Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

in der Dezemberausgabe 2021 finden Sie wie gewohnt Texte und Anregungen zu Themen, zu denen sich zu streiten lohnt (es lohnt sich eigentlich immer!). Sie finden zwei Essays, die Dokumentation einer Begegnung, drei Rezensionen und natürlich meine Vorschläge für den Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen sowie die Lektüre des ein oder anderen meines Erachtens wichtigen Textes.

Das Editorial:

Es ist das Recht eines Editorialisten, es auch einmal mit einem dramatischen Einstieg zu versuchen. Mein Versuch beginnt mit dem Satz: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“. Koalitionsverträge sind gute Vorsätze, aber manches, was wir dort lesen, ist nach kürzester Zeit obsolet. 1998 war es der Jugoslawien-Krieg, im Dezember 2021 die Pandemie. Dennoch besteht kein Anlass zu vorauseilendem Pessimismus. Andererseits besteht auch kein Grund zu vorauseilender Euphorie. Der aktuelle Koalitionsvertrag überzeugt durch nüchterne Sprache, Albernheiten wie die Ankündigung von „Entfesselungsgesetzen“ oder Infantilismen à la „Gute-Kita-Gesetz“ wurden vermieden. Manche Kapitel sind sehr konkret formuliert, andere eher vage, einige vielleicht auch einfach aus dem Grund, dass es zu viele Unwägbarkeiten gibt, beispielsweise in der Außenpolitik.

Kanzler*in, Minister*innen und Abgeordnete müssen nach bestem Wissen und Gewissen abwägen, was sie zu welchem Zeitpunkt beschließen. Dazu gehört das Bewusstsein, dass das Verfassungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt Korrekturen verlangen könnte. So geschehen beim Urteil zum Klimaschutz: bisher mit wenig Wirkung, aber mit Start der neuen Bundesregierung steht wieder alles auf Anfang. Der gute Wille ist da, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass aus dem 1,5 Grad-Ziel sehr schnell eine 2,5 Grad-Wirklichkeit werden könnte. Und das ist nur einer der großen Problemkomplexe, die sich zu allem Überfluss auch noch alle gegenseitig verstärken.

Ich kann in einem Editorial den Koalitionsvertrag nicht im Detail bewerten. Sehr konkret formuliert sind die Passagen zur Forschungspolitik, zur Gesundheitspolitik, in Teilen zur Bildungspolitik. Zuversichtlich stimmen Aussagen zur Verbriefung und Sicherung der Rechte von Minderheiten, zur Abschaffung von § 219a StGB, zum „Demokratiefördergesetz“. Zu diesem Vorhaben lesen wir: „Die Finanzierung sichern wir dauerhaft ab.“ Das ist der Maßstab! Leider lesen wir nicht, wie die Bundesregierung die Finanzierung der demokratiefeindlichen Arbeit der der AfD zuzurechnenden Desiderius-Erasmus-Stiftung mit Steuergeldern verhindern will. Will sie? (Und was wollen die demokratischen Fraktionen des Deutschen Bundestages uns damit sagen, dass die AfD den Vorsitz des Innenausschusses erhält? Ein „Signal der Gedankenlosigkeit“, so Christoph Heubner, Vize-Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees.)

Gibt es so etwas wie ein gemeinsames Verständnis der drei Parteien über die Ziele? „Mehr Fortschritt wagen“? Die misslungene Willy-Brandt-Reminiszenz in der Überschrift wirkt peinlich: Auch die Lektüre der ersten Absätze erschließt nicht, was gemeint sein könnte. Ich zitiere: „Die Welt ist am Beginn eines Jahrzehnts im Umbruch, deshalb können wir nicht im Stillstand verharren. Die Klimakrise gefährdet unsere Lebensgrundlagen und bedroht Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Deutschland und Europa müssen angesichts eines verschärften globalen Wettbewerbs ihre ökonomische Stärke neu begründen. Im internationalen Systemwettstreit gilt es, unsere Werte entschlossen mit demokratischen Partnern zu verteidigen. Zugleich verändert die Digitalisierung die Art und Weise wie wir wirtschaften, arbeiten und miteinander kommunizieren. Unsere Gesellschaft wird älter und diverser. Auch gilt es, gesellschaftliche Spannungen in Zeiten des schnellen Wandels zu reduzieren und das Vertrauen in unsere Demokratie zu stärken.“

