Liebe Freund*innen des Demokratischen Salons,

In der Septemberausgabe 2022 des Demokratischen Salons finden Sie eine Liebeserklärung an das Bildungshaus Bad Aibling, Gespräche mit Michal Hvorecký über die Slowakei als ein Land dazwischen, mit Harry Harun Behr über dialektische Kompetenz und narrative Intelligenz, den zweiten Essay von Beate Blatz in unserer Brexit-Reihe, diesmal nach der Bestellung von Liz Truss zur Premierministerin, sowie zwei Rezensionen, eine von Beate Blatz über die erste deutsche Übersetzung eines Buches von Djiali Amadou Amal sowie eine von Norbert Reichel über das neue Buch von Ines Geipel zur Biopolitik in der DDR.

Wie üblich finden Sie unsere Hinweise auf Veranstaltungen, Kurznachrichten und weitere Empfehlungen für Lektüren, Podcasts, Ausstellungen. Das Editorial von Beate Blatz reflektiert das Vermächtnis – ein großes Wort! – von bedeutenden Menschen, die in diesem Jahr starben, nicht zuletzt Elizabeth Alexandra Mary Windsor und Michail Gorbatschow.

Das Editorial:

„Dies ist also das schreckliche Jahrhundert, von dem die Schrift so deutlich spricht. Es ist das eherne Zeitalter, das alle Dinge bricht und bändigt. Die sieben Engel haben ihre Phiolen über der Erde ausgeschüttet, und sie enthielten Blasphemie, Schrecken, Massaker, Ungerechtigkeit, Verrat… Wir haben gesehen und sehen immer noch, wie sich Königreich gegen Königreich erhebt, Nation gegen Nation, Pest, Hungersnot, Erdbeben, schreckliche Fluten, Zeichen der Sonne und des Mondes und der Sterne; das Leiden der Nationen durch Stürme und donnernde Wellen.“ (Jean Nicolas de Parival 1654, zitiert nach Philipp Bloom. Die Welt aus den Angeln, 2017 bei Hanser erschienen)

Madeleine Albright, Inge Deutschkron, Peter Brook, Michail Gorbatschow, Elizabeth Alexandra Mary Windsor, bekannter als Queen Elizabeth II, Zeitzeug*innen, die die Welt mit ihrem außerordentlichen Können, ihrer Weitsicht und ihrer Lebenserfahrung bereichert und verändert haben, sind in diesem Jahr verstorben. Sie haben klar benannt, was der Fall ist, haben ihre Möglichkeiten genutzt, um Menschen zu berühren und Dinge nicht so zu lassen, wie sie sind. Sie haben sich eingemischt, das war im wahrsten Sinne des Wortes ihr Beruf. Sie waren authentisch, in dem was sie taten – und auch, in dem was sie nicht taten. Diese Menschen vereint in ihrer Unterschiedlichkeit, dass sie für eine Zeit standen, ja Ikonen dieser Zeit waren, die jetzt Vergangenheit ist. Die letzten Tage angesichts des Todes von Queen Elizabeth II führen das deutlich vor Augen.

Wir sind verunsichert. Unsere Vorstellung von Weltordnung und die Hoffnung auf eine gute und gewaltfreie Zukunft für uns und nachfolgenden Generationen – falls wir sie je hatten – erweist sich endgültig als Utopie. Es ist Krieg, nicht nur in Europa. Und: die seit Jahren angekündigte Klimakrise ist eine Bedrohung, die nicht nur in Bildern von zu weiten Teilen überfluteten Gebieten Asiens und brennender Wälder und Sandstürmen in anderen Teilen der Erde konsumiert werden kann. Mehr als je vorher wurden wir in diesem Jahr Zeug*innen, wie Flüsse austrockneten, spürten die Versäumnisse der vergangenen Jahre, eine ernsthafte Energiewende hin zu erneuerbaren Energien zuwege zu bringen. Wir lesen in einigen Zeitungen, dass der Kipppunkt des Klimas spätestens 2030 erreicht sei. Danach sei nichts mehr aufzuhalten.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit schuf und schafft, verstärkte und verstärkt die Entwicklung von Feindbildern. Zygmunt Baumann spricht in seinem Buch „Retrotopia“ (deutsche Übersetzung erschien 2017 bei Suhrkamp) von der umfassenden Globalisierung unserer Lebenszusammenhänge, die außer Kontrolle geraten sei. Philipp Blom beschreibt in „Die Welt aus den Angeln“ wie Klimaveränderungen und Naturereignisse zu weltanschaulichen Verwerfungen, Rückzug in Nationalstaaterei und Tribalismus und Ausgrenzung und Verfolgung des als „anders“ Empfundenen führt.

Foto: Beate Blatz

Gesellschaftliche Veränderungen von für unmöglich gehaltenem Ausmaß zeitigen den Backlash, von dem alle, die sich nicht patriarchalen weißen heterosexuellen Strukturen beugen, oft genug verbunden mit Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus und anderen Erscheinungsformen der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) betroffen sind: Wade vs. Roe, zunehmende Hasskriminalität, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Missachtung und Brechen von internationalen Verträgen und Vereinbarungen. Es passiert jetzt mit einer Selbstverständlichkeit, vor der Hannah Arendt und Madeleine Albright diejenigen gewarnt haben, die sich im Glauben gewogen haben, „das“ kann nicht mehr passieren, im Indikativ formuliert, nicht im Konjunktiv!

