Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,
diesen Newsletter des Demokratischen Salons zu den neuen Texten vom Juli 2025 erhalten Sie vor der Sommerpause. Prognosen, wie warm (heiß!) es noch werden und was in der zweiten Jahreshälfte geschehen mag, sind schwierig. Manche denken vielleicht an Brechts Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens aus der Dreigroschenoper: „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug“. Ob Künstliche Intelligenz hilft? Doch auch diese ist zumindest vorerst eng an dem, was Menschen gemacht haben, orientiert. Vielleicht mag dieser Gedanke als Denkanstoß genügen, in der Hoffnung, dass es auch gelingende Pläne geben möge, beispielsweise das 15-Punkte-Programm eines iranischen Oppositionsbündnisses (Thomas von der Osten-Sacken berichtete auf mena-watch), möglichst anerkennend, dass „die liberale Demokratie – und nicht der Autoritarismus – die perfekte Staatsform für den unperfekten Menschen ist“ (Liane Bednarz in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 28. Juni 2025).
Den Demokratischen Salon gibt es seit nunmehr etwa fünf Jahren. Es begann als kleiner Blog und wuchs sich zu einer Art „Magazin-Blog-Hybrid“ aus, wie ein Leser einmal anmerkte. Ich darf allen Autor:innen, Gesprächspartner:innen, Leser:innen, Künstler:innen, Kurator:innen und meinem Systemadministrator Carsten Peters ganz herzlich für die verlässliche, vertrauensvolle und kreative Zusammenarbeit in dieser langen Zeit danken. Mehrfach gab es schon Veränderungen, um das Angebot übersichtlicher zu gestalten. Ich werde die Sommerpause für einige Verbesserungen nutzen. Einige ältere, inzwischen überholte Texte wurden bereits entfernt, von den Newslettern lasse ich in Zukunft nur noch jeweils die letzten fünf online. Die Vorschläge zu Veranstaltungen und Ausstellungen, gelegentlich auch Hinweise auf den ein oder anderen Wettbewerb finden Sie jetzt auf einer eigenen Seite, nach Orten gegliedert.
Im Editorial fragt Norbert Reichel, die unveröffentlichte Strophe eines Liedes von Leonard Cohen aus dem Yom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 zitierend: „Was ist Recht? Was ist Unrecht?“
Weitere Themen der im April 2025 neu veröffentlichten Texte im Demokratischen Salon sind die polnischen Präsidentschaftswahlen (Ines Skibinski), das Überleben der belarusischen Kulturszene (Iryna Herasimovich), Südafrika etwa 30 Jahre nach dem Sturz des Apartheid-Regimes (Christopher Hope), die Parabel „Die Unterirdischen Seen“ (Lenka Kerler), Zukunftsromane in Sowjetunion und DDR (Chiara Viceconti), Bedrohungen aus dem Weltall in der Science Fiction (Fritz Heidorn), literarische Vermächtnisse der Bukowina (Norbert Gutenberg über Paul Celan und Selma Meerbaum-Eisinger), das Kinderrecht Demokratie in der Schule (Daniel Bertels und David Rott).
Die Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen betreffen das 70jährige Bestehen des Leo Baeck Instituts New York / Berlin, die Forderung nach einem Staatsziel Kultur im Grundgesetz, Neuordnung der politischen Bildung in Nordrhein-Westfalen, einen „Atlas der Zivilgesellschaft“, sogenannte „Ausländische Agenten“, Frieden als Thema der Friedlichen Revolution, das Welterbe in Stralsund und Wismar, Begegnungen in Gelsenkirchen, die Erinnerung an Bombenanschläge gegen Roma vor 30 Jahren, den deutsch-israelischen Jugendaustausch, „Supermenschen“ in Las Vegas, die Zerstörung des Rechtsstaats in den USA, die Entwicklungen in Syrien (drei Texte), das Völkerrecht im Krieg sowie den 80. Todestag des Erfinders des nahtlosen Kondoms.
