reichen, BDS-Unterstützer*innen ihre militant-unbelehrbare historische Unbildung nachzuweisen und vorzuspiegeln. Die Bilder und Metaphern, die BDS verwendet, wiederholen uralte anti-jüdische und antisemitische Klischees, aber möglicherweise ist das manchen, die BDS vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz nehmen zu müssen, nicht bewusst, auch dies eine Folge historischer Unbildung. Ich wundere mich nur, dass hoch gebildete Menschen diese Bildungsdefizite aufweisen. Das Elend einer armen Palästinenserin ist kein Argument für BDS, sondern ein Argument für die Aufarbeitung der historischen Ursachen ihrer Armut und ein Aufruf, diese Armut zu beseitigen.

Axel Feuerherdt und Florian Markl formulieren in ihrem Buch „Die Israel-Boykottbewegung“ ausgesprochen vorsichtig: „Wir müssen uns daher in aller Regel einer Antwort auf die essentialistische Frage enthalten, ob diese Leute Antisemiten sind. / Was wir aber sehr wohl sagen können, ist, dass sie sich für eine Kampagne engagieren, die (…) als eindeutig antisemitisch eingestuft werden muss. Nicht die Personen interessieren uns, sondern was sie tun und welche Konsequenzen das hat: Wir verurteilen nicht alle BDS-Aktivisten – ob Nicht-Juden oder Juden – leichtfertig als Antisemiten, aber wir treten ihnen entgegen, weil sie eine in ihren Zielen und Methoden antisemitische Kampagne betreiben.“

Die von Axel Feuerherdt und Florian Markl zitierten Einlassungen prominenter palästinensischer Vertreter, die die Zerstörung Israels fordern, sind keine Einzelmeinungen. Besonders infam sind die Vergleiche Israels mit Hitler-Deutschland oder sogar mit einem internen Gegner der palästinensischen Organisationen, der in der deutschen Übersetzung als „Islamischer Staat“ bezeichneten Gruppierung (im Original: „Daesh“). Ein Beispiel: „Israel hat kein Existenzrecht. Die terroristische Entität ist illegal und hat keine Existenzgrundlage außer ihrer IS-ähnlichen Ideologie.“ Die Gründungsmitglieder und der Gründungsaufruf belegen eindeutig, mit wem sich wohlmeinende Menschenrechtsaktivist*innen verbinden, wenn sie Aktionen von BDS befürworten. Unter den 172 Organisationen des Gründungsaufrufs befinden sich „Hamas, Islamischer Jihad und PFLP sowie die Fatah“. Gewaltfrei sind diese Organisationen nicht. Es ist eigentlich eine Schande, dass ich dies überhaupt schreiben muss. Nur am Rande: Der Konflikt zwischen Hamas und Daesh ist Gegenstand der zweiten Staffel von „Fauda“. Ohnehin geht es in der ersten und zweiten Staffel der Serie um Abspaltungen von der Hamas. Der Hamas-Chef Abu Samara hat selbst genug damit zu tun, seine Autorität bei den eigenen Leuten durchzusetzen. Es gelingt ihm nicht.

Axel Feuerherdt und Florian Markl beschreiben die Vorgeschichte und Entwicklung von BDS. Der Gründungsaufruf datiert auf das Jahr 2005. Vorläufer waren Boykott-Kataloge und Fragebögen der Arabischen Liga. BDS steht aber auch in der Tradition der UNO-Anti-Rassismus-Konferenz im südafrikanischen Durban und versteht sich als gewaltfreier Teil der Doppelstrategie. Der Terror der Hamas und anderer Gründungsmitglieder von BDS sind die eine Seite, die andere ist der ständige Versuch, den Eindruck zu erwecken, es ginge um „Frieden und Menschenrechte“ und nicht „um die Beseitigung des jüdischen Staates“. Dies gelingt der BDS-Bewegung mitunter recht gut. Die Niederlande, Irland, Schweden, die Europäische Union betrachten BDS als „legitime zivilgesellschaftliche Bewegung“. Die EU hat im November 2015 für die umstrittenen Gebiete in Judäa und Samaria, Ost-Jerusalem sowie den Golan eine Kennzeichnungspflicht für die Herkunft dortiger Produkte verfügt. Dies gibt es für keine andere umstrittene Region in der Welt, nicht für Kaschmir, nicht für Mauretanien, nicht für die diversen kurdischen Gebiete. Die UNO veröffentlichte im Februar 2020 eine „Schwarze Liste mit 112 Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen in oder mit israelischen Siedlungen im Westjordanland, in Ost-Jerusalem oder auf den Golanhöhen unterhalten.“ Andererseits „halten sich die Auswirkungen auf Israels Wirtschaft in Grenzen“. Es litten bisher vor allem palästinensische Arbeiter*innen der Firma Soda-Stream, die ihren Produktionsort in Ma‘ale Adunim aufgab, sodass etwa 500 palästinensische Arbeiter*innen ihre Arbeit verloren.

