Die Frames der Muslimfeindlichkeit

Ozan Zakariya Keskinkılıç und der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises

„Doch von den Menschen wird im 21. Jahrhundert immer mehr Flexibilität verlangt. Wir leben im Zeitalter der Bewegung und der Geschwindigkeit. Ein starres Zuordnungssystem von Identität und Zugehörigkeit, das mit klaren Grenzen operiert, mag Sehnsüchte bedienen, die mehr Ordnung oder Sicherheit versprechen. Doch es schafft auch eine künstlich abgeschottete Welt.“ (Zafer Şenocak, Deutschsein – Eine Aufklärungsschrift, Hamburg, edition Körber-Stiftung, 2011)

Zafer Şenocak widmete seine Kampfschrift, die in einem Jahr entstand, in dem ein anderer Autor die deutsche Öffentlichkeit mit dem Fluch bedachte, dass sich Deutschland abschaffe, seinem „Vater, der mich gelehrt hat, dass Wurzeln mehrsprachig sind.“ Wer dies nicht wahrhaben möchte, hadert mit sich selbst, seiner eigenen Identität und versucht, andere, von denen er oder sie glauben, dass sie einfach anders sind als sie selbst gerne wären und sie darüber hinaus auch noch daran hinderten, so zu sein, wie sie ihrer Meinung nach sind. Und schon entstehen Zuschreibungen, die die einen gegen die anderen – immer mit bestimmtem Artikel geschrieben – positionieren. Die Muslime – in diesem Diskurs in der Regel nicht gegendert geschrieben – sie sind nur eine dieser anderen Gruppen, die als die anderen markiert werden. Und je ausschließender und je militanter dieses Framing vorgetragen wird, umso klarer erscheint ein Phänomen, das es in einer pluralistischen, liberal-demokratischen Gesellschaft eigentlich nicht geben dürfte: die Muslimfeindlichkeit, eine genuine Schwester nicht nur von Antisemitismus und Antiziganismus.

Im selben Jahr erschien eine weitere Kampfschrift für eine plurale und offene Gesellschaft, das von Hilal Sezgin herausgegebene „Manifest der Vielen“ (Berlin, Blumenbar, 2011), in dem 30 Autor*innen ihre engagierten Beiträge unter dem schon auf der Titelseite verkündeten Motto „Deutschland erfindet sich neu“ veröffentlichten. Es gibt viele Möglichkeiten, das Thema der Muslimfeindlichkeit zu erörtern. Vor allem aber ist es unabdingbar, den Betroffenen eine Stimme zu geben. Dies gelingt nicht immer, wie sich auch bei anderen Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) zeigt. Ein gängiges Schema ist die Täter-Opfer-Umkehr. Jüdinnen:Juden wird politische und wirtschaftliche Macht unterstellt, Sinti:zze und Rom:nja Kriminalität und Muslim:innen werden als frauenfeindlich und gewalttätig markiert. Ende der Durchsage. Rassistisch werden solche pauschalisierend diskriminierenden Äußerungen, wenn sie mit bestimmten mehr oder weniger genetisch vorbedingten und als unveränderlich behaupteten Charaktereigenschaften verbunden werden. Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus, Antisemitismus funktionieren als „kulturelle Codes“ im Sinne des 1978 erstmals veröffentlichten Essays von Shulamit Volkov (Leo Baeck Institute Yearbook XXIII). Es sind diese Frames, mit denen Rassismus entsteht, deren Analyse aber gleichzeitig dazu beitragen kann, Rassismus zu erkennen und zu bekämpfen. Aber warum sollten „alte“ und „neue“ Deutsche nicht friedlich zusammenleben?

