Star Trek – ein politisches Projekt

Ein Gespräch mit Sebastian Stoppe über Utopien in Star Trek

„Als Kultphänomen mit einer umfangreichen Fankultur illustriert Star Trek eindrücklich, wie Populärkultur ihr Publikum (auch) politisch aktivieren kann – wie sie Diskussionen mobilisiert, die am Objekt einer fiktionalen Welt zutiefst politische Fragen thematisiert.“ (Katja Kanzler, in: Anja Besand, Hg., Von Game of Thrones bis House of Cards – Politische Perspektiven in Fernsehserien, Wiesbaden, Springer VS, 2018)

Wie politisch Star Trek diskutiert werden kann belegt alleine schon die Tatsache, dass der zitierte von Anja Besand herausgegebene Band im Shop der Bundeszentrale für politische Bildung angeboten wird. Katja Kanzler hat sich in ihrer 2004 im Heidelberger Universitätsverlag erschienenen Dissertation „‚Infinite Diversity in Infinite Combinations‘ – The Multicultural Evolution of STAR TREK“ ausführlich mit Star Trek befasst, vor allem unter interkulturellen und unter Gender-Aspekten.

Sebastian Stoppe. Foto: Katharina Werneburg.

Sebastian Stoppe hat sich ebenfalls in seiner Dissertation mit Star Trek beschäftigt. Sein Thema: „Unterwegs zu neuen Welten“ – Star Trek als politische Utopie“. Die Arbeit wurde 2014 vom Darmstädter Büchner-Verlag veröffentlicht. Kürzlich erschien bei Springer VS das von ihm gemeinsam mit Benjamin Bigl herausgegebene Handbuch „Game-Journalismus“, ein weiteres Thema der Verknüpfbarkeit von Populärkultur und Politik. Die Dissertation ist 2022 als englischsprachige Neuauflage erschienen, mit einem neuen Kapitel, in dem es um das „dunklere“ Star Trek der drei seit den 2010er Jahren produzierten Serien. „Discovery“, „Picard“ und „Strange New Worlds“ geht. Nur ein Beispiel für die Veränderung ist die Konzeption der Spezies der Gorn. In der Originalserie erschien in „Arena“ ein einzelner Gorn als eine Art zweibeiniger Reptiloid mit doch recht niedlichem Aussehen, ungeachtet seiner Kampfbereitschaft. Dieser Gorn hatte zwei Cameo-Auftritte in Träumen Sheldon Coopers in „Big Bang Theory“. Er erschreckte Sheldon in „The Apology Insufficiency“ und in „The Transporter Malfunktion“. Einmal saß er sogar auf Sheldons „spot“, dem nur Sheldon zustehenden Sofaplatz. Aber insgesamt wirkten diese Gorn nicht wirklich bedrohlich, sie hätten sich auch als Stoffhumanoide ganz gut geeignet. Nicht so die Gorn in „Strange New Worlds“. Sie erinnern ein wenig an Figuren aus dem Giger-Universum, sie töten alle, die ihnen im Weg stehen und platzieren ihre Eier in fremden Spezies. Diese überleben das Schlüpfen der jungen Gorn nicht. Es ließe sich darüber nachdenken, wie dystopisch die Utopie geworden ist, die Star Trek war.

Auf der Seite des MDR zu finden ist ein Vortrag von Sebastian Stoppe, in dem er darüber spricht, wie sich Star Trek die Zukunft vorstellt. Im Frühjahr 2024 erscheint ein Sammelband, den Katja Kanzler und Sebastian Stoppe gemeinsam herausgeben. Beide wirkten aktiv an den beiden Staffeln „Star Trek und die Politik“ der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit, die im Demokratischen Salon vorgestellt wurde.

Science Fiction und Utopien – Abgrenzungen und Überschneidungen

Norbert Reichel: Wie kam es zu Ihrem Interesse an Star Trek?

Sebastian Stoppe: Schon sehr früh, da war ich noch Schüler. Irgendwann – und ich weiß gar nicht mehr, warum eigentlich – bin ich bei Star Trek hängengeblieben, als „The Next Generation“ noch im ZDF lief, später dann bei Sat 1, zunächst einmal die Woche, dann täglich. Ich kam aus der Schule nach Hause und das erste, was ich getan habe, war, mir eine Folge von Star Trek anzuschauen. So habe ich mir „The Next Generation“, „Deep Space Nine“, den größten Teil von „Voyager“ nach und nach im linearen Fernsehen erschlossen. Inzwischen alles mehrfach geschaut, Verpasstes nachgeholt. Im Studium verschoben sich manche Interessen, aber irgendwann bin ich dann wieder zu Star Trek zurückgekehrt und habe aus Neugier in der Universitätsbibliothek gesucht, ob es überhaupt Literatur zu Star Trek gibt und wenn ja was. Ich wurde fündig. Das war ja auch Anfang der 2000er-Jahre noch in den Anfangszeiten des Web 2.0, da gab es das Programm „UFP-Terminal“, eine Art Wissensdatenbank zu Star Trek, das ein Fan programmiert hatte. Da habe ich das ein oder andere – so ähnlich wie heute bei Wikipedia, wenn auch umständlicher – beigetragen. Das Terminal ist heute noch im Internet zugänglich.

Norbert Reichel: Und wie kam es dann zur Doktorarbeit?

Sebastian Stoppe: Ich habe in Leipzig Politikwissenschaften sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert. Nach meinem Abschluss wollte ich eine Doktorarbeit schreiben, in der sich die Fächer verbinden ließen. In Halle an der Saale fand ich den Medienwissenschaftler Reinhold Viehoff, der auf seiner Webseite schrieb, er würde Doktorarbeiten zu Utopien und Science Fiction betreuen. Das, was ich damals an Literatur zu Star Trek gefunden hatte, hatte viel mit Teilaspekten zu tun, mit Religion, Humanität, es gab natürlich auch viel zur Technik. Mir fehlte jedoch ein wenig der Versuch, alles, was es bisher zu Star Trek gab, nach den Bezügen zu Gesellschaft und Politik zu befragen. So ist das Exposé entstanden, dann die Doktorarbeit selbst.

Norbert Reichel: Sie haben in der Arbeit Star Trek vor dem Hintergrund klassischer Utopien der Weltliteratur untersucht, Thomas Morus, Campanella, Bacon.

Sebastian Stoppe: Das wiederum hing mit meinem Zweitgutachter zusammen, dem Politikwissenschaftler Richard Saage. Ihn hatte ich gefragt, ob er das Gutachten übernehmen würde und er hatte mich gebeten, mein Vorhaben zunächst in seinem Doktorandenkolloquium vorzustellen. Danach hatte ich erfreulicherweise seine Zusage und er meinte, ich solle einmal schauen, wie ich meinen Ansatz vielleicht mit Utopiegeschichte und Utopietradition verbinden könnte. So entstand der Einfall, ausgehend von diesen Staatsutopien oder Staatsromanen, angefangen mit Thomas Morus als Namensgeber des Genres, zu fragen, was sich davon in Star Trek niederschlägt, welche Parallelen es gibt, wie sich diese Utopien zur Science Fiction verhalten. Science Fiction wird oft als Trash, als Trivialliteratur abgetan, vor allem im Vergleich zur Utopie, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Ich wollte herausfinden, wie sich Star Trek von anderen Science-Fiction-Erzählungen unterscheidet und ob Star Trek möglicherweise näher an Utopien anschließt. Das war die Idee.