Die neuen Texte im Demokratischen Salon:
- Ines Skibinski berichtet im Demokratischen Salon regelmäßig über die Wahlen in Polen, in „Zaghafte Regierung – weitreichende Folgen“ über die Wahl von Karol Nawrocki zum neuen polnischen Präsidenten. Der erste Wahlgang zeigte, dass junge Menschen eine Alternative zum „Duopol“ zwischen PiS und PO wünschen. Mehr als ein Drittel wählten einen rechtsextremen Kandidaten, viele einen sehr linken Kandidaten. Die Regierung Tusk konnte ihre Vorhaben wegen des Vetos des bisherigen Präsidenten nicht durchsetzen. (Rubrik: Osteuropa)
- Iryna Herasimovich stellt in „Vom Überleben der belarusischen Kulturszene“ den achten Band der von ihr unter anderen mit Sylvia Sasse kuratierten Reihe „33 Bücher für ein anderes Belarus“ vor: „Befragungen am Nullpunkt“. Die staatliche Repression in Belarus zwingt Künstler:innen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Umso wichtiger ist es, ihre Erfahrungsgemeinschaft aufrechtzuerhalten. Im Exil, das ein Autor als „kreative Dienstreise“ bezeichnet, begegnen sich Literatur, Theater, Bildende Kunst. (Rubriken: Kultur, Osteuropa)
- Christopher Hope verließ Südafrika im Jahr 1987. Die Menschen in Südafrika sind nach wie vor „The Children of Apartheid“ (Text in englischer Sprache). Das südafrikanische Denken ist binär. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, in Südafrika leben viele Menschen, die nicht in dieses Raster passen, so die Nachfahren der Ureinwohner des Landes, aber offizielle Stellen ertragen diese Ambivalenzen nicht. Das ist nicht nur in Südafrika ein Problem. Weltweit herrschen Tribalismus und Gewalt. (Rubriken: Afrikanische Welten, Weltweite Entwicklungen)
- Chiara Viceconti von der Sapienza-Universität in Rom untersucht „Literarische Zukunftsvisionen unter dem Kommunismus“. Der Zukunftsroman in der Sowjetunion bewegt sich zwischen optimistischer Utopie und Sozialkritik. Die Wissenschaftlerin zeigt, wie die Autoren und nicht zuletzt mehrere leider kaum noch bekannte Autorinnen Widersprüche im System thematisierten. Berührungspunkte mit der Science Fiction in der DDR zeigen Parallelen. Manches erscheint heute wieder gerade hochaktuell. (Rubriken: Science Fiction, Osteuropa, DDR)
- Fritz Heidorn stellt in „Aliens, Asteroiden und Gammablitze“ Debatten und Erkenntnisse über Gefahren aus dem All in Wissenschaft und Science Fiction vor, im Einzelnen (mögliche) erste Begegnungen mit Besuchen aus dem All, die Theorie der Panspermie als Ursprung (nicht nur) der Menschheit, die zerstörerische Kraft von Asteroiden und Gammablitzen und wie wir uns davor schützen könnten. Einer der Autoren, die sich aus wissenschaftlicher wie literarischer Perspektive damit befassten, war Ben Bova. (Rubrik: Science Fiction)
- Lenka Kerler spricht über ihren Debütroman „Die Unterirdischen Seen“: „Manches muss im Dunklen bleiben“. Das Buch ist eine Parabel über eine Suche in einer Welt, in der sich Geschichten ineinander vermischen, sodass niemand mehr sagen kann, was „Wahrheit“ sein könnte. Der Roman beginnt mit einem Verweis auf Franz Kafka und ist ein Spiel mit den Erzählstimmen, zu denen auch recht mysteriöse Figuren gehören, nicht zuletzt spricht die Łódź nachempfundene Stadt selbst. (Rubriken: Osteuropa, Science Fiction, Treibhäuser)
- Norbert Gutenberg hat die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger und einen Band rund um „Todesfuge“ von Paul Celan veröffentlicht: „Vermächtnisse der Bukowina“. Die Gedichte reflektieren die Shoah, ein Überlebender und eine junge Frau, die sie nicht überlebte. Gutenberg beschreibt die Atmosphäre, in und aus der die Gedichte entstanden und die letztlich Adornos Verdikt widerlegen, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr geschrieben werden könnten. Beide Bücher bieten darüber hinaus ein einzigartiges Klangerlebnis. (Rubriken: Shoah, Osteuropa)
- Daniel Bertels und David Rott bilden an der Universität Münster Lehrkräfte aus. In „Demokratie ist Kinderrecht“ stellen sie ihr für die Friedrich-Ebert-Stiftung verfasstes Gutachten vor. Die Kinderrechte werden in der Schulentwicklung kaum berücksichtigt, doch gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Individualität eines jeden einzelnen Kindes anzuerkennen und jedes Kind nach seinen Bedarfen und seiner Persönlichkeit zu fördern und allen Kindern die Möglichkeit zu geben, Schule mitzugestalten. (Rubriken: Kinderrechte, Liberale Demokratie)
Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen:
- 70 Jahre Leo Baeck Institut New York / Berlin: Am 17. Juni feierte das Leo Baeck Institut New York / Berlin im Jüdischen Museum Berlin sein 70jähriges Bestehen. Die Festrede hielt Doron Rabinovici. Er skizzierte die Geschichte des Leo Baeck Instituts im Schatten des Holocaust und betonte seine Rolle für eine offene Gesellschaft. Seine beeindruckende Rede ist am 20. Juni 2025 in gekürzter Fassung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen und wird in voller Länge auf der Website des LBI veröffentlicht. Die komplette Veranstaltung samt musikalischer Beiträge von Studierenden der Barenboim-Said Akademie ist hier nachzuschauen.