Vielfalt ist poetisch

Ozan Zakariya Keskinkılıç ist Politikwissenschaftler, Lyriker und Essayist, er ist gern gesehener Gast bei ZEIT Online und ZDF und Autor des 2022 erschienenen Gedichtbandes „prinzenbad“ (Elif Verlag). Er hat im Jahr 2023 im Berliner Verbrecher Verlag den Essay „Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes“ veröffentlicht. Schon im Titel karikiert er die Besessenheit von Menschen, die in Muslim:innen eine grundlegende Bedrohung ihrer deutschen Gemütlichkeit und Identität vermuten, obwohl sie in der Regel gar nicht wissen, ob die Menschen, die sie für Muslim:innen halten, überhaupt welche sind, geschweige denn, was Islam ist. „Muslimaniac“ darf durchaus als Polemik gelesen werden, der Essay enthält eine Menge satirischer und auch – wenn es nicht so furchtbar wäre – durchaus unterhaltsame Passagen. Er dokumentiert das gesellschaftlich und medial vermittelte Framing von Muslim:innen anrichtet, aber auch, was wir tun könnten, um ein Verständnis der Vielfalt des Islam zu entwickeln. Und vor allem vermittelt er das poetische, inspirierende Bild einer Weltreligion mit all ihrer Literatur, ihrer Musik, ihrer Kunst, die sich nicht auf das, was in Polizeistatistiken als „Islamismus“ firmiert, reduzieren lässt.

Der Islam – so die These des Autors – erscheint in Deutschland „wie ein verzerrtes Spiegelbild, in dem sich Europa selbst idealisiert“. Eben dies ist im Grunde auch der Subtext des im Jahr 2010 erschienenen berüchtigten Buches eines ehemaligen Berliner Finanzsenators, das in Deutschland das negative und eindeutig rassistisch konnotierte Bild des Islam vielleicht geprägt hat wie kein anderes. Der Islam und mit ihm alle Muslim:innen sind eben die „Antithese“ zum Deutschsein schlechthin: „Ohne Islamdebatte kein Deutschland mehr.“ Die berühmte Rede des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, in der er den – vorher schon von Wolfgang Schäuble ausgesprochenen – Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre, popularisierte, fand am 3. Oktober 2010 statt. Die Rede trug die programmatische Überschrift: „Vielfalt schätzen – Zusammenhalt fördern“. Im Jahr 2011 erschien ein weiteres Buch, das die Vielfalt und Offenheit des Islam thematisierte, Thomas Bauers „Die Kultur der Ambiguität“. Philosophische und poetische Vielfalt – das zeichnete den Islam aus wie auch die von anderen Religionen inspirierte Literatur. Ozan Zakariya Keskinkılıç verweist ausdrücklich auf dieses Buch im letzten Kapitel seines Buches mit dem Titel „Poetischer Islam“.

Ozan Zakariya Keskinkılıç verbindet die essayistischen Teile seines Buches mit literarisch-poetischen Elementen und Verweisen auf ausgesprochen lesenswerte Autor:innen, die zwar ihre Verleger:innen gefunden, aber dennoch erheblich mehr Aufmerksamkeit verdient hättenen als dies bisher gelungen ist. Er zitiert beispielsweise Maulana Dschelaleddin Rumi oder Amir Khusrau, beide schrieben im späten 13. Jahrhundert beziehungsweise zu Beginn des 14. Jahrhunderts europäischer Zeitrechnung. Ich nenne nur einige der von Ozan Zakariya Keskinkılıç genannten zeitgenössischen Autor:innen: die amerikanisch-syrische Dichterin Mhoja Kahf, der in Australien lebende Omar Sakr, die Britin Suhaiymah Manzoor-Khan, die somalisch-britische Dichterin Momtaza Mehri.

Sein Fazit: „Wer das Islamische aus dieser Poesie streicht, löscht das Poetische im Islam.“ Diese Verbindung findet Ozan Zakariya Keskinkılıç in seinem eigenen Namen: „Ozan heißt aus dem Türkischen übersetzt ‚Dichter‘, ein Titel, den oft Sänger tragen. Und Zakariya, der Vater von Yahya, Johannes dem Täufer, bedeutet ‚Gott hat sich erinnert‘. Diese Namen haben mich gefunden. Ohne die Lyrik und den Glauben gäbe es mich nicht.“ Im Grunde beschreibt Ozan Zakariya Keskinkılıç damit die – ich erlaube mir diesen nüchternen Begriff – Textform auch des Koran. „Poesie bietet einen Raum, (…) um Widerspruch zuzulassen, Vielfalt zu zelebrieren und Erinnerungen an die Oberfläche zu tragen, die sonst vergraben blieben.“

Die andere Seite der Integrationspolitik

Diese Vielfalt des Islam, die nicht zuletzt in der islamischen Poesie erscheint, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Verbreitet ist nur das unterkomplexe Bild einer intoleranten Religion, obwohl deren heiliges Buch nicht mehr intolerant lesbare Passagen enthält als die heiligen Bücher des Christentums und des Judentums oder anderer Religionen. Programmatisch für das Schicksal des Islam und der als Muslim:innen gelesenen Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung, die alle als Fremde gelesenen Menschen als nicht zu Deutschland zugehörig markiert, ist der Titel des Gedichtbandes „Mein Name ist Ausländer“ von Semra Ertan (1957-1982), die sich in Hamburg aus Protest gegen den allgegenwärtigen Rassismus verbrannte. Ein ähnliches Schicksal wie das der Berliner Autorin May Ayim (1960-1996), die sich ebenfalls selbst tötete.