Norbert Reichel: In ihrer Arbeit unterscheiden Sie „statische Utopien“ und „dynamische Science Fiction“.

Sebastian Stoppe: Das sind Idealtypen. Bei den genannten Staatsutopien wird immer von einem radikalen Bruch ausgegangen, sodass die Menschheit beziehungsweise die beschriebene Gesellschaft – es ist ja nie die gesamte Menschheit – sagte, wir müssen eine neue Gesellschaft aufbauen, es muss alles ganz anders werden. Bei der Science Fiction hingegen geht es häufig um eine Extrapolation des Fortschritts in die Zukunft, mit der Frage, welche technologischen Möglichkeiten wir weiterentwickeln könnten und was alles damit möglich wäre. So entstanden beispielsweise bei Jules Verne die „20.000 Meilen unter dem Meer“ oder die Mondreisen. Die Frage war, was wäre, wenn wir Raketen hätten, die so mächtig wären, dass wir die Erde verlassen könnten. Solche Dinge sind eingetroffen, führen aber nicht notwendig zu einer besseren Gesellschaft.

Norbert Reichel: Mit Jules Verne begann meine Begeisterung für Science Fiction. Das war so Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Bei Bärmeier und Nikel, dem Verlag, der damals die Autoren der „Neuen Frankfurter Schule“ verlegte, erschienen 45 Romane in 20 Bänden. Ich hatte aber nur selten den Eindruck, dass es Jules Verne um eine bessere Gesellschaft ging. Gesellschaftliche Themen wurden doch eher typologisiert, wie in die „500 Millionen der Begum“ über den Gegensatz zwischen dem bösen Deutschen und dem guten Franzosen. Das war „statisch“ in Ihrem Sinne, aber war es auch eine Staatsutopie?

Sebastian Stoppe: Bei Staatsutopien ist es in der Regel so, dass die Autoren die von ihnen beschriebene Gesellschaft auf der Basis der bestehenden Gesellschaftsordnung nahmen, bei Thomas Morus das England des frühen 16. Jahrhunderts, und darauf etwas aufbauten, dass besser sein sollte als das, was man in der Gegenwart hatte. Technologien spielten dabei zunächst keine Rolle, die Frage, ob bestimmte Technologien für die bessere Gesellschaft erforderlich wären, wurde nicht gestellt. Überschneidungen, die Utopien auch mit Technologien verbinden, gibt es dann aber schon bei Bacon mit seinem „Neu-Atlantis“. Im 20. Jahrhundert gab es vermehrt Dystopien wie Huxleys „Brave New World“ oder Orwells „1984“, in denen der bisher positiv besetzte Fortschritt ins Gegenteil verkehrt wird, gerade auch mit Hilfe von Technologien, konkret: mit Gentechnik und Überwachungstechnologien.

In der Science Fiction gibt es immer ein Novum, ein neues Element, das kann etwas Technologisches sein, aber auch etwas anderes wie beispielsweise die Begegnung mit Außerirdischen oder die Entdeckung von bisher nicht bekannten Räumen. Das etwa spielt bei Thomas Morus so gut wie keine Rolle. Die Utopier interessieren sich nicht für die Entdeckung von etwas anderem, sie wollen eigentlich keinen Kontakt mit der Außenwelt. Ein Entdecker-Gen gibt es bei den klassischen Utopien nicht. Die sind für und in sich abgeschlossen. In der Science Fiction ist dieses Element sehr stark vertreten. Jules Verne ist mit den „20.000 Meilen unter dem Meer“ ein gutes Beispiel, weil man für die Entdeckung des Unentdeckten nicht unbedingt die Erde verlassen muss.

Norbert Reichel: Bei den klassischen Staatsutopien fällt mir auf, dass ihr Ort ein abgeschotteter Raum ist, beispielsweise eine Insel, die zufällig von einem Reisenden entdeckt wird, der gar nicht danach gesucht hat, im Grunde eine Art Serendipity. Die Entdeckten wollen eigentlich auch gar nicht entdeckt werden.

Sebastian Stoppe: Weil sie den Idealzustand erreicht haben. Thomas Morus hat die perfekte Gesellschaft entwickelt, den Endzustand einer Gesellschaftsform, während in der Science Fiction die Dynamik dadurch entsteht, dass sich ständig etwas ändert. Bei Star Trek habe ich danach geschaut, wo sich Elemente aus den klassischen Utopien, wo Elemente aus der Science Fiction finden und wie diese sich in Star Trek wiederfinden und uns gezeigt werden.

Norbert Reichel: Es gab in den klassischen Utopien meines Wissens keine Strategien, wie man zu der Gesellschaft käme, wie das, was als gut, als besser dargestellt wurde, auch von anderen erreicht werden könnte. Die Utopier reisen selbst nicht, um ihren Zustand zu exportieren. Sie missionieren nicht, sie kolonisieren nicht.

Sebastian Stoppe: Die Utopien berichten von einem Zustand, nicht vom Weg dahin. Der Weg zu einer neuen Idee ist dagegen in die Science Fiction wiederum sehr präsent. Anders ausgedrückt: In der Science Fiction geht es um die Entdecker, in den Utopien um die Entdeckten. Da kommt jemand von außen, entdeckt und berichtet.

Norbert Reichel: Mich erinnern die Reisen in Star Trek ein wenig an Gullivers Reisen von Jonathan Swift, der unterschiedliche Inseln entdeckt, darunter auch die schöne Pferdeinsel mit den klugen Pferden, die sich über die dummen Menschen wundern.

Sebastian Stoppe: Das würde passen. Mir ging es bei meiner Arbeit ja vor allem um die politische Ordnung in den Staatsutopien, die dort skizzierten Gesellschaftsordnungen, und wie sich dies in Star Trek niederschlägt.

Norbert Reichel: Mir fiel bei Star Trek allerdings auch auf, dass es sehr stark an die Manifest Destiny, dem Aufbruch in den Westen im 19. Jahrhundert anknüpft. Da ist schon etwas Missionarisches drin enthalten, trotz der Prime Directive, die im Zweifel dann zumeist doch missachtet wird, wenn es einer höheren Sache dient. Nur einmal wird jemand wegen der Missachtung der Prime Direktive bestraft. Tom Paris wird von Captain Janeway zu dreißig Tagen Haft verurteilt und zum Ensign degradiert, weil er einen Planeten gegen die Ignoranz von dessen politischer Führung rettete, der seine Lebensgrundlagen zu verlieren durfte („Thirty Days“).

