Wie politisch ist das Verfassungsgericht?

Ein Vergleich der Gerichte in Deutschland, Italien und den USA

„Der sprunghafte Bedeutungszuwachs von Verfassungsgerichten mit weitreichenden Normenkontrollkompetenzen speist sich aus dem Interesse an Stabilisierung und Unsicherheitsminimierung in den radikalen politischen und ökonomischen Transformationen dieser Zeit.“ (Philip Manow, Unter Beobachtung – Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde, Berlin, edition suhrkamp, 2024, S. 105)

Diese These von Philip Manow bezieht sich nicht nur auf die neuen Demokratien in Osteuropa, Polen und Ungarn zum Beispiel, sondern auch auf die klassischen westlichen Demokratien, somit auch auf Deutschland. Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist nicht nur ein Gericht unter vielen. Als „Hüter der Verfassung“ ist es vielmehr die institutionalisierte Antwort der Bundesrepublik Deutschland auf die historischen Erfahrungen der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur. Es verkörpert das Prinzip, dass die Verfassung nicht allein im politischen Prozess, sondern auch durch ein unabhängiges Gericht geschützt werden muss.

Die Institution Verfassungsgericht lebt vom Vertrauen der Bürger, dass seine Entscheidungen nicht politisch motiviert sind. Von zentraler Bedeutung dafür ist die Legitimität des Gerichts. Das Zusammenspiel von Vertrauen und Legitimität als Grundlage für die Verfassungsgerichtsbarkeit findet Ausdruck im Wahlverfahren der Richter. Der Modus der Wahl der Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht ist damit, so die hier vertretene These, ein Garant der Verfassungsstabilität. Das Verfahren sichert seine Legitimität, begründet das Vertrauen in seine Entscheidungen und bildet so die Grundlage seiner stabilisierenden Wirkung.

Im Folgenden wird zunächst die Verfassungsgerichtsbarkeit historisch-theoretisch hergeleitet, anschließend wird der institutionelle Aufbau des Bundesverfassungsgerichts erläutert. Die wechselseitige Stabilisierung zwischen Gericht und Verfassungswirklichkeit wird sodann anhand der Begriffe Legitimität und Vertrauen konstruiert. Eben diese Kategorien dienen im Vergleich der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit mit der italienischen und jener der USA dann einer Reflexion der jeweiligen historisch-theoretischen Prämissen. Durch diese Rahmung kann letztendlich auch die vertagte Richterwahl vom Juli 2025 als Realitätsprobe für das deutsche Konsensprinzip verstanden werden.

Wer soll der Hüter der Verfassung sein?

Nachdem zunächst mit Art. 92 ff. GG und dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) vom 12. März 1951 die Grundlage für das Gericht errichtet worden war, nahm das Bundesverfassungsgericht 1951 seine Arbeit auf. Von Beginn an war es als eigenständiges Verfassungsorgan mit weitreichenden Kontrollkompetenzen gedacht. Schon seit den 1950er-Jahren setzte das Gericht verfassungsrechtliche Maßstäbe, etwa mit dem Lüth-Urteil (1958). Seither hat sich das Gericht zu einem zentralen Akteur im politischen und rechtlichen Gefüge der Bundesrepublik entwickelt. Es entscheidet einerseits über Verfassungsbeschwerden der Bürger und andererseits über Organstreitigkeiten, Bund-Länder-Konflikte, Parteienverbote und die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Grundgesetz.

So selbstverständlich das Bundesverfassungsgericht für uns heute sein mag, diese Idee war lange umstritten. In der Weimarer Staatsrechtslehre prallten zwei diametral entgegengesetzte Vorstellungen zweier Rechtsprofessoren aufeinander, wer als „Hüter der Verfassung“ fungieren solle. Für Carl Schmitt war dies der Reichspräsident als plebiszitär legitimierter Akteur, während Hans Kelsen die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durch ein spezielles Gericht forderte. Schmitt vertraute auf die Einheit von politischer Macht und verfassungsrechtlicher Autorität, Kelsen auf die Trennung von Politik und Verfassungsinterpretation durch rechtlich gebundene Instanzen.

Carl Schmitts Vorstellungen vom Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung sind heute in doppelter Hinsicht veraltet. Zum einen, da seine Ablehnung der pluralistischen Demokratie unserem Demokratieverständnis fundamental widerspricht. Zum anderen in staatsorganisationsrechtlicher Hinsicht, weil der Bundespräsident nicht mehr direkt vom Volk gewählt wird und es somit die starke politische Figur, die sich Schmitt als Hüter der Verfassung vorstellte, in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gibt. Mit Blick auf Schmitts Demokratieverständnis leuchtet Kelsens Kritik an Schmitts Theorie schnell ein. Schmitts Kritik an der eben nur vermeintlich unpolitischen Verfassungsgerichtsbarkeit erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Schmitt warnte unter dem Bild der „Politisierung der Justiz“ davor, Gerichte mit politischen Grundsatzentscheidungen zu betrauen. Die Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig sei, sei keine rein juristische, sondern eine politische und damit nach seiner Auffassung der richterlichen Kontrolle entzogen. Richter entpolitisierten Konflikte nur scheinbar. In Wahrheit seien ihre Entscheidungen von politischen Werturteilen durchdrungen, ohne dass ihnen die dafür notwendige demokratische Legitimation zukäme. Gerade darin sah er eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie. Eine übermächtige Justiz könne den Primat der Politik verdrängen und so die Gewaltenteilung unterlaufen. Diese im Kern politischen Aufgaben müssten somit von einer politischen Figur bewältigt werden: dem Reichspräsidenten.

