Trauma und Katharsis
Potenziale der Dramatherapie in Zeiten des Krieges in der Ukraine
„Luftalarm über Kyiv. Beachten Sie weitere Informationen. Wie geht es Ihnen?“ (Luftalarm! App, 2024)
„The purpose of playing (…) is (…) to hold the mirror up to nature, to show Virtue her (own) feature, scorn her own image, and the very age and body of the time his form and pressure.“ (William Shakespeare, Hamlet, Act III, Szene II, ins Deutsche übersetzt von Frank Günther: „Ziel der Schauspielerei (…) ist, der Natur sozusagen den Spiegel vorzuhalten; der Tugend ihr Gesicht, dem Verächtlichen sein Abbild zu zeigen, und dem eigenen Zeitalter und Wesen der Gegenwart seine Gestalt und Prägung.“)
Im Jahr 2023 hatten mehr als ein Drittel der in der Ukraine lebenden Erwachsenen eine diagnostizierbare psychische Störung, weitere 57 Prozent waren in der Gefahr, solche Störungen zu entwickeln. Unglücklicherweise wurde das schon vor der russischen Vollinvasion unterfinanzierte ukrainische Gesundheitssystem durch den Krieg beschädigt. Es kämpft damit, den steigenden Bedarf der medizinischen Versorgung aufrechtzuerhalten. Wenn man sich mit der Krise der psychischen Gesundheit in der Ukraine beschäftigt, erfordert dies einen mehrperspektivischen Zugang. Ein Mittel könnten evidenzbasierte kreative Kunsttherapien bieten, insbesondere Dramatherapie, die messbar angewandt werden könnten, um Menschen in der Ukraine zu helfen, Stress zu bewältigen, mit den Symptomen umzugehen und sich selbst zu stärken.
Dieser Artikel erforscht das Potenzial der Dramatherapie in der Ukraine auf der Grundlage von Drama-Therapie-Workshops in Lviv, Irpin und Kyiv im April 2024. Der erste Teil beschreibt die Ziele der Dramatherapie und ihre Evidenzgrundlage. Der zweite Teil bietet einen Überblick über die Methode der Development Transformations (DvT), einer Technik, in der Therapeut beziehungsweise die Therapeutin mit einem oder mehreren Klient:innen in einem miteinander geschaffenen Raum dramatisch und improvisierend interagieren. Der dritte Teil diskutiert DvT-Workshops in der Ukraine vom April 2024, an der 200 ukrainische Psycholog:innen, Studierende und Künstler:innen teilnahmen.
Ziele und Evidenz der Dramatherapie
Die Wurzeln der Dramatherapie reichen zurück bis in das alte griechische Theater, in dem Stücke aufgeführt wurden, um Katharsis im Publikum zu bewirken, eine Befreiung tiefer Gefühle. In „The Body Keeps the Score“ (2015) schrieb der niederländisch-amerikanische Psychiater Bessel van der Kolk, dass „Theater Überlebenden eines Traumas die Chance gibt, sich miteinander zu verbinden, indem sie ihre gemeinsame Menschlichkeit tief erfahren“. Dramatherapie sucht eine vergleichbare Wirkung, aber sie arbeitet mit Patient:innen eher als aktiven Teilnehmer:innen denn als passiven Beobachter:innen.
Mehr als einhundert Jahre zuvor entwickelte der rumänische Psychiater Jacob Moreno in Wien und später in den USA das Psychodrama, in dem eine Person die relevanten Ereignisse ihres Lebens inszeniert anstatt nur darüber zu sprechen. Psychodrama sorgte für einen Aufschwung des Playback-Theater, in dem Schauspieler:innen improvisieren und kurze Stücke aufführen, die auf die persönlichen Geschichten der Mitglieder des Publikums antworten und auf diese Weise eine gewaltige Wirkung schaffen. Dramatherapie entwickelte sich als ein eigenes Feld in den USA und im Vereinigten Königreich seit etwa den 1930er und 1940er Jahren und vereinigte in sich Elemente des Psychodramas und des Playback, bezieht aber auch fiktive Geschichten ein, einschließlich improvisierter Szenen und Märchen. Dramatherapie wurde auch von psychologieaffinen Schauspielpraktiken beeinflusst, dem „Verfremdungseffekt“ von Brecht, dem „Theater der Grausamkeit“ von Antonin Artaud und dem insbesondere von Jerzy Grotowski inspirierten physischen und experimentellen Theater.
Nach der North American Drama Therapy Association „ist Dramatherapie der zielgerichtete Gebrauch von Drama- und / oder Theaterprozessen um therapeutische Ziele zu erreichen.“ Die British Association of Dramatherapists stellt fest: „Dramatherapie ist eine Form der Psychotherapie. Dramatherapeuten sind gleichzeitig Kliniker und Künstler, die ihr Wissen über Theater und Therapie einbeziehen, um es als ein Medium der Psychotherapie zu nutzen, dass Drama, das Schaffen von Geschichten, Musik, Bewegung und Kunst umfasst, um mit jedem Gegenstand zu arbeiten, wie er sich selbst präsentiert.“
Die Hauptziele der Dramatherapie umfassen a) Ausdruck und Einhegung von Gefühlen, b) Entwicklung der Selbstbeobachtung, c) Ausweitung des Rollenrepertoires, d) Modifikation und Ausweitung des Selbstbildes, e) Erleichterung sozialer Interaktion und Entwicklung interpersonaler Fähigkeiten. Zunehmend haben Dramatherapeuten die Ermächtigung („empowerment“) der Patient:innen als ein weiteres wichtiges Ziel identifiziert. Darüber hinaus legt die Evidenz nahe, dass Theater und Rollenspiel eingeschränkte Glaubenseinstellungen entwirren und Hirnfunktionen verbessern können.
