Demokratie ist Kinderrecht
Ein Beitrag zur Verwirklichung der Kinderrechte in der Schule
Die Kinderrechte sind wichtig und man sollte sie beachten. Darauf werden sich die allermeisten Menschen verständigen können. Das gilt insbesondere für solche Felder, in denen eng mit Kindern gearbeitet wird, etwa in der Schule. Doch hinter den allgemeinen Bekenntnissen zu den Kinderrechten erscheinen oft große Lücken. Denn: Was ist genau mit den Kinderrechten gemeint? Wo haben sie Vorrang? Und wo greifen vielleicht doch auch ganz andere Mechanismen?
Kinderrechte in der Schule – nur ein Randthema?
In einer aktuellen Analyse für die Friedrich Ebert Stiftung haben wir herausgearbeitet, dass es an vielen Stellen im Schulsystem noch hängt und hakt. Leerstellen zeigen sich besonders in einer kinderrechtsbasierten Gestaltung der Schul- und Unterrichtskultur. Deshalb haben wir umgekehrt nach den Beispielen gesucht, in denen die Kinderrechte in der Ausgestaltung von Schule und Unterricht schon eine wichtige Orientierung darstellen. Eine gesamtgesellschaftlich fokussierte Analyse der Beachtung von Kinderrechten in Deutschland haben Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier in dem Buch „Kinder – Minderheit ohne Schutz. Aufwachsen in der alternden Gesellschaft“ vorgelegt (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2025). In dem Buch, das für den deutschen Sachbuchpreis nominiert war, verdeutlichen die drei Wissenschaftler, dass Kinder in der Gesellschaft nur geringe Aufmerksamkeit erfahren. Die Schule nimmt in der Analyse durchaus einen wichtigen Stellenwert ein, wird aber in der Argumentation der Autoren letztendlich vor allem auf der Ebene struktureller Fragen bearbeitet.
Im Gutachten für die Friedrich Ebert Stiftung haben wir die Umsetzung der Kinderrechte fokussiert auf das Schulsystem analysiert und für die Bildungspolitik und -administration, die Professionalisierung von Lehrpersonen und die einzelne Schule Handlungsempfehlungen formuliert, die wir hier im Folgenden zur Diskussion stellen wollen. Zuvor geben wir aber eine kurze grundlegende Orientierung zu den Kinderrechten in Deutschland.
Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat Deutschland seit 2010 vollumfänglich ratifiziert. Das heißt, dass die Kinderrechte in geltendes nationales Recht zu überführen sind. Die Kinderrechte gelten für alle Menschen bis zum 18. Lebensjahr. Sie sind eine Konkretisierung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, da Kinder als Gruppe ausgemacht wurden, die besonders von Marginalisierung und Diskriminierung bedroht sind. Zudem spiegelt die Kinderrechtskonvention ein neues Verständnis von Kindheit wider. Kinder werden hier als Subjekte adressiert und nicht als Objekte. Hierauf hat auch die Historikerin Martina Winkler im Gespräch mit Norbert Reichel abgehoben. Kinder als Subjekte zu betrachten und ihnen entsprechende Rechte einzuräumen heißt für die Erwachsenen, ihre Machtstellung kritisch zu reflektieren. Das gilt für Väter und Mütter, Großeltern in den Familien ebenso wie für Politiker:innen, Lehrpersonen, Erzieher:innen und alle anderen, die beruflich mit Kindern arbeiten, oder Menschen in der Verwaltung.