Die andere Seite der Integrationspolitik ist – so Ozan Zakariya Keskinkılıç – die „Deutungshoheit“ der Mehrheitsgesellschaft. So ließe sich beispielsweise bei einem Stadtteil wie Köln-Lindenthal von einem weißen Ghetto sprechen. Vielleicht ist dieser Stadtteil der Ort einer „Parallelgesellschaft“, zumal der Begriff der „Parallelgesellschaft“ immer suggeriert, als gebe es einfach nur zwei Varianten von Gesellschaft, zum Beispiel eine mit und eine ohne die als Muslim:innen gelesenen Menschen. Zum Selbstbewusstsein dieser deutschen „Parallelgesellschaft“ gehöre auch das „Selbstbild einer sexismusfreien Gesellschaft“, mit dem sich die Mehrheitsgesellschaft selbst von jeder Schuld freispreche: „Eine gesamtgesellschaftliche Debatte über strukturellen Sexismus und sexualisierte Gewalt bleibt nach wie vor aus. Das Thema scheint für viele erst dann auf der Agenda zu stehen, wenn es mit Migration, Asyl und Islam in Verbindung gebracht wird.“

Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings auch der Hinweis, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nicht pauschal allen Katholik:innen unterstellt wird, sondern ausschließlich Amtsträger:innen, während beim Islam schon die Sichtung eines Kopftuches viele autochthone Deutsche alle Muslim:innen per se als Frauen unterdrückende Gesamtgruppe und potenzielle Straftäter:innen vermuten lässt. Ozan Zakariya Keskinkılıç fragt mit Recht, warum man von einem „politischen Islam“ spreche, aber nicht von einem „politischen Christentum“, obwohl dies nicht nur angesichts von Gruppierungen wie Opus Dei in der katholischen Kirche, oder vielen evangelikalen Gruppen nicht nur in den USA sich offen zu präsentieren versteht.

Der Begriff der Muslim:innen ließe sich beliebig durch die Nennung anderer Minderheiten ersetzen. Binäre Lesarten der Gesellschaft verkaufen sich gut und daher gilt für den Islam: „Bad Islam sells!“ Ozan Zakariya Keskinkılıç spricht in Anlehnung an Edward Saïds berühmtes Buch von „Okzidentalistik“, er zitiert Initiativen wie Kanak Attak oder Max Czollek mit seinem an Stéphane Hessels „Empört euch!“ erinnernden Aufruf „Desintegriert euch!“

Mit Israel teilt der Islam ein Schicksal. Diejenigen, die sich kritisch äußern, dürfen sich mit dem Begriff der „Islamkritik“ beziehungsweise der „Israelkritik“ schmücken und können sich damit oft recht erfolgreich jeder Kritik an ihren eigenen Positionen entziehen, vor allem wenn diese „Kritiker:innen“ aus den eigenen Reihen kommen, also wenn sie selbst Muslim:innen oder – bei Israel geht es noch einen Schritt weiter – Jüdinnen:Juden sind. Muslimfeindlichkeit hat in Deutschland eine ähnlich unselige Tradition wie Antisemitismus. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: die Shoah war und bleibt einzigartig, Muslim:innen hingegen konnten sich gelegentlich nützlich erweisen. Das betraf nicht nur die sogenannten „Gastarbeiter:innen“, sondern auch schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs die sogenannte „Waffenbrüderschaft“ zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich. Kaiser Wilhelm II. verwendete den Begriff des „Dschihad“, im Grunde war dies jedoch nicht mehr und nicht weniger als eine ungeschickte Anbiederung aus übergeordneten politischen Motiven, denn „das deutsche Dschihad-Theater zeigt: Rassismus ist oft widersprüchlich. Die Muslim:innen wurden einerseits exotisiert, aber andererseits weiterhin als fremde Barbaren auf Distanz gehalten. Es war keine Allianz auf Augenhöhe, sondern ein Propagandaprojekt, um muslimische Menschen, die weiterhin als unterlegen und fremd galten, an der Front für das eigene politische Ziel bluten zu lassen.“