Nicht nur Großbritannien scheint der Kompass abhandengekommen zu sein. Was Wunder, dass nun allenthalben William Shakespeare (1564 – 1616) zitiert wird, auch in diesem Text.

Im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert standen alle Zeichen auf Veränderung. Königin Elisabeth I war gestorben, ihre Nachfolge zwar gesichert, aber nicht sicher. Technischen Innovationen wie der Erfindung von Maschinen wie William Lees Strickmaschine, aus heutiger Sicht keine große Sache, bedeuteten eine große Gefahr für die bestehenden Machtverhältnisse. Königin Elisabeth I und ihr Nachfolger James I verweigerten Lee das Patent aus Sorge, dass seine Erfindung viele kleine Betriebe der Handstricker in den Ruin treiben könnte und damit die ohnehin volatile Situation durch einen Aufstand weiter Bevölkerungsgruppen weitere politische Instabilität hervorrufen und die Position der Regierenden gefährden könne. Wer mehr erfahren möchte, lese Daron Acemoğlu und James Robinson, Warum Nationen scheitern – Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (die deutsche Übersetzung erschien 2013 bei Fischer)  Es war die Zeit wissenschaftlicher Entdeckungen, z.B. eines Isaac Newton, und der Erschließung neuer Wirtschaftsräume und Handelswege – neue Möglichkeiten, die alte Gewissheiten ins Wanken brachten.

Shakespeare hat dem Volk aufs Maul und in die Seele geschaut. Seine Dramen sind zeitlos, weil sie – plus que ça change, plus c’est la même chose – die menschliche Grundkonstitution zeigen, die immer gleichen Unzulänglichkeiten, Ängste, Eitelkeiten, Machtspiele und Verzweiflung und Zweifel an den Zeitläuften, die uns heute wie den Menschen damals sofort verständlich werden…

Die schnellen Medien, Abbilder heutiger „Realität“, sind auf kurze Aufmerksamkeitsspannen und scheinbar reine „Information“ ausgelegt. Das hat seinen Sinn. Shakespeare ging es um das Menschsein. Und der „Mensch an sich“ ist langsam im Denken und Fühlen, begreift oft nicht, lässt sich nur zu gerne täuschen.

Verwundert – Faszination, Ablehnung und Unverständnis mögen sich die Waage halten – beobachten wir gerade die ungewohnten und umständlichen Riten und Zeremonien, mit denen ein Land ein Staatsoberhaupt oder eine Staat und Gesellschaft prägende Persönlichkeit zu Grabe trägt und im Falle von Queen Elizabeth II den Nachfolger inauguriert oder ihr Erbe – wie im Falle Michail Gorbatschows – ignoriert. Religionswissenschaftlich und kulturhistorisch erleben wir grade die zeremonielle Begleitung einer fundamentalen Transition, ähnlich einem Initiationsritus: „Der Vorhang ist gefallen, und alle Fragen offen.“ (Bertolt Brecht, Der gute Mensch von Sezuan), „History Will Teach You Nothing?“ (Sting 1987 in Nothing Like The Sun)

Wir sind verunsichert. Wir müssen unsere bisherigen Denkgewohnheiten, unsere politischen, ökonomischen und ökologischen Parameter und unsere epistemischen Überzeugungen auf ihre Gültigkeit hinterfragen. Es gilt die Frage, ob der „Traum von einer Sache“, von der Marx an Ruge schrieb, als humanistische Utopie beflügelt oder zur menschenfeindlichen Dystopie mutiert. Der Rückgriff auf die, die uns vorausgegangen sind, hilft. Hannah Arendt lesen hilft. Und das zu sagen sei in diesem Zusammenhang gestattet: Kultur, Theater, Musik, Tanz, Bildende Kunst ist mehr als nur gesellschaftliches Beiwerk, das ist der Kern. Ich erlaube mir die Vermutung, King Charles III verspricht dies zu leben. BB

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Rubrik Kinderrechte und Liberale Demokratie: Im Juli 2022 hat Norbert Reichel das Bildungshaus Bad Aibling im Kreis Rosenheim besucht und einen ganzen Vormittag mit der Schulleiterin Claudia Kohnle und einem der beiden Väter des Konzepts, Hermann Rademacker, gesprochen. Hier leben und lernen Kinder im Alter von 0 – 10 Jahren, je nach ihrem individuellen Tempo. In der Stufe C lernen Kinder des letzten Kindergartenjahres und Kinder der ersten Klasse gemeinsam. Es gibt keine Noten, aber jedes Kind hat eine ausführliche Dokumentation dessen, was es gelernt hat. Fast alle Kinder haben die Aufnahmeprüfung für Gymnasien und Realschule erfolgreich bestanden, die aufnehmenden Schulen schätzen ihre Selbstständigkeit. Die Kinder haben jederzeit Gelegenheit, sich an Planung, Konzeption und Umsetzung zu beteiligen, all dies auf einem Campus, auf dem Kindertageseinrichtung und Schule, Wohnungen, Arbeitsplätze und Restaurant zu finden sind. Es fehlt eigentlich nur ein Lebensmittelgeschäft. Das Besondere: es dürfte sich um die einzige Schule in Deutschland handeln, deren Träger ein Jugendhilfeträger ist, die Diakonie Rosenheim, und die Schule wäre vielleicht sogar ein Modell für alle Schulen. Der Bauunternehmer Ernst Böhm war Pate und unterstützt das Bildungshaus mit allen Kräften. Die vollständige und reich bebilderte Reportage trägt den Titel „Paradies für Glückspilze“, Sie lesen sie hier.
  • Foto: privat