Die Kritik, dass verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidungen eine politische Dimension beinhalten, ist nicht von der Hand zu weisen. Schließlich ist das Verfassungsrecht seinem Wesen nach politisches Recht (Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsrecht I). Zum einen, da die Verfassung die politischen Institutionen erschafft und das Verhältnis von Bürger zum Staat regelt: Diese Regelungsmaterie, die den einzelnen Menschen zum Subjekt der Rechtsordnung erhebt (nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns), ist zutiefst weltanschaulich und durch das zugrundeliegende Menschenbild geprägt. Zum anderen, weil es die Grenze und den Rahmen des staatlichen und damit politischen Handelns festlegt – auch jenseits der großen Fragen. Man denke nur jüngst an den Bundeshaushalt 2024, den Klimabeschluss 2021 oder den Beschluss zur Bundesnotbremse 2021.

Ferner rührt der politische Einschlag des Verfassungsrechts daher, dass es eine allumfassende Werteordnung bildet. Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung beansprucht dadurch faktische Teilhabe an der politischen Staatsleitung und lässt sich zwingendermaßen in das Politische hineinziehen (Maurer/Schwarz, Staatsrecht I, S. 467f.). Diese politische Dimension darf nicht gleichgestellt und verwechselt werden mit parteipolitischen Auseinandersetzungen. Gerade die wollte der Gesetzgeber ausdrücklich verhindern (BT-Drs. 01/788).

Nach dem Scheitern der Weimarer Republik und den Exzessen des nationalsozialistischen Regimes entschied sich der Parlamentarische Rat bewusst für Kelsens Modell: Die Einführung eines starken, unabhängigen Verfassungsgerichts, das über die Einhaltung der Verfassung wacht, mit weitreichenden Kompetenzen bis hin zur Verwerfung von Parlamentsgesetzen. Dieses Auftreten als „negatorischer Gesetzgeber“ (Jürgen Jekewitz, in: Der Staat 19/4, 1980) ist auch trotz des Erfordernisses eines zuvor gestellten Antrags auf die Normenkontrolle aus staatstheoretischer Sicht nicht ganz unproblematisch. Schließlich bedarf es zum Verwerfen von Gesetzen grundsätzlich einer parlamentarischen Mehrheit, die ihre Legitimation aus der direkten Wahl durch das Volk ableitet. Diese Legitimation hat das Bundesverfassungsgericht nicht.

Diese Grundsatzentscheidung für Kelsens Modell prägt die institutionelle Architektur und wirkt bis in das heutige Wahlverfahren hinein. Wer also verstehen will, warum die Richterwahl im Juli 2025 ins Stocken geriet, muss zunächst begreifen, wie das Konsensprinzip als Antwort auf Schmitts Politisierungswarnung konstruiert wurde. Die erforderliche Akzeptanz soll durch das besondere Verfahren der Richterwahl gewährleistet werden. Je acht Richter werden vom Bundestag und Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt – ein Mechanismus, der parteipolitische Dominanz verhindern und gesellschaftliche Integrationsfiguren fördern soll (Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsorganisationsrecht, Vahlen Verlag 2024 S. 263). Doch dieser Mechanismus gerät unter Druck, wenn sich die politischen Lager nicht mehr auf Kandidaten einigen können. Die im Juli 2025 vertagte Richterwahl ist ein solches Signal und Anlass genug, das System, seine Stärken und seine Gefährdungen näher zu betrachten.

Die institutionelle Konstruktion als Schutz vor Politisierung

Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Struktur wie in seinem Wahlverfahren Ausdruck eines bewussten verfassungspolitischen Gestaltungswillens. Es soll gerade nicht Teil des politischen Wettbewerbs sein, sondern als unabhängige Kontrollinstanz agieren. Diese institutionelle Unabhängigkeit ist nicht allein funktional. Vielmehr ist sie verfassungs- und demokratiestabilisierend. Sie wird durch die Zusammensetzung des Gerichts, durch das Wahlverfahren der Richter sowie durch die Aufgabenverteilung innerhalb des Gerichts abgesichert.

Das Gericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern (Art. 93 Abs. 2 GG). Die Senate sind personell und funktional voneinander unabhängig. Der Erste Senat ist im Wesentlichen mit den Grundrechten und damit mit dem Verhältnis Staat-Bürger befasst. Der Zweite Senat befasst sich hingegen mit den Konflikten der Staatsorgane untereinander sowie mit Grundsatzfragen der Verfassung. Die Richter werden je zur Hälfte vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat gewählt (Art. 94 Abs. 1 GG). Dabei ist in beiden Fällen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Im Bundestag erfolgt die Wahl nach Vorbereitung durch das hierfür gebildete Richterwahlausschussgremium ohne Aussprache in verdeckter Wahl (§ 6 Abs. 1 S. 1 BVerfGG). Im Bundesrat erfolgt die Wahl direkt, also ohne den Wahlausschuss als Zwischeninstanz (§ 7 BVerfGG). Dieses zweigliedrige Wahlverfahren hat eine doppelte Funktion: Zum einen soll es die föderale Struktur der Bundesrepublik abbilden, zum anderen dient die notwendige qualifizierte Mehrheit dem Ziel eines breiten politischen Konsenses.