- Staatsziel Kultur ins Grundgesetz! Gefordert wurde dies bereits von einer Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages im Jahr 2007 (Drs 16/7000). In den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat diese Forderung es wieder einmal nicht geschafft (übrigens auch nicht in den der Ampel). In der Juniausgabe 2025 der Zeitschrift Politik & Kultur plädiert Monika Grütters, nach meiner bescheidenden Sicht die erfolgreichste und beste Kulturstaatsministerin, seit das Amt eingerichtet wurde, für dieses Staatsziel: „So wie das Bundesverfassungsgericht müssen wir daher auch unser Kulturleben resilient machen, es vor Feinden schützen – durch ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz.“ Es gehe „bei der Kultur nicht um die Ansprache einzelner Gesellschaftsbereiche, sondern um das fundamentale Selbstverständnis der Nation. Kultur ist unsere geistige Lebensgrundlage.“ Sie wendet sich gegen eine „begrenzte und domestizierte Kunst“: „Denn nur in einem Klima geistiger Freiheit und Offenheit gedeihen die Selbstheilungskräfte der Demokratie gegen das Gift rechtspopulistischer Sprache, Erzählungen und Denkmuster: Widerworte, Zweifel und der zivilisierte Streit sind fundamental in einer freien Gesellschaft.“ Monika Grütters hat sich im Übrigen nicht an den ominösen Abstimmungen über einen von CDU und CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur Migration am 29. und 31. Januar 2025 beteiligt. Unter anderem dazu, aber auch zu ihren Vorstellungen einer liberalen christdemokratischen Politik hat sie sich in einem ausführlichen Interview im ZEIT-Magazin geäußert.
- Politische Bildung in Nordrhein-Westfalen: Das für die Landeszentrale für politische Bildung in Nordrhein-Westfalen zuständige Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) hatte eine Kommission eingesetzt, die einen Vorschlag für die Neuordnung der Landeszentrale erarbeiten sollte. Der Kommission gehörten an: Winfried Kluth, Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg als Vorsitzender, Helle Becker, Geschäftsführerin von Transfer für Bildung e.V./Fachstelle politische Bildung, Lukas Gundling, Forschungsstelle Öffentliches Recht der Länder, Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, und Andreas Zick, Direktor des Institutes für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) und der Konfliktakademie an der Universität Bielefeld. Der Bericht wurde vom MKW auf seiner Internetseite veröffentlicht. Er enthält einen Vergleich der Organisation, Anbindung und Zuständigkeiten der Landeszentralen für politischen Bildung in den Ländern. Vorgeschlagen wird ein Beauftragtenmodell (in Weiterentwicklung eines Modells aus Schleswig-Holstein). Der beziehungsweise die Beauftragte soll nur dem Landtag gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Zur Bestellung soll ein Kuratorium eingerichtet werden. Verschiedene zurzeit an anderer Stelle in der Landesregierung ressortierende Aufgaben sollen in der Landeszentrale gebündelt werden. Die Kommission empfiehlt, ihre Vorschläge möglichst noch im Jahr 2025 umzusetzen, gegebenenfalls mit einer Übergangsregelung.
- Bedrohte Zivilgesellschaft: Die Nicht-Regierungsorganisation Brot für die Welt hat einen „Atlas der Zivilgesellschaft“ veröffentlicht (den Hinweis verdanke ich CORRECTIV). Der Atlas enthält Übersichten über den Zustand der Zivilgesellschaften in allen Ländern der Welt, bezogen auf das Jahr 2024. Grundlage ist der CIVICUS-Monitor. Deutschland wird wegen des Umgangs mit den Klimaprotesten der Letzten Generation in die zweite Kategorie heruntergestuft: „beeinträchtigt“. Unbeeinträchtigt sind Organisationen der Zivilgesellschaft in den baltischen und den skandinavischen Ländern, in Japan, Kanada, Neuseeland, Österreich, Portugal, der Schweiz, Slowenien, Tschechien, Trinidad und Tobago und Uruguay. Die schlechteste und fünfte Kategorie lautet „geschlossen“ und bezieht sich unter anderem auf Ägypten, Äthiopien, Belarus, China, die Russische Föderation, Saudi-Arabien und Venezuela. Es gibt auch Übersichten über „Auf- und Absteiger“. Die Daten wurden durch Beobachtungen und Daten von 20 Organisationen erhoben. Unter den Finanziers sind neben mehreren Stiftungen auch die Außenministerien Dänemarks und der Niederlande.