Die Wirksamkeit der Dramatherapie wurde in Hunderten von Büchern und Artikeln, meistens in der Form von Fallstudien, berichtet. Insbesondere beschreibt die Literatur signifikante beobachtete Gewinne der DvT-Dramatherapie, einschließlich bei erwachsenen Psychiatriepatient:innen, missbrauchten Kindern, Kriegsveteran:innen mit posttraumatischer Belastungsstörung und älteren Menschen. Dennoch wird Dramatherapie trotz der Tatsache, dass Krankenhäuser, Kliniken und Schulen in vielen Ländern Dramatherapeut:innen einstellen, einschließlich derjenigen, die DvT praktizieren, oft als weniger seriös, als mysteriös und sogar als riskant angesehen. Das mag daran liegen, dass sich die dominanten medizinischen Modelle auf biologische Behandlungen konzentrieren, es nur eine beschränkte Zahl von Dramatherapeut:innen mit quantitativer Forschungserfahrung gibt und finanzielle Anreize für Forschung zur Dramatherapie fehlen (im Vergleich zu den Bedingungen pharmazeutischer Forschung). Gleichwohl werden quantitative in Peer-Verfahren überprüfte Studien zur Dramatherapie immer öfter in Zeitschriften publiziert.
Systematische quantitative Studien der Dramatherapie haben herausgefunden, dass sich das soziale Verhalten von Erwachsenen mit einer Psychose verbesserte, dass sich bei Erwachsenen mit psychischen Störungen in forensischen Kontexten Wut verringerte und emotionale Aktivierungen verstärkten, und dass Erwachsene, die Drogen einnahmen, Abstinenzziele aufrechterhielten oder verbesserten, verbunden mit dem Erreichen einer höheren Lebensqualität und höherem sozialen und beruflichem Engagement. Systematische Studien zur Dramatherapie mit Kindern fanden Verbesserungen bei Traumasymptomen und im sozialen Verhalten, im Umgang und in der Regulierung von Prozessen und kognitiver Entwicklung. Andere systematische Studien ergaben eine übergreifende mittlere Wirkung dramagestützter Therapien (Psychodrama und Dramatherapie) sowohl im Hinblick auf psychologische wie auf verhaltensbezogene Ergebnisse psychischer Gesundheit. Sie ergaben auch, dass dramagestützte Interventionen das Potenzial haben, psychische Gesundheit zu verbessern, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen und psychischem Wohlbefinden. Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die quantitative empirische Basis für Dramatherapie schmal ist und dass viele Studien methodologische Ungenauigkeiten aufweisen, beispielsweise im Fehlen von Kontrollgruppen. Größere, methodologisch robustere Studien werden hoffentlich diese Mängel bearbeiten.
Die Developmental Transformations (DvT) Dramatherapie-Methode
DvT ist eine Dramatherapiemethode, die von David Read Johnson von der Yale University in den 1980er Jahren entwickelt wurde. Johnson definiert Dramatherapie als den „Gebrauch dramatischer Prozesse mit dem Ziel der Steigerung des Zugangs der Klient:innen zur Toleranz innerer Zustände, die unterdrückt wurden, als inakzeptabel gekennzeichnet oder als bedrohlich gesehen werden“. In DvT übernehmen der Therapeut beziehungsweise die Therapeutin eine Vielfalt von Rollen, um die Patient:innen durch dramatische Strukturen von zunehmender Komplexität zu führen, von nichtverbalen Äußerungen und Bewegungen zu Bildern, Charakterentwicklung, strukturierten Szenen und schließlich unstrukturierten Szenen.
DvT beruht auf Konzepten aus drei Feldern: psychodynamischer Psychotherapie, Entwicklungspsychologie und Improvisationstheater. Freuds Psychoanalyse und freie Assoziationstechniken erweiterten sich zu objektbezogener Psychologie, die auf das Verständnis und die Verbesserung der Beziehungen mit anderen Menschen fokussiert. Der britische Psychiater Donald Winnicott konzeptualisierte drei psychologische Räume: a) den inneren Raum der Psyche, einschließlich des Ego, b) den potenziellen (oder im Übergang befindlichen („transitional“) Raum, der eine Erweiterung der Grenzen des Ego gegenüber der Außenwelt ist, c) die Außenwelt. Das Ziel der Therapie ist es, Patient:innen so weit zu bringen, dass sie in der Lage sind, im Übergangsraum zu spielen. DvT einverleibt den Übergangsraum in den Spielraum („playspace“) – einen sicheren imaginativen Raum, in dem Patient:innen sich selbst dramatisch ausdrücken können und in dem der Therapeut, die Therapeutin aktiv als „Akteur“ teilnimmt, die Beteiligung der Patient:innen überwacht („monitoring“) und eingreift („intervening“), um den Fluss der Sitzung anzupassen.