Die Regelung steht damit im bewussten Gegensatz zu einem parteipolitisch dominierten Mehrheitswahlverfahren. Die hohe Hürde zwingt die politischen Lager zur Einigung auf Persönlichkeiten, die auch außerhalb des eigenen politischen Spektrums respektiert werden. Der Konsensmechanismus soll gewährleisten, dass Richterpersönlichkeiten gefunden werden, die überparteilich urteilen und sich durch besondere juristische Autorität und Integrationskraft auszeichnen. Gerade in dieser Konstruktion liegt der Versuch, der Politisierung der Justiz vorzubeugen (BT-Drs. 01/788). Wo Richter entlang parteipolitischer Linien bestimmt werden, droht die öffentliche Wahrnehmung des Gerichts als unabhängige Instanz zu erodieren. Das Vertrauen in die richterliche Entscheidungskraft lebt zwar zu einem großen Teil von ihrer rechtlichen Begründung, nicht zuletzt jedoch auch von der institutionellen Unabhängigkeit und der persönlichen Integrität der Entscheidungsträger.

Zugleich schützt das Konsensprinzip vor der Gefahr der Dominanz wechselnder Regierungsmehrheiten über das Gericht. Die Richter am Bundesverfassungsgericht werden für zwölf Jahre gewählt und eine Wiederwahl ist ausgeschlossen (Art. 93 Abs. 3 GG). Auch dies dient ihrer Unabhängigkeit. Die Richter sollen weder durch Rücksicht auf politische Mehrheiten noch durch eigene Karriereerwägungen beeinflusst werden (Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer, Staatsorganisationsrecht, Vahlen Verlag 2024 S. 260). Die auf Langfristigkeit angelegte Zusammensetzung der Richter ist damit von Kontinuität geprägt und dient als Stabilitätsanker im staatlichen Gefüge.

Diese institutionellen Sicherungen tragen einer ent(partei)politisierten Struktur des Bundesverfassungsgerichts Sorge, zumindest solange die politischen Akteure bereit sind, die damit einhergehende Verantwortung zu tragen. Angesichts der vertagten Richterwahl im Juli 2025 könnte man einwenden, dass der Konsensmechanismus im Ernstfall zu Blockaden führt und damit Stabilität gefährden kann. Tatsächlich erhöht die hohe Zustimmungshürde das Risiko parteipolitischer Stillstände. Dieser Preis ist jedoch bewusst einkalkuliert. Selbst polarisierte politische Lager werden zur Verständigung gezwungen und es wird verhindert, dass ein politisches Spektrum das Gericht im Alleingang besetzen kann. Die Verzögerung ist daher kein Zeichen institutioneller Schwäche, sondern Ausdruck der Logik einer langfristig stabilisierenden Richterwahl. Der Konsensmechanismus ist damit vor allem eine Verpflichtung zur Mäßigung, zur Auswahl unabhängiger Persönlichkeiten und zur Zurückstellung taktischer Erwägungen zugunsten der Integrität des Verfassungsorgans.

Gerade dieser Zusammenhang zwischen Wahlmodus, Unabhängigkeit und Akzeptanz bildet das institutionelle Herz der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Richterwahl wird so zur Ausdrucksform demokratischer Selbstbindung. Sie ist nicht nur organisatorische Voraussetzung, sondern zugleich ein Legitimationsverfahren im materiellen Sinne. In einer politischen Kultur, in der die Bereitschaft zum Kompromiss abnimmt, erhält dieses Verfahren eine neue Bedeutung. Es verlangt Mäßigung statt Polarisierung, gemeinsames institutionelles Verantwortungsbewusstsein statt parteitaktischer Zuspitzung. Dass sich dieses Modell bislang bewährt hat, ist Ergebnis einer bewusst gewählten Struktur.

Der Konsensmechanismus im Lichte von Legitimität und Vertrauen

Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts beruht nicht allein auf seinen verfassungsrechtlich garantierten Kompetenzen. Sie speist sich wesentlich auch aus der gesellschaftlichen Anerkennung seiner Urteile und der öffentlichen Akzeptanz seiner Rolle im staatlichen Gefüge. In diesem Zusammenhang gewinnen die Begriffe „Legitimität“ und „Vertrauen“ eine zentrale Bedeutung.

Legitimität meint die institutionelle und rechtliche Grundlage, auf der das Gericht seine Entscheidungen trifft. Die Frage der Legitimität ist komplex und betrifft das Bundesverfassungsgericht auf mehreren Ebenen. Legitimation kann soziologisch, aber auch rechtlich-normativ verstanden werden. Die normative Ebene steht hier im Vordergrund. Zunächst ist die demokratische Legitimation verfassungsrechtlich geboten. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Auch das Bundesverfassungsgericht muss sich daher als Teil der Judikative in das System demokratischer Legitimation einfügen. Funktionell-institutionell ergibt sich die Legitimation ganz simpel aus den Art. 92 – 94 GG, da diese die Ausgestaltung des Gerichts darlegen (Nicole Schreier, Demokratische Legitimation von Verfassungsrichtern, Nomos, 2016, S. 98ff.). Kurzum: Weil die Art. 92 – 94 GG das Bundesverfassungsgericht vorsehen, ist es notwendigerweise zu errichten und weil alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, ist es demokratisch zu legitimieren.

Die materielle Notwendigkeit der demokratischen Legitimation wurde oben bereits diskutiert. Das Verfassungsrecht ist politisches Recht. Dieser Umstand macht die demokratische Rückbindung aufgrund der institutionellen Machtfülle erforderlich.