    Rubriken Osteuropa und Kultur: Mit dem slowakischen Autor Michal Hvorecký hat Norbert Reichel über die Geschichte der Slowakei sowie ihre Literatur in der sowjetisch geprägten sowie der postsowjetischen Zeit gesprochen. Das Land war im Grunde immer – so auch der Titel des Gesprächs – „Das Land dazwischen“. Michal Hvorecký zitiert Milan Kundera, der Mitteleuropa als „die größte Vielfalt auf kleinsten Gebiet“ Die Slowakei ist seit 2004 Mitglied von EU und NATO, sie hat eine 97 km lange Grenze mit der Ukraine, die politischen Auseinandersetzungen zwischen proeuropäisch denkenden Politiker*innen und solchen, die mit Putins Russland kokettieren, können durchaus als volatil betrachtet werden. Michal Hvorecký reflektiert in seinen Romanen die Geschichte der Slowakei sowie die Bedrohungen der Demokratie, er ist ein entschiedener Verfechter einer europäisch orientierten liberalen Demokratie. Die jüngere Generation gibt ihm Hoffnung. Er spricht über die Literatur der Zeit vor 1989, insbesondere über drei Autor*innen, Milan Šimečka, Dominik Tatarka und Hana Ponická, die sich für eine liberale Tschechoslowakei einsetzten, ihre Werke aber nur als Samisdat-Literatur veröffentlichen konnten und den Schikanen des Staates ausgeliefert waren. Das vollständige Gespräch finden Sie hier. Am 5. Dezember 2022 ist er Gast einer von Norbert Reichel moderierten Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung NRW, auf die an dieser Stelle noch gesondert hingewiesen wird.

  • Rubriken Liberale Demokratie und Treibhäuser: Wie denken heutige Studierende? Aber wenn Studierenden etwas fehlt, warum sprechen wir nicht über die Ursachen, sprich die verantwortlichen Akteur*innen, die die Curricula für Schulen und Hochschulen verfassen? Und warum sprechen wir von Religionen immer so als wären sie Fußballvereine? Der Text „Von Religionen und Fußballvereinen“ dokumentiert ein längeres Gespräch zwischen Harry Harun Behr und Norbert Reichel über dialektische Kompetenz und narrative Intelligenz. Die zentrale Forderung lautet, dass es so etwas geben müsse wie einen umfassenden Philosophieunterricht für alle, in dem diese Fähigkeiten eingeübt werden können. Religionsunterricht ist ebenso hervorragend geeignet. Religion und Philosophie können die Grundlage einer freiheitlichen Demokratie und vor allem die Art und Weise, wie Menschen sich miteinander auseinandersetzen, vermitteln, sie sind ein gutes Mittel gegen jeden Illiberalismus und Extremismus. Mit ihnen entstünde ein Curriculum der Komplexität, ein Gefühl für Unwägbarkeitstoleranz in einer Debattenkultur, die Wirklichkeit und Wahrheit zu unterscheiden vermag. In dem Gespräch wurden auch aktuelle Entwicklungen thematisiert, der Krieg um die Ukraine, die documenta fifteen sowie der Unwille deutscher Behörden, islamischen Religionsunterricht in seiner Vielfalt anzuerkennen. Das vollständige Gespräch finden Sie hier.
  • Foto: Beate Blatz

    Rubriken Weltweite Entwicklungen und Treibhäuser: In ihrem Essay „Rule Britannia“ hat Beate Blatz die Amtszeit des „premierministernden Mr Johnson“ In der zweiten Folge der UK- beziehungsweise Post-Brexit-Reihe schreibt sie über die Aussichten seiner Nachfolgerin, die in der britischen wie in der deutschen Presse gleichermaßen kritisch gesehen werden. Der Titel ihres Essays verbindet in Titel und Untertitel eine beliebte Fernsehserie und ein Lied, das viele als zweite Nationalhymne bezeichnen: „Don’t panic – Land of Hope and Glory – eine ganz schlechte Aufführung“. Hätte William Shakespeare, über den Boris Johnson jetzt ein Buch schreiben will, dies zum Anlass eines weiteren Königsdramas nehmen wollen? Die Aufführung, die nach Boris Johnson Liz Truss verspricht, dürfte jedoch zu höchstem Unmut des Publikums führen. Die Teufel sind nicht mehr in der Hölle, sie sind jetzt alle hier, so ließe sich mit Shakespeares „The Tempest“ vermuten. Nicht nur in ihrem Auftreten, auch mit diesen Aussichten erinnert Liz Truss an Margaret Thatcher, aber vielleicht bietet sie nur die Farce, die nach Karl Marx einer Tragödie folgen soll. Den vollständigen Essay finden Sie hier. Ende September 2022 reist Beate Blatz nach England, in einen Kern-Wahlkreis der Tories. Sie wird im Demokratischen Salon berichten.