DvT beruht ebenso auf der Entwicklungspsychologie, insbesondere der Arbeit von Jean Piaget, der lehrt, dass das Leben eine Reise durch Phasen ist (sensorisch, symbolisch, reflektiv), und dass je mehr die Entwicklung vorangeht, es desto weniger notwendig ist, dass die äußere Umgebung mit klaren Grenzen, Regeln und Erwartungen strukturiert wird. Übersetzt in DvT bedeutet dies, dass es nicht das Ziel der Entwicklung ist, die höchsten Ziele zu erreichen und sich darauf zu beschränken, sondern eher die eigene Reichweite sich auszudrücken zu erweitern. DvT-Therapeut:innen beobachten drei Dimensionen des Spiels: a) der Grad der Struktur und Komplexität in dem sich Patient:innen engagieren, bezogen auf ihre räumlichen Arrangements, Rollen und Aufgaben, b) die Ausdrucksmedien der Patient:innen einschließlich ihrer Bewegungen, Äußerungen, Bilder und ihres Sprachgebrauchs, c) die interpersonalen Bedürfnisse und emotionalen Äußerungen der Patient:innen, in einem Spektrum von einer Distanzierung mit wenig oder keiner Interaktion mit anderen bis zu intensiver Interaktion mit anderen. Der Therapeut beziehungsweise die Therapeutin erzeugt Hypothesen zur Gruppe und individuelle Themen und Belange, improvisiert und verändert das Spiel durch unterschiedliche Intervention, die unten noch beschrieben werden. Schließlich verbindet DvT Transformationen, eine Improvisationstechnik des Theaters, in der eine Szene ohne Planung oder Unterbrechung in eine andere fließt.
Wie von Johnson beschrieben und vom Autor übernommen geht jede DvT-Situung durch zehn Phasen voran:
- Erster Schritt: Die Begrüßung („greeting“) durch den Therapeuten beziehungsweise die Therapeutin, um eine Atmosphäre des Willkommenseins zu schaffen. Der Therapeut lädt die Gruppe ein, einen Kreis zu bilden, im Stehen oder im Sitzen, und erklärt wie die Sitzung vorgeht.
- Zweiter Schritt: Der Therapeut führt die Gruppe spielerisch durch ein physisches und vokales Aufwärmen („a physical and vocal warmup“), zum Beispiel durch einfache Dehnungsübungen mit Armen und Beinen oder das Aussprechen von Vokalen. Er ermutigt Gruppenmitglieder zum Augenkontakt und zur Dehnung der Gesichtsmuskulatur, eine Übung, die immer wieder Lächeln und Lachen hervorlockt.
- Dritter Schritt: Der Therapeut führt die Gruppe in den Raum des Spiels („playspace“) durch ein Eingangsritual („entrance ritual“) beispielsweise durch das dramatische Schreiten durch „den magischen Therapievorhang“. Dies entwirft ein psychologisches Reich, dass sich vom Alltagsleben unterscheidet, auch wenn es denselben physischen Raum einnimmt.
- Vierter Schritt: Der Therapeut führt die Gruppe durch eine Aktivität des Gleichklangs („unison activity“), die aus einer wiederholten Bewegung und einem wiederholten Klang besteht. Beispielsweise breitet der Therapeut seine Arme über seinem Kopf aus und bittet dann die Gruppe, die Geste mit ihm von ihren Positionen im Kreis aus zu wiederholen. Nachdem die Gruppe dies einige Male umhergehend getan hat, gibt der Therapeut die Bewegung an die Person zu seiner Rechten weiter, die mit einer neuen Geste fortfährt, die die Gruppe wiederholt. Durch Paarbildung („pairing“) bittet der Therapeut jedes Mitglied der Gruppe, die Geste an die Person weiterzugeben, die neben ihr oder gegenübersteht. Das bewirkt Engagement, ohne die Geste zu forcieren, um etwas in dieser frühen Phase zu „werden“. Typischerweise wird diese Phase von viel Gelächter begleitet, da sich die Gruppenmitglieder mit den Anteilen ihrer selbst miteinander verbinden, die frei und offen sind. Dann fügt der Therapeut einen Klang zur Geste, zum Beispiel ein Grunzen, um die Ausbreitung seiner Arme über dem Kopf zu begleiten, und die Gruppe wiederholt dies.