Ganz zentral für die demokratische Rückbindung ist mithin das Verfahren der Richterwahl. Es handelt sich dabei um eine Legitimationsform, die über die Wahl durch das Parlament mittelbar demokratisch rückgebunden ist (siehe auch dazu die eben zitierte Stelle bei Schreier, Demokratische Legitimation von Verfassungsrichtern). Möchte man den Begriff der Legitimität weniger juristisch und stärker soziologisch verstehen, kann die Legitimität auf die institutionelle Neutralität, fachliche Autorität und breite politische Akzeptanz des Gerichts zurückgeführt werden. Dabei handelt es sich um Faktoren, die auf gesellschaftlichem Vertrauen beruhen. Vertrauen ist in diesem Sinne keine gegebene Voraussetzung, sondern eine fragile Ressource. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung und wachsender Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen kommt dem Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht eine besondere Bedeutung zu.

Das Vertrauen als sozialer Wert entsteht nicht automatisch mit der formalen Einrichtung eines Gerichts. Es muss durch nachvollziehbare Verfahren, maßvolle Urteile und eine klare institutionelle Rolle immer wieder neu erworben und gefestigt werden.

Zur Einordnung der Verfassungsrichterwahl bedeutet dies, dass der Konsensmechanismus seinem Telos nach einerseits als Schutzwall gegen politische Vereinnahmung fungiert und andererseits der Stärkung des Vertrauens in die Integrität der Richterpersönlichkeiten dient. Mit anderen Worten: Wo der Auswahlprozess von gegenseitigem Respekt geprägt ist, entsteht auch gesellschaftlich das Gefühl, dass das Gericht unabhängig vom parteipolitischen Machtkampf ist und vielmehr eine eigenständige Instanz mit Maß und Mitte.

Diese Wirkung lässt sich auch empirisch belegen. Laut einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap aus dem Jahr 2025 gaben 70 % der Befragten an, „sehr großes“ oder „großes“ Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht zu haben, ein Wert, der deutlich über dem Vertrauen in Bundestag oder Bundesregierung liegt. Ein derart hoher Wert muss auch parteiübergreifend weitgehend stabil sein, womit die Wahl der Richter tatsächlich als Ausdruck institutioneller Neutralität und Integrationskraft wahrgenommen wird.

Ferner ist das Gericht dem öffentlichen Diskurs nicht entzogen. Es steht unter Beobachtung von Medien, Wissenschaft und Gesellschaft. Diese Beobachtung ist unverkennbar Teil des gewählten Gebildes. Sie sorgt für Transparenz und trägt ebenfalls der Vertrauensbildung bei. Wie Philip Manow in seiner Analyse zutreffend festhält, lebt die Autorität des Bundesverfassungsgerichts nicht trotz, sondern gerade wegen seiner öffentlichen Sichtbarkeit. Die gerichtliche Zurückhaltung, die sorgfältige Begründung seiner Entscheidungen und die institutionelle Balance tragen dazu bei, dass das Vertrauen der Bürger erhalten bleibt und auch in politisch aufgeladenen Zeiten Bestand hat (Philip Manow, Unter Beobachtung, Berlin, Suhrkamp, 2024).

Vertrauen ist nicht unbegrenzt belastbar. Mit der wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts geht auch die Erwartung einher, dass es immer häufiger Grundsatzentscheidungen zu komplexen politischen Fragen trifft – etwa zum Klimaschutzrecht oder zu einer pandemiebedingten Ausnahmesituation und den damit einhergehenden tiefgreifenden Freiheitsbeschränkungen der Bürger. Diese Entwicklung der Justizialisierung der Politik – so Manow –  kann das Gericht strukturell überfordern. Politische Konflikte sind in erster Linie im parlamentarischen Raum und in der öffentlichen Auseinandersetzung zu lösen. Findet die Entscheidung politischer Konflikte vor Gericht statt, droht eine Verschiebung demokratischer Verantwortung. Entscheidungen wie der Klimabeschluss 2021 oder der Beschluss zur sogenannten Bundesnotbremse zeigen, dass das Gericht zunehmend durch die politischen Antragsteller in politische Entscheidungslagen hineingezogen wird, für die es bewusst nur ganz begrenzt parlamentarische Legitimation und Steuerungsmittel besitzt.

Die Übertragung politischer Entscheidungen auf das Gericht führt zu einem doppelten Risiko. Das Gericht wird – so ließe sich sagen – mitunter in die Rolle einer dritten Kammer gedrängt. Einerseits besteht die Gefahr, dass das Gericht als politischer Akteur wahrgenommen wird und seine Neutralität in Frage steht. Andererseits kann dadurch der Eindruck entstehen, es gebe eine „richtige“ Lösung außerhalb politischer Aushandlung, die allein durch rechtliche Argumentation zu finden sei. Diese Erwartungshaltung hat langfristig das Potential, neben dem Vertrauen in das Gericht gleich auch die Funktionsfähigkeit des politischen Prozesses selbst zu untergraben.

Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht verlangt daher auch eine politische Kultur, die Verantwortung nicht auf die Justiz abwälzt, sondern ihre eigenen Aufgaben wahrnimmt. Die Stabilität der verfassungsrechtlichen Ordnung ist deshalb nur bedingt das Ergebnis einer gelungenen institutionellen Gestaltung. Vielmehr ist sie auch Ausdruck einer wechselseitigen Verpflichtung zwischen Judikative und politischer Öffentlichkeit. Schließlich profitieren Institution und Öffentlichkeit wechselseitig von dieser Ausgestaltung. Gerade der Modus der Richterwahl spielt in diesem Gefüge eine zentrale Rolle, indem er zur parteiübergreifenden Verständigung zwingt, vertrauensbildend wirkt und so wesentlich zur gesellschaftlichen Akzeptanz des Gerichts beiträgt. Dieses Vertrauen stabilisiert umgekehrt die Institution selbst und bildet die Grundlage für ihre Autorität im politischen Gemeinwesen. Erst infolge dieser Voraussetzungen kann das Gericht seine gesellschaftsstabilisierende Funktion erfüllen.