  • Rubrik Afrikanische Welten: Der Berliner Orlanda-Verlag hat als erster deutscher Verlag einen Roman der 1976 in Kamerun geborenen Autorin Djiali Amadou Amal veröffentlicht. Der Titel „Die ungeduldigen Frauen“ (französisch: „Les impatientes“) darf durchaus als Programm verstanden werden. Die Autorin schreibt in französischer Sprache, sie wurde soeben mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet. Ihre Themen sind Leben und Perspektiven der Frauen in Sub-Sahara-Afrika. Die Autorin selbst überstand durch Bücher, durch Bildung ihre gescheiterten patriarchalischen Ehen und befreite sich über die Literatur. Eben dies ist die konkrete Utopie für viele afrikanische Frauen, Bildung, Lesen und Schreiben als Widerstand und Aufklärung. Bildung führt zu Selbstermächtigung, gerade im Kampf gegen patriarchale, kolonialistisch und religiös fundamentalistisch geprägte Strukturen. Beate Blatz hat das Buch rezensiert und die Autorin portraitiert, Titel der Rezension: „Die Macht der Bücher – Djaili Amadou Amal und das Ringen um die Selbstbestimmung der Frauen“. Die vollständige Rezension finden Sie hier.
  • Rubriken Opfer und Täter*innen und DDR: In ihrem Buch „Schöner Neuer Himmel“ schreibt Ines Geipel über die Körperpolitik der DDR. Norbert Reichel hat das Buch rezensiert, Titel der Rezension: „Biopolitik – Ines Geipel über die Vision eines Neuen Menschen“. Ines Geipel analysiert vorhandene Dokumente, benennt aber auch die Leerstellen, weil viele Dokumente nicht einsehbar sind oder einfach auch nicht vorliegen, so beispielsweise die des Radrennfahrers Jacob, der eine Zeit lang als Forschungsobjekt sein Zimmer mit Sigmund Jähn teilte. Die Weltraumforschung, die militärische Forschung, die Forschung zur Erzeugung von Höchstleistungen im Sport – sie alle folgten demselben Prinzip. Der Neue Körper sollte den Neuen Menschen auszeichnen und die Überlegenheit der sich sozialistisch-kommunistisch verstehenden SED-Diktatur beweisen. Dies stand durchaus in der Tradition sowjetischer und anderer Konzepte eines Neuen Menschen, beispielsweise im Nationalsozialismus. Die DDR profitierte allerdings auch von Forschungen aus dem Westen, so bei dem Blutdopingmittel EPO. Man mag einwenden, dass der Körperkult des Westens, wie ihn Marktforschung und Wirtschaft propagieren, vergleichbare Wirkungen erzeugt. Den Körperbildern der Wirtschaft kann man sich jedoch entziehen, den Körperbildern einer Diktatur nicht. Wer als Sportler*in dort „unterstützende Mittel“ verweigert, riskiert seine Gesundheit und seine ganze Existenz. Die vollständige Rezension finden Sie hier.

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Arina Nâberezhneva, Freedom Funeral Artist. Die Erlaubnis, dieses Bild zu zeigen, gab mir Katja Makhotina. Rechte bei der Künstlerin.

    Zwei Buchvorstellungen „Offene Wunden Osteuropas“ in Bonn und in Düsseldorf: Das Buch „Offene Wunden Osteuropas – Reise zu Erinnerungsorten des Zweiten Weltkriegs“ von Franziska Davies und Katja Makhotina erschien am 28. April 2022, dem diesjährigen Yom HaShoah (Holocaust Remembrance Day), bei wbg Theiss in Darmstadt. Die nächsten Buchvorstellungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons finden am 5. Oktober 2022 um 20 Uhr in der Bonner Thalia-Buchhandlung am Markt sowie am 25. Oktober 2022 um 18 Uhr in Düsseldorf in der Stadtbibliothek (direkt hinter dem Hauptbahnhof) statt. Das Buch präsentiert in neun Kapiteln Erinnerungsorte und sich erinnernde Menschen, von denen wir in Deutschland viel zu wenig wissen. Näheres im Essay „Sternenstaub im Wind“.

  • Macht über Geist und Körper – Unterdrückte Literatur in und aus der DDR und ihre Geschichte nach 1989: Unter diesem Titel diskutiert Norbert Reichel am 19. Oktober 2022, 18.30 Uhr im Gustav-Stresemann-Institut (GSI) in Bonn mit Ines Geipel, Autorin mehrerer Bücher zur unterdrückten Literaturgeschichte der DDR und Professorin an der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst in Berlin, sowie der Bonner Literaturwissenschaftlerin Kerstin Stüssel. Anlass ist die Neuauflage des Buches „Gesperrte Ablage“ (Lilienthal-Verlag). Ines Geipel wird Texte von Edeltraud Eckert, Heidemarie Härtl, Thomas Körner, Ralf-Günter Krolkiewicz, Eveline Kuffel, Jutta Petzold, Radjo Monk, Gabriele Stötzer und Günter Ullmann vorstellen, repräsentativ für unterschiedliche Dekaden der DDR-Literaturgeschichte. Petra Kalkutschke und Rolf Mautz, freie Schauspieler*innen, u.a. in Bonn wirkend, werden Texte dieser Autor*innen vortragen. Partner des Demokratischen Salons sind neben dem GSI der Verein Wissenskulturen e.V., die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Theatergemeinde Bonn. Zur Sprache kommt auch das in diesem Jahr von Ines Geipel veröffentlichte Buch „Schöner neuer Himmel“. Die Bonner Buchhandlung Bartz sorgt dafür, dass Bücher erworben werden können. Ines Geipel ist bereit zu signieren, es gibt einen kleinen Empfang. Programm und Anmeldeformular finden Sie hier.
  • Immer nur der „Westen“ – Was wir über und vom „Osten“ lernen sollten: Dies ist der Titel einer gemeinsamen Veranstaltung am 7. November 2022 der Landeszentrale für politische Bildung NRW in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und dem Demokratischen Salon. Viel zu oft fehlte und fehlt der Wille, sich intensiv und fachkundig mit Positionen, Perspektiven, Entwicklungen der östlich der Oder liegenden Länder zu beschäftigen. In Deutschland gibt es noch nicht einmal eine kohärente gesamtdeutsche Geschichtsschreibung, 40 Jahre DDR sind im Westen weitgehend in Vergessenheit geraten. Wie soll es da eine kohärente europäische Geschichtsschreibung geben? Norbert Reichel wird mit Markus Meckel, ehemaliger Außenminister der DDR und langjähriger Bundestagsabgeordneter, Agnieszka Ƚada-Konefał, Deutsches Polen-Institut Darmstadt und Expertin für das von diesem herausgegebene Deutsch-Polnische Barometer sowie der Journalistin Anastasia Tikhomirova über die Bilder vom „Osten“ im „Westen“ und umgekehrt diskutieren. Die grundlegende Frage: Wie könnte eine gesamteuropäische Sicht auf Gemeinsames und Trennendes in der Geschichte der europäischen Länder entstehen? Das Programm finden Sie hier, den Livestream verfolgen Sie hier.