Die Exotisierung, die schon Edward Saïd in seinem Orientalismus-Buch anprangerte, findet sich auch in unkriegerischen Kontexten, so in der Rezeption von 1001 Nacht. Ozan Zakariya Keskinkılıç weist darauf hin, dass in den deutschen Übersetzungen „die intellektuelle Scheherazad“ fehle. Ähnlich verhält es sich mit den diversen Verfilmungen, nicht nur aus Hollywood. Wir bewegen uns somit zwischen „Exotisierung“ und „Dämonisierung“, mit denkwürdig-nachhaltiger Wirkung: „Aber das Integrationsversprechen löst sich einfach nicht ein. (…) Es ist der Blick, der mich zum Fremden macht. Es sind die Schimpfnamen, die mir das Gefühl der Unzulänglichkeit geben und mein Leben einengen, die meiner Existenz nur einen kleinen begrenzten Rahmen zugestehen. Dieser Platz, auf den ich verwiesen werde, und die Debatten, in die ich gefangen genommen werde, verwehren mir zu sein, wer ich bin. Das Vokabular der Dämonisierung, mit dem ein Mensch aufwächst, hinterlässt Spuren im Bewusstsein, im Handeln und Denken über sich und die Welt.“

Muslimfeindlichkeit ist weit verbreitet

Die zwölf Mitglieder des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) wurden im Jahr 2020 vom damaligen Innenminister Horst Seehofer berufen. Der UEM hat am 29. Juni 2023 seinen Bericht vorgelegt. Grundlage waren Hearings, Sekundäranalysen, auch eigene Studien sowie Berichte der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Der etwa 400 Seiten umfassende Bericht dokumentiert Muslimfeindlichkeit unter anderem in fünf gesellschaftlichen Bereichen: Bildung, Medien, Politik, Religion und Kultur. Jedes Kapitel enthält eine ausführliche Liste von Empfehlungen an Politik und Gesellschaft, mit denen sich jetzt der Deutsche Bundestag befassen sollte.

Der UEM arbeitet mit mehreren Begriffen, beispielsweise neben „Muslimfeindlichkeit“ mit „antimuslimischer Rassismus“, „Islamfeindlichkeit“ oder auch „Islamfeindbild“ und „Islamstereotyp“. Er hat sich auf folgende Definition verständigt: „Muslimfeindlichkeit (auch: Antimuslimischer Rassismus) bezeichnet die Zuschreibung pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften gegenüber Muslim:innen und als muslimisch wahrgenommenen Menschen. Dadurch wird bewusst oder unbewusst eine ‚Fremdheit‘ oder sogar Feindlichkeit konstruiert. Dies führt zu vielschichtigen gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozessen, die sich diskursiv, individuell, institutionell oder strukturell vollziehen und bis hin zu Gewaltanwendung reichen können.“ Ergebnis ist – wie beim Antisemitismus oder Antiziganismus auch – die „Homogenisierung von Individuen zu Gruppen“. Das Islambild in der Öffentlichkeit ist „hochpolitisiert und konfliktgeprägt“. Rassismus wird in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings selten auf Muslim*innen bezogen, sondern vorwiegend auf Schwarze und People of Color.

Ein Schaubild des UEM belegt, wie behördliche Praxis, antimuslimische Einstellungen in der Bevölkerung sowie institutionelle und gesellschaftliche Strukturen einander gegenseitig verstärken, Diskriminierung und Ungleichheitserfahren bedingen und schließlich die Demokratie schwächen. Der UEM stellt fest, dass es eine hohe Korrelation zwischen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit gibt, sich Muslimfeindlichkeit jedoch erst „im Zuge der verstärkten Einwanderung (….) sowie dem zunehmenden Erfolg populistischer Bewegungen“ radikalisiert habe. Wesentlich sind die „VerAnderung“ (Julia Reuters Übersetzung des englischen Begriffs „Othering“), eine Konstruktion von Fremdheit bis hin zur mehr oder weniger offenen Rassifizierung durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, die sich so als „Dominanzgesellschaft“ im Sinne von Birgit Rommelspacher erweist. Dabei unterscheiden Angehörige der Mehrheitsgesellschaft nicht unbedingt, ob es sich bei den als Muslim:innen gelesenen Menschen tatsächlich um Muslim:innen handelt.