Sebastian Stoppe: Der Begriff „Trek“ kommt ursprünglich aus der Begrifflichkeit des Großen Trecks der südafrikanischen Buren und wurde dann in Amerika für die Treks der Siedler in den Westen übernommen. Gene Roddenberry hat Star Trek explizit mit den Wagon Treks des 19. Jahrhunderts verglichen. Der Aufbruch in das Weltall in den 1960er Jahren, den Präsident Kennedy forderte, hat Star Trek aber auch maßgeblich beeinflusst. 

Die 1990er Jahre: Bilder und Gegenbilder

Norbert Reichel: Star Trek startete in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Dann gab es mit der Zeit Filme mit der Originalcrew, die aber nichts wesentlich Neues zeigten. Ende der 1980er Jahre ging es dann erst richtig los mit „The Next Generation“, wenige Jahre später mit „Deep Space Nine“ und „Voyager“, die alle in derselben Zeit spielen und zum Teil parallel gedreht und gesendet wurden. Gab es in den 1990er Jahren einen anderen Blick auf Star Trek, auch ein anderes Interesse als in den 1960er Jahren?

Sebastian Stoppe: Ich weiß nicht, ob anders geguckt wurde oder ob das nicht eher daran liegt, dass sich ein Franchise wie Star Trek auch wirtschaftlich rechnen muss. Die Fünf-Jahres-Mission der Enterprise unter Captain Kirk endete nach drei Jahren, weil sich Star Trek wirtschaftlich nicht mehr lohnte. Das ist ja auch heute noch vor allem im amerikanischen Fernsehen so: Shows werden bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten gnadenlos abgesetzt. Star Trek nahm dann den Umweg über das Kino, davor gab es ein kurzes Revival mit der Animationsserie, die aber auch keinen rechten Erfolg hatte. Durch die Filme hat man tatsächlich einen anderen Blick auf Star Trek gefunden. Natürlich auch durch die unzähligen Wiederholungen der Originalserie im Fernsehen. Es hatte sich mittlerweile eine Fan-Community gebildet, die in Star Trek wohl mehr sah, als ursprünglich intendiert war. Und nachdem Star Trek durch die Filme und die Wiederholungen auch kommerziell wieder Erfolg hatte, war der Weg für „The Next Generation“ als Serie geebnet.

Gene Roddenberry war ein großer Humanist, er hatte eine Idee, was er transportieren wollte und in der Originalserie auch gezeigt hat. Das zeigte sich daran, dass er eine weibliche People of Color als Kommunikationsoffizierin auf die Brücke setzte, die zwar keine tragende Rolle hatte, aber präsent und zu sehen war. In der Zeit der Black Power-Bürgerrechtsbewegung in den USA. Dann kam in der zweiten Staffel, man bedenke, in den Zeiten des Kalten Krieges, ein Russe auf die Brücke. Das waren alles Elemente, mit denen Roddenberry zeigen wollte, dass wir die Probleme, die wir in der Gegenwart haben, in der Zukunft überwunden haben werden. Die Erde ist vereint und wir haben auf der Erde keine Konflikte mehr. Es war ein unglaublich großer Fortschrittsoptimismus, den wir später auch bei „The Next Generation“ noch finden.

Aus utopischer Sicht erfahren wir jedoch in der Originalserie ausgesprochen wenig. Wir wissen nicht, wie die Gesellschaftsordnung aufgebaut ist, wie die Politik in der Föderation funktioniert. Je mehr aber durch die folgenden Serien und die Filme an Text hinzukam, umso mehr erfahren wir auch über diese Strukturen. Im sechsten Star Trek-Film „The Undiscovered Country“ werden beispielsweise die Ereignisse um Tschernobyl aufgenommen, die Zerstörung des Mondes Praxis bei den Klingonen, die dadurch erfolgende Annäherung der Klingonen an die Föderation. Das setzt sich in „The Next Generation“ fort. Wir erfahren einiges, das auf die politische Ausgestaltung der zukünftigen Gesellschaft hinweist.

Captain Jean-Luc Picard in seinem Quartier der Enterprise D. Foto: Derek Springer. Wikimedia Commons.

In der ersten Staffel von „The Next Generation“ etwa trifft die Enterprise auf drei Menschen aus dem 20. Jahrhundert, die sich haben einfrieren lassen, weil sie hofften, dass ihre Krankheit zu einem späteren Zeitpunkt geheilt werden könne („The Neutral Zone“). Darunter ist ein Börsenmakler, ganz stereotypisch dargestellt, der bei seiner Bank anrufen will, der denkt, dass an der Börse ein großes Vermögen für ihn angewachsen ist, der dann aber erfahren muss, dass es kein Geld mehr gibt. Der Makler fragt, was denn dann das Ziel der Menschen sei. Picard antwortet ihm, dass es nicht mehr darum gehe, Reichtum anzuhäufen, sondern sich selber geistig fortzuentwickeln. Genau dies haben wir – fast eins zu eins – bei Thomas Morus in „Utopia“, wo es auch nicht mehr um Geld geht, sondern darum, sich geistig zu entwickeln und für das Wohl der Menschheit, bei „Utopia“ der Menschen in diesem Staat, beizutragen.    

Norbert Reichel: Wie passt die Ferengi-Alliance dazu? Den Ferengi geht es um Latinum, möglichst viel davon, entscheidend ist der Profit. Ihre quasi-religiöse Philosophie ist dann in den „Rules of Acquisition“ festgehalten, die alle Ferengi auswendig lernen müssen.

Sebastian Stoppe: Das ist das Interessante an Star Trek. Wir haben die Föderation in „The Next Generation“ als Idealbild. Ob sie wirklich so ein Idealbild ist, wird in den späteren Serien jedoch auch kritisch hinterfragt. Und wir haben all die verschiedenen Völker im Universum, die Klingonen als Krieger:innen, die Ferengi als Kapitalisten (die zudem ihre Frauen unterdrücken), die Cardassianer als Militärdiktatur, das sind alles – so meine Meinung – einzelne Facetten der Menschheit, die in Star Trek als überhöhte Eigenschaften einer Gesellschaft oder der Menschheit als Ganzes dargestellt werden und die sich alle bei der aktuellen Menschheit vereinen, weil wir immer noch Kapitalismus als vorherrschende Gesellschaftsform mit all seinen Problemen haben, weil es immer noch Kriege und Konflikte gibt. Damit wird uns im Grunde ein Spiegel vorgehalten. Was heißt das eigentlich, wenn wir den Kapitalismus über alles stellen, sind wir dann wie die Ferengi? Wir haben auf anderen Planeten im Grunde verschiedene Typen von Gesellschaften als Alternativ- und Gegenbilder der Föderation, mit der wir uns als Zuschauer:innen identifizieren können.