- Fünfter Schritt: Der Therapeut bittet die Gruppe, ihre Bewegungen, Klänge und Bilder zu definieren. Wenn beispielsweise Mitglieder der Gruppe die Arme heben und grunzen, fragt der Therapeut: „Was machen wir da?“ Wenn Mitglieder sagen „Wir greifen nach etwas“, fragt der Therapeut „Nach was greifen wir?“ oder „Was ist da oben?“ Der Therapeut sollte ein „Meinungsbild der Gruppe“ erzeugen („poll the group“), indem er jedes Mitglied ermutigt zu antworten und dann die Gruppe bittet zu wiederholen, was andere sagen. Wenn beispielweise ein Mitglied sagt: „Nach Geld“, bittet der Therapeut die Gruppe, die Arme zu heben und „Geld!“ zu sagen. Der Therapeut mag auch Mitglieder fragen „An was erinnert dich das?“ oder „Wie fühlt es sich an?“ Der Therapeut wird dann jedes Mitglied bitten, sich mit dem Bild zu befassen. Wenn beispielsweise ein Mitglied sagt „Schleimiger Stoff!“, sagt der Therapeut, „Jeder greift nach dem schleimigen Stoff und zeigt ihn seinem Nachbarn!“ Wie auch immer das Bild ist, der Therapeut formuliert eine Hypothese über die Themen und Belange der Gruppe. Der Therapeut sollte versuchen, eine Vielfalt von Bildern aus der Gruppe hervorzulocken, von einem zum anderen übergehend.
- Sechster Schritt: Der Therapeut ermutigt die Gruppe, Bilder und Gefühle zu personifizieren, die sie in spezifischen Rollen oder Charakteren entwickelt haben, tierische, quasi-menschliche und menschliche. Wenn die Gruppe zum Beispiel umherstampft und wütende Geräusche macht, fragt der Therapeut Individuen oder die Gruppe „Wer bist du“? „Wer seid ihr?“ oder „Was bist du?“ „Was seid ihr?“ Der Therapeut wiederholt die Antwort mit der größten Energie unter Gruppenmitgliedern und sagt: „Lasst uns alle das sein.“ Wenn die Antwort „Wir sind wütende Riesen“ die Gruppe bewegt, sagt der Therapeut: „Lasst uns alle wütende Riesen sein“ und ermutigt die Gruppe miteinander in dieser Rolle zu interagieren und dem mit Gesten und Klängen Substanz zu geben. Obwohl es verführerisch sein mag, in ein strukturiertes Rollenspiel zu springen, sollte der Therapeut darauf achten, mit einer Vielfalt von Charakteren zu spielen, um auf diese Art und Weise Gruppenthemen zu entwickeln. Verschiedene Techniken können verwendet werden, um das Spiel zu strukturieren:
- Die magische Box. Das ist eine imaginäre Box an der Decke, die Rollen, Gefühle, die Wünsche der Gruppen und Bilder von allen vorangegangenen Sitzungen enthält, positive wie negative. Der Therapeut öffnet die Box dramatisch mit der Hilfe der Gruppe und fragt dann „Was ist da drin?“ und jedes Mitglied der Rolle nimmt daraus eine Rolle oder ein Gefühl und porträtiert es. Die magische Box kann auch als eine Art „Kanal“ („sewer“) dienen, in dem Gefühle wie Wut, Hass und Furcht enthalten sind.
- Die Gefühlssuppe („the Emotional Soup“), aus der Mitglieder versuchen, Gefühle zu entnehmen und sie anderen zu zeigen.
- Zapping („the Zap“), in dem alle Bilder und Rollen in die Mitte der Gruppe platziert werden und so „gezappt“ werden, dass sie alle in etwas anderes verwandelt werden können. Wenn die Gruppe beispielsweise Bilder geschaffen hat, die sie unangenehm findet, kann der Therapeut sie einladen, den „Schmutz aufzuräumen“, indem sie in etwas anderes hinüberzappen.
- Eine Person schaffen. Mit dieser Technik holt der Therapeut eine imaginäre Person aus der magischen Box und die Gruppe muss diesen Charakter entwickeln. Beispielsweise wird der Therapeut ein Gespräch mit dieser Person haben, ihr einen Namen geben, eine Eigenschaft wie beispielsweise „Sohn“ und dann die Person durch die Gruppe „reichen“, indem er jedes Mitglied bittet, mit der Person zu interagieren und zusätzliche Eigenschaften hinzuzufügen wie Namen, Alter, Beruf, Gefühle, Probleme oder Wünsche. Nachdem die Person genügend definiert worden ist, kann der Therapeut mit dieser Rolle fortfahren und Gruppenmitglieder einladen, einer nach dem anderen so weiterzumachen. James und Johnson beschreiben die Anwendung dieser Technik mit US-Veteranen in Vietnam, um einen „Lehmmenschen“ zu schaffen, der zu Politikern oder Autoritätspersonen wurde, über die sie sich aufregten.