Das in Medien und Polizeiberichten gelegentlich vermerkte „südländische Aussehen“ wird oft zum Anlass genommen, Menschen als Muslim:innen zu lesen, auch wenn sie vielleicht Christ:innen, Jüdinnen:Juden sind und auch nicht aus dem mit Muslim:innen in der Regel verbundenen arabischen oder türkischen Kulturkreis kommen. Die VerAnderung muslimisch gelesener Menschen wird ferner dadurch verstärkt, dass die in den vergangenen 10 bis 15 Jahren in einigen Bundesländern begonnene Einführung Islamischen Religionsunterrichts angesichts der Heterogenität (und nicht zuletzt Uneinigkeit) der islamischen Verbände immer wieder unter Verzögerungen, Konflikten und mitunter auch der zumindest zeitweisen Aufgabe des Vorhabens leidet. Zur Erinnerung: bereits 1979 hat der erste „Ausländerbeauftragte“ der Bundesregierung (so hieß das Amt damals), Heinz Kühn, in dem nach ihm benannten Memorandum neben herkunftssprachlichem Unterricht (damals „muttersprachlich“ genannt) islamischen Religionsunterricht in den Schulen gefordert.

Muslimfeindlichkeit ist – wie der UEM feststellt, kein Randphänomen. Weit verbreitet ist die „Gleichsetzung von muslimischer Frömmigkeit und Fundamentalismus“. Muslimisch gelesene Frauen werden oft als „nicht selbstbestimmt“ markiert, muslimisch gelesene Männer werden mit „Zuschreibungen von Gewalt und Aggressivität“ markiert und oft als „frauenfeindlich“ wahrgenommen. Vor allem Männer werden in erster Linie als Täter von Extremismus wahrgenommen, nicht jedoch als Opfer, obwohl – weltweit gesehen – die meisten Opfer islamistischen Terrors Muslim:innen sind. Dies entspricht der „selektiven Themensetzung“ in den Medien. „Auch wenn nicht durchgehend von einem geschlossenen ‚Feindbild Islam‘ der Massenmedien gesprochen werden kann, weil deutsche Medien gewisse Nuancen in der Berichterstattung zeigen, weist der Islamdiskurs deutscher Leitmedien in Presse und Fernsehen bei allen Unterschieden eine deutlich negative thematische Grundstruktur auf.“ Nicht zuletzt der SPIEGEL neigt zu reißerischen und boulevardistischen Titeln. Die Bundeszentrale für politische Bildung thematisiert Antimuslimischen Rassismus nur im Kontext von Islamismusprävention und sieht damit vorwiegend die muslimische Community in der Verantwortung, nicht jedoch die Mehrheitsgesellschaft, die sich ausschließlich mit der Frage beschäftigt, wie sie Muslim:innen von Gewalt abhalten könnte, aber nicht mit der Frage, was sie selbst dazu beiträgt, dass Muslim:innen sich nicht so integrieren können, wie man sich das so vorstellt. Dieses Framing beunruhigt, nicht zuletzt, weil damit „Brückendiskurse“ entstehen, nicht nur – wie manche vermuten könnten – in CDU und CSU, auch in anderen Parteien, diese „verhalten sich zwar rhetorisch und symbolpolitisch klarer antirassistisch (als CDU und CSU), bleiben aber in Teilen doch zu passiv, wenn es um die konkrete Beseitigung von institutioneller und gesellschaftlicher Diskriminierung geht.“

Mit dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag habe es – so der UEM – (noch) keinen „Ansteckungseffekt“ gegeben, wohl aber eine verstärkte Polarisierung und „neue Sagbarkeiten“. Die Fach- und Beratungsstellen stellen „erhebliche Verschiebungen der Grenzen des Sagbaren“ und eine unverhohlen aggressive Artikulation von antimuslimischen Ressentiments im öffentlichen Raum“ fest. „Auch die Hemmschwelle für verbale und physische Übergriffe ist gesunken.“ Etwa jede:r dritte Muslim:in ist – je nach Studie ist auch von jeder zweiten die Rede – betroffen. Dabei wird der Islam zunehmend ethnisiert, Muslim:in gilt oft als Synonym für Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer vermuteten Herkunft mit arabischen Ländern oder mit der Türkei identifiziert werden. Die Religion „Islam“ wird als Radikalität verstärkendes Element gesehen, obwohl es dafür keine wissenschaftlichen Belege gibt. Hier unterscheidet sich die Wahrnehmung des Islam auch von der Wahrnehmung des Christentums: „Während vielfach die Rede von ‚Islami(sti)schem Extremismus‘ ist und damit impliziert wird, dass es sich um ein Problem des gesamten Islams handelt, wird zum Beispiel Kinderschändung in christlichen Kirchenkreisen korrekterweise als kirchlich-institutionelle Herausforderung betrachtet.“