Norbert Reichel: Es gibt natürlich auch in solchen Gesellschaften Entwicklungen. Die Ferengi werden durchweg, außer in „Deep Space Nine“, als raffgierig und hinterhältig dargestellt. Ihnen ist jedes Mittel recht, ihren Profit zu vergrößern. In Deep Space Nine entwickeln sich die Ferengi-Figuren. Rom erweist sich als Ingenieur mit einem Schuss Genialität, am Schluss wird er sogar Staatschef, zum Great Nagus, in einer demokratischeren Welt, die durch den Einfluss seiner und Quarks Mutter Ishka auf den bisherigen Great Nagus entsteht. Aus dem pubertierenden Schulschwänzer Nog wird ein vorbildlicher Sternenflottenoffizier.

Sebastian Stoppe: Im Gegensatz zu den klassischen Utopien wird in Star Trek nie ein Endzustand angenommen, bei dem sich nie mehr etwas verändert. In „Deep Space Nine“ müssen sich die Cardassianer nach dem Ende der Besatzung von Bajor und im Verlauf des Dominion-Kriegs mit ihrer Militärdiktatur auseinandersetzen. Ihre neue zivile Regierung kann sich nicht durchsetzen und als das Dominion die Föderation angreift, sieht das cardassianische Militär eine Chance der Restauration seiner Herrschaft. Das hat zunächst auch Erfolg, aber das Dominion installiert eine Marionettenregierung und gewinnt immer mehr Einfluss. Ganz am Ende – kurz vor ihrer vollständigen Aufreibung durch das Dominion – wechseln die Cardassianer die Seite und kämpfen dann auch mit der Föderation gegen das Dominion. Ein anderes Beispiel: Schon in „The Next Generation“ gibt es Kontakte zwischen den Vulkaniern und den Romulanern im Hinblick auf eine Wiedervereinigung. Es wird erzählt, dass die beiden Spezies gemeinsame Vorfahren haben, die sich in ferner Vergangenheit einmal aufgeteilt und unterschiedlich entwickelt haben. In „Discovery“ sehen wir später dann die Wiedervereinigung von Vulkan und Romulus. Bei den Ferengi beginnt die Veränderung im Kleinen, indem sich zeigt, dass Rom und Nog nicht so typische Ferengi sind, wie man zunächst denkt, bis sich dann die gesamte Gesellschaft der Ferengi verändert. Das hat auch mit dem Frauenbild bei den Ferengi zu tun, mit dem Einfluss von Ishka, der Mutter von Rom und Quark. Das setzt einen Prozess in Gang.

Quark ist das Gegenbild zu seinem Bruder Rom, den er immer als „idiot“ bezeichnet. Er ist durch und durch Kapitalist, immer auf der Suche nach seinem geschäftlichen Vorteil. Tief in seinem Inneren ist er jedoch ein guter „Mensch“, jemand, der zu Einsichten bereit ist und auch immer wieder betont, dass er seinen Bruder liebt. Solche Entwicklungen möchte Star Trek transportieren.

Norbert Reichel: Quark bleibt der alte Kapitalist, der er immer war, wird allerdings auch als jemand dargestellt, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Wir haben als den ferengihaftesten Ferengi sicherlich Brunt, der Quark ruinieren will, es zeitweise sogar schafft. Brunt hat nicht die Spur eines humanistischen Wertesystems. Als er Quark, der glaubt, unheilbar krank zu sein, dessen Überreste abkauft, besteht er auch noch, als Quark erfährt, dass die Diagnose ein Irrtum war, auf Einhalten des Vertrags. Quark verliert seine Lizenz und allen Besitz. Aber dank der Unterstützung der Bewohner:innen von Deep Space Nine kann er seine Bar dann doch weiterführen („Body Parts“).

Quark zeigt auch Mut, beispielsweise als er mit Worf, Bashir und O’Brien auf die Reise in einen kriegerischen Konflikt aufbricht, damit Jadzia Dax ins Stovokor einziehen kann („Image in the Sand“).

Sebastian Stoppe: Am Beispiel der Ferengi lassen sich eine ganze Reihe ethische Diskussionen führen. Es zeigt sich ja, dass Quark offensichtlich ein Wertesystem besitzt, das über die Regeln der Ferengi hinausgeht.

Der Maquis – die Antithese im Inneren der Föderation

Norbert Reichel: Eine der interessantesten Figuren, an denen sich Entwicklungen zeigen, ist meines Erachtens Michael Eddington, führender Vertreter der Widerstandsorganisation Maquis.

Sebastian Stoppe: Dazu muss man ein wenig weiter ausholen. Das Beispiel zeigt, wie sehr Star Trek in der Zeit verhaftet ist, in der die Serien entstanden sind. „The Next Generation“ ist noch so etwas wie das Idealbild. Das Zusammenleben auf der Enterprise ist der Idealzustand.

Norbert Reichel: Die Enterprise von „The Next Generation“ ist im Grunde ein kleiner Staat. Es gibt eine Hierarchie, Beratungen im Briefing-Raum, der auch als eine Art Kabinettraum gesehen werden könnte, es gibt Familien, Kinder, Schule, Wettbewerbe für die Kinder, die in Ausstellungen zeigen, was sie alles gelernt haben.

Sebastian Stoppe: Die Klingonen sind keine Feinde mehr. Es gibt mit Worf einen Klingonen auf der Brücke. Auf der Brücke hat eine künstliche Lebensform, der Android Data, dieselben Rechte wie die natürlichen Lebensformen. Das spielt in einer Zeit, Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre, wo schon das „Ende der Geschichte“ ausgerufen wurde. Die Demokratie als Idealzustand der Welt. Nach dem Ende des Eisernen Vorhangs hätte sich gezeigt, dass die Demokratie den Kommunismus besiegt.

Norbert Reichel: Nur am Rande: Das „Ende der Geschichte“ liest sich bei Fukuyama etwas anders als es im Allgemeinen in Politik und Medien verbreitet wurde. Fukuyama nennt – meines Erachtens fast schon prophetisch – die Probleme und Risiken, die wir heute, etwa 30 bis 40 Jahre später erleben.

Sebastian Stoppe: Das stimmt, aber hängengeblieben ist diese Aufbruchsstimmung, die sich in „The Next Generation“ wiederfindet. Dann kommt aber sehr bald schon das, was Samuel Huntington – auch in Replik auf Fukuyama – mit dem „Clash of Cultures“ geschrieben hat. Das ist die Geschichte in „Deep Space Nine“. Zentral ist dort der Dominion-Krieg, ein Krieg, der in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erzählt wird, wenige Jahre, nachdem wir davon ausgegangen sind, dass es keine Kriege mehr geben könnte. Es kamen der Jugoslawien-Krieg, Kriege in Afrika, zerfallende Staaten, der Verfall der Sowjetunion. In dieser Zeit hat man den unverhohlenen Optimismus aus der Originalserie und das Idealbild von „The Next Generation“ zunehmend in Frage gestellt.

Avery Brooks, Darsteller von Captain Benjamin Sisko. Foto: Wendel Fisher. Wikimedia Commons.