Weitere Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe:

  • Doğan Akhanlı, Medea 38 / Stimmen: Am 9. September 2022 fand im Bonner Schauspielhaus die Uraufführung des Stücks des 2021 verstorbenen Autors statt, der das Stück im Auftrag des Schauspiels Bonn geschrieben hatte. Die Regie hatte Nuran David Calis übernommen. Der Rahmen ist eine Art Schreibwerkstatt zwischen Christa Wolf und Doğan Akhanlı – hier als Geschichtserzähler Medah präsentiert – über drei Frauen, die in der Türkei lebten und alle mit dem Massaker in Dersim 1938, der heutige Region Tunceli, zu tun hatten, die beteiligte Kampfpilotin und Adoptivtochter Atatürks Sabiha Gökçen, Sekine Evren, die Ehefrau des Staatschefs und Putschisten Ahmet Evren (die ein aus Dersim entführtes und dann adoptiertes Mädchen war) sowie Sakine „Sara“ Cancıs, eine der Gründerinnen der PKK. Alle drei sind oder werden zu Medea. Sie leiden alle unter den patriarchalischen nationalistischen Strukturen, die es nicht nur in der Türkei, sondern auch im kurdischen Widerstand gibt. Das vom Theater Bonn herausgegebene Begleitheft enthält Texte von Manuel Gogos über den Völkermord an den Armeniern, Ismail Küpeli über „Die kurdische Frage in der Türkei“ (siehe hierzu auch sein 2022 im transcript-Verlag erschienenes Buch) sowie von Doğan Akhanlı. Dessen Beitrag hat den Titel „Wir brauchen einen transnationalen Gedächtnisraum.“ Er schrieb: „Nach meiner Reise zur Gedenkstätte Auschwitz habe ich meine sämtlichen Identitäten verloren. Ich habe nirgendwo so stark gespürt wie mitten in Birkenau, Täter und Opfer gleichzeitig zu sein. Dort sind Opfer und Täter in mir verschmolzen. Es war eine richtige Traumatisierung, die mich beinahe geschichtslos und handlungsunfähig machte.“ Weitere Aufführungsdaten und Kartenbestellungen über die Theatergemeinde Bonn (nur für Mitglieder) oder das Schauspiel Bonn. Leider wird das Stück nur bis zum 20. Oktober 2022 Unbedingt hingehen!
  • Deutschland und Polen: In der Berliner Landeszentrale für politische Bildung werden am 21. September 2022, 18.30 bis 20.00 Uhr, Ergebnisse des aktuellen vom Deutschen Polen-Institut und der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Deutsch-Polnischen Barometers vorgestellt, Titel der Veranstaltung „Nachbarschaft im Rahmen – Wie Deutsche und Polen einander medial betrachten“. Zur Anmeldung geht es hier.
  • Flucht, Migration und Postmigration: Am 23. September 2022 beginnt in Köln die dreitägige Veranstaltung (em)power (e)motion. Es geht um Verbindungen zwischen politischer und kultureller Bildung sowie intersektionale Perspektiven. Zielgruppe sind junge Menschen mit Flucht-, Migrations- und / oder Rassismuserfahrung sowie Fachkräfte und Multiplikator*innen. Organidator*innen sind projekt.kollektiv und Q_munity mit der Unterstützung verschiedener Fachstellen. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Kommunale Demokratie neu denken: Dies ist der Titel einer Tagung, zu der die Stiftung Mitarbeit einlädt. Sie beginnt am 23. September 2022 um 16 Uhr und endet am 25. September um 12.30 Uhr. Ort ist das Gustav-Stresemann-Institut in Bonn. Die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner wird eröffnen. In mehreren Workshops werden Praxisbeispiele für mehr Beteiligung der Bürger*innen, für die Bildung von Netzwerken am Beispiel konkreter kommunaler Aufgaben vorgestellt und diskutiert. Das Programm verspricht: „Das lokale gesellschaftliche Handeln macht den Unterschied: Die wesentlichen Zukunftsaufgaben müssen nahe an den Menschen – in den Städten und Gemeinden – bearbeitet werden. Es gilt, Einwohner/innen und gesellschaftliche Akteure einzubeziehen, ihre Potenziale und Ideen zu nutzen und einen übergreifenden demokratischen Austausch zu etablieren. Es gilt, Konflikte zu bearbeiten, gemeinsam gute Lösungen zu finden und diese umzusetzen. Kurzum: Wir müssen lernen, voneinander und miteinander zu lernen – und wir haben dafür wenig Zeit.“ Weitere Informationen und Anmeldekonditionen finden Sie hier.