Siebter Schritt: Im strukturierten Rollenspiel („structured role play“) spielen Gruppenmitglieder Szenen, die aus den Bildern und Rollen entstehen, die sie geschaffen haben und die Beziehungen verkörpern, die für die Gruppenmitglieder wichtig sind. Das Rollenspiel könnte völlig fiktional sein, aber auch auf Erinnerungen oder realen Lebenssituationen beruhen. Wenn die Gruppe zum Beispiel gespielt hat, Riesen zu sein, und einen Sohn entwickelt hat, kann der Therapeut diese Rollen in eine Szene überführen, indem er Mitglieder einbezieht und sagt: „Wir haben einige wütenden Riesen hier“ oder „Ich bin der gute Sohn“. Er kann ein Setting schaffen, indem er fragt „Wo sind wir?“ Wenn ein Gruppenmitglied sagt „in einem Gerichtssaal“, kann die Szene die wütenden Riesen als Richter einbeziehen und der gute Sohn wird, vielleicht zu Unrecht, eines Verbrechens angeklagt. Der Therapeut kann die Szene strecken, indem er ein Gruppenmitglied als einen anderen Charakter anspricht, den dramatischen Konflikt zu vertiefen. Zum Beispiel mag er in der Rolle als ein Vater in der Gerichtsszene intervenieren und sagen „Lassen Sie meinen Sohn in Ruhe!“ Eine Technik des Psychodramas, der „leere Stuhl“, in dem Gruppenmitglieder zu einer in ihrem Leben wichtigen Person sprechen, kann genutzt werden, um die Struktur zu verstärken. Wenn eine Szene zu emotional und „real“ ist, kann der Therapeut durch Ausklammern („bracketing“) emotionale Distanz erzeugen, indem er die Szene in etwas weniger Belastendes verwandelt wie eine Fernsehtalkshow oder ein Interview, in dem Gruppenmitglieder die Szene kommentieren können.
- Achter Schritt: Im unstrukturierten Rollenspiel erlaubt der Therapeut Mitgliedern, die Führung zu übernehmen, Bilder und Themen zu Szenen zu entwickeln, insbesondere indem er die Beziehung der Gruppe zum Therapeuten anspricht. In dieser Phase fördern drei Techniken das „Empowerment“ der Patient:innen.
- Therapeut-als-Thema („Therapist-as-Subject“). Der Therapeut wird Hauptthema des Spiels „die Ursache des Problems“ und spielt eine Rolle, die dem Bild entspricht, dass die Gruppe von ihm hat. Der Therapeut wird das „Spielobjekt“ der Mitglieder der Gruppe und erlaubt ihnen, ihn in der Spielsituation zu kritisieren oder zu beleidigen. Die Autorität des Therapeuten mag sogar bis zu dem Punkt herausgefordert werden, dass er von der Gruppe in einer eigenen Szene „genichtet“ („annihilated“) wird. Indem er diese „Nichtung“ „überlebt“ und so ein sicheres Gefäß dieser „Nichtung“ in der Spielsituation schafft, hilft er den Patient:innen, Kreativität, Spontaneität und Beziehung zu entwickeln. Ich spielte beispielweise in einer Gruppe mit stabil schizophrenen Patient:innen mit Erfahrungen in Dramatherapie die Rolle eines widerstrebenden Psychiatriepatienten und die Patient:innen wurden zu Ärzt:innen. Die Patient:innen-als-Ärzt:innen genossen es, mir immer härtere Behandlungen zu verpassen (einige davon hatten sie selbst erlebt), von intramuskulären Injektionen mit starken Drogen, Binden in einer Zwangsjacke, Lobotomie (Durchtrennung der Nervenbahnen zwischen Frontallappen und Thalamus), ohne Bedauern, als ich der Behandlung widerstand. Nachdem sie feststellten, dass diese harten Maßnahmen misslangen, wechselten sie zu humanen Behandlungen, wie Gesprächstherapie oder eben Dramatherapie und sahen schließlich positive Ergebnisse. In der Diskussionsphase demonstrierten die Patient:innen Einsicht, stellten fest, wie sie es genossen, Arzt zu spielen, aber einer sagte: „Ich wusste nie, wie schwer Entscheidungen sind“.
- Vorkaufsrecht erwerben („Pre-empting“). In dieser Technik übernimmt der Therapeut die Attribute, die Position oder sogar die Identität der festen Rollen, die Patient:inen üblicherweise übernehmen, um sie in die komplimentäre Rolle zu zwingen, die sie nur schwer übernehmen können. Wenn sich ein Patient oft in einer abhängigen oder unsicheren Rolle spielt, mag der Therapeut diese Rolle übernehmen, um den Patienten in eine unabhängige und vertrauensvolle Rolle zu stoßen.
- Verwandlung ins Hier-und-Jetzt („Transformation to the Here-and-Now“). Darin wird eine Szene in einen Kommentar zu den aktuellen Dynamiken unter den Gruppenmitgliedern verwandelt.
- Neunter Schritt: Schlussritual und Aufhebung der Rolle („Closing ritual and de-roling“). Der Therapeut beendet die Gruppe in einer kontrollierten und sicheren Art. Wenn beispielsweise die magische Box genutzt wurde, bittet der Therapeut die Gruppe, alle Bilder, Rollen und Szenen der Sitzung hineinzuwerfen, indem sie sie eines nach dem anderen für eine sichere Aufbewahrung benennen. Dann lädt der Therapeut ein, vor den magischen Dramatherapie-Vorhang zu treten und ihn an die Decke zu heben.
- Zehnter und letzter Schritt: Die Diskussion erlaubt dem Therapeuten zu bestätigen, dass Gruppenmitglieder den Spielraum verlassen und zur „Realität“ zurückgekehrt sind, indem er jede Person bittet, ihren realen Namen zu nennen und der Gruppe gegenüber zu kommentieren, was sie dabei fühlen.