Das sind Allgemeinplätze. Aber was fehlt? Was ist mit der wachsenden Ungleichheit? Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie veröffentlicht, die darlegt, dass es nur drei Länder in der OECD gibt, in denen soziale Ungleichheit mehr wächst als in Deutschland. Und das nicht erst seit vorgestern. „Wohlstand“ und „ökonomische Stärke“ sind keine konkreten Ziele, das ist Wunschzetteldenken. Die Koalitionsparteien verabredeten eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 EUR, die Einführung einer Grundsicherung für Kinder, aber auch die Ausweitung von Mini-Jobs. Die Gesellschaft spaltet sich nicht nach diversen Identitäten, sie spaltet sich nach sozialen Kriterien, die aber oft genug identitätspolitisch interpretiert werden. Höchste Gefahr für die freiheitliche Demokratie droht, wenn zu viele Menschen das Gefühl haben, den Zugang zu einem selbstbestimmten Leben zu verlieren. Was bedeuten „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“? Diese Begriffe und die „Demokratie“ prägten das sozialliberale Jahrzehnt der 1970er Jahre, dessen Impulse mit den neoliberalen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte verschwanden. Längst vergessen?

Und was ist mit Außen- und Sicherheitspolitik? Im Editorial vom November 2021 habe ich das Fehlen dieser Politikbereiche im Sondierungspapier vermerkt. Im Koalitionsvertrag finden wir einen nach Ländern sortierten Katalog, stets im Kontext aufrichtiger Bekenntnisse zu Europäischer Union und NATO. Immerhin verzichteten die Koalitionsparteien auf pseudopazifistische Anwandlungen wie sie der Fraktionsvorsitzende der SPD vor der Wahl verkündete. Deutschland wird sich nicht von der NATO abkoppeln, indem die in Deutschland lagernden Atomwaffen nach Polen verlegt werden. Das Sicherheitsbedürfnis Polens und der baltischen Staaten wird anerkannt. Zumindest hier gibt es – auch wenn der Begriff nicht fällt – einen Hauch von Solidarität, obwohl nirgendwo deutlich wird, was das im Ernstfall eigentlich heißt. Und was ist mit dem Bekenntnis zur Sicherheit Israels? Das Bekenntnis zur finanziellen Unterstützung der UNRWA, die dafür bekannt ist, nicht nur mittelbar palästinensischen Terrorismus zu finanzieren, konterkariert sie.

Hat die Bundesregierung eine Idee, was es bedeuten könnte, wenn 2022 Emmanuel Macron die Wahl in Frankreich verliert (zurzeit weniger wahrscheinlich) oder 2024 Donald J. Trump wiedergewählt wird (alles andere als unwahrscheinlich)? Was könnte sie tun, um Demokrat*innen gegen Anti-Demokrat*innen zu unterstützen? Die Europäische Union hat nicht viel Zeit sich als freiheitlich-demokratische Macht zu bewähren, natürlich im „Schulterschluss“ (furchtbarer Begriff, aber passend) mit Joe Biden. Wie wird sich die Bundesregierung zu den Initiativen des französischen Staatspräsidenten verhalten, die ihre Vorgängerin abgelehnt hatte? Leider wirkt das außenpolitische Kapitel mitunter naiv, gerade in seinen Textstellen zu China, zum Iran, zur Ukraine, leider auch zu Auflösungserscheinungen des Rechtsstaates in Polen und Ungarn. Zu Beginn der Amtszeit soll der neue Bundeskanzler der chinesischen Regierung mitgeteilt haben, es gebe keine grundlegenden Änderungen in der deutschen Außenpolitik, während die neue Außenministerin in ihren ersten Auftritten eine klare Sprache pflegte. Sie fand klare Worte zum Iran und zur Ukraine, sie betonte Gemeinsamkeiten von EU und NATO, wie ich sie gerne im Koalitionsvertrag gelesen hätte.