Kulturkampf

Das Hauptaktionsfeld von BDS in den westlichen Demokratien ist der Kulturbereich. „Auch wenn die Bewegung vor allem in den USA an den Hochschulen viel Gegenwind bekommt, sorgt sie doch vielerorts für eine Atmosphäre der Einschüchterung und Angst, gerade bei jüdischen und pro-israelischen Studenten. In Großbritannien, wo auch die Akademikergewerkschaft auf der Seite von BDS steht, gilt das erst recht. Und im kulturellen Sektor muss jede halbwegs bekannte Musikerin und jede einigermaßen populäre Band, die sich für einen Auftritt im jüdischen Staat entscheidet, zumindest damit rechnen, massiv unter Druck gesetzt, belästigt, bedroht und mit einem Shitstorm überzogen zu werden.“

Die Darstellung der BDS-Bewegung im Buch von Axel Feuerherdt und Florian Markl zeigt, dass es letztlich um eine Art „Kulturkampf“ geht. BDS bewegt sich im Rahmen des „kulturellen Codes“ (Shulamit Volkov), als der Antisemitismus funktioniert. Die Doppelstrategie der palästinensischen Terror-Organisationen, die schon in den 1960er Jahren begann, hat mit BDS eine neue Dimension erreicht. Diese Organisationen treten einerseits als scheinbar legitime Armeen eines zwar nicht vorhandenen, aber gerade auch in der Rede von der „Zwei-Staaten-Lösung“ fiktiven und stets präsenten Staates auf, dem nur die Anerkennung fehlt, andererseits als zivilgesellschaftliche Organisation in der Tradition der anti-kolonialistischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre, die sich aus dem Erfolg der Boykottbewegungen gegen die Apartheid in Südafrika legitimieren.

Grundlage der aktuellen Auseinandersetzungen in Deutschland ist der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019. Eugen El hat in der Jüdischen Allgemeinen vom 10. Juni 2021 darauf hingewiesen, dass nur das „Neue Deutschland“ auf die Initiative „Artists against Antisemitism“ verwiesen habe, während die „Jerusalemer Erklärung“ („Jerusalem Declaration on Antisemitism“) und die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, die beide BDS-Aktivist*innen im Namen der Meinungsfreiheit verteidigen zu glauben meinen, indem sie unter anderem die Antisemitismus-Definition der IHRA kritisieren, große Aufmerksamkeit erhielten.

Es lässt sich sicherlich immer darüber debattieren, ob die IHRA-Definition des Antisemitismus präzise genug ist, es lässt sich auch darüber debattieren, ob jemand sich gewollt oder ungewollt eines antisemitischen Klischees bedient, es lässt sich jedoch nicht darüber debattieren, ob das BDS-Ziel legitim ist, denn es läuft auf eine Zerstörung Israels hinaus. Und es lässt sich auch nicht darüber streiten, ob eine Bewegung, deren Gründungsmitglieder für Gewalttaten verantwortlich sind, als gewaltfrei bezeichnet werden kann. Der von BDS geforderte Boykott ist alles andere als gewaltfrei, sondern lediglich der scheinbar gewaltfreie Teil einer Doppelstrategie, die ohne die ständige Gewalt und Zerstörung von Seiten der extremistischen palästinensischen Organisationen irrelevant bliebe.

Sandra Kreisler spricht in „Jude sein (Leipzig, Hentrich & Hentrich, 2021) von einer „Win-Win-Situation der Hamas: Schlägt Israel nicht zurück, kann man es piesacken. Schlägt es zurück, kann man es verleumden.“ Und solange sich niemand mit der Geschichte der Region auseinandersetzt, wird es dabei bleiben. Der „kometenhafte Aufstieg der Palästinenser“, von dem Axel Feuerherdt und Florian Markl sprechen, wird sich fortsetzen, die UNO ist ihr verlässlicher Partner und irgendwie haben sich auch viele Intellektuelle von der ständigen Propaganda der palästinensischen Seite beeindrucken lassen und sind bereit, deren gewalttätigen Terror zu übersehen.

Norbert Reichel, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Juli 2021, alle Internetzugriffe erfolgten am 15.6.2021)