Im internationalen Vergleich wird erkennbar, dass diese Konstruktion einem verfassungsrechtlichen Leitbild folgt. Und zwar dem eines unabhängigen Gerichts, das sich seiner Verantwortung gegenüber der Demokratie bewusst ist und dem Staat zugleich Stabilität verleiht.

Internationale Perspektiven: Verfassungsgerichtsbarkeit im Vergleich

Für den internationalen Vergleich eignen sich zwei Modelle ganz besonders. Zum einen die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit aufgrund der erstaunlichen historischen Parallelen zwischen der Entstehung der beiden modernen Nationalstaaten Deutschlands und Italiens. Die späte nationale Einigung, die Monarchie, der überbordende Nationalismus in Faschismus und Nationalsozialismus mit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, die Kriegsniederlage und ein politischer wie verfassungsrechtlicher Neuanfang Ende der 1940er Jahre bieten bei allen Unterschieden ein ganzes Portfolio an ähnlichen und geteilten Erfahrungen, vergleichende Analysen nahelegen. Zum anderen werden die USA als Gegenstück herangezogen. Das Alter der amerikanischen Verfassung, des Supreme Courts selbst und die sogar in Deutschland spürbare Politisierung seiner Besetzung bilden die Grundlage für eine spannende Gegenüberstellung.

a) Italien: Institutionelle Balance und pluralistische Legitimation

Ein Blick nach Italien zeigt, dass das grundlegende Prinzip des deutschen Wahlmodus (Konsenszwang durch geteilte Ernennungsbefugnisse) auch in anderen Demokratien als Stabilitätsgarant wirkt. Der italienische Verfassungsgerichtshof kombiniert dafür verschiedene Prinzipien, die den deutschen zum Teil ähneln und sich zum Teil gänzlich von diesen unterscheiden.

Der Verfassungsgerichtshof ist ein Verfassungsorgan mit weitreichenden Kompetenzen zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und gesetzesähnlichen Akten des Staates und der Regionen, zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen den Staatsgewalten sowie zwischen Staat und Regionen und zur Entscheidung über Anklagen gegen den Präsidenten der Republik (Art. 134 der italienischen Verfassung). Die Zusammensetzung des Gerichts folgt einem ausgewogenen Mischsystem, das auf eine funktionale Pluralität der Bestellung und eine ausgewogene institutionelle Legitimation abzielt. Der Gerichtshof besteht aus fünfzehn Richtern, die zu gleichen Teilen von den drei verschiedenen Staatsgewalten ernannt werden: ein Drittel durch den Präsidenten der Republik (Exekutive), ein Drittel durch das Parlament in gemeinsamer Sitzung (Legislative) und ein Drittel durch die obersten ordentlichen und Verwaltungsgerichte (Art. 135 Abs. 1), also Vertretern der Judikative. Aus den Debatten der verfassungsgebenden Versammlung geht hervor, dass diese Dreiteilung insbesondere darauf abzielt, weder eine parteipolitische Dominanz durch das Parlament noch eine alleinige Kontrolle durch die Justiz oder das Staatsoberhaupt zuzulassen. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die Zusammensetzung „tatsächlich eine Garantie für alle“ sei. Sie steht sinnbildlich für das Prinzip der checks-and-balances und setzt damit die strikte Gewaltenteilung in Italien auch in der Wahl der Verfassungsrichter um. Die Richterinnen und Richter, die durch das Parlament in gemeinsamer Sitzung gewählt werden, benötigen für ihre Wahl eine Zweidrittelmehrheit im ersten Wahlgang. Danach genügt eine Mehrheit von drei Fünfteln (Art. 3, Legge costituzionale 22 novembre 1967, n. 2).

Die Auswahlkriterien betonen sowohl die juristische Kompetenz als auch die institutionelle Erfahrung der Richterkandidaten. Wählbar sind neben amtierenden oder emeritierten Richtern der obersten Gerichte auch ordentliche Hochschullehrer der Rechtswissenschaften sowie Rechtsanwälte mit mindestens zwanzigjähriger Berufserfahrung (Art. 135 Abs. 2). Diese Öffnung für verschiedene juristische Berufsgruppen erlaubt zudem eine breitere gesellschaftliche Rückbindung.

Die Amtszeit der Richter beträgt neun Jahre, beginnend mit dem Tag der Vereidigung. Eine Wiederernennung ist ausgeschlossen (Art. 135 Abs. 3). Wie in Deutschland dient diese zeitliche Begrenzung der Unabhängigkeit des Gerichts und soll eine institutionelle Verfestigung ideologischer Positionen verhindern. Mit Ablauf der Amtszeit erlischt automatisch die Ausübung der richterlichen Befugnisse (Art. 135 Abs. 4).

Die Verfassung sichert die Unabhängigkeit der Richter durch ausdrückliche Inkompatibilitätsregelungen und beugt mit diesen Regelungen direkten politischen Verstrickungen vor. So wird das Amt eines Verfassungsrichters als unvereinbar mit dem eines Parlaments- oder Regionalratsmitglieds, mit der Ausübung des Anwaltsberufs sowie mit anderen gesetzlich benannten öffentlichen oder privaten Funktionen erklärt (Art.135 Abs. 6).