Die Herausforderungen – oder wie auch immer Sie es nennen wollen – sind enorm: wirksamer Klima- und Artenschutz weltweit, Solidarität und Sicherheit in der Sozialpolitik, eine selbstbewusste Außen- und Sicherheitspolitik, dies alles auf der Grundlage freiheitlich-demokratischer Werte, die Stärkung der Europäischen Union, ein humanistisch orientiertes Management von Migration. Eine solche Analyse hätte ich mir in der Präambel des Koalitionsvertrags gewünscht. Es geht um viel mehr als eine diffuse „ökonomische Stärke“, es geht um „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“, weltweit. Es müsste eigentlich auf der Hand liegen, wie Klimakrise und Migration, soziale Ungleichheit und die Bedrohung der freiheitlichen Demokratie einander bedingen. „Mehr Solidarität wagen“ – das wäre doch was gewesen.

Bernd Ulrich und Hedwig Richter haben im August 2021 in der ZEIT geschrieben, dass Zumutungsfreiheit gegenüber den Bürger*innen als leitendes Prinzip des Wahlkampfs erscheine. „Bereit weil ihr es seid“? Eigentlich sollte Politik nicht zuwarten, sondern dafür werben, dass das Notwendige mehrheitsfähig wird. Und dazu braucht es nicht nur Vorsätze. Wie gesagt: der Weg zur Hölle…