- „Ausländische Agenten“: Weitere Informationen über das Vorgehen der russländischen Führung und Behörden gegen sogenannte „ausländische Agenten“ bietet Alexander Blankenagel in seiner Analyse „Feinde des Volkes und Nomenklatur – Die Untoten der UdSSR“ in der Juniausgabe 2025 des Merkur. Die russländische Gesetzgebung dient inzwischen als Vorbild unter anderem für Georgien, die Slowakei und Ungarn. In Russland ist es inzwischen nicht mehr möglich, sich als Einzelperson oder als Organisation kritisch gegenüber dem Staat sowie dem russländischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu äußern oder gar zu betätigen. Unabhängigen Journalismus gibt es so gut wie nicht mehr.
- Frieden schaffen: Dies war eines der zentralen Anliegen der Oppositionsbewegung in der DDR. Robert Ide sprach für den Tagesspiegel mit der Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe. Anlass war die Enthüllung einer Gedenktafel für die Oppositionsgruppe „Frauen für den Frieden“. Ulrike Poppe berichtet über die damaligen Debatten, ausgehend vom Thema der Frauenrechte, die (auch) in der DDR weitgehend nur auf dem Papier verwirklicht waren. Ulrike Poppe und andere gehen inzwischen immer wieder in Schulen, um das Buch „Seid doch laut“ (Berlin, Ch. Links, 2019) vorzustellen. Sie finden dort Interesse für die Geschehnisse rund um die Friedliche Revolution: „Und immer wird in Bezug auf die Gegenwart diskutiert, was heute nötig ist, um Demokratie und Freiheitsrechte, darunter natürlich auch die Frauenrechte, zu stärken und zu verteidigen.“ Auch das Thema „Frieden“ ist Gegenstand des Gesprächs: „Eine von Putins Truppen besetzte Ukraine erlebt keinen Frieden, sondern Unterdrückung. Angegriffene Staaten müssen ihre Souveränität und Freiheit verteidigen können.“
- Welterbe in Stralsund und Wismar: Die Juniausgabe 2025 der Zeitschrift „Politik & Kultur“ befasst sich ausführlich mit dem Thema Welterbe. Unter anderem beantwortete Steffi Behrendt, Leiterin des Amtes für Kultur, Welterbe und Medien der Hansestadt Stralsund Fragen von Ludwig Greven. Sie beschreibt die rechtlichen und städteplanerischen Grundlagen von Status und Praxis einer Altstadt mit dem von der UNESCO verliehenen Welterbe-Status. Ein großer Erfolg ist die Stärkung der Altstadt, die nicht nur touristisch genutzt werden soll. Durch die integrierte Planung von „Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Gastronomie, Kultur und Freizeitgestaltung“ sei es gelungen, die Einwohnerzahl in der Altstadt im Vergleich zur Mitte der 1990er Jahre zu verdoppeln: „Und die Altstadt ist der jüngste Stadtteil mit einem Altersdurchschnitt von 37 Jahren.“
- Ein Café in Gelsenkirchen: Gelsenkirchen war eine der Städte in Westdeutschland, in denen die AfD bei der Bundestagswahl mit 24,7 Prozent der Zweitstimmen vorne lag. Das soll sich ändern. Die Spotlight-Redaktion von CORRECTIV hat daher in Gelsenkirchen seine erste ständige Lokalredaktion eingerichtet. Die Redaktion, zugleich ein Café, soll als Begegnungsstätte wirken. „‚Mit unserem Café schaffen wir einen Ort, an dem Menschen sich informieren, miteinander ins Gespräch kommen und gemeinsam Lösungen entwickeln können.‘ Neben dem Newsletter ‚Spotlight Gelsenkirchen‘ informiert die Lokalredaktion über ihre Social-Media-Kanäle auf Instagram und Facebook über das Stadtgeschehen und die Veranstaltungsangebote in der Café-Redaktion.“ Das Projekt soll auch als Modell für zukünftige ähnliche Projekte in anderen Städten wirken. CORRECTIV finanziert sich aus Spenden. Ich darf empfehlen, dies zu tun, gerne auch regelmäßig. Empfehlenswert zum Thema Begegnung ist auch das Buch „Demokratie fehlt Begegnung – Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts“ von Rainald Manthe (Bielefeld, transcript, 2024).
