Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

der Newsletter des Demokratischen Salons für Dezember 2024 erscheint in einer Zeit der großen Ungewissheiten, die uns aber nicht beeindrucken sollten. Daher beginne ich mit einer Botschaft, die ich der Karte der Woody Guthrie Publications zum Jahreswechsel entnehme, zwei Sätze von Woody Guthrie aus dem Jahr 1943: „Don’t let anything knock your props out from under you. Don’t let any earthly calamity knock your dreamer and your hoping machine out of order.”

Das Editorial befasst sich dazu passend mit einem Blick in das Jahr 2025, etwa sechs Wochen vor der Bundestagswahl, mit einem Phänomen, wie es immer wieder auftaucht, obwohl selten klar ist, wohin es denn nun gehen soll: Wechselstimmung – aber wohin?“ Noch einmal Woody Guthrie: „Keep hoping machine running“.

Themen der im Dezember 2024 neu veröffentlichten Texte im Demokratischen Salon sind der Blick von Nora Guthrie auf die Weltsicht Donald Trumps (sie wuchs im selben Stadtviertel von New York City auf), neue Publikationen des Deutschen Polen-Instituts, Grenzüberschreitungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften in der Science Fiction, der neue Roman „Proxi“ von Aiki Mira, Diversity in den Superheld:innen-Comics, die engagierte Literatur des Autors Abdulai Sila aus Guinea-Bissau, das wechselvolle Verhältnis von Tschechen und Slowaken, Judenhass als linke Integrationsideologie, demokratietheoretische und -praktische Überlegungen zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie und nicht zuletzt der poetische Essay von Volodymyr Krizhanowskyj, mit dem er den Wettbewerb „Kafka in der Ukraine“ gewann.

Nach den Kurzvorstellungen der neuen Texte lesen Sie Vorschläge zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerben, darunter „Wir werden wieder tanzen“ (sechs Orte in Nordrhein-Westfalen), eine Ausstellung von Pussy Riot (München), „Polnisches Schreiben in Deutschland“ (Darmstadt), „Kunstakademie meets Universität“ (Bochum), die Gruppenausstellungen „Swaying the Current“ (Berlin) und „Steine räumen für den Frieden“ (Bonn), den Vortrag über jüdische Sakralbauten nach 1945 (Bochum), die Ausstellung „Superheld:innen“ (Düsseldorf) und über einen neuen Blick auf das Ende des Lebens (Frankfurt am Main), das Kunstfest Weimar 2025, einen neuen Podcast des Projekts „Weiter Schreiben“ sowie die Wanderausstellung „…denen mitzuwirken versagt war“ (jederzeit buchbar).

Die Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen bieten Beiträge zu Fachkräften in Deutschland aus der Elfenbeinküste und aus Syrien, zur Geschichte vor Gericht, zum Verhältnis von Kirchen und Rechtsextremismus, zur Migration nach Frankreich, zu deutschen Vorbildern für die syrischen Folterer, zum Mobbing unter Muslim:innen, zum Fall Darja Kosyrewa vor einem russischen Gericht, zu Trumps Wähler:innen und Ronald Reagan, zur Autorin Lea Ypi, zu Debatten um Pazifismus, zur Gewalt im russischen Alltag, zu den Äußerungen von Karl Marx zum russischen Expansionismus, zu Kino, Literatur und Musik im Iran, darunter auch das Konzert im Abendkleid und ohne Kopftuch von Parastoo Ahmadi, zur Kraft der Demokratie in Südkorea, zum Bildungsspitzenreiter Estland, zur Debatte um die Kritik von Marko Martin an der Russlandpolitik des Bundespräsidenten in seiner Zeit als Bundesaußenminister, zur neuen „Initiative Staatsreform“ sowie zur „Allianz für Schiene“, last not least zu einer weiteren Übersetzung aus dem Demokratischen Salon ins Ukrainische.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Nora Guthrie
    spricht über „The World According to Trump”: Lügen, Wahrheit und „Turf“. Trump – der „Pate“ von Amerika? Er imponiert jungen Männern durch sein Bündnis mit Musk, alternativ Gesinnten mit RFK. Seine Sicht der Welt orientiert sich an den „five familys“, in deren „turfs“ er aufwuchs. Seine Unwahrheiten wiederholt er so oft bis genug Leute sie glauben. Es ginge auch anders, wenn wir dem Rat von Woody Guthrie folgten: „sing it again and again and again“. Die Zivilgesellschaft ist stark, aber die Demokraten haben es bisher leider nicht gemerkt. (Rubrik: Weltweite Entwicklungen)
  • Fritz Heidorn
    befasst sich in dem Essay „Die Religion der Atheisten“ mit einer den Grenzüberschreitungen zwischen Religion, Magie, Wissenschaft und Technologie. Er tut dies am Beispiel der vier Odyssee-Romane von Arthur C. Clarke, in denen dieser vier Narrative vereinte, das naturwissenschaftlich-technische, das kosmologische, das eschatologische und das interkulturelle Narrativ. Es folgt ein Ausblick auf die Trisolaris-Trilogie von Cixin Liu. Wichtiger Zeuge ist der Stringtheoretiker Michio Kaku, der sich ausdrücklich auf Clarke bezieht. (Rubrik: Science Fiction).
  • Aiki Mira
    stellt in „In der PolyWelt“ ihren neuen Roman „Proxi“ Drei Personen versuchen auf einem Roadtrip in der verwüsteten Post-Klima-Welt Proto die verlorene virtuelle Welt Proxi wiederherzustellen. Sie gelangen zu sich selbst, eine Art Serendipity. Aiki Mira verbindet ihre Literatur mit Klängen und Bildern. Die Queerness der Figuren spiegelt sich in der synästhetischen Performance des Romans, die den Roadtrip mitunter zum Drogentrip werden lässt. Science Fiction wird surrealistisch und empowert uns Lesende, die wir unsere eigene utopische PolyWelt schaffen. (Rubriken: Science Fiction, Gender)
  • Joana Nowotny
    , Expertin für Superheld:innen, hat in „Super! Helden!“ die Strukturen und die Ästhetik der Superheldencomics beschrieben. Im zweiten Teil befasst sie sich unter der Überschrift „Fragil ist das neue Super!“ mit den Doppelidentitäten einiger Held:innen, dem Geschlecht von Held:innen und Creators, Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit, der Frage, wie divers Schwarze Menschen in Comics dargestellt werden, beispielsweise in „Black Panther“, sowie mit jüdischen Identitäten bei Held:innen und Creators. Das Angebot wurde diverser, aber es droht auch ein Backlash. (Rubrik: Kultur)
  • Das Deutsche Polen-Institut
    veröffentlichte im Herbst 2024 wie jedes Jahr das deutsch-polnische Barometer und ein Jahrbuch. Beide Veröffentlichungen werden in der Rezension „Polnische Moderne“ Das polnische Deutschlandbild hat sich etwas verbessert, doch denken viele Pol:innen, dass Deutschland zu wenig für Europa leiste. Deutschland ist nach wie vor in hohem Maße ein Land, das viel Leid über Polen gebracht hat. Die Deutschen sehen Polen vor allem als Tourismusziel, erkennen jedoch nicht seine Modernität, die im Jahrbuch unter Aspekten der Geschichte über Wirtschaft und Künste bis in aktuelle Einstellungen im Detail debattiert wird. (Rubriken: Europa, Osteuropa)
  • Michael Hänel
    ist der Autor des Essays „Verpestetes Land – Judenhass als linke Integrationsideologie. Hintergrund ist der Kampf von Joseph Wulf um die Einrichtung einer Dokumentationsstätte der Shoah in der Villa, in der die Wannsee-Konferenz stattfand. Michael Hänel bietet einen Überblick über Studien und Positionierungen von Jean Améry, Jeffrey Herf sowie vielen anderen. SED und westdeutsche Linke teilen „gemeinsame Schablonen“ und verherrlichen in Erklärungen, Zeitschriften und „Revolutionstourismus“ den Typus des „palästinensischen Widerstandskämpfers“. (Rubriken: Antisemitismus, DDR)
  • Abdulai Sila
    ist ein in Guinea-Bissau bekannter und engagierter Autor. Renate Heß und Rosa Rodrigues übersetzten drei seiner Bücher ins Deutsche. Renate Heß stellt in „Afrikanisches Selbstbewusstsein“ den Autor und die portugiesisch sprachige Literatur des Landes vor. Abdulai Sila beschreibt in seinen Romanen und Theaterstücken die politischen Wirren der Kolonialzeit wie der De-Kolonialisierung sowie die Widersprüche der handelnden Menschen. Ein wichtiges Thema seines Engagements und seiner Bücher ist die befreiende Kraft der Bildung, gerade auch der Bildung von Mädchen. (Rubriken: Afrikanische Welten, Kultur)