In der (politischen) Öffentlichkeit werden die Kinderrechte immer wieder dahingehend debattiert, ob sie fest im Grundgesetz verankert werden sollen. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass die aktuelle Bundesregierung hier einen neuen Vorstoß wagt, bleibt die Forderung unbenommen auf der Tagesordnung: Die Kinderrechtskonvention stellt für Deutschland eine verbindliche Referenz dar, auf die sie sich verpflichtet hat. Die Kinderrechte müssen sich in den Gesetzen und Verordnungen, die alle Menschen unter 18 Jahren betreffen wiederfinden. Dies scheiterte in Deutschland bisher daran, dass manche Politiker:innen befürchteten, eine zu deutliche Betonung der Kinderrechte würde die Elternrechte einschränken. Elisabeth Stroetmann, die lange Jahre ein Kinderrechte-Projekt in nordrhein-westfälischen Grundschulen leitete, hat in einem Gespräch im Demokratischen Salon begründet, warum diese Befürchtung keine Grundlage hat. Aber dennoch ist sie in der politischen Welt nach wie vor handlungsleitend.
Drei zentrale Bereiche werden in der Kinderrechtskonvention benannt: Schutz, Förderung und Beteiligung. Das Kindeswohl, an dem sich alle Handlungen ausrichten sollen, die Kinder betreffen, ist dabei ein leitendes Kriterium für die Ausgestaltung dieser drei Bereiche. Dabei, und das ist und bleibt ein Stein des Anstoßes, ist das Kindeswohl ein unpräziser Begriff. Denn wer entscheidet, was zum Wohle des Kindes ist? Im Original der Kinderrechtskonvention heißt es: „Best Interest of the Child“. Hier werden die Kinder viel stärker selbst in den Blick genommen. Dies deckt sich mit der Subjekt-Orientierung, die der Kinderrechtskonvention eingeschrieben ist.
Jedes Kind hat seine eigene Persönlichkeit
Die Bildungspolitik verantwortet die Rahmenbedingungen, in denen die Schule und der Unterricht ausgestaltet werden können. Ein zentraler Aspekt sind dabei die allgemeinen Bildungsstandards sowie für die Unterrichtsfächer die curricularen Vorgaben, an denen sich der Unterricht ausrichten muss. Im Sinne der Kinderrechte und der damit verbundenen Subjektorientierung ist die Berücksichtigung der individuellen Lern- und Lebensbedingungen von besonderer Relevanz. Denn Lernen kann sowohl aus dieser normativen Perspektive als auch empirisch begründet nur dann funktionieren, wenn die Schüler:innen im Lernprozess an Vorerfahrungen bzw. ihren aktuellen Lern- und Entwicklungsstand anknüpfen können.
Im Gutachten haben wir Handlungsempfehlungen für drei unterschiedliche Ebenen im Bildungssystem beschrieben. Hierbei greifen wir auf empirische Daten zum Ist-Stand des Schulsystems ebenso zurück wie auf richtungsweisende Beispiele aus den jeweiligen Praxen.
Die jeweiligen Vorerfahrungen und Bedingungen von Schüler:innen in ein und derselben Lerngruppe variieren stark: Phillip ist das Kind von zwei Akademiker:innen, die über viel Geld verfügen, aber wenig Zeit haben, um Phillip zu begleiten. Sarah ist vor drei Jahren aus der Ukraine gekommen und gibt sich viel Mühe, die deutsche Sprache zu lernen. Samuel ist begeisterter Sportler, verfügt aber über wenige Leseerfahrungen. Timo hat einen Tremor, der es ihm schwer macht, sich zu konzentrieren. Kims Eltern lassen sich gerade scheiden. Achmed ist total begeistert von Zahlen und Mustern, das Schreiben fällt ihm aber noch schwer. Aladin El-Mafaalani nutzt in diesem Kontext den Begriff der Super-Diversität, um auf die Komplexität der Erfahrungsräume zu verweisen, die Schüler:innen in die Schule tragen. Im Sinne der Kinderrechte haben alle hier beschriebenen Schüler:innen ein Recht auf Entwicklung und bestmögliche Förderung. Unter Anerkennung der beschriebenen Heterogenität kann dies in der Schule und im Unterricht nur über individuelle Förderung in geöffneten Unterrichtsformaten gelingen.