- Bombenanschläge gegen Roma, 1995 in Österreich: Am 20. Juni 2025 erinnerte Valentina Reese in der Süddeutschen Zeitung an die Morde und Mordanschläge gegen Roma im Jahr 1995. Die Brüder Erwin und Karl Horvath, Josef Simon und Peter Sarközi starben in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar bei einem Bombenattentat nahe der Romasiedlung in Oberwart, Österreich (Burgenland). Es gab weitere Mordversuche, eines der Opfer war der damalige Bürgermeister von Wien Helmut Zilk, das erste Opfer ein Pfarrer, der sich für Roma einsetzte, nicht zuletzt im Kontext des Jugoslawienkrieges. Brief- und Paketbomben, Bomben in Cola-Dosen, unter einem Auto – das waren die Waffen. Ermordet werden sollten alle Roma – Parole war „Roma zurück nach Indien“ und alle, die Roma unterstützten. Der Täter wurde gefasst, er tötete sich im Jahr 2000 im Gefängnis selbst. Valentina Reese beschreibt, dass ihr Vater vor jeder Autofahrt unter den Wagen geschaut habe und dass sie sich heute noch nicht traue, eine Cola-Dose auf dem Weg wegzukicken. Die Aufklärung der Morde lief zunächst unter dem Motto „Zigeunerfehde“ (wir erinnern uns an die verfehlte Aufklärung der Morde des sogenannten NSU). Dies änderte sich erst, nachdem in einem Nachbarort ein Arbeiter der Müllabfuhr an einem Müllsammelplatz, der direkt neben einem Kinderspielplatz lag, verletzt wurde. Man fand ein Bekennerschreiben mit dem Absender „B.B.A.“ („Bajuwarische Befreiungsarmee“). Dort wurden weitere Opfer namentlich genannt, darunter auch der Name Resetarits, der Familienname von Valentina Reese. Die vier Opfer aus Oberwart erhielten ein Staatsbegräbnis, an dem auch der damalige Bundespräsident Thomas Klestil „Später werden viele Roma aus Oberwart sagen, dass sie in Wahrheit nicht 1993 als Volksgruppe anerkannt wurden, als im österreichischen Parlament darüber abgestimmt wurde. Sondern in dem Moment, als Peter Sarközi, Josef Simon und Erwin und Karl Horvath ihr Leben ließen.“ Nach wie vor werden Roma diskriminiert, nicht nur in Österreich. Die Autorin benennt in ihrem Bericht die prekäre Lage der Roma, ihre strukturelle Diskriminierung: 90 Prozent der Kinder gehen auf die Förderschule, es gibt für die meisten Erwachsenen nur Gelegenheitsjobs.
- Deutsch-israelischer Jugendaustausch: Bei Springer VS wurde im Frühjahr 2025 die Studie „Politische Bildung zum Nahostkonflikt – Zur Wirksamkeit des deutsch-israelischen Jugendaustauschs“ von Elizaveta Firsova-Eckert veröffentlicht. Die Transferstelle Politische Bildung hat die Ergebnisse in ihre Datenbank aufgenommen und zusammengefasst. Ausgewertet wurden 347 Fragebögen, darunter 88 aus einer Kontrollgruppe. Die Wirkungen der Teilnahme an einem Jugendaustausch sind durchweg positiv. Feststellbar ist eine höhere multiperspektivische Differenzierung: „Die Studie von Firsova-Eckert zeigt, dass der deutsch-israelische Jugendaustausch politische Lernprozesse bei Jugendlichen fördern kann. Sie macht deutlich, dass persönliche Begegnungen und direkte Erfahrungen dabei helfen, komplexe Konflikte wie den Nahostkonflikt besser zu verstehen und unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Auch Vorurteile, insbesondere israelbezogener Antisemitismus, können durch solche Austausche abgeschwächt werden.“