  • Martina Winkler
    beschreibt in „Trennende Gemeinsamkeiten“ das komplexe Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken in Politik und Alltag. Die Trennung im Jahr 1992 verlief friedlich, die Wege trafen sich mitunter in der Višegrad-Gruppe, trennten sich aber auch je nachdem wie sich die jeweilige Regierung zur Ukraine und zu Russland positioniert. Nicht zu unterschätzen ist die trennende historische Erfahrung des Münchner Abkommens 1938. Die Bevölkerungen sind einander jedoch näher als dies manche Regierung gerne glauben möchte. (Rubriken: Europa, Osteuropa)
  • Volodymyr Krizhanowskyj
    gewann den ersten Preis eines Wettbewerbs, den das Goethe-Institut Ukraine und der ukrainische Deutschlehrer- und Germanistenverband (UDGV) anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka für Studierende ab dem 17. Lebensjahr ausgelobt hatten: „Franz Kafka in der Ukraine“. Voloymyr Krizhanowskyj gelang ein ausgesprochen poetischer Text über den Kreislauf des nie vollendeten Schreibens. Der poetische Essay endet mit einem Satz aus dem Tagebuch Franz Kafkas: „Alles, was möglich ist, geschieht.“ (Rubriken: Osteuropa, Kultur)
  • Norbert Reichel
    analysiert in „Permanenter Ausnahmezustand“ die Nicht-Aufarbeitung der Corona-Pandemie, ein „Lehrstück für Demokratie und Politik“. Grundlage des Essays ist das Buch „Demokratische Auszeit“ von André Brodocz und Hagen Schölzel, die die demokratietheoretischen und -praktischen Hintergründe untersucht haben. Zeitspiel, Ungleichzeitigkeiten und Adhocismus prägten die Politik, die mitunter ins A- oder Antidemokratische umzuschlagen drohte, mit Folgen für die Akzeptanz beispielsweise beim Klimaschutz. Verpasst wurde die Chance, demokratische Politik neu zu begründen (Rubrik: Treibhäuser)

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • „We will dance again“
    – das ließ sich Mia Schem (21) nach ihrer Befreiung aus der Hamas-Gefangenschaft auf den Arm tätowieren. Sophie Brüss, Jürgen Reinecke und Norbert Reichel haben das etwa 70minütige Programm der Szenischen Collage „Wir werden wieder tanzen“ entworfen, mit Songs von Leonard Cohen und Antilopen Gang, Gedichten von Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler, Selma Meerbaum-Eisinger und anderen, eigens für die Veranstaltung geschriebenen Szenen sowie Testimonials von (nicht nur) jüdischen Autor:innen. Träger ist der Theater- und Musikverein NRW e.V. Nach der Premiere vom 8. Oktober 2024 in der Synagogengemeinde Köln gibt es weitere Vorführungen. Die nächsten Termine: am 12. Januar 2025, 15 Uhr, in der Stadtbibliothek Düsseldorf (Konrad-Adenauer-Platz 1, 40210 Düsseldorf), am 5. Februar 2025, 19.00 Uhr in Krefeld (Fabrik Heeder, Virchowstraße 130, 47805 Krefeld), am 9. Februar 2025, 11 Uhr, in Dortmund (Jüdische Gemeinde Dortmund, Prinz-Friedrich-Karl-Straße 9, 44135 Dortmund) am 13. Februar 2025, 19 Uhr, in Dorsten (Jüdisches Museum, Julius-Ambrunn-Straße 1, 46282 Dorsten), am 20. Februar 2025, 19 Uhr, in Siegen (Kleines Theater im Kulturhaus Lÿz, Eingang A, St.-Johann-Str. 18, 57074 Siegen). Die Veranstaltungsreihe wird von der nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftragten gefördert.

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe:

  • Kreative Revolten
    : Manchen Revolten wünschen wir Erfolg (nicht zuletzt in Russland, in Belarus, im Iran, in Myanmar …). Wer mehr über riskant-mutige Revolten gegen den russländischen Staatsterrorismus erfahren möchte, fahre nach München zur Ausstellung Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia. Die Ausstellung befasst sich umfassend mit der „Kunst des Widerstands“ dieser Gruppe. Wie es begann schreibt Maria Alyokhina: „Riot is always a thing of beauty. That is how I got interested. At school, I had this dream of becoming a graffiti artist, and I practiced graffiti in my school notepad. If you start your schoolwork on the first page and do your sketches in the back, sooner or later the two will meet in the middle (…) Which turns history in a different story.” In der Ausstellung zu sehen sind Texte und Videos, angeboten werden Workshops und Führungen. Es gibt einen hervorragenden Katalog. Die Ausstellung ist noch bis zum 2. Februar 2025 in München im Haus der Kunst zu sehen.
  • Polnisches Schreiben in Deutschland
    : Das Deutsche Poleninstitut bietet gemeinsam mit der Schader-Stiftung am 16. und Januar, am 20. Februar sowie am 6. März 2025, jeweils um 18.30 Uhr, vier Leseabende an (im Darmstädter Schader-Forum, Goethestraße 2, 64285 Darmstadt): „Ostmigrantisch, postmigrantisch – polnisches Schreiben in Deutschland“. Die Themen: „Deutschland mit der polnischen Brille“ (mit Adam Soboczynski und Patricia Verne), „Zwischen Sagen und Versagen: Literarische Existenzen in Berlin“ (mit Adam & Piotr Mordel, Club der polnischen Versager, und Brigitta Helbig-Mischewski), „Deutsch über Polen: Polnisch über Deutschland“ (mit Magdalena Parys und Artur Becker) sowie „Wurzelsuche“ (mit Martin Piekar).
  • Echo, Echo, Echo …
    Wärmende Steine, zerronnene Architektur, glänzende Materialitäten, bedrohliche Autoritarismen und politische Sehnsüchte“ – für die Jahresausstellung 2024 hat sich die Fachklasse für Bildhauerei der Hochschule für Bildende Künste Dresden unter der Leitung von Wilhelm Mundt mit allerlei Geschrei der aktuellen Gegenwart auseinandergesetzt. In Bochum starten am 22.  Januar 2025, 18.15 Uhr (Universitätsstraße 150, Forumsplatz, 44801 Bochum) gleich drei Echos dieser Ausstellung: „Kunstakademie meets Universität“. Anmeldung bis zum 20. Januar 2025 unter: kunstsammlungen-moderne@rub.de. Das Projekt wird von der Hermann Ilgen Stiftung gefördert.
  • Swaying the Current
    : Die Galerie Zilberman hat am 28. November 2024 in Berlin (Schlüterstr. 45) die Gruppenausstellung „Swaying the Current“ eröffnet, die bis zum 15. Februar 2025 zu sehen ist. Gezeigt werden Werke von Alpin Arda Baǧcık, Aziza Kadyri, İz Öztat, Sandra del Pilar, Neriman Polat, Sim Chi Yin und Cengiz Tekin. Kuratiert wurde die Ausstellung von Ece Ateş, Lotte Laub und Lusin Reinsch. Die nächsten begleiteten Führungen finden am Januar und 1. Februar 2025 statt, jeweils um 16 Uhr, Anmeldung unter berlin@zilbermangallery.com wird erbeten. Im Internetauftritt zur Ausstellung wird das verbindende Element der ausgestellten Bilder und Installationen am Beispiel von „Silence“ von Cengiz Tekin wie folgt beschrieben: „Swaying the Current immerses us in the interwoven currents of memory, history and identity, acknowledging how the seemingly submerged and forgotten are inscribed in the fabric of our lives.” Scheinbare Wahrheiten werden durch kleine und kleinste Abweichungen und Korrekturen in Frage gestellt und bei der Betrachtung ergibt sich ein Bild, das historische Ereignisse in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt. Sandra del Pilar hat ihre Malintzin-Arbeiten (in einem Gesprächsprotokoll mit der Künstlerin und einem kontrafaktischen Dokument, dem „Codex Malintzin“ im Demokratischen Salon präsent) weiterentwickelt, sie macht die Widersprüche zwischen den Berichten der Konquistadoren und überlieferten Zeichnungen durch die veränderte Haltung eines Zeigefingers, durch Schuhe, durch Blickrichtungen sichtbar. Ob es so war, wie sie die Geschichte erzählt, bleibt offen. Möglich wäre es. Politische Implikationen lassen sich in allen Werken entdecken. Sim Chi Yin erzählt gegen die offizielle Version der „Malayan Emergency“ (1948-1060) die Geschichte ihrer Großeltern, die unter der britischen Herrschaft in Malaya litten. Ihr Großvater wurde nach China deportiert und von der antikommunistischen Kuomintang exekutiert. Mündliche Überlieferungen werden mit historischen Ereignissen verbunden, ungeheilte und unheilbare Wundern des Kalten Krieges in den persönlichen Schicksalen der Menschen der eigenen Familie fühlbar.