Die beschriebenen Einstellungen zum Islam dürften vielleicht erklären, warum die Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaft und Polizei, so lange nicht bereit waren, die Morde des NSU im rechtsextremen Milieu zu verorten. Lediglich der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein verwies schon sehr früh auf Rechtsextreme, doch seine Behörden wollten ihm nicht folgen. Diese Zurückhaltung zog sich bis zum Prozess und auch nachher hin, wie die im Jahr 2023 im Verbrecher Verlag veröffentlichte Dokumentation von NSU-Watch belegt. Aber dies ist wiederum ein eigenes Thema, gerade der Umgang mit anderen Morden rechtsextremer Täter:innen. Die Aufarbeitung des Brandanschlags vom 29. Mai 1993 in Solingen ist vielleicht das einzige Beispiel, das für eine gemeinsame Aufklärungs- und Aufarbeitungsbereitschaft von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft steht, nicht zuletzt dank der beeindruckenden und empathischen Rolle der leider 2022 verstorbenen Mevlüde Genç. Eine Ausstellung im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen dokumentiert dies. An vielen Orten waren die Communities und ihre Verbände die wichtigste Anlaufstelle für die Erinnerung. In Hanau wurde Angehörigen der Opfer ein aktiver Part an einer Trauerfeier verwehrt. Auch das ist leider Teil der Wahrheit deutscher Erinnerungskultur, gegen den sich Ibrahim Arslan mit den von ihm gegründeten Möllner Reden im Exil und andere wehren.

Diskriminierung im Alltag

Die Statistik der Polizei zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) „spiegelt (…) lediglich die polizeiliche Einschätzung einer Tat wider“, ist somit nur begrenzt für eine Analyse des Gesamtphänomens verwendbar. „Kurioserweise wird Muslimfeindlichkeit häufig im Bereich der Extremismus- und Islamismusprävention verortet, statt sie als eigenständige Ideologie der Ungleichwertigkeit zu deklarieren.“ Weitere Studien werden genannt, beispielsweise die ALLBUS-Studie, der Religionsmonitor von Bertelsmann, die Bielefelder Mitte-Studien sowie die Leipziger Autoritarismus-Studien. Auch die Studie „ZuGleich“ der Stiftung Mercator wurde ausgewertet. Durchweg werden Ethnisierung, Rassifizierung, Nicht-Zugehörigkeit als unveränderliches Merkmal genannt.

Differenzierte auf einzelne Personengruppen beziehbare Studien, gegebenenfalls unter Nutzung der SINUS-Milieustudien, gibt es jedoch so gut wie nicht. Lediglich im Hinblick auf die Polizei gibt es differenzierte Ergebnisse – so die MEGAVO-Studie: Polizist:innen unterschieden sich in ihren Einstellungen nicht von denen anderer Bürger:innen in Deutschland. Der UEM zitiert Berichte über fehlende Sensibilität von Polizist:innen, die Moscheen mit Schuhen und Hunden betreten hätten. Grundsätzlich unterscheide sich das Bild der Polizei nicht von dem der Gesamtgesellschaft. Allerdings gebe es zwei Ausnahmen: Wohnungslose und muslimisch gelesene Menschen. Der UEM hat eine erste Data-Mining-Studie in Auftrag gegeben, durchaus vergleichbar, wenn auch nicht so umfassend, mit Studien von Julia Bernstein und Monika Schwarz-Friesel zum Antisemitismus. „So betonen Forschende seit Jahren, dass Rassismen auf kommunikativen Konstruktionsprozessen basieren – wobei die Gruppe der Muslim:innen als einheitliches Großkollektiv erst durch sprachliche Zuschreibungen und objektivierende Wissensproduktionen erschaffen wurde (Said 1979).“