- Supermenschen: Elon Musk möchte auf den Mars, Peter Thiel träumt von der Verlängerung des Lebens bis hin zur Unsterblichkeit, aber das ist nicht alles. In der ZEIT dokumentierte Thomas Fischermann am 28. Mai 2025 sein Gespräch mit dem äußerst erfolgreichen Schwimmer Andrij Howorow, der 2028 nicht bei den Olympischen Spielen, sondern bei den „Enhanced Games“ in Las Vegas antreten will. Das Gespräch wurde unter dem Titel „Das Geschäft mit den Supermenschen“ In den „Enhanced Games“ treten gedopte und mit welchen medizinischen Behandlungsplänen auch immer in ihren Fähigkeiten stärker gemachte (englisch: „enhanced“) Athlet:innen gegeneinander an. Einige haben bereits jetzt Weltrekorde gebrochen. Howorow bezeichnet diese Spiele als „fair“, weil es dort keine „Doppelmoral“ gebe: „Ich habe auch in der Vergangenheit bei meinen Wettkämpfen nie etwas Regelwidriges gemacht. Aber jetzt habe ich die Möglichkeit, etwas ganz Neues zu entdecken, es fühlt sich ein bisschen wie ein Weltraumabenteuer an. Ich kann dabei helfen, dass wir Athleten sind, die ‚Supermenschen‘ werden können und dabei gesund sind. Und wir können anderen Menschen auch helfen, mithilfe der richtigen Medikamente ein längeres, gesünderes Leben zu führen.“ Immerhin gibt es eine Liste solcher zugelassenen Medikamente. Die Sieger:innen erhalten Millionenbeträge. (Für Star-Trek-Fans: Wir erinnern uns an genetisch verbesserte Figuren wie den letztlich sympathischen Doctor Julian Bashir aus „Deep Space Nine“, der mit seiner genetisch verbesserten Fähigkeiten im Dart und im Racquetball immer gewinnt. Aber Star Trek hat auch Khan und die „Augments“ aus „Enterprise“, die nun einmal nicht so freundlich sind wie Julian Bashir.)
- Bedrohung des Rechtsstaats in den USA: Im New York Review of Books vom 26. Juni 2025 berichtet die in New York lebende Journalistin Rozina Ali über das Vorgehen der für Abschiebungen zuständigen Behörde ICE gegen Studierende, die der US-Regierung nicht passende Meinungen zum Nahost-Konflikt vertreten: „They’re Here To Detain Me“. Unter dem Vorwand, man gehe gegen Antisemitismus an Hochschulen vor, werden Studierende von maskierten, nicht als Polizisten kenntlichen Männern in nicht als Behördenautos erkennbaren Autos entführt und in weit entfernt gelegene Gefängnisse, insbesondere in Louisiana und Texas, verschleppt, weil die dortigen Gerichte in der Regel im Sinne der Regierung entscheiden. Der Kontakt zu ihren Anwält:innen wird ihnen verwehrt. Ihnen wird ohne Haftbefehl und ohne weitere Dokumente mitgeteilt, dass ihre Visa, ihre Green Card aufgehoben worden wären, weil dies der Wille hochstehender Persönlichkeiten in der Regierung wäre. Die Anwält:innen werden im weiteren Verfahren behindert. Der bekannteste Fall ist der Fall von Mahmoud Khalil, der Meinungen öffentlich vertrat, die man sicherlich nicht teilen muss, die aber vom ersten Verfassungszusatz geschützt wären, wenn die US-Regierung diesen nicht nur für eigene Äußerungen im Sinne einer „male and white supremacy“ gelten ließe. Verstoßen wird auch gegen das im fünften Verfassungszusatz garantierte Rechtsstaatsprinzip. Keine:r der Verhafteten hatte sich einer Straftat schuldig gemacht. Rozana Ali schließt mit einem Verweis auf Hannah Arendt, die geschrieben hatte: „The first essential step on the road to total domination is to kill the juridical person in man“.