  • Frieden
    : Im Bonner Frauenmuseum (Im Krausfeld 10, 53111 Bonn) präsentieren bis zum 5. März 2025 (Di bis Sa 14 – 18 Uhr, So 11 – 18 Uhr) über 40 Künstlerinnen aus den kurdischen Gebieten, aus Syrien, der Türkei, Georgien und der Ukraine in der Ausstellung „Steine räumen für den Frieden“ ihre Werke „von Krieg, Flucht und der Kraft des Neuanfangs“. Kuratorinnen sind Marianne Pitzen und Julia Heintz. Die Ausstellung zeigt Installationen historischer Friedensverträge, so von Yasemin Yilmaz zum ersten Friedensvertrag der Welt, den die Königinnen Puduhepa und Nefertari abschlossen, und von Daniela Flörsheim zu den Werken der ersten bekannten Autorin der Welt, der sumerischen Priesterin Enheduanna. Die gezeigten Werke reichen über die Jahrhunderte bis in die aktuelle Situation in der Ukraine. Das Museum lädt die Besucher:innen ein, „in die Geschichten dieser beeindruckenden Frauen einzutauchen und einen Raum für Dialog über Frieden Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Wandel zu öffnen.“
  • Jüdische Sakralbauten
    : Am 13. März 2024, 18.30 Uhr, berichtet Peter Seibert auf Einladung des Freundeskreises Synagoge Bochum-Herne-Hattingen in der Synagoge Bochum (Erich-Mendel-Platz 1, 44791 Bochum, über „Zerstörung und Missbrauch – Der Umgang mit jüdischen Sakralbauten nach 1945“. In der Ankündigung lesen wir: „In einem erschreckenden Ausmaß wurden in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten die nach den Verwüstungen der NS-Zeit noch erhalten gebliebenen baulichen Überreste der jüdischen Geschichte in Deutschland zerstört. Die Gründe dafür reichen von nicht entschuldbarer Gedankenlosigkeit, Respektlosigkeit gegenüber den Ermordeten und Vertriebenen bis zu offenem Antisemitismus.“ (Für den Hinweis danke ich dem Jüdischen Echo Westfalen, J.E.W.)
  • Superheld:innen
    : Die Ausstellung „Superheroes“ im NRW-Forum Kunstpalast Düsseldorf (Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf) zeigt bis zum 11. Mai 2025 täglich (11-18 Uhr außer montags, donnerstags bis 21 Uhr) über 1.600 Exponate auf 1.200 Quadratmetern. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Diskussionen, Cosplay (Living Exhibition) und Werkstätten.
  • Ein Blick auf das Ende des Lebens
    : Am 1. November 2024 wurde im Jüdischen Museum Frankfurt die Ausstellung „Im Angesicht des Todes – Blicke auf das Lebensende“ eröffnet. Die Ausstellung ist bis zum 6. Juli 2025 zu sehen. Sie ist die erste kulturgeschichtliche Ausstellung zu jüdischen Praktiken des Umgangs mit Sterben, Tod und Trauer. Das bei Hentrich & Hentrich erschienene Buch zur Ausstellung wurde von Erik Riedel, Sara Soussan und Mirjam Wenzel Es rückt die gezeigten Kunstwerke, Medien und Objekte in einen anthropologischen und philosophischen Zusammenhang. In 17 Beiträgen präsentieren Expertinnen und Experten neue medizinische Forschungsergebnisse, diskutieren ethische Fragen, erörtern religionsvergleichende Perspektiven oder zeichnen nach, welche Rolle der Tod in Kunst- und Kulturgeschichte spielt. Mit seinem multiperspektivischen Ansatz eröffnen Buch und Ausstellung einen neuen Zugang zur letzten Passage des Lebens. Der Band ist auch in englischer Sprache erhältlich.
  • Kunstfest Weimar 2025
    : Der Vorverkauf hat begonnen. Thema sind „Taiwan, Südafrika und ein ganz lokaler Star“. Das Kunstfest wird vom 20. August bis zum 7. September 2025 In den vergangenen Spielzeiten gab es Rekord-Besuchszahlen In der Pressemitteilung kündigte Kunstfest-Leiter Rolf C. Hemke unter anderem folgende Vorstellungen an: Das Wiedersehen mit Gregory Maqoma und seinem Tanzensemble, der Festivalhit „CION“ (2022) ist vielen Zuschauer:innen noch in bester Erinnerung. Bei „Genesis – The Beginning and End of Time“ (30. August 2025, 18:00 Uhr und Sonntag, 31. August, 20:00 Uhr, DNT Großes Haus) arbeitet der Starchoreograf erneut mit Komponist Nhlanhla Mahlangu zusammen, um Rhythmen und Melodien zu vertanzen, die von der Lebendigkeit und Virtuosität der Kulturen Südafrikas durchdrungen sind – mit acht Tänzer:innen und polyphoner Live-A cappella eines achtköpfigen Chores. Erster Höhepunkt eines weiteren Taiwan-Schwerpunkts im Kunstfest-Programm ist die Familien-Produktion des FOCASA Circus aus Taiwan. Die europäische Erstaufführung „Moss“ (deutsch: Moos) ist eine Zusammenarbeit mit dem deutsch-taiwanesischen Choreografie-Duo Peculiar Man Jan Möllmer und Tsai-Wei Tien, beide eng mit dem Tanztheater Pina Bausch verbunden (23. August 2025, 18:00 und 24. August, 16:00 h, DNT Großes Haus). 2024 bekam das Publikum in zwei völlig ausverkauften Konzerten nicht genug von Martin Kohlstedt! Natürlich ist der Bauhaus-Uni-Absolvent und „Local Hero“ Weimars auch beim Festival 2025 mit dabei – Open Air auf der Seebühne im Weimarhallenpark. Der Komponist, Pianist und Produzent schart ein Publikum aus Hoch- und Clubkultur um sich. Ihm gelingt es, akustisches Klavier und Electronica miteinander zu versöhnen. „Martin Kohlstedt Live“ (Freitag, 22. August, 20.30 h) ist das einzige Konzert des Künstlers in Thüringen im Jahr 2025. Tickets unter 03643 / 755334 oder kunstfest-weimar.de.
  • Podcast von Weiter Schreiben
    : Das Programm „Weiter Schreiben“ – auch schon im Demokratischen Salon porträtiert – hat ein neues Format entwickelt, den Podcast „Nachts weiter schreiben“. Dima Albitar Kalaji hat den Podcast produziert, eine Zusammenarbeit mit Deutschlandfunk Kultur. In der Ankündigung wird das Angebot wie folgt beschrieben: „Nachts, wenn man mit seinen Wahrnehmungen meist allein ist, ist man jemand anderes, lebt es sich anders, schreibt es sich anders. In der Nacht herrscht ein anderes Zeitempfinden, ein anderes Raumgefühl. Die Nacht schürt Ängste und sie bietet Schutz. Sie ist die Zeit der Träume und der Monster, der Überschreitung und der Entgrenzung. In diesem Podcast, der im November 2024 im Funkhaus Berlin des Deutschlandradios aufgenommen wurde, sprechen Exil-Autor:innen und ihre deutschen Tandempartnerin über das Leben und das Schreiben in der Nacht.“ Die im Dezember 2024 veröffentlichte neue Ausgabe des Magazins des Programms trägt den Titel „Die Nacht“, mit Texten, Gemälden, Fotografien. Das Magazin wurde am 13. Dezember 2024 in der Berliner Volksbühne vorgestellt.
  • Ostdeutsche Demokraten in der Nachkriegszeit
    : Unter dem Titel „…denen mitzuwirken versagt war“ bietet die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine zum Preis von 40 EUR erwerbbare Plakatausstellung, die all den Demokratinnen und Demokraten gewidmet ist, die an der Erarbeitung des Grundgesetzes nicht beteiligt werden konnten, weil sie auf dem Gebiet der SBZ beziehungsweise späteren DDR lebten. Kuratiert wurde die Ausstellung von Anna Kaminsky und Alexander Frese unter Mitarbeit von Sara Brand und Carlotta Strauch. Die Ausstellung umfasst 20 Tafeln im Format DIN A 1, darunter 15 biografische Tafeln, die jeweils zwei Personen porträtieren. Jede Tafel enthält einen QR-Code, der auf Begleitmaterialien im Internet verweist. Wer im Köln-Bonner-Raum interessiert ist, kann sich an den Demokratischen Salon wenden. Eine ausführliche Beschreibung von Alexander Frese folgt in der Januarausgabe des Demokratischen Salons.