Norbert Reichel: In diesem Kontext wurde dann der Kommandant von „Deep Space Nine“, Benjamin Sisko, zum bajoranischen Messias, dem „Emissary“, der eine außer- oder gar überirdische Mutter hat.

Sebastian Stoppe: Am Ende ist Sisko tatsächlich eine Art Messias, aber bevor er das akzeptiert, ist er zunächst ein starker Verfechter der Idee der Föderation. Und hier schlage ich die Brücke zu der Figur von Michael Eddington. Innerhalb der Föderation gibt es eben den Konflikt mit dem Maquis. Diese Organisation entstand, weil einige Föderationsbürger:innen den Vertrag der Föderation mit Cardassia nicht akzeptieren wollten, weil durch einen Gebietstausch ihre Planeten an die cardassianische Union fielen. Der Maquis wird schon in „The Next Generation“ eingeführt, mit der Figur der Bajoranerin Ro Laren, die aus dem Gefängnis entlassen wird, um als Kontakt den Maquis zu unterwandern, sich dann jedoch gegen die Föderation und für den Maquis entscheidet.   

Norbert Reichel: Ro Laren habe ich nachher sehr vermisst. Eigentlich eine tolle Figur.

Sebastian Stoppe: Sie sollte eigentlich als die Figur eingeführt werden, die dann auf „Deep Space Nine“ Kira Nerys spielte, aber Michelle Forbes, die Schauspielerin, war nicht verfügbar. Das sind eben die ökonomischen Zwänge, die immer wieder eine Rolle bei der Weiterentwicklung einer Serie spielen.

Ro Laren, Michael Eddington, der Maquis überhaupt sagen ganz bewusst, dass in der Föderation doch nicht alles in Ordnung ist, wenn an der Peripherie die Rechte von Menschen missachtet werden. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum Deep Space Nine nicht im Zentrum, sondern irgendwo am Rande der Föderation liegt, wo man mit dem konfrontiert wird, das um die Föderation herum geschieht. Das wird in „The Next Generation“ lange kaum angesprochen. Die Geschichte der Ro Laren ist eine Ausnahme. Das Thema der Peripherie spielt dann auch in dem Film „Insurrection“ eine Rolle.

Norbert Reichel: In „Insurrection“ stellt sich heraus, dass die beiden streitenden Spezies ein und dieselbe sind. Die eine deformierte sich physisch, die andere dank der Bedingungen des Planeten, auf dem sie leben, nicht.

Sebastian Stoppe: Das ist die Frage nach Gerechtigkeit und unterschiedlicher Entwicklung unter verschiedenen Rahmenbedingungen.

Norbert Reichel: Eine weitere Ausnahme ist die Folge „Journey’s End“ in „The Next Generation“. Wesley Crusher, der Hochbegabte, wird von einer Person, die sich „The Traveler“ nennt, überzeugt, sich ihm anzuschließen, was er dann auch tut. In dieser Folge hat Picard den Auftrag, eine Gruppe von Föderations-Mitgliedern, eine indigenen Bürger:innen der beiden Amerikas ähnelnde Gruppe, zu evakuieren, da der Planet jetzt den Cardassianern gehöre. Die Gruppe weigert sich. Diese Situation zeigt aber auch, dass die Föderation an ihren Grenzen keinen Einfluss hat, ihre eigenen Bürger:innen zu schützen. Das legitimiert den Maquis in seinen Zielen.

Sebastian Stoppe: Der Maquis entsteht, weil an den Randbereichen die Autorität des Staates, also der Föderation, bröckelt und der Staat über die Leute hinweg entscheidet. Das war in diesem Fall Teil des Friedensvertrags zwischen der Föderation und Cardassia. Es wurde über Menschen verfügt, und die Föderation hat kein Interesse gezeigt, auf diese Menschen zu hören, weil sie am Rand leben und strategisch für die Föderation keine große Bedeutung haben.

Norbert Reichel: Interessant finde ich, dass es sich in „Journey’s End“ um eine Gruppe von Indigenen handelt, die wir als Zuschauer als Minderheit identifizieren. In „Ensign Ro“ in „The Next Generation“ und auch den Folgen mit Michael Eddington in „Deep Space Nine“ geht es nicht um Indigene, sondern um Menschen, die sich nicht von der Mehrheitsgesellschaft der Föderation unterscheiden.

Sebastian Stoppe: Der Maquis stellt die Politik der Föderation grundsätzlich in Frage und damit auch die Utopie der Föderation. Eddington ist – trotz seiner wenigen Auftritte – eine zentrale Figur. Er ist das Sprachrohr des Maquis. Er bezeichnet die Föderation in einem Gespräch mit Sisko sogar als schlimmer als die Borg („For the Uniform“). Die Utopie der Föderation ist für ihn nicht erstrebenswert. Das ist das erste Mal, dass die Utopie der Föderation so klar und deutlich in Frage gestellt wird. Sisko ist einerseits der bajoranische Messias, aber andererseits auch der große Befürworter der Idee der Föderation. Und er ist – vielleicht auch aufgrund seiner Sympathie für Bajor – empathisch genug, dass er das Anliegen des Maquis versteht. Er sagt aber ebenso klar, dass er bei allem Verständnis, auch bei dem Wissen, nicht alles richtig zu machen, die Idee der Föderation durchsetzen will.

Norbert Reichel: In „Blaze of Glory“ sagt Sisko nach dem Tod von Eddington, dass dieser der loyalste Mensch gewesen sei, den er kennengelernt habe.

Sebastian Stoppe: Auch Picard ist schon jemand, der gelegentlich zweifelt. Kirk setzt sich über Regularien einfach hinweg, in Wild-West-Manier. Von den dreien ist Sisko der Reflektierteste, wenn man sich das Gesamtgebilde der Föderation anschaut. Er hinterfragt sich und denkt darüber nach, ob es das Richtige ist, was er tut, ob das die Gesellschaft ist, in der er leben möchte.  

Norbert Reichel: Dann heiligt doch der Zweck die Mittel, sehr deutlich in der Folge „In the Pale Moonlight“, in der Sisko es mit Garaks Hilfe schafft, die Romulaner in die Koalition gegen das Dominion hineinzutreiben. Das gelingt über eine terroristische Attacke Garaks, die dem Dominion zugeschrieben werden kann.

Sebastian Stoppe: Siskos Integrität als Sternenflottenoffizier verbietet es ihm, dass er Garak befiehlt, so zu verfahren, wie dieser dann verfuhr. Aber Garak sagte zu Recht, er habe doch genau das getan, was Sisko implizit gewollt habe. Das stürzt Sisko in Selbstzweifel, aber er akzeptiert schließlich das Ergebnis. Durch den Eintritt der Romulaner in die Koalition gegen das Dominion wird schließlich eine entscheidende Voraussetzung geschaffen, den Kriegsverlauf zu wenden.