Die rechtlichen und curricularen Vorgaben müssen hier entsprechende Räume schaffen und zulassen. So bedarf es curricularer Vorgaben, die sowohl verbindliche Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sichern, als auch Freiräume für Interessen und Potenziale des einzelnen schaffen. Die Instrumente des Sitzenbleibens und Abschulens sind in den seltensten Fällen effektiv. Vielmehr gehen diese mit starken Beschämungen einher. Anstatt die Lernenden bei etwaigen Problemen aus dem System zu entfernen, wäre es sinnvoller, sie in der gewohnten Umgebung lernen zu lassen und Unterstützungsmöglichkeiten zu entwickeln. Das heißt nicht, dass Qualitätsverluste hingenommen werden müssten.
Vielmehr geht es darum, individuelle Förder- und Unterstützungsmaßnahmen zu intensivieren. Damit Schulen und Lehrpersonen dies leisten können, müssen sie über entsprechende zeitliche, räumliche und personelle Ressourcen verfügen. Unerlässlich wäre zudem die Weiterentwicklung eines anerkennenden Leistungsbegriffs. Wenn Schüler:innen mit ihren individuell unterschiedlichen Leistungen in der Schule akzeptiert werden, können darauf aufbauend individuelle Lernwege und Entwicklungsmöglichkeiten gestaltet werden.
Hierfür muss die Bildungsadministration Gestaltungsspielräume schaffen beziehungsweise klarer aufzeigen, welche Spielräume der Leistungsmessung und -beurteilung vorhanden sind und wie diese schulorganisatorisch und unterrichtsmethodisch kultiviert werden können. Denn viele Schulen zeigen bereits, dass sie auf der Basis der geltenden Regelungen Ansätze einer anerkennenden Leistungskultur etablieren können. Die Formen und Dokumentationen der jeweiligen Leistungserbringung müssen sich der Vielfalt der Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten von Schüler:innen öffnen.
Das bedeutet etwa, nicht mehr die eine Klassenarbeit zur gleichen Zeit für alle anzusetzen, sondern andere Formen der Dokumentation – etwa durch Portfolios oder mündliche Prüfungen – zu ermöglichen. Die Schulen müssen für diese Aufgabe neben dem rechtlichen Rahmen auch über passende Ressourcen verfügen: Räume, Material und Personal. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang auch die stärkere Absicherung der multiprofessionellen Zusammenarbeit. Gerade mit Blick auf den Aufbau des Ganztagsbetriebs in den Schulen erscheint dies gewinnbringend.
Für das Qualitätsmanagement haben alle Bundesländer sogenannte Referenz- oder Qualitätsrahmen für die Schule und den Unterricht entwickelt. Diese werden genutzt, um bei den Inspektionen durch die Schulaufsicht einen Qualitäts- bezehungsweise Erwartungsrahmen für die Schulen transparent beschreiben zu können. Die Kinderrechte sind hier bislang in keinem Bundesland dezidiert genannt. Eine Einbindung würde eine Verbindlichkeit erzeugen, die sich auch in der schulpraktischen Gestaltung von Schule und Unterricht niederschlagen dürfte.
Nicht zuletzt spielen die finanziellen Spielräume der Familien eine große Rolle, wenn es darum geht, den Gang durch die Bildungsinstitutionen erfolgreich zu absolvieren. Ein höherer Schulabschluss ist für Familien beziehungsweise Erziehungsberechtigte eine Wette auf eine bessere Zukunft, die zunächst eine anhaltende finanzielle Belastung über einen längeren Zeitraum bedeuten kann und deren „Ertrag“ nicht garantiert ist. Wenn Familien das damit verbundene „Risiko“ als zu hoch einschätzen, werden sie sich für vermeintlich sicherere Wege und gegen einen Verbleib ihres Kindes im Bildungssystem entscheiden. Hier bedarf es der finanziellen Unterstützung armutsgefährdeter Schüler:innen. Sichergestellt werden kann das durch kostenfreies Schulessen, echte Lehr- und Lernmittelfreiheit oder ein Schüler:innen-BAföG. Die Politikwissenschaftlerin Meltem Kulaçatan hat im Gespräch mit dem Demokratischem Salon auf die Relevanz der Intersektionalität verwiesen. Wer ein durchlässiges Bildungssystem anstrebt, muss sich die Schüler:innen und ihre Familien genau anschauen und die verschiedenen Überschneidungen ernst nehmen, die zu den großen Unterschieden mit Blick auf den Schulerfolg führen. Neben den finanziellen Aspekten und dem damit verbundenen Status einer Familie sind es auch Fragen der Kenntnisse über das Bildungssystem oder die Erfahrungen, die die Erwachsenen selbst im Bildungssystem gesammelt haben. Diese können positiv oder negativ sein, andere haben vielleicht ihre Bildungserfahrungen in ganz anderen Systemen gemacht und können nur in bedingtem Maße von den eigenen Erfahrungen Gebrauch machen.