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen
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  • Fachkraft in Deutschland?
    Für die ZEIT hat Simon Langemann mit Menschen gesprochen, die als Fachkraft in Deutschland arbeiten beziehungsweise arbeiten wollen beziehungsweise diese unterstützen möchten: „Hallo Deutschland? Die Reportage belegt, wie das deutsche Asylsystem, vor allem aber die deutsche Asylpraxis die falschen Anreize setzt. Simon Langemann beginnt mit Jean Abbé, einem jungen Mann aus der Elfenbeinküste, der gerne legal einreisen möchte. In der Elfenbeinküste hat er trotz Abitur und Ausbildung zum Informatiker keine Arbeit gefunden, aber er hatte bereits einen Studienplatz in Köln. Er lernt Deutsch im Goethe-Institut. Sein Weg war voller Hindernisse, manche aus Ungeschicklichkeit oder Unkenntnis selbst geschaffen, andere aufgrund der Behäbigkeit von Gesetzen und Behörden sowie im Nachhinein geänderten Bedingungen. Anders ergeht es den etwa 20.000 Menschen, die es von der Elfenbeinküste schon nach Deutschland geschafft haben, allerdings illegal und mit Antrag auf Asyl. Anerkannt werden nur wenige, abgeschoben so gut wie niemand, weil die Elfenbeinküste sie nicht zurücknimmt. Unterstützung erhielt Jean Abbé vom Unternehmer Bernd Ohlemeyer aus Düren, der schon Menschen aus 28 Ländern ausgebildet hat, ihnen das zum Leben Notwendige vorfinanziert, das sie dann schrittweise zurückzahlen. Bernd Ohlemeyer unterstützt Statements von Friedrich Merz auf Facebook, ist mit einer Ivorerin verheiratet und engagiert sich in dem Verein „Ein Dach für Afrika“. Er berichtet, er habe einen Brief an den Botschafter geschrieben, habe einen Professor für Germanistik aus Abidjan zu ihm geschickt, einen Freund der Familie Abbé. ‚Der hat ihnen gesagt: Lasst den Mann nach Deutschland ausreisen! Der lernt die Sprache in Deutschland besser als hier in der Elfenbeinküste, wo kaum jemand fließend Deutsch redet.‘ Alles vergebens. Antrag abgelehnt.“ Simon Ohlemeyer fragt, warum es dem deutschen Staat so schwerfalle, Kriminelle abzuschieben, er aber gleichzeitig die Einreise guter Fachkräfte behindere. Jean Abbé hat es inzwischen geschafft, aber auch nur, weil es Menschen gab, die ihm durch die Mühlen der deutschen Bürokratie hindurchhalfen.
  • Syrer:innen in Deutschland: Angesichts der in manchen Äußerungen ausgesprochen unappetitlichen Debatte um die Zukunft von Menschen aus Syrien, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben, lohnt es sich, sich vielleicht doch etwas besser darüber zu informieren, wer überhaupt aus Syrien in den letzten Jahren vor einem Tyrannen, seiner Armee und den zahlreichen Milizen geflüchtet ist. Wolfram Welzer und Hanna Heim haben für den Bayerischen Rundfunk recherchiert und das Ergebnis am 10. Dezember 2024 in BR 24 vorgestellt. Sie präsentieren Zahlen zur Beschäftigungsquote, zu den Branchen, in denen Syrer:innen arbeiten, sowie Informationen zu den Gründen, warum die Arbeitslosenquote von Syrer:innen höher liegt als bei anderen Geflüchteten. Wer in einer Sammelunterkunft lebt, hat es erheblich schwerer, einen Arbeitsplatz zu erhalten, viele Frauen können nur an Integrationskursen teilnehmen, wenn auch eine Kinderbetreuung angeboten wird. (Den Hinweis entnahm ich dem ZMI-Newsletter von Reinhard Habbel und Gerd Landsberg.) Das deutsche Handwerk hat inzwischen an die Politik appelliert, die syrischen Fachkräfte in Deutschland nicht abzuschieben.
  • Geschichte vor Gericht
    : Thomas Balbierer fragt in einer Geschichtsreportage, die er für die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Wann wird aus Geschichtsklitterung eine Gefahr für die Demokratie?“ Anlass ist der Streit um einen Historikerverein in Ingolstadt, der die deutsche Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg relativiert, gepaart mit „antisemitischem Geraune“. Der Vorsitzende des Vereins nennt Hitlers Überfälle auf Polen, Frankreich und die Sowjetunion einen „Präventivkrieg“. Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz listet den Verein als „rechtsextremistisch“. Der Verein klagte und erhielt in erster Instanz recht. Das Innenministerium musste die entsprechenden Stellen im Verfassungsschutzbericht schwärzen. Der Freistaat Bayern ging in die Berufung und gewann in zweiter Instanz. Er darf den Verein im Verfassungsschutzbericht erwähnen, die Schwärzungen dürfen wieder entfernt werden.
  • Kirche und Rechtsextremismus
    : Der fünfte Band der von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) herausgegebenen Reihe „Einsprüche“ befasst sich mit „Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte“. Er enthält Analysen von Hans-Richard Reuter („Katechonten des Untergangs – Nation und Religion im Denken der deutschen Neuen Rechten“) und Martin Fritz („Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland“). Zum Weiterlesen lohnt sich auch ein Blick in das Interview mit dem Projektleiter von BAG K+R, Henning Flad, im Demokratischen Salon: „Die Kirchen und die Neue Rechte“.
  • Migration nach Frankreich
    : Das Titelblatt der Ausgabe 147 von Lettre International (Winter 2024) nennt das Hauptthema: „DIE GROSSE MIGRATION“. Autor des zentralen, sehr lesenswerten Beitrags ist Didier Leschi: „Die große Verstörung – Europa und die Migration – Zu Geschichte, Moral, Politik und Recht“ (18 Seiten in dem bekannten engzeiligen LI-Format, übersetzt von Markus Sedlaczek). Der Autor ist Direktor des französischen Büros für Immigration und Integration („Office français de l‘immigration et de l’intégration – OFII“). Er arbeitete in früheren Jahren für den Sozialisten Jean-Pierre Chevènement und war unter anderem Direktor des Zentralbüros für Religionsgemeinschaften im französischen Innenministerium. Der Text besteht aus vier in den Jahren 2020 bis 2024 entstanden Texten. Thema ist vor allem die Situation in Frankreich, die jedoch auch auf andere Länder übertragbar ist. Er bezieht sich unter anderem auf die Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus, und referiert die Beziehungen zwischen Frankreich und verschiedenen ehemaligen Kolonien des Landes, darunter die Ignoranz gegenüber den afrikanischen „Tirailleurs“ der französischen Armee im Ersten Weltkrieg. Allerdings könnten die heutigen Probleme in den aus den ehemaligen Kolonialgebieten hervorgegangenen Staaten „nicht unentwegt mit der Kolonisation in der Vergangenheit entschuldigt werden.“ Leschi unterscheidet verschiedene Gruppen und Phasen der Einwanderung nach Frankreich. Beispielsweise kam mehr als die Hälfte der Italiener und Spanier vor 1969, die Hälfte der Maghrebiner jedoch erst nach 2000. Zu den Gruppen gehören „Asylbewerber“, „Arbeitsmigranten“, „Familien“ (im Rahmen der „Familienzusammenführung“) und „die irregulären Immigranten“. Leschi referiert die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gruppen sowie die unzulänglichen Reaktionen des Aufnahmelandes Frankreich. Ein grundlegendes Problem ist die (Selbst-)Ghettoisierung vieler Einwanderer in bestimmten Vorstädten und Départements. François Mitterand sagte 1998: „Wir haben alles versucht, aber vergeblich“. Das Ergebnis: „In vielen Städten rissen sich Miethaie Privatwohnungen unter den Nagel und machten daraus ungesunde Wohnmaschinen zur Profitgenerierung bei minimalen Kosten. (…) Das sind keine Arbeiterstädte mehr, sondern Armenstädte.“ Aber was soll man tun? Nach Frankreich kämen inzwischen – so Didier Leschi – „die Verlierer des europäischen Asylsystems“. Leschi fordert „neue Politikansätze, die sich der Probleme annehmen, die Immigranten und Nichtimmigranten gleichermaßen betreffen.“ Wenn dies nicht gelingt? „Eine Gesellschaft befindet sich dann im Bürgerkrieg, wenn sie keine Gesellschaft mehr bildet.“ Eine wichtige Botschaft Leschis: Mit Moral lässt sich das Problem nicht lösen. Schon im Jahr 2020 schrieb er: „Die Lage ist verstört und verstörend. Wichtig ist, ihr die Stirn zu bieten und gleichzeitig seine Ruhe und seinen Mut zu bewahren.“
  • Deutsche Lehrmeister für Syrien