Die Borg – die Antithese außerhalb der Föderation

Norbert Reichel: Das zählt, im Grunde eine Güterabwägung im Nachhinein. Schauen wir uns in dem Kontext auch einmal „Voyager“ an. Sie haben in Ihrem Buch den Delta-Quadranten als ein Territorium von „Failed Planets“ bezeichnet. Eine zentrale Rolle in diesem Territorium spielen die Borg.

Sebastian Stoppe: „Voyager“ macht im Grunde da weiter, wo „Deep Space Nine“ aufhört. Der Maquis-Gedanke wird in „Voyager“ aber sehr schnell beerdigt, weil die beiden Crews zusammenarbeiten müssen, um zurück in den Alpha-Quadranten zu finden. Den Dominion-Krieg bekommen sie im Delta-Quadranten gar nicht mit. Es gibt am Anfang auch noch Friktionen und Reibereien zwischen den beiden Crews, aber sie müssen eben zusammenarbeiten. Der Zusammenhalt wird intensiv von Chakotay, dem ehemaligen Captain des Maquis-Schiffs und jetzigem Ersten Offizier der Voyager, betrieben, der die Friktionen tatkräftig auflöst, mit klaren Worten, mitunter sogar mit Gewalt, weil er versteht, worum es geht. Er sagt, wir kommen hier nicht heraus, wenn wir uns gegenseitig bekriegen. Hier setzt sich der Föderationsgedanke wieder durch.

Und Janeway ist eine Art beschützende Mutterfigur, die diese Ideale der Föderation auf dem Schiff um jeden Preis aufrechterhalten möchte. Das sei die Norm- und Werteskala, das einzige, woran sich die Crew im Deltaquadranten halten könne. Wenn diese Werte aufgegeben werden, hört man auf, Föderation zu sein und den Idealen nachzueifern.

Norbert Reichel: Sie versucht, überall Verträge abzuschließen, sogar mit den Borg („Scorpion I und II“).

Sebastian Stoppe: Das sind strategische Verträge. Sie nutzt aus, dass die Borg erkennen, so rational wie sie sind, dass sie im Fall der Bedrohung durch Spezies 8472 gemeinsam handeln müssen. Janeway sieht, dass sie in dem Geflecht der schlecht oder wenig organisierten Staaten im Deltaquadranten ihr Ziel, die Crew zurück in den Alpha-Quadranten zu bringen, nur erreichen kann, wenn sie eine Allianz mit den Borg eingeht. Damit hat sie keine Probleme, auch gegen Widerstand aus der Crew.

Die große Erzählung von „Voyager“ ist der Gegensatz zwischen Borg und Föderation. Die Borg sind im Grunde die Antithese zur Föderation, dann sind sie sich aber auch wieder einander ähnlich, wie der Vergleich von Eddington zeigt. Die Borg zeigen, was kann geschehen, wenn man über die technologische Entwicklung den Menschen – oder eben da nicht alle Menschen sind – Humanoide erweitern kann.

Norbert Reichel: Eine Spielart von Transhumanismus. Wir haben das bei einzelnen Personen wie bei Data, dem holographischen Doktor, bei den Borg ist es das gesamte System.

Sebastian Stoppe: Aber man findet es auch in kleinen Aspekten wie den Dialogen auf dem Holodeck zwischen Janeway und Leonardo da Vinci als großem Erfinder. Es ist die Frage, was bedeutet die Technologisierung der Gesellschaft, die wir schon in den 1990er Jahren, in denen „The Next Generation“, „Deep Space Nine“ und „Voyager“ entstanden, diskutierten? Heute haben wir Smartphones, Bluetooth-Kopfhörer, GPS, Debatten um Künstliche Intelligenz. Ich habe mir kürzlich beruflich in Magdeburg eine mögliche Fabrik der Zukunft angeschaut, wo viele Assistenzsysteme den Menschen beim Herstellen von Dingen unterstützen sollen. Wohin führt die technologische Entwicklung? Wo beginnt die Überwachung oder gar die Inbesitznahme des Menschen? Ist es möglich, dass mir irgendwann ein Chip implementiert wird und ich dann nicht mehr auf einen Bildschirm schaue, sondern das, was ich sehen will, auf meine Netzhaut projiziert wird? Und könnte man mich dann über diesen Chip auch gegen meinen Willen beeinflussen oder steuern?

Norbert Reichel: Nur am Rande. Das ist meines Erachtens inzwischen ein Kernthema der Science Fiction, nur einige Beispiele: die Romane von Dave Eggers, „The Circle“ und „Every“, oder von Raphaela Edelbauer in „Dave“. Es gibt eigentlich immer mehr zu dem Thema. Das Thema der Künstlichen Intelligenz haben wir dann bei Star Trek in „Discovery“, vor allem in der zweiten Staffel, in „Picard“, dort massiv in der ersten Staffel. Dazu kommt die in Star Trek ständig präsente Frage der genetischen Verbesserung des Menschen, die in der Föderation nach den Eugenischen Kriegen verboten ist, aber sich letztlich auch nicht verbieten lässt und sogar unter bestimmten Umständen akzeptiert werden kann, wie wir in den Figuren von Julian Bashir in „Deep Space Nine“ und Una Chin-Riley in Strange New Worlds sehen.    

Sebastian Stoppe: Die Frage lautet doch, kann ich die implementierten und eben auch implantierten Geräte überhaupt noch ausschalten? Oder verschmilzt das so stark mit mir, dass ich ohne gar nicht mehr leben kann? Das ist das Thema der Borgtechnologie, diese völlige Abhängigkeit, gleichzeitig aber die Möglichkeit, als Schwarmintelligenz eine Gesellschaftsform aufzubauen, die nicht auf Diskussion, Konsens, Wahlen, Verständigung aufbaut, sondern auf Gleichschaltung.

Norbert Reichel: Wir haben die Smart-Watches, die Eltern den Kindern anziehen, damit sie immer wissen, wo sie sind. Pferde und Hunde werden gechippt. Warum nicht auch Menschen? Bei Dave Eggers gibt es diese Fantasie. Über solche Systeme ließe sich auch Wohlverhalten kontrollieren, gemäß dem chinesischen System.

Sebastian Stoppe: Das sind genau die Themen, die in der Gegenüberstellung von Borg und Föderation verhandelt werden.

Jeri Ryan, Darstellerin von Annika Hansen aka Seven of Nine auf der San Diego Comic Con International 2019. Foto: Gage Midmore. Wikimedia Commons.

Norbert Reichel: Beispielsweise beim Thema der Re-Individualisierung einzelner Borg-Drohnen, vor allem von Seven of Nine und Icheb in „Voyager“, Hugh in „The Next Generation“ („I Hugh“). Icheb und Hugh haben einen Auftritt in der ersten Staffel von „Picard“. Beide überleben dort nicht. Auch die Geschichte ist nicht uninteressant, als Chakotay mit einer Gruppe von vom Kollektiv getrennten Drohnen kommuniziert, die aber unter sich eine Art Neben-Hive-Mind geschaffen haben („Unity“).