Den Lehrberuf vom Kind aus denken
Für eine kinderrechtsbasierte Aus- und Fortbildung der Lehrer:innen in allen Phasen bedarf es einer wertebasierten Ausrichtung der Professionalität in Bezug auf die Kernkompetenzen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren entlang der drei Rechtsbereiche der Kinderrechtskonvention. Die Kinderrechte stellen hierfür die entscheidende Leitplanke in der wertebasierten Orientierung dar und sind eine Möglichkeit, die Schule und den Unterricht – und hier auch die Professionalisierung der Lehrpersonen – vom Kind aus zu denken. Konsequent könnte diese Idee des professionellen Handelns von Lehrkräften entlang der Rechtsbereiche entwickelt werden und entspräche damit gleichzeitig empirischen Erkenntnissen der Schulforschung, die wir im Gutachten nutzen konnten.
So ist mit Blick auf den Rechtsbereich „Schutz“ das professionelle Handeln von Lehrkräften in Hinblick auf eine voraussetzungslose Anerkennung der Bedürfnisse aller Schüler:Innen und die Vermeidung von struktureller und individueller Diskriminierung zu reflektieren. Hierauf aufbauend bedarf es professionellen Wissens über Strukturen, Organisationsformen und Methoden der Individualisierung von Bildungsprozessen im Sinne des Rechts auf individuelle Förderung. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen, etwa im Kontext der demokratischen Grundstrukturen, der global-politischen Veränderungen oder Herausforderungen wie dem Klimawandel erscheint es für alle Verantwortungsträger in der Schule relevant, umfassend zu reflektieren, ob etablierte Strukturen und Organisationsformen, aber auch inhaltliche Schwerpunkte des Schulsystems den angestrebten Werten freiheitlich demokratischer Gesellschaften entsprechen bzw. welchen Veränderungen und Weiterentwicklungen es im System bedarf.
Orientierung können hier durchaus auch reformpädagogische Ansätze bieten wie die Montessori-Pädagogik oder die Dalton-Methode. Aktuelle Überlegungen finden sich immer auch im Kontext der Reckahner Reflexionen. Neben grundlegenden ethischen Überlegungen finden sich auch konkrete „Übersetzungen“ für den Unterricht und die Gestaltung der Schule wieder. Für die Professionalisierung bieten sich hier die Auseinandersetzungen mit den persönlichen schulbiografischen und pädagogischen Erfahrungen an. Dabei greifen alle Menschen, die sich auf den Lehrberuf vorbereiten oder aber schon Teil des Systems sind, auf ganz unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven zurück – sei es auf eigene Erlebnisse als Schüler:in, in Praxisphasen, aus der Literatur oder dem eigenverantwortlichen Unterrichten.