- Syrien: Einen umfassenden Überblick bietet die Ausgabe vom 7. Juni 2025 der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“. Kristin Helberg kommentiert die Chancen der neuen syrischen Regierung im Kontext der geopolitischen Rahmenbedingungen, unter anderem auch im Hinblick auf Einwirkungen der Türkei und Israels. Sie sieht „Grund zur Hoffnung“, aber auch, dass die Lage nach wie vor „fragil“ Einen historischen Überblick gibt Guido Steinberg unter der Überschrift „Zwischen Dschihadismus und Pragmatismus“. Auch bei ihm spielt die Türkei eine Schlüsselrolle. Spannend zu lesen ist die Konkurrenz innerhalb der unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen, aus der sich die HTS als gemäßigte Variante herausbildete: „Obwohl die HTS ihre Macht in Idlib ab 2017 kontinuierlich ausbaute und Verwaltung, Justiz und öffentliches Leben kontrollierte, hielt sie sich mit der Durchsetzung ihrer ursprünglich salafistischen Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften zurück.“ Thomas Schmidinger beschreibt die Geschichte des Baathismus in Syrien, auch im Kontext der französischen Politik seit den 1930er Jahren und im Hinblick auf die „Spaltung zwischen syrischen und irakischen Baathisten“. Der Baathismus war säkular, auch wenn er die Geschichte des Islam „als kulturelle Hülle und damit als spezifisch arabisches Kulturmerkmal in diese arabische Nation“ integrierte. Jusri Hazran dokumentiert, dass das Thema der Minderheiten erst mit dem dschihadistischen Islam entstand, unter dem Assad-Regime jedoch nur eine Nebenrolle spielte. Drusen sind jedoch nach wie vor skeptisch, haben ihre Waffen auch nicht abgeben und profitieren von der Drohung Israels, gegebenenfalls einzugreifen. Viele Christ:innen haben das Land unter dem Assad-Regime verlassen, ihre Zahl nimmt weiterhin ab. Eine offene Frage ist die Zukunft der Kurd:innen, mit der sich ausführlich Dastan Jasim befasst. Patrick Kroker bewertet den Konflikt unter Gesichtspunkten des Völkerstrafrechts und der hemmenden Rolle des UN-Sicherheitsrates sowie des Weltrechtsprinzips, das bereits zu Prozessen gegen Täter in verschiedenen EU-Staaten geführt hat, und der jetzt möglichen Maßnahmen einer Transitional Justice. Die Frage der Gegenwart und Zukunft von Syrer:innen auf dem deutschen Arbeitsmarkt widmen sich Anika Jansen, Sarah Pierenkemper und Fabian Semsarha. Es ist anzunehmen, dass die Beschäftigungsquote und damit auch die Integration von Syrerinnen und Syrern in Deutschland steigt. Hindernisse sind langwierige Anerkennungs- und Asylverfahren, die wiederum mit Wohnsitzauflagen verbunden sind, sowie die schon von der Ampel-Regierung 2024 veranlassten Mittelkürzungen bei Sprach- und Integrationskursen. Besonders davon betroffen sind Frauen. Immerhin gibt es Anzeichen, dass die neue schwarz-rote Koalition die Kürzungen der Ampel wieder rückgängig gemacht wird, zumindest zum Teil. Dringend erforderlich ist „eine bessere Vernetzung der zuständigen Stellen mit der neu geschaffenen staatlichen Institution in Syrien.“
- Die Frauen Rojavas: Im Norden Syriens entsteht Hoffnung. In Rojava arbeiten kurdische Frauen an einer lebenswerten Zukunft. Sie gründen Dörfer, unterrichten Kinder, bauen Werkstätten auf. Sie verteidigen nicht nur ihr Leben, sondern auch eine Vision von Freiheit und Gleichberechtigung. Der Regisseur Robert Krieg dokumentiert in dem Film „Trotz alledem“ das alltägliche Überleben und den außergewöhnlichen Mut zur Selbstermächtigung in einer Region, die weltweit kaum Beachtung findet. Der Aufbruch zu einer neuen Gesellschaft ist unaufhaltsam, getragen von Frauen, selbstbestimmt, in einer autonom verwalteten Region im Norden und Osten Syriens. Inmitten von Krieg, Zerstörung und politischer Unsicherheit kämpfen sie für ihre Unabhängigkeit und eine basisdemokratische Gesellschaft. Die Protagonistinnen des Films – darunter die technikaffine Argin, die Kunsthandwerkerin Jehan, die alleinerziehende Delal, die vielseitige Sidan, die Taekwondo-Lehrerin Ghoufran und die gehörlose Seidenstickerin Hiba – stehen stellvertretend für eine neue Generation mutiger Frauen. Jede geht ihren eigenen Weg, nutzt ihre Fähigkeiten und überwindet persönliche wie gesellschaftliche Hürden. Der Film erzählt von gelebter Solidarität, Widerstandskraft und dem Aufbau einer friedlichen Zukunft – jenseits patriarchaler Strukturen und trotz widrigster Umstände. Der Regisseur sprach auf der deutschen Seite von ANF über den Film. Der Film läuft seit Juni in den Kinos. (Für den Hinweis danke ich dem Bonner Solidaritätskomitee Kurdistan.)