Sebastian Stoppe: Oder die Geschichte, als Seven of Nine vor ihrer Zeit auf der Voyager mit drei anderen Drohnen auf einem Planeten landet, alle vier vom Kollektiv getrennt sind, und langsam ihre Erinnerungen an die Zeit zurückkommen, bevor sie zu Borg assimiliert worden sind. Seven ist diejenige, die das Kollektiv unbedingt zusammenhalten will, weil sie als Kind assimiliert wurde – und gar kein anderes Leben mehr erinnert „Survival Instinct“. Dann die „Unimatrix Zero“, in der sich Borg-Drohnen in ihren ursprünglichen Erscheinungsbildern treffen und die Voyager dazu beiträgt, dass Zellen des Aufstands gegen das Kollektiv erhalten bleiben.

Norbert Reichel: Ich würde hier von Utopien in der Dystopie sprechen.

Sebastian Stoppe: Vielleicht kann man auch sagen, dass mit diesen Folgen der Wunsch nach dem Erhalt des eigenen Ichs, außerhalb des großen Ganzen, diskutiert wird. Bei den Borg ist man austauschbar, da spielt der:die Einzelne keine Rolle mehr. Aber das möchte in der Gesellschaft eigentlich niemand. In der Föderation sind alle individuell, gleichzeitig in einer Rolle und in einer Hierarchie eingebunden, die das gesamte System am Leben erhält. Einer allein kann das nicht alles schaffen, wir müssen zusammenarbeiten. Jeder trägt mit seinen Fähigkeiten dazu bei, die Gesellschaft aufrechtzuerhalten.

„Enterprise“ und das dunkle Star Trek der 2010er und 2020er Jahre

Englischsprachige Neuausgabe mit einem zusätzlichen Kapitel über das dunklere Star Trek von dem 2000er Jahren bis heute.

Norbert Reichel: Vielleicht ein paar Worte zu „Enterprise“, eine meines Erachtens oft unterschätzte Serie im Star-Trek-Franchise. Leider nur vier Staffeln, die finale Folge der vierten Staffel, in der wir den Gründungsakt der Föderation erleben, hätte man auch am Ende einer siebten Staffel platzieren können.

Sebastian Stoppe: „Enterprise“ hat der Fluch der Originalserie erreicht. Es hat einfach nicht mehr genug in die Kasse gespült.

Norbert Reichel: „Enterprise“ hat die Botschaft, dass die Menschen so friedlich sein können wie sie wollen, aber die Welten um sie herum sind nicht so. Die dritte Staffel ist sicherlich ohne 9/11 nicht denkbar. Im Grunde sehen wir eine Dystopie, die dann am Schluss, in der letzten Folge, die sechs Jahre später spielt als alles, was wir zuvor gesehen haben, wiederum doch in die Utopie umschlägt, die wir dann in der Originalserie und in „The Next Generation“ sehen.

Sebastian Stoppe: Man sollte „Enterprise“ im Zusammenhang mit dem Kinofilm „The First Contact“ sehen. Dort wird der Gründungsmythos der Föderation gezeigt. Das ist das, was ich anfangs meinte, als ich von einem radikalen Bruch sprach, den es bei einer Utopie geben müsse. Das ist eben keine lineare Entwicklung. Dieser radikale Bruch ist der fiktive Dritte Weltkrieg mit Nukleareinsatz und 600 Millionen Toten.

Norbert Reichel: Der Dritte Weltkrieg soll 2026 beginnen – so heißt es bei Star Trek.

Sebastian Stoppe: Wir hoffen alle, dass die Prophezeiung von Star Trek in diesem Fall nicht eintritt.

Norbert Reichel: Es gibt Hoffnung, die Eugenischen Kriege haben ja auch nicht stattgefunden, in denen der genetisch optimierte Khan Noonien Singh mit seinen ebenso optimierten Gefolgsleuten die Welt unterjochte.

Sebastian Stoppe: Dafür leider andere. Jedenfalls entwickelt sich daraus der Versuch der Vereinten Erde, mit den Vulkaniern, den Andorianern und anderen diese Föderation zu schmieden. Aber da sind auch die Aushandlungsprozesse davor. Ich denke, wenn man „Enterprise“ und „The First Contact“ im Zusammenhang sieht, zeigt sich, dass das der Versuch ist, aus der Sicht der Star-Trek-Autor:innen zu erzählen, wie eine Utopie, ein Idealbild entstehen könnte.

Norbert Reichel: Im Zusatzkapitel der Neuauflage Ihres Buches sprechen sie von einem „dunkleren“ Star Trek.

Sebastian Stoppe: Ich glaube, ich spreche für viele, wenn ich sage, dass ich als Star-Trek-Fan, als ich zum ersten Mal „Discovery“ anschaute, dachte, das ist doch kein Star Trek. Mein Eindruck war auch, das ist nicht mehr meine Föderation.

Norbert Reichel: So ging es mir auch. Schon die Ästhetik ist eine andere, obwohl mir die Intros viel besser gefielen als bei Originalserie und den Serien der 1990er Jahre.

Sebastian Stoppe: Die Ästhetik hängt sicherlich auch damit zusammen, dass das jetzt im Streaming läuft. Es sind andere Produktionsbedingungen, die eine andere Erzählweise bedingen. Bisher waren es immer etwa 25 Folgen in einer Staffel, die dann in einer Jahreshälfte gezeigt wurden. Das lief wie ein Uhrwerk von Herbst bis Frühjahr. Jetzt sind es etwa jeweils zehn bis maximal fünfzehn Folgen pro Staffel, die eine in sich geschlossene Geschichte erzählen. Bei „Strange New Worlds“ löst sich diese inhaltliche Stringenz einer Staffel wieder etwas auf.

Aber der Inhalt von „Discovery“ und „Picard“ ist selbst im Vergleich zu „Deep Space Nine“ düster. In der ersten Staffel von „Discovery“ ist es nicht nur der Krieg zwischen Föderation und Klingonen, der sehr brutal gezeigt wird, sondern auch das Spiegeluniversum als Umkehr der guten Idee der Föderation. Dazu müssen wir auch zu „Enterprise“ kurz vor dem Ende der vierten Staffel zurückgehen, zu der Doppelfolge „In A Mirror Darkly“, wo die Begegnung zwischen Cochrane und den Vulkaniern – der Erste Kontakt – anders ausgeht. Cochrane erschießt die Vulkanier und legt damit die Basis für das faschistische terranische Imperium, das dann in „Discovery“ weitergedacht wird. Das ist so ein kleines „Was-wäre-wenn“-Spiel, mit dem Spiegeluniversum zu zeigen, wie sich Geschichte entwickeln könnte, wenn man irgendwo falsch abbiegt.