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Gerichtshofs wird durch ein Verfassungsgesetz konkretisiert, das die Voraussetzungen, Formen und Fristen für die Verfahren sowie die Garantien für die richterliche Unabhängigkeit festlegt (Art. 137 Abs. 1). Die weiteren Regelungen zur Organisation und Funktionsweise beruhen auf einem einfachen Gesetz (Art. 137 Abs. 2). Anders als beim BVerfGG werden substantielle Teile des Gerichts durch das Verfassungsgesetz mit dem Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit abgesichert. Die verfassungsändernde Mehrheit Italiens erfordert das Mehr der Mitglieder in beiden Kammern.

Die italienische Verfassung versucht nach ähnlichen Prinzipien wie die deutsche, ihren Verfassungsgerichtshof zu stabilisieren. Vertrauen und Akzeptanz sollen durch das besondere Wahlverfahren gewährleistet werden, indem parteitaktischen Erwägungen möglichst wenig Raum gegeben wird.

Aus (rechts-)historischer Perspektive erfüllt der italienische Verfassungsgerichtshof eine bedeutsame gesellschaftliche, zum Teil politische Funktion. Gerade das Verhältnis zum Parlament ist hier hervorzuheben. Entgegen der Kompromissfähigkeit der verfassungsgebenden Versammlung erreichte das Parlament viele entscheidende Umsetzungsschritte der Verfassung nur stückchenweise (Michael Dietrich, Der italienische Verfassungsgerichtshof, Berlin, Duncker & Humblot, 1993, S. 221f.). Dieses verfassungsrechtliche Umsetzungsdefizit bezeugt die bedeutungsvolle Rolle, die die Corte Costituzionale innehat. Klar ist: Ein Problem mit der Einhaltung der Verfassung ist jedem Verfassungsstaat per se immanent. Ansonsten gäbe es kein Bedürfnis nach einem „Hüter der Verfassung“. Allerdings betraf dieses Defizit – so Dietrich – in Italien ganz wesentlich die institutionelle Einrichtung des Staates, wie beispielsweise das Wahlrecht oder das Zwei-Kammer-System.

Das italienische Verfassungsgericht hat ebenso eine unverkennbare gesellschaftliche Stabilisierungswirkung, die vor allem im Vergleich zu den instabilen Regierungsverhältnissen Italiens seit Gründung der Republik deutlich wird. Aufgrund dieser exekutiven Instabilität könnte man behaupten, eine politische Intervention des Verfassungsgerichts sei bis zu einem gewissen Grade erforderlich.

Während das Gericht in den 1950er und 1960er Jahren sowie in den 1980er Jahren die eigene Stellung festigte, übernahm es in den von gesellschaftlichen Spannungen geprägten 1970er Jahren zum Teil Funktionen der Gesetzgebungsinitiative (Jörg Luther, Die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit, Nomos, 1990, S. 204f.). Seit der „Ausrufung“ der sogenannten Zweiten Republik standen Reformen im Kontext der Stabilisierung von Regierungen im Zentrum. Darunter fielen auch verschiedene Reformen und Reformversuche des Wahlrechts. Auch in diesen stets umstrittenen politischen Themenfeldern intervenierte der Verfassungsgerichtshof, wie zuletzt 2014, als er mit einem politisch kontroversen Urteil weite Teile des neuen Wahlrechts für verfassungswidrig erklärte (Francesco Palermo, Wahlrechtsurteil: Italiens Verfassungsgerichtshof ersetzt die Politik, in: Verfassungsblog, 15. Januar 2014)). Aus den Protokollen der Assemblea Costituente geht hervor, dass das Gericht auch einen technischen, technisch-politischen Zuschnitt haben sollte.

Wie bereits festgestellt, ist das Verfassungsrecht jedoch politisches Recht, weshalb die Annahme, dass der Schutz des Verfassungsrechts eine technische Angelegenheit sei, fehlgeht. Dennoch: Dieser technisch-politische Ansatz scheint im ansonsten politisch-exekutiv instabilen Italien vertrauensfördernd zu sein. Nach einer Studie aus dem Jahr 2021 genießt die Corte Costituzionale das Vertrauen von 42 % der Italiener. In derselben Umfrage schnitten die beiden Kammern des Parlaments deutlich schlechter ab (Senat: 29 %, Abgeordnetenkammer: 27 %). Auch die Werte der Justiz allgemein lagen mit 35 % klar darunter. In Anbetracht des notorischen Misstrauens der italienischen Bevölkerung in die eigenen Institutionen sind die Vertrauenswerte des Gerichts durchaus positiv zu bewerten. Dass der italienische Verfassungsgerichtshof trotz politischer Instabilität über Jahre hinweg von rund 42 % der Bevölkerung (hohes) Vertrauen genießt, ist kein Zufall. Die beschriebene Struktur der Richterwahl verhindert parteipolitische Monopolisierung und entspricht damit dem Kernprinzip, das auch in Deutschland Stabilität sichert. Diese Gemeinsamkeit stützt die Annahme, dass der Wahlmodus nicht nur institutionell, sondern auch empirisch als Stabilitätsgarant wirkt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das italienische Modell auf institutionelle Balance und pluralistische Legitimation ausgerichtet ist. Für den italienischen Verfassungsgerichtshof wird ein technisch-politisch-juristischer Ansatz verfolgt. Es wird bewusst auf eine parteipolitisch dominierte Ernennung verzichtet und stattdessen die Kompetenz auf die verschiedenen Akteure verteilt. Dadurch wird eine breite gesellschaftliche Legitimation angestrebt. Dies setzt sich in dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit für die Richterwahl im Parlament fort. Damit zeigt sich eine Parallele zum deutschen Modell: In beiden Systemen verhindern hohe Zustimmungshürden und eine geteilte Ernennung, dass eine politische Seite das Gericht dominieren kann. Während Deutschland diesen Konsens durch föderale Doppelwahl und Zweidrittelmehrheit erzwingt, erreicht Italien ihn durch die gleichgewichtige Beteiligung von Exekutive, Legislative und Judikative. Beide Varianten beruhen auf demselben Grundprinzip der institutionellen Vielfalt als Schutzmechanismus. Sie stützen damit die These, dass nicht die institutionelle Form allein, sondern die gezielte Streuung der Ernennungsmacht den Stabilitätseffekt erzeugt. Der Unterschied liegt in der Ausprägung. Deutschland bindet stärker an parlamentarische Mehrheiten, Italien stärker an die richterliche Selbstrekrutierung. Dass beide Systeme über Jahrzehnte vergleichsweise hohes Vertrauen genießen, legt nahe, dass der Wahlmodus in seiner Konsensfunktion tatsächlich ein zentraler Stabilitätsfaktor ist.