April 2024: Dramatherapie-Workshops in der Ukraine
Im April 2024 leitete ich acht Dramatherapie-Workshops in drei ukrainischen Städten (Lviv, Irpin und Kyiv) mit insgesamt 200 Psycholog:innen, Studierenden und Künstler:innen. Vor dem ersten Workshop fragte ich mich, ob Dramatherapie gut aufgenommen würde. Würden wir am richtigen Ort beginnen? Würden die Teilnehmer:innen in der Lage sein, in ihre Körper hineinzukommen? Würden sie reale Gefühle ausdrücken? Würden sie in der Lage sein, in Zeiten des Krieges zu spielen? Wäre der Krieg ein Thema? Würden wir am richtigen Ort aufhören? Die Antwort auf all diese Fragen war Ja, denn ich vertraute der Technik, ging langsam vor und erlaubte den Teilnehmenden in einer Art und Weise zu spielen, die es ihnen angenehm machte. Ich wusste, dass viele Individuen traumatische Ereignisse erlebt hatten und manche unter unbehandelten psychischen Krankheiten litten, und war daher auf eine einfache Regel bedacht: „Öffne nichts, was du nicht schließen kannst.“
Ich begann jede Sitzung mit einer kurzen Lesung über Dramatherapie und DvT und erklärte, dass die Workshops keine Therapie waren. Dann führte ich die gesamte Gruppe in ein allgemeines Aufwärmen, dass auf physische Aktivierung fokussierte und die Leute zum Lachen brachte, dann ging ich über zu den DvT-Sitzungen. Da manche Workshops aus mehr als 30 Teilnehmer:innen bestanden, teilte ich die Gruppe mitunter in kleiner Einheiten. Einmal arbeitete ich eins zu eins mit einem Teilnehmer, während die Gruppe zuschaute. Alle Workshops enthielten ausführliche Diskussionen.
Bilder des Krieges und Waffen kamen in jeder Sitzung vor, wenn auch in verschiedener Art und Weise. In Lviv, in einer großen DvT-Gruppe, die hauptsächlich aus Psycholog:innen und graduierten Studierenden bestand, wollten einige Mitglieder einen imaginären Stapel Waffen loswerden, während andere dies hartnäckig ablehnten. Die Mitglieder, die Kriegsthemen im Spiel vermeiden wollten, hatten stärkere Gefühle, aber dies ließ andere Gruppenmitglieder das Interesse verlieren, als sie die Waffen behalten wollten. Um sie zurückzubringen und eine „mittlere Grundlage“ zu schmieden, schauten wir uns all diese Waffen genau an – das nahm einige Zeit in Anspruch, da es so viele waren – und begruben sie vorsichtig in einem sicheren Ort, an dem sie gut zugänglich waren. Ein Teilnehmer reflektierte dies im Nachhinein: „Ich war überrascht, dass das Kriegsthema in der Ukraine, der Wunsch es zu stoppen, sein Ende zu beeinflussen, so schnell auftauchte und gleichzeitig die Suche und das Finden von Mitteln begann, es zu beenden, so fantastisch und träumerisch auch immer es war.“
Ein anderer Teilnehmer beobachtete: „Das Hauptthema entsteht durch die Freiheit des Spiels. Ich war beeindruckt, wie es in der Sitzung auftauchte. Dramatherapie kann uns erlauben, mit den symbolischen Kontexten zu spielen und sie zu verwandeln, und das mit Leuten, die es kaum schaffen, traumatische Erfahrungen, Gefühle und Gedanken aus- und anzusprechen. Aber manche Teilnehmer:innen, die ausdrucksstärker waren und mehr Energie in das Spiel einbrachten, unterdrückten andere Teilnehmer:innen, die weniger dazu in der Lage waren und gerade einmal im Fluss mitschwammen.“ Dies hebt ein allgemeines Dilemma für die Therapeut:innen hervor: Entweder man geht mit der Energie aktiverer Mitglieder oder man „entschleunigt“ die Gruppe, um zurückhaltendere Mitglieder einzubeziehen. Der Therapeut kann dies lösen, indem er sich zu den zurückhaltenderen Mitgliedern gesellt, um ihnen zu helfen, sich selbst gegen die stärkeren Mitglieder zu behaupten. Dies schafft einen Konflikt, der die Essenz des Dramas ist, und gleicht so die Energie zwischen den beiden Fraktionen aus. Alternativ mag der Dramatherapeut einen Rollentausch der beiden Gruppen anleiten, sodass die energiereichen Mitglieder passive Rollen übernehmen und die passiven Mitglieder energiereich werden. Auf diese Art und Weise hat jedes Mitglied die Chance, verschiedene Perspektiven zu sehen.