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Rubriken Kultur und Migration: In meinem Essay „Gott liebt die anderen – Über Wege der Wahrheit in Religion und Religionsunterricht“ habe ich versucht, die diversen Gedanken in Judentum, im Islam und im katholischen und im evangelischen Christentum zur Suche nach der Spiegelung der in Religionen versprochenen Wahrheiten im Religionsunterricht zu ergründen. Ausgangspunkt war ein im Verlag Frank & Timme erschienener Sammelband. Einen Rahmen fand ich bei Charles Taylor, Friedrich Wilhelm Graf und Moses Mendelssohn. Es ist eine grundsätzliche Frage, ob ich Religionsunterricht als Verkündigung oder als ständiges Bemühen, als eine Art spiritueller Wanderschaft verstehe. Und es macht einen Unterschied, ob das jeweilige Bekenntnis als Mehrheitsreligion oder in einer Diaspora-Situation gelebt wird. Literaturwissenschaftliche Methoden, narrative Theologie, Bibliodrama könnten jungen (und älteren) Menschen helfen, sich zu orientieren. Eine grundlegende Frage lautet, ob es möglich ist, ein orthodoxes Verständnis der eigenen Religion in einer offenen Gesellschaft zu leben. Vorbild für eine solche Orthodoxie in Vielfalt ist und bleibt Moses Mendelssohn. Die Entdeckung der Religion ist eine ständige Wanderung und die Urväter und Urmütter der drei monotheistischen Religionen waren alle Migrant*innen. Den kompletten Essay finden Sie hier.
  • Rubrik Liberale Demokratie: Vor etwa zwei Jahren habe ich in meinem Essay „Fünfte Gewalt oder fünfte Kolonne“ versucht, zehn Thesen zur politischen Bildung zu formulieren. Diesen Essay habe ich aktualisiert, der neue Titel „Bildungsziel Demokratie – Zehn Thesen zur Zukunft der politischen Bildung“. Eine der schwierigen Fragen jeder politischen Bildung, in der Schule, in der Hochschule, in der Jugendbildung, in einer Volkshochschule oder in welchen Zusammenhängen auch immer ist die Beteiligung der Menschen, die sich nicht so einfach für politische Bildung motivieren lassen, und nicht zuletzt derjenigen, die andere, mitunter völlig konträre Ansichten zu denen vertreten, die die Veranstalter*innen vorgeben. In dem Essay fordere ich, dass sich politische Bildung auf die Marktplätze begibt, analog wie digital, auf schwierige Fragen mit Gegenfragen reagiert, aber vor allem sich immer dessen bewusst ist, dass der entscheidende Bildungsauftrag des Grundgesetzes der Auftrag zur Demokratiebildung ist. Das Schlagwort lautet „Empowerment“ oder in den Worten von Andreas Voßkuhle: „Das Grundgesetz will den kritischen und informierten, vor allem aber den neugierigen Bürger.“ Den vollständigen Text finden Sie hier.
  • Rubriken Kultur und Migration: Die Einwanderung von Jüdinnen*Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland in den 1990er Jahren war und ist eine Erfolgsgeschichte. Olga Rosow kam als 18jährige aus der Ukraine, zunächst nach Bad Orb, dann nach Düsseldorf. Heute leitet sie die Sozialabteilung der jüdischen Gemeinde. Der Text „Nach Hause kommen“ dokumentiert unser Gespräch, in dem sie von ihrer Ankunft in Deutschland, ihrer Ausbildung in der Ukraine und in Deutschland, ihrer Tätigkeit in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf berichtet. Sie spricht über die Angebote der Gemeinde für junge wie für ältere Menschen. Eines der großen Probleme ist die Altersarmut vieler Juden*Jüdinnen. SABRA ist eine der profilierten und überregional anerkannten Akteur*innen im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus und wirkt an dem Aufbau einer Meldestelle nach dem Vorbild von RIAS in Berlin Die während der Pandemie entstandenen digitalen Angebote haben den Wirkungsbereich der Gemeinde erweitert. Beeindruckend sind die Initiativen der Erinnerungskultur, in Deutschland, in der Ukraine. Das vollständige Gespräch lesen Sie hier.
  • Rubriken Shoah sowie Opfer und Täter*innen: Einen ausgezeichneten Überblick über den Verlauf der NS-Gewaltherrschaft, die von Anfang an sich ständig beschleunigende Eskalation des Terrors gegen Juden*Jüdinnen, gegen alle, die das NS-Regime nicht als Deutsche definierte, gegen alle, die sich kritisch äußerten, bietet der von Andreas Nachama geschriebene, reich illustrierte, im Quartformat gehaltene Band „12 Jahre – 3 Monate – 8 Tage“. Andreas Nachama, 25 Jahre lang Direktor der „Topographie des Terrors“, bietet eine umfangreiche „Chronologie des Terrors“ mit zahlreichen Texten aus Gesetzen, Verordnungen, Reden der NS-Führung sowie Berichten von Zeitzeug*innen und Historiker*innen. Was dachten Täter*innen, was die Opfer, wie verhielt sich die Bevölkerung? Das Buch bietet eine „Summa Tertii Imperii“. Die vollständige Rezension finden Sie hier.
  • Rubrik Treibhäuser: Mehrfach habe ich schon über das Framing von Begriffen geschrieben. Diese Auseinandersetzungen konnte ich mit meiner Rezension des von David Ranan im Bonner Dietz-Verlag herausgegebenen Sammelbandes „Sprachgewalt“ fortführen. „Wir Manichäer“ ist die Überschrift meiner Rezension. 30 Autor*innen äußern sich zu 28 Begriffen, der Band beginnt mit „Fake News“ und endet mit „Wahrheit“, dazwischen Texte zum „Antisemitismus“, „Rassismus“, „Kommunismus“ und vielen weiteren Begriffen, die im politischen wie im allgemeinen Sprachgebrauch oft sehr kontrovers diskutiert werden. Viel zu oft regiert ein binäres, in der Regel auch ahistorisches Verständnis der Begriffe, niemand ist frei von einer manichäischen Interpretation. Jeder Essay dekonstruiert Gewohntes, ein zweiter Band mit weiteren Begriffen dieser Art wäre sicherlich ein Gewinn. Die vollständige Rezension finden Sie hier.
  • Rubrik Treibhäuser: „Digital First“ – das war einer der Wahlkampfschlager des Jahres 2017. Das, was technisch heute bereits möglich ist, sollten wir aber auch zu Ende denken. Dies tut Dave Eggers in seinem Roman „Every“, dessen Handlung wenige Jahre nach dem Vorläuferroman „The Circle“ Zahlen regieren die Welt, Apps nehmen den Menschen die ihnen unangenehm erscheinenden Entscheidungen ab. Meine Rezension habe ich „Ausgezählt“ überschrieben, weil genau das letztlich das Ergebnis sein dürfte. Die Menschen delegieren freiwillig jede Entscheidung an Algorithmen, stimmen jeder Form der Überwachung zu, damit Klimakrise, sexualisierte Gewalt, jeder häusliche Streit der Vergangenheit angehören. Erkenne dich selbst, erkenne die anderen, erkenne, was richtig ist – all das garantieren die Angebote der Firma „Every“. Es gibt nur einen wunden Punkt: die Zahl der Depressionen und Selbstmorde steigt. Delaney Wells, die Protagonistin des Romans, versucht den Konzern von innen zu zerstören. Ob dies gelingt, erfährt, wer sich auf den Roman einlässt. Die vollständige Rezension finden Sie hier.