b) USA: Der Supreme Court als dritte Kammer und Endinstanz

Die Staatsorganisation der Vereinigten Staaten kennt keine Verfassungsgerichtsbarkeit als solche. Stattdessen steht an der Spitze der Judikative der Supreme Court, der einerseits Verfassungsorgan ist und zugleich faktisch als Verfassungsgericht dient. Die Aufgaben des Supreme Court umfassen sowohl die Auslegung von Bundesrecht als auch die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Regierungshandeln (Art. III Sec. 2 US Const.). Seine Urteile sind letztinstanzlich und können nur durch Verfassungsänderung oder spätere Rechtsprechung revidiert werden. Der Supreme Court ist aus neun Richterinnen und Richtern zusammengesetzt, einschließlich des Chief Justice (Art. III Sec. 1 US Const.). Ihre Ernennung erfolgt durch den Präsidenten mit Zustimmung des Senats (Art. II Sec. 2 Clause 2 US Const.). Die Richter werden auf Lebenszeit berufen und scheiden folglich nur durch Tod, Rücktritt oder Amtsenthebung aus dem Amt. Kurios mag die Anrede der Richterinnen und Richter als „Justice“ wirken, da auf diese Art die Personen gleichzeitig als das von ihnen erwartete und gewünschte ultimative Ergebnis in Szene gesetzt werden.

Der in der US-amerikanischen Verfassung gewählte Aufbau und das Verfahren unterscheiden sich fundamental vom deutschen und vom italienischen Weg. Durch das Zusammenspiel der politischen Ernennung mit der lebenslangen Amtsausübung entsteht ein umstrittenes Politikum. Die vorgeschlagenen Richter müssen sich einer intensiven Befragung durch den zuständigen Senatsausschuss unterziehen (Peter Hay / Christoph Kern, US-Amerikanisches Recht, München, C.H. Beck 8/2024, S. 31). Die Sitzungen des Ausschusses finden öffentlich statt, werden live übertragen und können mehrere Tage dauern. Dabei nutzen die Senatoren die Befragung, um die juristische Qualifikation der Kandidaten, ihre persönliche Integrität und ihre weltanschauliche sowie rechtsphilosophische Positionierung zu überprüfen. Gleichzeitig dienen die Senate Judiciary Committee Hearings der politischen Profilierung der Senatoren selbst.

Der Modus der Wahl ist Ausdruck eines Systems, das auf eine starke Exekutive und eine konsequente Gewaltenteilung angelegt ist. Die Verfassungsbestimmungen wie die lebenslange Amtszeit oder das Verbot, die Besoldung zu kürzen, sollen die richterliche Unabhängigkeit gewährleisten (Judith Resnik / Kevin C. Walsh, Common Interpretation of Article III, Section 2), bieten jedoch zugleich, wie die politische Realität zeigt, Raum zur Instrumentalisierung durch parteipolitische Strategien. Präsidenten nutzen ihre Amtszeit gezielt, um ideologisch nahestehende Kandidaten zu nominieren und damit langfristig Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen (Bernhard Großfeld / Herbert Roth, Verfassungsrichter – Rechtsfindung am U.S. Supreme Court und am Bundesverfassungsgericht, Münster, LIT-Verlag, 1995, S. 43). Die Zustimmungspflicht des Senats hat sich, gerade in den letzten Jahrzehnten, von einem Konsensverfahren zu einem hochpolitisierten Nominierungskampf entwickelt (Stephan Bierling, Die Unvereinigten Staaten – Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie, München, C.H. Beck, 2024, S. 230).

Beispiele wie die Ernennung von konservativen Richtern wie Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett zeigen die Polarisierung des Auswahlprozesses. Sahen Teile der Demokraten die Wahl als „düsteren Tag für die USA“, so bezeichnete Präsident Trump die Kritiker als „wütenden linken Mob“.

Umfragen zeigen einen Rückgang der Zustimmung zur Institution – insbesondere bei politisch Andersdenkenden. Während die Zustimmung 1995 noch bei 80 % lag, brachen die Werte seit den 2010er Jahren – in einer Phase zunehmender innergesellschaftlicher wie politischer Polarisierung – auf lediglich 44 % zusammen. (so auch dokumentiert bei Bierling, Die Unvereinigten Staaten, S. 232).