Was die neuen Serien auszeichnet – hier greife ich schon ein wenig dem Buch vor, das ich mit Katja Kanzler herausgebe – ist, dass diese Serien viel stärker auf die vorausgehenden Serien zurückgreifen als beispielsweise „Deep Space Nine“ auf „The Next Generation“. Vieles, das in früheren Episoden nur angerissen wurde, wird jetzt ausgeführt. Das sieht man an dem klingonischen Krieg, später an der Zukunft im 32. Jahrhundert.

Es zeigt sich aber auch, dass das der Blick ist, den wir in den 2010er und 2020er Jahre auf die Welt haben, es ist ein wesentlich pessimistischerer Blick auf die Welt, obwohl der gute Gedanke immer festgehalten wird.

Norbert Reichel: Insofern kann man „Enterprise“ als Wendepunkt betrachten, vor allem mit der dritten Staffel und den Vernichtungsabsichten der Xindi, hinter der wiederum eine andere Spezies steckt, die die Xindi mit – so könnte man sagen – Fake News versorgt hatte, dann in der vierten Staffel die beiden genannten Folgen im Paralleluniversum sowie der vorletzten Folge „Terra Prime“, in der wir es mit einer nationalistischen Erd-Bewegung zu tun haben, die die „Erde zuerst“ postuliert, die Abschlussfolge mit dem Gründungsakt der Föderation folgt. „Terra Prime“ nimmt auch einen Gedanken der Folge „Home“ vom Beginn der vierten Staffel auf, als Phlox einen fremdenfeindlichen Angriff auf der Erde erlebt, der ihn veranlasst, sich wieder auf das Schiff zurückzuziehen. Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus haben wir in „Enterprise“ auf der Erde, nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart, und nicht auf fernen Planeten.

Sebastian Stoppe: Am Ende der ersten Staffel von „Discovery“ hatte ich meinen Star-Trek-Moment wieder. Burnham hält vor dem Föderationsrat eine große Rede, in der sie sagt, wir müssen uns auf unsere guten Werte besinnen, das ist das, was die Föderation ausmacht. Eben nicht eine Diskussion, in der man darüber nachdenkt, ob man den Krieg mit den Klingonen mit einem Völkermord beendet, indem man eine Bombe auf dem klingonischen Heimatplaneten platziert. Das lehnte Burnham ab, weil es nicht den Werten der Föderation entspricht („Will You Take My Hand?“). Ihrer Ansicht nach darf Verzweiflung niemals die moralische Autorität zerstören und man selbst nie die Regeln brechen, die uns selbst vor niedersten Instinkten schützen sollen. Das sind genau diese Werte.

Norbert Reichel: Das Thema der möglichen Beendigung eines Konflikts durch Völkermord haben wir in den früheren Serien auch. In „Deep Space Nine“ infiziert Section 31 die Gründer, die „Founders“, mit einem Virus. Sisko hält sich zunächst zurück, als er davon erfährt. Der Genozid wird jedoch verhindert, weil Bashir ein Heilmittel findet, mit dem er erst Odo heilt, der dann nach dem Ende des Krieges auf seinen Heimatplaneten zurückkehrt und The Great Link heilt. Das haben wir in „The Next Generation“, als Picard vor der Frage steht, ebenfalls einen Virus zu verbreiten, der die Borg infiziert und vernichtet.

Sebastian Stoppe: Beides ist ganz ähnlich wie Burnhams Konflikt mit ihren moralischen Werten und beide Dinge fallen später auf die Föderation zurück. Es wirkt sich in der dritten Staffel von „Picard“ aus. Wir haben die Borg-Königin, die vom Virus zerfressen ist und deshalb mit den Changelings eine Allianz eingeht, um ihr Überleben zu sichern. So vermitteln die späteren Szenen die Botschaft, dass alles, was wir an Technologien entwickeln, aber auch alles, was wir entscheiden damit zu tun, zu einer späteren Zeit auf uns zurückschlagen könnte. Also stellt sich die Frage: Macht man das? Ist das ethisch vertretbar? Sollte man etwas, das man könnte, vielleicht doch lieber lassen?

Ich sehe Star Trek als Spiegel, der uns vorgehalten wird, uns zeigt, wie wir leben könnten, aber auch, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen auf eine ganze Gesellschaft haben können. Da ist Star Trek sehr nahe an den utopischen Ideen traditioneller Staatsutopien.

Norbert Reichel: Das spricht dafür, dass Star Trek ein politisches Projekt ist.   

Sebastian Stoppe: Und als politisches Projekt wahrgenommen wird. Es ist in der Medienforschung natürlich immer die Frage, ob die Autor:innen das so wollten oder ob es unsere Wahrnehmung ist – die Wahrnehmung der Zuschauer:innen und der Forschenden, wie in meinem Fall. Ich denke, es ist eine Mischung von beidem. Am Anfang war es noch nicht so gedacht. Roddenberry hatte als großer Humanist Ideen, die er transportieren wollte. Aber dass diese Ideen auch als utopische Gedankenwelten aufgefasst wurden, hängt damit zusammen, dass in den 1980er Jahren und später Star Trek immer wieder geguckt und dabei entdeckt wurde, dass darin politische Botschaften zu finden sind. Wenn das in der Rezeption so geschieht, beeinflusst das dann auch die Konzeption der Weiterentwicklung. In „The Next Generation“ haben wir das dann gesehen.

Norbert Reichel: Das erinnert mich an Siegfried Kracauers „Von Caligari zu Hitler“, das 1947 etwa gleichzeitig mit Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ erschien. Kracauer sprach von der Wechselwirkung zwischen Produktion und Rezeption beziehungsweise zwischen den Intentionen der Filmemacher und den Einstellungen und Erwartungen des Publikums. Das sind im Grunde kommunizierende Röhren, eigentlich auch ein klassisch kapitalistisches Modell der Interdependenzen zwischen Angebot und Nachfrage. Fiktionen können auch Realitäten schaffen, wenn die Zeit reif dazu ist, im Guten wie im Schlechten.

Mit all dem, was wir besprochen haben, denke ich: Star Trek eignet sich in all seinen Facetten meines Erachtens hervorragend als Gegenstand politischer Bildung.

Sebastian Stoppe: Nicht nur politischer Bildung. Historische Bildung zum Beispiel. Ich denke ohnehin, dass in der schulischen Bildung die Einbeziehung von Medien viel viel stärker stattfinden müsste. Gerade aus der Populärkultur, die in Deutschland immer etwas abfällig genannt wird, was in anderen Ländern nicht der Fall ist, kann man viel lernen, denn dort wird genauso unsere Gegenwart verhandelt wie in Büchern, die der sogenannten Hochkultur zugerechnet werden. Es ist egal, ob das Science Fiction ist oder Dinge, die in unserer Zeit spielen, beispielsweise in Gesellschaftsserien.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Januar 2024, Internetzugriffe zuletzt am 2. Januar 2024. Das Titelbild zeigt den Hintergrund der von Martin Reif kuratierten und moderierten Star-Trek-Reihe der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit, zu der auch Sebastian Stoppe in mehreren Episoden beitrug.)