    : In seiner bewegenden Reportage „Schaut auf diese Bilder“ beschreibt Rechtsanwalt Patrick Kroker für die Süddeutsche Zeitung die Aufdeckung der in den Gefängnissen Assads praktizierten Schrecken, laufende (höchst schwierige) Aufarbeitung vor deutschen Gerichten sowie hoffentlich bald anstehende Gerichtsprozesse in Syrien (den Hinweis entnahm ich Empfehlungen von Heribert Prantl). Wo lernten syrische Folterer? „Ihr Handwerk lernten syrische Folterer von deutschen Meistern.“ Ein Vers aus der „Todesfuge“ von Paul Celan: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ („Meister“ war eine gängige Selbstbezeichnung der SS-Leute). Ein Folterinstrument war der „deutsche Stuhl“, auf dem den dort Gefesselten durch Überdehnung das Rückgrat gebrochen wurde. Syrische Folterer lernten von NS-deutschen Lehrmeistern, später von Stasi-Offizieren. Einer war der NS-Massenmörder Alois Brunner, der sich nach Syrien absetzte und den Christian Springer dort suchte. Diese Suche hat Springer in dem Buch „Nazi, komm raus!“ dokumentiert (München, LangenMüller, 2012, die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte eine Rezension von Florian Fuchs). Was könnte Deutschland tun, was sollten deutsche Ermittlungsbehörden, Gerichte und Politiker:innen tun? Deutsche Selbstgerechtigkeit ist fehl am Platze. Das gilt auch international, in den Worten von Patrick Kroker: „Die internationale Gemeinschaft ist gut beraten, sich zunächst auf Unterstützungsangebote zu beschränken, nachdem man vor über zehn Jahren die demokratischen Kräfte in Syrien im Stich gelassen hat.“
  • Mobbing gegen Muslim:innen – durch Muslim:innen
    : In der ZEIT stellt Anant Agarwala eine Studie vor, die das Verhalten von Muslim:innen gegenüber anderen Muslim:innen in Schulen erfragt hat: „Ist dein Pausenbrot halal?“ Das Thema ist nicht neu, wird auch immer wieder benannt, aber niemand weiß, welches Ausmaß das Mobbing sich strenggläubig gebender junger Muslim:innen gegenüber ihren muslimischen Klassenkamerad:innen tatsächlich hat und wie Schulen darauf reagieren. Im Jahr 2022 hatte sich bereits Michael Hammersbacher mit dem Thema befasst, doch wurde seine Studie von Kritiker:innen aus dem linken Spektrum als „diskriminierend“ und „rassistisch“ Die von ihm vorgeschlagene Dokumentationsstelle wurde nicht eingerichtet. Befragt wurde in der Studie Schulpersonal. Margit Stein, Co-Autorin der Studie, stellte fest: „Etwa ein Drittel der Befragten berichtet von religiösen Konflikten, etwa ein Viertel von religiös bedingter Radikalisierung.“ Zu den Konflikten gehören zum Beispiel die Einhaltung von Fastengeboten, das Tragen eines Kopftuches oder der Belag des Pausenbrots. Ein Mädchen aus einer säkularen Familie entschied sich, in der Schule ein Kopftuch zu tragen, weil sie das Mobbing ihrer Klassenkameraden nicht mehr ertrug. Eine Rolle spielen auch Angriffe türkischer Schüler:innen auf kurdische sowie Antisemitismus oder Anfeindungen gegen Homosexualität. Geplant ist eine Anschlussstudie, in der auch die Schüler:innen befragt werden sollen. Die Autor:innen der Studie gehen davon aus, dass sich die Zahl der genannten Probleme höher ausfallen dürfte. Unklar ist jedoch, ob es sich um einzelne „Unruhestifter“ handelt oder um eine an der Schule reale „Unterdrückungskultur“. Die Lehr- und Fachkräfte sind in der Regel eher hilflos. Umso problematischer ist die Zurückhaltung der Bundesländer bei der Einführung und Stärkung des Islamischen Religionsunterrichts. Die Schüler:innen erhalten ihr Wissen über den Islam aus den sozialen Netzwerken, in denen sie auf islamistische Prediger und Influencer treffen.
  • Russische Justiz
    : In der Süddeutschen Zeitung berichtet Alexander Estis vom Fall der 19jährigen Darja Kosyrewa: „Und das habt zum Zeichen“. Ihr drohen siebeneinhalb Jahre Straflager, weil sie an eine Statue des ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko einen Zettel mit Versen des Gedichtes „Vermächtnis“ („Sapowit“) befestigt hatte, am Schluss der letzten Strophe ein Ausrufezeichen an Stelle eines Punktes geschrieben hatte. „Erstmals festgenommen wurde Kosyrewa 2022, als sie noch nicht volljährig war: An einer Installation, die der Partnerschaft zwischen ihrer Heimatstadt Sankt Petersburg und dem ukrainischen Mariupol gewidmet ist, hatte sie mit Marker geschrieben: ‚Mörder, ihr habt es zerbombt.‘ Um weiteren Aktionen vorzubeugen, wurde daraufhin vor der Installation ein Wachmann postiert; kurze Zeit später entfernte man die Installation ganz.“ Alexander Estis dokumentiert ihre weiteren Aktionen, die Verhaftungen und Verurteilungen sowie ihren Ausschluss vom Medizinstudium. Der Grund: „Diskreditierung der Armee“. Darja Kosyrewa schrieb im Gefängnis: „Keine Diktatur kann alle und jeden dazu bringen, ihr zu glauben, daher greift sie ständig auf die Angst zurück – ihrem ersten und letzten Mittel, das Volk zu unterjochen. Zur Hitlerzeit riefen die Deutschen folgsam ‚Heil!‘, da sie verstanden, was ihnen für Ungehorsam widerfahren konnte; zur Stalinzeit hatten sowjetische Menschen Angst, auch nur in der eigenen Küche etwas Falsches zu flüstern, um nicht denunziert zu werden. Repressionen müssen nicht einmal alle Abtrünnigen niederwalzen – es genügt schon, einige wenige Exempel zu statuieren, und alle übrigen werden sich selbst das Maul stopfen. Die Absurdität der Putin’schen Repressalien hat einen derartigen Grad erreicht, dass jede Kleinigkeit zum Anlass von Verfolgung werden kann.“ Eine ausführliche Reportage über den Prozess schrieb Silke Bigalke, ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung: „Und sie lächelt trotzdem“. Die inkriminierten Verse des Gedichts lauten in der deutschen Übersetzung (zitiert nach Silke Bigalke): „Ja, begrabt mich und erhebt euch / Und zersprenget eure Ketten / Und mit schlimmem Feindesblute / Möge sich die Freiheit röten!“ In einer anderen Übersetzung lauten die Verse: „So begrabt mich und erhebt euch! / Die Ketten zerfetzet! / Mit dem Blut der bösen Feinde / Die Freiheit benetzet!“ Darja hatte diese Verse in ukrainischer Sprache geschrieben. Der Polizist, der sie verhaftete, konnte kein Ukrainisch, er hielt den Text für „irgendwelche Beschwörungsformeln“.
  • The World is going trumpy?
    Im London Review of Books veröffentlichte Jan-Werner Müller den Text „How to Trust a Trump Voter”. Er denkt darüber nach, warum wir 2016 wie 2024 immer wieder versuchen, die Wähler:innen von Donald Trump zu verstehen. Warum eigentlich? Dabei wäre zu unterscheiden, ob jemand von Politiker:innen enttäuscht („disappointed“) ist oder sich gleich verraten („betrayed“) fühlt. „However, as philosophers of trust (Link von JWM) have pointed out, someone who turns out not to be trustworthy does not make others feel merely disappointed. The distinctive moral reaction is a sense of betrayal; this also makes trust different from mere reliance or confidence: I am disappointed if my new car breaks down; but only a friend can make me feel betrayed.” Liberale moralisieren zerknirscht, weil sie die „Left Behinds”, wer auch immer das sein mag, zurückgelassen hätten, vermeiden so aber den direkten Kontakt mit denen, deren Schicksal sie auf der einen Seite beklagen, auf der anderen jedoch als Grund einer falschen Wahlentscheidung sehen. Letztlich ein paternalistisches Verhalten. Wie wäre es stattdessen, sich einmal direkt an diejenigen zu wenden, die eine solche Entscheidung getroffen haben? „A willingness to confront fellow citizens with the question Did you really want this? If not, will you speak up and act up?’ is a lot less comfortable. But it does presume that others can think and act, and that they might see the point of restoring political trust among all citizens. Posing the question – and making the argument – is at least worth a try.” Zwischen Trump und anderen republikanischen Präsidenten gibt es allerdings auch wichtige Unterschiede. Malte Lehming wies im Tagesspiegel-Newsletter „Washington Weekly“ auf die letzte Rede von Ronald Reagan als Präsident hin, „eine Hommage an die Einwanderer“.