Man muss dem amerikanischen System zugutehalten: Die 1787 verabschiedete Verfassung besteht seit 250 Jahren. Sie ist im Lichte des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges zu sehen und hat nicht wie die zwei europäischen Beispiele die Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahrhunderte aufnehmen können. Dafür hat sie bis heute geradezu Unglaubliches geleistet. Man muss sich nur vor Augen führen, wie es Ende der 1780er Jahre um die politische und rechtliche Verfasstheit in Europa stand.

Nichtsdestotrotz offenbart das amerikanische Modell die Kehrseite einer formal unabhängigen, aber politisch aufgeladenen Judikative. Die Lebenszeitberufung, die fehlende Hürde für die Ernennung und der völlige Verzicht auf Konsensanforderungen machen das Gericht anfällig für eine politische Schlagseite. Vertrauen entsteht hier nicht durch Verfahren, sondern fast ausschließlich durch gesellschaftliche Identifikation mit der Entscheidungsrichtung – ein Mechanismus, der dem Prinzip richterlicher Neutralität widerspricht. Wie in der amerikanischen Rechtswissenschaft ebenfalls kritisiert wird (Bradley W. Joondeph, in: Santa Clara Law Review, Vol. 46, S. 737f.), nimmt der Supreme Court jedenfalls keine zentrale Rolle in der Stabilisierung der Gesellschaft durch politische Mäßigung ein.

Verfassungsgerichtsbarkeit als demokratisches Vertrauensgut

Im Vergleich zeigen sich unterschiedliche institutionelle Antworten auf die Frage, wie Verfassungsgerichtsbarkeit legitimiert werden kann. Das italienische Modell sucht in der institutionellen Pluralisierung Schutz vor Politisierung. Das amerikanische Modell setzt auf die Dominanz der Exekutive, gerät aber durch die parteipolitische Überhöhung einzelner Nominierungen in eine Legitimationskrise.

Das Bundesverfassungsgericht verdankt seine besondere Stellung im Verfassungsstaat vor allem der Weise, wie seine Richterinnen und Richter bestimmt werden. Das Wahlverfahren mit föderaler Beteiligung und qualifizierter Zweidrittelmehrheit zielt auf überparteiliche Verständigung, institutionelle Ausgewogenheit und damit auf die Sicherung von Vertrauen und Legitimität. Vertrauen entsteht hier nicht trotz, sondern gerade wegen des Verfahrens, welches das Gericht vor politischer Einflussnahme schützt. Dieses muss jedoch vor der Vorstellung geschützt werden, die Justiz könne politische Probleme stellvertretend lösen. Die Kehrseite des deutschen Systems liegt auf der Hand. Es ist auf den politischen Konsens angewiesen, der nur durch eine entsprechend reife politische Kultur erreicht wird. Die Richterwahl ist somit ein organisatorischer Vorgang, der zugleich ein Akt demokratischer Selbstbindung ist.

Historisch markiert die Entscheidung für ein unabhängiges Gericht nach dem Vorbild Hans Kelsens – und gegen ein primär politisch legitimiertes und auf eine Person zugeschnittenes Hüteramt im Sinne Carl Schmitts – einen bewussten Bruch mit den Erfahrungen der Weimarer Republik. In der Bundesrepublik beruhen Autorität und Akzeptanz des Verfassungsgerichts auf rechtlicher Verankerung, prozeduraler Transparenz und gesellschaftlicher Anerkennung. Diese Anerkennung ist kein Selbstläufer. Sie muss durch nachvollziehbare Verfahren, maßvolle Entscheidungen und eine erkennbare Distanz zur parteipolitischen Logik stets neu begründet werden.

Bei allen Bemühungen, die Parteipolitik von der Verfassungsgerichtsbarkeit fernzuhalten, handelt es sich jedoch bei der Auslegung von Verfassungsrecht stets um politische Fragen, die auch durch die Richter mit Weltanschauung gefüllt werden. Der Schutz des Verfassungsrechts ist daher keine rein technische Angelegenheit. Dieser Umstand macht eine demokratische Legitimierung der Verfassungsgerichtsbarkeit erforderlich.

Der Blick auf andere Verfassungsgerichte verdeutlicht, wie unterschiedlich sich institutionelle Sicherungen auswirken: In den USA steht der Oberste Gerichtshof stärker im parteipolitischen Spannungsfeld als Ausdruck einer starken Exekutiv- und Parteienbindung. In Italien hingegen wird ein Gleichgewicht der Gewalten durch eine dreigeteilte Ernennung angestrebt. Dieses Modell setzt ebenfalls auf institutionelle Balance und suggeriert zugleich, dass der Schutz des Verfassungsrechts eine technische Angelegenheit sei. Im Vergleich dazu bleibt das deutsche Verfahren auf Konsensbildung und Integrationsfähigkeit angewiesen. Eine Stärke, die zugleich eine strukturelle Abhängigkeit vom Verantwortungsbewusstsein der politischen Akteure mit sich bringt.

Deshalb ist die Stabilität der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit eng mit der politischen Kultur verknüpft. Das Wahlverfahren schützt nur dann wirksam vor parteipolitischer Vereinnahmung, wenn diejenigen, die es ausführen, zur Zurückhaltung und Mäßigung bereit sind. Wer das Bundesverfassungsgericht als unabhängige Instanz bewahren will, muss das Verfahren der Richterwahl mit Ernsthaftigkeit, Weitblick und einem gemeinsamen Verständnis institutioneller Verantwortung gestalten. Nur dann kann das Gericht weiterhin das bleiben, was es sein soll – ein Ort des Rechts, getragen von Maß und Mitte.

Matteo Gentile, Universität Bielefeld

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im September 2025, Internetzugriffe zuletzt am 24. August 2025, Titelbild: Pixabay.)