- Eine Reise nach Syrien: Die Juniausgabe 2025 des Merkur enthält die Reportage von Mounir Zahran „Syrien – eine Rückkehr“ (frei verfügbar). Der Autor ist in Deutschland geboren, lebte von 2004 bis 2012 in Syrien und kehrte jetzt, im Jahr 2025, mit einem abgelaufenen Pass zurück. Er durfte dennoch einreisen. Über sich selbst schreibt er: „Mal war ich Syrer, mal Deutschsyrer, mal einfach Deutscher, dann noch Mounir Zahran, der Politikwissenschaftler.“ Er beschreibt die Erlebnisse bei Begegnungen mit Familienmitgliedern und Freunden, mit Angehörigen aller Volksgruppen und Berufe, deren Stimmung, auch angesichts der Verwüstung des Landes. Er widerspricht Pauschalisierungen wie die, „Alawiten seien pauschal Privilegierte des alten Systems gewesen“ und belegt dies mit der Beschreibung des außerordentlich armen Viertels Mazzeh 86 in Damaskus. „Die überwältigende Mehrheit wurde als Fußsoldaten, Wächter, Fahrer und Leibwächter gehalten. Offenbar fürchtete der Assad-Clan, ihm würden die Kämpfer ausgehen, wenn er sie zu Ärzten und Ingenieuren machte.“ Bei seinen Begegnungen hört er die Frage, warum der Westen so schnell gegen den IS vorging, aber „gleichzeitig bei Assads Verbrechen, die denen des IS in nichts nachstanden, die Füße stillgehalten“ Im Land stellt er eine große „Dynamik“ fest, eine „Achterbahnfahrt der Gefühle, angeheizt durch einen unsteten Strom von Nachrichten.“ Aber es entstehen „Möglichkeitsräume“, wie auch schon mit dem Syrischen Kongress 1920, der Revolte gegen die französische Mandatsherrschaft 1925, die erste syrische Demokratie 1946, den Damaszener Frühling zu Beginn der 2000er Jahre und dann mit den Protesten 2011. Seine Hoffnung ist, dass sich diese neue Entwicklung nicht „in das syrische Alphabet der verpassten Chancen einreihte“.
- Völkerrecht im Krieg: In der Süddeutschen Zeitung diskutiert Ronen Steinke mit dem Völkerrechtler Rudolf Safferling die Frage: „Ist es erlaubt, im Krieg die militärischen Führer der Gegner in ihren Betten zu töten?“ Konkret geht es um die Angriffe auf Wissenschaftler. Rudolf Safferling sagt, Wissenschaftler gelten grundsätzlich als Zivilisten, dies müsse aber nicht gelten, wenn diese Wissenschaftler einem militärischen Zweck zuarbeiten wie der Entwicklung einer Atombombe. Angegriffen werden dürften auch die Führer wie beispielsweise Putin, auch in ihrem Bett, es sei denn, sie lägen verletzt in einem Krankenhaus und nähmen somit nicht mehr am militärischen Geschehen teil. Fernsehsender sind zivile Einrichtungen, aber auch hier gibt es Graubereiche. Es ist auf jeden Fall in der Regel hoch kompliziert: „Wir müssen unterscheiden: Kernkraftwerke zu beschießen, die nicht allein dem Militär dienen, wäre tabu. Aber bei einer Uran-Anreicherungsanlage oder einem Forschungsreaktor, der zur Aufrüstung dient, ist das anders. Da ist der militärische Zweck tatsächlich klar.“
- Gedenken an Julius Fromm: Im Tagesspiegel berichtete Alice Ahlers über die Erfindung des nahtlosen Kondoms durch Julius Fromm im Berliner Bötzowviertel. Julius Fromm richtete sogar Kondomautomaten ein. Als Jude wurde er von den Nazis schikaniert, enteignet und vertrieben, die Patin Görings eignete sich die Firma an. „Anlässlich seines 80. Todestags organisiert der Bürgerverein ‚Pro Kiez Bötzowviertel‘ am Ort seiner ersten Arbeitsstätte in der heutigen Käthe-Niederkirchner-Straße 23 in Prenzlauer Berg eine Gedenkfeier. Im Beisein von Raymond Fromm, dem Enkel von Julius Fromm, und dessen Frau aus London soll eine Gedenk- und Informationstafel eingeweiht werden.“
Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons lesen Sie nach der Sommerpause Ende August 2025. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit.
Mit den besten Grüßen verbleibe ich
Ihr Norbert Reichel
(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 20. Juni und dem 2. Juli 2025. Der Newsletter wurde im Hinblick auf die neue Seite mit den Veranstaltungen und Ausstellungen am 11. Juli 2025 aktualisiert.)
P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.