  • Lea Ypi
    : In der ZEIT portraitiert Caterina Lobenstein die britisch-albanische Wissenschaftlerin und Autorin Lea Ypi, die durch ihr autobiographisches Buch „Frei“ (in der ARD-Audiothek auch als Hörbuch) weltweit Deutschland bekannt wurde und an der London School of Economics lehrt. Ihre Frage: „Was ist Freiheit?“ Ein Muster bietet Platons Höhlengleichnis von den Menschen, die nie die Wirklichkeit, sondern immer nur deren Schatten sehen. „Der Kapitalismus, der auf den Sozialismus folgte, ist für sie nicht das Ende der Geschichte. Eher eine Art Durchgangsstation. Folgt man Lea Ypi, dann gilt es, weiter nach dem Ausgang der Höhle zu suchen. Und der Frage nachzugehen, die Platon vor fast zweieinhalbtausend Jahren in seiner Politeia gestellt hat: Was ist eine gerechte Gesellschaft? Und wie nähert man sich ihr am besten an?“ Eine Antwort findet Lea Ypi bei Kant und Marx, aber warum finden all die Menschen, die nach Alternativen suchen, ihre Antwort bei Trump und den Rechten? Die Rechten haben „ein Thema gekapert, das vorher den Linken gehörte: Kapitalismuskritik.“ Unter Liberalen gibt es viel „Doppelmoral“, wie sich gerade beim Thema „Migration“ „Ypis Kritiker ziehen ihre Lebensgeschichte gern als Beweis für die Überlegenheit des westlichen Systems heran: das mittellose Mädchen aus Albanien, das heute an einer der besten Universitäten der Welt unterrichtet. ‚Mein Lebenslauf ist eine wunderbare Hollywood-Geschichte‘, sagt sie selbst. Eines werde jedoch vergessen: ‚Es gibt auch noch die Lebensgeschichte von Elona.‘ Die beiden Mädchen gingen in dieselbe Klasse, und glaubt man Ypi, dann war auch Elona eine kluge und fleißige Schülerin. Die eine wurde Professorin, die andere Prostituierte. ‚Ich hatte Glück‘, sagt Ypi.“
  • Pazifismus
    : Im Beueler Extradienst besprach Roland Appel das öchst aktuelle Buch von Pascal Beucker „Pazifismus – ein Irrweg?“, das im Spätherbst 2024 bei Kohlhammer erschien. Pascal Beucker unterscheidet verschiedene Formen von Pazifismus in der Geschichte und nennt auch die wichtige Unterscheidung von Albert Einstein, angesichts des Vorgehens Hitlers, in „vernünftigen“ und „unvernünftigen Pazifismus“. Die Aktualität und Ambivalenz dieser Begrifflichkeiten ergibt sich geradezu zwangsläufig aus den Debatten um die Unterstützung der Ukraine gegen die russländische Vollinvasion und den russländischen Raketenterror sowie die Zukunft der militärischen Ausrichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Offen bleibt die Frage, wie man jemanden zur Einsicht, sprich: an den Verhandlungstisch bringt, der als Ziel nach wie vor die Vernichtung des (eingebildeten) Gegners nennt. Dabei geht es aus meiner Sicht weniger um einzelne Waffengattungen (Stichworte „Leopard“ und „Taurus“) beziehungsweise jeweilig befürchtete Eskalationsszenarien, sondern um grundsätzliche Fragen. Gibt es eine „reine Lehre“ des Pazifismus? Gibt es mögliche Auflösungen der Dilemmata der aktuellen Kriege? Ist es möglich, Putins Angriffskrieg zu verurteilen und gleichzeitig die Ukraine sich selbst zu überlassen wie dies Olaf Müller im Gespräch mit Malte Henk und Wolfgang Uchatius mit seiner Forderung „Wir müssen dem Guten im Menschen einen Vertrauensvorschuss geben“ in der ZEIT vertrat? Wie verhält sich diese Forderung zum mehrfachen Bruch internationaler Vereinbarungen durch Putin, beginnend mit dem Bruch des Budapester Memorandums? Wie viel „Hitler“ ist in Putin? Wie viel „1938“ erlebten wir im Jahr 2014 (dazu Norbert Reichel in „Geliebtes Appeasement“)? Was bedeutet „Friedensethik angesichts des Ukrainekriegs“ (dazu Markus Meckel)? Wie könnte eine zukünftige Verteidigungspolitik der Europäischen Union beziehungsweise Deutschlands aussehen (dazu Paul Schäfer in den drei Teilen seines Essays „Friedenspolitik nach der Zeitenwende“)? Auf jeden Fall leistet das Buch von Pascal Beucker im Kontext (nicht nur) der genannten Bücher, Aufsätze und Gespräche einen wichtigen Beitrag für die notwendigen Debatten, in denen niemand vorschnell den anderen als „Kriegstreiber“ oder als „naiv“ oder wie auch immer diskreditieren sollte. „Pazifismus“ ist ein kritischer Begriff, der auf jeden Fall neu diskutiert werden sollte.
  • Passivität in Russland
    : Wie weit eine Gesellschaft sich in Passivität einrichten kann, belegt die Entwicklung Russlands. Julian Hans, der das Buch „Kinder der Gewalt“ (München, C.H. Beck, 2024) schrieb, sagte im Gespräch mit Lennart Laberenz für ZEIT-online: „Wenn Menschen das Gefühl nicht kennen, dass sie Rechte haben und dass man ihnen hilft, wenn diese Rechte verletzt werden, dann kann man schwerlich von ihnen erwarten, dass sie Mitgefühl mit anderen zeigen. Etwa mit den Opfern in der Ukraine. Die russische Gesellschaft hat nie die Erfahrung gemacht, wirklich souverän zu sein. Nicht Objekt der Geschichte zu sein, sondern handelndes Subjekt.“ Lennart Laberenz spitzt diese Bemerkung zu: „Im Gegensatz zur ukrainischen Gesellschaft.“ Julian Hans antwortet: „Das ist ein wichtiger Unterschied. Dazu kommt ein Kränkungsmotiv, das von Putin geschickt ausgenutzt wird: Viele Menschen in Russland fühlen sich erniedrigt.“ In Russland – so berichtet Julian Hans – bilden sich immer noch Schlangen vor den Rekrutierungsbüros, weil sich der auf dem Schlachtfeld drohende Tod finanziell lohnt und offenbar so gut wie die einzige Möglichkeit zu sein scheint, den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen: „Putin betont seit Jahren, dass ein Leben erst wertvoll ist, wenn man es opfert. Eine klassische faschistische Erzählung: Kampf und Opferung.“ Julian Hans sieht jedoch Hoffnungsschimmer: „Mit Erzählungen wie ‚der Russe war schon immer so‘, ‚der Russe leidet eben gern‘ oder ‚der Russe braucht eben die Knute‘, macht man es sich zu einfach. Kein Mensch und kein Volk ist dazu verdammt, ewig in denselben Mustern steckenzubleiben.“ Daraus ließe sich schließen, dass neben der militärischen Unterstützung der Ukraine die umfassende Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Ukraine, in Georgien, in Diktaturen beziehungsweise Ländern, die auf dem Weg sind, eine Diktatur zu werden, eine der höchsten Prioritäten des demokratischen „Westens“ sein sollten.