Veranstaltungen und Ausstellungen:

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons finden erst wieder im Jahr 2022 statt. Es gibt aber viele andere Veranstaltungen und Ausstellungen, von denen ich einige bereits empfohlen hatte, die ich aber für all diejenigen, die noch nicht die Zeit oder die Gelegenheit hatten, sie zu besuchen, gerne wiederhole.

  • Filmpremiere „8×2 Jüdische Perspektiven“: Die für den 15. Dezember 2021 geplante Uraufführung des Dokumentarfilms „8×2 Jüdische Perspektiven“ musste wegen der Pandemie verschoben werden. Neuer Termin: 31. März 2022, um 18.00 Uhr (Einlass: 17:30 Uhr | Ende: ca. 21:00 Uhr), im Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. SABRA hat für den virtuellen Methodenkoffer gegen Antisemitismus, MALMAD, acht Kurzfilme mit 16 Jüdinnen und Juden aus Nordrhein-Westfalen produziert. Der Film zeigt die Quintessenz dieser acht Episoden, er zeigt Begegnungen von jeweils zwei jüdischen Menschen, die miteinander über ihr Leben und ihre Erfahrungen sowie ihre Auffassung über das Judentum sprechen. Nach der Filmpremiere gibt es zwei Gesprächsrunden, eine mit dem Projektteam und zwei Protagonist*innen des Films sowie eine mit Gästen aus der deutschsprachigen Bildungs- und Kulturszene. Anmeldung ist erforderlich.
  • Überlebende der Shoah: Bis Ende März 2022 ist im Berliner Tempelhof Museum eine von der Szloma-Albam-Stiftung und der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa geförderte Ausstellung über Berlin als Zuflucht jüdischer Displaced Persons (DP) zu sehen. Sie nannten sich she’erit hapletah (die letzten Überlebenden). Für die meisten von ihnen war Deutschland – als das Land der Täter_innen – der letzte Ort, an dem sie bleiben wollten. In Mariendorf, Zehlendorf und Reinickendorf entstanden Lager, in denen jüdische DPs oft mehrere Jahre lebten. Die Ausstellung erzählt von ihrem Alltag innerhalb und außerhalb der DP-Lager und ihren Hoffnungen auf eine Zukunft nach der Shoah. Zugleich wirft sie einen historischen Blick auf die Einwanderungsstadt Berlin, die bis heute für viele Menschen ein Ort der Migration und Zuflucht ist.“ Die Ausstellung ist auch online zu sehen. (Quelle: Tagesspiegel Checkpoint vom 9. November 2021)
  • Shoah und Widerstand: Das Museum Zentrum für verfolgte Künste in Solingen zeigt bis zum 22. Februar 2022 die Ausstellung Anna VanMatre – To Those Who Fight. Die Ausstellung ist 14 Held*innen gewidmet, die im Krakauer Ghetto gegen die Nazis kämpften. Anna VanMatre bezieht sich auf das Buch von Katarzyna Zimmerer „Die Chronik einer ermordeten Welt“. Die Ausstellung wurde für das Galizische Jüdische Museum in Krakau geschaffen und wird in der Grafikabteilung des Zentrums für verfolgte Künste erstmals außerhalb Polens gezeigt. Auf der Website des Zentrums für verfolgte Künste sind auch weitere Ausstellungen zu finden, aktuell Manaf Halbouni, Zone & Mobilistan sowie Heinrich Mann zum 150. Geburtstag aus der Sammlung Ralf Wassermeyer (Lübeck).
  • Jüdisches Leben in Deutschland: Die Website des Shared History Projects zeigt jede Woche ein Artefakt jüdischen Lebens in Deutschland: „Die verschiedenartigen Exponate – unter anderem Schmuck, Gemälde, Sakralgegenstände, Bücher und Manuskripte, Synagogen und andere Bauten und selbst fiktionale Konzepte wie der Golem – werden mittels moderner Techniken wie 3D Photogrammetrie und 360°-Videos abgebildet. Dies erlaubt es den Nutzern, Objekte im dreidimensionalen Raum zu manipulieren sowie Bauten, wie zum Beispiel die Neue Synagoge, virtuell zu betreten.“ Die Ausstellung finden Sie hier.
  • „Toxische Kunst“: Im Soester Kunstmuseum Wilhelm Morgner spürt die Ausstellung „Vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit“ der Kulturstadt Soest in der Zeit von 1918-1934 nach. Um das Ende dieser kreativen Epoche visuell zu markieren, entschloss sich der Kurator, Klaus Kösters, jene Hitlerbüste zu zeigen, die 1932 von einer Soester Künstlerin angefertigt wurde. Sandra del Pilar hat sich unter dem Titel „Behältnis für toxische Kunst mit diesem Thema befasst. Ihre Arbeit ist in der Ausstellung zu sehen. Weitere Informationen finden Sie hier. Weitere Eindrücke der Arbeit Sandra del Pilars finden Sie im Demokratischen Salon in der Rubrik „Opfer und Täter*innen“.