Kinderrechte in jeder einzelnen Schule
Im Sinne der Organisationsentwicklung der Einzelschule scheinen hierarchieübergreifende Feedbackstrukturen und auch ein Beschwerdemanagement, wie bereits oben beschrieben, zentrale Elemente zu sein, um die Einzelschule weiterzuentwickeln. Daneben bedarf es der schulinternen Schaffung von Strukturen multiprofessioneller Teamarbeit, die die verschiedenen Qualifikationen und Expertisen ernst nimmt. Das Einbinden der Schülerinnen und Schüler in eine partizipative Schulentwicklung bietet ebenfalls Chancen, dass das Recht auf Mitbestimmung stärker umgesetzt werden kann. Ein konkretes Umsetzungsbeispiel ist hier sicherlich das von Marina Weisband geleitete aula-Projekt, dessen Methoden und Erfolge sie ausführlich in ihrem Buch „Die neue Schule der Demokratie – Wilder denken – wirksam handeln“ (Frankfurt am Main, S. Fischer, 2024) ausführlich beschrieben hat.
Das aula-Projekt hat sich zur Aufgabe gemacht, die Beteiligungschancen in der Schule für Schüler:innen deutlich zu erhöhen. Dabei werden Schüler:innen nicht nur eingebunden, wo es nicht weh tut (etwa das Ziel für den nächsten Wandertag), sondern an entscheidenden Stellen: Wann soll morgens der Unterricht beginnen? Wie bekommen wir ein besseres Bewertungskonzept? Welche Lehrpersonen sollen an dieser Schule eigentlich unterrichten? Zentral ist das Zusammenspiel von Individuum und Strukturen, in die es eingebunden ist. Über das Projekt werden Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt, demokratische Aushandlungsprozesse selbst zu gestalten. Das Aushalten andere Meinungen und Perspektiven ist dabei ebenso relevant wie die Orientierung am Gemeinwohl – im Gegensatz zum einseitigen Suchen des individuellen Vorteils.
Auf der Ebene des Unterrichts ist eine stärkere Orientierung an den jeweiligen individuellen Lern- und Entwicklungsständen der einzelnen Schülerinnen und Schüler notwendig. Hierfür kann vielfach auf vorhandene Konzepte der Öffnung von Unterricht und Schule zurückgegriffen werden. Lehrkräfte erweitern ihre professionelle Rolle von der reinen Wissensvermittlung hin zur Lernbegleitung. Zur inhaltlichen Orientierung ist die Schaffung eines fakultativen und eines obligatorischen Curriculums ein sinnvoller Weg, um inklusive Unterrichtspraxen mit dem Ziel der Entfaltung von Persönlichkeit, Begabung und Fähigkeiten im Sinne der Kinderrechte ausgestalten zu können.
Die Personalentwicklung richtet sich auf die Einbindung einer breit gefächerten Perspektive verschiedener Professionen, die in der Schule im Sinne der Anerkennung und Förderung der Kinder in ihrer Individualität zusammenarbeiten. Hier kann die jeweilige Expertise von beispielsweise Lehrpersonen unterschiedlicher Fächer, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ganztages, Therapeuten und weiterem schulischen Personal zu einer umfassenden, gemeinsam verantworteten Bildungsbegleitung für Schüler:innen beitragen. Durch die Etablierung schulischer Kooperationsstrukturen, die um eine reflexive Aushandlung der professionellen Perspektiven mit dem Ziel der Gestaltung bestmöglicher Bildungswege für alle Schülerinnen und Schüler bemüht ist, kann die Professionalität kinderrechtsbasiert weiter ausgestaltet werden.
Ein Ausblick
Wie kann es weitergehen mit den Kinderrechten in der Schule und im Unterricht? In den genannten Handlungsempfehlungen stecken komplexe Anforderungen, die sich an alle Ebenen und Beteiligten im System richten. Das System hat großen Reformbedarf, wenn es darum geht, inklusive Bildung für wirklich alle Kinder sicherzustellen. Hierfür gibt es unterschiedliche Stellschrauben mit mehr oder weniger großer Tragweite. Insgesamt bedarf es der Anerkennung der Persönlichkeit, der biografischen Vorerfahrungen und der individuellen Entwicklungspotenziale von allen Kindern und Jugendlichen. Es geht darum, allen Schülerinnen und Schülern Bildungsperspektiven und individuelle Unterstützungsleistungen durch die schulischen Verantwortungsträger zukommen zu lassen. Und dies unter Vermeidung des aktuell viel zu früh einsetzenden Selektionsmodus nach rein kognitiver Leistungsfähigkeit in der Schule, die auch viel zu oft mit den Unterstützungsmöglichkeiten und -leistungen der Eltern verwechselt werden.