  • Karl Marx und die Ukraine
    : In der Januarausgabe 2025 der Blätter für deutsche und internationale Politik analysiert Timm Graßmann die Einstellungen von Karl Marx zu den Kriegen Russlands in seiner Zeit: „Auf Eroberung folgt Eroberung“. Der Titel folgt einer Bemerkung von Friedrich Engels: „Auf Annexion folgt Annexion.“ Ausführlicher zu diesem Thema schrieb Timm Graßmann in seinem Buch „Marx gegen Moskau – Zur Außenpolitik der Arbeiterklasse“ (Stuttgart, Schmetterling Verlag, 2024). Eine Grundlage sind Texte, die in den MEW nicht aufgenommen wurde, wohl aber in der MEGA (I / 20) nachzulesen ist (unter anderem die „Revelations oft he Diplomatic History oft he 18th Century“): „Marx rang sein Leben lang mit dem eigentümlichen Expansionismus der russischen Autokratie und dachte über Mittel nach, mit denen man diesen einhegen könnte.“ Vergleichbar zum heutigen Schicksal der Ukraine war zur Zeit von Karl Marx das Schicksal Polens, dem unter anderem „führende Sozialisten (…) einfach das Existenzrecht ab (sprachen)“. Auch die Nationalversammlung in der Paulskirche sprach sich mit großer Mehrheit gegen „die Wiederherstellung Polens“ Ein Desaster war auch das Vorgehen Frankreichs und Englands im Krimkrieg. Dieses „führte entgegen ihren Versprechungen zu keiner Verbesserung der Lage der Polen, wohl aber zur russischen Dominanz über den Kaukasus und das Schwarze Meer.“ Die Argumentation von Marx fasst Timm Graßmann wie folgt zusammen: „Es sei der scheinheiligen Elite wichtiger, dass Moskau seine in der Londoner City aufgenommenen Anleihen pünktlich abträgt, als einer angegriffenen Republik im Osten des Kontinents unter die Arme zu greifen.“ Und Putin? Graßmann zitiert in einer Fußnote die in der Financial Times vom 23 Februar 2023 überlieferte Bemerkung von Sergej Lawrow, Putin habe „nur drei Berater. Ivan der Schreckliche, Peter der Große, Katharina die Große“.
  • Kino und Literatur im Iran
    : In der Dezemberausgabe 2024 des Merkur veröffentlichte Nacim Ghanbari den zweiten Teil seines Berichts „How to Support a Revolution“ (online frei verfügbar). Der Bericht fasst mehrere Vorträge und Vorstellungen, Filme und Performances einer Ringvorlesung an der Universität Köln zusammen. Im Iran ist das Tanzen verboten, aber dennoch gibt es Tanz, „einen inneriranischen Clash of Cultures, der wichtige soziologische Erkenntnisse verdeckt.“ Es geht nicht um Musik- und Tanzverbote, um den Hijab, sondern um die Politisierung dieser Symbole durch die Diktatur. Tanz ist eine der Formen des Protests, es gibt auch „Räume des Widerstands“, wie sie beispielsweise der Dokumentarfilm „The Female Voice of Iran“ aus dem Jahr 2020 zeigt, über den die Musikethnologin Yalda Yazdani sprach, oder der Dokumentarfilm „16 Frauen“ von Bahar Ebrahim aus dem Jahr 2018. „Die wiederholte Niederschlagung emanzipatorischer Proteste in Iran führt nun seit mehreren Jahrzehnten dazu, dass Künstlerinnen das Land verlassen. Wenn heute die iranische Autorin Atefe Asadi in Deutschland auf Persisch weiterschreibt, werden ihre Werke Teil einer seit Generationen gewachsenen, mehrsprachigen literarischen Landschaft, in der das Konzept der Exilliteratur im literaturkritischen Gespräch immer seltener bemüht wird.“ Die Folgen für die iranische Kulturszene sind zurzeit nicht absehbar.
  • Ein Konzert für die Freiheit im Iran: Die iranische Sängerin Parastoo Ahmadi wurde ebenso wie ihre Bandmitglieder nach einem Konzert, in dem sie ohne Kopftuch sang, verhaftet. Vorläufig ist sie wieder frei, wartet aber auf ihre Anklage. Katajun Amirpur würdigte in ihrem Gastbeitrag „Mit Abendkleid, ohne Kopftuch“ für die Süddeutsche Zeitung die hohe Professionalität, den großen Aufwand des Auftritts und porträtierte die Künstlerin, die während der Revolte zahlreiche Lieder gegen die Unterdrückung im Iran schrieb und sang, sowie die Schikanen, unter denen sie arbeitet: „Zu Beginn des Videos schreibt sie: ‚Ich bin Parastoo, eine Frau, die für die Menschen singen möchte, die ich liebe. Das ist mein Recht, darauf werde ich nicht verzichten. Das Recht zu singen für die Heimat und die innige Liebe.‘ / Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ahmadi den Zeitpunkt ihrer Performance jetzt sehr bewusst gewählt hat: In einem Moment, in dem das Regime die Hidschab-Gesetzgebung nochmals zu verschärfen gedenkt. Und in einem Moment, in dem das iranische Regime außenpolitisch sehr geschwächt ist. Der Auftritt könnte gedacht gewesen sein als Funke, der das Feuer des Widerstandes neu entfacht.“ Katajun Amirpur stellt allerdings auch klar, dass eine Freilassung im Iran nicht als Entgegenkommen der Justiz betrachtet werden kann: „Freigelassen zu werden, bedeutet also weniger einen Akt der Gnade des Regimes als ein Umschwenken auf eine neue Taktik, um jemanden mundtot zu machen und gleichzeitig nach außen besser dazustehen. Unerwartet käme es auch nicht, wenn Ahmadi und die vier Musiker nun zu einer öffentlichen Entschuldigung gezwungen würden für ihr Video, das die Sicherheitsbehörden laut der Website des Shargh Daily als ‚abseits der gesellschaftlichen Sitten und Werte‘ bezeichneten.“ Das Video wurde binnen kurzem 1,5 Millionen Mal aufgerufen. Der Kanal der Sängerin hat 56.800 Abonnent:innen.
  • Südkorea
    : Südkorea bietet viel mehr als K-Pop und exzellentes Kino, aber leider auch eine ausgesprochen wechselvolle Geschichte, in der immer wieder Diktatoren mit Hilfe der Armee Proteste niederschlugen. Südkorea ist noch gar nicht so lange eine Demokratie. Der Putschversuch am 3. Dezember 2024 scheiterte nach wenigen Stunden, weil alle Parteien, auch die Partei des Staatspräsidenten, sich einig waren, dass die Ausrufung des Kriegsrechts verfassungswidrig war. Der Präsident wurde inzwischen seines Amtes enthoben.Reymer Klüver hat für die Süddeutsche Zeitung einen Überblick über die autoritären Phasen der südkoreanischen Geschichte geschrieben: „Präsidenten gegen das eigene Volk“. Doch das Volk wusste sich immer zu wehren…
  • Bildungsspitzenreiter Estland
    : In der Süddeutschen Zeitung stellt Matthias Kolb den Bildungsspitzenreiter Estland vor, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Zahl sogenannter schwacher Schüler:innen dort deutlich niedriger ist als in Deutschland beziehungsweise im OECD-Durchschnitt. Eine Sonderauswertung ergab im Juni zudem: Die jungen Esten sind auch Europas kreativste Schüler. (Link MK) Und es geht gerecht zu: Der Anteil der besonders schwachen Schüler ist mit 13 Prozent nur etwa halb so hoch wie im OECD-Durchschnitt, das Bildungsniveau der Eltern spielt keine große Rolle.“ Eine wesentliche Bedingung ist das gemeinsame Lernen bis zur neunten Klasse, während in Deutschland bereits nach der vierten Klasse prognostiziert werden soll, wer das Abitur schafft und wer nicht. Wenn Kinder nicht zurechtkommen, sind die Lehrkräfte verantwortlich, beispielsweise indem sie Nachhilfe geben. Auch die Aufenthaltsqualität in den Schulen Estlands ist eine andere. Es reicht schon, die Bilder, mit denen Matthias Kolb sein Porträt illustriert anzuschauen, viel Licht, viele Farben, eine Schule, „die sowohl Lebens- als auch Lernort“ Ein weiterer Pluspunkt ist die Digitalisierung, die in Estland schon seit langer Zeit funktioniert und somit auch die Zeit der Pandemie erleichterte. Allerdings gibt es – von allen akzeptiert – auch handyfreie Zonen. Das Personal in den Kindergärten hat ebenso wie das Personal in den Schulen studiert. Auch dies ein Pluspunkt. Ginge das auch in Deutschland? Durchaus. Wie Schulen aussehen könnten, zeigt beispielsweise das Bildungshaus Bad Aibling, das im Demokratischen Salon als „Paradies für Glückspilze“ vorgestellt wurde.