Diskriminierungen im Alltag beziehen sich in hohem Maße auf den Arbeitsmarkt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nennt einen Anteil von 47,6 Prozent. „Außerdem spielt die muslimische Religionszugehörigkeit regelmäßig bei Diskriminierungserfahrungen durch Ämter und Behörden (5,5 %) sowie Justiz (1,4 %) eine Rolle. (…) Führerscheinbehörden verlangen etwa von Muslimas teilweise ein Lichtbild ohne Kopftuch oder eine Glaubhaftmachung der Religionszugehörigkeit.“ In der Öffentlichkeit verstärken immer wieder Debatten um das Kopftuch, die Beschneidung (2011/2012), den Moscheebau, sogenannte „Ehrenmorde“, den sogenannten „politischen Islam“ oder um diverse Karikaturen das Bild von einem nicht zu Deutschland gehörenden, einem Deutschland fremden Islam. Im Hinblick auf die diversen Debatten um Karikaturen wird immer wieder Kurt Tucholsky zitiert, Satire dürfe alles. Nicht unbedingt: „Eine Satire, die bestehende gesellschaftliche Schieflage vertieft, statt sie offen zu legen, um sie perspektivisch zu überwinden, löst ihr demokratisches Potenzial nicht ein.“ Eine Karikatur ist nun keine strafrechtlich relevante Aussage, obwohl es sicherlich Grenzfälle gibt, die an die strafbare „Volksverhetzung“ grenzen, wohl aber eine Frage des Ehrenkodexes von Journalist:innen, Karikaturist:innen und anderen Medienschaffenden. Es herrsche – so der UEM – eine Atmosphäre der „Normalisierung oder auch Gewöhnung“. Vielleicht sollte erwähnt werden, dass mitunter anti-muslimische Karikaturen, die den Propheten unangemessen darstellten, der Meinungsfreiheit zugeordnet wurden – so auch von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel –, ein Zugeständnis, dass bei anti-christlichen Karikaturen, in denen Jesus oder die heilige Familie vorgeblich satirisch dargestellt werden, sich nicht einer solchen Schein-Toleranz erfreuen dürfen.

Der Bericht des UEM bezieht sich mit seinen Empfehlungen auf vergleichbare Berichte wie die Berichte des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, des Unabhängigen Expertenkreises Antiziganismus und den 2023 erstmals vorgelegten Lagebericht „Rassismus in Deutschland“ der Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus. Zu den Handlungsempfehlungen gehört die Einrichtung von Meldestellen, gegebenenfalls in Ausweitung des von der EU und der Stiftung Mercator bereits eingerichteten Meldeportals „I Report“. Großer Handlungsbedarf besteht im Bildungsbereich, da Lehrpläne und Schulbücher häufig ein ausgesprochen einseitiges Bild von Muslim:innen und mehrheitlich islamischen Staaten zeichnen. Manches, was sich in Studien zum Antisemitismus zeigte, trifft in diesem Bereich ebenso auf das Thema der Muslimfeindlichkeit zu. Vorrangig sei – so der UEM – Empowerment für die Betroffenen. Angesprochen sind auch Presse und Kultur.

Um Richter:innen Kriterien zu geben, schlägt der UEM eine Ergänzung von § 5a Abs. 3 Richtergesetz vor (Ergänzung im Original unterstrichen): „Die Vermittlung der Pflichtfächer erfolgt auch in der Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht, dem Unrecht der SED-Diktatur sowie mit Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Ferner wird vorgeschlagen, eigene Beauftragte gegen Muslimfeindlichkeit einzurichten, durchaus nach dem Vorbild der Beauftragten gegen Antisemitismus (auf Bundesebene Felix Klein) und Antiziganismus (auf Bundesebene Mehmet Daimagüler). Interessant ist hier vielleicht die Unterscheidung, dass der Beauftragte gegen Antisemitismus beim Bundesinnenministerium, der Beauftragte gegen Antiziganismus jedoch beim Bundesfamilienministerium angesiedelt ist.

Ende des Framings?