Die Ausgrenzungsmechanismen der Institution Schule abzubauen ist und bleibt ein wichtiges und grundlegendes Ziel. Es muss darum gehen, die Dinge, die an den einzelnen Schulen, im eigenen Unterricht, in der Politik und Verwaltung, aber auch in der Aus- und Weiterbildung im Sinne der Kinderrechte bereits gut laufen, weiter in der Schul- und Unterrichtskultur zu kultivieren, zu dokumentieren und zu transferieren.
Die Schule ist als staatliches System verpflichtet, die Schüler:innen als individuelle Subjekte mit Bedürfnissen, Begabungen und Fähigkeiten anzuerkennen und in ihrer Entwicklung entsprechend zu unterstützen. In ihrer Rolle als Schüler:in, in ihrer Persönlichkeit, anders gesagt: einfach als Mensch, der Teil unserer Gesellschaft ist, müssen Kinder anerkannt, ernst genommen und gehört werden. Denn die Kinder als Subjekte zu akzeptieren heißt, ihnen zuzuhören, ihnen Raum zu geben und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Damit ist dann nicht gemeint, dass Kinder alles entscheiden sollen. Der Dialog mit Erwachsenen, der Dialog mit den anderen Kindern, sind unabdingbar für die (Selbst-)Bildung einer demokratischen Persönlichkeit. Dies ist der Kernauftrag von Bildung. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat dies am 13. Februar 2019 in seiner Rede zum 100jährigen Jubiläum des Volkshochschulverbandes deutlich beschrieben. Es gilt für alle Bildungsbereiche und bedeutet: Kinder sollen sich als Menschen wahrnehmen beziehungsweise sollen als Menschen wahrgenommen werden. Sie müssen Förderung und Schutz erfahren, mitgestalten dürfen, zunehmend selbst gestalten können und eben auch Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen übernehmen können. Immerhin hat auch die KMK dies im Jahr 2018 in ihren Empfehlungen zur Demokratiebildung und zur Menschenrechtsbildung so beschlossen.
Daniel Bertels & David Rott, Münster
Daniel Bertels, Dr., ist Lehrkraft für Sonderpädagogik, abgeordnete Lehrkraft an das Landeskompetenzzentrum für Individuelle Förderung NRW an der Universität Münster, Seminarausbilder am Studienseminar für schulpraktische Lehrerausbildung Münster und freiberuflicher Mediator (dgm). Seine Arbeitsschwerpunkte im Rahmen der Lehrerausbildung sind die Professionalisierung für inklusive Kontexte, die (veränderte) Perspektive der Sonderpädagogik im inklusiven Schulsystem sowie eine kinderrechtsbasierte Gestaltung von Schule und Unterricht.
David Rott, Dr., arbeitet als Studienrat im Hochschuldienst am Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Münster. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind diversitätssensible Schul- und Unterrichtsentwicklung, Forschendes Lernen, Kritisches Denken, Begabungsforschung sowie die Kinderrechte.
(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Juni 2025. Der Text beruht auf einem Vortrag, den die beiden Autoren am 20. Mai 2025 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung gehalten haben. Internetzugriffe zuletzt am 25. Juni 2025. Das Titelbild zeigt das Bildungshaus Bad Aibling, das im Demokratischen Salon in dem Beitrag „Paradies für Glückspilze“ vorgestellt wurde und die in dem Beitrag von Daniel Bertels und David Rott beschriebenen Vorgehensweisen beispielhaft verwirklicht. Foto: Claudia Kohnle.)