  • Afrika inspiriert: Dies ist der Titel einer vom Eine-Welt-Netz NRW angebotenen fünfteiligen Online-Veranstaltungsreihe. In der Reihe werden gute Praxisbeispiele aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern vorgestellt. Wissenschaftler*innen und andere Expert*innen, u.a. aus Kenia, Somalia und Uganda berichten. Moderatorin ist die Afrika-Korrespondentin Bettina Rühl, die in Köln und in Nairobi lebt. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Wahrheitskommission in Kolumbien: Die Arbeit und die Ergebnisse der Aufarbeitung der bewaffneten Konflikte können in einer Wanderausstellung besichtigt werden, die in Bonn noch bis zum 28. September 2022 im Café Migrapolis in der Bonner Innenstadt zu sehen ist. Grundlage ist der Abschlussbericht der Wahrheitskommission. Eine Zusammenfassung des Abschlussberichtes finden Sie hier. Am 19. September 2022, 18.30 Uhr gibt es unter dem Motto „Hay Futuro“ im Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung eine die Ausstellung begleitende Veranstaltung in spanischer und in deutscher Sprache. Teilnehmen werden Beteiligte der Wahrheitskommission.
  • Sowjetische Vergangenheit und bundesrepublikanische Gegenwart der Nachfolgegeneration russlanddeutscher Aussiedler: Dies ist das Thema der Veranstaltung „Gestern ‚Die Mitgebrachten‘ – heute ‚Generation PostOst‘“, zu der die Deutsche Gesellschaft e.V. am 3. Oktober 2022, 10 bis 19.30 Uhr, in das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold einlädt. Es geht – so die Ankündigung – um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Lebenserfahrungen von „Aussiedlerkindern“ und „Wendekindern“. Zu Wort kommen „Angehörige dieser Generationen selbst (…), die – im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern – ihre Sprache(n) gefunden haben. Sie artikulieren ihre eigenen Lebensvorstellungen in Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik.“ Weitere Informationen finden Sie hier, um Anmeldung wird gebeten.
  • Rechtsextremismus: Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus führt am 6. Oktober 2022, ab 9.00 Uhr in Berlin im bUm eine ganztägige Tagung zum Thema „Demokratiefeindlichkeit und die extreme Rechte“ durch. Das Programm verspricht: Gewalt gegen Vertreter*innen der Demokratie gehört in manchen Gegenden beinahe zum Alltag, bei der Delegitimierung zivilgesellschaftlicher Arbeit ist dies schon lange der Fall. Gleichzeitig stilisieren sich manche Rechtsextreme zu den einzig wahren Hüter*innen der Demokratie. Das ist besonders paradox, weil gerade die Ablehnung demokratischer Werte und Verfahren neben Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus den Anschluss des organisierten Rechtsextremismus an bürgerliche Kreise ermöglicht. Diesen gefährlichen Zusammenhang zwischen rechtsextremer und bürgerlicher Demokratiefeindlichkeit gilt es offenzulegen und gemeinsam zu bekämpfen.“ Weitere Informationen demnächst auf der Internetseite des Kompetenznetzwerks. Dort finden Sie auch weitere Informationen zu Aktivitäten und Veranstaltungen des Netzwerks.
  • FILMFAIR 2022: Vom 27. Oktober bis zum 2. November 2022 findet im WOKI, einem Bonner Kino am Bertha-von-Suttner-Platz die 9. Bonner Filmfair statt. Gezeigt werden sieben Dokumentar- und Spielfirmen, die sich mit der Frage nach den demokratischen Rechten und unserer sozialen Absicherung befassen. Es geht um internationale Perspektiven und Verflechtungen, dies anhand konkreter Portraits von Menschen, die sich gegen Unrecht wehren und für Würde und Hoffnung kämpfen. Weitere Informationen, auch zum Programm, finden Sie hier.
  • Stipendienprogramm „Memory Work“: Die Beauftragte für Kultur und Medien hat für das bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur angesiedelte Internationale Stipendienprogramm „Memory Work“ Sondermittel in Höhe von 750.000 € für das Jahr 2022 zur Verfügung gestellt. Dank dieser Mittel kann die Stiftung, Stipendien für geflüchtete Akteure der Zivilgesellschaft aus Russland, der Ukraine und Belarus zur Verfügung zu stellen. Die Stipendien können ab sofort mit einer Laufzeit längstens bis 31. Dezember 2022 beantragt werden. Hier der Ausschreibungstext und hier das Antragsformular. Weitere Informationen über diese Adresse, ebenso über diese.
  • Kriegslandschaften: Die Fotokünstlerin Mila Teshaieva präsentiert unter dem Titel im Museum Europäischer Kulturen Berlin ihre Fotoausstellung „Splitter des Lebens“. Die Ausstellung ist bis zum 15. Januar 2023 geöffnet. Die Künstlerin versteht sich nicht als Kriegsfotografin, sondern will zeigen, wie Menschen im Krieg leben. Ihr Kriegstagebuch ist auf der Plattform decoder.org erschienen. Der Berliner Tagesspiegel berichtete. Weitere Hinweise zur Ausstellung finden Sie hier.