Kurznachrichten und weitere Empfehlungen:

  • Das Private ist politisch: Wer Adorno gelesen hat oder glaubt, seine Texte gelesen zu haben, mag diesen Satz. Elisabeth Raether, Politikchefin und Kochkolumnistin der ZEIT hat am 8. Dezember 2021 einen wunderbaren Essay über die Geschichte der Kochkolumne seit den Zeiten von Wolfram Siebeck geschrieben, die auch eine Geschichte der Begriffe „Genuss“ und „Verzicht“ Eine Kostprobe, die durchaus als Kommentar zur Koalitionsvereinbarung gelesen werden könnte: „Die offene Frage ist, warum die Politik sich unsere Kooperationsbereitschaft so wenig zunutze macht. Das Wort ‚Verzicht‘ ist politisch vergiftet. Ein Weniger darf es nicht geben. Die vergangenen Jahre waren davon geprägt, dass jeder klimapolitische Vorschlag sofort daraufhin geprüft wurde, ob er jemanden in seinen Wünschen beschneidet, und zwar ausschließlich in seinen Wünschen, sich etwas einzuverleiben – ganz so, als könnte man sich gar nichts anderes wünschen, zum Beispiel den anderen nicht zu schaden. / Mir kommt es so vor, als gebe es dafür in der Politik, egal in welcher Partei, ob neue oder alte Regierung, gar keine Worte. Ein großer weißer Fleck auf der Landkarte des politischen Redens.“ Den vollständigen Essay finden Sie hier.
  • Pressefreiheit: An dem Tag, an dem Maria Ressa und Dmitrij Muratow den Friedensnobelpreis entgegennahmen, entschied ein britisches Gericht, dass die Auslieferung von Julian Assange an die USA rechtens sei. Frederik Obermaier wies in der Süddeutschen Zeitung auf diesen Zusammenhang hin und vermutet mit Recht, dass bei einer Bestätigung dieses Urteils in der angekündigten Revision Journalist*innen in keinem Land der Welt mehr in Sicherheit arbeiten und leben können. Den vollständigen Artikel finden Sie hier.
  • Menschenrechte: Die Friedrich-Naumann-Stiftung dokumentiert auf der Seite Human Rights Defenders 2021 Hintergründe und Testimonials, die belegen, wie die Menschenrechte in Belarus, in Russland, in Venezuela, in Hongkong und in anderen Staaten missachtet werden. Das Vorwort schrieb Gerhart R. Baum. Auch auf der Seite zu finden: der Film Women Leading Protests. Die Internetseite finden Sie hier.
  • Antisemitismus 1: Die Amadeu Antonio Stiftung hat die 64seitige Broschüre „Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus 2021“ veröffentlicht. Die Broschüre ist im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ entstanden. Die komplette Broschüre finden Sie hier.
  • Antisemitismus 2: Marc Grimm und Jacob Baier informieren in der Ausgabe der Zeitung „Politik & Kultur“ zum Jahreswechsel 2021/2022 über eine quantitative Studie zum Antisemitismus im deutschsprachigen Hip-Hop. Ludwig Greven und Ben Salomo sprechen in derselben Ausgabe über Antisemitismus im Rap. Ben Salomo: „Es ist zwiespältig. Rap kann sehr positiv sein, er kann Menschen empowern und Emotionen zum Ausdruck bringen. Auf der anderen Seite nutzen Leute, die ein verdrehtes Weltbild haben, ihn als Vehikel, um ihre Ideologie zu verbreiten. Sie werden zu geistigen Brandstiftern in Bereiche hinein, wo die Leute nicht ausreichend aufgeklärt sind und wo gerade junge Menschen sehr beeinflussbar und manipulierbar sind.“ Das vollständige Interview finden Sie hier.