Ozan Zakariya Keskinkılıç schreibt: „Das Problem hat einen Namen. Es heißt: Antimuslimischer Rassismus“. Doch was ist „antimuslimischer Rassismus“, was ist „Muslimfeindlichkeit“? Im Unterschied zum Antisemitismus gibt es für Muslimfeindlichkeit weder eine einheitliche Begrifflichkeit noch eine zwischen Staat und Community politisch abgestimmte Definition. Man mag einwenden, dass auch im Fall des Antisemitismus die in der Regel verwendete IHRA-Definition nicht von allen mit Antisemitismus befassten Institutionen und Expert:innen geteilt werde, doch ist sie immerhin mehrheitsfähig, wie diverse politische Beschlüsse belegen. Die vom UEM verwendete Definition ist eine gute Arbeitsgrundlage, aber ob sie mehrheitsfähig ist, nicht zuletzt auch in der Abstimmung mit den muslimischen Verbänden, bleibt eine offene Frage.

Die ausgesprochen heterogene Repräsentanz muslimischer Verbände erschwert in der Tat ein abgestimmtes Vorgehen gegen Muslimfeindlichkeit. Dies be- und verhinderte bereits eine einvernehmliche Einführung Islamischen Religionsunterrichts in den Ländern und dürfte erst recht die Einrichtung eines von allen Verbänden getragenen und respektierten Beauftragten gegen Muslimfeindlichkeit erheblich erschweren. Nicht alle Jüdinnen:Juden werden zwar vom Zentralrat der Juden in Deutschland vertreten, doch ist der Zentralrat immerhin die wesentliche jüdische Organisation, die verlässlich von staatlichen Institutionen sowie von politischen und gesellschaftlichen Organisationen angesprochen und einbezogen werden kann. Die muslimischen Verbände hingegen konkurrieren mehr oder weniger offen miteinander. Eher konservative Verbände haben sich im Koordinationsrat der Muslime zusammengeschlossen, bilden aber je nach Lesart nur etwa ein Drittel bis zwei Drittel aller Moscheegemeinden ab. Aufgrund ihrer Bindung an den türkischen Staat ist der größte Verband, die DİTİB ohnehin in die Kritik geraten. So gut wie keine Akzeptanz hat bei den Verbänden des Koordinationsrates der Liberal-Islamische Bund. Mit wem also sollten sich staatliche Akteure über eine einheitliche Definition von „Muslimfeindlichkeit“ verständigen?

Wer Rassismen anspricht, erlebt ein Dilemma, so der UEM: „Paradoxerweise gehen mit der Thematisierung konkreter Rassismuserfahrungen oder entsprechender gesellschaftlicher Probleme vielfach eine Reaktion der Betroffenheit durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft und ein Muster sozialer Abwehr einher. Rassismus thematisierenden Personen wird etwa mangelnde Sachlichkeit, überzogene Moralisierung, Polemik und eine dadurch verzerrte und unglaubwürdige Wahrnehmung unterstellt.“ Immer wieder seien Korrelationen zwischen „negativer Berichterstattung und Moscheeangriffen“ festzustellen.

Gäbe es Lösungen? Eine Lösung versprechen gerne Anhänger:innen linker und liberaler „Identitätspolitik“. Das muss jedoch nicht unbedingt funktionieren, wirkt manchmal sogar kontraproduktiv, wie Ozan Zakariya Keskinkılıç feststellt. „Linke Identitätspolitik verliert, wenn marginalisierte Menschen nur unter dem Merkmal ihrer Marginalisierung Repräsentation erstreiten und genießen dürfen. (…) Linke Identitätspolitik gewinnt, wenn sie auf Strukturveränderung setzt, die Verteilung des Kuchens in Frage stellt und den Blick, unter dem Ausschlüsse in spätkapitalistischen Gesellschaften vollzogen werden, erweitert. Empowerment ist kein Tool zur neoliberal inspirierten Selbstrettung. Was wir brauchen, sind Wege zur kollektiven Befreiung. Das heißt, Machtstrukturen zu überwinden. (…) Das heißt, gegen die Legende der ‚Parallelgesellschaft‘ anzureden, das Leben in seiner Komplexität zu erfassen, Grenzen zu irritieren und zu verwischen und dem Begehren nach Reinheit und Homogenität der Sprachen, Kulturen und Identitäten endgültig eine Absage zu erteilen.“ Und vielleicht hilft es auch, der Empfehlung von Ozan Zakariya Keskinkılıç zu folgen und sich selbst einmal im Spiegel zu betrachten.

Norbert Reichel, Bonn

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im August 2023, Internetzugriffe zuletzt am 9. August 2023, Titelbild: Corinna Heumann, „Beauty! – Botticelli Meets Calligraphy 2022” – © Corinna Heumann.)