Der großen Gruppe folgte eine individuelle Sitzung mit einer graduierten Studentin, Lana, die sich freiwillig gemeldet hatte. Der Rest der Gruppe saß um uns herum und schaut in der Fishbowl-Technik zu. Nachdem wir in den Spielraum eingetreten waren, spiegelten alle die langsamen, rhythmischen und schwankenden Bewegungen der anderen, gingen dann gemeinsam umher. Dann begannen wir zu fliegen. Ich hatte keine Vorstellung, dass sie mich in ihre Heimatstadt bringen würde, nach Mariupol, um mir die Zerstörung zu zeigen. Keine Frage, es war sehr emotional. Sie beschrieb den Monat, den sie während der russischen Angriffe im Untergrund verbrachte und um ihr Leben floh, gerade bevor die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Ich verstand das meiste, dass sie sagte, sogar schon bevor mein Übersetzer ins Englische übersetzte. Sie wollte nach Hause gehen, aber sie stellte fest, dass sie das nicht konnte. Wir saßen eine Zeitlang da und schwiegen. Sie weinte und ich hielt Augenkontakt mit ihr, nickte und erzählte ihr, dass sie in einem sicheren Raum war. Beobachter:innen weinten ebenfalls. Ich erfuhr später, dass sie nach der Flucht aus Mariupol unfähig war zu sprechen und einige Zeit in Therapie war. Nachdem wir den Spielraum verließen und die Rollen aufhoben, sagte Lana, dass der Weg ihrer imaginären Reise sie ruhiger gemacht habe.
In einem Workshop mit Studierenden des Grundstudiums in Lviv kam das Kriegsthema auf, als wir auf einem magischen Teppich auf die Krym reisten. Jemand sagte, es wäre verboten, aber die Studierenden rebellierten fröhlich mit einer Strandparty und sangen „Kaukasus“ von Taras Schwewtschenko. Dann saßen wir auf warmem Sand und reichten einander eine magische Muschel, die unsere Wünsche erfüllte. Alle sprachen laut ihre Wünsche aus: Frieden, Sieg, wieder vereint mit Freund:innen und Familie. Es war ein bittersüßer Augenblick.
Mein nächster Workshop fand in Irpin statt. Nachdem ich mit einem Nachtzug von Lviv in Kyiv angekommen war, verbrachte ich den Morgen mit einem Besuch in Butscha. So wie ich in einer wiederaufgebauten Umgebung stand war es schwer, sich die Reihe der verkohlten russischen Panzer und Körper von Zivilisten vorzustellen, die zwei Jahre zuvor auf den Straßen herumlagen. In der State Tax University in Irpin ging ich durch ausgebrannte Strukturen, betrat dann ein modernes gut erhaltenes Gebäude. Die Sitzung mit vorwiegend älteren Studierenden fand in einem schönen kreisrunden Raum mit sanftem Licht statt, der einem kleinen Theater glich. Weil wir näher an der Gefahr waren als in Lviv und weitere finanzielle Unterstützung durch die USA unsicher blieb, vermutete ich, dass die Sitzung sich auf Kriegsthemen und Angst fokussieren würde. Dennoch waren die Gruppenmitglieder, vor allem die Männer, mehr daran interessiert, improvisierte Szenen zu schaffen, in denen sie durch die Welt reisten, eine festliche Hochzeit vorbereiteten und die ganze Nacht lang tanzten. Ich fragte mich, wie lang es gewesen sein muss, seit sie solche fröhlichen Gefühle erlebt hatten und bewunderte, wie sehr sie sich diesen Gefühlen überließen. Ein Teilnehmer kommentierte anschließend: „Die Gruppenübungen waren für mich besonders bedeutsam. Es war großartig, nicht nur die Wirkungen der Übungen zu fühlen, sondern auch andere Teilnehmer:innen und ihre Reaktionen nach den Bewegungen zu beobachten.“ Dies hebt einen der einzigartigen Aspekte der Dramatherapie hervor: die Teilnehmer:innen sind manchmal „Schauspieler:innen“, zu anderen Zeiten aber „Publikum“. So waren sie in der Lage ihr beobachtendes Selbst in einer sehr direkten Art und Weise zu entwickeln.
Der abschließende Workshop an der Drahomanov Universität in Kyiv, bestand aus Psychologiestudent:innen des Grundstudiums. Sie wirkten bei Beginn etwas zurückhaltend, daher kürzte ich meine kurze einführende Vorlesung. Die Studierenden waren glücklich, das „Museum der Gefühle“ zu besuchen, in dem kleine Gruppen menschliche Skulpturen bildeten, in denen sie verschiedene Gefühle gestalteten, die von der Gruppe angeregt worden waren: Angst, Ekel, Trauer, Wut und Freude. Die Skulpturen, insbesondere „Trauer“ waren sehr mächtig. Dann wurden die Studierenden ein Gefühlsorchester, in dem ich sie mit Tüchern dirigierte, auf denen die fünf Gefühle als Musik standen. Ihre Stimmen füllten den Raum. Ich bat um freiwillige Dirigent:innen, und viele Studierende ergriffen die Gelegenheit, alle in einem unterschiedlichen Stil, einige bombastisch, andere kontemplativ.
Während unserer DvT-Sitzung beschworen wir imaginäre Luftverteidigungsraketen hervor und debattierten, was wir mit ihnen tun sollten. Plötzlich kündigte einer der Professoren an, dass der aktuelle Luftalarm ernsthafter war als andere zuvor am Tag. Anstatt mit Kriegsthemen weiterzumachen, führte ich sie durch den Zauberladen („Magic Shop“), eine Technik des Psychodrama, in der ich einen Verkäufer in dem Geschäft spielte, in dem Kund:innen Eigenschaften kaufen können, die sie haben möchten, im Tausch gegen Eigenschaften, die sie aufgeben möchten. Die Studierenden begaben sich enthusiastisch in die Rollen von Verkaufsassistent:innen und Kund:innen. Einige wollten Selbstvertrauen kaufen, im Tausch gegen Angst, und nach ihren Käufen führten sie stolz ihre neuen Eigenschaften der Gruppe vor. Trotz Krieg, der wirklich ihre Tage prägte, waren die Studierenden in der Lage, mit Themen ihres persönlichen Wachstums zu spielen. Die Studierenden blieben länger als vorgesehen, um ihre Gefühle über die Sitzung zu diskutieren und nach der Wahrnehmung der Wirksamkeit von Dramatherapie zu fragen. Ihre Offenheit und ihre Neugier waren inspirierend.