Kurznachrichten und weitere Empfehlungen:

  • Erich-Loest-Preis 2023 für Ines Geipel: Die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig teilte am 14. September 2022 mit, dass Ines Geipel mit dem Erich-Loest-Preis 2023 ausgezeichnet wird. Der Preis wird zum vierten Mal verliehen. Bisherige Preisträger*innen waren Guntram Vesper, Hans Joachim Schädlich und Ulrike Almut Sandig. Die Preisverleihung findet am 97. Geburtstag von Erich Loest (1925-2013), dem 24. Februar 2023, im Mediencampus Villa Ida in Leipzig statt. In der Pressemitteilung mit der Überschrift „Zur Sprache bringen, was beschwiegen wird“ zitiert die Stiftung die Jury, deren Vorsitz Andreas Platthaus innehatte: „Ines Geipel bringt in ihren Büchern das zur Sprache, was als ‚inopportun‘ beschwiegen wurde: das individuelle Leid im Dienste einer sich als idealistisch gerierenden Ideologie. Und sie verfolgt die Nachwirkungen dieses Schweigens bis in unsere Gegenwart.“
  • Meldestelle Antiziganismus: In Berlin startet die bundesweite Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA). Die Bundesregierung folgt damit einer Empfehlung der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, die ihren Abschlussbericht im Juli 2020 vorstellte. Die Stelle wird antiziganistische Vorfälle bundesweit einheitlich erfassen, dokumentieren und auswerten. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung: Der Dokumentarfilm „Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“ erzählt die Geschichte von Romani Roses Familie, die leidvolle Geschichte einer Minderheit zwischen Trauma und Selbstbehauptung, Widerstand und Beharren auf Gerechtigkeit sowie den langen Weg der Bürgerrechtsbewegung bis zur Anerkennung. Der Film ist noch bis Mitte Oktober in der Mediathek von 3Sat zu sehen. Weitere Informationen finden Sie hier. Siehe auch das Gespräch von Norbert Reichel mit Romani Rose im Demokratischen Salon.
  • Documenta Fifteen: Wer sich ein ausführliches und differenziertes Bild der Debatte um den Antisemitismus in auf der documenta fifteen gezeigten Werken machen möchte, schaue in die Septemberausgabe von Politik & Kultur. Im Editorial schrieb Natan Sznaider: „Um Kunst geht es dabei gar nicht mehr, sondern um Projektionsbilder. Und wenn es wirklich Projektionsbilder sind, dann werden die Fragen der Einstellung gegenüber Israel komplizierter und auch komplexer, als sie vielleicht im ersten Moment für die documenta-Macher aussehen. Was für uns Juden bleibt, ist, sich von der Illusion zu verabschieden, dass es für Antisemitismus im öffentlichen Raum Deutschlands keinen Platz mehr gibt.“ Zu Wort kommen fast alle Beteiligten, wir finden Kommentare und Statements von Volker Beck, Meron Mendel, Johann Hinrich Claussen, Ester Schapira, Richard C. Schneider, Raphael Gross, Ludwig Greven, Klaus Holz, Ingo Arend und Olaf Zimmermann, Interviews mit Eckhard Zemmrich, Josef Schuster, Philippe Pirotte, Alexander Farenholtz und dem Künstler*innenkollektiv ruangrupa. Johann Hinrich Clausen schreibt über die Frage, ob es hier „um Kunst im näheren Sinn“ oder „um Instrumente der Agitation“ gehe, Volker Beck benennt die Grenze der „Kunstfreiheit (…) da, wo ihre Ausübung einen Angriff auf die Menschenwürde und die Grundrechte anderer darstellt.“ Klaus Holz resümiert: „Dass sich Antisemitismus- und Rassismuskritik wie zwei feindliche Geschwister missachten, ist eine der größten normativen Katastrophen unserer Zeit.“ Die vollständige Ausgabe lesen Sie hier. Weitere Informationen bietet eine Veranstaltung der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main am 22. September 2022, die auch im Livestream verfolgt werden kann.
  • Geschichtspolitik: Dies ist der Schwerpunkt der September-Ausgabe der Zeitschrift Merkur. Thomas Hertfelder schreibt über die „Erfolgsgeschichte Bundesrepublik – Vom Anfang und Ende einer Meistererzählung, Norman Aselmeyer, Stefan Jehne und Yves Müller analysieren „Leerstellen in der aktuellen Erinnerungsdebatte“ unter dem provokanten Titel (selbstverständlich in Anführungszeichen) „Die DDR hat’s nie gegeben“. Weitere Texte befassen sich mit der Umbenennung von Straßen (Matthias Dell), mit den in „Hass-Mails“ und diversen Vorläufern aus vergangenen Zeiten enthaltenen Bildern (Claudia Gatzka) sowie der Frage der Konkurrenz zwischen Holocaust und Kolonialverbrechen (Catherin Davies und Laetitia Lenel). Im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland erörtert Thomas Hertfelder die Frage, ob sie eine ökonomische oder eine demokratische Erfolgsgeschichte sei, ggf. auch beides. „Westbindung“, „Stabilität“ und „Wirtschaftswunder“ sind die eine Seite, die Ignoranz gegenüber dem als Anti-Modell verstandenen Staat DDR die andere: „Weil die Meistererzählung ostdeutsche Perspektiven entweder ausblendet, in fragwürdigen Begriffen bricht oder sehr selektiv verarbeitet, liefert sie diese dem narrativen Sog aus, den die staatliche Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990 unweigerlich entfaltet: Die gravierenden Brüche zwischen ‚friedlicher Revolution‘ und staatlicher Vereinigung werden harmonisiert. So können sich jene, die noch in der DDR sozialisiert wurden, in der Meistererzählung kaum wiederfinden.“ Ergebnis ist – so Norman Aselmeyer, Stefan Jehne und Yves Müller der „Kollektivsingular der ‚deutschen Erinnerungskultur‘“.
  • Kommunale Fantasie: Energie muss nicht teuer sein. Dies belegen die Bürger*innen der niedersächsischen Gemeinde Asche, über deren Erfolge Fabian Franke in der ZEIT berichtete. Der Bericht belegt auch, dass manche Kommunen in Eigeninitiative schon viel mehr für den Klimaschutz tun als sich offenbar manche Bundes- und Landespolitiker*innen vorstellen können. Die Frage ist berechtigt, warum nicht mehr für solche guten Beispiele geworben wird. Nichts gegen Duschtipps, aber die Werbung für solche Beispiele wie das der Gemeinde Asche sorgt dafür, dass das Problem auch systematisch angegangen wird. Es ist eben nicht nur (natürlich auch, aber eben nicht nur) jede*r Einzelne. Wir brauchen viele solcher Gemeinden. Und vielleicht unterstützen Bund und Länder diese Gemeinden auch? Die Reportage finden Sie hier.
  • Foto: Hans Peter Schaefer