  • Russland und der Bundespräsident
    : Eine Art Historikerstreit scheint sich um die 2010er Jahre und die Ära von Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Frank-Walter Steinmeyer als Bundesaußenminister anzubahnen. Anlass war unter anderem eine Rede von Marko Martin, der den Bundespräsidenten wegen seiner Russlandpolitik als Bundesaußenminister kritisierte. Steinmeyer reagierte ausgesprochen heftig, indem er auf Marko Martin zulief und ihn – wie man das so sagt – für alle sichtbar zur Rede stellte. Marko Martin hat sich dazu in der Süddeutschen Zeitung in einem Gespräch mit Iris Mayer und Ulrike Nimz geäußert. Er erinnert unter anderem an Egon Bahr , der die polnische Arbeiterbewegung Solidarność als „Gefahr für den Weltfrieden“ Marko Martin: „Steinmeier tut seine freiwillige Blindheit heute als lässliche Unwissenheit ab. Ich aber musste an meinen Freund, den französischen Philosophen André Glucksmann, denken, der mir schon Anfang der 2000er-Jahre sagte: ‚Irgendwann wird der Tag kommen, an dem Fragen nach der deutschen Rentenversicherung nebensächlich werden angesichts der Tatsache, dass man seine Energieversorgung in die Hände eines KGB-sozialisierten Massenmörders gelegt hat.‘ Oder noch weiter zurück, an das Münchner Abkommen von 1938. Die einen sagten damals: Gebt dem Hitler ruhig die Sudetengebiete, die sind ohnehin deutschsprachig – dann ist Frieden. Diejenigen aber, die bereits vor den Nazis hatten fliehen müssen und für die ab da auch Prag kein sicherer Ort mehr war, hatten dagegen angeschrieben. Es war mir deshalb wichtig, etwa in meinem Buch ‚Brauchen wir Ketzer?‘ Stimmen gegen die Macht‘ (Wuppertal, Arco, 2022, Ergänzung und Hervorhebung: NR), an Schriftsteller wie Friedrich Torberg oder Hans Habe zu erinnern, die im bundesdeutschen Nachkriegskanon keine Rolle spielten.“ Diese „Stimmen gegen die Macht“ sind auch Gegenstand des Buches „Dissidentisches Denken – Reisen zu den Zeugen eines Zeitalters“ von Marko Martin (Berlin, Die andere Bibliothek, 2019). Das Buch enthält 22 Porträts von Autor:innen aus verschiedenen europäischen Ländern, die sich gegen die totalitären Diktaturen, in denen sie lebten, auflehnten, darunter auch Manès Sperber, den Marko Martin im Interview zitiert: „Der hat an seinem Lebensende einen tollen Satz gesagt. ‚Es trägt nicht zuvorderst der Wille zur Hoffnung, sondern die kategorische Zurückweisung der Mutlosigkeit.‘“ Die kürzlich erschienene Neuausgabe enthält auch die Rede von Marko Martin vom 7. November 2024 zum 35. Jahrestag des Mauerfalls.
  • Rücktritt des Bundespräsidenten? llko-Sascha Kowalczuk hat eine Petition zum Rücktritt Steinmeyers auf den Weg gebracht. Er sagt im Gespräch mit Robert Ide im Tagesspiegel, Steinmeyer habe sich gegenüber Marko Martin „wie ein Schlossherr“ benommen. Ein Zeichen sei auch, dass er bei Martins Rede nicht applaudiert hätte (nur zum Vergleich: Höchste Repräsenant:innen des Staates applaudieren fleißig, wie zum Beispiel bei der Berlinale, wenn jemand in einer Rede mit antisemitischen Argumenten Israel kritisiert, reagieren aber höchst relativierend und beleidigt, wenn man sie darauf hinweist). Kowalczuk kritisiert, dass man (er meint nicht nur Steinmeyer) offenbar davon ausgehe, dass man Putins Ziele nicht habe sehen können. „Nein, es gab keine kollektive Illusion, wie Thierse behauptet. Es gab immer scharfe Kritik an der bundesdeutschen Russlandpolitik, und zwar seit dem Jahr 2000. Niemand konnte übersehen, wer Putin ist und welche Ziele er verfolgt. / Es ärgert mich, dass große Teile der politischen Elite heute so tun, als wäre die Russlandpolitik alternativlos gewesen.“ Nicht mehr und nicht weniger hat Marko Martin gesagt.
  • Bürokratieabbau
    : Versprochen wird er vor jeder Wahl von fast jeder Partei, in Karikaturen wird dann gerne eine neue Behörde zum Bürokratieabbau gegründet. Gefordert wird in der Regel, die Stellen in den Behörden, in Bund, Ländern und Gemeinden, zu reduzieren. Das kann man natürlich machen, aber die Vorschriften, die die Beamt:innen und Angestellten in diesen Behörden umsetzen müssen, werden nicht verändert. Das bedeutet, weniger Menschen bearbeiten jeweils mehr Fälle, es dauert eben länger. Die unsäglich vielen Formulare, die immer wieder neu eingeführt werden, kommen hinzu, die in Deutschland nach wie vor nicht vollzogene Digitalisierung sorgt ohnehin für Verzögerungen. Jetzt hat sich eine zivilgesellschaftliche „Initiative Staatsreform“ gegründet. Die Geschäftsstelle liegt beim Centre for Digital Governance der Hertie School. Zu den Moderator:innen gehören unter anderem Thomas de Maizière, Peer Steinbrück und Andreas Voßkuhle (manche werden sagen, nur alte weiße Männer, und das ist auch nicht falsch, wo sind Frauen, wo sind Migrant:innen in der Initiative zu finden?). Johan Schloemann kommentierte in der Süddeutschen Zeitung: „Wovon die Libertären träumen“. Liberale vertreten in der Regel die Auffassung, dass sich der Staat vor allem für Infrastruktur und Bildung interessieren solle, mit mehr oder weniger sozialer Abfederung, Stichwort: Sozialliberalismus versus Wirtschaftsliberalismus (vulgo: Neoliberalismus). Das, was jedoch Libertäre wie Milei in Argentinien oder Elon Musk in den USA vorhaben, hat keine soziale Komponente mehr. Es herrscht nur noch das Interesse der Wirtschaft und Mega-Unternehmen. Johan Schloemanns Fazit sollten wir sehr ernst nehmen: „Experten für das Thema kommen immer wieder zu dem Schluss, dass man Verwaltung in Deutschland nicht abschaffen muss, aber sehr wohl verbessern, vereinfachen, beschleunigen, digitalisieren. Allen neuen Kommissionen, die dabei mithelfen, kann man nur Glück wünschen. Sonst breiten sich die autoritären Reinigungsfantasien, die angeblich im Namen der Freiheit geträumt werden, auch bei uns weiter aus.“
  • Mobilität
    : Die „Allianz für Schiene“ hat eine Studie zur Bewertung des ÖPNV in Deutschland veröffentlicht: „Jede dritte Person in Deutschland ist unzufrieden mit der Anbindung an Bus und Bahn am eigenen Wohnort. Die Befragung zeigt sehr deutlich, dass die Menschen mehrheitlich nicht die Entfernung zur nächsten Haltestelle als Problem empfinden, sondern die als zu selten empfundenen Abfahrten an einer Haltestelle: Während mit der Entfernung zur nächstgelegenen Haltestelle bundesweit nur 11 Prozent unzufrieden sind, geben 34 Prozent (also mehr als jede/r Dritte) an, mit der Anzahl der Abfahrten an dieser Haltestelle unzufrieden zu sein. Besonders hoch ist der Anteil derjenigen, die sich vom ÖPNV abgehängt fühlen, in Sachsen-Anhalt (48 Prozent), Niedersachsen und Brandenburg (beide 45 Prozent). Zudem spüren die Menschen kaum Verbesserung bei der ÖPNV-Anbindung: Für 68 Prozent der Befragten hat sich der angebotene Takt in den vergangenen fünf Jahren nicht verändert, für 15 Prozent sogar verschlechtert.“ (Den Hinweis verdanke ich dem ZMI-Newsletter von Reinhard Habbel und Gerd Landsberg.)
  • Demokratischer Salon in der Ukraine
    : Neu ins Ukrainische übersetzt und in dem Portal Eksperiment veröffentlicht wurde der Essay „Solarpunk“ von Alessandra Russ. Übersetzer:innen waren unter der Leitung von Pavlo Shopin elf Studentinnen und ein Student: Ielyzaveta Brecht, Olha Firkovska, Iryna Hochashvili, Marharyta Klymenko, Volodymyr Komarov, Emiliia Melnychuk, Alina Pashkovska, Iana Peleshchyshyn, Iana Pihariova, Anna Savelchuk, Anna Schröper und, Olena Vonsovych. Ihnen allen ganz herzlichen Dank und Kompliment für das große Engagement.

Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons lesen sie in etwa vier Wochen.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 18. und 27. Dezember 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.