Schlussfolgerung
Weil DvT relativ einfach ist und keine Masken, Puppen oder andere Materialien erfordert, kann es in einer Vielfalt von Settings ohne extensive physische Vorbereitung angewandt werden. Es scheint so eine ideale Technik für eine Vielfalt von Settings in der Ukraine zu sein. Obwohl das ukrainische psychiatrische Gesundheitssystem die Spuren des sowjetischen Zwangssystems enthält, das auf biologische Behandlungen setzte, die in großen psychiatrischen Krankenhäusern durchgeführt wurden, die ständig Menschenrechte verletzten, haben sich kreative kunsttherapeutische Zugänge entwickelt. Kunstherapie ist lange Zeit mit Kindern durchgeführt worden, und seit Kurzem mit Soldaten. Tanztherapie wächst ebenso. 1996 wurde die Ukrainian Association of Psychodrama gegründet, die weiterhin Praktiker:innen ausbildet. Playbacktheater wurde seit Beginn des russisch-ukrainischen Krieges im Jahr 2014 durchgeführt. Theaterstücke, die von Menschen mit traumatischen Erlebnissen geschrieben wurden, wurden genutzt, um Gemeinschaft und ein Ausdrucksventil für Veteranen zu schaffen. Aber es sieht so aus, dass es bisher keine Dramatherapie in der Ukraine gibt.
Die Dramatherapie-Workshops vom April 2024 in Lviv, Irpin und Kyiv zeigten die Kraft der Methode. Die Sitzungen bestätigten auch, dass ein Dramatherapeut, eine Dramatherapeutin dort beginnen sollte, wo die Gruppenmitglieder sind, er beziehungsweise sie sollte nicht versuchen, ihnen Themen und Belange aufzuzwingen. Obwohl er Themen, die schwierig sein mögen, nicht vermeiden sollte, sollte er behutsam nichts öffnen, dass er nicht sicher schließen kann. Durch die Synthese einzigartiger ukrainischer Formen des Dramas und international anerkannter Techniken wie DvT sowie durch ihre Thematisierung in einer strengen Forschungsmethodologie können ukrainische Kliniker:innen Formen der Dramatherapie entwickeln, die dazu beitragen mögen, die psychische Gesundheit des Landes zu verbessern.
Nachschrift
Im November 2024 kehrte ich in die Ukraine zurück, um zehn Drama-Therapie-Workshops für ca. 200 Psycholog:innen, Studierende und Künstler:innen in Lviv, Kyiv, Irpin und Kharkiv abzuhalten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben positives Feedback. Im Frühjahr 2025 plane ich weitere Workshops in der Ukraine zu geben.
Michael D. Reisman, Master of Arts, Juris Doctor, Dramatherapeut, Ziviler Staatsanwalt im New York State Attorney General’s Office, USA
Zum Weiterlesen: Referenzen und Quellen
Die folgende Liste hat der Autor dieses Beitrags zusammengestellt:
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(Anmerkungen: Das englische Original erschien unter dem Titel „The Potential of Drama Therapy in Ukraine During Wartime“ in der Zeitschrift des Forschungsinstituts für moderne Kunst der Nationalen Akademie der Künste der Ukraine „Art Research of Ukraine“, 2024, Ausgabe 24. Die ukrainische Übersetzung von Viktoriya Yurchuk, Maryna Yurchuk, Iryna Shtanko, Diana Shynkova, Maryana Khrystyuk und Diana Yarova erschien im Kulturportal Experiment. Erstveröffentlichung der deutschen Fassung im Januar 2025, Übersetzung aus dem Englischen von Norbert Reichel mit der freundlichen Unterstützung von Pavlo Shopin, der die Veröffentlichung des Textes im Demokratischen Salon anregte und vermittelte. Die Rechte der Übersetzung des Shakespeare-Zitats liegen beim Theaterverlag Ute Nyssen & J. Bansemer GmbH Köln und wurden 1995 in München bei dtv veröffentlicht. An mehreren Stellen wurde wegen der Übersichtlichkeit der Formulierung nur die männliche Form verwendet, zum Beispiel „der Therapeut“, im Englischen ist der Begriff „the therapist“ geschlechtsneutral und so ist es auch in der deutschen Übersetzung gemeint. Verschiedene Begriffe werden, um Missverständnisse zu vermeiden, in Klammern im englischen Original genannt. Internetzugriffe zuletzt am 1. Januar 2025. Titelbild: Firouzeh Görgen-Ossouli. Die Bilder im Text stellte mir Pavlo Shopin zur Verfügung.)