    Kleine Fächer: Reformen der Hochschulstudiengänge (Stichwort „Bologna“) haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass sogenannte „kleine Fächer“ bedroht werden, manche in ihren Angeboten eingeschränkt wurden, andere ganz zu verschwinden drohen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die für Hochschulen verantwortlichen Politiker*innen sich vorwiegend an wirtschaftlicher Verwertbarkeit orientieren. Die Zeitung Politik & Kultur hat in ihrer Septemberausgabe 2022 mehrere Texte zu diesem Thema veröffentlicht. Katja Makhotina schreibt, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Osteuropaforschung zurückgefahren wurde, deren Expertise wir jetzt dringend bräuchten. Hinzu kommt die aktuelle Zerstörung von Archiven, Kulturgütern, Museen und Kulturzentren in der Ukraine: „Tausende Spuren der Vergangenheit sind bereits jetzt für die Osteuropaforscher unwiederbringlich verloren.“ Rahul Peter Das berichtet im Gespräch mit Ludwig Greven über vergleichbare Einschränkungen im Hinblick auf die Erforschung der Sprachen und Kulturen im neuzeitlichen Südasien. Er kritisiert die Zusammenlegung von Fächern und vergleicht ein solches Ansinnen für Fächer mit Bezug auf Südasien mit dem – allerdings zum Glück noch nicht gewagten – Versuch, alle europäischen Philologien nur noch als „Europawissenschaft“ anzubieten. Die Texte finden Sie auf den Seiten 9 – 11 der Septemberausgabe von Politik & Kultur.

  • Frauen in Kultur und Medien: Der Deutsche Kulturrat hat ein eigenes Angebot zu diesem Thema eingerichtet. Auf der Seite finden Sie Studien, Netzwerke, Informationen zum Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrats sowie Stellungnahmen. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Armut und Klimaschutz: Die Organisation Oxfam teilte am 11. Mai 2022 mit, dass der klimaschädliche ökologische Fußabdruck der Superreichen 30mal höher ist als die Vereinbarungen des Pariser Abkommens vorsehen, während der ökologische Fußabdruck von 50 Prozent der Weltbevölkerung deutlich darunter liegt. Es sind jedoch nicht nur die Superreichen, auch viele Menschen mit mittleren bis höheren Einkommen scheinen noch nicht verstanden zu haben, was sie tun könnten. Georg Ismar hat für den Tagesspiegel mit der Journalistin Julia Friedrichs darüber gesprochen. Wer mehr wissen möchte, lese ihr Buch „Working Class: Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können“ (2021 im Berlinverlag erschienen). Immerhin hat auch Bärbel Bas, die Präsidentin des Deutschen Bundestages, inzwischen darauf hingewiesen, welche Menschen wirklich staatliche Unterstützung brauchen und welche darauf durchaus verzichten können.
  • Ganztagsschulen: Stephan Lüke, der das Portal „ganztagsschulen.org“ im Auftrag des Bundesbildungsministeriums betreut, hat Norbert Reichel zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule im Ganztag interviewt. Das Interview finden Sie hier.

Wir wünschen allen unseren Leser*innen viel Gewinn beim Lesen und Nachdenken! Unser herzlicher Dank gilt all denen, die den Demokratischen Salon: durch Anregungen, Gespräche, Korrekturen so diskussionsfreudig unterstützen. Wir würden uns freuen, wenn diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, dort auf den Demokratischen Salon: hinweisen.

In etwa vier Wochen melden wir uns wieder.

Wir grüßen Sie alle herzlich.

Ihre Beate Blatz und Ihr Norbert Reichel

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitten wir um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.