Wir müssen Schulgebäude neu denken!

Der Bau und Unterhalt von Schulgebäuden ist eine Kernaufgabe der Kommunen. Dabei muss die Gemeinde aber nicht nur ein technisch, sondern auch politisch handeln. Nach wie vor bauen wir zu oft Schulen wie in den 70iger Jahren: Klassenraum an Klassenraum, Quadratisch praktisch gut, Flur nebenan und fertig. Hans-Magnus Enzensberger erinnerten Schulgebäude entweder an wilhelmische Kadettenanstalten oder an Stuttgart-Stammheim. Das Lernen in Kisten scheint nach wie vor die Schularchitektur zu dominieren. Dabei ist ein Schulgebäude immer auch Ausdruck der öffentlichen. Hier hat die Stadt die Möglichkeit gesellschaftspolitische Probleme aufzugreifen und zumindest symbolisch eine Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Aktuelle zentrale Herausforderungen sind aus meiner Sicht die Digitalisierung, der Kampf gegen die Erderhitzung, für den Erhalt der Artenvielfalt sowie die Neuverteilung von Raum, gerade beim aktuellen Wohnraummangel. Der Lösung dieser Herausforderungen können die kommunalen Planer*innen und Architekt*innen von Schulbauten sich nicht entziehen. Ich möchte im Folgenden mögliche Umsteuerungen skizzieren.

Schule muss stärker Kreativität fördern. Reproduzierendes Lernen ist ein Sachbestand der Bildung, der durch die Digitalisierung früher oder später weitestgehend mit der Hilfe von Computern erfüllt werden kann. Doch kein Computer der Welt kann kreatives Denken vermitteln. Die Förderung der Kreativität und das Denken in Zusammenhängen statt in eng definierten Fächern, anders gesagt in fachlichen „Kisten“, muss sich auch räumlich abbilden. Loris Malaguzzi, Vater der so genannten Reggio-Pädagogik, formulierte das Motto: „Nur wenn Gefühl und Fantasie erwachen, blüht die Intelligenz.“ Wir müssen weg von dem Klassen- vs. Fachraumprinzip, zu einer anderen Nutzung von Fluren. Die flurlose Schule ist keine Utopie. Wir müssen und können bunter bauen, mehr Möglichkeiten des Rückzug schaffen und Orte des gemeinsamen forschenden Lernens, Begegnung und Austausch außerhalb von Klassen- oder Fachräumen schaffen.

Die zweite zentrale Herausforderung unserer Zeit ist der Kampf gegen die Erderhitzung und für den Erhalt der Artenvielfalt. Gerade in Großstädten können wir dies im Sommer drastisch erleben. Enge Straßenschluchten und zugebaute Plätze beeinflussen das Mikroklima und das Wohlbefinden der Menschen Begrünte Fassaden, Schul- und Dachgärten müssen daher bei Schulbauten genauso selbstverständlich werden wie grüne und blühende Schulhöfe. Was für den Wohnungsbau gelten muss, muss auch für den Schulbau gelten, eine hohe ökologische Qualität des Schulgeländes wie des Wohnumfeldes.

Eine dritte Herausforderung unserer Zeit sei hier erwähnt: die Wohnungsnot. Auch wenn es im ersten Moment ungewöhnlich scheint, Schulgebäude und Wohngebäude können sich wunderbar ergänzen. Wohnungen auf dem Schulgelände, beispielsweise über Schulräumen können eine kleine Antwort auf den Wohnungsmangel sein. Die Schulzeiten sind im Normalfall zyklisch zu den normalen Arbeitszeiten, sodass auch (anders als bei Sportplätzen) nicht mit einer Lärmkonflikten zu rechnen ist. Außerdem beugt eine Belebung der Schulflächen auch Vandalismus nach den Schulzeiten vor.

Gute Ideen gibt es allemal: Ein aktuelles Modell bieten die Montag Stiftung Urbane Räume. Vielleicht lohnt sich auch der Blick in etwas ältere Konzepte, beispielsweise zur fraktalen Schule oder ein Blick in die von der Serviceagentur Ganztägig lernen (SAG) entwickelten Materialien.

Tim Achtermeyer, Bonn

(Anmerkung: Erstveröffentlichung im Mai 2019, Internetlinks wurden am 22. September 2022 auf Richtigkeit überprüft. Das Titelbild zeigt einen Raum im Bildungshaus Bad Aibling.)