  • Schwarze Menschen in Deutschland: Der neue Bericht des Afrozensus dokumentiert die Diskriminierungen Schwarzer Menschen in Deutschland in 14 Lebensbereichen. Grundlage war eine online-Befragung. Die Internetseite des Afrozensus enthält eine Kurzfassung des Berichts sowie den vollständigen Bericht. Der Bericht fordert Aktionspläne, die Einrichtung von dauerhaft finanzierten Beratungsstellen sowie die Förderung von Black Studies. Eine Kurzfassung des Berichts finden Sie hier.
  • Queeres Netzwerk NRW: Der Jahresbericht 2019/2020 des Netzwerks dokumentiert die Aktivitäten, Jugendarbeit, Workshops, Veranstaltungen, Veröffentlichungen. Themen sind u.a. die Unterstützung von Regenbogenfamilien sowie intersektionelle Zugänge, beispielsweise für BPoC und Menschen mit Behinderungen. Den Bericht finden Sie hier.
  • Heimerziehung: Am 7. Dezember 2021 stellten Grit und Niklas Poppe in einer Veranstaltung der Bundesstiftung Aufarbeitung ihr Buch „Die Weggesperrten“ im Gespräch mit einer Zeitzeugin und einer Historikerin vor. Wer sich in der SED-Diktatur nicht zur staatskonformen Persönlichkeit formen lassen wollte, galt als unerzogen, aufsässig, unverbesserlich. Die Autor*innen beschreiben konkrete Schicksale im Umerziehungssystem der DDR. In dem Buch dokumentieren sie auch vergleichbare Schicksale in bundesrepublikanischen Heimen sowie in einem Heim im Brandenburg lange Jahre nach dem Mauerfall. Wer das Gespräch nicht gesehen hat oder es noch einmal sehen möchte, findet es hier.
  • Deutsch-deutsche Geschichte: Einer der eindrucksvollsten Fotografen der deutsch-deutschen Geschichte in Berlin, in anderen Regionen der ehemaligen DDR sowie in den seit 1990 „neue Bundesländer“ genannten Regionen ist Harald Hauswald. Sein 2020 erschienener Bildband trägt den wunderbaren Titel „Voll das Leben!“ Herausgeber ist Felix Hoffmann, der seine Einführung mit der Überschrift „Der beobachtete Beobachter“ überschreibt. Der Band bietet eine eindrucksvolle Dokumentation der Zeit vor und nach 1989 mit all ihren Umbrüchen. Erschienen ist der Band im Format 24×30 im Steidl-Verlag. Der Band ist im Buchhandel und über die Bundesstiftung Aufarbeitung erhältlich.
  • „Der Jahrhundertjournalist“: Ich hatte ihn schon in meinem letzten Newsletter gewürdigt. Georg Stefan Troller wurde am 10. Dezember 2021 100 Jahre alt. Mazal Tov! Niemand verstand es besser als er, Menschen über sich und die Welt sprechen zu lassen, sich im Gespräch zu offenbaren, oder sollte ich diesen Satz im Präsens schreiben? Christoph Amend erinnerte an den Geburtstag des – so nannte er ihn – „Jahrhundertjournalisten“ im Newsletter des ZEITmagazins vom 11.11.2021 anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Buches „Meine ersten 100 Jahre – Neue Geschichten und Berichte“, erschienen in der Edition Memoria. Ein ausführliches Interview, das Christoph Amend im Januar 2020 mit dem 98jährigen führte, finden Sie hier. Sophie Albers Chamo veröffentlichte in der Jüdischen Allgemeinen am 9.12.2021 ein aktuelles Interview mit dem Jubilar.

(Alle Zugriffe im Internet erfolgten zwischen dem 6. und dem 12. Dezember 2021).

Ich wünsche allen meinen Leser*innen viel Gewinn beim Lesen und Nachdenken! Mein herzlicher Dank gilt all denen, die mich auf die ein oder andere der oben genannten Empfehlungen hingewiesen haben oder mich durch Anregungen, Gespräche, Korrekturen so diskussionsfreudig unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf den Demokratischen Salon hinweisen.

In etwa vier Wochen melde ich mich wieder.

Ich grüße Sie / euch alle herzlich.

Ihr / Euer Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte ich um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.